13
Eine Gewissensprüfung
Etwas Dunkles landete mit einem leisen
Plop! vor uns auf dem Weg, und ich blieb abrupt stehen und
klammerte mich an seinen Arm.
»Ein Frosch«, sagte Jamie seelenruhig. »Hörst du
sie singen?«
»Singen« war nicht das Wort, das mir zu dem Quak-
und Grunzkonzert eingefallen wäre, das aus dem Schilf am Fluß
erklang. Aber Jamie hatte kein musikalisches Gehör und machte kein
Hehl aus dieser Tatsache.
Er streckte die Fußspitze vor und stieß das am
Boden hockende Tier sanft an.
»›Brekekekex, quak, quak‹«, zitierte er.
»›Brekekekex, quak!‹« Das Tier hüpfte davon und verschwand unter
den feuchten Pflanzen am Wegrand.
»Ich habe ja schon immer gewußt, daß du ein Talent
für Sprachen hast«, sagte ich amüsiert, »aber ich hatte keine
Ahnung, daß du Fröschisch kannst.«
»Na ja, nicht gerade fließend«, sagte er
bescheiden. »Aber meine Aussprache ist gut, wenn ich das sagen
darf.«
Ich lachte, und er drückte mir die Hand und ließ
sie dann los. Der kurze Funke des Witzes erlosch, ohne eine
Unterhaltung zu entzünden, und wir gingen weiter, körperlich
zusammen, doch in Gedanken meilenweit voneinander entfernt.
Ich hätte erschöpft sein sollen, doch durch meine
Adern strömte immer noch Adrenalin. Ich verspürte die Hochstimmung,
die sich nach einer erfolgreichen Operation einstellt, ganz zu
schweigen von einem ordinären kleinen Alkoholrausch. Infolge dieser
Kombination stand ich etwas wackelig auf den Beinen, nahm jedoch
gleichzeitig die Dinge um mich herum intensiv wahr.
Unter den Bäumen bei der Anlegestelle stand eine
dekorative Bank, zu der Jamie mich jetzt führte, tiefer ins Dunkel
hinein. Mit einem langen Seufzer sank er auf die Marmorbank, was
mich daran erinnerte, daß auch er einen ereignisreichen Abend
hinter sich hatte.
Ich sah mich mit übertriebener Aufmerksamkeit um
und setzte mich dann neben ihn.
»Wir sind allein und unbeobachtet«, sagte ich.
»Willst du mir jetzt vielleicht sagen, was zum Teufel hier
vorgeht?«
»Oh, aye.« Er richtete sich auf und streckte seinen
Rücken. »Ich hätte dir eher etwas sagen sollen, aber ich hatte ja
keine Ahnung, daß sie so etwas tun würde.« Er tastete nach mir und
fand im Dunklen meine Hand.
»Nichts Schlimmes, wie ich dir schon gesagt habe.
Nur - als Ulysses mir das Plaid und den Dolch und die Brosche
gebracht hat, hat er mir gesagt, Jocasta hätte vor, heute abend
beim Essen zu verkünden - aller Welt mitzuteilen, daß sie mich zum
Erben machen wollte von - dem hier.«
Seine Geste umfaßte das Haus und die Felder hinter
uns - und alles andere: die Anlegestelle am Fluß, den Obstgarten,
die Gärten, die Stallungen, die endlosen, harzduftenden
Kiefernwälder, die Sägemühle und die Terpentinanlage - und die
vierzig Sklaven, die dort arbeiteten.
Ich sah das Ganze vor mir, wie es zweifellos
Jocastas Vision gewesen sein mußte: Jamie, der am Tisch
präsidierte, in Hector Camerons Tartan gehüllt, angetan mit dessen
Dolch und Brosche - jene Brosche mit der nicht gerade subtilen
Beschwörungsformel der Camerons. »Eint Euch!« -, inmitten von
Hectors alten Kollegen und Freunden, die alle nur darauf brennen
würden, den jüngeren Verwandten ihres Freundes an seiner Statt
willkommen zu heißen.
Wenn sie dies vor den versammelten treuen Schotten
verkündet hätte, die bereits einiges vom besten Whisky des
verstorbenen Hector intus hatten, hätten sie ihn auf der Stelle als
Herrn von River Run akzeptiert, ihn mit Wildschweinfett gesalbt und
mit Bienenwachskerzen gekrönt.
Es war ein typischer MacKenzie-Plan gewesen, dachte
ich; kühn, dramatisch - und ohne Rücksicht auf die Wünsche der
beteiligten Personen.
»Und wenn sie es getan hätte«, sagte er und fing
meine Gedanken mit schlafwandlerischer Sicherheit auf, »hätte ich
es sehr schwierig gefunden, auf diese Ehre zu verzichten.«
»Ja. Sehr.«
Er sprang plötzlich auf, denn er war zu unruhig zum
Stillsitzen. Ohne ein Wort streckte er mir die Hand hin, ich erhob
mich, und wir kehrten auf dem Pfad durch den Obstgarten zurück und
umwanderten die formalen Gärten. Die Laternen, die man für den
Empfang angezündet
hatte, waren entfernt worden, die Kerzen ausgeblasen und sparsam
zur späteren Verwendung verwahrt.
»Warum hat Ulysses es dir gesagt?«
»Frag dich doch selbst, Sassenach«, sagte er. »Wer
ist jetzt der Herr von River Run?«
»Oh?«, sagte ich, und dann, »oh!«
»Oh, genau«, sagte er trocken. »Meine Tante ist
blind - wer führt die Bücher und verwaltet den Haushalt? Sie
entscheidet vielleicht, was getan werden soll - aber wer sagt, daß
es getan wird? Wer ist immer an ihrer Seite, um ihr alles zu
berichten, wessen Worte hat sie stets im Ohr, wessen Urteil
vertraut sie mehr als dem aller anderen?«
»Ach so.« Ich starrte nachdenklich zu Boden. »Aber
du glaubst doch nicht, daß er in den Büchern herumgepfuscht oder
ähnliche Gemeinheiten angestellt hat?« Ich hoffte, daß er das nicht
getan hatte, denn ich mochte Jocastas Butler sehr und hatte den
Eindruck gehabt, daß sie einander zugetan waren und sich
gegenseitig respektierten - die Vorstellung, daß er sie kaltblütig
betrog, gefiel mir gar nicht.
Jamie schüttelte den Kopf.
»Nein. Ich habe die Akten und Bücher durchgesehen,
und es ist alles in Ordnung - sogar in sehr guter Ordnung. Ich bin
mir sicher, daß er ein ehrlicher Mann und ein treuer Diener ist -
aber er wäre kein Mensch, wenn er sich darüber freuen würde, seine
Position einem Fremden überlassen zu müssen.«
Er schnaubte kurz.
»Meine Tante ist vielleicht blind, doch der
Schwarze sieht sehr gut. Er hat mit keinem Wort versucht, mich
davon abzubringen oder mich zu irgend etwas zu überreden: hat mir
nur gesagt, was meine Tante vorhat, und es dann mir überlassen, was
ich tun wollte. Oder auch nicht.«
»Du meinst, er wußte, daß du nicht -« Ich hielt
inne, denn ich war mir nicht so sicher, ob er es nicht doch wollte.
Stolz, Vorsicht oder auch beides mochten ihn bewogen haben,
Jocastas Plan zu durchkreuzen, doch das hieß nicht unbedingt, daß
er vorhatte, ihr Angebot zurückzuweisen.
Er antwortete nicht, und mich durchfuhr ein leiser,
kalter Schauer. Ich erzitterte trotz der warmen Sommerluft und nahm
beim Weitergehen seinen Arm, um in dieser Berührung Beruhigung zu
finden.
Es war Ende Juli, und der Duft der reifenden
Früchte hing so süß und schwer in der Luft, daß ich das reine,
kühle Aroma der frischen Äpfel fast schmecken konnte. Ich dachte an
die Versuchung - und den Wurm, der hinter einer glänzenden Schale
verborgen lag.
Versuchung nicht nur für ihn, sondern auch für
mich. Für ihn war es die Chance, das zu tun, wozu er geboren und
erzogen war, was ihm das Schicksal aber versagt hatte: ein großes
Anwesen zu führen, die Verantwortung für die Menschen darauf zu
tragen, seinen Ehrenplatz einzunehmen unter bedeutenden, ihm
ebenbürtigen Männern. Was noch wichtiger war, er würde wieder Clan
und Familie haben. Ich bin schon daran beteiligt, hatte er
gesagt.
Er machte sich nichts aus Reichtum um des Reichtums
willen; das wußte ich. Und ich glaubte auch nicht, daß er nach
Macht strebte; hätte er das gewollt, hätte er sich mein Wissen über
die Zukunft zunutze gemacht und wäre nach Norden gegangen, um sich
seinen Platz unter den Gründern einer Nation zu suchen.
