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In welchem Kapitel wir einem Geist
begegnen
»Zehn, elf, zwölf… und zwei, und sechs… ein Pfund,
acht Schillinge, Sixpence, zwei Farthings!« Fergus ließ die letzte
Münze feierlich in den Stoffbeutel fallen, zog ihn zu und reichte
ihn Jamie. »Und drei Knöpfe«, fügte er hinzu, »aber die habe ich
behalten«. Er klopfte sich auf seinen Rock.
»Hast du bei dem Wirt unser Essen bezahlt?« fragte
mich Jamie und prüfte das Gewicht des kleinen Beutels.
»Ja«, versicherte ich ihm. »Ich habe noch vier
Schillinge und Sixpence, dazu das, was Fergus gesammelt hat.«
Fergus lächelte bescheiden, und seine weißen Zähne
blitzten in dem schwachen Licht, das aus dem Kneipenfenster
fiel.
»Dann haben wir ja das Geld, das wir für die
Beerdigung brauchen«, sagte er. »Bringen wir Monsieur Hayes jetzt
zu dem Priester, oder warten wir bis morgen?«
Jamie blickte stirnrunzelnd zum Wagen hinüber, der
still am Rand des Kneipenhofs stand.
»Ich glaube nicht, daß der Priester um diese Zeit
noch wach ist«, sagte er mit einem Blick auf den aufgehenden Mond.
»Aber…«
»Ich würde ihn lieber nicht mitnehmen«, sagte ich.
»Nichts für ungut«, fügte ich mit einem entschuldigenden Blick auf
den Wagen hinzu. »Aber wenn wir draußen im Wald schlafen, dann wird
der… äh… Geruch…« Es war noch nicht überwältigend, aber sobald man
den Rauchgeruch des Wirtshauses hinter sich ließ, nahm man in der
Nähe des Wagens einen deutlichen Geruch wahr. Es war kein sanfter
Tod gewesen, und wir hatten einen heißen Tag gehabt.
»Tante Claire hat recht«, sagte Ian, und fuhr sich
unauffällig mit den Knöcheln unter der Nase entlang. »Wir wollen
keine wilden Tiere anlocken.«
»Aber wir können Gavin doch nicht hierlassen!«
protestierte Duncan, empört bei dem Gedanken. »Was, ihn hier am
Eingang der Wirtschaft in seinem Leichentuch liegenlassen wie ein
Findelkind in Windeln?
« Er schwankte alarmierend, denn der Alkoholkonsum beeinträchtigte
sein ohnehin schon empfindliches Gleichgewicht.
Im Licht des Mondes, der weiß auf sein
messerscharfes Nasenbein schien, sah ich Jamies breiten Mund vor
Belustigung zucken.
»Nein«, sagte er. »Wir lassen ihn nicht hier.« Er
warf den kleinen Beutel mit einem leisen Klimpern von einer Hand in
die andere und steckte ihn dann in die Rocktasche. Er hatte einen
Entschluß gefaßt.
»Wir begraben ihn selbst«, sagte er. »Fergus,
kannst du da drüben in den Stall gehen und schauen, ob du sehr
billig einen Spaten kaufen kannst?«
Der kurze Weg durch die stillen Straßen von
Charleston zur Kirche verlief ein bißchen weniger würdevoll als bei
einem Leichenzug üblich, was unter anderem daran lag, daß Duncan
darauf bestand, den Zug mit den interessantesten Passagen seines
Trauergesanges zu begleiten.
Jamie fuhr langsam und rief ab und zu den Pferden
ein paar anfeuernde Worte zu; Duncan stolperte heiser singend neben
dem Gespann her und klammerte sich an das Halfter des einen
Pferdes, während Ian das andere festhielt, damit es nicht
durchging. Fergus hatte den neu erstandenen Spaten geschultert und
prophezeite düster, daß wir noch die Nacht im Gefängnis verbringen
müßten, weil wir die nächtliche Ruhe von Charleston gestört
hatten.
Doch die Kirche stand in einer ruhigen Straße in
einigem Abstand vom nächsten Haus. Das war gut, denn wir wollten ja
keine Aufmerksamkeit erregen, doch es bedeutete auch, daß der
Kirchhof beängstigend dunkel war und weder von Kerze noch Fackel
erleuchtet wurde.
Große Magnolienbäume streckten ihre Äste über das
Tor, ihre ledrigen Blätter schlaff vor Hitze, und eine Reihe
Kiefern, die tagsüber Schatten und Zuflucht bieten sollte, schloß
nachts auch die letzte Spur von Mond- und Sternenschein aus, so daß
der Kirchhof in das Schwarz… nun, einer Grabkammer getaucht
war.
Wenn man durch diese Luft ging, war es, als schöbe
man Vorhänge aus schwarzem Samt beiseite, die durchdringend nach
dem Terpentin der sonnenerhitzten Kiefern dufteten: lauter
erdrückende Duftwolken. Nichts hätte der kalten Klarheit der
Highlands unähnlicher sein können als diese drückende Atmosphäre
des Südens. Dennoch - am Fuß der dunklen Ziegelmauern hingen
schwache Nebelschwaden, und ich wünschte mir, Jamie hätte die
Geschichte vom tannasq nicht ganz so farbenfroh
erzählt.
»Wir suchen uns eine Stelle. Bleib hier und halt
die Pferde, Duncan.« Jamie glitt von der Sitzbank des Wagens und
nahm mich beim Arm.
»Vielleicht finden wir ein schönes Plätzchen an der
Mauer«, sagte er und führte mich zum Tor. »Ian und ich graben,
während du das Licht hältst, und Fergus kann Wache stehen.«
»Was ist mit Duncan?« fragte ich und sah zurück.
»Alles in Ordnung mit ihm?« Der Schotte war unsichtbar, sein
großer, dürrer Körper war mit dem größeren Fleck verschmolzen, der
die Pferde und den Wagen andeutete, doch man konnte ihn immer noch
deutlich hören.
»Er ist unser Zeremonienmeister«, sagte Jamie mit
der Spur eines Lächelns in der Stimme. »Paß auf deinen Kopf auf,
Sassenach.« Ich duckte mich automatisch unter einem tiefhängenden
Magnolienzweig durch. Ich wußte nicht, ob Jamie wirklich im Dunkeln
sehen konnte oder ob er die Hindernisse nur instinktiv erspürte,
jedenfalls hatte ich ihn noch nie stolpern sehen, egal, wie dunkel
es um ihn herum war.
»Meinst du nicht, daß ein frisches Grab den Leuten
auffallen wird?« Es war doch nicht völlig schwarz auf dem Kirchhof;
nachdem ich einmal aus dem Dunkel der Magnolien getreten war,
konnte ich die verschwommenen Formen von Grabsteinen ausmachen,
schattenhaft, aber unheimlich in der Dunkelheit. Ein schwacher
Nebel stieg aus dem dichten Gras an ihrem Sockel auf.
Meine Fußsohlen prickelten, als wir uns vorsichtig
einen Weg zwischen den Steinen bahnten. Mir war, als schlügen mir
von unten unsichtbare Wellen des Tadels über unser unschickliches
Eindringen entgegen. Ich stieß mir das Schienbein an einem
Grabstein und biß mir auf die Lippen, weil ich das Bedürfnis
unterdrücken mußte, mich bei seinem Eigentümer zu
entschuldigen.
»Kann schon sein.« Jamie ließ meinen Arm los, um in
seinem Rock herumzukramen. »Aber wenn der Priester Geld dafür haben
wollte, Gavin zu beerdigen, wird er sich kaum die Mühe machen, ihn
umsonst wieder auszugraben, aye?«
Ian jagte mir einen Schrecken ein, indem er aus dem
Nichts neben mir auftauchte.
»An der Nordmauer ist noch Platz, Onkel Jamie«,
sagte er leise, obwohl es offensichtlich war, daß niemand da war,
der ihn hätte hören können. Er hielt inne und kam näher zu
mir.
»Ziemlich dunkel hier, oder?« Der Junge hörte sich
angespannt an. Er hatte fast so viel getrunken wie Jamie oder
Fergus, aber während der Alkohol die älteren Männer mit grimmigem
Humor erfüllt hatte, hatte er Ians Lebensgeister eher erlahmen
lassen.
»Das stimmt, aye. Ich habe aber einen Kerzenstumpf
aus der Wirtschaft, warte einen Augenblick.« Leises Geraschel
kündete von Jamies Suche nach Feuerstein und Zunderschachtel.
Die Dunkelheit um mich herum gab mir das Gefühl,
körperlos, selbst ein Geist zu sein. Ich blickte nach oben und sah
ein paar Sterne, die so schwach durch die dicke Luft leuchteten,
daß sie kein Licht auf den Boden warfen, sondern nur ein Gefühl
immenser Distanz und unendlicher Ferne vermittelten.
»Es ist wie in der Osternacht«, kam leise Jamies
Stimme, begleitet von den schwachen Kratzgeräuschen eines
Feuersteins. »Ich habe die Messe einmal erlebt, in Notre Dame in
Paris. Vorsicht, Ian, da ist ein Stein.« Ein dumpfes Geräusch und
ein unterdrücktes Stöhnen zeigten an, daß Ian den Stein zu spät
bemerkt hatte.
»Die Kirche war ganz dunkel«, fuhr Jamie fort,
»aber die Leute, die zur Messe kamen, kauften kleine Wachskerzen
bei den alten Frauen an der Tür. Es war ein bißchen wie hier« - ich
fühlte seine himmelwärts gerichtete Geste mehr, als daß ich sie sah
- »ein riesiger Raum über uns, der vor Stille widerhallte, und die
Bänke rechts und links voller Leute.« Trotz der Hitze erschauerte
ich unwillkürlich bei diesen Worten, die eine Vision der Toten um
uns heraufbeschworen, dicht an dicht gedrängt in Erwartung ihrer
unmittelbar bevorstehenden Auferstehung.
»Und dann, gerade als ich dachte, ich könnte die
Stille und die Menschenmenge nicht mehr ertragen, kam die Stimme
des Priesters vom Eingang. ›Lumen Christi‹, rief er aus, und
die Meßdiener zündeten die große Kerze an, die er trug. Dann nahmen
sie die Flamme mit ihren eigenen, kleinen Kerzen auf und huschten
in den Gängen auf und ab, um das Licht an die Gläubigen
weiterzugeben.«
Ich konnte seine Hände sehen, als die winzigen
Funken des Feuersteins sie schwach erleuchteten.
»Danach erfüllte sich die Kirche mit dem Licht
tausend kleiner Flammen, aber es war jene erste Kerze, die die
Dunkelheit besiegt hat.«
Die Kratzgeräusche verstummten, und er nahm die
Hand fort, mit der er die neugeborene Flamme geschützt hatte. Die
Flamme wurde kräftiger und beleuchtete sein Gesicht von unten,
tauchte seine hohen Wangenknochen und seine Stirn in goldenes Licht
und seine Augenhöhlen in tiefe Schatten.
Er hob die Kerze hoch und begutachtete die
Grabsteine, die unheimlich wie ein Steinkreis um uns
aufragten.
»Lumen Christi«, sagte er leise und neigte
vor einer Granitsäule, die von einem Kreuz gekrönt war, den Kopf.
»Et requiescite in pace, amici.« Der halb spottende Ton war
aus seiner Stimme verschwunden;
er sprach völlig ernst, und ich fühlte mich sogleich merkwürdig
getröstet, als hätte sich eine wachsame Präsenz
zurückgezogen.
