Dreiundfünfzig

Man sollte meinen, das wäre das Erste, was einer überprüft«, sagte Nicole. Sie saß auf dem Beifahrersitz, die Füße gegen das Armaturenbrett gestützt. Den Eispick balancierte sie zwischen den Zeigefingern.

Lewis schwieg.

»Ich hätte mich vielleicht erst mal schlaugemacht, ob unser Mann sich tatsächlich gerade in Burlington, Vermont, aufhält, bevor ich hier raufgejettet wäre. Ist aber nur meine ganz persönliche Meinung.«

»Aber es war das richtige Haus«, sagte Lewis mit zusammengebissenen Zähnen.Der Van fuhr mit hundertdreißig Sachen durch die Nacht, und es fühlte sich an, als würde er jederzeit abheben. Sie rasten Richtung Westen. Lewis schätzte, dass sie zwei Stunden brauchen würden, um an ihr neues Ziel zu gelangen, vielleicht sogar mehr.


Als sie vor Ray Kilbrides Haustür gestanden und darauf gewartet hatten, dass ihnen jemand öffnete, wurde eine betagte Nachbarin auf sie aufmerksam, die sich als Gwen vorstellte. Sie sammle Rays Post ein und alles, was an Werbung bei ihm landete. Rays Vater sei gestorben, und er sei nach Promise Falls gefahren, um sich dort um alles zu kümmern, auch um seinen Bruder.

»Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«, hatte sie gefragt.

»Moment mal«, hatte Nicole gesagt. »Sie sagen, hier wohnt jemand, der Ray heißt?«

»Ja, das stimmt.«

Nicole hatte sich zu Lewis gedreht und gesagt: »Ich hab dir doch gesagt, das ist das falsche Haus. Wir gehören ans andere Ende der Stadt.«

Lewis hatte die Achseln gezuckt. »Ich bin ein Idiot.«

»Sie wollen also gar nicht zu Ray?«, hatte die Nachbarin gefragt.

Sie hatten verneint, waren in den Wagen gestiegen und hatten sich auf den Weg nach Promise Falls gemacht.

Unterwegs mokierte sich Nicole über Lewis’ Missgriff. Sie wollte ihn aus der Reserve locken. Auf die Palme bringen. Sehen, wie wütend er werden würde.

Das würde einen Hinweis geben auf seine Absichten.

»Ich wäre ja nicht durch die Vordertür gegangen. Ist doch meist besser, man schleicht sich ins Haus und überrumpelt die Leute.«

Lewis umklammerte das Lenkrad. »Ja, wahrscheinlich hast du recht. Ab jetzt machen wir’s auf deine Art.«

Die freundliche Tour also.

Da wusste sie, dass er sie umbringen würde, wenn alles vorüber war. Er war freundlich, um sie in Sicherheit zu wiegen.

Es wäre leicht, ihm zuvorzukommen. Sie konnte ihm den Eispick während der Fahrt in den Hals stoßen, dann das Lenkrad packen, auf die Bremse steigen. In einem großen Wagen wie dem hier war es kein Problem, auf den Fahrersitz zu rutschen.

Nicole wusste, es würde ihr gelingen.

Doch sie musste bis zum Ende dranbleiben. Sie musste genauso wie Lewis und seine Leute wissen, was Sache war. Ob Kilbride für sie ein ebenso großes Risiko war wie für ihre Auftraggeber. Und dann musste sie sich darüber klarwerden, welches Risiko ihre Geschäftspartner – nicht nur Lewis – darstellten. Ob sie ihretwegen etwas unternehmen musste. Denn sie hatte die Schnauze voll. Sie war es leid. Sie hatte endgültig genug.

Irgendetwas war in diesem Keller in Chicago mit ihr passiert. Als sie die Frau dieses Typen von Whirl360 getötet hatte. Nicole wollte von Männern wie Lewis keine Anweisungen mehr entgegennehmen.

Das hier würde sie noch bis zum Schluss durchziehen und Lewis dabei nicht aus den Augen lassen. Eine wichtige Vorsichtsmaßnahme hatte sie zumindest getroffen, um ihm nicht ganz ausgeliefert zu sein.

»Vielleicht können wir kurz irgendwo haltmachen und einen Kaffee trinken. Geht auf mich.«

O ja, er würde sie definitiv umbringen.