Kapitel 43

 

Die Steckdosen im Kellerraum funktionierten. Binnen Sekunden stieg die Temperatur in der Eisenspindel an. Donner ließ die freie Hand über dem Tauchsieder schweben. Die Hitze nahm derart zu, dass er sie bald wegziehen musste.

»Und wenn es mich den Job kostet«, redete er so ruhig wie am Anfang der Unterhaltung. »Du wirst mir verraten, was ich wissen muss. Ansonsten lasse ich dir die Luft aus den Socken, du Frittenkind.« Damit trat er auf Igor zu und führte das Elektrogerät mit dem Eisen voran bis auf wenige Zentimeter an dessen Hodenbereich.

Gefesselt an den Stuhl, presste Igor seine Knie zusammen. »Wenn das Ding ein Loch in meine Hose macht, schwöre ich, dass ich deine Scheißnarbe im Gesicht aufreiße und hineinwichse!«

»Dazu bräuchtest du beide Hände.« Donner senkte den Stab noch ein wenig. Obwohl das Eisen Igors Schritt noch nicht berührte, stieg Qualm auf. Ein leichter Geruch von verbranntem Jeansstoff stieß Donner in die Nase. »Wo ist Nina Richter?«

Seltsamerweise war es nicht Igor, sondern Iljanow, dem die Schweißtropfen von der Stirn perlten. Igor schnaufte dagegen übel gesinnt. Speicheltropfen flatterten von seinen Lippen. Er gab keine Antwort.

Blitzschnell schwang Donner mit dem Arm herum. Wenige Zentimeter vor Iljanows Gesicht stoppte er die Bewegung. Einer der Schweißtropfen spritzte auf den Tauchsieder. Es zischte, Dampf stieg auf. Iljanow riss die Augen auf, presste die Zähne aufeinander.

»Ich war es nicht!«, stammelte er.

»Einen Namen!«

»Es war …«

»Halt dein Maul!«, schalt Igor ihn auf Russisch.

Donners Faust krachte gegen die Wange des Bären. Igors Kopf wurde zur Seite gerissen. Mit zusammengebissenen Zähnen schrie der danebensitzende Iljanow seine Wut heraus. Der gesamte Stuhl wackelte, als er versuchte, die Handschellen zu lösen. Erst als Donner ihm den Tauchsieder unter das Kinn hielt, unterließ er die Bemühungen.

Donner schwenkte das Elektrogerät hin und her. »Du wolltest etwas sagen.«

Das Verhör wurde von einem Klingelton unterbrochen. Es kam aus Igors Jacke. Das Lied, welches das versteckte Handy spielte, führte die Folterszene ins Absurde.

»Ist das Americanos von Holly Johnson?«, stellte Donner die überflüssige Frage, während er sich daran machte, das Handy in Igors Kleidung zu finden. »Du bist wirklich der absolute Freak.«

Der Anruf von einer unterdrückten Nummer ging ein. Donner überlegte, ob es klug war, das Gespräch anzunehmen. Beiläufig riss er das Kabel des Tauchsieders aus der Steckdose und legte das Gerät auf den Betonboden. Dann steuerte er auf ein Regal mit alten Lappen zu. Er deponierte das lärmende Handy an dieser Stelle, nahm sich eines der dreckigen Tücher und stopfte es dem sich weigernden Igor mit aller Kraft in die Mundhöhle.

»Ruhig atmen, sonst brichst und erstickst du.«

Einen zweiten Lappen presste er Iljanow zwischen die Zähne.

Inzwischen hatte Holly Johnson aufgehört zu singen. Donner nahm das Handy an sich und wartete. Nach drei Minuten klingelte es erneut. Igor schniefte und schüttelte den Kopf. Eine Art Warnung leuchtete in seinen großen braunen Bärenaugen.

Neugierig, aber unaufgeregt nahm Donner das Gespräch an. Geistesgegenwärtig meldete er sich auf Russisch. »Da?« Zur Unterstützung der Stimmenverfremdung hielt er die freie Hand vor den Mund.