Da lächelte er mich an und reichte mir die
Kerze.
»Sieh nach, ob du ein Stück Holz für eine Fackel
finden kannst, Sassenach«, sagte er. »Ian und ich werden uns mit
dem Graben abwechseln.«
Ich war nicht mehr nervös, kam mir aber immer noch
wie eine Grabräuberin vor, als ich mit meiner Fackel unter einer
Kiefer stand und zusah, wie Ian und Jamie sich in der tiefer
werdenden Grube abwechselten, die nackten Rücken schweißglänzend im
Fackelschein.
»Die Medizinstudenten haben früher Männer
angeheuert, die ihnen frische Leichen von den Kirchhöfen stahlen«,
sagte ich und reichte Jamie mein schmutziges Halstuch, als er sich,
vor Anstrengung grunzend, aus dem Loch hob. »Es war ihre einzige
Möglichkeit, das Sezieren zu üben.«
»Früher?« fragte Jamie. Er wischte sich den Schweiß
aus dem Gesicht und warf mir einen schnellen, ironischen Blick zu.
»Oder heutzutage?«
Glücklicherweise war es so dunkel, daß Ian nicht
sehen konnte, wie ich errötete. Es war nicht mein erster
Ausrutscher und würde wahrscheinlich auch nicht mein letzter sein,
doch meist brachten mir diese ungeschickten Bemerkungen höchstens
einmal einen fragenden Blick ein, wenn sie überhaupt jemandem
auffielen. Die Wahrheit war einfach keine Möglichkeit, die irgend
jemand in Betracht gezogen hätte.
»Sie tun es heutzutage wohl auch noch«, gab ich zu.
Mich schauderte bei dem Gedanken, einer frisch exhumierten und
unkonservierten Leiche gegenüberzustehen, an der noch der Schmutz
ihres entweihten Grabes klebte. Eine einbalsamierte Leiche auf
einem Edelstahltisch war zwar auch nicht besonders angenehm, doch
die Förmlichkeit der Präsentation trug mit dazu bei, die
zerstörerische Realität des Todes wenigstens etwas auf Abstand zu
halten.
Ich atmete kräftig durch die Nase aus, um die
eingebildeten wie die erinnerten Gerüche loszuwerden. Als ich
wieder einatmete, füllte sich meine Nase mit dem Aroma von feuchter
Erde, dem heißem Pech meiner Kiefernfackel und dem schwächeren,
kühleren Duft der lebendigen Kiefer über mir.
»Sie nehmen auch arme Schlucker und Verbrecher aus
den Gefängnissen.« Ian, der unseren Wortwechsel offenbar gehört
hatte, ohne ihn zu verstehen, ergriff die Gelegenheit zu einer
kurzen Pause. Er wischte sich über die Stirn und stützte sich auf
die Schaufel.
»Papa hat mir erzählt, wie er einmal festgenommen
und nach Edinburgh gebracht wurde. Er wurde im Tolbooth
festgehalten. Er war mit drei anderen Männern in einer Zelle, und
einer davon war ein Kerl mit Schwindsucht, der furchtbar hustete,
und die anderen Tag und Nacht wachhielt. Eines Nachts hörte der
Husten auf, und da wußten sie, daß er tot war. Aber Papa sagte, sie
waren so müde, daß sie nur noch ein Vaterunser für seine Seele
beten und einschlafen konnten.«
Der Junge hielt inne und rieb sich die juckende
Nase.
»Papa hat gesagt, er wurde ganz plötzlich wach,
weil jemand seine Beine umklammerte und jemand anders ihn bei den
Armen nahm und hochhob. Er trat um sich und schrie, und der, der
seine Arme festhielt, kreischte und ließ ihn fallen, so daß er sich
den Kopf auf den Steinen stieß. Er setzte sich hin, rieb sich den
Schädel und stellte fest, daß er sich einem Arzt aus dem Hospital
und zwei Helfern gegenübersah, die die Leiche zum Sezierraum tragen
wollten.«
Ian grinste breit bei dem Gedanken und wischte sich
das schweißnasse Haar aus dem Gesicht.
»Papa hat gesagt, er war sich nicht sicher, wer
mehr erschrocken war, er oder die Kerle, die sich den Falschen
geschnappt hatten. Er hat aber gesagt, daß der Arzt es zu bedauern
schien - er meinte, mit seinem Beinstumpf hätte Papa ein
interessanteres Objekt abgegeben.«
Jamie lachte und reckte die Arme, um seine
Schultern zu entspannen. Seine Aufmachung, Gesicht und Oberkörper
waren mit roter Erde verschmiert, sein Haar hatte er mit einem um
die Stirn gebundenen Halstuch gebändigt - ließ ihn so verwegen wie
den schlimmsten Grabräuber aussehen.
»Aye, ich erinnere mich an die Geschichte«, sagte
er. »Ian meinte danach, alle Ärzte wären Unholde, und wollte nichts
mehr mit ihrer Zunft zu tun haben.« Er grinste mich an; ich war in
meiner eigenen Zeit Ärztin - Chirurgin - gewesen, doch hier hielt
man mich nur für eine weise Frau, die sich mit Kräutern
auskannte.
»Glücklicherweise hab’ ich ja keine Angst vor dem
einen oder anderen Unhold«, sagte er und beugte sich zu mir herab,
um mich schnell zu küssen. Seine Lippen waren warm und schmeckten
nach Ale. Ich sah die Schweißtropfen, die sich in seinen lockigen
Brusthaaren verfangen hatten, und seine Brustwarzen, dunkle Knospen
im schwachen Licht. Mich überlief ein Zittern, das weder von der
Kälte noch von unserer unheimlichen Umgebung herrührte. Er sah es,
und sein Blick traf den meinen. Er holte tief Luft, und plötzlich
wurde mir bewußt, wie eng mein Mieder saß und schwer meine Brüste
in dem schweißdurchtränkten Stoff lagen.
Jamie verlagerte leicht sein Gewicht und zupfte an
seiner engsitzenden Hose herum.
»Verdammt«, sagte er leise. Er senkte den Blick und
wandte sich ab, die Spur eines reumütigen Lächelns auf den
Lippen.
Ich hatte nicht damit gerechnet, erkannte es aber
nur zu gut. Ein plötzlicher Anflug von Lust war eine häufige, wenn
auch absonderliche Reaktion auf die Gegenwart des Todes. Ein Soldat
spürt ihn im Dämmerzustand nach der Schlacht, auch dem Heiler,
dessen Geschäft Blut und Überlebenskampf sind, ist er vertraut.
Vielleicht war Ian der Wahrheit ja näher, als ich dachte, wenn er
Ärzte für Unholde hielt.
Jamies Hand berührte meinen Rücken, und ich fuhr
auf. Meine flammende Fackel versprühte einen Funkenschauer. Er nahm
sie mir ab und deutete auf einen Grabstein neben uns.
»Setz dich, Sassenach«, sagt er. »Du solltest nicht
so lange stehen.« Ich hatte mir bei unserem Schiffbruch das linke
Schienbein gebrochen, und obwohl es gut verheilt war, schmerzte das
Bein manchmal noch.
»Mir geht’s gut.« Dennoch ging ich zu dem Stein
hinüber und streifte Jamie im Vorbeigehen. Er strahlte Hitze aus,
doch seine nackte Haut fühlte sich durch den verdunstenden Schweiß
kühl an. Ich konnte ihn riechen.
Ich blickte ihn an und sah, daß er dort, wo ich
seine helle Haut berührt hatte, eine Gänsehaut bekam. Ich schluckte
und verdrängte das plötzliche Verlangen, mich mit ihm zu einer
heftigen Paarung auf zerdrücktem Gras und nackter Erde ins Dunkel
zu stürzen.
Seine Hand verweilte auf meinem Ellbogen, als er
mir half, mich auf den Stein zu setzen. Rollo lag hechelnd daneben,
und seine Speicheltropfen glitzerten im Fackelschein. Seine gelben
Augen blickten mich an und verengten sich.
»Vergiß es«, sagte ich und kniff meinerseits die
Augen zusammen. »Wenn du mich beißt, ramme ich dir meinen Schuh so
tief in den Hals, daß du erstickst.«
»Wuff!« sagte Rollo leise. Er legte seine
Schnauze auf die Pfoten, doch seine haarigen Ohren waren
aufgerichtet, bereit, auch das leiseste Geräusch aufzunehmen.
Der Spaten bohrte sich fast lautlos in die Erde zu
Ians Füßen. Er richtete sich auf, strich sich mit dem Handrücken
den Schweiß aus dem Gesicht und hinterließ dabei schwarze Streifen
auf seinem Kinn. Er atmete tief aus, sah zu Jamie hoch und spielte
mit hängender Zunge den Erschöpften.
»Aye, ich denke, es ist tief genug.« Jamie erhörte
sein wortloses Flehen mit einem Kopfnicken. »Dann hole ich jetzt
Gavin.«
Fergus runzelte angespannt die Stirn - seine
Gesichtszüge leuchteten klar im Fackelschein.
»Werdet Ihr keine Hilfe brauchen, um die Leiche zu
tragen?« Sein Widerstreben war nicht zu übersehen, aber immerhin
hatte er das Angebot gemacht. Jamie lächelte ihm leise ironisch
zu.
»Das schaffe ich schon«, sagte er. »Gavin war ein
kleiner Kerl. Aber du könntest die Fackel mitnehmen, damit ich
etwas sehe.«
»Ich komme mit, Onkel Jamie!« Ian krabbelte hastig
aus der Grube; seine mageren Schultern glänzten vor Schweiß. »Nur
falls du Hilfe brauchst«, fügte er atemlos hinzu.
»Angst, im Dunkeln allein zu bleiben?« fragte
Fergus sarkastisch. Ich hatte den Eindruck, daß ihn der Friedhof
nervös machte, denn obgleich er Ian, den er als einen jüngeren
Bruder betrachtete, manchmal hänselte, wurde er dabei nur selten
gemein.
»Ja, habe ich«, sagte Ian schlicht. »Du
nicht?«
Fergus öffnete den Mund, zog die Augenbrauen hoch,
machte den Mund wieder zu und wandte sich ohne ein Wort der
schwarzen Öffnung des Friedhofstores zu, durch die Jamie
verschwunden war.
»Findest du nicht, daß es hier schrecklich ist,
Tante Claire?« murmelte Ian nervös. Er hielt sich dicht neben mir,
als wir Fergus’ flackernder Fackel zwischen den aufragenden Steinen
folgten. »Ich muß immer an die Geschichte denken, die Onkel Jamie
erzählt hat. Und daß vielleicht jetzt, wo Gavin tot ist, das kalte
Wesen… ich meine, glaubst du, es könnte kommen… und ihn holen?« Ein
hörbares Schlucken unterbrach die Frage, und ein eisiger Finger
berührte mich genau an der Wurzel meiner Wirbelsäule.
»Nein«, sagte ich etwas zu laut. Ich ergriff Ians
Arm, weniger zur Stütze als vielmehr, weil er ein Wesen aus Fleisch
und Blut war. »Ganz bestimmt nicht.«
Seine Haut war klamm vom verdunstenden Schweiß,
aber es beruhigte mich, seinen mageren, muskulösen Arm unter meinen
Fingern zu spüren. Jetzt, wo er nur halb sichtbar war, erinnerte er
mich an Jamie; er war fast so groß wie sein Onkel und fast genauso
stark, obwohl er noch die magere Schlaksigkeit des Heranwachsenden
an sich hatte.
