Neun

Als sie sich einigermaßen erholt hat von ihrer Verblüffung darüber, ihre neue Liebschaft im Fernsehen zu sehen, wirft Allison Fitch ihr Laptop an und beginnt zu recherchieren.

»Alter Falter«, flüstert sie immer wieder vor sich hin.

Morris Sawchuck, der jetzt mit dem Gouverneursamt liebäugelt, gehört schon in seiner gegenwärtigen Funktion als Justizminister des Staates New York zu den Mächtigen im Land. (»Alter Falter«, wiederholt sie.) Er ist siebenundfünfzig, Bridget ist seine dritte Frau. Er hat sie vor drei Jahren geheiratet, und für die Intelligenzija ist diese Ehe nach wie vor ein beliebtes Gesprächsthema, immerhin ist sie einundzwanzig Jahre jünger als er und ein echter Hingucker. Man munkelt, dass sie getrennt Urlaub machen, aber das weiß Allison ja bereits.

Seine erste Frau, Kathleen Wolcott, lernte Sawchuck während des Studiums in Harvard kennen. Die beiden heirateten, kurz nachdem er seinen Bachelor gemacht hatte, und sie bestritt als Fachangestellte in einer Anwaltskanzlei den Familienunterhalt, während er in Harvard Jura studierte. Nach fünf Jahren ließ er sich von ihr scheiden, um Geraldine Kennedy zu heiraten (nicht verwandt mit den Kennedys oder wenigstens nicht nahe genug, dass sich das in Form von Einladungen auf den Familiensitz in Hyannis Port niedergeschlagen hätte, wie einer der Artikel, auf die Allison stößt, andeutet).

Von Geraldine ließ Sawchuck sich nicht scheiden. Sie beging 2001 Selbstmord. Setzte sich bei geschlossenem Garagentor und laufendem Motor in ihren BMW, den Rest überließ sie dem Kohlenmonoxid. Sie hatte, so hieß es, eine Reihe von Krankenhausaufenthalten hinter sich, Diagnose: manisch-depressive Störung. Kathleen wird eine Bemerkung zugeschrieben, die gemacht zu haben sie jedoch immer abgestritten hat: »Keine Ahnung, warum ich das nicht getan habe. Bei Gott, gedacht habe ich daran, als ich noch mit diesem scheinheiligen Arschloch verheiratet war.«

Es gab Geschichten. Und Verwirrendes. Kathleen war schön, und auch Geraldine war eine Klassefrau gewesen. Warum mussten ausgerechnet die Typen, die mit den tollsten Frauen verheiratet waren, immer nach anderen schielen?

Sawchuck ließ sich zu keiner Stellungnahme zu den Gerüchten herab. Er richtete sich in einer angemessenen Trauerphase ein, stürzte sich in seine Arbeit als Staatsanwalt. Er verfolgte korrupte Gewerkschaftsbosse, die Russenmafia, einen Kinderpornoring und erregte damit große Aufmerksamkeit. Sein Kommentar zu Letzterem lautete angeblich, wenn er eine Möglichkeit fände, die Mitglieder des Pornorings am Times Square an den Eiern aufzuhängen, dann würde er es tun. Das brachte ihm Punkte bei den Wählern. Mit den Stimmen der Anhänger von Kinderpornographie, so die Einschätzung eines Experten, konnte er allerdings nicht mehr rechnen.

Immer wieder gibt es Morddrohungen gegen ihn. Angeblich trägt er jetzt eine versteckte Waffe bei sich, wenn er sich in der Öffentlichkeit bewegt.

Ein, zwei Jahre nach Geraldines Tod sah man ihn gelegentlich in Begleitung verschiedener und sehr attraktiver Frauen. Zeitungsfotos zeigten ihn bei Premieren, Benefizveranstaltungen, politischen Empfängen, jedes oder fast jedes Mal mit einer anderen Frau an seiner Seite. Manche Kommentatoren gaben ihrer Besorgnis Ausdruck, sein Interesse an der Damenwelt könnte sich eines Tages als politische Belastung erweisen. Bis zu einem gewissen Punkt genoss ein Don Juan allgemeine Bewunderung, doch letzten Endes hatten Frauenhelden zu viele Geheimnisse, die ans Tageslicht kommen und ihnen später das Genick brechen konnten. Man denke nur an diesen alten italienischen Ministerpräsidenten mit seinem Harem von Stripperinnen, obwohl … der Kerl, Mannomann, der hat Seitensprünge zur olympischen Disziplin gemacht. Die genannten Kommentatoren waren auch der Meinung, Sawchuck müsse erst zur Ruhe kommen, oder wenigstens diesen Eindruck erwecken, ehe er seine Ambitionen auf ein höheres Amt weiterverfolgte.

Und dann kam Bridget.

