Achtzehn

Bridget kommt aus dem Gebäude an der 35. Straße, wo die PR-Firma, für die sie arbeitet, ihren Sitz hat. Sie sieht, dass er auf sie gewartet hat.

Er packt sie am Ellbogen und dirigiert sie den Bürgersteig entlang.

»Howard!«, sagt sie mit einem Blick auf seine Hand. »Lass meinen Arm los. Du tust mir weh.«

Howard Talliman sagt nichts. Er schiebt Bridget, die auf ihren hohen Absätzen Schwierigkeiten hat, das Gleichgewicht zu halten, nur flink voran, hinein in die Eingangshalle des erstbesten Gebäudes, in dem er unbelauscht mit ihr reden kann.

»Was weiß sie?«, fragt Howard, sobald sie im Haus sind. Er hat Bridget an eine Marmorwand gedrängt und seinen Griff noch immer nicht gelockert.

»Howard, was in aller Welt –«

»Sie sagt, sie hat was gehört«, zischt er, beinahe wie eine Schlange.

»Was? Wovon redest du?«

»Ich hab mich mit ihr getroffen. Beim Gehen sagte sie, sie hätte so einiges gehört.«

»Gehört? Was denn? Was will sie denn gehört haben?«

»Das hat sie nicht gesagt. Aber sie hat angedeutet, es sei etwas Kompromittierendes. Dinge, die du gesagt hast, und die jetzt, wo sie weiß, wer du bist, für sie einen Sinn ergeben.«

»Howard, ich schwöre –«

»Hast du mit Morris gesprochen, während du in Barbados warst?«

»Natürlich. Wir reden ständig miteinander.«

»Hast du auch mit ihm geredet, als Allison Fitch da war?«

»Ja. Ja sicher. Howard, ich spüre meine Hand nicht mehr. Du schnürst mir das Blut ab.«

Er lockert seinen Griff, weicht aber keinen Schritt zurück. Sein Gesicht ist nur ein paar Zentimeter von ihrem entfernt. »War sie dabei, wenn ihr euch unterhalten habt?«

»Nein, ich meine, kann sein, dass sie im Nebenzimmer war. Vielleicht war ich im Bad, als ich mit ihm telefoniert hab, oder vielleicht war Allison im Bad. Einmal hab ich am Pool mit ihm telefoniert, während sie uns was zu trinken holte.«

»Sie kann also jede eurer Unterhaltungen mit angehört haben? Sie hätte hinter dir stehen können oder im Zimmer nebenan«, sagt Howard.

»Na gut, wäre möglich, aber selbst wenn, wir haben nicht – ich bin sicher, wir haben nie etwas gesagt, das –«

»Du weißt, in welcher Lage Morris sich gerade befindet«, sagt Howard missmutig.

»Er erzählt mir nicht alles.«

»Aber du weißt Bescheid.«

»Gut, ich weiß, hinter was sie her sind. Wie sollte ich nicht? Morris dreht halb durch deswegen. Er glaubt, dass es früher oder später rauskommt, dass Goldsmith ihn da mit hineinziehen wird.«

Sie wusste also Bescheid.

Howard hat immer wieder versucht, Morris davon zu überzeugen, nichts mit seiner Frau zu besprechen, was ihm politisch gefährlich werden konnte. Vergeblich. Offensichtlich hat Morris ihr erzählt, dass Barton Goldsmith, der Direktor der CIA, ihn genötigt hatte, bei einem seiner Deals mit einer Handvoll Terrorverdächtiger mitzumachen. Goldsmith argumentierte, er tue es, um das Volk der Vereinigten Staaten zu schützen. Doch wie sich herausstellte, sah das Volk der Vereinigten Staaten das ein wenig anders, nachdem die New York Times berichtet hatte, dass Goldsmith Staatsanwälte und Vollzugsbehörden im ganzen Land unter Druck gesetzt hatte, bestimmte Terrorverdächtige gegen Weitergabe von Informationen freizulassen.

Wie diese beiden Irren, die drauf und dran gewesen waren, in einem Freizeitpark in Florida eine Bombe hochgehen zu lassen, als sie geschnappt wurden. Kaum hatte Goldsmith von deren Festnahme erfahren, nötigte er die höchsten Vertreter der Vollzugsbehörden in Florida, die beiden Männer in Gewahrsam zu halten, bis seine Leute eintrafen. Goldsmiths Experten behaupteten, da käme noch etwas viel Größeres nach, und diese Witzfiguren in Florida wären bereit, als Gegenleistung für zwei Flugtickets in den Jemen alles auszuplaudern, was sie wussten. (Die Regierung der Vereinigten Staaten sei sogar für die Ticketkosten aufgekommen, schrieb die Times. Die Entrüstung darüber war fast so groß wie das Entsetzen über die Verwüstung, die die beiden beinahe angerichtet hätten.)

Auf diesen Deal führte Goldsmith es zurück, dass Attentate weiterer Unterhosen- oder Schuhbomber vereitelt werden konnten. Sprach’s und bestieg ein Flugzeug, das ihn von Paris nach Washington brachte. Doch der Artikel in der Times konnte keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen den beiden Ereignissen herstellen, vielmehr ließ er durchblicken, dass Goldsmith den Wert der Informationen, die er von den beiden Freizeitpark-Terroristen erhalten hatte, bewusst aufblähte, um deren Heimflug zu rechtfertigen.

