57
Das zersplitterte Lächeln
»Zwei Speere ist uns wohlgesonnen. Die Angelegenheit muß vor den Rat gebracht und dort genehmigt werden, aber ich glaube, das wird sie auch.« Jamie ließ sich gegen eine Kiefer fallen und sackte vor Erschöpfung ein wenig zusammen. Wir waren eine Woche im Dorf gewesen; er hatte die letzten drei Tage fast vollständig mit dem Sachem des Dorfes verbracht. Ich hatte ihn oder Ian kaum zu Gesicht bekommen, war aber von den Frauen gastlich aufgenommen worden, die höflich waren, aber auf Distanz blieben. Ich hielt mein Amulett sorgfältig außer Reichweite.
»Dann haben sie ihn also?« fragte ich und spürte, wie sich der Knoten der Angst zu lösen begann, den ich so lange mit mir herumgetragen hatte. »Roger ist wirklich hier?« Bis jetzt waren die Mohawk nicht bereit gewesen, sich dazu zu äußern, ob Roger noch unter den Lebenden war - oder zur Alternative.
»Aye, tja, was das angeht, der alte Schurke gibt es nicht zu - weil er Angst hat, ich könnte versuchen, ihn zu stehlen, schätze ich -, aber entweder ist er hier, oder er ist nicht weit weg. Wenn der Rat dem Handel zustimmt, dann tauschen wir ihn in drei Tagen gegen den Whisky ein - und dann nichts wie weg.« Er blickte auf die schwerbeladenen Wolken, die die fernen Berge verhüllten. »Gott, ich hoffe, was da kommt, ist Regen und kein Schnee.«
»Meinst du, es könnte sein, daß der Rat nicht zustimmt?«
Er seufzte tief und fuhr sich mit der Hand durch das Haar. Es war nicht zusammengebunden und fiel ihm wirr über die Schultern; offensichtlich waren die Verhandlungen schwierig gewesen.
»Aye, könnte sein. Sie hätten den Whisky gern, aber sie fürchten sich auch davor. Einige der älteren Männer werden gegen den Tausch sein, weil sie Angst haben vor dem Schaden, den der Alkohol bei einigen der Leute anrichten könnte; die jüngeren sind Feuer und Flamme. Ein paar Gemäßigte sagen, aye, nehmt ihn; sie können den Alkohol zum Tauschhandel benutzen, wenn sie sich davor fürchten, ihn zu trinken.«
»Das hat dir alles Wakatihsnore erzählt?« Ich war überrascht. Der Sachem, Handelt Rasch, schien mir ein viel zu besonnener und gerissener Patron für solche Offenheit zu sein.
»Nicht er: unser Ian.« Jamie lächelte kurz. »Der Junge zeigt vielversprechende Ansätze als Spion, das muß ich sagen. Er hat an jeder Feuerstelle im Dorf gesessen, und er hat ein Mädchen gefunden, das ihn sehr mag. Sie erzählt Ian, was der Rat der Mütter denkt.«
Ich zog die Schultern hoch und wickelte mich fest in meinen Umhang; unser Aussichtspunkt auf den Felsen außerhalb des Dorfes bewahrte uns zwar vor Unterbrechungen, doch als Preis für die ungehinderte Sicht waren wir dem bitteren Wind ausgesetzt.
»Und was sagt der Rat der Mütter?« Eine Woche in einem Langhaus hatte mir einen Eindruck davon vermittelt, wie wichtig die Meinung der Frauen in der Gesellschaftsordnung des Dorfes war; obwohl sie keine direkten Entscheidungen trafen, geschah kaum etwas ohne ihre Zustimmung.
»Sie wünschten, ich würde ihnen ein anderes Lösegeld als Whisky anbieten, und sie sind sich nicht ganz sicher, ob sie den Mann hergeben sollen; mehr als nur eine der Damen hat ein wenig ihr Auge auf ihn geworfen. Sie hätten nichts dagegen, ihn in den Stamm aufzunehmen.« Jamies Mund verzog sich bei diesen Worten, und ich lachte trotz meiner Besorgnis.
»Roger sieht nicht übel aus«, sagte ich.
»Ich hab’ ihn gesehen«, sagte Jamie kurz. »Die meisten der Männer finden, er ist ein häßlicher, haariger Kerl. Natürlich denken sie dasselbe auch über mich.« Sein Mundwinkel hob sich widerstrebend, als er sich mit der Hand über das Kinn strich; da er die Abneigung der Indianer gegenüber jeder Form von Gesichtsbehaarung kannte, achtete er darauf, sich jeden Morgen zu rasieren.
»Das könnte in diesem Fall aber entscheidend sein.«
»Was, Rogers Aussehen? Oder deins?«
»Die Tatsache, daß mehr als eine der Damen den Kerl will. Ian sagt, sein Mädchen sagt, ihre Tante glaubt, daß es Ärger bringen wird, ihn zu behalten; sie hält es für besser, ihn uns zurückzugeben, als daß es seinetwegen Spannungen unter den Frauen gibt.«
Ich rieb mir meine von der Kälte geröteten Knöchel über die Lippen und versuchte, nicht loszulachen.
»Weiß der Rat der Männer, daß einige der Frauen an Roger interessiert sind?«
»Weiß nicht. Warum?«
»Weil, wenn sie es wüßten, würden sie dir Roger umsonst geben.«
Jamie schnaubte darüber, zog aber eine Augenbraue hoch.
»Aye, vielleicht. Ich werd’ Ian sagen, er soll es bei den jungen Männern erwähnen. Es kann nicht schaden.«
»Du hast gesagt, die Frauen wünschten, du würdest ihnen etwas anderes als Whisky anbieten. Hast du Handelt Rasch gegenüber den Opal erwähnt?«
Jetzt setzte er sich gerade hin, interessiert.
»Aye, das habe ich. Sie hätten nicht erschrockener sein können, wenn ich eine Schlange aus meinem Sporran gezogen hätte. Sie wurden sehr aufgeregt - wütend und angstvoll, und ich halte es für möglich, daß sie mir etwas angetan hätten, wenn ich nicht bereits den Whisky erwähnt gehabt hätte.«
Er griff in die Brusttasche seines Rockes, zog den Opal heraus und ließ ihn in meine Hand fallen.
»Am besten nimmst du ihn, Sassenach. Aber ich denke, du solltest ihn niemandem zeigen.«
»Wie merkwürdig.« Ich sah auf den Stein herunter, dessen spiralförmiger Petroglyph farbig schimmerte. »Also hatte er eine Bedeutung für sie.«
»Oh ja«, versicherte er mir. »Ich könnte nicht sagen, welche, aber was auch immer es gewesen ist, sie waren nicht besonders glücklich darüber. Der Kriegshäuptling wollte wissen, wo ich ihn herhatte, und ich habe ihnen gesagt, du hättest ihn gefunden. Daraufhin haben sie sich etwas zurückgenommen, aber sie waren wie ein Kessel kurz vor dem Überkochen.«
»Warum willst du, daß ich ihn nehme?« Der Stein war warm von seinem Körper und fühlte sich in meiner Hand glatt und angenehm an. Mein Daumen fuhr automatisch wieder und wieder an der spiralförmigen Gravur entlang.
