Sechzehn

Howard Talliman versteht, warum Bridget Sawchuck ihm die Einzelheiten ihrer misslichen Lage an einem öffentlichen Ort schildern wollte. Einerseits muss er hier an sich halten, und andererseits ist es absolut unverdächtig, wenn man sie zusammen sieht. Was ist schließlich dabei, wenn Howard sich mit der Frau seines besten Freundes zum Mittagessen trifft? Er ist ebenso sehr ihr Berater wie seiner.

Mit Allison Fitch jedoch will Howard keineswegs zusammen gesehen werden. Von diesem Treffen soll niemand etwas erfahren.

Er bucht also eine Tagessuite im Roosevelt an der Ecke Madison Avenue und 45. Straße. Er will ein Zimmer mit getrenntem Wohn- und Schlafbereich, denn er denkt, dass es Allison vielleicht nicht ganz geheuer wäre, einem ihr völlig unbekannten Mann auf engstem Raum zu begegnen, noch dazu, wenn das Möbelstück, das diesen Raum dominiert, ein großes Doppelbett ist. Geradezu ein Wink mit dem Zaunpfahl. Er weist Bridget an, Allison für zwei Uhr Nachmittag in das Hotel zu bestellen, um deren Ansinnen zu erörtern. Was Allison nicht weiß, ist, dass Howard ihr Gesprächspartner sein wird.

Für zehn vor zwei bestellt er beim Zimmerservice Kaffee für zwei Personen. Er hat zwar keine Ahnung, ob Allison zur Pünktlichkeit neigt, geht aber davon aus, dass hunderttausend Dollar ein durchaus überzeugendes Argument für Höflichkeit sind.

Die Porzellantassen samt Untertassen stehen bereits auf dem kleinen Tisch, Silberlöffel und weiße Leinenservietten liegen daneben, als es eine Minute vor zwei leise an der Tür klopft. Howard erhebt sich von dem Sofa, auf dem er, ein Bein auf dem Knie des anderen, schon eine Weile gesessen hat. Er öffnet die Tür einen Spaltbreit.

Allison klappt die Kinnlade herunter. »Verzeihung. Ich habe mich in der Tür –«

»Ms. Fitch, erfreut, Sie kennenzulernen«, sagt er. Er öffnet die Tür weit und macht eine ausholende Armbewegung ins Zimmer hinein. »Sie sind auf die Minute pünktlich.«

Sie zögert, dann tritt sie ein.

»Wo ist Bridget?«, fragt sie.

»Ich werde hier heute Bridgets Interessen vertreten«, antwortet er.

»Wer zum Teufel sind Sie?«

»Ich heiße Howard Talliman.« Er hält es für überflüssig, ein Pseudonym zu verwenden. Wenn diese Frau sich im Internet über Bridget und Morris schlaugemacht hat – wovon er überzeugt ist –, dann ist sie irgendwann bestimmt auch auf seinen Namen und sein Foto gestoßen. »Ich bin ein Freund der Familie.«

»Ja, klar, ich weiß wer Sie sind«, sagt sie. »Sie sind … so was wie sein Wahlkampfleiter.«

»Nehmen Sie doch Platz. Ich habe Kaffee bestellt.«

Auf dem Weg zum Sofa lässt Allison das Zimmer auf sich wirken. »Wo ist das Bett?«, fragt sie. »Ich meine … nicht, dass … ich hab nur noch nie ein Hotelzimmer ohne Bett gesehen.«

Howard zeigt auf eine geschlossene Tür. »Dort ist das Schlafzimmer.«

Allison ist beeindruckt. »Ein Hotelzimmer mit einem separaten Schlafzimmer?«

»Ja.«

»Darf ich sehen?« Mit einem Neigen des Kopfes deutet sie auf die geschlossene Schlafzimmertür.