Doch er war schon einmal ein Gutsherr gewesen. Er
hatte mir nur sehr wenig über seine Zeit im Gefängnis erzählt, doch
eine Bemerkung war mir noch im Gedächtnis. Über die Männer, die mit
ihm zusammen eingesperrt gewesen waren, sagte er - Sie waren
mein. Und sie zu haben, hat mich am Leben erhalten. Und ich
erinnerte mich an das, was Ian über Simon Fraser gesagt hatte:
»Die Verantwortung für seine Männer ist jetzt seine einzige
Verbindung mit anderen Menschen.«
Ja, Jamie brauchte Menschen. Menschen, die er
führen konnte, für die er verantwortlich war, die er verteidigte
und an deren Seite er kämpfte. Nicht jedoch Menschen, die sein
Eigentum waren.
Immer noch schweigend, gingen wir am Obstgarten
vorbei, dann den langen Weg durch die Blumenrabatten, wo es so
durchdringend und betäubend nach Lilien, Lavendel, Anemonen und
Rosen duftete, daß sich das bloße Gehen in der heißen, schweren
Luft anfühlte, als stürzte man kopfüber in ein Meer aus
Blütenblättern.
Oh, River Run war ein Garten irdischer Freuden,
kein Zweifel… doch ich hatte einen Schwarzen zum Freund gehabt und
meine Tochter in seiner Obhut zurückgelassen.
Der Gedanke an Joe Abernathy und Brianna gab mir
das seltsame Gefühl, doppelt zu sehen, als existierte ich an zwei
Orten gleichzeitig. Ich konnte ihre Gesichter vor mir sehen, ihre
Stimmen in Gedanken hören, und dennoch war der Mann an meiner
Seite, dessen Kilt bei jedem Schritt schwang, dessen Kopf in
Gedanken gesenkt war, die Wirklichkeit.
Und das war meine Versuchung: Jamie. Nicht die
belanglosen weichen Betten und eleganten Räume, die Seidenkleider
und die gesellschaftliche Bedeutung. Jamie.
Wenn er Jocastas Angebot nicht annahm, mußte er
etwas anderes
tun. Und »etwas anderes« war sehr wahrscheinlich William Tryons
gefährlicher Lockruf - Land und Siedler. Auf gewisse Weise war das
besser als Jocastas großzügiges Angebot; was er aufbaute, würde ihm
gehören, das Erbe, das er Brianna hinterlassen wollte. Wenn er
lange genug lebte, es aufzubauen.
Ich lebte immer noch auf zwei Ebenen. Hier hörte
ich seinen Kilt flüstern, wenn er meinen Rock streifte, spürte die
feuchte Wärme seines Körpers, der noch wärmer war als die heiße
Luft. Ich roch seinen Moschusduft, der in mir die Begierde weckte,
ihn in das Blumenbeet zu zerren, seinen Gürtel zu öffnen und das
Plaid auf seinen Schultern abzuwerfen, mein Mieder herunterzuziehen
und meine Brüste an ihn zu pressen, ihn halbnackt und ganz erregt
in die feuchten, grünen Pflanzen herabzuziehen und ihn mit Gewalt
aus seiner Gedankenwelt in die meine zu entführen.
Doch auf der Ebene der Erinnerung roch ich die
Eiben und den Wind vom Meer, und meine Finger spürten nicht den
lebendigen Mann, sondern den kalten, glatten Granit eines
Grabsteins, der seinen Namen trug.
Ich sagte nichts. Er schwieg ebenfalls.
Wir hatten jetzt eine komplette Runde gedreht und
waren wieder am Flußufer angekommen, wo graue Steinstufen in die
Tiefe führten und in den glitzernden Wellen verschwanden; selbst so
weit flußaufwärts war von der Flut noch etwas zu spüren.
Dort lag ein Boot vertäut, ein kleines Ruderboot,
in dem man fischen oder einen kleinen Ausflug unternehmen
konnte.
»Kommst du mit auf eine kleine Bootsfahrt?«
»Ja, warum nicht?« Er mußte dasselbe Bedürfnis
verspüren wie ich, dachte ich - nur fort vom Haus und von Jocasta,
um genügend Abstand zu bekommen und ohne die Gefahr einer
Unterbrechung klare Gedanken fassen zu können.
Beim Hinabgehen stützte ich mich auf seinen Arm, um
das Gleichgewicht zu halten. Doch ehe ich in das Boot steigen
konnte, drehte er sich zu mir um. Er zog mich an sich und küßte
mich sanft, dann hielt er mich an seinen Körper gedrückt und legte
das Kinn auf meinen Kopf.
»Ich weiß es nicht«, sagte er leise als Antwort auf
meine unausgesprochenen Fragen. Er kletterte in das Boot und
reichte mir die Hand.
Er schwieg, während wir auf den Fluß hinausfuhren.
Es war eine dunkle, mondlose Nacht, doch das Spiegelbild der Sterne
auf der Wasseroberfläche spendete so viel Licht, daß ich genug
sehen konnte,
nachdem meine Augen sich einmal an das Wechselspiel von
glitzerndem Wasser und Baumschatten gewöhnt hatten.
»Willst du nichts dazu sagen?« fragte er
schließlich abrupt.
»Es ist nicht meine Entscheidung«, sagte ich und
spürte eine Enge in meiner Brust, die von keinem Korsett
herrührte.
»Nicht?«
»Nein. Sie ist deine Tante. Es ist dein Leben. Du
mußt dich entscheiden.«
»Und du willst einfach nur zusehen?« Ächzend
tauchte er die Ruder ein, um flußaufwärts zu fahren. »Ist es nicht
auch dein Leben? Oder willst du jetzt doch nicht bei mir
bleiben?«
»Was meinst du damit, nicht bleiben?« Erschreckt
setzte ich mich auf.
»Vielleicht wird es dir zuviel.« Sein Kopf war über
die Ruder gebeugt, so daß ich sein Gesicht nicht sehen
konnte.
»Wenn du den Zwischenfall bei der Sägemühle meinst
-«
»Nein, das nicht.« Er zog die Ruder zurück. Seine
Schultern spannten sich an, und er lächelte schief. »Tod und
Katastrophen würden dich doch kaum stören, Sassenach. Aber die
kleinen Dinge des Alltags… Ich sehe doch, wie du zusammenzuckst,
wenn das schwarze Dienstmädchen dir die Haare kämmt oder wenn der
schwarze Page deine Schuhe zum Putzen mitnimmt. Und die Sklaven bei
der Terpentinanlage. Das macht dir Kummer, oder?«
»Ja. Das stimmt. Ich bin - ich kann keine Sklaven
besitzen. Ich habe dir gesagt -«
»Aye, das hast du.« Er ließ für einen Augenblick
die Ruder ruhen und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
Er sah mich offen an.
»Und wenn ich beschließe, es zu tun, Sassenach…
könntest du bei mir bleiben und zusehen und nichts tun - denn wir
könnten nichts tun, bis meine Tante stirbt. Vielleicht nicht einmal
dann.«
»Was meinst du damit?«
»Sie wird ihre Sklaven kaum freilassen wollen - wie
könnte sie auch? Also könnte ich es auch nicht, solange sie noch am
Leben ist.«
»Aber wenn du die Plantage erst einmal geerbt
hättest…« Ich zögerte. Abgesehen davon, daß es makaber war, so über
Jocastas Tod zu sprechen, mußte man schließlich bedenken, daß
dieses Ereignis kaum in absehbarer Zeit eintreten würde: Jocasta
war knapp über sechzig und, von ihrer Blindheit einmal abgesehen,
bei bester Gesundheit.
Plötzlich verstand ich, was er meinte: Konnte ich
mich dazu durchringen,
Tag um Tag, Monat um Monat, Jahr um Jahr als Sklavenhalterin zu
leben? Ich würde mir nichts vormachen können, würde mich nicht in
das Bewußtsein flüchten können, daß ich hier nur ein Gast war, eine
Außenseiterin.
Ich biß mir auf die Lippe, um seine Frage nicht
spontan und laut zu verneinen.
»Auch dann noch«, beantwortete er meinen halb
angefangenen Einwand. »Hast du nicht gewußt, daß ein
Sklavenbesitzer seine Sklaven ohne schriftliche Erlaubnis der
Versammlung nicht freilassen darf?«
»Er darf was?« Ich starrte ihn verständnislos an.
»Warum in aller Welt darf er das nicht?«
»Die Plantagenbesitzer leben in ständiger Furcht
vor einem bewaffneten Aufstand der Neger«, sagte er. »Und kannst du
es ihnen zum Vorwurf machen?« fügte er sardonisch hinzu. »Sklaven
dürfen keine Waffen tragen mit Ausnahme von Werkzeugen wie den
Rindenmessern, und das Gesetz des Blutvergießens soll verhindern,
daß sie sie einsetzen.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, das letzte,
was die Versammlung erlauben würde, wäre, einen Haufen
freigelassener Schwarzer auf die Gegend loszulassen. Und selbst
wenn jemand einen seiner Sklaven freilassen will und man es ihm
gestattet, muß der entlassene Sklave die Kolonie innerhalb kurzer
Zeit verlassen - sonst darf er vom erstbesten gefangen und erneut
versklavt werden.«
»Du hast es dir durch den Kopf gehen lassen«, sagte
ich langsam.
»Du nicht?«
Ich antwortete nicht. Ich ließ meine Hand ins
Wasser hängen, und eine kleine Welle kräuselte sich um mein
Handgelenk. Nein, ich hatte nicht über diese Möglichkeit
nachgedacht. Nicht bewußt, denn ich hatte mich nicht mit der
Entscheidung befassen wollen, die mir jetzt vorgelegt wurde.