»Wie gesagt, sie sind erschrocken, als sie ihn gesehen haben - und dann wurden sie wütend. Ein oder zwei sahen aus, als wollten sie auf mich einschlagen, aber sie haben sich zurückgehalten. Ich habe sie eine Zeitlang beobachtet, den Stein in der Hand, und dabei ist mir klar geworden, daß sie Angst davor hatten; daß sie mich nicht anrühren würden, solange ich ihn hatte.«
Er streckte die Hand aus und schloß meine Faust um den Stein.
»Halt ihn bei dir. Sollte sich eine Gefahr ergeben, hol ihn hervor.«
»Es ist doch viel wahrscheinlicher, daß du in Gefahr gerätst«, protestierte ich und versuchte, ihm den Stein zurückzugeben.
Doch er schüttelte den Kopf, und seine Haarspitzen hoben sich im Wind.
»Nein, nicht mehr jetzt, wo sie von dem Whisky wissen. Sie würden mir niemals etwas antun, solange sie nicht gehört haben, wo er ist.«
»Aber warum sollte mir Gefahr drohen?« Diese Vorstellung war beunruhigend; die Frauen waren zurückhaltend, aber nicht feindselig gewesen, und die Männer des Dorfes hatten mich mehr oder weniger ignoriert.
Er runzelte die Stirn und sah zum Dorf herunter. Von hier aus war kaum etwas zu sehen außer den äußeren Palisaden und den Rauchsäulen aus den unsichtbaren Langhäusern, die über ihnen aufschwebten.
»Ich kann es nicht sagen, Sassenach. Nur, daß ich schon lange Jäger bin - und schon gejagt worden bin. Du weißt, wie die Vögel aufhören zu singen und Stille im Wald herrscht, wenn etwas Ungewohntes in der Nähe ist?«
Er nickte zum Dorf hinüber, den Blick gebannt auf den Rauchwirbel gerichtet, als könnte eine Gestalt daraus hervorkommen.
»Hier herrscht eine solche Stille. Es geht etwas vor, das ich nicht sehen kann. Ich glaube nicht, daß es etwas mit uns zu tun hat - und doch… ist mir unwohl«, schloß er abrupt. »Und ich lebe schon zu lange, um ein solches Gefühl einfach so abzutun.«
 
Ian, der nach kurzer Zeit am Treffpunkt zu uns stieß, schloß sich dieser Meinung an.
»Aye, es ist, als ob man den Rand eines Fischernetzes festhält, das unter Wasser ist«, sagte er stirnrunzelnd. »Man kann das Gezappel in den Fingern spüren, und man weiß, daß da Fische sind - aber man kann nicht sehen, wo.« Der Wind zerzauste sein dichtes, braunes Haar; wie üblich war es halb geflochten und einzelne Strähnen lösten sich. Er strich sich eine davon geistesabwesend hinter sein Ohr.
»Irgend etwas geht bei den Leuten vor sich; irgendeine Zwistigkeit, glaube ich. Und irgend etwas ist letzte Nacht im Haus des Rates passiert. Emily weigert sich, mir zu antworten, wenn ich sie danach frage; sie wendet nur den Blick ab und sagt, daß es nichts mit uns zu tun hat. Ich glaube aber schon, irgendwie.«
»Emily?« Jamie zog eine Augenbraue hoch, und Ian grinste.
»So nenne ich sie kurz«, sagte er. »Eigentlich heißt sie Wakyo’tey-ehsnonhsa; das heißt Die-mit-den-Händen-arbeitet. Sie kann ausgezeichnet schnitzen, unsere Emily. Wollt ihr sehen, was sie für mich gemacht hat?« Er griff in seinen Beutel und brachte stolz einen winzigen Otter zum Vorschein, der aus weißem Speckstein geschnitten war. Das Tier stand hellwach da, den Kopf erhoben und zu jedem Streich bereit; ich mußte einfach lächeln, als ich es ansah.
»Sehr hübsch.« Jamie begutachtete die Schnitzerei anerkennend und strich über den geschwungenen Körper. »Das Mädchen scheint dich zu mögen, Ian.«
»Aye, tja, ich mag sie auch, Onkel Jamie.« Ian klang ganz beiläufig, doch seine mageren Wangen waren etwas röter, als man es dem kalten Wind zuschreiben konnte. Er hustete und lenkte leicht vom Thema ab.
»Sie hat zu mir gesagt, sie glaubt, daß es den Rat zu unseren Gunsten beeinflussen könnte, wenn du einige von ihnen den Whisky kosten lassen würdest, Onkel Jamie. Wenn du nichts dagegen hast, hole ich ein Faß, und heute abend gibt es ein kleines Ceilidh. Emily sorgt für alles Nötige.«
Jetzt zog Jamie beide Augenbrauen hoch, nickte aber einen Augenblick später.
»Ich vertraue auf dein Urteilsvermögen, Ian«, sagte er. »Im Haus des Rates?«
Ian schüttelte den Kopf.
»Nein. Emily sagt, es ist besser, wenn wir es im Langhaus ihrer Tante machen - die alte Tewaktenyonh ist die Schöne Frau.«
»Ist was?« fragte ich aufgeschreckt.
»Die Schöne Frau«, erklärte er und wischte sich die laufende Nase an seinem Ärmel ab. »Eine einflußreiche Frau im Dorf hat die Macht zu entscheiden, was mit Gefangenen geschehen soll; sie nennen sie die Schöne Frau, egal, wie sie aussieht. Du verstehst also, es ist zu unserem Vorteil, wenn wir Tewaktenyonh zu der Überzeugung bringen können, daß der Tausch, den wir anbieten, ein guter ist.«
»Ich schätze, einem freigelassenen Gefangenen kommt die Frau in jedem Fall schön vor«, sagte Jamie spöttisch. »Aye, ich verstehe. Mach nur; kannst du den Whisky allein holen?«
Ian nickte und wandte sich zum Gehen.
»Einen Moment, Ian«, sagte ich und zeigte ihm den Opal, als er sich zu mir zurückdrehte. »Könntest du Emily fragen, ob sie irgendwas über dies hier weiß?«
»Aye, Tante Claire, ich werd’s erwähnen. Rollo!« Er pfiff scharf durch die Zähne, und Rollo, der argwöhnisch unter einem Felsvorsprung herumgeschnüffelt hatte, ließ davon ab und sprang seinem Herrn hinterher. Jamie sah zu, wie sie gingen, ein leichtes Stirnrunzeln zwischen den Augenbrauen.
