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Jeremiah
Oktober 1770
Roger ritt zusammen mit Claire und Fergus neben
dem Wagen her. Jamie, der Brianna nicht mit der Lenkung eines
Fahrzeugs betrauen wollte, das seinen Enkelsohn enthielt, bestand
darauf, zu fahren. Lizzie und Marsali saßen auf der Ladefläche und
Brianna auf dem Sitz neben ihm.
Vom Sattel aus fing Roger Bruchstücke der
Diskussion auf, die seit seiner Ankunft ein Dauerthema gewesen
war.
»John auf jeden Fall«, sagte Brianna mit einem
stirnrunzelnden Blick auf ihren Sohn, der energisch unter ihrem
Schultertuch herumwühlte. »Aber ich weiß nicht, ob das sein Rufname
sein sollte. Und wenn - sollten wir dann nicht vielleicht Ian
nehmen? Das ist die gälische Form von John - und ich würde ihn gern
so nennen, aber wäre das zu verwirrend, wo wir doch schon Onkel Ian
und unseren Ian haben?«
»Da keiner von ihnen hier ist, wäre es, glaube ich,
keine große Schwierigkeit«, warf Marsali ein. Sie sah zum Rücken
ihres Stiefvaters hoch. »Hast du nicht gesagt, du wolltest auch
einen von Pas Namen nehmen?«
»Ja, aber welchen?« Brianna verdrehte den
Oberkörper, um mit Marsali zu sprechen. »Nicht James, das
wäre verwirrend. Und ich glaube nicht, daß mir Malcolm
besser gefällt. MacKenzie heißt er sowieso, also vielleicht -« Sie
fing Rogers Blick auf und lächelte ihn an.
»Was ist mit Jeremiah?«
»John Jeremiah Alexander Fraser MacKenzie?« Marsali
runzelte die Stirn, während sie die Namen aufsagte, um ihren
Geschmack auszuprobieren.
»Ich finde Jeremiah sehr schön,« fiel Claire ein.
»Erinnert ans Alte Testament. Es ist einer von deinen Namen, nicht
wahr, Roger?« Sie lächelte ihn an, lenkte ihr Pferd näher an den
Wagen heran und beugte sich zur Seite, um mit Brianna zu
sprechen.
»Außerdem kannst du ihn Jemmy nennen, wenn dir
Jeremiah zu steif ist«, sagte sie. »Oder klingt das zu sehr wie
Jamie?«
Roger spürte, wie ihm ein leiser Schauer den Rücken
herunterlief, als ihm plötzlich ein anderes Kind in den Sinn kam,
das von seiner Mutter Jemmy genannt worden war - ein Kind, dessen
Vater blonde Haare hatte, und Augen so grün wie Rogers.
Er wartete, bis Brianna sich umdrehte, um ihre
Tasche nach einer frischen Windel zu durchforsten, nachdem sie
Lizzie das quengelnde Baby zum Aufpassen gereicht hatte. Er trieb
sein Pferd an und drängte es neben Claires Stute.
»Kannst du dich noch an etwas erinnern?« fragte er
leise. »Als du mich in Inverness das erste Mal mit Brianna besucht
hast - da hattest du vorher Nachforschungen über meinen Stammbaum
angestellt.«
»Ja?« Sie sah ihn mit hochgezogener Augenbraue
an.
»Es ist schon einige Zeit her, und wahrscheinlich
ist es dir sowieso nicht aufgefallen…« Er zögerte, doch er mußte es
herausfinden, wenn es denn herauszufinden war. »Du hast mir die
Stelle in meinem Stammbaum gezeigt, wo der Tausch stattgefunden
hat; wo Geillis Duncans und Dougals Kind anstelle eines anderen,
toten Kindes adoptiert worden war und dessen Namen bekommen
hatte.«
»William Buccleigh MacKenzie«, sagte sie prompt und
lächelte über seinen überraschten Blick. »Ich habe mich mit dieser
Ahnenreihe ziemlich intensiv beschäftigt«, sagte sie trocken. »Ich
könnte dir wahrscheinlich jeden Namen darin nennen.«
Er holte tief Luft, und Beklommenheit saß ihm im
Nacken.
»Ja? Was ich mich frage - weißt du den Namen der
Frau des ausgetauschten Kindes - meiner Urahnin? Ihr Name hat nicht
auf meinem Stammbaum gestanden, nur der von William
Buccleigh.«
Ihre Wimpern senkten sich über die goldenen Augen,
als sie mit gespitzten Lippen überlegte.
»Ja«, sagte sie schließlich und sah ihn an. »Morag.
Ihr Name war Morag Gunn. Wieso?«
Er schüttelte nur den Kopf, zu erschüttert, um zu
antworten. Er warf einen Blick zu Brianna hinüber; das Baby lag
halbnackt auf ihrem Schoß, die durchweichte Windel in einem Haufen
neben ihr auf dem Sitz - und er erinnerte sich an die glatte,
feuchte Haut und das nasse Lendentuch des kleinen Jungen namens
Jemmy.
»Und ihr Sohn hieß Jeremiah«, sagte er schließlich
so leise, daß Claire sich zu ihm hinüberbeugen mußte, um es zu
hören.
»Ja.« Sie beobachtete ihn neugierig, dann drehte
sie den Kopf, um
auf die gewundene Straße zu blicken, die zwischen den schwarzen
Kiefern verschwand.
»Ich habe Geillis gefragt«, sagte Claire plötzlich.
»Ich habe sie gefragt, warum. Warum wir die Fähigkeit haben.«
»Und hat sie darauf eine Antwort gehabt?« Roger
starrte eine Bremse auf seinem Handgelenk an, ohne sie zu
sehen.
»Sie hat gesagt - ›Um die Dinge zu ändern.‹« Claire
lächelte ihn an, den Mund ironisch verzogen. »Ich weiß nicht, ob
das eine Antwort ist oder nicht.«