»Es wäre sicher eine großartige Chance für dich«,
sagte ich, und meine Stimme hörte sich angestrengt und unnatürlich
an. »Du hättest alles in der Hand…«
»Meine Tante ist keine Närrin«, sagte er, und eine
leichte Schärfe lag in seiner Stimme. »Sie würde mich zu ihrem
Erben machen, aber nicht zum Eigentümer an ihrer Statt. Sie würde
mich benutzen, um Dinge zu regeln, die sie selbst nicht erledigen
kann - aber ich wäre nicht mehr als ihr Handlanger. Sicher, sie
würde mich nach meiner Meinung fragen und auf meinen Rat hören,
aber sie würde nichts geschehen lassen, was sie nicht will.«
Er schüttelte den Kopf.
»Ihr Mann ist tot. Ob sie ihn nun geliebt hat oder
nicht, sie ist jetzt die Herrin hier, und sie ist niemandem
Rechenschaft schuldig. Und die Macht schmeckt ihr viel zu gut, als
daß sie darauf verzichten würde.«
Er hatte völlig recht mit seiner Einschätzung von
Jocasta Cameron, und darin lag der Schlüssel zu ihrem Plan. Sie
brauchte einen Mann, jemanden, der die Orte aufsuchte, an die sie
nicht gelangen konnte, der mit der Marine verhandeln konnte, der
die auf dem großen Anwesen anfallenden Aufgaben erledigte, die jene
wegen ihrer Blindheit nicht selbst übernehmen konnte.
Gleichzeitig konnte jeder sehen, daß sie
nicht auf der Suche nach einem Ehemann war; jemandem, der
ihre Macht für sich beanspruchen und ihr Vorschriften machen würde.
Wäre er kein Sklave gewesen, hätte Ulysses in ihrem Auftrag handeln
können - doch er konnte ihr zwar seine Augen und Ohren leihen, aber
nicht ihre Hände ersetzen.
Nein, Jamie war die perfekte Wahl; ein starker,
kompetenter Mann, der sich den Respekt Gleichgestellter und den
Gehorsam seiner Untergebenen zu verschaffen wußte. Einer, der
wußte, wie man Land und Menschen verwaltete. Ein Mann, der darüber
hinaus durch Verwandtschaft und Verpflichtung an sie gebunden war,
der täte, was sie befahl - und im Grunde machtlos war. Angewiesen
auf ihre Großzügigkeit, bestochen von der Aussicht auf River Run,
wäre Jamie wenig mehr als Jocastas Zwangsarbeiter, und der Preis
dafür würde erst fällig, wenn Jocasta keine weltlichen Sorgen mehr
hatte.
Ich hatte einen Kloß im Hals, als ich nach Worten
suchte. Ich konnte es nicht, dachte ich. Ich brachte es nicht
fertig. Doch der Alternative konnte ich ebenfalls nicht ins Auge
sehen; ich konnte ihn nicht drängen, Jocastas Angebot abzulehnen,
denn ich wußte, daß ich ihn damit nach Schottland schickte, wo ihn
ein unbekannter Tod ereilen würde.
»Ich kann dir nicht sagen, was du tun sollst«,
sagte ich schließlich. Meine Stimme war kaum lauter als das
regelmäßige Plätschern der Ruder.
Ein hoher Baum war ins Wasser gefallen; in seinen
Ästen verfing sich das Treibgut. Dort hatte sich ein kleines Becken
gebildet, das Jamie nun ansteuerte. Zielsicher ließ er das
Ruderboot in das ruhige Gewässer gleiten. Er zog die Ruder ein und
wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht. Er atmete schwer vor
Anstrengung.
Die Nacht um uns herum war still; es gab kaum
Geräusche außer dem Plätschern des Wassers und dem gelegentlichen
Kratzen versunkener
Zweige an der Bootswand. Schließlich streckte er die Hand aus und
berührte mein Kinn.
»Dein Gesicht ist mein Herz, Sassenach«, sagte er
leise, »und meine Liebe zu dir ist meine Seele. Aber du hast recht,
du kannst nicht mein Gewissen sein.«
Trotz allem wurde mir leichter ums Herz, als wäre
eine unbeschreibliche Bürde von mir abgefallen.
»Ach, ich bin so froh«, sagte ich und fügte
impulsiv hinzu: »Es wäre eine furchtbare Verantwortung.«
»Oh, aye?« Er machte ein etwas erschrockenes
Gesicht. »Findest du mich denn so schlimm?«
»Du bist der wunderbarste Mann, dem ich je begegnet
bin«, sagte ich. »Ich habe nur gemeint… es ist eine so schwere
Verantwortung, wenn man versucht, für zwei Menschen zu leben. Zu
versuchen, einen anderen Menschen den eigenen Vorstellungen von Gut
und Böse anzupassen… natürlich tut man das für ein Kind, das muß
man ja, aber selbst da ist es eine furchtbare Belastung. Ich könnte
es nicht für dich tun… es wäre falsch, das auch nur zu
versuchen.«
Das verblüffte ihn beträchtlich. Er saß einige
Sekunden da, das Gesicht halb abgewandt.
»Glaubst du wirklich, daß ich ein guter Mensch
bin?« fragte er schließlich. Seine Stimme hatte einen seltsamen
Unterton, den ich nicht einordnen konnte.
»Ja«, sagte ich ohne Zögern. Dann fügte ich halb im
Scherz hinzu: »Du nicht?«
Nach einer langen Pause sagte er völlig ernst:
»Nein, ich glaube nicht.«
Ich sah ihn sprachlos an, und mir stand zweifellos
der Mund offen.
»Ich bin ein brutaler Mensch, das weiß ich«, sagte
er ruhig. Er breitete seine Hände auf den Knien aus: große Hände,
die Schwert und Dolch mit Leichtigkeit schwingen konnten, die einen
Mann erwürgen konnten. »Du weißt es auch - oder du solltest es
zumindest wissen.«
»Du hast noch nie etwas getan, wozu du nicht
gezwungen warst.«
»Nicht?«
»Ich glaube nicht«, sagte ich, doch noch während
ich sprach, kamen mir Zweifel. Selbst wenn sie in größter Not
begangen wurden - hinterließen solche Taten nicht ihre Spur in der
Seele eines Menschen?
»Du schätzt mich also nicht so ein wie, sagen wir,
Stephen Bonnet? Man könnte doch sagen, daß er auch aus Not
gehandelt hat.«
»Wenn du glaubst, daß du auch nur das Geringste mit
Stephen Bonnet gemeinsam hast, liegst du völlig falsch«, sagte ich
bestimmt.
Er zuckte leicht ungeduldig die Achseln und
rutschte nervös auf der schmalen Sitzbank herum.
»Der Unterschied zwischen mir und Bonnet ist gar
nicht so groß, nur daß ich im Gegensatz zu ihm Ehrgefühl besitze.
Was hindert mich sonst daran, zum Dieb zu werden?« fragte er.
»Daran, auszuplündern, wen immer ich kann? Die Veranlagung dazu
trage ich in mir - mein einer Großvater hat Leoch mit dem Gold
derer gebaut, die er auf den Pässen der Highlands ausgeraubt hat;
der andere hat sein Glück durch die Frauen gemacht, die er wegen
ihres Reichtums und ihrer Titel zur Heirat gezwungen hat.«
Er reckte sich, und seine kraftvollen Schultern
ragten dunkel vor dem schimmernden Wasser auf. Dann ergriff er
plötzlich die Ruder, die auf seinen Knien lagen, und warf sie ins
Boot. Der Knall ließ mich auffahren.
»Ich bin über fünfundvierzig«, sagte er. »In diesem
Alter sollte ein Mann seßhaft geworden sein, oder? Er sollte
zumindest ein Haus haben, etwas Land, um seine Nahrung anzubauen,
und ein wenig Geld, damit er im Alter versorgt ist.«
Er holte tief Luft, ich sah, wie seine weiße
Hemdbrust sich hob, als seine Lungen anschwollen.
»Nun, ich habe kein Haus. Und kein Land. Und kein
Geld. Keine Hütte, keinen Kartoffelacker, keine Kuh, kein Schwein,
keine Ziege! Ich habe keinen Dachbalken, kein Bett und keinen Topf,
in den ich pinkeln kann!«
Er ließ seine Faust auf die Ruderbank niedersausen,
und der Holzsitz unter mir vibrierte.
»Mir gehören nicht einmal die Kleider, die ich am
Leib habe!«
Es folgte eine lange Stille, die nur vom leisen
Gezirpe der Grillen unterbrochen wurde.
»Du hast mich«, sagte ich leise. Das schien mir
nicht besonders viel.
Aus seiner Kehle drang ein Laut, der sowohl Lachen
als auch Schluchzen hätte sein können.
»Aye, ich habe dich«, sagte er. Seine Stimme
zitterte ein wenig, doch ich konnte nicht sagen, ob vor Belustigung
oder Leidenschaft. »Das ist das Schlimmste daran, aye?«
»Ja?«
Ungeduldig warf er die Hand in die Höhe.