»Weißt du, wo Ian seine Nächte verbringt, Sassenach?«
»Wenn du meinst, in welchem Langhaus, ja. Wenn du meinst, in wessen Bett, nein. Ich könnte es mir aber denken.«
»Mmpfm.« Er streckte sich und schüttelte sein Haar zurück. »Komm, Sassenach, ich bringe dich ins Dorf zurück.«
Ians Ceilidh begann kurz nach Einbruch der Dunkelheit; unter den geladenen Gästen waren die prominentesten Mitglieder des Rates, die einzeln in Tewaktenyonhs Langhaus kamen und dem Sachem, Zwei Speere, ihren Respekt erwiesen, der von Jamie und Ian flankiert an der Hauptfeuerstelle saß. Ein schmales, hübsches Mädchen, von dem ich annahm, daß es Ians Emily sein mußte, saß still hinter ihm auf dem Whiskyfaß.
Außer Emily nahm keine Frau an der Whiskyprobe teil. Ich war allerdings mitgekommen, um zuzusehen, und saß an einer der kleineren Feuerstellen und hatte ein Auge auf die Vorgänge, während ich zweien der Frauen half, Zwiebelzöpfe zu flechten, und in einer stockenden Mischung aus Tuscarora, Englisch und Französisch gelegentliche Höflichkeiten mit ihnen austauschte.
Die Frau, an deren Feuerstelle ich saß, bot mir einen Kürbisbecher mit Sprossenbier und eine Art Maismehlbrei als Erfrischung an. Ich tat mein Bestes, es freundlich entgegenzunehmen, doch mein Magen war so verkrampft, daß ich nur anstandshalber den Versuch machte zu essen.
Zu viel hing von dieser spontanen Feierlichkeit ab. Roger war hier; irgendwo im Dorf, das wußte ich. Er lebte; ich konnte nur hoffen, daß es ihm gut ging - zumindest gut genug zum Reisen. Ich blickte zum anderen Ende des Lagerhauses, zur größten Feuerstelle. Ich konnte nicht mehr von Tewaktenyonh sehen als die Rundung ihres weiß gesträhnten Kopfes; ein seltsamer Stoß durchfuhr mich bei dem Anblick, und ich berührte Nayawennes Amulett, das als kleine Verdickung unter meinem Hemd hing.
Sobald die Gäste versammelt waren, wurde ein grober Kreis um die Feuerstelle herum gebildet und das geöffnete Whiskyfaß in dessen Mitte gestellt. Zu meiner Überraschung kam auch das Mädchen in den Kreis und nahm neben dem Faß Platz, einen Schöpfbecher in der Hand.
Nach ein paar Worten von Zwei Speere nahmen die Festivitäten ihren Lauf, wobei das Mädchen die Whiskyportionen abmaß. Dies tat sie nicht etwa, indem sie den Whisky in die Becher goß, sondern indem sie ihn schluckweise aus dem Kürbisbecher in den Mund nahm und sorgfältig drei Schlucke in jeden Becher spuckte, bevor sie ihn einem der Männer aus dem Kreis gab. Ich blickte zu Jamie, der zunächst ein verblüfftes Gesicht machte, seinen Becher aber höflich entgegennahm und ohne Zögern trank.
Ich fragte mich, wieviel Whisky das Mädchen wohl durch ihre Mundschleimhaut absorbierte. Nicht annähernd so viel wie die Männer, wobei ich glaubte, daß es einer Menge bedurfte, um Zwei Speere aufzuheitern, der ein verschwiegener alter Schurke war und dessen Gesicht wie eine mißmutige Pflaume aussah. Doch bevor die Feier richtig in Gang gekommen war, wurde ich durch die Ankunft eines kleinen Jungen abgelenkt, Sprößling einer meiner Begleiterinnen. Er kam schweigend herein, setzte sich neben seine Mutter und lehnte sich schwer an sie. Sie sah ihn scharf an, legte dann ihre Zwiebeln hin und erhob sich mit einem Ausruf der Besorgnis.
Der Schein des Feuers fiel auf den Jungen, und ich konnte sofort sehen, daß er auf merkwürdig zusammengekauerte Weise dasaß. Ich erhob mich hastig auf die Knie und schob den Zwiebelkorb beiseite. Ich beugte mich vor, ergriff seinen andern Arm und drehte ihn zu mir hin. Seine linke Schulter war leicht ausgerenkt; er schwitzte, die Lippen vor Schmerzen fest zusammengepreßt.
Ich wandte mich gestikulierend an seine Mutter, die zögerte und mich stirnrunzelnd ansah. Der Junge machte ein leises Wimmergeräusch, und sie zog ihn fort und hielt ihn fest. Einer plötzlichen Eingabe folgend zog ich Nayawennes Amulett aus meinem Hemd; sie würde nicht wissen, wem es gehörte, würde aber vielleicht erkennen, was es war. So war es dann auch; ihre Augen weiteten sich beim Anblick des kleinen Lederbeutels.
Der Junge gab keinen Ton mehr von sich, doch ich konnte im Feuerschein sehen, wie ihm der klare Schweiß über die unbehaarte Brust lief. Ich nestelte an dem Band herum, das den Beutel verschlossen hielt, und grub im Inneren nach dem groben, blauen Stein. Pierre sans peur, hatte Gabrielle ihn genannt. Der furchtlose Stein. Ich ergriff die gesunde Hand des Jungen, drückte ihm den Stein fest in die Handfläche und schloß seine Finger darum.
»Je suis une sorcière«, sagte ich leise. »C’est médecine, là.« Vertrau mir, dachte ich. Hab’ keine Angst. Ich lächelte ihn an.
Der Junge starrte mich mit runden Augen an; die beiden Frauen am Feuer wechselten Blicke und sahen dann wie eine Person zu der weiter entfernten Feuerstelle hinüber, an der die alte Frau saß.
Beim Ceilidh wurde geredet; jemand erzählte eine alte Geschichte - ich erkannte das Auf und Ab der formellen Rhythmen. Ich hatte schon öfter gehört, wie Highlander auf ähnliche Weise ihre Geschichten und Legenden auf Gälisch erzählten; es hörte sich fast genauso an.
Die Mutter nickte; ihre Schwester schritt schnell der Länge nach durch das Haus. Ich drehte mich nicht um, hörte aber, wie hinter mir das Interesse erwachte, als sie an den anderen Feuerstellen vorbeikam; Köpfe wandten sich und sahen zu uns herüber. Ich hielt meinen Blick auf das Gesicht des Jungen gerichtet, lächelte und hielt seine Hand fest in der meinen.
Die Schritte der Schwester traten leise hinter mich. Die Mutter des Jungen ließ ihn zögernd los und überließ ihn mir. Die Erlaubnis war erteilt.
