Achtundfünfzig
Das hat nichts zu bedeuten, dachte Howard, als er das Gespräch mit Lewis beendet hatte. Er lief in seinem Wohnzimmer auf und ab und überlegte.
Der Anruf bei den Kilbrides war zweifellos das, was Lewis vermutete. Ein Telefonstreich. Oder möglicherweise war es sogar ein Bill Clinton, nur eben nicht der Bill Clinton. Howard selbst kannte einen Franklin Clinton, einen Robert Clinton, eine Eleanor Clinton. In Promise Falls allein gab es wahrscheinlich schon eine Handvoll Bill Clintons. So wie in jeder anderen Stadt Amerikas.
Und so besorgt Howard auch über eine mögliche Verwicklung der CIA in seine und Morris’ Probleme war, so wenig plausibel erschien ihm, dass ein ehemaliger Präsident etwas damit zu tun haben sollte. Das war ja noch lächerlicher als ein Illustrator aus Vermont, der sich als verdeckter Ermittler betätigte.
Das würde sich ja nun bald klären, wenn er Ray Kilbride und seinen Bruder von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand. Er hatte vollstes Vertrauen, dass Lewis und diese Frau, die das Ganze zwar erst so vermasselt hatte, jetzt aber trotzdem mit Lewis zusammenarbeitete, sie zum Reden bringen würden.
Es wunderte Howard, dass Lewis sie zu dem – wie Howard dringend hoffte – letzten Kapitel dieser unseligen Geschichte mit ins Boot geholt hatte. Doch er hatte einen Verdacht. Lewis wollte endlich einen Schlussstrich ziehen. Der Fehler dieser Frau hatte ihnen allen einen Riesenärger bereitet, und Howard kannte Lewis lange genug, um zu wissen, dass der das nicht einfach hinnehmen und zur Tagesordnung übergehen würde.
Lewis würde tun, was er für richtig hielt. Und Howard brauchte darüber nichts zu wissen.
Fast drei Stunden später der nächste Anruf von Lewis. »Wir sind da.«
»Dann bis gleich«, sagte Howard.
Sie waren spät gekommen, später als geplant. Howard würde seine Verabredung mit Morris Sawchuck nicht einhalten können. Er würde ihn vom Auto aus anrufen.
Howard verließ sein Sandsteinhaus in der 81. Straße und ging zu seinem schwarzen Mercedes, der nur ein paar Schritte davon entfernte parkte. Bevor er einstieg, zückte er sein Handy und rief Morris an.
»Hey«, sagte Morris. »Ich bin auf dem Weg.«
Im Hintergrund waren gedämpfte Geräusche eines fahrenden Autos zu hören. Wahrscheinlich saß er in seiner Limousine. Heather, seine Fahrerin, stand ihm rund um die Uhr zur Verfügung.
»Es tut mir leid, Morris, aber ich glaube, ich muss unser Treffen verschieben.«
»Was ist los?«
»Ich fühl mich nicht so gut. Vielleicht hab ich mir eine Grippe eingefangen. Lass uns morgen Vormittag telefonieren. Vielleicht klappt’s ja dann morgen Abend. Es tut mir wirklich sehr leid.«
»Schade. Ich habe mich schon darauf gefreut. Aber wenn du krank bist, musst du dich schonen.«
»Danke für dein Verständnis.« Howard zwang sich zu einem kleinen Lachen. »Unsere Pläne, die Weltherrschaft zu übernehmen, werden schon bis morgen überleben.« Das Handy fest ans Ohr gepresst, öffnete er die Fahrertür und stieg ein.
»Na klar«, sagte Morris. »Dann hören wir uns morgen.«
Howard beendete das Gespräch, ließ das Handy auf den lederbezogenen Beifahrersitz fallen und schlug die Wagentür zu. Er startete und fuhr los.
Heather bog gerade in die 81. Straße ein, als Morris, der auf dem Rücksitz saß, seinem Freund sagte, er solle sich schonen, sie würden am nächsten Tag miteinander reden.
»Ist das da vorn nicht Mr. Talliman, Sir?«, sagte sie.
Morris rutschte in die Mitte der Rückbank und spähte zur Windschutzscheibe hinaus. Gerade in diesem Moment parkte Howard aus.
»Ja«, sagte Morris. »Zum Autofahren ist er anscheinend nicht zu krank.«
»Soll ich mich neben ihn stellen?«
Morris musste nur eine Sekunde überlegen. »Nein. Nein, das machen wir nicht.«
»Also nach Hause?«
»Nein«, sagte er. »Schauen wir doch, wo er hinfährt.«
Und das taten sie. Sie folgten Howard bis hinunter in die 4. Straße. Howard stellte den Mercedes am Straßenrand ab und ging zur Eingangstür eines im Dunkeln liegenden Ladens. Links davon gab es eine schmale Seitengasse, in der ein weißer Kastenwagen stand.
»Was ist das hier?«, fragte Morris. Seine Augen waren nicht mehr so scharf wie früher, aber Heather war wie eine Eule in der Nacht.
»Ferber’s Antiques«, sagte sie und fügte hinzu, sie könne Kinderspielzeug ausmachen. Dinge, wie sie heute nicht mehr produziert wurden. Kleine Metallautos, Spielzeugeisenbahnen, etwas, das wie ein Meccano-Kran aussah, kleine aufziehbare Metallmännchen im Boxring.
»Was in aller Welt will er mitten in der Nacht in einem Spielzeugladen?«, fragte Morris. »Der Laden hat doch zu.«
»Ja«, sagte Heather, »aber da ist jemand drin. Hinten ist gerade ein Licht angegangen. Eigentlich nur aufgeflackert.«
Dann sah Morris, dass die Tür geöffnet wurde, gerade weit genug, dass Howard hineinschlüpfen konnte. Gleich darauf flackerte noch einmal ein Licht auf, als ob ein Vorhang zur Seite gezogen würde, dann wurde es wieder dunkel.
»Wir warten«, sagte Morris.