Poljarnij, UdSSR
»Ist schon ein komisches Gefühl, wenn man zusieht, wie Beton in ein Schiff gegossen wird«, bemerkte Flynn auf der Rückfahrt nach Murmansk. Von Ballast hatte er wohl noch nie etwas gehört.
»Aber ist das nicht auch großartig?« rief der Begleiter, ein Kapitänleutnant der sowjetischen Marine, aus. »Wenn Ihre Kriegsmarine nur unserem Beispiel folgen würde!«
Der kleinen Pressegruppe war es gestattet worden, von einer Pier aus der Neutralisierung der beiden ersten Raketen-U-Boote der Yankee-Klasse zuzuschauen. Das Ganze war sorgfältig inszeniert worden, wie Flynn und Calloway festgestellt hatten. Verblüffend war immer noch, daß man ihnen erlaubt hatte, einen so geheimen Stützpunkt zu betreten.
»Schade, daß Ihr Präsident kein Beobachterteam von der amerikanischen Marine schickte«, fuhr ihr Begleiter fort.
»Da muß ich Ihnen recht geben.« Flynn nickte. Das hätte eine viel bessere Story abgegeben. So hatten sich zwei Offiziere, ein Schwede und ein Inder, beide keine U-Boot-Fahrer, die »Zement-Zeremonie«, wie es bei der Presse hieß, aus der Nähe angesehen und später feierlich gemeldet, es sei in der Tat Beton in alle Raketenabschußrohre der beiden Boote geschüttet worden. Flynn hatte jeden Schüttvorgang gestoppt und nahm sich vor, zu Hause Berechnungen anzustellen. Was war der Rauminhalt eines Abschußrohrs? Wieviel Beton faßte es? Wie lange dauerte es, bis es voll war? »Sie müssen aber zugestehen, daß die amerikanische Reaktion auf Ihren Verhandlungsvorschlag sehr positiv war.«
Währenddessen schaute William Calloway aus dem Wagenfenster. Er hatte über den Falklandkrieg berichtet und viel Zeit auf Schiffen und Werften verbracht, die Vorbereitungen für die lange Fahrt in den Südatlantik beobachtet. Sie fuhren nun an den Hafenanlagen für die Kriegsschiffe vorbei. Irgend etwas stimmte hier nicht.
»Und wie findet unser englischer Freund die sowjetischen Werften?« fragte der Kapitänleutnant und lächelte breit.
»Viel moderner als unsere«, erwiderte Calloway. »Und Hafenarbeitergewerkschaften gibt es bei Ihnen wohl auch nicht?«
Der Offizier lachte. »In der Sowjetunion sind Gewerkschaften überflüssig, weil die Werktätigen schon alle Produktionsmittel besitzen.«
»Dienen Sie auf einem U-Boot?« fragte der Engländer.
»Nein!« rief der Offizier aus und lachte wieder. »Ich komme aus der Steppe und liebe blauen Himmel und den weiten Horizont. Ich respektiere meine Kameraden von den U-Booten, aber mit ihnen fahren möchte ich nicht.«
»Geht mir auch so«, stimmte Calloway zu. »Wir älteren Engländer lieben unsere Parks und Gärten. Auf welchem Schiff fahren Sie?«
»Im Augenblick tue ich Dienst an Land, aber meine letzte Fahrt war auf dem Eisbrecher Leonid Breschnew. Wir hatten einen Forschungsauftrag und hielten auch vor der arktischen Küste Handelsschiffe den Weg zum Pazifik frei.«
»Das muß eine schwierige Aufgabe gewesen sein«, meinte Calloway und dachte: Red schön weiter, alter Junge. »Und eine gefährliche obendrein.«
»Gewiß, man muß vorsichtig sein, aber wir Russen sind an Kälte und Eis gewöhnt.«
»Ich würde mich nie zum Seemann eignen«, fuhr Calloway fort. Flynn sah ihn zweifelnd an. »Viel zuviel Arbeit, selbst wenn man im Hafen liegt. Ist auf Ihren Werften immer so viel los?«
»Ach, das ist noch gar nichts«, versetzte der Russe, ohne nachzudenken.
Der Mann von Reuter nickte. Die Decks der Schiffe waren vollgestellt, aber es herrschte keine sonderliche Aktivität. Nur wenige Männer liefen herum. Viele Kräne standen still. Laster waren abgestellt. Doch auf den Decks herrschte ein Durcheinander, als ob ... Er schaute auf die Armbanduhr. Halb vier. Längst noch nicht Feierabend. »Ein großer Tag für die Entspannung«, wechselte er das Thema. »Und eine großartige Story für unsere Leser.«
»Sehr gut.« Der Kapitänleutnant lächelte. »Es ist Zeit für einen echten Frieden.«
Nach der vierstündigen Tortur auf den unbequemen Aeroflot-Sitzen waren die Korrespondenten wieder in Moskau. Sie gingen zu Flynns Auto – Calloways stand immer noch in der Werkstatt. »Hätte ich doch meinen Morris mitgebracht«, murrte Calloway. »Für diese russischen Mühlen kriegt man ja keine Ersatzteile.«
»Gibt das eine gute Story, Patrick?«
»Klar. Schade, daß ich keine Aufnahmen machen konnte.« Immerhin hatte man ihnen Sovfoto-Bilder von der »Beton-Zeremonie« versprochen.
»Was hielten Sie von der Werft?«
»Groß genug war sie jedenfalls. Ich war mal einen Tag lang auf der Werft der US-Marine in Norfolk. Sehen alle gleich aus.«
Calloway nickte nachdenklich. Warum war ihm Poljarnij so sonderbar vorgekommen? War er als Reporter zu argwöhnisch, fragte immer wieder: Was wird hier vertuscht? Er arbeitete nun schon zum dritten Mal in Moskau, aber bisher hatte man ihn nie auf einen Marinestützpunkt gelassen. Einmal hatte er Murmansk besuchen dürfen. Bei einem Gespräch mit dem Bürgermeister hatte er gefragt, welche Auswirkung die vielen Seeleute auf die Stadtverwaltung hatten. Man sähe ja immer Uniformierte auf den Straßen. Der Bürgermeister hatte versucht, der Frage auszuweichen, und schließlich erklärt: »Keine Marine in Murmansk.« Die typisch russische Antwort auf eine unangenehme Frage – aber nun ließ man auf einmal ein halbes Dutzend Reporter aus dem Westen auf eine der geheimsten Einrichtungen. Also hatten sie nichts zu verbergen. Oder? Calloway beschloß, seine Story zu schreiben und loszuschikken und dann mit einem Freund bei der Botschaft einen Cognac zu trinken. Außerdem sollte es dort eine Party geben.
Zurück in Moskau schrieb Calloway seinen Bericht. Aus einem Brandy wurden vier, und beim letzten Glas beugte sich der Korrespondent über eine Karte des Marinestützpunkts und erklärte mit Hilfe seines trainierten Gedächtnisses die Aktivitäten, die er gesehen hatte. Eine Stunde später waren diese Daten verschlüsselt und wurden nach London telegrafiert.