Es war ein leichtes, das Gelenk wieder einzurenken; er war ein kleiner Junge, die Verletzung unwesentlich. Seine Knochen waren leicht unter meiner Hand. Ich lächelte ihn an, während ich das Gelenk abtastete und den Schaden einschätzte. Dann schnell den Arm gedreht, mit dem Ellbogen gekreist, den Arm hochgeschwungen - und es war geschehen.
Der Junge sah zutiefst überrascht aus. Es war eine höchst zufriedenstellende Operation, da der Schmerz fast augenblicklich nachließ. Er befühlte seine Schulter und lächelte dann schüchtern zurück. Ganz langsam öffnete er die Hand und hielt mir den Stein hin.
Die kleine Sensation, die ich damit hervorgerufen hatte, nahm meine Aufmerksamkeit eine Zeitlang in Anspruch, während die Frauen näherrückten, den Jungen berührten und inspizierten und ihre Freundinnen herbeizitierten, damit sie einen Blick auf den matten Saphir warfen. Als ich meine Aufmerksamkeit wieder auf das Whiskygelage an der entfernteren Feuerstelle lenken konnte, waren die Festivitäten schon fortgeschritten. Ian sang auf Gälisch, ziemlich schräg und aufs Geratewohl von einem oder zwei der anderen Männer begleitet, die mit dem verrückten, schrillen Haihai! einfielen, das ich dann und wann auch bei Nayawennes Leuten gehört hatte.
Als hätte mein Gedanke sie heraufbeschworen, spürte ich einen Blick in meinem Rücken, und als ich mich umdrehte, sah ich, wie mich Tewaktenyonh beständig von ihrer eigenen Feuerstelle am Ende des Langhauses beobachtete. Ich erwiderte ihren Blick und nickte ihr zu. Sie beugte sich zur Seite, um etwas zu einer der jungen Frauen an der Feuerstelle zu sagen, die sich daraufhin erhob und auf mich zukam, wobei sie vorsichtig ein paar Kleinkindern auswich, die unter dem Schlafverschlag ihrer Familie spielten.
»Meine Großmutter fragt, ob Ihr zu ihr kommt.« Die junge Frau hockte sich neben mich und sprach ruhig auf Englisch. Ich war überrascht, wenn auch nicht erstaunt, es zu hören. Onakara hatte recht gehabt, einige der Mohawk konnten etwas Englisch. Sie benutzten es allerdings nur, wenn es unumgänglich war, und bevorzugten sonst ihre eigene Sprache.
Ich erhob mich und begleitete sie zu Tewaktenyonhs Feuerstelle und fragte mich, was wohl hinter der Einladung der Schönen Frau stecken mochte. Ich hatte meine eigenen Beweggründe; den Gedanken an Roger und an Brianna.
Die alte Frau lud mich mit einem Kopfnicken ein, mich zu setzen, und redete mit dem Mädchen, ohne den Blick von mir abzuwenden.
»Meine Großmutter fragt, ob sie Eure Medizin sehen darf.«
»Natürlich.« Ich konnte den Blick der alten Frau auf meinem Amulett sehen. Neugierig sah sie zu, wie ich den Saphir herausholte. Ich selbst hatte Nayawennes Spechtfeder noch zwei weitere Federn hinzugefügt, die steifen, schwarzen Flügelfedern eines Raben.
»Ihr seid die Frau von Bärentöter?«
»Ja. Die Tuscarora nennen mich Weißer Rabe«, sagte ich, und das Mädchen fuhr erschrocken zusammen. Sie übersetzte es schnell für ihre Großmutter. Die Alte riß die Augen weit auf, und sie sah mich konsterniert an. Offenbar war dies nicht der vielversprechendste Name. Ich lächelte sie an, wobei ich den Mund geschlossen hielt; die Indianer entblößten normalerweise ihre Zähne nur beim Lachen.
Die Alte gab mir den Stein zurück. Sie studierte mich genau und sprach dann mit ihrer Enkeltochter, ohne mich aus den Augen zu lassen.
»Meine Großmutter hat gehört, daß auch Euer Mann einen Glitzerstein bei sich trägt«, dolmetschte das Mädchen.»Sie würde gern mehr darüber hören; was es für einer ist und wie Ihr daran gekommen seid.«
»Sie kann ihn sich gern ansehen.« Die Augen des Mädchens weiteten sich vor Überraschung, als ich in den Beutel an meiner Taille griff und den Stein hervorzog. Ich hielt der alten Frau den Stein hin; sie beugte sich vor und sah ihn sich genau an, machte aber keinerlei Anstalten, ihn mir abzunehmen.
Tewaktenyonhs Arme waren braun und unbehaart und hatten das Aussehen von glattem, von Falten durchzogenem Satinholz. Doch als ich jetzt hinsah, sah ich, wie sie von einer Gänsehaut überzogen wurden, als sich Haare, die es nicht mehr gab, in vergeblicher Abwehr sträubten. Sie hat ihn schon einmal gesehen, dachte ich. Oder sie weiß zumindest, was er bedeutet.
Ich hatte die Worte der Dolmetscherin nicht nötig; ihr Blick traf den meinen direkt und ich hörte die Frage deutlich, auch wenn die Worte noch so fremd waren.
»Wie ist dies zu Euch gelangt?« sagte sie, und das Mädchen wiederholte es wörtlich.
Ich ließ die Hand offen liegen; der Opal schmiegte sich eng in meine Handfläche; seine Farben straften sein Gewicht Lügen, denn sie schillerten wie eine Seifenblase in meiner Hand.
»Er ist in einem Traum gekommen«, sagte ich schließlich, denn ich wußte nicht, wie ich es sonst erklären sollte.
Die alte Frau atmete in einem Seufzer aus. Die Furcht verschwand nicht ganz aus ihren Augen, wurde aber von etwas anderem überlagert - Neugier vielleicht? Sie sagte etwas, und eine der Frauen erhob sich von der Feuerstelle und kramte in einem Korb herum. Sie kam zurück, bückte sich neben der Alten und reichte ihr etwas.
Die Alte begann zu singen, leise, mit einer vom Alter gebrochenen Stimme, die dennoch immer noch kraftvoll war. Sie rieb die Hände über dem Feuer aneinander, und ein Schauer kleiner, brauner Partikel regnete auf das Feuer herab, um sogleich als Rauch wieder aufzusteigen, schwer vom Tabakduft.
Es war eine ruhige Nacht; von der Feuerstelle, wo die Männer tranken, konnte ich das Auf und Ab von Stimmen und lautem Gelächter hören. Ab und zu konnte ich ein Wort in Jamies Stimme ausmachen - er sprach Französisch. War Roger vielleicht so nah, daß er es auch hören konnte?