Dankbar tauchten wir schließlich in den kleinen
Lichtkegel ein, den Fergus’ Fackel warf. Das flackernde Licht
schien durch die Wagenräder und warf Schatten, die wie Spinnweben
im Staub lagen. Auf der Straße war es genauso heiß wie auf dem
Kirchhof, doch es kam mir irgendwie so vor, als könnte man die Luft
freier und leichter atmen, wenn man nicht mehr unter den
erdrückenden Bäumen stand.
Zu meiner Überraschung war Duncan immer noch wach.
Er hing auf der Sitzbank des Wagens wie eine verschlafene Eule und
hatte die Schultern bis zu den Ohren hochgezogen. Er sang vor sich
hin, hörte damit aber auf, als er uns sah. Das lange Warten schien
ihn ein wenig ernüchtert zu haben; er stieg einigermaßen
trittsicher vom Sitz und kam zur Rückseite des Wagens, um Jamie zu
helfen.
Ich unterdrückte ein Gähnen. Ich würde froh sein,
wenn wir diese traurige Pflicht hinter uns hatten und zu unserem
Rastplatz unterwegs waren, auch wenn es nur ein Blätterhaufen war,
den ich als Bett in Aussicht hatte.
»Ifrinn an Diabhuil! A Dhia, thoir
cobhair!«
»Sacrée Vierge!«
Ich fuhr auf. Es brach allgemeines Geschrei aus,
die Pferde wieherten aufgeschreckt, rissen wie verrückt an ihren
Beinfesseln, so daß der Wagen schwankte wie ein betrunkener
Käfer.
»Wuff!« sagte Rollo neben mir.
»Himmel!« sagte Ian und stierte den Wagen an.
»Himmel noch mal!«
Ich folgte seinem Blick und schrie auf. Aus dem
Laderaum ragte eine bleiche Gestalt, die jedes Schwanken des Wagens
mitmachte. Mehr konnte ich nicht sehen, denn dann brach das Chaos
aus.
Rollo spannte sein Hinterteil an und schoß mit
lautem Knurren durch die Dunkelheit, begleitet von Ians und Jamies
Rufen und einem schrecklichen Schrei des Geistes. Hinter mir hörte
ich französische Flüche, als Fergus, der auf den Kirchhof
zurückrannte, im Dunkeln stolperte und über die Grabsteine
stürzte.
Jamie hatte die Fackel fallen lassen; sie flackerte
und zischte auf der staubigen Straße und drohte zu verlöschen. Ich
fiel auf die Knie, blies sie an und versuchte verzweifelt, sie am
Brennen zu halten.
Der Chor aus Rufen und Knurren schwoll zu einem
Crescendo an. Ich stand auf, die Fackel in der Hand, und sah, wie
Ian mit Rollo rang und versuchte, ihn von den verschwommenen
Gestalten fernzuhalten, die in einer Staubwolke miteinander
kämpften.
»Arrêtes, espèce de cochon!« Fergus
galoppierte aus der Dunkelheit hervor und schwang den Spaten, den
er geholt hatte. Niemand beachtete seinen Befehl, also trat er
einen Schritt vor und ließ den Spaten mit einem dumpfen
Klong! auf den Kopf des Eindringlings niedersausen. Dann
schwang er sich zu Ian und Rollo herum.
»Sei du ebenfalls still!« sagte Fergus zu dem Hund
und bedrohte ihn mit dem Spaten. »Halt sofort das Maul, du
nichtsnutziges Vieh, sonst schlage ich dir den Schädel ein!«
Rollo knurrte und entblößte dabei seine Zähne auf
eindrucksvolle Weise, die »Na, dann komm doch!« zu sagen schien,
doch Ian hinderte ihn daran, irgendwelchen Schaden anzurichten,
indem er seinen Arm um den Hals des Hundes legte und alle weiteren
Kommentare abwürgte.
»Wo kommt der denn her?« fragte Ian
erstaunt. Er reckte den Hals und versuchte, einen Blick auf die am
Boden liegende Gestalt zu werfen, ohne Rollo loszulassen.
»Aus der Hölle«, sagte Fergus kurz. »Und von mir
aus kann er sofort dorthin zurückkehren.« Er zitterte vom Schock
und vor Ermüdung. Das Licht auf seinem Haken glänzte dumpf, als er
sich eine dichte schwarze Locke aus den Augen strich.
»Nicht aus der Hölle, vom Galgen. Erkennst du ihn
nicht?«
Jamie kam langsam auf die Füße und klopfte sich den
Staub von den Kniehosen. Er atmete schwer und war voller
Schmutzflecken, schien aber unverletzt zu sein. Er hob sein
Halstuch auf und sah sich um, während er sich das Gesicht
abwischte. »Wo ist Duncan?«
»Hier, Mac Dubh«, sagte eine rauhe Stimme von der
Vorderseite des Wagens. »Den Pferden war Gavin von Anfang an nicht
besonders geheuer, und sie haben sich ziemlich aufgeregt, als es
plötzlich so aussah, als würde er auferstehen. Nicht«, fügte er
fairerweise hinzu, »daß ich nicht auch’nen kleinen Schrecken
gekriegt hätte.« Er beäugte die Gestalt auf dem Boden mißmutig und
klopfte einem der scheuenden Pferde auf den Hals. »Ah, es ist doch
nur irgendein Dummkopf, luaidh, Schluß jetzt mit dem Lärm,
aye?«
Ich hatte Ian die Fackel gegeben und kniete mich
hin, um unseren Besucher zu inspizieren. Anscheinend hatte er
weiter keinen Schaden genommen, denn der Mann begann schon, sich zu
regen. Jamie hatte recht: Es war der Mann, der heute früh der
Hinrichtung entkommen war. Er war jung, ungefähr dreißig, muskulös
und kraftvoll gebaut, und sein helles, schweißnasses Haar stand vor
Dreck. Er roch nach Gefängnis und dem muffig-scharfen Dunst
fortgesetzter Angst. Kein Wunder.
Ich nahm ihn beim Arm und half ihm, sich
aufzusetzen. Er stöhnte, griff sich an den Kopf und blinzelte im
Fackelschein.
»Geht es Euch gut?« fragte ich.
»Herzlichen Dank, Ma’am, mir ging’s schon mal
besser.« Er hatte einen leichten, irischen Akzent und eine sanfte,
tiefe Stimme.
Rollos Oberlippe war gerade so weit hochgezogen,
daß man einen angsteinflößenden Eckzahn sehen konnte, als er dem
Fremden die Schnauze in die Achsel stieß, schnüffelte, den Kopf
zurückriß und explosionsartig
nieste. Ein leises, zitterndes Lachen durchlief die Runde, und die
Spannung ließ für einen Augenblick nach.
»Seit wann seid Ihr schon im Wagen?« wollte Duncan
wissen.
»Seit heute mittag.« Schwankend von den
Nachwirkungen des Hiebes, erhob sich der Mann umständlich auf die
Knie. Er griff sich noch einmal an den Kopf und zuckte zusammen. »O
Himmel! Ich bin da reingekrochen, gleich nachdem der Franzmann den
alten Gavin aufgeladen hatte.«
»Wo wart Ihr vorher?« fragte Ian.
»Unter dem Galgenkarren. Das war die einzige
Stelle, von der ich dachte, da würden sie nicht nachsehen.« Er
stand mühsam auf, schloß die Augen, um das Gleichgewicht
wiederzuerlangen und öffnete sie wieder. Im Fackelschein waren sie
blaßgrün, von der Farbe seichten Seewassers. Ich sah sie von einem
Gesicht zum nächsten blicken, dann blieben sie auf Jamie ruhen. Der
Mann verbeugte sich, wobei er auf seinen Kopf achtgab.
»Stephen Bonnet. Euer Diener, Sir.« Er machte keine
Anstalten, die Hand zur Begrüßung auszustrecken, und Jamie tat das
auch nicht.
»Mr. Bonnet.« Jamie nickte mit betont
ausdrucksloser Miene zurück. Mir war nicht ganz klar, wie er es
fertigbrachte, ehrfurchtgebietend auszusehen, obwohl er nur eine
feuchte, dreckverschmierte Kniehose anhatte, aber er schaffte es.
Er betrachtete den Besucher von oben bis unten und ließ sich kein
Detail seiner Erscheinung entgehen.
Bonnet war das, was man »gut gebaut« nennt, groß
und kraftvoll mit gewölbtem Brustkorb und groben, aber auf eine
rauhe Weise gutaussehenden Gesichtszügen. Er war ein paar
Zentimeter kleiner als Jamie, stand lässig auf seinen Fußballen und
hielt die Fäuste halb geballt in Bereitschaft.
Seiner leicht schiefen Nase und der kleinen Narbe
an seinem Mundwinkel nach zu urteilen, waren ihm Faustkämpfe nicht
neu. Die kleinen Schönheitsfehler beeinträchtigten den allgemeinen
Eindruck rein körperlicher Anziehungskraft nicht; er war ein Mann,
der auf Frauen wirkte. Auf manche Frauen, verbesserte ich mich, als
er mir einen spekulativen Blick zuwarf.
»Weswegen seid Ihr verurteilt worden, Mr. Bonnet?«
fragte Jamie. Er selbst stand entspannt da, doch es lag eine
Wachsamkeit in seinem Blick, die Bonnets Ausdruck verteufelt
ähnlich sah. Es war ein Blick von der Sorte, wie ihn sich männliche
Hunde mit angelegten Ohren zuwerfen, bevor sie entscheiden, ob sie
aufeinander losgehen.
»Schmuggel«, sagte Bonnet.
Jamie antwortete nicht, legte aber den Kopf schief.
Eine Augenbraue hob sich fragend.
»Und Piraterie.« Neben Bonnets Mund zuckte ein
Muskel - der gescheiterte Versuch eines Lächelns oder ein
unwillkürliches Zittern der Angst?
»Und habt Ihr bei der Ausübung Eurer Verbrechen
jemanden umgebracht, Mr. Bonnet?« Bis auf die wachsamen Augen war
Jamies Gesicht ausdruckslos. Überleg es dir gut, sagte sein
Blick ganz unverhüllt. Sehr gut.
»Niemanden, der nicht versucht hätte, mich zuerst
umzubringen«, antwortete Bonnet. Die Worte kamen entspannt, sein
Tonfall war fast respektlos, doch die Hand, die sich an seiner
Seite fest zur Faust ballte, strafte ihn Lügen.
Es dämmerte mir, daß Bonnet sich fühlen mußte, als
stünde er Richter und Geschworenen erneut gegenüber. Er konnte ja
nicht wissen, daß es uns fast genauso widerstrebte wie ihm, den
Garnisonssoldaten zu nahe zu kommen.
Jamie sah Bonnet lange an, nahm ihn im flackernden
Licht der Fackel genau in Augenschein, nickte dann und trat einen
halben Schritt zurück.
»Dann geht«, sagte er ruhig. »Wir werden Euch nicht
aufhalten.«
Bonnet holte hörbar Luft. Ich sah, wie er sich
entspannte und wie seine Schultern unter dem billigen Leinenhemd
erschlafften.
»Danke«, sagte er. Er wischte sich mit der Hand
über das Gesicht und holte noch einmal tief Atem. Seine grünen
Augen blickten von mir zu Fergus und weiter zu Duncan. »Aber könnt
Ihr mir vielleicht helfen?«
Duncan, der sich bei Jamies Worten entspannt hatte,
gab einen Laut der Überraschung von sich.
