Lammersdorf, BRD
Nur wenige Leute erkannten, wie wichtig eine Videokamera war. Bequem zwar für den Heimgebrauch, doch erst nachdem ein Hauptmann der niederländischen Luftwaffe vor zwei Jahren eine brillante Idee demonstriert hatte, war der militärische Nutzen des Gerätes bei geheimen Übungen in Deutschland und den westlichen USA demonstriert worden.
Die Radarüberwachungsflugzeuge der Nato hielten ihre üblichen Positionen überm Rhein. Die E-3A Sentry, besser bekannt als AWACS, und kleinere TR-1 flogen weit hinter der Front Kreise oder Linien. Die beiden Typen hatten ähnliche, aber doch unterschiedliche Funktionen. AWACS konzentrierte sich vorwiegend auf den Flugverkehr. Die TR-1, eine verbesserte Version der guten alten U-2, suchte nach Fahrzeugen am Boden. Anfangs hatte die TR-1 als Fehlschlag gegolten. Da sie zu viele Ziele erfaßte, darunter viele von den Sowjets aufgestellte Radarreflektoren, wurde die Nato-Führung von einem Wirrwarr von Informationen überschwemmt – bis zum Eintreffen des VCR. Der holländische Hauptmann brachte sein Gerät mit in den Dienst und demonstrierte, wie man mit Hilfe der Suchlauftasten nicht zur zeigen konnte, wohin sich Objekte bewegen, sondern auch, woher sie gekommen waren. Computer erleichterten die Aufgabe, indem sie Reflexionen von Objekten, die sich innerhalb von zwei Stunden nur einmal bewegten, eliminierten – und schon war ein neues Hilfsmittel zur Einschätzung der Feindlage fertig.
Von jedem Band wurden mehrere Kopien gezogen, und über hundert Luftlotsen und Nachrichtendienstexperten werteten die Daten rund um die Uhr aus, teils unter taktischen Gesichtspunkten, teils unter strategischen. Eine große Anzahl von Lkw, die nachts zu Fronteinheiten und wieder zurück fuhren, hatten ihren Ausgangspunkt wohl an Munitions- und Treibstofflagern. Eine Anzahl von Fahrzeugen, die sich von einer Divisionskolonne lösten und parallel zur Front Aufstellung nahmen, bedeutete Artillerie, die sich auf einen Angriff vorbereitete. Entscheidend war nur, diese Daten den Befehlshabern an der Front so rasch zukommen zu lassen, daß rechtzeitig Gebrauch von ihnen gemacht werden konnte.
In Lammersdorf hatte ein belgischer Leutnant gerade die Auswertung eines sechs Stunden alten Bandes abgeschlossen, und sein Bericht ging nun über Erdkabel an die Front. Auf der E 7 waren mindestens drei Divisionen nach Norden und Süden bewegt worden; ein massierter sowjetischer Angriff auf Bad Salzdetfurth mußte also früher als erwartet erfolgen. Sofort wurden belgische, deutsche und amerikanische Reserveeinheiten nach vorne geworfen und alliierte Fliegerverbände alarmiert. Die Kämpfe auf diesem Abschnitt waren schon erbittert genug gewesen. Deutsche Kräfte, die das Gebiet südlich von Hannover deckten, hatten nur fünfzig Prozent ihrer Sollstärke, und noch vor der Schlacht begann ein Wettlauf, denn jede Seite versuchte, vor der anderen Verstärkungen zum Angriffspunkt zu bringen.