Zweiundzwanzig
Howard Talliman sitzt auf einer Bank im Central Park, zwischen der Arsenal Street und der 35. Straße. Er wartet auf Lewis Blocker.
Howard hat den ehemaligen New Yorker Polizisten schon vor Jahren engagiert. Anfangs arbeitete Lewis nur gelegentlich freiberuflich für ihn und hatte deshalb nicht immer Zeit, wenn Howard ihn brauchte. Das war diesem bald zu wenig. Also zahlte er Lewis ein Gehalt, das Doppelte von dem, was er als Polizist verdient hatte, und stellte damit sicher, dass Lewis’ spezielle Fähigkeiten ihm zur Verfügung standen, wann immer er ihrer bedurfte.
Im Augenblick braucht Howard Lewis dringender als je zuvor. Eine Krise wie diese hat er noch nie zu bewältigen gehabt.
Howard blickt Richtung Süden und sieht Lewis kommen. Der Polizist ist gut eins achtzig groß, und hätte er noch Haare auf dem Kopf, brächte er es wahrscheinlich auf eins fünfundachtzig. Feister Nacken, breite Schultern, Bauch ein wenig wabbelig. Doch das ist nur die Polsterung über dem Sixpack, Howard weiß das genau. Er könnte ihm mit ganzer Kraft in den Bauch boxen, Lewis würde nicht mit der Wimper zucken, doch er, Howard, stünde mit einem gebrochenen Handgelenk da. Der Ex-Polizist hat kleine Augen und einen durchdringenden Blick. Seine Nase ist leicht nach links gebogen. Sie wurde ihm schon vor Jahren gebrochen, eine Operation hatte er nicht für nötig befunden. Die Leute sollten gleich sehen, dass er eingesteckt und überlebt hatte, und dass es ihm nichts ausmachte, vielleicht wieder einstecken zu müssen.
Lewis Blocker nickt Howard zu und setzt sich neben ihn.
»Und?«, fragte Howard.
»Du könntest ihr die hundert Riesen geben«, sagt Lewis, »aber damit wärst du dein Problem nicht los.«
»Erzähl.«
»Ich hab mich umgehört.« Howard muss Lewis nicht erst fragen, ob er diskret war. Dafür wird der Mann bezahlt. Lewis weiß, wie man an Informationen kommt, ohne auf sich aufmerksam zu machen.
»Allison Fitch bleibt Geld schuldig. Sie stellt ungedeckte Schecks aus. Sie leiht sich Geld und zahlt es nicht zurück. Sie zahlt schon seit längerem ihren Anteil an der Miete nicht, und ihre Hausgenossin würde sie am liebsten umbringen. Wenn sie mal bei Kasse ist, dann zahlt sie nicht ihre Schulden zurück, sondern verjubelt alles wieder.«
»Aha.«
»Ich glaube, wenn du ihr das Geld gibst, dann schnappt sie über. Es wird ihr schneller durch die Finger rinnen als einer Gans die Scheiße aus dem Hintern. Wenn du mich fragst, die hunderttausend werden sie in null Komma nix noch tiefer hineinreiten. Sie wird sich eine eigene Wohnung nehmen, einen teuren Wagen anschaffen, ein Kundenkonto bei Bloomie’s eröffnen.«
Howard nickt nachdenklich. »Und dann steht sie wieder auf der Matte.«
»Gar keine Frage. Und wie sie mit Geld um sich schmeißt, wird Interesse erregen. Großes Interesse. Man wird sich fragen, wie sie zu diesem Vermögen gekommen ist. Es gibt Leute, die zapfen dich an und hängen’s nicht an die große Glocke. Verstecken es, legen es für schlechte Zeiten auf die hohe Kante, solche Sachen. Aber diese Leute sind in der Minderheit. Wenn dir einer unterkommt, der vernünftig mit Geld umgehen kann, dann ist das normalerweise kein Erpresser. Du verstehst, was ich meine?«
»Nur zu gut«, sagt Howard. »Was wäre denn, wenn wir ihr – wie komme ich eigentlich auf diese Schnapsidee? – gleich mehr in die Hand drücken, aber klarmachen, dass es auf keinen Fall einen Nachschlag gibt? Unter keinen Umständen?«
Lewis sieht ihn missbilligend an.
»Ist ja gut. Vergiss es. Vielleicht könnten wir ihr die hunderttausend geben, aber du nimmst sie dir zur Brust. Du kannst sehr überzeugend sein. Heiz ihr so richtig ein. Dass sie kapiert, sie tut sich absolut keinen Gefallen, wenn sie mit Geld um sich wirft, Aufsehen erregt oder neue Forderungen stellt.«
»Dazu noch ein bisschen Schmerztherapie.«
Howard kann dem Ex-Polizisten nicht in die Augen sehen. Er beobachtet eine Filipina, die drei kleine, in Burberry gehüllte Kinder Richtung Zoo scheucht. Offensichtlich eine Nanny von der Upper East Side mit ihren Schützlingen.