»Euch helfen? Einem Dieb?«
Bonnets Kopf fuhr zu Duncan herum. Das Halseisen
lag wie ein dunkler Streifen um seine Kehle und erweckte den
unheimlichen Eindruck, als wäre sein Kopf abgetrennt und schwebte
mehrere Zentimeter über seinen Schultern.
»Helft mir«, wiederholte er. »Heute nacht werden
Soldaten auf den Straßen sein - und Jagd auf mich machen.« Er
deutete auf den Wagen. »Ihr könntet mich sicher an ihnen
vorbeibringen - wenn Ihr so gütig wärt.« Er wandte sich wieder
Jamie zu und straffte die Schultern. »Ich flehe Euch an, mir zu
helfen, Sir, im Namen von Gavin Hayes, der mein Freund genau wie
der Eure war - und ein Dieb wie ich.«
Die Männer musterten ihn einen Moment lang
schweigend, während sie das verdauten. Fergus blickte Jamie fragend
an; es war seine Entscheidung.
Doch nach einem langen, abschätzenden Blick auf
Bonnet wandte sich Jamie an Duncan.
»Was meinst du, Duncan?« Duncan betrachtete Bonnet
mit demselben Gesichtsausdruck wie zuvor Jamie und nickte
schließlich.
»Um Gavins willen,« sagte er und wandte sich zum
Friedhofstor um.
»Nun denn, in Ordnung«, sagte Jamie. Er seufzte und
schob sich eine lose Haarsträhne hinter sein Ohr.
»Helft uns, Gavin zu begraben«, sagte er zu unserem
Gast, »und dann brechen wir auf.«
Eine Stunde später war Gavins Grab ein Rechteck
aus frisch umgegrabener Erde, das nackt zwischen den Grautönen des
Grases hervorstach.
»Er muß eine Namenstafel bekommen«, sagte Jamie.
Mühsam kratzte er mit der Spitze seines Messers Gavins Namen und
seine Lebensdaten in einen glatten Stein. Ich rieb etwas Ruß von
der Fackel in die eingravierten Lettern und schuf auf diese Weise
einen einfachen, aber lesbaren Grabstein, den Ian fest in einen
kleinen Grabhügel aus Kieseln drückte. Jamie setzte den
Kerzenstummel aus dem Wirtshaus oben auf das kleine Monument.
Dann standen wir alle einen Moment lang befangen um
das Grab herum, ohne zu wissen, wie wir Abschied nehmen sollten.
Jamie und Duncan standen nah beieinander und blickten zu Boden. Sie
hatten sich seit Culloden von vielen Kameraden für immer
verabschieden müssen, und das oft sehr viel weniger förmlich.
Schließlich nickte Jamie Fergus zu. Dieser ergriff
einen trockenen Kiefernzweig, zündete ihn an meiner Fackel an,
bückte sich und berührte damit den Docht der Kerze.
»Requiem aeternam dona ei, et lux perpetua
luceat ei…«, sagte Jamie leise.
»Schenke ihm ewige Ruhe, o Herr - und das ewige
Licht leuchte ihm«, wiederholte Ian mit feierlichem Gesicht, vom
Fackelschein beleuchtet.
Ohne ein weiteres Wort wandten wir uns ab und
verließen den Kirchhof. Hinter uns brannte die Kerze reglos in der
stillen, schweren Luft wie das ewige Licht in einer leeren
Kirche.
Als wir den Militärposten vor den Stadtmauern
erreichten, stand der Mond schon hoch am Himmel. Es war zwar nur
Halbmond, doch er leuchtete so hell, daß wir den festgetrampelten
Fahrweg vor uns sehen konnten, der breit genug war, daß zwei Wagen
nebeneinander darauf fahren konnten.
Wir waren schon auf dem Weg von Savannah nach
Charleston auf ein paar solcher Militärposten gestoßen. Sie waren
zumeist mit gelangweilten Soldaten besetzt, die uns einfach
durchwinkten, ohne sich die Mühe zu machen, die Pässe zu
überprüfen, die wir in Georgia erworben hatten. Die Posten dienten
vor allem dazu, Schmuggelware abzufangen und den einen oder anderen
entlaufenen Zwangsarbeiter oder Sklaven festzunehmen.
Selbst schmutzig und ungekämmt erregten wir kaum
Beachtung, denn Reisende sahen selten besser aus. Da Fergus und
Duncan verstümmelt waren, konnten sie keine Zwangsarbeiter sein,
und Jamies Ausstrahlung war trotz der Kleider spürbar. Niemand
würde ihn für einen Untergebenen halten.
Doch heute nacht war es anders. Der Posten war mit
acht Soldaten bemannt, und sie waren alle bewaffnet und hellwach.
Musketenläufe blitzen im Mondlicht, und aus der Dunkelheit kam der
Ruf: »Halt! Name und Begehr!« Eine Laterne hing plötzlich zehn
Zentimeter vor meiner Nase und blendete mich einen Augenblick
lang.
»James Fraser, unterwegs nach Wilmington mit meiner
Familie und meinen Bediensteten.« Jamies Stimme war ruhig, und
seine Hände zitterten nicht, als er mir die Zügel reichte, bevor er
nach den Pässen in seiner Jacke griff.
Ich hob den Kopf nicht und versuchte, müde und
gleichgültig auszusehen. Ich war müde, das stimmte - ich hätte mich
einfach so auf die Straße legen und einschlafen können -, doch ich
war alles andere als gleichgültig. Was machten sie wohl mit einem
Mann, der einem entlaufenen Galgensträfling bei der Flucht half?
Ein einzelner Schweißtropfen schlich sich an meinem Nacken
herunter.
»Habt Ihr im Vorbeifahren irgend jemanden auf der
Straße gesehen, Sir?« Das »Sir« kam etwas zögerlich, denn der
traurige Zustand von Jamies Rock und meinem Kleid war im gelben
Lichtkegel der Laterne nicht zu übersehen.
»Von der Stadt her ist uns eine Kutsche
entgegengekommen, die habt Ihr wohl selbst gesehen«, antwortete
Jamie. Der Sergeant antwortete mit einem Grunzen, überprüfte die
Pässe sorgfältig und blinzelte dann in die Dunkelheit, um
sicherzugehen, daß die Zahl der Anwesenden dazu paßte.
»Was habt Ihr dabei?« Er gab die Pässe zurück und
signalisierte einem seiner Untergebenen, den Wagen zu durchsuchen.
Ich ruckte aus Versehen an den Zügeln, und die Pferde schnaubten
und warfen die Köpfe hin und her. Jamies Fuß stieß gegen den
meinen, doch er sah mich nicht an.
»Haushaltswaren«, antwortete er, immer noch ruhig.
»Ein Stück Wild und einen Beutel Salz als Vorräte. Und eine
Leiche.«
Der Soldat, der nach der Abdeckung des Wagens
gegriffen hatten, hielt abrupt inne. Der Sergeant warf uns einen
scharfen Blick zu.
»Eine was?«
Jamie nahm mir die Zügel ab und wickelte sie sich
lässig um das Handgelenk. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Duncan
sich auf den dunklen Wald zubewegte. Fergus, der erfahrene
Taschendieb, war bereits aus dem Blickfeld verschwunden.
»Die Leiche des Mannes, der heute mittag gehängt
wurde. Ich kannte ihn, und habe mir von Colonel Franklin die
Erlaubnis erbeten, ihn zu seinen Verwandten im Norden mitzunehmen.
Deshalb reisen wir auch bei Nacht«, fügte er vielsagend
hinzu.
»Aha.« Der Sergeant winkte einen Laternenträger
heran. Er warf Jamie einen langen, nachdenklichen Blick aus
zusammengekniffenen Augen zu und nickte. »Ich erinnere mich an
Euch«, sagte er. »Ihr habt ihm am Schluß etwas zugerufen. Euer
Freund, ja?«
»Ich war einmal mit ihm bekannt. Vor einigen
Jahren«, fügte er hinzu. Der Sergeant nickte seinem Untergebenen zu
und ließ Jamie nicht aus den Augen.
»Sieh nach, Griswold.«
Griswold, der vielleicht vierzehn war, nahm den
Befehl mit einem merklichen Mangel an Begeisterung entgegen,
lüftete aber gehorsam die Segeltuchplane und hielt seine Laterne
hoch, um das Innere auszuleuchten. Nur mit Mühe hielt ich mich
davon ab, mich umzudrehen und hinzusehen.
Das Pferd direkt vor mir schnaubte und warf den
Kopf zurück. Falls wir durchstarten mußten, würde es mehrere
Sekunden dauern, bis sich der Wagen in Bewegung setzte. Ich hörte,
wie Ian sich hinter mir bewegte und seine Hand auf den
Hickoryknüppel legte, der hinter dem Sitz verstaut war.
»Ja, Sir, hier ist eine Leiche«, erstattete
Griswold Bericht. Er ließ die Plane erleichtert sinken und atmete
tief durch die Nase aus.
»Pflanz dein Bajonett auf und stich hinein«, sagte
der Sergeant, den Blick noch auf Jamie gerichtet. Ich mußte ein
Geräusch von mir gegeben haben, denn nun richtete sich der Blick
des Sergeanten auf mich.
»Ihr werdet mir den Wagen ruinieren«, erhob Jamie
Einspruch. »Der Mann hat einen Tag in der Sonne gelegen und ist
ziemlich reif, aye?«
Der Sergeant schnaubte ungeduldig. »Dann stich ihn
ins Bein. Los, Griswold.«
Mit beträchtlichem Widerwillen pflanzte Griswold
sein Bajonett auf, stellte sich auf die Zehenspitzen und fing an,
im Laderaum herumzustochern. Hinter mir hatte Ian leise zu pfeifen
begonnen, ein gälisches Lied mit dem Titel »Und am Morgen sterben
wir« - was ich ziemlich geschmacklos von ihm fand.
»Nein, Sir, er ist wirklich tot.« Griswold stellte
sich wieder auf die Fersen und klang erleichtert. »Ich hab’ fest
zugestochen, aber es kam kein Muckser.«
»Also, in Ordnung.« Der Sergeant entließ den jungen
Soldaten mit einer Kopfbewegung und nickte Jamie zu. »Fahrt weiter,
Mr. Fraser. Aber ich würde Euch raten, Euch Eure Freunde in Zukunft
besser auszusuchen.«
Ich sah, wie Jamies Knöchel auf den Zügeln weiß
wurden, aber er setzte sich nur aufrecht hin und setzte sich den
Hut fester auf den Kopf. Er schnalzte mit der Zunge, die Pferde
zogen abrupt an und ließen bleiche Staubwölkchen zurück, die hinter
uns im Laternenlicht schwebten.
Nach dem Licht erschien die Dunkelheit
allumfassend; trotz des Mondes konnte ich so gut wie nichts sehen.
Die Nacht hüllte uns ein. Ich spürte die Erleichterung eines
gejagten Tieres, das sichere Zuflucht findet, und trotz der
bedrückenden Hitze atmete ich freier.
Wir legten fast eine Viertelmeile zurück, bevor
irgend jemand etwas sagte.
»Seid Ihr verletzt, Mr. Bonnet?« Ians Stimme war
ein lautes Flüstern, das beim Rattern des Wagens gerade eben zu
hören war.
»Ja, er hat mich in den Oberschenkel gestochen, das
kleine Schwein.« Bonnets Stimme war leise, aber ruhig. »Gott sei
Dank hat er von mir abgelassen, bevor das Blut durch das Tuch
kommen konnte. Tote bluten nicht.«
»Seid Ihr schwer verletzt? Soll ich nach hinten
kommen und es mir ansehen?« Ich drehte mich um. Bonnet hatte die
Plane zurückgeschoben und sich aufgesetzt, eine verschwommene,
blasse Gestalt in der Dunkelheit.