Ein ehemaliges Model mit rabenschwarzem Haar, beinahe eins achtzig groß, und das in Strümpfen – sie sieht Allison übrigens nicht unähnlich. Jetzt arbeitet sie für eine PR-Agentur mit Büros in SoHo, London, Paris und Hongkong. Sie hatte für ihn eine Veranstaltung organisiert, um Spenden für einen Baseballplatz in einem Brennpunktviertel zu sammeln – ein ganz besonderes Anliegen des Justizministers –, und anscheinend waren sie von Anfang an ein Herz und eine Seele. Was folgte, war die – sprichwörtliche – stürmische Romanze, und schneller als ein Kind, das nicht einmal Geld fürs Frühstück hat, zur ersten Base rennen kann, waren die beiden verlobt. Drei Monate später waren sie verheiratet.

Weiterhin ergeben Allisons Recherchen, dass Sawchuck zwar einflussreiche Freunde aus allen Teilen des politischen Spektrums hat, die Mehrheit von ihnen jedoch dem rechten Lager angehört. Zwei ehemalige Vizepräsidenten, der eine ein Republikaner, der andere ein Demokrat, kennt er gut genug, um sie zum Abendessen zu sich nach Hause einzuladen, wann immer sie in der Stadt sind.

Ach ja, eine Sache ist für Allison von besonderem Interesse: Der Typ ist stinkreich.

Sein geschätztes Vermögen fällt in die Heilige-Scheiße!-Kategorie. Das meiste davon ererbt. So viel Heu scheffelt man nicht im Staatsdienst, es sei denn, man hat eine sehr, sehr schmutzige Weste, und es gibt nichts, das darauf hinweist, dass dies bei Morris Sawchuck der Fall wäre, auch wenn es kein Geheimnis ist, dass sein engster Freund und Berater, Howard Talliman (Spitzname: Howard der Taliban) gern einmal eine Abkürzung nimmt. Morris’ Vater Graham war ein Baulöwe und Eigentümer von gut zwei Dutzend Wolkenkratzern in Manhattan gewesen. Nach dessen Tod erbte Morris das Unternehmen, das jetzt fremdgeführt ist, um alles zu vermeiden, dem auch nur das leiseste Odeur eines Interessenskonflikts anhaften könnte. Nicht, dass Sawchuck ein Problem damit hätte, Immobilien und mehr Geld zu besitzen, als jemand wie Allison sich nur vorstellen kann. Wonach er jedoch wirklich lechzt, ist Aufmerksamkeit, Einfluss und ein hoher Bekanntheitsgrad. Und er hat festgestellt, dass dies alles am besten durch die gnadenlose Verfolgung derer zu erreichen ist, die gegen das Gesetz verstoßen. Einen Mann mit einer Mission lieben schließlich alle.

Nicht immer aus denselben Gründen.

Allison springt von einer Webseite zur nächsten und findet immer mehr Informationen darüber, wie viel Geld Sawchuck tatsächlich hat. Millionen, wenn nicht Milliarden.

Genug jedenfalls, dass einem schwindlig werden kann.

Sieht ganz so aus, als könne sie kassieren, was sie braucht, um Courtney ihr Geld zurückzuzahlen, und sich auch noch ein neues Paar Manolo Blahniks kaufen. Eine Frau kann schließlich nie genug Schuhe haben.


Fast eine Stunde lang läuft sie in der Wohnung auf und ab und übt ihren Text. Sie will nicht, dass es sich wie eine glatte Erpressung anhört. Vielmehr soll von einem Darlehen die Rede sein. Ein Darlehen allerdings, dessen Rückzahlung sich, im Unterschied zu den meisten anderen, sagen wir mal, über einen Zeitraum von zweitausend Jahren hinzieht. Zugegeben, Zuwendung wäre vielleicht die treffendere Bezeichnung. Aber ist das wirklich so eine große Sache? Bei all dem Geld? Wenn da ein paar Tausender für sie abfallen, das ist doch kein Ding, oder? Und Allison will das Geld ja nicht ohne Gegenleistung. O nein! Sie wird sich natürlich erkenntlich zeigen. Und sie weiß auch schon wie: Mit ihrer Zunge! Diesmal allerding, indem sie sie nicht zum Einsatz bringt. Nicht, wo jemand es als sehr beglückend empfinden könnte.Und auch sonst nicht. Sie wird sie in Zaum halten. So wird sie sich erkenntlich zeigen.

Und auch sonst. Sie wird ihn halten. So wird sie sich erkenntlich zeigen.

Sie kann sich dafür entscheiden, nicht zur Daily News zu gehen oder zur Times oder zur Post. Oder zu einer dieser Enthüllungssendungen im Fernsehen.

Das wäre doch ein schöner Zug von ihr, nicht wahr?

Denn wenn so eine Geschichte herauskäme … tja, damit wäre Mr.Ich-will-Gouverneur-werden bestimmt nicht geholfen. Ganz und gar nicht.