»Wenn es nur um mich ginge, was würde es für eine
Rolle spielen? Ich könnte leben wie Myers: in die Wälder ziehen,
mich vom Jagen und Fischen ernähren und mich, wenn ich zu alt
würde, friedlich
unter einen Baum legen und sterben und den Füchsen meine Knochen
zum Abnagen überlassen. Wen würde es kümmern?«
Er zuckte heftig mit den Schultern, als wäre ihm
sein Hemd zu eng.
»Aber es geht nun einmal nicht nur um mich«, sagte
er. »Es geht um dich und um Ian und um Duncan und um Fergus und um
Marsali - Gott steh mir bei, ich muß sogar an Laoghaire
denken!«
»Na, lieber nicht«, sagte ich.
»Verstehst du denn nicht, Claire?« sagte er, der
Verzweiflung nah. »Ich möchte dir die Welt zu Füßen legen, Claire -
und ich habe nichts, was ich dir geben könnte.«
Er glaubte wirklich, daß es eine Rolle
spielte.
Ich saß da, sah ihn an und suchte nach Worten. Er
hatte sich halb abgewandt, und seine Schultern waren vor
Hoffnungslosigkeit zusammengesunken.
Innerhalb der letzten Stunde hatte ich erst Qualen
erlitten, weil ich Angst hatte, ihn in Schottland zu verlieren,
hatte dann unbändiges Verlangen verspürt, ihn in den Blumenbeeten
zu verführen, gefolgt von dem dringenden Bedürfnis, ihm ein Ruder
über den Schädel zu ziehen. Jetzt war ich wieder bei der
Zärtlichkeit angelangt.
Schließlich ergriff ich eine seiner großen, rauhen
Hände und glitt nach vorn, so daß ich zwischen seinen Beinen auf
den Brettern kniete. Ich legte meinen Kopf an seine Brust und
spürte, wie sein Atem über mein Haar strich. Mir fehlten die Worte,
doch ich hatte meine Wahl getroffen.
»›Wo du hingehst‹«, sagte ich, »›da will auch ich
hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein
Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe ich
auch, da will ich auch begraben werden.‹« Ob es ein schottischer
Hügel war oder ein Wald im alten Süden. »Du tust, was du mußt; ich
bin bei dir.«
In der Flußmitte strömte das Wasser schnell dahin;
und es war dort flach; ich sah die schwarzen Felsen direkt unter
der Oberfläche. Jamie sah sie auch und ruderte aus Leibeskräften
zum anderen Ufer, wo er uns auf eine Kiesbank treiben ließ und wir
in einem Becken zur Ruhe kamen, das von den Wurzeln einer
Trauerweide gebildet wurde. Ich lehnte mich aus dem Boot, griff
nach einem herabhängenden Zweig und wickelte unsere Fangleine
darum.
Ich hatte gedacht, wir würden nach River Run
zurückkehren, doch offensichtlich diente dieser Ausflug nicht nur
Erholungszwecken. Wir waren vielmehr weiter stromaufwärts gefahren,
und Jamie hatte kräftig gegen die langsame Strömung
angerudert.
Mit meinen Gedanken allein gelassen, lauschte ich
seinem leisen Keuchen und fragte mich, was wir tun würden. Wenn er
sich zum Bleiben entschied… nun, vielleicht würde es sich nicht so
schwierig gestalten, wie er dachte. Ich unterschätzte Jocasta
Cameron nicht, doch ich unterschätzte Jamie Fraser ebensowenig.
Colum und Dougal MacKenzie hatten versucht, ihn ihrem Willen zu
beugen - und beiden war es nicht gelungen.
Mein Gewissen regte sich für einen Moment bei der
Erinnerung daran, wie ich Dougal MacKenzie zum letzten Mal gesehen
hatte, den Mund voll tonloser Flüche, als er an seinem eigenen Blut
erstickte, Jamies Dolch bis zum Anschlag in seinem Hals. Ich bin
ein brutaler Mensch, hatte er gesagt, und du weißt es
auch.
Doch es stimmte einfach nicht, es gab einen
Unterschied zwischen ihm und Stephen Bonnet, dachte ich, während
ich beobachtete, wie sich sein Körper beim Rudern anspannte, wie
fließend und kraftvoll sich seine Arme bewegten. Er besaß mehr als
das Ehrgefühl, auf das er sich berief: Güte, Mut… und ein
Gewissen.
Mir wurde klar, wohin wir unterwegs waren, als er
mit einem Ruder innehielt und quer zur Strömung die espenverhangene
Mündung eines breiten Baches ansteuerte. Ich war noch nie auf dem
Wasserweg hierhergekommen, doch Jocasta hatte gesagt, es sei nicht
weit.
Es hätte mich nicht überraschen dürfen, denn wenn
er heute nacht unterwegs war, um sich seinen Dämonen zu stellen,
war es ein überaus passender Ort.
Kurz hinter der Mündung des Baches ragte die
Sägemühle dunkel und schweigend in die Höhe. Hinter dem Gebäude sah
man gedämpftes Licht, das aus den Sklavenhütten am Waldrand drang.
Um uns herum erklangen die üblichen Nachtgeräusche, doch der Platz
selber erschien mir merkwürdig still, trotz des Lärms, der vom Wind
in den Bäumen, den Fröschen und dem Wasser kam. Obwohl es Nacht
war, schien das hohe Gebäude einen Schatten zu werfen - doch das
bildete ich mir sicherlich nur ein.
»Orte, an denen tagsüber viel los ist, machen bei
Nacht immer einen besonders gruseligen Eindruck«, sagte ich in dem
Bemühen, das Schweigen der Sägemühle zu brechen.
»Ja?« Jamie klang geistesabwesend. »Der hier war
mir schon bei Tageslicht nicht besonders sympathisch.«
Ich schauderte bei der Erinnerung.
»Mir auch nicht. Ich habe nur gemeint -«
»Byrnes ist tot.« Er sah mich nicht an; sein
Gesicht war der Mühle zugewandt, die durch die Weide halb verborgen
war.
Ich ließ das Ende des Taus fallen.
»Der Aufseher? Wann?« fragte ich, mehr von der
Plötzlichkeit der Übermittlung als von der Nachricht selbst
schockiert. »Und wie?«
»Heute nachmittag. Campbells jüngster Sohn hat die
Nachricht kurz vor Sonnenuntergang überbracht.«
»Wie?« fragte ich erstaunt. Ich umklammerte meine
Knie und zerknautschte dabei zwei Hände voll elfenbeinfarbener
Seide zwischen meinen Fingern.
»Es war Wundstarrkrampf.« Seine Stimme klang
beiläufig und teilnahmslos. »Eine ziemlich unangenehme Art zu
sterben.«
Damit hatte er recht. Ich hatte noch nie selbst
gesehen, wie jemand an Tetanus starb, doch ich kannte die Symptome
sehr gut: Rastlosigkeit und Schluckbeschwerden, die in zunehmende
Steifheit übergehen, dazu Muskelkrämpfe in Armen, Beinen und Hals.
Die Krämpfe nehmen an Stärke und Dauer zu, bis der Körper des
Patienten so hart ist wie ein Brett und sich in Agonie krümmt. Die
Krämpfe kommen, lassen nach, schwellen an, hören auf und werden
schließlich immer stärker. Den letzten Starrkrampf kann nur der Tod
wieder lösen.
»Er ist grinsend gestorben, hat Ronnie Campbell
gesagt. Aber ich glaube trotzdem nicht, daß es ein glücklicher Tod
war.« Es war ein makaberer Witz, doch es lag nicht viel Humor in
seiner Stimme.
Ich setzte mich kerzengerade auf, und trotz der
warmen Nacht kroch mir die Kälte die Wirbelsäule hinunter.
»Es ist auch kein schneller Tod«, sagte ich.
Argwohn breitete seine kalten Tentakel in meinen Gedanken aus. »Es
dauert Tage, bis man an Tetanus stirbt.«
»Davie Byrnes hat von Anfang bis Ende fünf Tage
gebraucht.« Falls überhaupt eine Spur von Humor in seiner Stimme
gelegen hatte, war sie jetzt verschwunden.
»Du bist bei ihm gewesen«, sagte ich, und ein
kurzes Aufflackern von Wut begann, meine innere Kälte aufzutauen.
»Du bist bei ihm gewesen! Und du hast es mir nicht gesagt?«
Ich hatte Byrnes’ Wunde verbunden - sie war
gräßlich, aber nicht lebensbedrohend - und mir sagen lassen, daß
man ihn an einen »sicheren« Ort bringen würde, bis die Unruhe über
den Lynchmord nachgelassen hatte. Aufgewühlt, wie ich war, hatte
ich mir nicht die Mühe gemacht, mich weiter nach dem Aufenthaltsort
oder Befinden des Aufsehers zu erkundigen; es war meine eigene
Schuld an dieser Nachlässigkeit, die mich wütend machte, und ich
wußte das - aber dieses Wissen half nichts.