»Nein, danke, Ma’am. Ich habe mir den Strumpf
darumgebunden, und ich denke, das wird reichen.« Meine Nachtsicht
kehrte zurück; ich sah sein helles Haar schimmern, als er sich über
seine Wunde beugte.
»Meint Ihr, daß Ihr laufen könnt?« Jamie zügelte
die Pferde zum Schrittempo und drehte sich um, um unseren Gast in
Augenschein zu nehmen. Obwohl sein Ton nicht unfreundlich war, war
es doch klar, daß er unsere gefährliche Fracht so schnell wie
möglich loswerden wollte.
»Nicht so richtig, tut mir ehrlich leid, Sir.« Auch
Bonnet spürte Jamies Wunsch, ihn loszuwerden. Unter Schwierigkeiten
zog er sich auf der Ladefläche hoch und stützte sich hinter dem
Sitz auf sein gesundes Knie. Sein Unterkörper war in der Dunkelheit
nicht zu erkennen, doch ich konnte sein Blut riechen, ein
schärferer Geruch als der leichte, immer noch wahrnehmbare Geruch
von Gavins Leichentuch.
»Ein Vorschlag, Mr. Fraser. Noch drei Meilen, dann
erreichen wir die Straße zur Fähre. Eine Meile hinter der Kreuzung
führt noch eine Straße zur Küste. Kaum mehr als eine Räderspur,
aber befahrbar. Sie führt zum Ufer eines Flüßchens, das in die See
mündet. Einige meiner Partner werden im Lauf der Woche dort vor
Anker gehen. Wenn Ihr mir ein paar Vorräte überlassen würdet,
könnte ich einigermaßen sicher auf sie warten, und Ihr könntet
weiterfahren, ohne daß meine Gesellschaft Euch die Luft
verpestet.«
»Partner? Ihr meint Piraten?« Ians Stimme war
voller Mißtrauen. Seit er von Piraten aus Schottland entführt
worden war, betrachtete er diese Leute nicht mehr mit demselben
romantischen Blick wie andere Fünfzehnjährige.
»Das kommt auf den Blickwinkel an, Junge.« Bonnet
hörte sich belustigt an. »Die Gouverneure von Carolina würden sie
sicher so nennen, aber die Kaufleute von Wilmington und Charleston
sehen das möglicherweise anders.«
Jamie schnaubte. »Schmuggler, aye? Und womit
handeln Eure sogenannten Partner?«
»Mit allem, was so viel Geld bringt, daß sich der
Transport lohnt.« Die Belustigung war nicht aus Bonnets Stimme
gewichen, hatte jetzt aber eine zynische Färbung angenommen. »Wollt
Ihr eine Belohnung für Eure Hilfe? Das läßt sich
arrangieren.«
»Nein.« Jamies Stimme war kalt. »Ich habe Euch um
Gavins und um meinetwillen gerettet. Dafür würde ich niemals eine
Belohnung wollen.«
»Ich wollte Euch nicht beleidigen, Sir.« Bonnet
neigte leicht den Kopf.
»Schon gut«, sagte Jamie kurz angebunden. Er
schüttelte die Zügel aus und nahm sie wieder auf, diesmal mit der
anderen Hand.
Die Unterhaltung erstarb nach diesem kurzen
Wortwechsel, obwohl
Bonnet weiter hinter uns kniete und über meine Schulter hinweg auf
die dunkle Straße blickte. Doch es tauchten keine Soldaten mehr
auf; nichts rührte sich, nicht einmal ein Luftzug in den Blättern.
Nichts unterbrach die Stille der Sommernacht außer dem
gelegentlichen Schrei eines vorbeifliegenden Nachtvogels oder dem
Heulen einer Eule.
Das sanfte, rhythmische Hufgetrappel und das
Quietschen und Rattern des Wagens begann, mich in den Schlaf zu
lullen. Ich versuchte, mich aufrecht zu halten, beobachtete die
schwarzen Schatten der Bäume links und rechts der Straße, doch
langsam, aber sicher kippte ich zu Jamie hinüber, und all meinen
Bemühungen zum Trotz fielen mir die Augen zu.
Jamie nahm die Zügel in die linke Hand, legte den
rechten Arm um mich und zog mich an sich, so daß ich mich an seine
Schulter lehnen konnte. Wie immer fühlte ich mich geborgen, sobald
ich ihn berührte. Ich erschlaffte, die Wange gegen den staubigen
Sergestoff seines Rokkes gepreßt, und verfiel sofort in jenes
unangenehme Dösen, das sich einstellt, wenn man völlig erschöpft
ist und sich nicht hinlegen kann.
Einmal öffnete ich die Augen und sah Duncan Innes’
lange, magere Gestalt mit dem unermüdlichen Schritt des
Hochlandbewohners neben dem Wagen herlaufen, den Kopf wie in
Gedanken gebeugt. Dann schloß ich sie wieder und verfiel in einen
Halbschlaf, in dem sich Bilder des vergangenen Tages mit
Traumfragmenten vermischten. Ich träumte von einem gigantischen
Stinktier, das unter einem Kneipentisch schlief und dann aufwachte,
um in den Refrain der Nationalhymne einzustimmen, dann von einer
hin und her schwingenden Leiche, die ihren herunterbaumelnden Kopf
hob und mich mit leeren Augenhöhlen angrinste… Ich erwachte und
stellte fest, daß Jamie mich sanft schüttelte.
»Am besten kriechst du nach hinten und legst dich
hin, Sassenach«, sagte er. »Du brabbelst im Schlaf. Nachher fällst
du mir noch auf die Straße.«
Verschlafen stimmte ich zu, kroch umständlich über
die Lehne der Sitzbank und tauschte den Platz mit Bonnet. Ian
schlief auf der Ladefläche, und ich legte mich neben ihn.
Im Laderaum roch es muffig - und schlimmer. Ians
Kopf ruhte auf einem Stück grob zerlegtem Wildbret, das in die
ungegerbte Haut des Tieres gewickelt war. Rollo hatte es besser
getroffen - seine haarige Schnauze ruhte bequem auf Ians Bauch. Ich
wählte den ledernen Salzbeutel. Das glatte Leder lag hart, aber
geruchlos unter meiner Wange.
Man konnte die rumpelnden Bretter der Ladefläche
bei aller Phantasie
nicht bequem nennen, doch die Erleichterung darüber, daß ich mich
endlich ganz ausstrecken konnte, war so überwältigend, daß ich das
Gerüttel kaum wahrnahm. Ich drehte mich auf den Rücken und blickte
in die dunstige Unendlichkeit des südlichen Himmels auf, der mit
flammenden Sternen übersät war. Lumen Christi, dachte ich
und schlief wieder ein, beruhigt von der Vorstellung, daß Gavin
Hayes im Himmelslicht sicher den Heimweg fand.
Ich kann nicht sagen, wie lange ich unter meiner
betäubenden Decke aus Hitze und Erschöpfung schlief. Ich erwachte,
weil der Wagen die Geschwindigkeit änderte, und driftete
schweißgebadet ins Bewußtsein zurück.
Bonnet und Jamie unterhielten sich im leisen,
entspannten Tonfall zweier Männer, die die anfängliche Befangenheit
ihres ersten Zusammentreffens überwunden haben.
»Ihr habt gesagt, daß Ihr mich um Gavin Hayes’
willen gerettet habt - und um Euretwillen«, sagte Bonnet. Seine
Stimme war leise und ging beinahe im Gerumpel der Räder unter. »Was
habt Ihr damit gemeint, wenn ich das fragen darf, Sir -?«
Jamie antwortete nicht sofort; ich schlief schon
fast wieder, bevor er etwas sagte, doch schließlich kam seine
Antwort und trieb körperlos in der warmen, dunklen Luft.
»Ich schätze, Ihr habt letzte Nacht nicht besonders
gut geschlafen, oder? In Erwartung dessen, was am nächsten Tag auf
Euch zukam?«
Bonnet lachte leise, doch es klang nicht übermäßig
belustigt.
»O ja«, sagte er. »Ich glaube nicht, daß ich das so
schnell vergessen werde.«
»Ich auch nicht.« Jamie murmelte den Pferden leise
etwas auf Gälisch zu, und sie wurden daraufhin langsamer. »Ich habe
auch schon einmal eine solche Nacht erlebt, in der ich wußte, daß
ich am Morgen gehängt würde. Und dennoch habe ich überlebt, dank
eines Menschen, der viel riskiert hat, um mich zu retten.«
»Ach so«, sagte Bonnet leise. »Also seid Ihr ein
asgina ageli?«
»Aye? Und was ist das?«
Es gab ein kratzendes Geräusch, als der Wagen an
ein paar Ästen vorbeischrammte, und der würzige Harzgeruch der
Bäume wurde plötzlich stärker. Etwas Leichtes berührte mein Gesicht
- Blätter, die von oben herunterfielen. Die Pferde wurden
langsamer, und der Rhythmus des Wagens änderte sich merklich, denn
die Wagenräder gerieten auf eine unebene Oberfläche. Wir waren in
die kleine Straße eingebogen, die zu Bonnets Flüßchen führte.
»Asgina ageli ist ein Wort, das die Rothäute
benutzen - die Cherokees
in den Bergen. Ich habe es von einem, der einmal mein Führer war.
Es bedeutet ›Halbgeist‹, einer, der eigentlich hätte sterben
sollen, aber immer noch auf der Erde weilt: eine Frau, die eine
tödliche Krankheit überlebt, ein Mann, der in die Hände seiner
Feinde gefallen ist und entkommt. Sie sagen, ein asgina
ageli steht mit einem Fuß auf der Erde und mit dem anderen in
der Geisterwelt. Er kann mit den Geistern sprechen und die Nunnahee
sehen - das Kleine Volk.«
»Kleines Volk? So wie unsere Feen?«
»So etwas Ähnliches.« Bonnet verlagerte sein
Gewicht, und der Sitz knarrte, als er sich reckte. »Die Indianer
sagen, daß die Nunnahee in den Felsen der Berge leben und
herauskommen, um ihrem Volk im Krieg oder in der Not zu
helfen.«
»Wirklich. Das klingt wie die Sagen, die man sich
in Schottland in den Highlands erzählt - vom alten Volk.«
»Ach was.« Bonnet klang belustigt. »Nun, nach
allem, was ich von den schottischen Hochlandbewohnern gehört habe,
gibt es, was die Barbarei angeht, keinen großen Unterschied
zwischen ihnen und den Roten.«
»Unsinn«, sagte Jamie, den das nicht im geringsten
zu beleidigen schien. »Die Wilden hier essen die Herzen ihrer
Feinde, habe ich zumindest gehört. Ich persönlich ziehe eine
anständige Schüssel Porridge vor.«
Bonnet machte ein Geräusch, das er hastig
unterdrückte.
»Ihr seid ein Highlander? Nun, ich muß sagen, für
einen Barbaren finde ich Euch ganz zivilisiert, Sir«, versicherte
er Jamie, und Gelächter schwang in seiner Stimme mit.
»Ich danke Euch außerordentlich für das Kompliment,
Sir«, erwiderte Jamie mit derselben Höflichkeit.
Ihre Stimmen vermischten sich mit dem rhythmischen
Quietschen der Räder, und bevor ich noch etwas hören konnte, war
ich wieder eingeschlafen.