»Das ist deine Sache«, sagt Howard. »Du bist der Fachmann.«
»Genau«, antwortet Lewis. »Deshalb solltest du dir anhören, was meiner Meinung das Richtige wäre. Dein zweites Problem haben wir nämlich noch nicht mal gestreift.«
Howard sieht ihn an. »Was sie vielleicht weiß?«
Lewis nickt.
»Ich habe mit Bridget gesprochen. Sie hält es für möglich, dass die Fitch das eine oder andere Telefonat mit Morris belauscht hat. Und möglicherweise haben sie dabei über sein Problem geredet.«
»Aber sicher ist sie sich nicht.«
Howard schüttelt den Kopf. »Nein.«
»Aber so was sollte man nicht dem Zufall überlassen.«
Howard reibt sich die Hände. »Vielleicht könntest du ja ein bisschen mit ihr plaudern und herausfinden, was sie wirklich weiß.«
Lewis blickt auf seine Füße. Neben der linken Schuhspitze picken zwei Tauben Popcornkrümel vom Boden. Auf einmal schlägt er mit dem Fuß aus und trifft eine der Tauben am Kopf. Der Vogel taumelt davon, als hätte er zu tief ins Glas geschaut.
»Ich halte das für keine gute Idee, Howard. Wenn sie tatsächlich nichts weiß, stoßen wir sie erst richtig mit der Nase darauf, dass wir mehr zu vertuschen haben als die Tatsache, dass Bridget zu beiden Ufern tendiert. Damit geben wir ihr noch mehr in die Hand.«
»Na klasse«, murmelt Howard. »So eine verdammte Scheiße. Eins möchte ich jetzt wirklich wissen, Lewis: Wie, in Dreiteufelsnamen, konnte dir das mit Bridget entgehen?«
Lewis’ Augen werden schmal. »Vielleicht, weil du mir nicht gesagt hast, dass du mehr willst als eine oberflächliche Überprüfung? Finanzen, Vorstrafen, unbezahlte Knöllchen – da war alles bestens. Die reinste Sauberfrau, so perfekt für Morris, dass du gar nicht zu tief schürfen wolltest, um’s nicht zu vermasseln.«
Howard seufzt, denn er weiß, dass Lewis recht hat. Trotzdem kann er es sich nicht verkneifen zu sagen: »Dann hättest du eben ein bisschen Eigeninitiative entwickeln müssen. Du hättest mit maximalem Weitblick agieren müssen.«
»Interessant, dass du das sagst«, meinte Lewis.
»Was?«
»Ich werde dir jetzt nämlich mit maximalem Weitblick sagen, was du meiner Meinung nach wegen Allison Fitch unternehmen solltest.«
Howard wappnet sich. »Und das wäre?«
»Dafür sorgen, dass sie nicht zum Dauerproblem wird.«
»Und wie, verdammt noch mal?«
Lewis schweigt und wartet, dass Howard selbst darauf kommt.
Der Groschen fällt, und Howard erbleicht. »Das ist doch nicht dein Ernst?«
Lewis schweigt auch diesmal.
»Grundgütiger«, flüstert Howard. »Nein, das ist – hör mal, ich hab schon einige Dinger gedeichselt. Dinger, die sich nicht vermeiden ließen. Aber, Lewis, wir bringen niemanden um.«
Lewis nickt bedächtig. »Wir würden das auch nicht tun, Howard.«
»Was?«
»Nicht wir würden es tun. Du nicht und ich nicht. Es gäbe nicht die geringste Verbindung zu uns.«
Howards Mund ist sehr trocken. »Dann …«
»Ich habe schon mal ein Sondierungsgespräch geführt, jemandem unsere Situation geschildert«, sagt Lewis ruhig. »Ich weiß, wie sie arbeitet, und sie kann das für uns erledigen.«
»Lewis, um Himmels willen!« Howard atmet tief ein und langsam wieder aus. »Sie?«
Lewis nickt.
Howard schüttelt den Kopf. »Ich weiß nicht. Ich weiß es einfach nicht.«
»Du musst dich nur fragen, wie lange du dich mit diesem Problem herumschlagen willst. Wenn du damit leben kannst, dass diese Frau bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag mit immer neuen Forderungen kommt und herumerzählt, woher sie die Kohle hat. Wenn du das Risiko eingehen willst, dass sie etwas weiß, das Morris äußerst gefährlich werden könnte, dann lass dich nicht aufhalten: Gib ihr jetzt die hunderttausend.«
Einen Augenblick legt Howard das Gesicht in die Hände, dann richtet er sich auf und sagt: »Tu, was getan werden muss.«