Island
»Ich sehe einen!« rief Garcia. Edwards und Nichols waren im Nu an seiner Seite.
»Hallo, Iwan«, meinte Nichols leise.
Edwards sah eine winzige Gestalt am Kamm des Gipfels entlangmarschieren. Der Mann trug ein Gewehr und eine Mütze, keinen Helm. Nun blieb er stehen und hob die Hände ans Gesicht, hatte offenbar ein Fernglas. Er schaute nach Norden, leicht nach unten, nach links und rechts. Dann drehte er sich um und spähte in Richtung Keflavik.
Ein weiterer Mann erschien, näherte sich dem ersten, der nach Süden wies.
»Worum es da wohl geht?« fragte Edwards.
»Die reden übers Wetter, von Mädchen, Sport oder Essen, wer weiß?« erwiderte Nichols. »Da ist noch einer!«
Der dritte Mann mußte ein Offizier sein, schloß Edwards. Er sagte etwas, und daraufhin entfernten sich die beiden anderen rasch. Welchen Befehl hatte er da gerade gegeben?
Schließlich erschien eine Gruppe von Männern, mindestens zehn, die Hälfte davon bewaffnet. Man marschierte bergab nach Westen.
»Ein guter Soldat«, kommentierte Nichols. »Schickt eine Streife los, um sicherzustellen, daß das Gebiet sicher ist.«
»Und was unternehmen wir nun?« fragte Edwards.
»Was schlagen Sie vor, Lieutenant?«
»Wir haben den Befehl, uns nicht vom Fleck zu rühren. Tun wir das, und hoffen wir, daß sie uns nicht entdecken.«
»Wäre auch unwahrscheinlich. Es ist kaum anzunehmen, daß sie von ihrem Berg steigen, sich durch die Felsblöcke da unten quälen und dann hier hochklettern nur für den Fall, daß hier Amerikaner sitzen. Daß sie überhaupt hier sind, wissen wir ja nur, weil wir ihren Hubschrauber beobachtet haben.«
Andernfalls wären wir ihnen glatt vor die Füße gelaufen, sagte sich Edwards, und das wäre das Ende gewesen. Sicher kann ich mich erst fühlen, wenn ich wieder in Maine bin. »Kommen da noch mehr Russen?« fragte er laut.
»Da drüben muß etwa eine Kompanie sein. Ziemlich clever von unseren Freunden, nicht wahr?«
Edwards baute das Funkgerät auf, um Doghouse diese Entwicklung zu melden. Inzwischen behielten die Marines die Russen im Auge.
»Eine Kompanie, sagen Sie?«
»Das ist Sergeant Nichols’ Schätzung. Nicht so einfach, über drei Meilen Köpfe zu zählen.«
»Gut, wir geben das weiter. Tut sich etwas in der Luft?«
»Seit gestern haben wir kein Flugzeug gesehen.«
»Und Stykkisholmur?«
»Zu weit entfernt, um etwas zu erkennen. Die Allradfahrzeuge stehen immer noch auf der Straße, aber es sind keine Panzer zu sehen. Die Fischerboote bleiben im Hafen.«
»Gut gemacht, Beagle. Bleiben Sie am Ball.« Der Major schaltete das Funkgerät ab und wandte sich an seinen Nachbarn an der Konsole. »Eine Schande, sie so im dunkeln tappen zu lassen.«
Der SOE-Mann trank einen Schluck Tee. »Schlimmer noch, wenn die ganze Operation aufflöge.«
Edwards zerlegte das Funkgerät nicht, sondern lehnte es an einen Felsblock. Vigdis lag noch immer schlafend auf einem Felsrand knapp unterm Gipfel. Schlafen war die angenehmste Beschäftigung, die Edwards sich im Augenblick vorstellen konnte.
»Die kommen auf uns zu«, sagte Garcia und gab Edwards das Fernglas. Smith und Nichols standen in der Nähe und besprachen sich.
Mike richtete das Glas auf die Russen und sagte sich, es ist unwahrscheinlich, daß sie direkt auf diese Position zuhalten. Rede dir das ruhig weiter ein, dachte er und nahm sich den russischen Beobachtungsposten vor.
»Da ist es schon wieder«, sagte der Feldwebel seinem Leutnant.
»Was denn?«
»Auf diesem Gipfel hat etwas geblitzt, als spiegelt sich die Sonne in etwas.«
»Ein Glimmerstein«, schnaubte der Leutnant und schaute noch nicht einmal hin. »Genosse Leutnant!« Der Leutnant fuhr bei dem scharfen Ton herum und sah einen Stein auf sich zufliegen. Er fing ihn auf. »Sieht das vielleicht aus wie Glimmer?«
»Dann ist’s eine Konservendose. Wir haben doch genug Abfall von Touristen und Bergsteigern gefunden.«
»Warum blitzt das dann auf und verschwindet wieder?«
Endlich geriet der Leutnant sichtlich in Rage. »Feldwebel, ich weiß, daß Sie ein Jahr Afghanistan-Erfahrung haben. Ich weiß auch, daß ich ein frischgebackener Offizier bin. Aber ich bin immer noch der Offizier und Sie nur ein Feldwebel!«
Die Wunder der klassenlosen Gesellschaft, dachte der Feldwebel und schaute den Offizier unverwandt an. Nur wenige Offiziere konnten seinem Blick standhalten.
»Na schön, dann bringen Sie es ihnen bei.« Der Leutnant wies aufs Funkgerät.
»Marchowski, sehen Sie sich den Gipfel zu Ihrer Rechten an, ehe Sie zurückkommen.«
»Aber der ist doch zweihundert Meter hoch!« versetzte der Zugführer.
»Genau. Eine Kleinigkeit«, meinte der Feldwebel tröstend.