Der Mond hing tief über den Bäumen, als wir
schließlich haltmachten. Ich schreckte hoch, weil Ian schläfrig
über den Rand des Wagens krabbelte, um Jamie bei den Pferden zu
helfen. Ich hob den Kopf und sah einen breiten Wasserstreifen, der
an lehmigen Schlammbänken vorbeifloß. Der Strom war
schwarzglänzend, und wo die Stromschnellen über die Felsen in
Ufernähe eilten, glitzerte er silbern. Mit dem in der Neuen Welt
üblichen Hang zur Untertreibung mochte Bonnet es ein Flüßchen
nennen, doch bei den meisten Bootsleuten würde es als waschechter
Fluß durchgehen, dachte ich.
Die Männer bewegten sich im Schatten hin und her
und führten
ihre Aufgaben aus, ohne mehr als ein gelegentliches, leises Wort
zu wechseln. Sie bewegten sich mit ungewohnter Langsamkeit und
schienen mit der Nacht zu verschmelzen, als nähme die Müdigkeit
ihnen die Substanz.
»Geh und such dir einen Platz zum Schlafen,
Sassenach«, sagte Jamie und hielt inne, um mich zu stützen, als ich
vom Wagen sprang. »Ich muß zusehen, daß unser Gast ein paar Vorräte
bekommt und aufbricht, und daß die Pferde trockengerieben werden
und grasen können.«
Die Temperatur war seit Anbruch der Nacht fast
überhaupt nicht gesunken, doch hier am Wasser schien mir die Luft
etwas frischer zu sein, und ich spürte, wie meine Lebensgeister
zurückkehrten.
»Ich kann nicht schlafen, bevor ich nicht gebadet
habe«, sagte ich und zog mir das durchnäßte Mieder meines Kleides
von den Brüsten. »Ich fühle mich furchtbar.« Mir klebte das Haar an
den Schläfen, und meine Haut fühlte sich schmutzig an und juckte.
Das dunkle Wasser sah kühl und einladend aus. Jamie warf einen
sehnsüchtigen Blick darauf und zupfte an seiner zerknitterten
Halsbinde.
»Das kann ich dir nicht verdenken. Sei aber
vorsichtig; Bonnet sagt, die Fahrrinne ist so tief, daß man den
Fluß mit einem Zweimaster befahren kann. Außerdem ist es ein
Gezeitenwasser; die Strömung ist stark.«
»Ich bleibe nah am Ufer.« Ich deutete flußabwärts,
wo eine kleine Landzunge eine Flußbiegung anzeigte. Dort wuchsen
Weiden, die silberdämmrig im Mondlicht leuchteten. »Siehst du die
kleine Landzunge? Da ist bestimmt ein Becken mit Strudeln.«
»Aye. Sei vorsichtig«, sagte er noch einmal und
drückte meinen Ellbogen zum Abschied. Als ich mich zum Gehen
wandte, ragte eine bleiche Gestalt vor mir auf; unser ehemaliger
Gast mit einem dunklen Fleck von getrocknetem Blut am
Hosenbein.
»Ergebenster Diener, Ma’am«, sagte er und machte
trotz seines verletzten Beines eine achtbare Verbeugung. »Sagen wir
uns jetzt adieu?« Er stand etwas näher bei mir, als mir lieb war,
und ich unterdrückte den Drang, einen Schritt zurückzutreten.
»Ja«, sagte ich und nickte ihm zu, während ich eine
lose Haarlocke zurückstrich. »Viel Glück, Mr. Bonnet.«
»Danke für die guten Wünsche, Ma’am«, antwortete er
leise. »Ich habe allerdings festgestellt, daß man am besten seines
eigenen Glückes Schmied ist. Gute Nacht, Ma’am.« Er verbeugte sich
noch einmal und wandte sich dann ab. Er hinkte stark und sah aus
wie der Geist eines verkrüppelten Bären.
Das Rauschen des Flusses verschluckte die meisten
normalen Geräusche der Nacht. Ich sah eine Fledermaus auf der Jagd
nach unsichtbaren Insekten über eine mondbeschienene Stelle fliegen
und in der Nacht verschwinden. Falls sonst noch etwas in der
Dunkelheit lauerte, verhielt es sich still.
Jamie grunzte leise.
»Na, ich hab’ so meine Zweifel, was den Mann
angeht«, sagte er, als beantwortete er eine Frage, die ich nicht
gestellt hatte. »Ich kann nur hoffen, daß für mein Herz und nicht
gegen meinen Verstand spricht, daß ich ihm geholfen habe.«
»Aber du konntest doch nicht zulassen, daß man ihn
aufhängt«, sagte ich.
»O doch, das hätte ich gekonnt«, sagte er zu meiner
Überraschung. Er sah, wie ich zu ihm aufblickte, und lächelte, eine
ironische Mundbewegung, die in der Dunkelheit kaum zu sehen
war.
»Die Krone sucht sich nicht immer den
Falschen zum Hängen aus, Sassenach«, sagte er. »Meistens hat der
Mann am Ende des Strickes ihn auch verdient. Und ich möchte mir
nicht vorwerfen müssen, daß ich einem Schurken zur Flucht verholfen
habe.« Er zuckte die Achseln und schob sich das Haar aus dem
Gesicht.
»Aye, nun, passiert ist passiert. Geh baden,
Sassenach, ich komme zu dir, sobald ich kann.«
Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, um ihn zu
küssen, und fühlte ihn dabei lächeln. Meine Zunge berührte sanft
einladend seinen Mund, und als Antwort biß er mich leicht in die
Unterlippe.
»Kannst du noch ein bißchen wach bleiben,
Sassenach?«
»So lange wie nötig«, versicherte ich ihm. »Aber
beeil dich, ja?«
Dichtes Gras wuchs unter den Weiden am Rand der
Landzunge. Ich zog mich langsam aus und genoß es, den Luftzug, den
das Wasser herantrug, durch den feuchten Stoff von Hemd und
Strümpfen zu spüren - und dann schließlich die Freiheit, als die
letzten Kleidungsstücke zu Boden fielen und ich nackt in der Nacht
stand.
Ich trat vorsichtig ins Wasser. Es war überraschend
kühl - kalt im Kontrast zu der heißen Nachtluft. Der Boden unter
meinen Füßen bestand zum Großteil aus Schlamm, ging aber einen
Meter vom Ufer entfernt in feinen Sand über.
Obwohl der Fluß ein Gezeitenwasser war, befanden
wir uns so weit stromaufwärts, daß das Wasser frisch und süß war.
Ich trank und bespritzte mir das Gesicht, um mir den Staub aus
Kehle und Nase zu spülen.
Ich watete bis zur Hälfte meiner Oberschenkel
hinein, Jamies Warnungen vor Fahrrinne und Strömungen im
Hinterkopf. Nach der umwerfenden Hitze des Tages und der
erdrückenden Umarmung der Nacht brachte das Gefühl der Kühle auf
entblößter Haut überwältigende Erleichterung. Ich schöpfte Wasser
mit den Händen und ließ es mir über Gesicht und Brüste laufen; die
Tropfen rannen mir den Bauch herunter und kitzelten mich kalt
zwischen den Beinen.
Ich fühlte den leichten Druck der ansteigenden
Flut, die sich sanft gegen meine Unterschenkel schob und mich zum
Ufer drängte. Ich war aber noch nicht soweit. Ich hatte keine
Seife, daher kniete ich mich hin, spülte mein Haar wieder und
wieder im klaren, dunklen Wasser aus und rieb mir den Körper mit
einer Handvoll Sand ab, bis sich meine Haut dünn und heiß
anfühlte.
Schließlich kletterte ich aus dem Wasser auf eine
Felsbank und lag genießerisch wie eine Meerjungfrau im Mondlicht.
Jetzt waren die Hitze der Luft und der sonnenwarme Stein eine
Wohltat für meinen ausgekühlten Körper. Ich kämmte mir das dichte,
lockige Haar mit den Fingern aus, wobei ich überall Wassertropfen
versprühte. Der feuchte Stein roch nach Regen, staubig und
prickelnd.
Ich war sehr müde und fühlte mich doch gleichzeitig
sehr lebendig, in jenem halb bewußten Zustand, in dem sich das
Denken verlangsamt und sich die kleinen physischen Wahrnehmungen
verstärken. Ich bewegte meinen nackten Fuß langsam über den
Sandsteinfelsen und genoß die leichte Reibung. Dann ließ ich eine
Hand sanft über die Innenseite meines Oberschenkels gleiten, und
bei dieser Berührung überlief mich eine Gänsehaut.
Meine Brüste erhoben sich im Mondlicht, kühle,
weiße Halbkugeln, noch von klaren Tropfen benetzt. Ich streifte
meine Brustwarze und sah zu, wie sie sich versteifte und sich wie
von Zauberhand aufrichtete.
Und es war wirklich ein verzauberter Ort, dachte
ich. Die Nacht war lautlos und still, doch die Atmosphäre war so
träge, als triebe man im warmen Meer. So nah an der Küste war der
Himmel klar, und die Sterne leuchteten wie Diamanten, mit
kraftvollem, hellem Licht.
Ein leises Klatschen ließ mich zum Fluß blicken.
Nur das schwache Funkeln der Sterne bewegte sich auf der
Wasseroberfläche, wie Glühwürmchen in einem Spinnennetz.
Da durchbrach ein großer Kopf in der Flußmitte die
Wasseroberfläche, und Wasser strömte an beiden Seiten der spitzen
Schnauze herab. Ein Fisch schlug zwischen Rollos Kiefern um sich;
seine Schuppen
glänzten kurz auf, als Rollo mit aller Kraft den Kopf schüttelte,
um ihm das Genick zu brechen. Der riesige Hund schwamm langsam ans
Ufer, schüttelte sich kurz und schlich dann mit seinem Abendessen
davon, das ihm schlaff und schimmernd aus dem Maul hing.
Am anderen Ufer blieb er einen Augenblick stehen
und sah mich an; seine zotteligen Nackenhaare umrahmten die gelben
Augen und den glänzenden Fisch. Wie ein primitives Gemälde, dachte
ich - ein Rousseau, mit seinem Kontrast zwischen völliger Wildnis
und perfekter Stille.
Dann war der Hund verschwunden, und am anderen Ufer
waren nur noch die Bäume, die alles verbargen, was hinter ihnen
lag. Was das wohl war? fragte ich mich. Noch mehr Bäume, antwortete
mein Verstand.
»Viel mehr«, murmelte ich und blickte in die
rätselhafte Dunkelheit. Die Zivilisation - selbst von der
primitiven Sorte, an die ich mich gewöhnt hatte - war nur eine
schmale Sichel am Rand des Kontinents. Zweihundert Meilen weiter
landeinwärts gab es keine Städte oder Gehöfte mehr. Und dahinter
lagen dreitausend Meilen… wovon? Wildnis, sicherlich, und Gefahr.
Abenteuer, das auch - und Freiheit.
Es war schließlich eine neue Welt, frei von Furcht
und voller Glück, denn jetzt waren Jamie und ich zusammen, für den
Rest unseres Lebens. Abschied und Leid lagen hinter uns. Selbst der
Gedanke an Brianna erfüllte mich nicht mit furchtbarem Bedauern -
ich vermißte sie sehr und dachte ständig an sie, doch ich wußte,
daß sie in ihrer eigenen Zeit in Sicherheit war, und dieses Wissen
ließ mich ihre Abwesenheit leichter ertragen.