»Bitte sehr.«

Sie öffnet die Tür und pfeift anerkennend. »Wow.« Sie kommt zum Sofa zurück und setzt sich. »Was müssen Sie für so ein Zimmer pro Tag hinblättern?«

»Das ist wohl nicht ganz das, worum es hier geht, nicht wahr?«

»Ich will damit nur sagen, wenn Bridget sich ein Zimmer wie das hier leisten kann, nur damit Sie und ich plaudern können, dann war ich vielleicht ein bisschen zu bescheiden.«

Auch in Howards Augen sind die hunderttausend Dollar keine besonders ambitionierte Forderung, doch das behält er lieber für sich. Er nimmt die silberne Kaffekanne beim Henkel und sagt: »Darf ich Ihnen eine Tasse einschenken?«

»Aber ja.«

Dampf steigt auf, als der Kaffee sich in die Tassen ergießt. Allison nimmt Zucker und Sahne, Howard trinkt seinen schwarz. Er lehnt sich bequem in seinem Sessel zurück, die Untertasse in einer, die Tasse in der anderen Hand.

»Also, Ms. Fitch. Sie haben da zweifellos für ein wenig Aufruhr gesorgt.«

»Na ja, ich weiß nicht, was genau Bridget Ihnen erzählt hat.«

»Sie hat mir genug erzählt. Dass Sie beide Freundschaft geschlossen haben, und zwar eine ganz besondere Freundschaft, dass Sie zusammen in Barbados waren und dass Sie danach erfuhren, dass Bridget mit Morris verheiratet ist.«

»Ja, das kommt ungefähr hin.« Sie trinkt einen Schluck Kaffee, verzieht das Gesicht, zuckert nach und rührt um.

»Und als Sie das erfahren hatten, witterten Sie eine Gelegenheit.«

Allison Fitch errötet. »So würde ich das vielleicht nicht nennen.«

»Wie würden Sie es denn nennen?«

»Vielleicht … ich würde es vielleicht einen Gefallen nennen. Ich würde sagen, ich tu Bridget einen Gefallen.«

Howards buschige Augenbrauen schießen kurz nach oben. »Erklären Sie mir das.«

»Na ja, ich dachte mir, sie möchte vielleicht nicht, dass das mit uns beiden herauskommt, Sie wissen schon, dass wir was miteinander hatten, und ich habe ihr eine Möglichkeit gezeigt, wie sich das verhindern lässt.«

Howard nickt. »Verstehe. Sie sind eine wahrhaft edle Seele. Und wie genau wollten Sie verhindern, dass diese Information an die Öffentlichkeit gelangt?«

Ihre Augen werden schmal. »Und Sie sind ein ziemlich arroganter Klugscheißer, was?«

»Ich bin vieles, Ms. Fitch.«

»Hören Sie, Sie kennen die Antwort doch schon. Ich habe ihr gesagt, dass ich im Moment ein bisschen klamm bin, und wenn sie mir aushilft, dann sorge ich dafür, dass nichts über sie rauskommt. Nichts, was ihrem Mann die Chance vermasseln könnte, Gouverneur oder Präsident oder Vorsitzender des Gesangsvereins zu werden oder was immer er sonst werden will, wenn er groß ist. Ich meine, es wär ja schon schlimm genug, wenn herauskäme, dass seine Frau mit jemand anderem ins Bett geht, aber dann auch noch mit einer anderen Frau? Da würden sich seine Anhänger aber freuen. Die ganzen Typen, die, wenn sie nicht gerade fünf Hunderter für ein Wohltätigkeitsdinner mit ihm hinblättern, Millionen ausgeben, um zu verhindern, dass Angehörige des gleichen Geschlechts heiraten können. Ich bitte Sie, was sind schon hundert Riesen für sie und ihren Mann? Geld fürs Mittagessen? Oder für einen kleinen Ausflug zu Gucci oder Louis Vuitton? Peanuts sind das für sie. Ich hätte noch viel, viel mehr verlangen können.«

Howard Talliman lächelt. »Haben Sie eigentlich keine Angst, dass die Polizei dieses Gespräch im Nebenraum mithört? Haben Sie keine Angst, dass sie jeden Moment hier hereinplatzen und Sie wegen räuberischer Erpressung verhaften könnte?«

Allison erstarrt. Ihr Blick verrät ihm, dass sie einen Moment lang tatsächlich damit rechnet. Doch gleich darauf lockern ihre Muskeln sich erkennbar wieder.