»Hättest du denn etwas tun können? Ich dachte, du
hättest mir gesagt,
daß Wundstarrkrampf eine der Krankheiten ist, gegen die man nichts
tun kann, nicht einmal zu deiner Zeit.« Er sah mich nicht an; sein
Profil war der Sägemühle zugewandt. Sein Kopf zeichnete sich
schwarz vor den helleren Schatten des bleichen Laubes ab.
Ich zwang mich, meinen Rock loszulassen, denn ich
dachte vage daran, daß Phaedre furchtbare Arbeit damit haben würde,
ihn zu bügeln.
»Nein«, sagte ich etwas bemüht. »Nein, ich hätte
ihn nicht retten können. Aber ich hätte nach ihm sehen sollen, ich
hätte es ihm leichter machen können.«
Jetzt blickte er mich an; ich sah, wie er den Kopf
wandte, und spürte, wie er sein Gewicht im Boot verlagerte.
»Hättest du«, sagte er gleichmütig.
»Und du wolltest es nicht…« Ich hielt inne und
erinnerte mich, daß er im Lauf der letzten Woche öfter fortgewesen
war, und an seine ausweichenden Antworten, wenn ich ihn fragte, wo
er gewesen war. Ich konnte mir die Szene nur zu gut vorstellen: die
winzige Dachkammer in Farquard Campbells Haus, in der ich Byrnes’
Verletzung verbunden hatte. Den schmerzgepeinigten Körper auf dem
Bett, der langsam unter den kalten Blicken der Männer starb, die
durch das Gesetz zu seinen widerwilligen Verbündeten geworden
waren. Und er wußte, daß er verhaßt starb. Die Kälte kehrte zurück
und überzog meine Arme mit einer Gänsehaut.
»Nein, ich wollte nicht, daß Campbell nach dir
schickt«, sagte er leise. »Es gibt das Gesetz, Sassenach - und es
gibt die Gerechtigkeit. Ich kenne den Unterschied nur zu
gut.«
»Es gibt auch so etwas wie Barmherzigkeit.« Und
wenn mich jemand gefragt hätte, hätte ich Jamie Fraser einen
barmherzigen Mann genannt. Er war einmal einer gewesen. Doch die
Jahre, die seitdem vergangen waren, waren hart gewesen - und
Mitleid war ein Gefühl, das widrigen Umständen oft zum Opfer fiel.
Ich hatte dennoch gedacht, daß ihm seine Güte geblieben war, und
der Gedanke an ihren Verlust schmerzte mich. Nein, ich glaube
nicht. War er einfach nur ehrlich gewesen?
Das Boot hatte sich halb um sich selbst gedreht, so
daß der Ast jetzt zwischen uns hing. Aus der Dunkelheit hinter den
Blättern erklang ein leises Schnauben.
»Selig sind die Barmherzigen«, sagte er, »denn sie
werden Barmherzigkeit erlangen. Byrnes war nicht barmherzig, also
hat er keine Barmherzigkeit erlangt. Und was mich betrifft, so
hielt ich es nicht für richtig einzugreifen, nachdem Gott einmal
seine Meinung über den Mann kundgetan hatte.«
»Du glaubst, daß Gott ihm Tetanus geschickt
hat?«
»Ich kann mir nicht vorstellen, daß jemand anders
auf so etwas kommen würde. Außerdem«, fuhr er in aller Logik fort,
»wo sollte man denn sonst nach Gerechtigkeit suchen?«
Ich rang nach Worten, und mir fielen keine ein. Ich
gab es auf und kehrte zum eigentlichen Streitpunkt zurück. Mir war
ein bißchen übel.
»Du hättest es mir sagen sollen. Auch wenn du der
Meinung warst, daß ich ihm nicht helfen könnte, war es nicht deine
Sache zu entscheiden -«
»Ich wollte nicht, daß du zu ihm gehst.« Seine
Stimme war immer noch ruhig, doch es lag jetzt ein Hauch von Stahl
darin.
»Ich weiß, daß du das nicht wolltest! Aber es
spielt keine Rolle, ob du gemeint hast, daß Byrnes es verdiente zu
leiden, oder -«
»Es ging nicht um ihn!« Das Boot schaukelte heftig,
als er sich bewegte, und ich hielt mich an den Seitenwänden fest,
um das Gleichgewicht zu behalten. Er sprach ungestüm.
»Es hat mich einen feuchten Dreck gekümmert, ob
Byrnes einen leichten oder einen schweren Tod hatte, aber ich bin
kein grausames Monster! Ich habe dich nicht von ihm ferngehalten,
um ihn leiden zu sehen, ich habe dich von ihm ferngehalten, um dich
zu schützen.«
Ich war erleichtert, das zu hören, wurde aber
zunehmend wütend, als mir dämmerte, was er eigentlich getan
hatte.
»Es war nicht deine Sache, das zu entscheiden. Wenn
ich nicht dein Gewissen bin, dann hast du auch kein Recht, das
meine zu sein!« Ich fegte die Weidenzweige zwischen uns beiseite,
denn ich wollte ihn sehen.
Plötzlich schoß eine Hand zwischen den Blättern
hervor und ergriff mein Handgelenk.
»Es ist meine Sache, für deine Sicherheit zu
sorgen.«
Ich versuchte, meine Hand wegzureißen, doch er
hatte mich fest im Griff und ließ nicht los.
»Ich bin kein kleines Mädchen, das man beschützen
muß, und eine Idiotin bin ich auch nicht. Wenn es einen Grund gibt,
warum ich etwas nicht tun soll, dann sag ihn mir, und ich höre zu.
Aber du kannst nicht entscheiden, was ich tun und wohin ich gehen
soll, ohne mich auch nur zu fragen… das lasse ich mir nicht bieten
und das weißt du verdammt gut.«
Das Boot tat einen Ruck. Unter lautem
Blättergeraschel steckte er den Kopf durch den Weidenvorhang und
starrte mich wütend an.
»Ich versuche überhaupt nicht, dir vorzuschreiben,
wohin du gehen sollst.«
»Du hast entschieden, wohin ich nicht gehen darf,
und das ist genauso schlimm!« Die Weidenblätter glitten über seine
Schultern, als sich das Boot, von Jamies Heftigkeit herumgestoßen,
in Bewegung setzte. Wir drehten uns langsam und kamen unter dem
Baum hervor.
Er ragte vor mir auf, so massiv wie die Sägemühle;
sein Kopf und seine Schultern verdeckten einen guten Teil der
Szenerie hinter ihm. Seine lange, gerade Nase war zwei Zentimeter
von meiner entfernt, und er hatte die Augen zusammengekniffen. In
diesem Licht erschienen sie fast schwarz, und es war extrem
beunruhigend, aus der Nähe in sie hineinzusehen.
Ich blinzelte. Er nicht.
Er hatte mein Handgelenk losgelassen, als er durch
den Blättervorhang kam. Jetzt ergriff er meine Oberarme. Ich fühlte
die Hitze seiner Hände durch den Stoff. Sie waren sehr groß und
sehr hart und brachten mir plötzlich zu Bewußtsein, wie
zerbrechlich meine eigenen Knochen im Vergleich dazu waren. Ich
bin ein brutaler Mensch.
Er hatte mich schon einige Male durchgerüttelt, und
ich hatte es gehaßt. Für den Fall, daß er jetzt etwas Derartiges im
Sinn hatte, schob ich meinen Fuß zwischen seine Beine und bereitete
mich darauf vor, ihm mein Knie dorthin zu stoßen, wo es am
wirkungsvollsten war.
»Ich hatte unrecht«, sagte er.
In gespannter Erwartung von Gewalt hatte ich
tatsächlich schon angesetzt, meinen Fuß hochzureißen, als ich
hörte, was er gesagt hatte. Bevor ich innehalten konnte, hatte er
die Beine fest zusammengeklemmt und hielt mein Knie zwischen seinen
Oberschenkeln fest.
»Ich habe doch gesagt, daß ich unrecht hatte,
Sassenach«, wiederholte er, eine Spur von Ungeduld in seiner
Stimme. »Hast du mich gehört?«
»Äh… nein«, sagte ich ziemlich verlegen. Ich
wackelte versuchsweise mit dem Knie, doch er hielt seine
Oberschenkel fest geschlossen.
»Du würdest es nicht eventuell in Erwägung ziehen,
mich loszulassen, oder?« sagte ich höflich. Mein Herz hämmerte
immer noch.
»Nein. Wirst du mir jetzt zuhören?«
»Ich denke schon«, sagte ich, immer noch höflich.
»Es sieht nicht so aus, als wäre ich im Moment sehr
beschäftigt.«
Ich war ihm so nah, daß ich seinen Mund zucken sah.
Seine Oberschenkel drückten einen Augenblick lang fester zu, dann
entspannten sie sich.
»Das hier ist ein ziemlich törichter Streit, und
das weißt du genausogut wie ich.«
»Nein, das stimmt nicht.« Meine Verärgerung hatte
etwas nachgelassen, doch ich hatte nicht vor, ihn einfach so
davonkommen zu lassen. »Für dich ist es vielleicht nicht wichtig,
aber für mich schon. Es ist nicht töricht. Und das weißt du, sonst
würdest du nicht zugeben, daß du im Unrecht bist.«
Diesmal war das Zucken deutlicher. Er holte tief
Luft und ließ die Hände von meinen Schultern fallen.