Vielleicht muss sie ja nicht einmal so weit gehen. Muss die Zeitungen oder die Fernsehsendungen vielleicht gar nicht erst erwähnen. Vielleicht hat sie ja den Scheck schon in der Hand, kaum dass sie die Worte »Ich weiß, wer du bist« ausgesprochen hat.

Allison nimmt ihr Handy, fängt an, die Nummer einzutippen, die sie bekommen hat, und hält inne. Ihr Herz klopft wie wild. Geschichten zu erfinden, um ihrer Mutter Geld abzuluchsen, ist eine Sache.

Das hier ist etwas ganz anderes.

Das passiert, wenn man von Dayton in die große Stadt zieht.


»Hallo?«

»Ich bin’s, Allison.«

»Was – Allison?«

»Genau, Allison. Erinnerst du dich an mich?«

»Natürlich – hör mal, ich kann jetzt wirklich nicht reden.«

»Wir müssen uns treffen.«

»Das ist jetzt keine gute Zeit.«

»Ich hab dich in den Nachrichten gesehen.«

»Du – was?«

»Ich hatte ja keine Ahnung. Nicht die leiseste Ahnung, wer du bist. Wie kommt’s, dass du vergessen hast, so was zu erwähnen? Erstens, dass du verheiratet bist, und zweitens, dass –«

»Hör mal, Allison, ich seh zu, dass ich dich in ein, zwei Wochen anrufen kann. Im Moment hab ich viel um die Ohren. Wenn du die Nachrichten gesehen hast, dann weißt du ja, dass die Kampagne langsam in die heiße Phase tritt, und … und … andere Probleme gibt’s auch noch. Möglicherweise eine Ermittlung wegen –«

»Weißt du noch, wo wir uns zum ersten Mal verabredet haben?«

»Ja, natürlich.«

»Sei um drei dort. Bevor sich der Laden füllt. Und dann schaffst du’s noch immer rechtzeitig zum Lincoln Center oder zum Broadway oder wo die Leute heute sonst tausend Dollar pro Nase berappen, um dich zu sehen.«

»Ich kann mich nicht mit dir treffen. Man darf – es tut mir wirklich leid, aber man darf uns nicht zusammen sehen.«

»Um drei.«

»Herrgott, was ist denn so dringend?«

»Also um eins brauchst du dir keine Sorgen zu machen: Schwanger bin ich nicht.«


Es ist gerade mal halb drei, doch Allison sitzt bereits in der Bar am Gramercy Park. Gleich um die Ecke hat O. Henry sein Geschenk der Weisen geschrieben. Sie hat denselben Tisch ergattert, an dem sie bei ihrer ersten Verabredung saßen. Verabredung? War es wirklich eine Verabredung gewesen? Setzt »Verabredung« nicht eine gewisse Einhaltung gesellschaftlicher Konventionen voraus? »Heimliches Treffen« vielleicht? Wie heißt noch mal dieses altmodische Wort dafür? »Rendezvous«.

Sie bestellt ein Gin Tonic und behält die Tür im Auge. Sie probt noch immer, was sie sagen wird, obwohl sie sich fragt, warum sie sich eigentlich die Mühe macht. Schon vorhin, ehe sie angerufen und dieses Treffen vereinbart hat, hat sie sich ihren Text zurechtgelegt, nur um dann, als das Klingeln verstummte und der Anruf entgegengenommen wurde, zu improvisieren, einfach das zu sagen, was ihr als Erstes in den Sinn kam. Einschließlich der Bemerkung über ihre Nichtschwangerschaft, die, das muss sie zugeben, schon verdammt lustig war.

Punkt drei kommt jemand zur Tür herein und entdeckt Allison in der Sitznische.

Es ist nicht Morris Sawchuck.

Sondern seine Frau. Bridget.

Sie hat keine Ähnlichkeit mit der Bridget Sawchuck, die Allison in den Nachrichten gesehen hat. Ihr Haar ist unter einem rot-schwarzen Kopftuch versteckt. Hermès, vermutet Allison. Außerdem trägt sie eine Sonnenbrille, die ihr halbes Gesicht bedeckt.

Doch sie ist es. Kein Zweifel. Des Justizministers heißes Frauchen. Kommt auf ihren Zehn-Zentimeter-Absätzen hereinstolziert, die Hände in den Taschen ihres Trenchcoats. Einige Köpfe drehen sich nach ihr um, als sie an der Bar vorüberschreitet. Allerdings ohne sie zu erkennen. Sie ruft diese Wirkung hervor, egal, ob sie erkannt wird oder nicht.

Bridget Sawchuck geht schnurstracks auf den Tisch zu, an dem Allison sitzt, und gleitet auf die Lederbank ihr gegenüber.

»Meine Güte, du siehst ja aus wie ein Spion.« Allison grinst.

»Ich hab nur ein paar Minuten«, sagt Bridget Sawchuck. »Warum diese Dringlichkeitssitzung?«

»Wie ich schon am Telefon sagte, es gibt da was zu besprechen.«