Ich legte mich wieder auf den Felsen, dessen
Oberfläche die gespeicherte Hitze des Tages auf meinen Körper
ausstrahlte, und war einfach nur froh, am Leben zu sein. Ich sah
zu, wie die Wassertropfen auf meinen Brüsten trockneten, sich in
einen feuchten Film verwandelten und dann völlig
verschwanden.
Kleine Mückenwolken hingen über dem Wasser. Ich
konnte sie zwar nicht sehen, doch das gelegentliche Platschen eines
Fisches, der hochsprang, um sie in der Luft zu fangen, verriet mir,
daß sie da waren.
Die Insekten waren eine allgegenwärtige Plage
gewesen. Jeden Morgen unterzog ich Jamies Haut einer eingehenden
Inspektion, zog ihm gierige Zecken und anderes Getier vom Körper
und rieb die Männer großzügig mit einem Aufguß von Poleiminze- und
Tabakblättern ein. Dies verhinderte, daß sie bei lebendigem Leib
von den
Moskitos, Stechmücken und anderen Blutsaugern verspeist wurden,
die in den sonnengefleckten Schatten der Wälder hingen, doch es
konnte die vorwitzigen Insektenschwärme nicht davon abhalten, sie
durch ständige kitzelnde Erkundungsgänge in Ohr, Auge, Nase und
Mund zum Wahnsinn zu treiben.
Merkwürdigerweise ließen mich die meisten Insekten
strikt in Ruhe. Ian sagte im Scherz, daß mein starker Kräutergeruch
sie wohl verjagte, doch ich glaubte, daß mehr dahintersteckte -
selbst wenn ich frisch gebadet war, zeigten die Insekten keinerlei
Neigung, mich zu belästigen.
Ich hielt das für eine weitere Manifestation jener
evolutionären Merkwürdigkeit, die - so vermutete ich zumindest -
mich hier auch vor Erkältungen und harmlosen Erkrankungen schützte.
Die Entwicklung der blutsaugenden Insekten verlief genau wie die
der Mikroben parallel zur Entwicklung des Menschen, und sie waren
empfänglich für die subtilen chemischen Signale ihrer Wirte. Da ich
aus einer anderen Zeit kam, verbreitete ich nicht mehr dieselben
Signale, und demzufolge betrachteten mich die Insekten nicht länger
als Beute.
»Oder vielleicht hat Ian ja recht und ich rieche
einfach nur scheußlich«, sagte ich laut. Ich tauchte meine Finger
ins Wasser und spritzte eine Libelle naß, die auf meinem Felsen
Rast machte, kaum mehr als ein transparenter Schatten, den die
Dunkelheit seiner Farben beraubt hatte.
Ich hoffte, daß Jamie sich beeilen würde. Tagaus,
tagein direkt neben ihm auf dem Wagen zu sitzen, die kaum
merklichen Bewegungen seines Körpers beim Fahren zu beobachten,
zuzusehen, wie sich der Lichteinfall in seinem Gesicht beim Reden
und Lächeln veränderte, reichte völlig aus, um meine Handflächen
prickeln zu lassen vor Sehnsucht, ihn zu berühren. Wir hatten seit
einigen Tagen nicht mehr miteinander geschlafen, da wir solche Eile
hatten, Charleston zu erreichen, und ich Hemmungen hatte, in
Hörweite von einem Dutzend Männer intim zu werden.
Ein warmer Lufthauch wehte an mir vorbei, und die
flaumigen Härchen meines Körpers sträubten sich. Jetzt gab es keine
Eile mehr, und niemand konnte uns hören. Ich schob eine Hand über
meinen sanft gerundeten Bauch, über die weiche Innenseite meiner
Oberschenkel, wo das Blut im Rhythmus meines Herzschlags pulsierte.
Ich schloß meine Hand um das geschwollene, feuchte Brennen meines
drängenden Verlangens.
Ich schloß sanft reibend die Augen und genoß das
Gefühl des zunehmenden Drängens.
»Und wo zum Teufel bist du, Jamie Fraser?« murmelte
ich.
»Hier«, kam es heiser zurück.
Erschrocken öffnete ich die Augen. Er stand zwei
Meter von mir entfernt oberschenkeltief im Wasser, seine Genitalien
dunkel vor dem bleichen Glanz seines Körpers. Sein Haar lag offen
auf seinen Schultern und umrahmte ein Gesicht, das so weiß war wie
Knochen, die Augen reglos und konzentriert wie die des Wolfshundes.
Völlige Wildnis, vollkommene Stille.
Dann regte er sich und kam zu mir, immer noch
konzentriert, aber nicht mehr still. Seine Oberschenkel waren so
kalt wie das Wasser, als er mich berührte, doch in Sekundenschnelle
wurde er warm, dann heiß. Schweißperlen bildeten sich
augenblicklich überall dort, wo seine Hände meine Haut berührten,
und eine Flut heißer Feuchtigkeit benetzte von neuem meine Brüste,
die rund und glatt unter seiner harten Brust lagen.
Dann wanderte sein Mund zu meinem und ich
verschmolz - fast buchstäblich - mit ihm. Es war mir egal, wie heiß
es war und ob die Feuchtigkeit auf meiner Haut sein Schweiß war
oder meiner. Sogar die Insektenwolken verloren jede Bedeutung. Ich
hob meine Hüften an, und er glitt hinein, glatt und fest, und der
letzte Rest seiner Kühle erlosch in meiner Hitze wie das kalte
Metall eines Schwertes in heißem Blut.
Meine Hände glitten auf einem feuchten Film über
seinen Rücken, meine Brüste bewegten sich unter seiner Brust, und
ein Rinnsal tropfte zwischen ihnen nach unten und glättete die
Reibung von Bauch und Oberschenkel.
»Himmel, dein Mund ist so schlüpfrig und salzig wie
deine Möse«, murmelte er und streckte die Zunge aus, um die kleinen
Salzperlen in meinem Gesicht zu kosten, Schmetterlingsflügel auf
Schläfen und Augenlidern.
Ich spürte den harten Felsen unter mir kaum. Die
gespeicherte Tageshitze, die von ihm aufstieg, wanderte durch mich
hindurch, und die rauhe Felsoberfläche schürfte mir Rücken und
Hinterteil auf, doch es störte mich nicht.
»Ich kann nicht warten«, flüsterte er mir atemlos
ins Ohr.
»Dann tu’s auch nicht«, sagte ich und schlang meine
Beine fest um seine Hüften, Haut an Haut im kurzen Wahn der
Erlösung.
»Ich habe ja schon gehört, daß Leute vor
Leidenschaft dahinschmelzen«, sagte ich und schnappte nach Luft,
»aber das hier ist lächerlich.«
Er hob den Kopf von meiner Brust, und es gab ein
leises, klebriges
Geräusch, als sich seine Wange löste. Er lachte und glitt langsam
zur Seite.
»Mein Gott, ist das heiß!« sagte er. Er schob sich
das schweißnasse Haar aus der Stirn und atmete aus. Seine Brust hob
und senkte sich immer noch vor Anstrengung. »Wie schaffen die Leute
das, wenn es so heiß ist?«
»Genau wie wir gerade«, erläuterte ich. Ich atmete
selbst schwer.
»Das geht nicht«, sagte er im Brustton der
Überzeugung. »Nicht auf die Dauer, sie würden sterben.«
»Nun, vielleicht machen sie es langsamer«, sagte
ich. »Oder unter Wasser. Oder sie warten bis zum Herbst.«
»Bis zum Herbst?« sagte er. »Vielleicht möchte ich
doch nicht im Süden leben. Ist es heiß in Boston?«
»Um diese Jahreszeit schon«, versicherte ich ihm.
»Und im Winter verdammt kalt. Du wirst dich an die Hitze gewöhnen.
Und an die Insekten.«
Er streifte sich eine eifrige Mücke von der
Schulter und blickte von mir zum Fluß.
»Vielleicht«, sagte er, »vielleicht auch nicht,
aber im Moment…« Er schlang die Arme fest um mich und drehte sich.
Mit der schwerfälligen Eleganz eines rollenden Baumstamms fielen
wir vom Rand der Felsbank ins Wasser.
Wir lagen feucht und kühl auf dem Felsen und
berührten uns kaum, während die letzten Wassertropfen auf unserer
Haut verdampften. Am anderen Ufer ließen die Weiden ihre Blätter
ins Wasser hängen, und ihre Kronen sahen im Mondlicht schwarz und
zerzaust aus. Hinter den Weiden lagen Morgen um Morgen und Meile um
Meile jungfräulicher Wälder, denn die Zivilisation hatte gerade
erst am Rand des Kontinentes Fuß gefaßt.
Jamie folgte meiner Blickrichtung und erriet meine
Gedanken.
»Es hat sich wohl ziemlich verändert, seit du es
zuletzt gesehen hast, oder?« Er deutete auf das
Blätterdunkel.
»Ach, ein bißchen.« Ich verschränkte meine Hand mit
der seinen, und mein Daumen liebkoste abwesend seinen breiten
knochigen Handrücken. »Die Straßen sind dann befestigt, nicht
gepflastert, sondern mit einem harten, glatten Material bedeckt,
das ein Schotte namens MacAdam erfunden hat.«
Jamie grunzte leise vor Belustigung.
»Also gibt es dann Schotten in Amerika? Das ist
gut.«
Ich ignorierte ihn und redete weiter, während ich
in die tanzenden
Schatten blickte, als könnte ich die blühenden Städte
heraufbeschwören, die dort eines Tages entstehen sollten.
»Es wird dann Menschen aus aller Herren Länder in
Amerika geben. Das ganze Land wird besiedelt, von hier bis zur
Westküste, bis zu einem Ort namens Kalifornien. Aber im Augenblick«
- ich erschauerte sacht trotz der warmen, feuchten Luft - »haben
wir nur dreitausend Meilen Wildnis vor uns. Da draußen ist
überhaupt nichts.«
»Aye, nur Tausende von blutrünstigen Wilden«, sagte
er pragmatisch. »Und wahrscheinlich das eine oder andere
gefährliche Tier.«
»Na ja«, stimmte ich zu. »So ist es wohl.« Es war
eine beunruhigende Vorstellung; natürlich war mir - ganz vage und
theoretisch - bekannt gewesen, daß die Wälder von Indianern, Bären
und anderen Waldbewohnern bevölkert waren, doch diese ganz
allgemeine Vorstellung war plötzlich dem konkreten und ganz akuten
Bewußtsein gewichen, daß wir leicht - und unerwartet - mit
irgendwelchen dieser Bewohner zusammentreffen konnten, von
Angesicht zu Angesicht.
»Was wird aus ihnen? Den Indianern?« fragte Jamie
neugierig, während er genau wie ich in die Dunkelheit blickte, als
versuchte er, die Zukunft in den schwankenden Schatten zu lesen.
»Sie werden besiegt und vertrieben, nicht wahr?«
Mich überlief wieder ein leichtes Zittern, und
meine Zehen krampften sich zusammen.
»Ja«, sagte ich. »Umgebracht, viele von ihnen. Oder
gefangengenommen und eingesperrt.«
»Das ist doch gut.«
»Ich schätze, das hängt sehr vom Standpunkt ab«,
sagte ich ziemlich trocken. »Ich glaube nicht, daß die Indianer das
auch so sehen.«
»Kann schon sein«, sagte er. »Aber wenn ein
verdammter Wilder mit aller Kraft versucht, mir die Kopfhaut
abzusägen, interessiert mich sein Standpunkt nicht besonders,
Sassenach.«
»Das kannst du ihnen aber nicht zum Vorwurf
machen«, protestierte ich.