»Also gut. Ich hätte dir vielleicht von Byrnes
erzählen sollen, das gebe ich zu. Aber wenn ich es getan hätte,
wärst du zu ihm gegangen, selbst wenn ich dir gesagt hätte, daß er
Wundstarrkrampf hat - und ich wußte, daß es das war, ich habe es
nicht zum ersten Mal gesehen. Du würdest doch selbst dann zu einem
Patienten gehen, wenn du nichts tun könntest, oder?«
»Ja. Selbst wenn - ja, ich wäre zu ihm
gegangen.«
Es gab wirklich nichts, was ich für Byrnes hätte
tun können. Myers’ Anästhetikum hätte bei Tetanus nichts genutzt.
Nichts konnte diese Krämpfe erleichtern, es sei denn, man
injizierte ein Curarederivat. Ich hätte ihn nur mit meiner
Gegenwart trösten können, und es war zweifelhaft, ob er das zu
schätzen gewußt hätte - oder es überhaupt bemerkt hätte. Dennoch
hätte ich mich verpflichtet gefühlt, es ihm zumindest
anzubieten.
»Ich hätte gehen müssen«, sagte ich, schon sanfter.
»Ich bin Ärztin. Verstehst du das nicht?«
»Natürlich verstehe ich das«, sagte er schroff.
»Glaubst du, ich kenne dich überhaupt nicht, Sassenach?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er fort:
»Es hat Gerede gegeben über das, was bei der
Sägemühle passiert ist - das war zu erwarten, aye? Aber so, wie der
Mann dir unter den Händen weggestorben ist - nun, niemand hat
bisher direkt gesagt, daß du ihn absichtlich umgebracht hast, aber
man kann sehen, daß die Leute es sich denken. Vielleicht nicht
einmal, daß du ihn umgebracht hast - aber, daß du auf die Idee
gekommen sein könntest, ihn absichtlich sterben zu lassen, um ihn
vor dem Galgen zu retten.«
Ich starrte auf meine Hände, die gespreizt auf
meinen Knien lagen, fast so blaß wie der elfenbeinfarbene Satin
darunter.
»Ich bin ja auch auf diese Idee gekommen.«
»Das weiß ich wohl, aye?« sagte er trocken. »Ich
habe dein Gesicht gesehen, Sassenach.«
Ich holte tief Luft, wenn auch nur, um mich zu
vergewissern, daß
es nicht mehr nach Blut roch. Doch mir drang nur der harzige,
belebende Terpentingeruch des Kiefernwaldes in die Nase. Plötzlich
überkam mich eine lebhafte Erinnerung an das Krankenhaus und den
Geruch des nach Kiefern duftenden Desinfektionsmittels, der dort in
der Luft hing und den darunterliegenden Krankheitsgeruch
überdeckte, ihn aber nicht vertreiben konnte.
Ich tat noch einen befreienden Atemzug und hob den
Kopf, um Jamie anzusehen.
»Und hast du dich gefragt, ob ich ihn umgebracht
habe?«
»Du wirst getan haben, was du für das Beste
hältst.« Er ignorierte die nebensächliche Frage, ob ich einen Mann
getötet hatte, um beim eigentlichen Thema zu bleiben.
»Aber ich hätte es unklug gefunden, wenn du beim
nächsten Todesfall ebenfalls die Hand im Spiel gehabt hättest,
falls du verstehst, was ich meine.«
Das tat ich, und nicht zum ersten Mal wurde ich mir
der subtilen Netzwerke bewußt, denen er auf eine Weise angehörte,
wie es mir niemals möglich sein würde. Eigentlich war dieser Ort
ihm genauso fremd wie mir, und doch wußte er nicht nur, worüber die
Leute sprachen - das konnte jeder herausfinden, der gern ins
Wirtshaus oder auf den Markt ging -, sondern auch, was sie
dachten.
Noch mehr irritierte mich, daß er wußte, was
ich dachte.
»Du siehst also«, sagte er, während er mich
beobachtete, »ich wußte, daß Byrnes sterben würde und du ihm nicht
helfen konntest. Doch ich wußte auch, daß du zu ihm gehen würdest,
wenn du von seinem Leiden erfuhrst. Und dann würde er sterben, und
die Leute würden sich wundern. Vielleicht würden sie nicht laut
sagen, wie seltsam es wäre, daß beide Männer dir sozusagen unter
den Händen weggestorben sind - aber -«
»Aber sie würden es denken«, beendete ich seinen
Satz.
Das Zucken wurde zu einem schiefen Lächeln.
»Du fällst den Leuten auf, Sassenach.«
Ich biß mir auf die Lippen. Es stimmte, im Guten
wie im Bösen, und die Tatsache, daß ich auffiel, hatte mich schon
mehr als einmal beinahe umgebracht.
Er stand auf, hielt mit Hilfe eines Astes das
Gleichgewicht, trat auf den Kies und zog sich das Plaid über die
Schulter.
»Ich habe Mrs. Byrnes gesagt, ich würde die Sachen
ihres Mannes aus der Sägemühle holen«, sagte er. »Du brauchst nicht
mitzukommen, wenn du nicht möchtest.«
Die Sägemühle ragte vor dem sternenübersäten Himmel
auf. Sie
hätte beim besten Willen nicht unheimlicher aussehen können. Wo
du hingehst, da will auch ich hingehen.
Ich glaubte jetzt zu wissen, was er tat. Er hatte
alles sehen wollen, bevor er seinen Entschluß faßte; es in dem
Bewußtsein betrachten wollen, daß es ihm gehören konnte. Der
Spaziergang durch den Park und die Obstgärten, die Bootspartie
vorbei an den dichten Kiefernwäldern, der Besuch bei der Sägemühle
- er verschaffte sich einen Überblick über den Besitz, den man ihm
anbot, abwägend und einschätzend, stellte fest, welchen
Komplikationen er sich gegenübersah und ob er die Herausforderung
annehmen konnte und wollte.
Schließlich, dachte ich grimmig, hatte der Teufel
darauf bestanden, Jesus alles zu zeigen, was er sich entgehen ließ,
und ihn auf das Dach des Tempels geführt, damit er die Städte der
Welt sah. Die einzige Schwierigkeit dabei war - falls Jamie
beschloß, sich hinabzustürzen, stand keine Heerschar von Engeln
bereit, um zu verhindern, daß er sich den Fuß - und alles andere -
an einer Platte aus schottischem Granit stieß.
Nur ich.
»Warte«, sagte ich und kletterte aus dem Boot. »Ich
komme mit.«
Die Baumstämme waren immer noch auf dem Hof
aufgestapelt, niemand hatte sie bewegt, seit ich das letzte Mal
hiergewesen war. Die Dunkelheit nahm mir jegliches Gefühl für
Perspektive; die frischen Holzstapel waren helle Rechtecke, die
über einem unsichtbaren Boden zu schweben schienen, zuerst weit
weg, dann plötzlich so nah, daß sie meinen Rock streiften. Es roch
nach Kiefernharz und Sägemehl.
Ich konnte nicht einmal den Boden unter meinen
eigenen Füßen sehen, denn er wurde von der Dunkelheit und von
meinem wogenden elfenbeinfarbenen Rock verdeckt. Jamie hielt meinen
Arm fest, damit ich nicht stolperte. Selbstverständlich stolperte
er nie. Vielleicht, dachte ich, hatte er eine Art Radar entwickelt,
nachdem er sein ganzes Leben ohne einen Gedanken daran verbracht
hatte, daß es auch nach Sonnenuntergang im Freien noch Licht geben
könnte - wie eine Fledermaus.
Irgendwo bei den Sklavenhütten brannte ein Feuer.
Es war sehr spät, die meisten schliefen wohl. Auf den Westindischen
Inseln hätte es nächtelanges Trommeln und Wehklagen gegeben; die
Sklaven hätten beim Tod eines Kameraden Totengesänge angestimmt und
eine Woche lang Trauerfeierlichkeiten abgehalten. Hier tat sich
nichts. Kein Geräusch, außer dem Rauschen der Kiefern, nicht die
Spur einer Bewegung, nur das schwache Licht am Waldrand.
»Sie haben Angst«, sagte Jamie leise und hielt
inne, um genau wie ich in die Stille zu horchen.
»Kein Wunder«, sagte ich. »Ich auch.«
Er gab ein leises Schnauben von sich, das
Belustigung hätte ausdrücken können.
»Ich auch«, murmelte er, »aber nicht vor Geistern.«
Er ergriff meinen Arm und schob die kleine Tür an der Seite der
Sägemühle auf, bevor ich fragen konnte, wovor er denn Angst
hatte.
Im Innenraum konnte man die Stille förmlich
greifen. Zuerst kam sie mir vor wie die gespenstische Stille toter
Schlachtfelder, doch dann erkannte ich den Unterschied. Diese
Stille lebte. Und was auch immer hier in der Stille lebte, es ruhte
nicht. Ich hatte das Gefühl, in der Luft immer noch das Blut
riechen zu können.
Dann holte ich tief Luft, und es überlief mich
kalt. Ich konnte tatsächlich Blut riechen. Frisches Blut.