»Ich glaub nicht, dass Sie das tun würden. Dann würde nämlich alles rauskommen. Dass die Frau des Gouverneurs eine lesbische Beziehung hatte.«

»Sie glauben, dass Sie diese Art Publicity überleben würden?«

»Na klar.«

»Wie würde Ihre Mutter in Dayton darauf reagieren, was glauben Sie?«

Das hat gesessen. Ihr trickfilmreifes Schluck! ist beinahe zu hören. Jetzt weiß sie, dass er seine Hausaufgaben gemacht hat. Doch sie fängt sich rasch. »Ich glaube, Mom hat schon seit Jahren so einen Verdacht.«

»Sie haben es ihr also nicht gesagt.«

»Nein. Aber damit würde ich mir wahrscheinlich eine unangenehme Aussprache ersparen. Die eigentliche Frage ist: Würden Bridget und ihr Mann es überleben?«

»Sie würden es einfach abstreiten«, sagt Howard. »Bridgets Aussage gegen Ihre. Sie ist die Frau eines Justizministers, und Sie, meine Liebe, sind eine Kellnerin.«

»Eine Kellnerin mit Beweisen.«

Darauf hatte er gewartet. Dass sie diesen Trumpf ausspielen würde. Die SMS. Die Telefonverbindungsnachweise.

»Beweise«, sagt er. »Und was wären das für Beweise?«

»Wir haben uns oft miteinander unterhalten. Und das lässt sich ganz leicht nachprüfen.«

»Auf Ihrem Handy?«

Sie nickt.

»Das will ich sehen. Ich will einen Beweis«, sagt er.

Allison schüttelt den Kopf. »Halten Sie mich für blöd?« Er antwortet nicht. »Ich geb Ihnen doch nicht mein Handy.«

»Wenn Sie die hunderttausend wollen, dann müssen Sie bei der Übergabe Ihr Handy herzeigen, damit ich mich vergewissern kann, dass diese Nachrichten gelöscht wurden.«

Über diesen Punkt scheint Allison nachzudenken. Damit würde sie ihr Druckmittel aus der Hand geben.

»Geht klar«, sagt sie.

Howard stellt Untertasse und Tasse auf den Tisch und räuspert sich. »Und was für Sicherheiten hat Bridget, dass Sie nicht mit immer neuen Forderungen kommen?«

»Da werden Sie auf mein Wort vertrauen müssen«, sagt Allison. Der Anflug eines boshaften Lächelns umspielt ihren Mund.

»Ja, das werde ich wohl müssen«, sagt Howard. Er schlägt sich auf die Knie. »Gut, dann vielen Dank für Ihren Besuch. Sie hören von mir.«

Wie er das sagt, klingt es, als hätte sie für eine Rolle vorgesprochen.

»Und mein Geld? Haben Sie das nicht?«

»Im Augenblick nicht«, sagt Howard und steht auf. »Sie haben vielleicht damit gerechnet, dass Bridget es Ihnen heute übergibt, aber ich wollte mir erst einen Überblick über die Situation verschaffen. Es wird ein bisschen dauern, so viel Geld zusammenzubekommen. Sie haben ja wohl nicht erwartet, dass ich Ihnen einen Scheck ausstelle?«

Auch Allison erhebt sich. Ein Ausdruck der Verlegenheit huscht über ihr Gesicht. »Nein, natürlich nicht. Aber, bekomm ich das ganze Geld in bar?«

»Ich glaube, wir sind uns einig, dass es für diese Transaktion besser keine Belege geben sollte«, sagt er.