»Kann ich wohl«, versicherte er mir. »Wenn dich
einer von den Kerlen skalpiert, werde ich ihm alles mögliche zum
Vorwurf machen.«
»Äh… hmm«, sagte ich. Ich räusperte mich und machte
noch einen Versuch.
»Was, wenn ein Haufen Fremder ankäme und versuchte,
dich umzubringen oder dich von dem Boden zu vertreiben, auf dem du
immer gelebt hast?«
»Schon geschehen«, sagte er sehr trocken. »Sonst
wäre ich noch in Schottland, aye?«
»Hmm…« Ich kam ins Schwimmen. »Aber ich meine doch
nur - du würdest unter diesen Umständen doch auch kämpfen,
oder?«
Er holte tief Luft und atmete kräftig durch die
Nase aus.
»Wenn ein englischer Dragoner zu meinem Haus käme
und Ärger machte«, sagte er wohlüberlegt, »würde ich mich gegen ihn
verteidigen. Ich würde auch nicht eine Sekunde lang zögern, ihn
umzubringen. Ich würde ihm weder das Haar abschneiden und es durch
die Luft schwenken, noch würde ich seine Genitalien essen. Ich bin
kein Barbar, Sassenach.«
»Das habe ich auch nicht gesagt«, protestierte ich.
»Ich habe nur gesagt, daß -«
»Außerdem«, sagte er mit unumstößlicher Logik,
»habe ich nicht vor, irgendwelche Indianer umzubringen. Wenn sie
mich in Ruhe lassen, werde ich ihnen auch nichts tun.«
»Sie werden sicher froh sein, das zu hören«,
murmelte ich und gab für den Augenblick auf.
Wir lagen aneinandergeschmiegt in der Felsmulde,
sanft vom Schweiß verklebt, und beobachteten die Sterne. Ich war
unvorstellbar glücklich und zugleich ein wenig mißtrauisch. Konnte
dieser Glückszustand wirklich andauern? Einst hatte ich das »für
immer« zwischen uns als selbstverständlich betrachtet, doch damals
war ich noch jünger.
So Gott wollte, würden wir uns bald niederlassen,
den Ort finden, wo wir uns ein Heim, ein Leben aufbauen konnten.
Das war alles, was ich wollte, doch gleichzeitig kamen mir Zweifel.
Seit meiner Rückkehr hatten wir erst ein paar Monate miteinander
verbracht. Jede Berührung, jedes Wort war immer noch in
Erinnerungen gehüllt und gleichzeitig eine Neuentdeckung. Was würde
geschehen, wenn wir uns gründlich aneinander gewöhnt hatten und den
Alltag und seine Routine teilten?
»Meinst du, daß du meiner überdrüssig wirst?«
murmelte er. »Wenn wir uns niedergelassen haben?«
»Ich habe mich gerade umgekehrt dasselbe
gefragt.«
»Nein«, sagte er, und ich hörte das Lächeln in
seiner Stimme. »Bestimmt nicht, Sassenach.«
»Woher weißt du das?« fragte ich.
»Ich war es nie«, erinnerte er mich. »Damals. Wir
waren drei Jahre verheiratet, und ich habe dich am letzten Tag noch
genauso begehrt wie am ersten. Vielleicht sogar mehr«, fügte er
leise hinzu. Genau wie
ich dachte er an unseren letzten Liebesakt, bevor er mich durch
die Steine geschickt hatte.
Ich beugte mich herab und küßte ihn. Er schmeckte
sauber und frisch und hatte noch etwas vom durchdringenden Geruch
des Geschlechtsaktes an sich.
»Ich auch.«
»Dann mach dir keine Sorgen, Sassenach, und ich
mach’ mir auch keine.« Er berührte mein Haar und strich mir die
feuchten Locken aus der Stirn. »Ich glaube, ich könnte mein Leben
lang mit dir zusammensein und dich immer noch lieben. Und obwohl
ich schon so oft bei dir gelegen habe, überrascht du mich manchmal
immer noch, so wie heute nacht.«
»Ja? Was habe ich denn getan?« Ich starrte zu ihm
hinunter, meinerseits überrascht.
»Oh… also. Ich wollte nicht… äh -«
Er klang plötzlich verlegen, und sein Körper war
ungewohnt steif.
»Mm?« Ich küßte ihn aufs Ohr.
»Äh… als ich zu dir gekommen bin… was du da gemacht
hast… ich meine - war es das, was ich dachte?«
Ich lächelte im Dunkeln in seine Schulter
hinein.
»Das kommt darauf an, was du gedacht hast, nehme
ich an.«
Er stützte sich auf seinen Ellbogen, und seine Haut
löste sich mit einem leisen Schmatzgeräusch von der meinen. Die
feuchte Stelle, an der er festgeklebt hatte, war plötzlich kühl. Er
drehte sich auf die Seite und grinste mich an.
»Du weißt ganz genau, was ich gedacht habe,
Sassenach.«
Ich berührte sein Kinn, das von sprießenden
Bartstoppeln überschattet war.
»Stimmt. Und du weißt auch ganz genau, was ich
gemacht habe, warum fragst du also?«
»Na ja, ich hätte einfach nicht gedacht, daß eine
Frau so etwas macht.«
Der Mond war so hell, daß ich seine halb
hochgezogene Augenbraue sehen konnte.
»Männer tun es doch auch«, erinnerte ich ihn. »Du
zumindest. Du hast es selbst gesagt - als du im Gefängnis warst,
hast du gesagt -«
»Das war etwas anderes!« Ich sah, wie sich sein
Mund verzog, während er sich überlegte, was er sagen sollte. »Ich -
ach, ich konnte damals einfach nicht anders. Ich konnte schließlich
nicht -«
»Tust du es denn sonst nie?« Ich setzte mich auf,
schüttelte mein feuchtes Haar aus und warf ihm über die Schulter
einen vorsichtigen
Blick zu. Man konnte im Mondlicht nicht sehen, wenn jemand
errötete, doch ich hatte den Eindruck, daß er rot angelaufen
war.
»Na gut«, murmelte er. »Ich denke schon, ja.« Ihm
kam ein plötzlicher Gedanke, und seine Augen weiteten sich, als er
mich ansah. »Machst du - hast du das schon oft gemacht?« Das letzte
Wort kam als Krächzen heraus, und er mußte innehalten und sich
räuspern.
»Das kommt darauf an, was du unter ›oft‹
verstehst«, sagte ich und ließ es zu, daß sich ein Hauch von
Bitterkeit in meine Stimme schlich. »Ich habe schließlich zwei
Jahre lang als Witwe gelebt.«
Er rieb sich mit den Fingerknöcheln über seine
Lippen und beobachtete mich mit Interesse.
»Aye, das stimmt. Es ist nur - ich hatte einfach
nicht gedacht, daß Frauen so etwas machen, das ist alles.«
Zunehmende Faszination bekam die Oberhand über seine Überraschung.
»Kannst du - es zu Ende bringen? Ohne einen Mann, meine ich?«
Da mußte ich laut lachen, und leise Echos hallten
aus den umstehenden Bäumen wider und wurden vom Fluß
zurückgeworfen.
»Ja, aber es ist viel schöner mit einem Mann«,
versicherte ich ihm. Ich streckte die Hand aus und berührte seine
Brust. Ich sah, wie sich eine Gänsehaut auf seiner Brust und seinen
Schultern ausbreitete, und er erschauerte sacht, als ich mit meiner
Fingerspitze einen sanften Kreis um seine Brustwarze zog. »Viel
schöner«, sagte ich leise.
»Oh«, sagte er und hörte sich erfreut an. »Dann ist
es ja gut, aye?«
Er war heiß - noch heißer als die flüssige Luft -,
und mein erster Impuls war zurückzuweichen, doch ich folgte ihm
nicht. Augenblicklich brach mir überall dort, wo seine Hände auf
meiner Haut innehielten, der Schweiß aus, und ganze Rinnsale liefen
mir den Hals herunter.
»So habe ich noch nie mit dir geschlafen«, sagte
er. »Wie Aale, aye? Und dein Körper gleitet mir durch die Finger,
so schlüpfrig wie Seetang.« Er fuhr mit beiden Händen an meinem
Rücken herab, wobei er seine Daumen in die Furche meiner
Wirbelsäule preßte. Die Härchen in meinem Nacken prickelten vor
Vergnügen.
»Mm. Das kommt davon, daß es in Schottland zu kalt
ist, um wie ein Schwein zu schwitzen«, sagte ich. »Obwohl -
schwitzen Schweine eigentlich? Das habe ich mich schon immer
gefragt.«
»Ich weiß es nicht, ich habe noch nie mit einem
Schwein geschlafen.« Er neigte den Kopf, und seine Zunge berührte
meine Brust. »Aber du schmeckst ein bißchen nach Forelle,
Sassenach.«
»Wonach schmecke ich?«
»Frisch und süß mit etwas Salz«, antwortete er und
hob den Kopf, bevor er sich weiter auf den Weg nach unten
machte.
»Das kitzelt«, sagte ich und erzitterte unter
seiner Zunge, machte aber keine Anstalten, mich ihm zu
entziehen.
»Soll es auch«, sagte er und hob das feuchte
Gesicht zum Atemholen, bevor er sich wieder ans Werk machte.
»Gefällt mir nicht, daß du ganz ohne mich auskommen
könntest.«
»Kann ich auch gar nicht«, versicherte ich ihm.
»Oh!«
»Ah?« kam die gedämpfte Nachfrage. Ich legte mich
auf den Stein zurück, den Rücken durchgedrückt, während die Sterne
über mir schwindelerregend zu tanzen begannen.
»Ich habe ›Oh!‹ gesagt«, sagte ich schwach. Und
dann sagte ich eine ganze Zeitlang nichts Zusammenhängendes mehr,
bis er heftig atmend dalag und sein Kinn ganz leicht auf mein
Schambein stützte. Ich langte herunter, um ihm das
schweißdurchtränkte Haar aus dem Gesicht zu streichen, und er küßte
meine Handfläche.
»Ich komme mir vor wie Eva«, sagte ich leise und
sah zu, wie hinter ihm der Mond im dunklen Wald versank. »Genau am
Rand des Gartens Eden.«
In meiner Nabelgegend erklang ein kurzes,
prustendes Lachen.
»Aye, dann bin ich wohl Adam«, sagte Jamie. »Am Tor
zum Paradies.« Er wandte den Kopf und blickte sehnsüchtig über den
Fluß auf das unbekannte Land, dann legte er seine Wange auf meinen
Bauch. »Ich wünschte nur, ich wüßte, ob ich gerade hineingehe oder
herauskomme.«
Ich lachte ebenfalls, und das schreckte ihn auf.
Dann packte ich ihn bei beiden Ohren und zog ihn sanft über meine
schlüpfrige nackte Haut.
»Hinein«, sagte ich. »Ich sehe jedenfalls keinen
Engel mit einem Feuerschwert.«
Er sank auf mich herab, seine Haut ebenfalls
fieberheiß, und ich erschauerte unter ihm.
»Nicht?« murmelte er. »Dann siehst du wohl nicht
genau genug hin.«
Dann trennte mich das Feuerschwert vom Bewußtsein
ab und steckte meinen Körper in Brand. Wir flammten gemeinsam auf,
hell wie Sterne in der Sommernacht, dann sanken wir ausgebrannt
zurück, und unsere Asche löste sich auf in einem warmen Urmeer aus
Salzwasser, in dem sich das erste pulsierende Leben regte.