Ich holte tief Luft. Der Rauch stieg in einer dünnen, weißen Säule senkrecht vom Feuer auf, und der starke, süße Tabakduft vermischte sich mit dem Geruch der kalten Luft. Ich erinnerte mich plötzlich an Briannas Highschool-Fußballspiele; an anheimelnde Gerüche nach Wolldecken und Thermoskannen voll Kakao, Zigarettenrauchwölkchen, die aus der Menge hochschwebten. Weiter zurück lagen andere, schroffere Erinnerungen, an junge Männer in Uniform, die im gebrochenen Licht der Landeplätze ihre Glimmstengel ausdrückten und ihrer Schlacht entgegenrannten, und der Rauchgeruch in der Winterluft war das einzige, was von ihnen übrigblieb.
Tewaktenyonh sprach, den Blick immer noch auf mich gerichtet, und die leise Stimme des Mädchens fiel ein.
»Erzählt mir diesen Traum.«
War es wirklich ein Traum, den ich ihr erzählen würde, oder eine Erinnerung wie diese, herbeigetragen auf den rauchenden Flügeln eines brennenden Baumes? Es spielte keine Rolle; hier waren all meine Erinnerungen Träume.
Ich erzählte es ihr, soweit ich konnte. Die Erinnerung - an den Sturm und meinen Unterschlupf unter den Wurzeln des Lebensbaumes, den Schädel, der zusammen mit dem Stein vergraben war - und den Traum; das Licht auf dem Berg und den Mann mit dem schwarz bemalten Gesicht - und ich verschmolz beides ohne Unterschiede.
Die Alte beugte sich vor, und das Erstaunen in ihren Gesichtszügen war ein Spiegelbild des Erstaunens ihrer Enkeltochter.
»Ihr habt den Feuerträger gesehen?« platzte das Mädchen heraus. »Ihr habt sein Gesicht gesehen?« Sie wich vor mir zurück, als könnte ich ihr gefährlich werden.
Die Alte ergriff gebieterisch das Wort; ihr Erschrecken war einem durchdringenden Blick des Interesses gewichen. Sie stieß das Mädchen an und wiederholte ungeduldig ihre Frage.
»Meine Großmutter fragt, könnt Ihr sagen, wie er ausgesehen hat; was er anhatte?«
»Nichts. Einen Lendenschurz, meine ich. Und er war angemalt.«
»Angemalt? Wie?« fragte das Mädchen auf die scharfe Frage ihrer Großmutter hin.
So sorgfältig, wie ich konnte, beschrieb ich die Körperbemalung des Mannes, den ich gesehen hatte. Das war nicht schwierig; wenn ich die Augen schloß, konnte ich ihn noch genauso deutlich sehen, wie er mir auf dem Berghang erschienen war.
»Und sein Gesicht war schwarz von der Stirn bis zum Kinn«, schloß ich und öffnete die Augen.
Die Dolmetscherin wurde sichtlich nervös, während ich den Mann beschrieb; ihre Lippen zitterten, und sie blickte angstvoll von mir zu ihrer Großmutter. Doch die alte Frau hörte aufmerksam zu, mit suchendem Blick, denn sie versuchte, den Sinn in meinem Gesicht abzulesen, bevor die Worte verzögert ihre Ohren erreichen konnten.
Als ich fertig war, blieb sie still sitzen, den dunklen Blick in meine Augen versenkt. Schließlich nickte sie, hob ihre faltige Hand und berührte die Wampumstränge, die ihr über die Schulter hingen. Myers hatte mir davon erzählt, so daß ich die Geste erkannte. Das Wampum war ihre Familiengeschichte, ihr Amtszeichen; wenn sie es beim Sprechen festhielt, dann war das wie ein Zeugnis, das auf die Bibel abgelegt wurde.
»Am Grünen Maisfest vor so vielen Jahren« - die Dolmetscherin zeigte mir viermal alle zehn Finger - »kam ein Mann aus dem Norden zu uns. Seine Sprache war seltsam, aber wir konnten ihn verstehen, er sprach wie ein Canienga oder vielleicht Onondaga, wollte uns aber seinen Stamm oder sein Dorf nicht nennen - nur seinen Clan, den der Schildkröte. Er war ein wilder Mann, aber auch ein tapferer. Er war ein guter Jäger und ein Krieger. Oh, ein schöner Mann; alle Frauen haben ihn gern angesehen, aber wir hatten Angst, ihm zu nahe zu kommen.« Tewaktenyonh hielt einen Augenblick inne, und der entfernte Blick in ihrem Gesicht ließ mich zurückrechnen; sie mußte damals eine erwachsene Frau gewesen sein, aber immer noch jung genug, um sich von dem furchterregenden, faszinierenden Fremden beeindrucken zu lassen.
»Die Männer waren nicht so vorsichtig; Männer sind nicht so.« Sie warf einen kurzen, sardonischen Blick auf das Ceilidh, das von Minute zu Minute lauter wurde. »Also setzten sie sich mit ihm zusammen und rauchten mit ihm, tranken Sprossenbier und hörten ihm zu. Er redete vom Mittag bis zur Dämmerung und weiter in der Nacht am Feuer. Sein Gesicht war immer wild, weil er vom Krieg sprach.«
Sie seufzte, und ihre Finger schlossen sich um die purpurfarbenen Muschelstränge.
»Immer Krieg. Nicht gegen die Froschesser aus dem Nachbardorf oder die, die Elchdung essen. Nein, wir sollten unsere Tomahawks gegen die O’seronni erheben. Bringt sie alle um, sagte er, von den Ältesten bis zu den Jüngsten, von der Vertragsgrenze bis zum großen Wasser. Geht zu den Cayuga, schickt Boten zu den Seneca, laßt den Irokesenbund vereint ausziehen. Geht, bevor es zu spät ist, sagte er.«
Eine ihrer zerbrechlichen Schultern hob und senkte sich.
»›Zu spät wozu?‹, fragten die Männer. ›Und warum sollen wir ohne Grund einen Krieg beginnen? Wir brauchen nichts in diesem Jahr; wir haben keinen Vertrag‹ - dies war vor der Zeit der Franzosen, versteht Ihr? ›Es ist eure letzte Chance‹, sagte er zu ihnen. ›Vielleicht ist es schon zu spät. Sie verführen uns mit ihrem Metall, locken uns mit der Hoffnung auf Messer und Gewehre in ihre Nähe und zerstören uns im Tausch für ein paar Kochtöpfe. Kehrt um, Brüder! Ihr habt Bräuche aufgegeben, die so alt sind, daß man die Jahre nicht zählen kann. Kehrt um, sage ich - oder es wird euer Ende sein. Eure Geschichten werden in Vergessenheit geraten. Tötet sie jetzt, oder sie werden euch fressen.‹
Und mein Bruder - er war damals Sachem, und mein anderer Bruder war der Häuptling - sagte, das sei dummes Zeug. Uns mit Werkzeugen zerstören? Uns fressen? Die Weißen verspeisen nicht einmal in der Schlacht die Herzen ihrer Feinde.
