6
Begegnung mit einer Hernie
Juni 1767
»Ich hasse Schiffe«, sagte Jamie und biß die Zähne
zusammen. »Ich verabscheue Schiffe. Mir grrraut vor
Schiffen.«
Jamies Onkel, Hector Cameron, lebte auf einer
Plantage namens River Run kurz hinter Cross Creek. Cross Creek
wiederum lag von Wilmington aus gesehen ein gutes Stück
stromaufwärts, genauer gesagt an die zweihundert Meilen. Um diese
Jahreszeit, so hatte man uns gesagt, würde die Fahrt auf dem
Wasserweg vier Tage bis eine Woche dauern; es hing von den
Windverhältnissen ab. Wenn wir dem Landweg den Vorzug gäben, wären
wir zwei Wochen unterwegs - oder länger, wenn die Straßen
überflutet und schlammig waren oder wir einen Achsenbruch
hatten.
»Auf einem Fluß gibt es keinen Wellengang«, sagte
ich. »Und bei der Vorstellung, zweihundert Meilen durch den Schlamm
zu waten, grrrraut mir weitaus mehr.« Ian grinste breit, setzte
aber schnell eine unbeteiligte Miene auf, als Jamies erboster Blick
auf ihn fiel.
»Außerdem«, sagte ich zu Jamie, »habe ich ja meine
Nadeln, falls du seekrank wirst.« Ich strich über meine Tasche, in
der ein Satz winziger goldener Akupunkturnadeln in einem
Elfenbeinkästchen ruhte.
Jamie atmete tief durch die Nase aus, sagte aber
nichts mehr. Nachdem diese Kleinigkeit ausdiskutiert war, blieb uns
noch das Hauptproblem: die Kosten für die Schiffsreise.
Wir waren nicht reich, waren aber durch einen
glücklichen Zufall unterwegs zu etwas Geld gekommen. Wir waren wie
Landstreicher von Charleston nach Norden gezogen und hatten nachts
in sicherer Entfernung von der Straße gelagert. Dabei hatten wir
ein verlassenes Gehöft auf einer Waldlichtung entdeckt, die schon
fast wieder überwuchert war.
Pyramidenpappelschößlinge sprossen wie Speere durch
die Balken des eingestürzten Daches, und eine Stechpalme schob sich
aus einem breiten Sprung in dem Herdstein hervor.
Die halb verfallenen, verrottenden Holzwände waren
mit grünem Moos und rostfarbenen Pilzen überzogen. Es war schwer zu
sagen, seit wann die Ansiedlung verlassen war, doch es war
offensichtlich, daß die Wildnis Blockhaus und Lichtung in ein paar
Jahren verschluckt haben würde und nur ein Haufen eingestürzter
Kaminsteine noch an ihre Existenz erinnern würde.
Doch den näher rückenden Bäumen zum Trotz gediehen
hier die Überbleibsel einer kleinen Pfirsichplantage und die
Früchte waren reif und wimmelten von Bienen. Wir hatten davon
gegessen, soviel wir konnten, und im Schutz der Ruinen geschlafen.
Dann waren wir vor der Dämmerung aufgestanden und hatten den Wagen
mit den saftigen, samtenen Früchten beladen.
Wir hatten sie unterwegs verkauft und waren daher
mit klebrigen Händen und einem Sack voller Münzen - zum Großteil
Pennies - in Wilmington angekommen. Der Geruch nach gärenden
Früchten, der unseren Haaren, unseren Kleidern und unserer Haut
anhaftete, war so durchdringend, als hätte man uns alle in
Pfirsichschnaps getaucht.
»Nimm das hier«, wies Jamie mich an und gab mir den
kleinen Lederbeutel, der unser Vermögen enthielt. »Kauf so viele
Vorräte, wie du dafür bekommst - aber bitte keine Pfirsiche, aye?
-, und vielleicht ein paar Kleinigkeiten, damit wir nicht ganz wie
Bettler aussehen, wenn wir zu meinem Onkel kommen. Nadel und Faden
vielleicht?« Er zog eine Augenbraue hoch und deutete auf den langen
Riß in Fergus’ Jacke, den er sich beim Sturz von einem Pfirsichbaum
geholt hatte.
