Fölziehausen, BRD
Nach acht Stunden erbitterter Kämpfe, in deren Verlauf der vorgeschobene Befehlsstand von Artilleriefeuer getroffen wurde, brachten Beregowoy und Alexejew den belgischen Gegenangriff zum Stehen. Doch das allein genügte nicht. Sie waren sechs Kilometer vorangekommen und dann auf eine massive Wand aus Panzern und Raketen gestoßen. Die belgische Artillerie belegte die Straße, über die der Nachschub für den russischen Vorstoß auf Hameln rollte, immer wieder mit Feuer. Alexejew wußte, daß der Gegner einen weiteren Gegenangriff plante. Wir müssen als erste zuschlagen, dachte er, aber womit? Seine drei Divisionen brauchte er für den Vorstoß gegen die vor Hameln stehenden britischen Kräfte.
»Jedesmal, wenn wir durchbrechen«, bemerkte Major Sergetow leise, »halten sie uns auf und starten einen Gegenangriff. So etwas sollte nicht vorkommen.«
»Welch tiefschürfende Erkenntnis!« fauchte Alexejew und faßte sich dann wieder. »Wir gingen von der Annahme aus, daß ein Durchbruch die gleiche Wirkung zeigen würde wie beim letzten Krieg gegen die Deutschen. Der Haken sind aber diese leichten Panzerabwehrraketen. Drei Mann mit einem Jeep« – er benutzte den amerikanischen Ausdruck – »sausen die Straße entlang, stellen sich auf, schießen ein oder zwei Raketen ab und sind schon verschwunden, che wir reagieren können. Dann wiederholen sie den Prozeß ein paar hundert Meter weiter. Noch nie war die Feuerkraft der Verteidigung so stark, und wir erkannten offenbar nicht, wie effektvoll eine entschlossene Nachhut eine vorrückende Panzerkolonne verlangsamen kann. Unsere Sicherheit liegt in der Mobilität; wir dürfen den Schwung nicht verlieren. Ein simpler Durchbruch genügt nicht! Erst wenn wir eine massive Lücke in ihre Front gerissen und dann mindestens zwanzig Kilometer zügig zurückgelegt haben, sind wir diese beweglichen Raketenbedienungen los. Erst dann können wir zu unserer mobilen Taktik übergehen.«
»Meinen Sie, daß wir nicht siegen können?« Sergetow hatte selbst schon seine Zweifel, war aber überrascht, sie von seinem Vorgesetzten zu hören.
»Ich kann nur wiederholen, was ich schon vor vier Monaten gesagt habe: Dieser Feldzug ist zu einem Abnutzungskrieg geworden. Für den Augenblick hat die Technik auf beiden Seiten die Kriegskunst besiegt. Nun geht es nur noch darum, wem als erstem die Soldaten und Waffen ausgehen.«
»Und da stehen wir besser da«, meinte Sergetow.
»Gewiß, Iwan Michailowitsch. Ich habe mehr junge Männer zu opfern.« Im Feldlazarett trafen immer mehr Verwundete ein. Die Kolonnen der Sanitätsfahrzeuge waren endlos.
»Genosse, mein Vater hat sich nach den Fortschritten an der Front erkundigt. Was soll ich ihm sagen?«
Alexejew entfernte sich kurz von seinem Adjutanten, um über diese Frage nachzudenken.
»Iwan Michailowitsch, richten Sie dem Minister aus, der Widerstand der Nato sei viel heftiger als erwartet. Der Schlüssel ist nun die Logistik. Wir brauchen die besten verfügbaren Informationen über die Versorgungslage der Nato, und es müssen entschlossene Anstrengungen zu ihrer Verschlechterung gemacht werden. Wir wissen nicht, mit welchem Erfolg die Marine die feindlichen Geleitzüge angreift. Das muß ich aber erfahren, um das Durchhaltevermögen der Nato abschätzen zu können. Und aus Moskau brauche ich keine Analysen, sondern Rohdaten.«
»Sind Sie mit dem, was wir aus Moskau erfahren, nicht zufrieden?«
»Uns wurde gesagt, die Nato sei politisch zerstritten und militärisch unkoordiniert. Was halten Sie inzwischen von dieser Einschätzung, Genosse Major?« fragte Alexejew scharf. »Den Dienstweg kann ich mit einer solchen Bitte nicht begehen. Fahren Sie nach Moskau. In sechsunddreißig Stunden erwarte ich Sie zurück. Wir sitzen dann bestimmt noch hier.«