Ich packte Jamies Arm, doch er hatte es selbst
gerochen. Sein Arm war unter meiner Hand hart geworden, die Muskeln
wachsam angespannt. Ohne ein Wort entzog er sich meinem Griff und
verschwand.
Einen Augenblick lang dachte ich wirklich, er wäre
verschwunden, und brach fast in Panik aus, als ich nach ihm tastete
und meine Hand sich dort, wo er gestanden hatte, nur um Luft
schloß. Dann begriff ich, daß er sich nur das dunkle Plaid über den
Kopf geworfen hatte, um die Blässe seines Gesichtes und des
Leinenhemdes zu verbergen. Ich hörte seine Schritte, schnell und
leicht auf dem Lehmboden, und dann war auch das verstummt.
Die Luft war heiß und still, und der süße,
metallische Geruch von Blut hing schwer im Raum. Ganz genau so, wie
es vor einer Woche gewesen war. Der Geruch beschwor Halluzinationen
herauf. Immer noch von kaltem Grauen gepackt, wandte ich mich um
und blickte angestrengt zur anderen Seite des höhlenartigen Raumes.
Fast erwartete ich, die Szene, die mir ins Gedächtnis gegraben war,
wieder aus der Dunkelheit auftauchen zu sehen. Das fest angespannte
Seil des Holzkrans, den riesigen Haken, der mit seiner stöhnenden
Last hin und her schwang…
Ein Stöhnen zerriß die Luft, und ich biß mir fast
die Lippe durch. In meiner Kehle stieg ein Schrei auf, nur die
Angst, auf mich aufmerksam zu machen, ließ mich schweigen.
Wo war Jamie? Es drängte mich, ihn zu rufen, doch
ich traute mich nicht. Meine Augen hatten sich soweit an die
Dunkelheit gewöhnt, daß ich den Schatten des Sägeblattes erkennen
konnte, einen formlosen Fleck in drei Meter Entfernung, doch die
andere Seite des
Raumes war eine Wand aus Schwärze. Ich bemühte mich, etwas zu
sehen und begriff mit Verspätung, daß ich in meinem hellen Kleid
zweifellos für jeden zu sehen war, der sich mit mir im Raum
befand.
Das Stöhnen erklang erneut, und ich fuhr zusammen.
Meine Handflächen schwitzten. Nein! redete ich mir ein.
Nein. Das kann nicht sein!
Ich war vor Angst wie gelähmt und brauchte einige
Momente, um zu begreifen, was meine Ohren mir gesagt hatten. Das
Geräusch war nicht aus dem Dunkel am anderen Ende des Raumes
gekommen, wo der Kran mit dem Haken stand. Es war von irgendwo
hinter mir gekommen.
Ich fuhr herum. Die Tür, durch die wir eingetreten
waren, stand immer noch offen, ein blasses Rechteck in der
Finsternis. Es war nichts zu sehen, nichts bewegte sich zwischen
mir und der Tür. Ich trat schnell einen Schritt darauf zu und hielt
dann inne. Jeder Muskel in meinen Beinen brannte darauf, zu rennen
wie der Teufel - doch ich konnte Jamie nicht allein lassen.
Wieder das Geräusch, dasselbe erstickte Keuchen
körperlicher Qualen - Schmerz jenseits des Aufschreiens. Da fiel
mir ein: Was, wenn das Geräusch von Jamie kam?
Das erschreckte mich so sehr, daß ich jede Vorsicht
vergaß, mich in die Richtung drehte, aus der das Geräusch gekommen
war, und seinen Namen rief, daß es vom Dachstuhl widerhallte.
»Jamie!« rief ich noch einmal. »Wo bist
du?«
»Hier, Sassenach.« Jamies gedämpfte Stimme erklang
irgendwo zu meiner Linken, ruhig, aber irgendwie drängend. »Komm zu
mir, ja?«
Er war es nicht. Fast zitternd vor Erleichterung
beim Klang seiner Stimme, polterte ich durch die Dunkelheit. Jetzt
war mir egal, wer das Geräusch gemacht hatte, solange es nicht
Jamie war.
Meine Hand stieß auf eine Holzwand, tastete sich
blind vor und fand schließlich eine offenstehende Tür. Er war im
Quartier des Aufsehers.
Ich trat durch die Tür und spürte die Veränderung
sogleich. Hier drinnen war es noch stickiger und viel heißer als in
der Sägemühle. Der Boden war aus Holz, doch meine Schritte hallten
nicht wider; die Luft war totenstill und drückend. Und der
Blutgeruch war noch stärker.
»Wo bist du?« rief ich noch einmal, diesmal
leise.
»Hier«, ertönte es überraschend nah bei mir. »Am
Bett. Komm und hilf mir; es ist ein Mädchen.«
Er befand sich in dem winzigen Schlafzimmer. Der
kleine Raum war fensterlos, und Licht gab es auch nicht. Ich fand
sie mit Hilfe meines
Tastsinns, Jamie, der auf dem Holzboden neben einem schmalen Bett
kniete, und eine Gestalt in dem Bett.
Es war eine Frau, wie er gesagt hatte; das spürte
ich mit einer Berührung. Die Berührung sagte mir auch, daß sie im
Begriff war zu verbluten. Die Wange, über die ich strich, war kühl
und klamm. Alles andere, was ich berührte, war warm und feucht;
ihre Kleidung, das Bettzeug, die Matratze unter ihr. Ich spürte,
wie an der Stelle, wo ich auf dem Boden kniete, Feuchtigkeit durch
meinen Rock drang.
Ich suchte den Puls an ihrem Hals und konnte ihn
nicht finden. Ihre Brust bewegte sich sachte unter meiner Hand, das
einzige Lebenszeichen außer dem Seufzer, der dabei erklang.
»Ist schon gut«, hörte ich mich sagen, und meine
Stimme klang beruhigend, jede Spur von Panik war daraus
verschwunden, obwohl ich eigentlich jetzt noch mehr Grund dazu
hatte. »Wir sind hier, du bist nicht allein. Was ist mit dir
geschehen, kannst du mir das sagen?«
Währenddessen huschten meine Hände über Kopf und
Kehle und Brust und Bauch, schoben durchnäßte Kleider zur Seite,
suchten blind, verzweifelt nach einer Wunde, die es zu verbinden
galt. Nichts, kein hervorschießendes Blut, kein klaffender Schnitt.
Und die ganze Zeit erklang ein leises, aber regelmäßiges
Pitsche-patsch, Pitsche-patsch wie das Geräusch von
rennenden Füßchen.
»Sagt…« Es war weniger ein Wort als ein
artikulierter Seufzer. Dann eine Pause, ein schluchzendes
Einatmen.
»Wer hat dir das angetan, Kleine?« erklang Jamies
körperlose Stimme leise und drängend. »Sag mir, wer?«
»Sagt…«
Ich berührte all die Stellen, wo große Blutgefäße
dicht unter der Haut liegen, und fand sie unverletzt, ergriff ihren
widerstandslosen Arm und hob sie an, schob eine Hand unter sie, um
ihren Rücken abzutasten. Ihre gesamte Körperwärme hatte sich dort
gesammelt, ihr Mieder war schweißnaß, aber nicht
blutdurchtränkt.
»Es ist alles gut«, sagte ich noch einmal. »Du bist
nicht allein. Jamie, halt ihre Hand.« Hoffnungslosigkeit war über
mich gekommen, ich wußte, was es sein mußte.
»Ich habe sie schon«, sagte er zu mir und: »Mach
dir keine Sorgen, Kleine«, zu ihr. »Es wird alles gut, hörst du?«
Pitsche-patsch, Pitsche-patsch. Die kleinen Füße wurden
langsamer.
»Sagt…«
Ich konnte ihr nicht helfen, schob aber dennoch
meine Hand noch einmal unter ihren Rock und ließ meine Finger
zwischen die reglosen, gespreizten Oberschenkel wandern. Hier war
sie immer noch warm,
sehr warm. Blut lief mir sanft über die Hand und durch die Finger,
heiß und feucht wie die Luft um uns, unaufhaltsam wie das Wasser,
das durch die Mühlenschleuse floß.
»Ich… sterbe…«
»Ich glaube, jemand hat dich ermordet«, sagte Jamie
ganz sanft zu ihr. »Willst du nicht sagen, wer dich umgebracht
hat?«
Ihr Atem wurde lauter, wurde ein sanftes Rasseln.
Pitsch. Patsch. Pitsch. Patsch. Die Füße gingen jetzt leise
auf Zehenspitzen.
»Ser… geant. Sagt… ihm…«
Ich zog meine Hand zwischen ihren Oberschenkeln
hervor und ergriff ihre andere Hand, ohne mich um das Blut zu
kümmern. Es spielte jetzt wohl kaum noch eine Rolle.
»…sagt…« kam es mit plötzlicher Intensität,
und dann Stille. Eine lange Stille, und dann noch ein langer,
seufzender Atemzug. Stille, noch länger. Und ein Atemzug.
»Das werde ich«, sagte Jamie. Seine Stimme war kaum
mehr als ein Flüstern in der Dunkelheit. »Ich werde es tun. Das
verspreche ich dir.«
Pitsch.
Patsch.