»Duncan und ich werden versuchen, den Wagen und die
Pferde zu verkaufen, und uns nach Schiffen erkundigen. Und wenn es
hier einen Goldschmied gibt, frage ich ihn vielleicht, was er mir
für einen der Steine bietet.«
»Sie bloß vorsichtig, Onkel Jamie«, riet Ian ihm
und deutete mit gerunzelter Stirn auf das bunte Durcheinander von
Menschen, das zum nahe gelegenen Hafen unterwegs war oder von dort
herkam.
Mit todernster Miene versicherte Jamie seinem
Neffen, daß er die notwendige Vorsicht würde walten lassen.
»Nimm Rollo mit«, drängte Ian. »Er paßt auf dich
auf.«
Jamie sah zu Rollo hinab, der die vorbeiziehenden
Massen hechelnd beobachtete, wobei seine aufmerksame Miene weniger
gesellschaftliche Neugier als vielmehr kaum verhohlenen Appetit
auszudrücken schien.
»Oh, aye«, sagte er. »Dann komm, mein Freund.« Er
sah mich an, als er sich zum Gehen wandte. »Vielleicht kaufst du
auch ein paar getrocknete Fische.«
Wilmington war eine kleine Stadt, doch aufgrund
seiner günstigen Lage als Seehafen an der Mündung eines schiffbaren
Flusses gab es dort nicht nur einen Bauernmarkt und ein
Trockendock, sondern auch diverse Läden, wo Luxusgüter aus Europa
genauso wie die vor Ort erzeugten Gebrauchsgüter feilgeboten
wurden.
»Bohnen, gut«, sagte Fergus. »Ich mag Bohnen, sogar
in Massen.« Er schulterte den Jutesack und balancierte die sperrige
Last aus. »Und Brot, natürlich brauchen wir Brot - und Mehl, Salz
und Schmalz. Pökelfleisch, getrocknete Kirschen, frische Äpfel,
alles schön und gut. Fisch, sicher doch. Ich sehe ein, daß Nadel
und Faden ebenfalls vonnöten sind. Selbst die Haarbürste«, fügte er
mit einem Seitenblick auf mein Haar hinzu, das, angestiftet von der
Feuchtigkeit wüste Anstrengungen unternahm, meinem breitkrempigen
Hut zu entfliehen. »Und die Arzneimittel aus der Apotheke,
selbstverständlich. Aber Spitze?«
»Spitze«, sagte ich nachdrücklich. Ich steckte das
kleine, in Papier gewickelte Paket mit drei Metern Brüsseler Spitze
in den großen Korb. »Und breite Seidenbänder, jeweils einen Meter«,
sagte ich zu dem schwitzenden Mädchen hinter der Ladentheke. »Rot -
das ist für dich, Fergus, also beschwer dich nicht -, grün für Ian,
gelb für Duncan und das ganz dunkle Blau für Jamie. Und es ist
keine Extravaganz. Jamie will nicht, daß wir wie Lumpengesindel
aussehen, wenn wir uns seinem Onkel und seiner Tante
vorstellen.«
»Was ist mit dir, Tante Claire?« fragte Ian
grinsend. »Du willst doch bestimmt nicht als graue Maus gehen,
während wir Männer die Dandys spielen, oder?«
Halb entnervt, halb amüsiert stieß Fergus die Luft
aus.
»Das da«, sagte er und zeigte auf eine große Rolle
in dunklem Rosa.
»Aber das ist eine Farbe für ein junges Mädchen«,
protestierte ich.
»Eine Frau ist nie zu alt, um Rosa zu tragen«,
erwiderte Fergus bestimmt. »Das habe ich die Damen oft genug sagen
hören.« Ich hatte die Ansichten dieser Damen schon öfter zu hören
bekommen, denn Fergus hatte seine Kindheit in einem Bordell
verbracht - und seinen Erzählungen nach auch einen beträchtlichen
Teil seines späteren Lebens. Ich hoffte sehr, daß er sich das
jetzt, wo er mit Jamies Stieftochter verheiratet war, abgewöhnen
würde, aber da Marsali auf Jamaika war, wo sie die Geburt ihres
ersten Kindes erwartete, hatte ich meine Zweifel. Fergus war
schließlich durch und durch Franzose.
»Die Damen müssen es ja wissen«, sagte ich. »In
Ordnung, das rosafarbene auch.«
Schwer beladen mit Körben und Lebensmittelsäcken,
bahnten wir uns einen Weg nach draußen. Es war heiß und drückend
vor Feuchtigkeit, doch es kam ein Luftzug vom Fluß, und nach der
Enge des Ladens erschien mir die Luft süß und erfrischend. Ich
blickte zum Hafen, wo die Masten einiger kleiner Schiffe aufragten
und sich sanft in der Strömung wiegten, und sah Jamie zwischen zwei
Gebäuden hervortreten, dicht gefolgt von Rollo.
