Kapitel 12
Damals (Sechs Jahre zuvor)
Die Männer redeten nicht übers Töten. Sie redeten über guten Wodka, über einen hohen Geldbetrag und Flugtickets. Alle drei wussten, dass es ums Töten ging, aber niemand verlor ein Wort darüber. Nicht heute. Es war kein geselliger Abend, obwohl im Hintergrund Musik spielte. Sie nannten es ein Geschäftstreffen.
Während der Russe emotionslos sein Glas zum Mund führte und die beiden Geschäftsmänner keine Sekunde aus den Augen ließ, lachten die beiden anderen eine Spur zu laut. Der Vierzigjährige kannte das Prozedere. Für ihn war es das sechste Mal. Er liebte gute Gewehre und er liebte die Jagd.
Der ein Jahr Jüngere liebte Gewehre ebenfalls. Jagd kannte er nur aus dem Fernsehen. Dabei war die sein Geschäft.
Der Russe liebte Euroscheine. Je mehr, desto besser. Er interessierte sich für Jägerei nur beiläufig. Er vermittelte nur.
Der Ältere hob sein Glas, sprach auf Russisch einen Trinkspruch und kam auf die vorjährige Präsidentschaftswahl zu sprechen. Putin war von Medwedew als Präsident beerbt worden. Alle spekulierten auf Manipulation der Wahlergebnisse. Der Russe interessierte sich nur am Rande, wer in seinem Heimatland regierte. Er lebte seit mittlerweile zwanzig Jahren in Deutschland. Seine Kontakte nach Russland hatten ihm ein kleines Vermögen beschert. In spätestens zehn Jahren wollte er sich zur Ruhe setzen. Dann wäre er dreiundfünfzig und hätte bis an sein Lebensende ausgesorgt.
Da er geldgierig war, wartete er mit den Einzelheiten und antwortete eine Weile nur in russischer Sprache. Wortkarg und ohne ein Lächeln. Der Ältere verstand die Geste und schob einen Briefumschlag über den Tisch. In der Männerrunde kehrte Ruhe ein. Alle stierten auf den weißen Umschlag.
Der Russe zog ihn die letzten Zentimeter zu sich, ohne sich vorzubeugen. Er legte seine Zigarre beiseite und öffnete ihn. Auf den ersten Blick schien die Summe zu stimmen. Später, als der Ältere auf die Toilette ging und der Jüngere mit Fragenstellen begann, zählte er es. Er fand exakt zehntausend Euro im Briefumschlag.
Bis dahin hatte der Jüngere hauptsächlich zugehört. Seine Nervosität verbarg er, so gut es ging. Zurück vom Toilettengang klopfte sein Partner ihm mehrfach beruhigend auf den Rücken. Der Russe wusste, dass er es mit einem Anfänger zu tun hatte. Alles im Leben geschah irgendwann zum ersten Mal. Vermutlich würde sich der Neue vor Angst in die Hose pinkeln, sobald der Startschuss fiel. Das war dem Russen egal, solange jeder die Klappe hielt.
Beide Geschäftsmänner genossen hohes Ansehen in der Gesellschaft. Ihr Geschäft brummte. Sie konnten es sich nicht leisten, dass etwas von der Sache nach außen drang. Auch wenn sie niemals Namen erfahren würden, wussten sie, mit wem sie da Geschäfte machten. Sie wussten, was auf dem Spiel stand. Im Fall, dass sie sich verquatschten, würden sie schlagartig alles verlieren. Zuerst ihre Bedeutung, ein Weilchen später ihr Leben.
Bisher hatte der Ältere sich peinlich genau an die Absprachen gehalten. Seine Augen funkelten jedes Mal frenetisch, wenn sie über das Geschäft redeten. Unter seiner Haut schlummerte ein Raubtier. Er hatte Spaß an der Sache und er war süchtig danach. Er würde niemanden verraten, so wie ein Junkie niemals seinen Dealer verrät. Das reichte dem Russen als Garantie.
Den halben Abend lauschte der Jüngere dem Smalltalk der beiden anderen. Irgendwann nahm er seinen gesamten Mut zusammen und ergriff die Sprecherrolle: »Reden wir darüber, wie es genau ablaufen soll.«
Der Russe lächelte und fragte auf Deutsch an den Älteren gewandt: »Wird er das durchstehen?«
»Es war seine Idee. Er wollte dabei zu sein. Man kann den Trieb eben nur eine Weile unterdrücken. Irgendwann bricht es aus dir heraus. Das ist unser Geschäft. Wir sind Männer, die täglich mit Waffen umgehen. Es liegt uns im Blut. Mir und ihm.«
Der Russe war sich da weniger sicher, aber schlussendlich war es ihm egal. Sollte die Gruppe beurteilen, ob sie ihn dabeihaben wollten. Falls sie ihn für ungeeignet befanden, würde man ihn verschwinden lassen.
»Zweihundertfünfzigtausend innerhalb einer Woche. Die andere Hälfte bar vor Ort.«
Über den Betrag hatten die beiden Geschäftsmänner zuvor gesprochen. Trotzdem schluckte der Jüngere, als er die Summe hörte. Es führte ihm den Ernst der Lage vor Augen. Der Nervenkitzel gehörte dazu. Es erregte ihn, dass sie etwas Verbotenes planten.
Der Russe kramte einen zerknitterten Zettel aus seiner Jackentasche, als wäre es altes Kaugummipapier. Er übergab ihn an den Älteren. Darauf standen eine Kontonummer und ein Name.
Der Ältere verstand und las: »Mayak.«
»Mayak«, bestätigte der Russe.
Eine Weile beobachteten sie schweigend die seltsamen Gebilde, die der Zigarrenqualm formte.
»Wir haben gute Gewehre, dürfen sie aber nur bedingt einsetzen«, sagte der Ältere mit Bedauern in der Stimme.
»Scheißgesetze«, nuschelte der Russe und trank sein Glas leer.
»Scheißgesetze«, wiederholte der Ältere und kippte Wodka nach.
Der Jüngere trank hastig. Er merkte nicht, dass er von den dreien am meisten getrunken hatte.
Der Russe erhob erneut das Glas und rief: »Tag des Sieges!«
Die beiden Geschäftsmänner echoten den Spruch im Chor. Sie hörten sich an wie alte Genossen.
Endlich legte der Russe einen Hefter in die Mitte des Tisches. Der Ältere rieb sich die Hände, der Jüngere setzte sich gerade hin und strich die Spucke von seinen Mundwinkeln. Er hielt den Atem an, als er die Bilder sah. Die Fotos waren angeordnet wie in einem Katalog. Kurzzeitig kamen ihm Bedenken, bis der Nervenkitzel das Gefühl dämpfte.
Mit einem Finger schob der Ältere dem Jüngeren den Katalog rüber.
Er sollte wählen.
Minuten später tippte er auf eine Seite mit fünf Gesichtern. »Die hier! Die und keine anderen.«