Hohn und Spott ergossen sich über Goldsmith. Er trat zurück. Der Justizminister von Florida folgte.

Was die Times nicht wusste, war, dass dies nicht der erste Vorfall seiner Art war.

Ein illegaler Einwanderer aus Saudi-Arabien und Al-Qaida-Sympathisant hatte versucht, einen mit Sprengstoff beladenen Ford F-150 in nächster Nähe des Guggenheim-Museums in die Luft zu jagen. Er hatte den Wagen mitten in der Nacht dort geparkt und die Bombe so programmiert, dass sie um neun Uhr morgens explodieren sollte. Doch eine Anwohnerin, die gerade aus dem Fenster sah, wunderte sich, dass der Mann immer wieder etwas auf der Ladefläche des Kleinlasters überprüfte, und verständigte die Polizei. Eine Spezialeinheit kam und entschärfte den Sprengsatz, noch bevor die Bagel-Verkäufer am nächsten Morgen ihre Karren aufgestellt hatten. Der Wagen wurde zu seinem Eigentümer zurückverfolgt, und der Mann wurde verhaftet. Goldsmith war von Anfang an eingeweiht, quetschte den Verdächtigen aus und erfuhr, dass er einen Haufen ähnlich gesinnter Freunde hatte, die er als Gegenleistung für einen Flug nach Hause zu verpfeifen bereit war.

Goldsmith rief Morris an.

Anfangs weigerte Morris sich. Er würde das Schwein anklagen. Erklärte Goldsmith, er habe kein Interesse daran, Geschäfte mit Terroristen zu machen. Goldsmith sagte: »Wissen Sie, Terrorverdächtige sind nicht die Einzigen, über die wir eine Menge Hintergrundinformationen haben, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

Es gibt keinen lebenden Politiker, der nicht irgendeine Leiche im Keller hat, von der er hofft, sie möge nie gefunden werden. Morris Sawchuck hätte nur raten können, was Goldsmith gegen ihn in der Hand hatte. Vielleicht wusste er von dem einen oder anderen schmutzigen Trick, dessen Howard sich seinetwillen bedient hatte. Wahlkampfspenden, die ihm nicht durch die offiziellen Kanäle zugeflossen waren. Vielleicht sogar etwas über Bridgets sexuelle Vergangenheit. Oder seine eigene.

Sawchuck ließ sich umstimmen.

Der Attentäter flog nach Hause.

Als die Times die Geschichte veröffentlichte, warteten Howard und Morris stündlich auf die nächste Hiobsbotschaft. Die Times würde weitergraben und herausfinden, dass Morris den Schwanz eingezogen hatte. Sie sahen schon die Schlagzeilen: »Justizminister von New York lässt Guggenheim-Bomber entkommen.«

Das wäre sein Ende gewesen.

Niemand, der Terroristen freiließ, schaffte es auf den Stuhl des Gouverneurs, geschweige denn ins Weiße Haus. Mit viel Glück hätte Morris vielleicht noch Chancen auf einen Platz im Verwaltungsrat einer Volkshochschule, sollte diese Bombe eines Tages platzen.

Und genau das ist es, was Howard befürchtet: dass Allison Fitch mitangehört hat, als Bridget mit Morris am Telefon über diese Affäre gesprochen hat.

»Herrgott noch mal, Bridget, wie blöd kann man denn sein?« Howard schüttelt den Kopf.

»Er hat nie etwas Bestimmtes erwähnt. Nur ganz allgemein davon gesprochen, dass er sich Sorgen macht und hofft, das alles bald Schnee von gestern ist.«

»Das ist genau der Punkt, Bridget. Wir glauben, das alles ist bald Schnee von gestern. Die Chancen stehen sehr gut, dass die Sache bald ausgestanden ist.« Er spricht sehr leise. »Aber nicht, wenn ihr euch am Telefon darüber ausquatscht, während so ein lesbisches Luder alles mithört und euch dann erpresst.«

»Howard, glaub mir, sie blufft. Sie kann nichts gehört haben. Da bin ich mir ganz sicher.«

Er wendet sich ab, entfernt sich zwei Schritte von ihr, dreht sich wieder um und sieht sie an. Er kommt zurück und sagt: »Das mit der Erpressung – aus der Nummer können wir rauskommen. Aber wenn dieses Weib tatsächlich etwas aufgeschnappt hat, dann hat sie was in der Hand, dagegen ist euer Frauenturnen der reinste Kinderkram. Das ist Dynamit. Verstehst du, was das heißt, Bridget? Dynamit. Die hat die Atombombe.«

»Howard, wirklich, ich bin sicher, selbst wenn sie jedes einzelne Wort gehört hat, das ich gesagt habe, sie hat bestimmt nichts –«

»Genug«, sagt er. »Genug.« Er schüttelt den Kopf. Langsam. Nachdenklich. Er zeigt mit dem Finger auf sie und sagt: »Nicht ein Wort zu Morris. Kein Sterbenswörtchen.«

Dann lässt er sie von einer Sekunde auf die andere stehen, geht hinaus auf die Straße und wendet sich Richtung Osten.

Bridget lehnt sich an die Wand, ringt um Fassung. Howard muss sich keine Sorgen machen, dass sie Morris etwas sagt. Ihn fürchtet sie weit mehr als ihren Ehemann.