Ian rief: »Hallo« und winkte. Rollo stürmte die
Straße entlang und wedelte beim Anblick seines Herrn wie wild mit
dem Schwanz. Um diese Tageszeit waren nur wenige Leute unterwegs,
und die paar, die in der engen Straße zu tun hatten, preßten sich
in weiser Voraussicht an die nächste Wand, um dem
leidenschaftlichen Wiedersehen nicht im Weg zu sein.
»Meine Güte«, sagte eine gedehnte Stimme irgendwo
über mir. »Das ist der größte Köter, den ich je gesehen hab’.« Als
ich mich umdrehte, sah ich einen Mann, der sich von der Vorderwand
einer Kneipe löste und höflich den Hut vor mir zog.
»Zu Euren Diensten, Ma’am. Ich will doch hoffen,
daß er sich nichts aus Menschenfleisch macht, oder?«
Ich sah zu dem Mann auf, der mich angesprochen
hatte - und noch weiter auf. Ich verkniff mir die Bemerkung, daß er
ja wohl der letzte sein dürfte, der Grund hatte, sich von Rollo
bedroht zu fühlen.
Der Fragesteller war einer der größten Männer, die
ich jemals gesehen hatte, er war etliche Zentimeter größer als
Jamie. Außerdem war er schlaksig und knochig, seine riesigen Hände
baumelten in Höhe meiner Ellbogen, und der perlenverzierte Gürtel
um seine Mitte war direkt vor meiner Brust. Ich hätte meine Nase in
seinen Nabel stecken können, hätte ich das Bedürfnis verspürt, doch
glücklicherweise war das nicht der Fall.
»Nein, er frißt Fische«, versicherte ich meinem
neuen Bekannten. Als er sah, wie ich den Hals reckte, ging er
zuvorkommend in die Hocke, wobei seine Kniegelenke wie
Gewehrschüsse knackten. Zwar hatte ich jetzt sein Gesicht vor mir,
doch ich mußte feststellen, daß seine Gesichtszüge immer noch nicht
zu sehen waren, da sie hinter einem buschigen, schwarzen Bart
versteckt waren. Eine wenig passende Stupsnase ragte aus dem
Gestrüpp und darüber blickten große haselnußbraune Augen sanft in
die Welt.
»Na, es freut mich, das zu hören. Wäre nicht nett,
so früh am Morgen schon ein Stück von meinem Bein zu verlieren.« Er
schwenkte den schäbigen Schlapphut, in dessen Krempe eine zerzauste
Truthahnfeder steckte, und er verbeugte sich vor mir. Schwarze
Locken
fielen ihm über die Schultern. »John Quincy Myers, zu Euren
Diensten, Ma’am.«
»Claire Fraser«, sagte ich und hielt ihm fasziniert
die Hand hin. Er blinzelte sie einen Augenblick lang an, hob meine
Finger an die Nase und schnüffelte daran, blickte dann auf und
zeigte ein Lächeln, das durch die Tatsache, daß ihm die Hälfte
seiner Zähne fehlte, kaum an Charme einbüßte.
»Oh, da werdet Ihr wohl ein Kräuterweiblein sein,
was?«
»Meint Ihr?«
Er drehte meine Hand sanft um und zeichnete die
Chlorophyllspuren um meine Fingernägel nach.
»Eine Dame mit grünen Fingern hat vielleicht nur
ihre Rosen geschnitten, aber eine Dame, deren Hände nach
Sassafraswurzeln und Chinarinde riechen, weiß sicher nicht nur, wie
man Blumen zum Blühen bringt. Meinst du nicht auch?« fragte er,
freundlich an Ian gewandt, der Mr. Myers mit unverhohlenem
Interesse betrachtete.
»Oh, aye«, versicherte Ian ihm. »Tante Claire ist
eine berühmte Heilerin. Eine weise Frau.« Er sah mich stolz
an.