Die jungen Männer hörten ihm zu; sie hören auf jeden, der eine laute Stimme hat. Aber die Alten sahen den Fremden skeptisch an und sagten nichts.
Er wußte es«, sagte sie, und die Alte nickte zustimmend. Sie sprach beinahe schneller, als ihre Enkeltochter übersetzen konnte. »Er wußte, was geschehen würde - daß die Briten und die Franzosen einander bekriegen würden und uns um unsere Hilfe ersuchen würden, jeder gegen den anderen. Er sagte, das würde der Zeitpunkt sein; wenn sie einander bekämpften, dann müßten wir uns gegen sie beide erheben und sie auslöschen.
Tawineonawira - Otterzahn - das war sein Name - sagte zu mir: ›Ihr lebt für den Augenblick. Ihr kennt die Vergangenheit, doch ihr seht nicht in die Zukunft. Eure Männer sagen, wir brauchen nichts in diesem Jahr, also rühren sie sich nicht. Eure Frauen finden es leichter, in einem Eisenkessel zu kochen als Tontöpfe herzustellen. Ihr seht nicht, was wegen eurer Faulheit, eurer Gier geschehen wird.‹
›Das ist nicht wahr‹, sagte ich zu ihm. ›Wir sind nicht faul. Wir gerben Felle, wir trocknen Fleisch und Mais, wir pressen das Öl aus den Sonnenblumen und füllen es in Gefäße; wir sorgen für das kommende Jahr - immer. Wenn wir es nicht täten, würden wir sterben. Und was haben Töpfe und Kessel damit zu tun?‹
Da lachte er, aber sein Blick war traurig. Wenn er mit mir zusammen war, war er nicht immer wild, versteht Ihr.« Bei diesen Worten glitt der Blick der jungen Frau zu ihrer Großmutter hinüber, dann wandte sie ihn ab und hielt ihn wieder auf ihren Schoß gerichtet.
»›Frauensorgen‹, sagte er und schüttelte den Kopf. ›Ihr denkt darüber nach, was ihr essen, was ihr anziehen sollt. Das spielt alles keine Rolle. Männer können darüber nicht nachdenken.‹
›Du kannst ein Hodeenosaunee sein und so denken?‹ sagte ich. ›Woher kommst du, daß es dir egal ist, was die Frauen denken?‹
Er schüttelte wieder den Kopf und sagte: ›Euer Blick reicht nicht weit genug.‹ Ich fragte ihn, wie weit er denn sehen konnte, aber er wollte nicht antworten.«
Ich kannte die Antwort darauf, und trotz des Feuers überzog sich meine Haut ebenfalls mit einer Gänsehaut. Ich wußte viel zu gut, wie weit er gesehen hatte - und wie gefährlich der Blick von dieser Klippe war.
»Aber nichts von dem, was ich sagte, hat etwas genutzt«, fuhr die Alte fort, »und die Worte meiner Brüder ebenfalls nicht. Otterzahn wurde noch wütender. Eines Tages kam er heraus und tanzte den Kriegstanz. Er war bemalt - seine Arme und Beine waren rot gestreift -, und er sang und brüllte durch das Dorf. Alle kamen heraus, um ihm zuzusehen, zu sehen, wer sich ihm anschließen würde, und als er seinen Tomahawk in den Kriegsbaum gerammt und gerufen hatte, er würde bei den Shawnee Pferde stehlen und plündern gehen, folgte ihm eine Anzahl der jungen Männer.
Sie blieben die Dauer eines Mondlaufes fort und kamen mit Pferden und mit Skalps zurück. Weißen Skalps, und meine Brüder wurden wütend. Es würde Soldaten aus dem Fort zu uns führen, sagten sie - oder Rachefeldzüge von den Siedlungen an der Vertragsgrenze, wo sie die Skalps erbeutet hatten.
Otterzahn antwortete geradeheraus, er hoffte, daß dies geschähe; dann würden wir zum Kampf gezwungen werden. Und er sagte offen, daß er solche Raubzüge wiederholen würde - wieder und wieder, bis das ganze Land in Aufruhr war und wir endlich einsähen, daß es so war, wie er sagte; daß wir die O’seronni töten oder selber sterben müßten.
Niemand konnte ihn daran hindern, seine Worte in Taten umzusetzen, und ein paar von den jungen Männern waren Hitzköpfe; sie folgten ihm, egal, was die anderen sagten. Mein Bruder, der Sachem, errichtete sein Medizinzelt und rief die Große Schildkröte um Rat an. Er blieb einen Tag und eine Nacht in dem Zelt. Das Zelt schüttelte sich und schwankte, und es erklangen Stimmen darin, und die Menschen hatten Angst.
Als mein Bruder aus dem Zelt kam, sagte er, Otterzahn müßte das Dorf verlassen. Er würde tun, was er tun würde, aber wir würden nicht zulassen, daß er die Vernichtung über uns brachte. Er stürzte die Menschen in Uneinigkeit; er müßte gehen.
Otterzahn wurde wütender, als wir ihn je gesehen hatten. Er stellte sich in die Mitte des Dorfes und brüllte, bis die Adern an seinem Hals vorsprangen und seine Augen rot vor Raserei waren.« Das Mädchen senkte die Stimme. »Er brüllte schreckliche Dinge. Dann wurde er ganz still und wir hatten Angst. Er sagte Dinge, die uns jeden Mut nahmen. Selbst diejenigen, die sich ihm angeschlossen hatten, hatten jetzt Angst vor ihm.
Er schlief nicht, und er aß nicht. Einen ganzen Tag und eine ganze Nacht und den ganzen nächsten Tag redete er weiter. Er ging wieder und wieder durch das Dorf, blieb an den Türen der Häuser stehen und redete, bis die Bewohner des Hauses ihn vertrieben. Und dann ist er fortgegangen.
Aber er kam wieder zurück. Und wieder. Er ging fort und versteckte sich im Wald, doch dann war er wieder da, nachts an den Feuern, dünn und hungrig, mit glühenden Augen wie ein Fuchs und er redete ohne Unterlaß. Seine Stimme erfüllte nachts das Dorf, und niemand konnte schlafen.
Uns dämmerte, daß er von einem bösen Geist besessen war; vielleicht war es Atatarho, aus dessen Kopf Hiawatha die Schlangen gekämmt hatte, vielleicht waren die Schlangen auf der Suche nach einem Zuhause zu diesem Mann gekommen. Schließlich sagte mein Bruder, der Kriegshäuptling, dies müsse ein Ende haben; er müßte gehen, sonst würden wir ihn umbringen.«
Tewaktenyonh hielt inne. Ihre Finger, die unablässig über das Wampum gestrichen hatten, als zöge sie die Kraft für ihre Erzählung daraus, standen jetzt still.