»Mensch, wo soll ich denn mit dem ganzen Bargeld hin?«

»Ich würde Ihnen raten, sich ein Schließfach zu mieten. Und dann entsprechend Ihren Bedürfnissen Geld von dort zu entnehmen.«

Ihre Augen funkeln. Er erkennt, dass sie das viele Geld schon vor sich sieht, sich vorzustellen versucht, wie viel hunderttausend Dollar auf einem Haufen sind.

»Alles klar, das kann ich machen. Wo gibt es solche Fächer?«

Howard seufzt. »Ich würde es bei einer Bank versuchen.«

»Sie melden sich, wenn Sie das Geld haben?«

»Aber sicher.«

Howard denkt voraus, überlegt, welchen Schaden das Bekanntwerden dieser Geschichte anrichten würde. Mal angenommen, sie geht wirklich damit an die Presse. Howard ist zuversichtlich, dass sie genügend über diese Frau herausfinden würden, um sie in Misskredit zu bringen. Das hat er Bridget auch gesagt. Sie werden ihr Ansehen in der Öffentlichkeit ruinieren. Könnte zweifellos ziemlich kräfteraubend werden. Aber andererseits ist nicht Bridget die Kandidatin. Wenn sie diesem Skandal zum Opfer fällt, dann ist es eben so. Morris wird ihn überleben, selbst wenn er sich dazu von Bridget trennen muss. Es wäre sogar denkbar, dass ihm das Ganze einige Sympathien einträgt, sobald der ganze Zirkus vorbei ist. Außereheliche Beziehungen, Flecken auf blauen Kleidern, Ausrutscher mit Zimmermädchen – es gab kaum etwas, von dem Politiker sich nicht erholen konnten.

Aber angenommen, sie zahlen ihr die hundert Riesen, und es kommt heraus? Wie wird das aussehen? Howards Gedanken überschlagen sich. Er sieht eine Möglichkeit, das Steuer herumzureißen. Er wird die Schuld auf sich nehmen, behaupten, er habe es getan, um seinem Freund und dessen Frau Kummer und Bloßstellung zu ersparen. Als Sawchucks Berater zurücktreten, wenn es sein muss, zumindest offiziell, und im Hintergrund weiter die Strippen ziehen.

Ein Fiasko wird es auf jeden Fall, sollte es publik werden. Es wird Morris vielleicht nicht das Genick brechen, aber den Zeitplan noch ein wenig mehr durcheinanderbringen. Einiges mussten sie wegen dieser anderen Sache ohnehin bereits auf Eis legen. Wird ihnen die Scheiße bald um die Ohren fliegen? Im Augenblick sieht es allerdings nicht danach aus, und mit jedem Tag, der vergeht, verbessern sich ihre Chancen, davonzukommen. Und was diese Frau angeht: Vielleicht, aber nur vielleicht, verschwindet sie ja wirklich, wenn sie ihr Geld hat.

Was man nicht alles tun musste.

Und da sagt Allison Fitch auf einmal: »Aber keine Tricks. Ich hab da nämlich so einiges aufgeschnappt.«

Howard blinzelt. »Wie bitte?«

Sie ist schon auf dem Weg zur Tür. »Jetzt, wo ich weiß, wer Bridget ist, mit wem sie verheiratet ist, da fällt mir manches wieder ein, was ich gesehen habe, was ich zufällig gehört habe, und da fügt sich halt eines zum anderen.«

Howard fröstelt. »Wovon reden Sie eigentlich?«

Das Letzte, was sie sagt, als sie in den Flur hinaustritt, ist: »Kümmern Sie sich um die hundert Riesen, dann müssen Sie sich um nichts anderes mehr kümmern.«

Howard starrt die sich schließende Tür an.

Er wird sich Bridget noch einmal zur Brust nehmen müssen. Und davor wird er Lewis anrufen. Wenn die Dinge außer Kontrolle zu geraten drohen, wendet er sich an Lewis.