»Wirklich, mein Junge?« Mr. Myers’ Augen weiteten
sich interessiert und richteten sich wieder auf mich. »Da soll mich
doch der Teufel holen. Und ich hab’ schon gedacht, ich müßte
warten, bis ich in die Berge komme und mir einen Schamanen
dafür suchen kann.«
»Seid Ihr krank, Mr. Myers?« fragte ich. Er machte
nicht den Eindruck, doch wegen seiner Haare und des Bartes war es
schwer zu beurteilen, außerdem schien eine dünne Schicht
schmutzigbraunen Staubes sämtliche Körperteile zu bedecken, die
nicht unter seinen zerlumpten Lederhosen verschwanden. Die Stirn
war die einzige Ausnahme. Normalerweise schützte sie der schwarze
Filzhut vor der Sonne, doch jetzt war sie unseren Blicken
ausgesetzt, eine reinweiße Fläche.
»Nicht direkt krank, glaub’ ich«, antwortete er. Er
stand plötzlich auf und begann, sein Wildlederhemd hochzuschieben.
»Es ist jedenfalls kein Tripper und auch nicht die
Franzosenkrankheit; die habe ich schon mal gesehen.« Was ich für
Hosen gehalten hatte, waren in Wirklichkeit lange
Wildlederleggings, ergänzt durch einen Lendenschurz. Beim
Weiterreden ergriff Mr. Myers das Lederband, welches das
letztgenannte Bekleidungsstück in Position hielt, und kämpfte mit
dem Knoten.
»Ist auch so ärgerlich genug; da war ganz plötzlich
diese Riesenbeule hinter meinen Eiern. Ziemlich lästig, wie Ihr
Euch vorstellen könnt, obwohl ich nicht sagen könnte, daß es weh
tut, außer beim
Reiten. Ob Ihr wohl einen Blick darauf werfen wollt und mir sagt,
was ich am besten dagegen tue, hm?«
»Äh…«, sagte ich und warf Fergus einen
verzweifelten Blick zu, doch der Mistkerl verlagerte nur seinen
Bohnensack und machte eine belustigtes Gesicht.
»Habe ich das Vergnügen, die Bekanntschaft von Mr.
John Myers zu machen?« fragte eine höfliche schottische Stimme über
meine Schulter hinweg.
Mr. Myers hörte auf, an seinem Lendenschurz
herumzufummeln und blickte fragend auf.
»Kann nicht sagen, ob es ein Vergnügen für Euch
wird, Sir«, antwortete er zuvorkommend. »Aber wenn Ihr Myers sucht,
habt Ihr ihn gefunden.«
Jamie trat näher und schob sich taktvoll zwischen
mich und Mr. Myers’ Lendenschurz. Er verbeugte sich förmlich, den
Hut unterm Arm.
»James Fraser, zu Euren Diensten, Sir. Man hat mir
gesagt, ich sollte Euch gegenüber den Namen Hector Cameron
erwähnen.«
Mr. Myers betrachtete Jamies rotes Haar mit
Interesse.
»Schotte, ja? Seid Ihr einer von diesen
Highlandern?«
»Ich bin Schotte, aye, und Highlander.«
»Seid Ihr mit dem alten Hector Cameron
verwandt?«
»Er ist ein angeheirateter Onkel, Sir, aber ich bin
ihm noch nie begegnet. Ich habe gehört, daß Ihr gut mit ihm bekannt
seid und uns vielleicht zu seiner Plantage führen könnt.«
Die beiden Männer taxierten einander unverhüllt,
musterten einander während des Gespräches von Kopf bis Fuß und
begutachteten dabei Haltung, Kleidung und Bewaffnung ihres
Gegenübers. Jamies Augen ruhten zustimmend auf dem langen Messer,
das in einer Scheide am Gürtel des Waldläufers hing, während Mr.
Myers’ Nüstern vor Interesse bebten.
»Comme deux chiens«, bemerkte Fergus leise
hinter mir. Wie zwei Hunde. »…aux culs.« Als nächstes werden
sie sich noch gegenseitig am Hintern schnüffeln.
Mr. Myers warf Fergus einen schnellen Blick zu, und
ich sah die haselnußbraunen Augen belustigt aufblitzen, bevor er
sich wieder Jamie zuwandte. Der Bergläufer mochte unkultiviert
sein, doch er hatte ganz offensichtlich Grundkenntnisse in
Französisch.
Da ich Mr. Myers’ ausgeprägten Geruchssinn und
seinen Mangel an Scheu schon kannte, wäre ich wahrscheinlich nicht
überrascht gewesen, wenn er Fergus’ Vorschlag in die Tat umgesetzt
hätte. Doch
er gab sich mit einer kurzen Inspektion zufrieden, in die er nicht
nur Jamie, sondern auch Ian, Fergus, mich selbst und Rollo
einbezog.