»Er war ein Fremder«, sagte sie leise. »Aber ihm war nicht klar, daß er ein Fremder war. Ich glaube, das hat er nie verstanden.«
Am anderen Ende wurde das Trinkgelage langsam laut; alle Männer lachten jetzt und schwankten vor Belustigung hin und her. Ich konnte die Stimme des Mädchens Emily hören, höher, ebenfalls lachend. Tewaktenyonh blickte mit einem leichten Stirnrunzeln in diese Richtung.
Mir lief es eiskalt über den Rücken. Ein Fremder. Ein Indianer, seinem Gesicht nach zu urteilen, seiner Sprache nach; seiner etwas seltsamen Aussprache. Ein Indianer - mit Silberfüllungen in den Zähnen. Nein, er hatte es nicht verstanden. Er hatte gedacht, sie wären trotz allem sein Volk. Da er ihre Zukunft kannte, war er gekommen, um sie zu retten. Wie hätte er ernstlich glauben können, daß sie ihm etwas tun würden?
Doch sie hatten es ernst gemeint. Sie hatten ihn entkleidet, sagte Tewaktenyonh, und ihr Gesichtsausdruck war abwesend. Sie hatten ihn an einen Pfahl in der Dorfmitte gebunden und sein Gesicht mit einer Tinte bemalt, die aus Ruß und Eichengalle bestand.
»Schwarz bedeutet Tod; alle Gefangenen, die getötet werden sollen, werden so angemalt«, sagte das Mädchen. Sie zog die Augenbraue ein wenig in die Höhe. »Habt Ihr das gewußt, als Ihr dem Mann auf dem Berg begegnet seid?«
Ich schüttelte stumm den Kopf. Der Opal war in meiner Hand warm geworden, schlüpfrig vom Schweiß.
Sie hatten ihn eine Zeitlang gefoltert; mit angespitzten Stöcken auf seinen nackten Körper eingestochen, dann mit glühenden Kohlen, so daß Blasen entstanden, die dann aufplatzten, so daß ihm die Haut in Fetzen herabhing. Er hatte es gefaßt ertragen, ohne aufzuschreien, und das hatte ihnen gefallen. Er machte immer noch einen kräftigen Eindruck, daher ließen sie ihn über Nacht stehen, immer noch an den Pfahl gefesselt.
»Am Morgen war er fort.« Das glatte Gesicht der Frau war voller Geheimnisse. Niemand würde je erfahren, ob sie erfreut, erleichtert oder besorgt über sein Entkommen gewesen war.
»Ich sagte, sie sollten ihm nicht folgen, aber mein Bruder hielt es für falsch; er würde nur zurückkommen, wenn wir es nicht zu Ende brächten.«
Also war eine Gruppe von Kriegern aus dem Dorf aufgebrochen und hatte sich auf Otterzahns Spur begeben. Da sie so blutig war, war sie nicht schwierig zu verfolgen gewesen.
»Sie sind ihm gen Süden hinterhergejagt. Wieder und wieder dachten sie, sie hätten ihn, doch er war stark. Er rannte weiter. Vier Tage lang sind sie ihm gefolgt, und schließlich spürten sie ihn in einem Espenhain auf, blattlose Bäume im Schnee mit Ästen so weiß wie Fingerknochen.«
Sie sah die Frage, die bei diesen Worten in meinen Augen aufleuchtete, und nickte.
»Mein Bruder, der Kriegshäuptling, ist dabeigewesen. Er hat es mir hinterher erzählt.
Er war allein und unbewaffnet. Er hatte keine Chance, und er wußte es. Aber er stellte sich ihnen dennoch entgegen - und er redete. Selbst nachdem einer der Männer seinen Mund mit einem Keulenhieb getroffen hatte, sprach er trotz des Blutes, spuckte die Worte mit seinen zertrümmerten Zähnen aus.
Er war ein tapferer Mann«, sagte sie sinnierend. »Er hat nicht gebettelt. Er hat dieselben Dinge wie zuvor zu ihnen gesagt, aber mein Bruder hat gesagt, diesmal war es anders. Vorher war er so heiß wie Feuer gewesen; im Sterben war er so kalt wie Schnee - und weil sie so kalt waren, jagten seine Worte den Kriegern Angst und Schrecken ein.
Auch, als der Fremde schon tot im Schnee lag, schienen seine Worte den Kriegern weiter in den Ohren zu klingen. Sie legten sich schlafen, doch seine Stimme sprach in ihren Träumen zu ihnen und hielt sie wach. Ihr werdet in Vergessenheit geraten. Es wird die Nationen der Irokesen nicht mehr geben. Niemand wird mehr eure Geschichten erzählen. Alles, was ihr seid und gewesen seid, wird verlorengehen.
Sie wandten sich heimwärts, doch seine Stimme folgte ihnen. Nachts konnten sie nicht schlafen, weil sie seine bösen Worte im Ohr hatten. Tagsüber hörten sie Schreie und Flüstern aus den Bäumen an ihrem Weg. Manche von ihnen sagten, es seien nur die Rufe der Raben, aber andere sagten, nein, sie hörten ihn deutlich.
Schließlich, so sagte mein Bruder, war klar, daß dieser Mann ein Zauberer war.«
Die Alte sah mich scharf an. Je suis une sorcière, hatte ich gesagt. Ich schluckte, und meine Hand fuhr zu dem Amulett an meinem Hals.
»Was sie tun mußten, sagte mein Bruder, war, ihm den Kopf abzutrennen, dann würde er nicht mehr reden. Also kehrten sie zurück und schnitten ihm den Kopf ab und banden ihn an die Zweige einer Fichte. Aber auch in dieser Nacht hörten sie im Schlaf seine Stimme, und sie erwachten mit ausgelaugten Herzen. Die Raben hatten ihm die Augen ausgepickt, doch der Kopf redete immer noch.
Ein Mann, der sehr tapfer war, sagte, er würde den Kopf nehmen und ihn weit weg begraben.« Sie lächelte kurz. »Dieser tapfere Mann war mein Mann. Er wickelte den Kopf in ein Stück Hirschleder und lief damit weit nach Süden, und der Kopf redete immer noch unablässig unter seinem Arm, so daß er sich die Ohren mit Bienenwachs verstopfen mußte. Schließlich sah er einen sehr großen Lebensbaum, und er wußte, daß dies die Stelle war, denn der Lebensbaum hat einen starken, heilenden Geist.
