Moskau
Michail Sergetow sah sich im Kreis der Männer um, die vom Schreck über das Mögliche noch blaß waren.
»Genosse Verteidigungsminister«, sagte der Generalsekretär, »können Sie uns mitteilen, was geschehen ist?«
»Offenbar haben U-Boote eine Reihe unserer Flugplätze im Norden mit Marschflugkörpern beschossen, in der Absicht, einen Teil unserer Backfire zu zerstören. Welchen Erfolg sie hatten, kann ich noch nicht sagen.«
»Von wo wurden die Geschosse abgefeuert?« fragte Pjotr Bromkowski.
»Östlich von Murmansk und keine dreißig Kilometer von unserer Küste entfernt. Eine Fregatte sah und meldete den Abschuß, verstummte dann aber. Es sind nun Suchflugzeuge unterwegs.«
»Wie kamen die Amerikaner dorthin?« fragte Bromkowski scharf. »Und wieviel Zeit wäre uns geblieben, wenn sie ballistische Raketen abgeschossen hätten?«
»Sechs bis sieben Minuten.«
»Ist ja großartig! So schnell können wir nicht reagieren. Warum haben Sie sie so nahe herangelassen?«
»Raus kommen sie nicht, Petja, das kann ich Ihnen versprechen«, versetzte der Verteidigungsminister hitzig.
Der Generalsekretär beugte sich vor. »Sehen Sie zu, daß so etwas nie wieder passiert!«
Sergetow meldete sich zu Wort. »Könnte uns der Genosse Verteidigungsminister einen Überblick über die neuesten Entwicklungen an der deutschen Front geben?«
»Die Kräfte der Nato sind bis zum Zerreißen angespannt. Wie wir vom KGB erfahren, ist ihre Versorgungslage kritisch, und angesichts der diplomatischen Entwicklung der letzten Tage können wir ruhig davon ausgehen, daß die Nato am Rande des politischen Zusammenbruchs steht. Wenn wir nur weiter Druck ausüben, löst sie sich auf.«
»Geht nicht auch uns der Treibstoff aus?« fragte Bromkowski. »Die Deutschen haben uns ein vernünftiges Angebot gemacht.«
»Nein.« Der Außenminister schüttelte entschieden den Kopf. »Das bringt uns nichts.«
»Es bringt uns den Frieden, Genosse«, meinte Bromkowski leise. »Wenn wir wetterkämpfen – vergessen wir nicht, Genosse, was wir vor ein paar Stunden dachten, als die Raketenwarnung kam.«
Zum ersten Mal hatte der Alte ein Argument gebracht, dem alle zustimmten. Nach Wochen und Monaten der Versprechungen, Pläne und Versicherungen, man habe alles unter Kontrolle, waren sie von diesem einen blinden Alarm zum Blick in den Abgrund gezwungen worden. Auch die großen Töne des Verteidigungsministers konnten sie jene zehn Minuten der Angst nicht vergessen lassen.
Nach kurzem Überlegen sprach der Generalsekretär. »In wenigen Stunden treffen sich unsere Emissäre mit den Deutschen. Morgen wird uns der Außenminister über die Substanz des neuen Angebots informieren.«
Und damit endete die Sitzung. Sergetow legte seine Notizen in den Aktenkoffer, verließ allein den Raum und ging hinunter zu seinem Dienstwagen. Als ihm ein junger Berater den Schlag aufhielt, erklang eine Stimme.
»Michail Eduardowitsch, darf ich mitfahren? Mein Wagen hat eine Panne.« Es war Boris Kosow, der Vorsitzende des KGB.