»Netter Hund«, sagte er beiläufig und hielt
letzterem einen Satz massiver Knöchel vor die Nase. Rollo nahm die
Einladung an und beschnüffelte Myers nun angeregt von den Mokassins
bis zum Lendenschurz, während das Gespräch weiterging.
»Euer Onkel also. Weiß er, daß Ihr kommt?«
Jamie schüttelte den Kopf.
»Das weiß ich nicht. Ich habe ihm vor einem Monat
von Georgia aus einen Brief geschickt, aber ich habe keine Ahnung,
ob er ihn schon bekommen hat.«
»Wohl nicht«, sagte Myers nachdenklich. Sein Blick
verweilte auf Jamies Gesicht und schweifte dann schnell über uns
alle.
»Eure Frau kenne ich schon. Ist das Euer Sohn?« Er
deutete auf Ian.
»Meine Neffe Ian. Mein angenommener Sohn Fergus.«
Jamie erledigte die Vorstellung mit einer Handbewegung. »Und ein
Freund, Duncan Innes, der gleich kommt.«
Myers grunzte, nickte, und traf seinen
Entschluß.
»Doch, ich denke schon, daß ich Euch zu den
Camerons bringen kann. Wollte sichergehen, daß Ihr zur
Verwandtschaft gehört, aber Ihr seht aus wie die Witwe Cameron, im
Gesicht. Der Junge auch ein bißchen.«
Jamie fuhr auf.
»Die Witwe Cameron?«
Ein Lächeln huschte durch das Bartdickicht.
»Der alte Hector hat letzten Winter eine schlimme
Halsentzündung bekommen und ist daran gestorben. Schätze, daß man
da, wo er jetzt ist, nicht viel Post bekommt.«
Damit hatten die Camerons als Gesprächsstoff
ausgedient. Er griff dringendere persönliche Probleme auf und nahm
seine Ausgrabungsarbeiten wieder auf.
»Dickes lila Ding«, erklärte er mir und zupfte an
seinem gelockerten Lederband herum. »Fast so groß wie eins von
meinen Eiern. Ihr glaubt nicht, daß mir irgendwie, also… eins extra
gewachsen ist, oder?«
»Nein«, sagte ich und biß mir auf die Lippe. »Das
bezweifle ich wirklich.« Seine Bewegungen waren sehr langsam, doch
er hatte den Knoten fast gelöst; die Leute blieben schon stehen und
starrten ihn an.
»Bitte macht Euch keine Mühe«, sagte ich. »Ich
glaube, ich weiß, was es ist - es ist eine Leistenhernie.«
Seine Augen weiteten sich.
»Wirklich?« Die Nachricht schien ihn zu
beeindrucken und ihm nicht im geringsten unangenehm zu sein.
»Ich müßte es mir ansehen - irgendwo drinnen«,
fügte ich hastig hinzu, »um ganz sicher zu sein, doch es hört sich
danach an. Man kann es chirurgisch leicht beheben, aber…« Ich
zögerte und sah an dem Koloß hoch. »Ich könnte wirklich nicht -
also, Ihr müßt schlafen. Bewußtlos sein«, betonte ich. »Ich müßte
Euch aufschneiden und wieder zunähen, versteht Ihr? Vielleicht wäre
doch ein Bruchband - ein Stützgurt - besser.«
Myers kratzte sich langsam am Kinn und dachte
nach.
»Nein, hab’ ich schon versucht. Aber aufschneiden…
Bleibt Ihr noch etwas in der Stadt, bevor Ihr zu den Camerons
aufbrecht?«
»Nicht lange«, unterbrach Jamie bestimmt. »Wir
fahren flußaufwärts zum Gut meiner Tante, sobald wir ein Boot
finden.«
»Oh.« Der Riese dachte einen Augenblick nach und
nickte dann freudestrahlend.
»Ich weiß den richtigen Mann für Euch, Sir. Ich
gehe gleich los und hole Josh Freeman aus dem Sailor’s Rest. Die
Sonne steht noch hoch, er wird noch nicht zu betrunken zum
Verhandeln sein.« Er verbeugte sich überschwenglich vor mir und
hielt sich dabei den zerknautschten Hut vor den Bauch. »Und
vielleicht hat dann Eure Frau die Güte, mit mir in das Wirtshaus da
drüben zu gehen - das ist ein bißchen feiner als das Sailor’s - und
sich diese… diese…« - ich sah, wie er in seinem Gedächtnis nach dem
Wort kramte und dann aufgab - »dieses Hindernis hier
anzusehen.«
Er stülpte sich den Hut auf den Kopf, nickte Jamie
zu und verschwand.