Also hat er den Kopf unter den Wurzeln des Baumes vergraben, und als er das Bienenwachs aus seinen Ohren nahm, konnte er nur den Wind und das Wasser hören. Dann ging er heim, und niemand in diesem Dorf hat Otterzahns Namen jemals wieder erwähnt, von jenem Tag an bis zu diesem.«
Das Mädchen sprach zu Ende, den Blick auf ihre Großmutter gerichtet. Es stimmte offenbar; sie hörte diese Geschichte zum ersten Mal.
Ich schluckte und versuchte, ungehindert Luft zu holen. Der Rauch war während ihrer Erzählung versiegt und hatte sich in einer tiefhängenden Wolke über unseren Köpfen gesammelt, sein narkotisches Parfüm lag schwer in der Luft.
Die Heiterkeit im Kreis der Trinker hatte nachgelassen. Einer der Männer stand auf und ging stolpernd aus dem Haus. Zwei weitere lagen im Halbschlaf auf der Seite am Feuer.
»Und dies?« sagte ich und hielt ihr den Opal hin. »Habt ihr den Stein schon einmal gesehen? Hat er ihm gehört?«
Tewaktenyonh streckte die Hand aus, als wollte sie den Stein berühren, zog sie dann aber zurück.
»Es gibt eine Legende«, sagte das Mädchen, ohne den Blick von dem Opal abzuwenden. »Magische Schlangen tragen Steine in ihren Köpfen. Wer eine solche Schlange tötet und den Stein an sich nimmt, dem verleiht er große Kraft.« Sie rutschte beklommen hin und her, und genau wie sie konnte ich mir ohne Probleme vorstellen, wie groß eine Schlange sein mußte, die einen solchen Stein in sich trug.
Die Alte sprach plötzlich und wies kopfnickend auf den Stein. Das Mädchen fuhr auf, wiederholte aber gehorsam die Worte.
»Es war seiner«, sagte sie. »Er nannte ihn seine Far-ka
Ich sah die Dolmetscherin an, doch sie schüttelte den Kopf. Far-ka«, sagte sie ganz deutlich. »Ist das kein Wort aus Eurer Sprache?«
Ich schüttelte den Kopf.
Nach dem Ende ihrer Erzählung lehnte sich die alte Frau in ihre Felle zurück und beobachtete mich voller Spekulation. Ihr Blick ruhte auf dem Amulett um meinen Hals.
»Warum hat er zu Euch gesprochen? Warum hat er Euch das gegeben?« Sie wies kopfnickend auf meine Hand, und meine Finger schlossen sich instinktiv um den gerundeten Opal.
»Ich weiß es nicht«, sagte ich, aber sie hatte mich überrumpelt; ich hatte keine Zeit gehabt, mein Gesicht vorzubereiten.
Sie fixierte mich mit einem durchdringenden Blick. Sie wußte genau, daß ich log - und doch, wie hätte ich ihr die Wahrheit sagen sollen? Ihr sagen sollen, was Otterzahn - wie auch immer er wirklich hieß - gewesen war? Ganz zu schweigen davon, daß seine Prophezeiungen wahr waren?
»Ich glaube, er gehörte vielleicht zu meiner …Familie«, sagte ich schließlich und erinnerte mich daran, was mir Pollyanne über die Geister der Vorfahren erzählt hatte. Es war nicht zu sagen, woher - oder aus welcher Zeit - er gekommen war; ich nahm an, daß er ein Vorfahr oder ein Nachkomme sein mußte. Wenn nicht von mir, dann von jemandem wie mir.
Bei diesen Worten setzte sich Tewaktenyonh kerzengerade auf und sah mich erstaunt an. Langsam verblaßte der Ausdruck, und sie nickte.
»Er hat Euch zu mir geschickt, damit ihr dies hört. Er hatte unrecht«, erklärte sie selbstsicher. »Mein Bruder hat gesagt, wir sollten nicht von ihm sprechen; wir sollten ihn dem Vergessen anheimfallen lassen. Aber niemand ist vergessen, solange es noch zwei Menschen unter dem Himmel gibt. Einen, um seine Geschichte zu erzählen, den anderen, um sie zu hören. Also.«
Sie streckte die Hand aus und berührte die meine, achtete aber darauf, nicht an den Stein zu kommen. Das feuchte Glitzern in ihren Augen hätte vom Tabakrauch stammen können.
»Ich bin der eine. Ihr der andere. Er ist unvergessen.«
Sie winkte dem Mädchen, das sich schweigend erhob und uns Speisen und Getränke brachte.
Als ich schließlich aufstand, warf ich einen Blick auf das Trinkgelage. Der Boden war mit schnarchenden Gestalten übersät, und das Faß lag leer auf der Seite. Zwei Speere lag friedlich auf dem Rücken, und ein seliges Lächeln vertiefte die Falten in seinem Gesicht. Das Mädchen, Ian und Jamie waren fort.
Jamie stand vor dem Haus und wartete auf mich. Sein Atem stieg weiß in der Nachtluft auf, und aus seinem Plaid wehten mir Tabak-und Whiskygerüche entgegen.
»Ihr scheint euch amüsiert zu haben«, sagte ich und ergriff seinen Arm. »Irgendwelche Fortschritte, was meinst du?«
»Ich glaube schon.« Wir gingen Seite an Seite an der großen zentralen Lichtung entlang zu dem Langhaus, in dem unser Quartier war. »Es hat gut funktioniert. Ian hatte recht, Gott sei Dank; jetzt, wo sie gesehen haben, daß dieses kleine Ceilidh keinen Schaden angerichtet hat, werden sie, glaube ich, geneigt sein, sich auf den Handel einzulassen.«
Ich blickte auf die Reihe der Langhäuser, die dahintreibenden Rauchwolken und den Feuerschein, der aus Rauchabzügen und Türeingängen drang. War Roger jetzt in einem davon? Ich zählte mechanisch, wie ich es jeden Tag tat - sieben Monate. Der Boden taute jetzt; wenn wir einen Teil des Weges auf dem Fluß zurücklegten, konnten wir es vielleicht in einem Monat schaffen - höchstens sechs Wochen. Ja, wenn wir bald aufbrachen, würden wir rechtzeitig kommen.
»Und du, Sassenach? Du scheinst eine sehr ernste Unterhaltung mit der alten Dame gehabt zu haben. Hat sie etwas von dem Stein gewußt?«
»Ja. Komm herein, und ich erzähl’s dir.«
Er hob das Fell an, das vor der Tür hing, und ich trat ein. Der Opal lag als solides Gewicht in meiner Hand. Sie hatten nicht verstanden, wie er ihn genannt hatte, aber ich wußte es. Der Mann namens Otterzahn, der gekommen war, um einen Krieg zu beginnen, eine Nation zu retten - mit Silberfüllungen in seinen Zähnen. Ja, ich wußte, was sie war, die Far-ka.
Seine unbenutzte Rückfahrkarte. Mein Erbe.
Der Ruf Der Trommel
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