Wenn es überhaupt möglich war, weiteten sich Igors Augen noch ein Stück, weil er offenbar feststellte, dass Donners Sprachkenntnisse doch besser waren als angenommen. Donners Vater hatte selbst nach der Wende darauf geachtet, dass sein Sohn Russisch lernte. Speziell nach der Wende …

»Hat der Bulle das Päckchen erhalten?«, fragte eine Männerstimme. Ein infamer Unterton schwang darin mit.

»Da.«

»Und wann bringst du ihn mir?«

»Skoro«, antwortete Donner. Bald.

»Die Zeit drängt«, redete der andere weiter.

Anscheinend funktionierte Donners Schauspiel. Daran änderte auch nichts, dass Igor auf seinem Stuhl tobte. Donner ließ ihn zusammen mit Iljanow sitzen und wechselte den Raum, um sich frei von Ablenkung auf den unbekannten Sprecher konzentrieren zu können.

»Der Bulle und Lilly sind die Letzten«, vollendete der Mann seine Ausführungen.

Lilly Brandner!

Donner wanderte im leeren Nebenraum umher wie einer von diesen Fernsehkommissaren, die mächtig unter Erfolgsdruck standen. Die wenigen Gesprächsfetzen reichten aus, um ihn noch tiefer in den Schlund der Unwissenheit zu stoßen.

Warum ist Lilly so wichtig? Wer ist der Mann, mit dem ich spreche? Und welche Rolle spielt Igor wirklich?

»Hörst du mir zu?«

»Da«, beeilte sich Donner zu erwidern. Vermutlich hatte er einen Augenblick nicht zugehört.

»Ist alles in Ordnung? Du klingst so komisch.«

»Net Problem.« Kein Problem. »Mnogo vodki.«

Das Gespräch wurde von einer beunruhigenden Pause unterbrochen. Der Mann atmete jetzt kaum noch in das Handy. Offenbar konzentrierte er sich darauf, etwas im Hintergrund zu verstehen. Donner schlich in die hinterste Ecke des Raumes. Weit genug weg vom gedämpften Jaulen der beiden Gefangenen.

»Eine Menge Wodka also «, hörte er den anderen sagen.

Mist, er hat die Maskerade durchschaut.

»Der Bulle gehört dir«, schob Donner emotionslos in russischer Sprache nach. »Meine Leute kümmern sich um ihn.«

»Gut. Morgen Abend, einundzwanzig Uhr. Bring ihn zum Zwinger. Er ist Beute wie alle anderen. Hoffen wir, dass er länger durchhält als die kleine Bullenschlampe mit den gefärbten Haaren.«

Obwohl sich Donners Kehle zuschnürte, quetschte er zustimmendes Gemurmel daraus hervor.

»Was ist los mit dir?«

Donner stieß einen ungläubigen Ton aus.

»Du fragst gar nicht nach Geld …«

Überrumpelt von der Aussage, suchte Donner krampfhaft nach einer passenden Erwiderung – und dem passenden Vokabular. Schließlich sagte er auf Deutsch mit osteuropäischem Akzent: »Ich bekomme immer, was ich will.«

Der andere lachte kurz.

Donner beendete von sich aus das Telefonat. Sekunden danach hämmerte er mit der Faust mehrfach gegen die Wand. Der Wutschrei half, sich abzureagieren.

Nina Richter war tot. Er hatte nun Gewissheit.

Schnellen Schrittes durchmaß er den Raum und riss die Tür auf.

Igor und Iljanow saßen da wie erstarrt. Keiner von beiden gab einen Laut ab. Offenbar konnten sie in Donners Gesicht lesen, dass ihn nurmehr Vergeltungsgedanken antrieben.

Er ging noch zwei Schritte. Etwas hatte sich hier verändert. Die plötzliche Stille verriet es ihm. Und der Geruch eines Altherrenparfüms.

Donner fuhr herum.

Ein Schatten sprang ihm entgegen.

Bevor Donner den Angriff abwehren konnte, verlor er das Bewusstsein.

Blut und böser Mann
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