Jamie beobachtete seinen steifbeinigen Rückzug über
die Straße, der noch dadurch verlangsamt wurde, daß er jeden
Passanten herzlich grüßte.
»Was hast du bloß an dir, Sassenach, frage ich
mich?« sagte er im Plauderton.
»Inwiefern?«
Er drehte sich um und sah mich scharf an.
»Was jeden Mann, der dir begegnet, dazu bringt, daß
er sich fünf Minuten nachdem er dich kennengelernt hat, die Hosen
ausziehen will.«
Fergus hustete, und Ian wurde rot. Ich machte das
unschuldigste Gesicht, das ich fertigbrachte.
»Na ja, wenn du es nicht weißt, mein Lieber«, sagte
ich, »dann
weiß es keiner. Ich scheine ein Schiff für uns gefunden zu
haben. Und was hast du heute morgen getrieben?«
Emsig wie immer hatte Jamie einen potentiellen
Käufer für einen unserer Edelsteine gefunden. Und nicht nur einen
Käufer, sondern auch eine Einladung, mit dem Gouverneur zu Abend zu
essen.
»Gouverneur Tryon ist gerade in der Stadt«,
erklärte er. »Er wohnt bei einem Mr. Lillington. Heute morgen habe
ich mich mit einem Kaufmann namens MacEachern unterhalten, der mich
zu einem Mann namens MacLeod geschickt hat, der -«
»Der dich MacNeil vorgestellt hat, der dich mit zu
MacGregor in die Kneipe genommen hat, der dir alles über seinen
Neffen Bethune erzählt hat, dessen Vetter dritten Grades der Junge
ist, der mit dem Gouverneur die Schuhe putzt«, schlug ich vor, denn
inzwischen kannte ich die komplexen Pfade schottischer
Geschäftsbeziehungen.
Man setze zwei Hochlandschotten in einen Raum, und
innerhalb von zehn Minuten sind sie mit der jeweiligen
Familiengeschichte der letzten zweihundert Jahre vertraut und haben
eine hilfreiche Anzahl gemeinsamer Verwandter und Bekannter
entdeckt.
Jamie grinste.
»Es war der Sekretär der Frau des Gouverneurs«,
verbesserte er, »und er heißt Murray. Er ist Maggies ältester Sohn
- der Cousine deines Vaters, von Loch Linnhe«, fügte er, an Ian
gerichtet, hinzu. »Sein Vater ist nach dem Aufstand emigriert.« Ian
nickte beiläufig. Zweifellos trug er die Information gerade in
seine eigene Ausgabe der genetischen Enzyklopädie ein und
speicherte sie dort für den Tag, an dem sie sich nützlich erweisen
würde.
Edwin Murray, der Sekretär der Frau des
Gouverneurs, hatte Jamie herzlich als Verwandten willkommen
geheißen - obwohl er nur angeheiratet war - und uns für den
heutigen Abend eine Einladung bei den Lillingtons besorgt,
vorgeblich, damit wir dem Gouverneur über den Handel auf den
Westindischen Inseln berichteten. In Wirklichkeit hatten wir vor,
uns mit Baron Penzler bekannt zu machen - einem gutsituierten
deutschen Adligen, der ebenfalls dort dinieren würde. Der Mann war
nicht nur für seinen Reichtum, sondern auch für seinen Geschmack
und seine Sammlung wertvoller Objekte bekannt.
»Na ja, es könnte eine gute Idee sein«, sagte ich
zweifelnd. »Aber ich denke, du gehst besser allein. Ich kann nicht
mit einem Gouverneur speisen, solange ich so aussehe.«
»Ach, du siehst doch g -« Bei genauem Hinsehen
verstummte er. Sein Blick wanderte langsam über mich und erfaßte
mein schmutziges,
zerknittertes Kleid, mein zerzaustes Haar und mein zerschlissenes
Häubchen.
Er runzelte die Stirn. »Nein, ich will, daß du
mitkommst, Sassenach; ich brauche vielleicht ein
Ablenkungsmanöver.«
»Wo wir gerade von Ablenkungsmanövern sprechen, wie
viele Liter Bier hat es dich gekostet, das mit der Einladung zum
Abendessen zu deichseln?« fragte ich angesichts unserer
schwindenden Finanzen. Jamie zuckte nicht mit der Wimper, sondern
nahm mich beim Arm und schob mich auf die Ladenzeile zu.
»Drei, aber er hat die Hälfte bezahlt. Komm,
Sassenach, um sieben gibt’s Essen, und wir müssen etwas Anständiges
für dich zum Anziehen finden.«
»Aber wir können es uns nicht leisten -«
»Es ist eine Investition«, sagte er bestimmt. »Und
außerdem hat Vetter Edwin mir einen Vorschuß auf den Erlös des
Steines gegeben.«
Gemessen am kosmopolitischen Standard von Jamaika
war das Kleid seit zwei Jahren aus der Mode, doch es war sauber,
und das war für mich die Hauptsache.
»Ihr tropft, Madame.« Die Stimme der Schneiderin
war kalt. Sie war eine schmale, unscheinbare Frau in den mittleren
Jahren und die beste Schneiderin von Wilmington - und wie ich
merkte, war sie es gewöhnt, daß man ihrem Modediktat
widerspruchslos folgte. Ich war bei ihr in Ungnade gefallen, weil
ich mir lieber die Haare gewaschen hatte, als ein Spitzenhäubchen
aufzusetzen, und sie hatte mir eine Rippenfellentzündung
prophezeit. Die Nadeln, die sie im Mund hatte, zitterten empört,
als ich darauf bestand, das übliche schwere Korsett durch ein
leichteres, fischbeinverstärktes Mieder zu ersetzen, das die Brüste
anhob, ohne zu kneifen.
»Entschuldigung.« Ich steckte die feuchte Locke,
die den Ärger verursacht hatte, in das Leinentuch, das um meinen
Kopf gewickelt war.
Da die Gästequartiere in Mr. Lillingtons großem
Haus vollständig von den Begleitern des Gouverneurs belegt waren,
hatte man mich in Vetter Edwins winziges Speicherzimmer über dem
Stall verwiesen, und die Anprobe wurde von gedämpften Stampf- und
Kaugeräuschen aus der unteren Etage begleitet, in die sich noch die
monotonen Melodien mischten, die der Stallknecht beim Ausmisten
pfiff.
Trotzdem konnte ich mich nicht beklagen: Mr.
Lillingtons Ställe waren um einiges sauberer als das Gasthaus, in
dem Jamie und ich unsere Begleiter zurückgelassen hatten, und Mrs.
Lillington hatte
großzügigerweise dafür gesorgt, daß ich mit einer großen Schüssel
heißen Wassers und einem Stück Lavendelseife versorgt wurde - was
mir noch viel wichtiger war als das frische Kleid. Hoffentlich
bekam ich nie wieder einen Pfirsich zu Gesicht.
Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, um aus dem
Fenster zu sehen, falls Jamie kam, gab aber auf, als die
Schneiderin, die gerade meinen Rocksaum absteckte, ein
Protestgeräusch von sich gab.
Das Kleid selbst war gar nicht übel: Es war aus
cremefarbener Seide und ganz schlicht geschnitten, hatte halblange
Ärmel, einen weinrot gestreiften Reifrock, und von der Taille bis
zum Ausschnitt verliefen zwei Reihen weinroter Seidenrüschen. Wenn
man die Brüsseler Spitze, die ich gekauft hatte, an die Ärmel
nähte, würde es genügen, dachte ich, auch wenn der Stoff nicht vom
Feinsten war.
Ich war anfangs über den Preis überrascht gewesen,
denn er kam mir bemerkenswert niedrig vor, doch jetzt sah ich, daß
der Stoff grober war als üblich, und hier und da fing sich das
Licht in einem Knoten. Neugierig rieb ich ihn zwischen den Fingern.
Ich kannte mich mit Seide nicht besonders aus, aber ein
chinesischer Bekannter hatte einmal den Großteil eines faulen
Nachmittags auf See damit verbracht, mich in die Lehre von den
Seidenraupen und den feinen Varianten ihrer Erzeugnisse zu
unterweisen.
»Wo kommt diese Seide her?« fragte ich. »Es ist
keine chinesische Seide; ist sie aus Frankreich?«
Die Schneiderin blickte auf, und ihre
Unfreundlichkeit wurde kurzfristig von Interesse abgelöst.
»Nein, das stimmt. Das heißt, sie wurde in South
Carolina hergestellt. Da ist eine Dame, sie heißt Mrs. Pickney, die
hat die Hälfte ihres Landes mit Maulbeerbäumen bepflanzt und darauf
Seidenraupen gezüchtet. Der Stoff ist vielleicht nicht ganz so fein
wie chinesische Seide«, gab sie zögernd zu, »aber er ist auch nicht
halb so teuer.«
Sie blinzelte zu mir hoch und nickte langsam.
»Das wird wohl passen, und die Rüschen sind schön;
sie betonen Eure Wangen. Aber verzeiht bitte, Madame. Ihr müßt
etwas über dem Ausschnitt tragen, damit Ihr nicht so nackt ausseht.
Wenn Ihr schon kein Häubchen und keine Perücke wollt, habt Ihr dann
vielleicht ein Halsband?«
»Oh, ein Band!« sagte ich, und es fiel mir wieder
ein. »Ja, was für eine gute Idee. Seht in meinen Korb da drüben, da
findet Ihr ein Stück, das passen sollte.«
Gemeinsam schafften wir es, mein Haar aufzutürmen.
Wir banden
es locker mit dem dunkelrosa Band zusammen, während mir ein paar
feuchte Locken - ich konnte sie nicht daran hindern - über Ohren
und Stirn fielen.
»Es ist doch hoffentlich nicht zu jugendlich für
mich, oder?« fragte ich, denn mir kamen plötzlich Zweifel. Ich fuhr
mit der Hand über die Vorderseite des Mieders, doch es schmiegte
sich glatt - und wie angegossen - um meine Taille.
»O nein, Madame«, versicherte mir die Schneiderin.
»Es steht Euch gut, wenn ich das sagen darf.« Sie runzelte
nachdenklich die Stirn. »Nur der Ausschnitt ist immer noch ein
bißchen nackt. Habt Ihr denn überhaupt keinen Schmuck?«
»Nur das hier.« Wir drehten uns überrascht um, als
Jamie den Kopf einzog und zur Tür hereinkam; keine von uns hatte
ihn kommen hören.
Er hatte es irgendwie geschafft, zu baden und sich
ein sauberes Hemd und Halstuch zu besorgen; darüber hinaus hatte
ihm jemand das Haar gekämmt und zu einem ebenmäßigen Zopf
geflochten, der mit dem neuen blauen Seidenband zusammengebunden
war. Sein teurer Rock war nicht nur gebürstet, sondern auch mit
einem Satz versilberter Knöpfe aufpoliert worden, in deren Mitte
jeweils eine kleine Blume eingraviert war.
»Hübsch«, sagte ich und faßte einen der Knöpfe
an.
»Hat mir der Goldschmied geliehen«, sagte er. »Aber
sie werden genügen. Das hier auch, denke ich.« Er zog ein
schmutziges Taschentuch aus der Tasche und zauberte aus den Falten
eine schmale Goldkette hervor.
»Er hatte nur Zeit für eine ganz schlichte
Fassung«, sagte er und runzelte konzentriert die Stirn, während er
die Kette um meinen Hals befestigte. »Aber so ist es vielleicht
auch am besten, oder?«
Der Rubin hing glitzernd genau über meinem Busen
und warf einen zartrosa Schimmer auf meine weiße Haut.
»Ich bin froh, daß du den ausgesucht hast«, sagte
ich und berührte sanft den Stein. Er hatte Jamies Körperwärme
angenommen. »Er paßt viel besser zu dem Kleid als der Saphir oder
der Smaragd.« Die Schneiderin stand mit offenem Mund da. Sie
blickte von mir zu Jamie, und ihr Eindruck von unserer
gesellschaftlichen Position verbesserte sich offensichtlich
sprunghaft.
Jamie hatte sich endlich die Zeit genommen, den
Rest meiner Aufmachung zu betrachten. Sein Blick wanderte langsam
von meinem Kopf bis zu meinem Rocksaum, und ein Lächeln breitete
sich auf seinem Gesicht aus.
»Du bist’ne sehr dekorative Schmuckschachtel,
Sassenach«, sagte er. »Ein wunderbares Ablenkungsmanöver,
aye?«
Er blickte aus dem Fenster, wo ein blasser
Pfirsichton den diesigen Abendhimmel färbte, dann wandte er sich
mir zu und verbeugte sich. »Dürfte ich beim Abendessen um das
Vergnügen Eurer Gesellschaft bitten, Madame?«