In den Highlands nannte man es »Todestropfen«, das
Geräusch tropfenden Wassers, wenn man es in einem Haus hörte, wo
ein Mensch im Sterben lag. Was hier tropfte, war zwar kein Wasser,
aber es war dennoch ein sicheres Zeichen.
Es kam kein Geräusch mehr aus der Dunkelheit. Ich
konnte Jamie nicht sehen, fühlte aber die leichte Bewegung des
Bettes an meinem Oberschenkel, als er sich vorbeugte.
»Gott wird dir vergeben«, flüsterte er in die
Stille. »Geh in Frieden.«
Ich hörte das Summen sofort, als wir am nächsten
Morgen das Quartier des Aufsehers betraten. In der staubigen Stille
der Sägemühle war alles durch den weiten Raum und den Staub
gedämpft worden. Doch in diesem kleinen, abgetrennten Areal fingen
die Wände jedes Geräusch auf und warfen es zurück; das Echo unserer
Schritte hallte vom Holzboden bis zur Holzdecke wider. Ich fühlte
mich wie eine Fliege, die in einer Kleinen Trommel eingesperrt ist,
und erlebte einen Augenblick der Klaustrophobie, als ich in dem
engen Durchgang zwischen den beiden Männern festsaß.
Es gab nur zwei Zimmer, die durch einen kurzen
Durchgang getrennt waren, der von außen in die eigentliche
Sägemühle führte. Zu
unserer Rechten lag der größere Raum, in dem die Byrnes’ gewohnt
und gekocht hatten, und links das kleinere Schlafzimmer, aus dem
jetzt der Lärm kam. Jamie holte tief Luft, hielt sich das Plaid
vors Gesicht und zog die Schlafzimmertür auf.
Es sah aus wie eine Tagesdecke auf dem Bett, ein
stahlblauer Überwurf, der hier und da grün aufblitzte. Dann betrat
Jamie das Zimmer, und die Fliegen erhoben sich summend von ihrem
Mahl aus verklumptem Blut und protestierten gefräßig.
Ich schluckte einen Aufschrei des Abscheus herunter
und bückte mich, während ich mit den Armen nach ihnen schlug.
Aufgedunsene, langsam fliegende Insektenkörper trafen auf mein
Gesicht und meine Arme und torkelten langsam durch die Luft davon.
Farquard Campbell machte ein schottisches Geräusch des
überwältigenden Ekels, das sich wie »Juch!« anhörte, dann senkte er
den Kopf und schob sich an mir vorbei. Seine Augen waren zu
Schlitzen verengt, seine Lippen fest zusammengepreßt und seine Nase
stark so zusammengekniffen, daß sie weiß war.
Das kleine Schlafzimmer war kaum größer als ein
Sarg, zu dem es geworden war. Es gab keine Fenster, nur Spalten
zwischen den Brettern, die gedämpftes Licht hereinließen. Es war
heiß und feucht wie in einem Tropenhaus, und die Luft war vom süßen
Verwesungsgeruch des Todes erfüllt. Ich spürte, wie der Schweiß mir
an den Seiten herunterkroch und mich kitzelte wie Fliegenfüße, und
ich versuchte, nur durch den Mund zu atmen.
Sie war nicht kräftig gewesen; ihr Körper war nur
eine leichte Ausbuchtung unter der Decke, die wir letzte Nacht
anstandshalber über sie gelegt hatten. Ihr Kopf kam mir im
Verhältnis zu dem ausgemergelten Körper groß vor, wie bei einem
Strichmännchen, dessen runder Kopf auf streichholzdünnen Gliedern
ruht.
Jamie wischte ein paar Fliegen zur Seite, die zu
vollgefressen waren, um sich zu bewegen, und zog die Decke zurück.
Wie alles andere war auch die Decke blutbefleckt und verkrustet,
und ihr Fußende war feucht. Der menschliche Körper enthält im
Durchschnitt fünf Liter Blut, doch es sieht nach sehr viel mehr
aus, wenn man es in der Gegend verteilt.
Ich hatte in der Nacht zuvor kurz ihr Gesicht
gesehen, und im Licht des Kiefernspans, den Jamie über sie gehalten
hatte, hatten ihre toten Züge künstlich geleuchtet. Jetzt war sie
bleich und kalt wie ein Pilz, und ihre stumpfen Gesichtszüge ragten
aus einem Gewirr feiner, brauner Haare hervor. Es war unmöglich,
etwas über ihr Alter zu sagen, außer, daß sie nicht alt gewesen
war. Ich konnte auch nicht
sagen, ob sie attraktiv gewesen war; sie hatte keinen eleganten
Knochenbau, doch vielleicht hatte das Leben ihren runden Wangen und
ihren tiefliegenden Augen einen Glanz verliehen, den die Männer
hübsch fanden. Zumindest für einen Mann war sie hübsch genug
gewesen, dachte ich.
Die Männer waren über den reglosen Körper gebeugt
und unterhielten sich flüsternd. Jetzt wandte sich Mr. Campbell an
mich und runzelte dabei die Stirn unter seiner förmlichen
Perücke.
»Ihr seid Euch über die Todesursache einigermaßen
sicher, Mrs. Fraser?«
»Ja.« Ich hob den Rand der Decke hoch und schlug
sie zurück, wobei ich versuchte, die übelriechende Luft nicht
einzuatmen. Ich entblößte die Beine der Leiche. Ihre Füße waren
bläulich angelaufen und begannen anzuschwellen.
»Ich habe ihr den Rock heruntergezogen, sonst aber
alles so gelassen, wie es war«, erklärte ich und schob ihn wieder
hoch.
Mein Magen verkrampfte sich unwillkürlich, als ich
sie berührte. Es war nicht das erste Mal, daß ich eine Leiche sah,
und diese war bei weitem nicht die schauderhafteste, doch wegen des
heißen Klimas und der drückenden Atmosphäre hatte sich ihr Körper
kaum abgekühlt - ihr Oberschenkel war so warm wie mein eigener,
aber unangenehm schwammig.
Ich hatte ihn dort liegenlassen, wo wir ihn
gefunden hatten, im Bett zwischen ihren Beinen: ein Grillspieß,
über dreißig Zentimeter lang. Er war ebenfalls voll getrocknetem
Blut, aber klar erkennbar.
»Ich… äh… habe keine äußere Verletzung gefunden«,
sagte ich, indem ich mich so vorsichtig wie möglich
ausdrückte.
»Aye, ich verstehe.« Mr. Campbells Stirnrunzeln
schien etwas nachzulassen. »Ah, gut, dann handelt es sich wohl
zumindest nicht um einen Fall von vorsätzlichem Mord.«
Ich öffnete den Mund, um zu antworten, doch ich
fing einen warnenden Blick von Jamie auf. Mr. Campbell bemerkte
nichts davon und fuhr fort:
»Bleibt die Frage, ob die arme Frau es wohl selbst
getan hat oder durch die Hilfe eines Dritten zu Tode gekommen ist.
Was meint Ihr, Mistress Fraser?«
Jamie blickte mich mit zusammengekniffenen Augen
über Campbells Schulter hinweg an, doch die Warnung war unnötig.
Wir hatten letzte Nacht über die Angelegenheit gesprochen und waren
zu unseren eigenen Schlüssen gekommen - und zu dem Schluß, daß wir
unsere Ansichten den Vertretern von Recht und Ordnung in Cross
Creek besser nicht mitteilten - jetzt noch nicht. Ich rümpfte die
Nase, vorgeblich des Geruches wegen, in Wirklichkeit aber, um jede
verräterische Veränderung meines Gesichtsausdruckes zu verbergen.
Ich war eine sehr schlechte Lügnerin.
»Ich bin sicher, daß sie es selbst getan hat«,
sagte ich bestimmt. »Es dauert nicht lange, auf diese Weise zu
verbluten, und wie Jamie Euch gesagt hat, hat sie noch gelebt, als
wir sie gefunden haben. Wir haben einige Zeit draußen vor der Mühle
gestanden und uns unterhalten, bevor wir hereingekommen sind;
niemand hätte sich unbemerkt entfernen können.«
Andererseits hätte sich leicht jemand in dem
anderen Zimmer verstecken und lautlos im Dunkeln davonschleichen
können, während wir damit beschäftigt waren, der sterbenden Frau
Beistand zu leisten. Falls Mr. Campbell nicht selbst auf diese
Möglichkeit kam, sah ich auch keinen Grund, ihn darauf aufmerksam
zu machen.
Als Mr. Campbell sich zu ihm zurückwandte, hatten
Jamies Gesichtszüge wieder einen Ausdruck angemessenen Ernstes
angenommen. Der ältere Mann schüttelte bedauernd den Kopf.
»Ach, die arme Unglückliche! Nun, vielleicht
sollten wir erleichtert sein, daß niemand anders an ihrer Sünde
beteiligt ist.«
»Was ist mit dem Mann, der das Kind gezeugt hat,
das sie loszuwerden versucht hat?« sagte ich mit einer gewissen
Schärfe. Mr. Campbell machte ein erschrockenes Gesicht, fing sich
aber schnell wieder.
»Äh… ja, natürlich«, sagte er und hustete. »Wobei
wir nicht wissen, ob sie verheiratet war -«
»Also kennt Ihr die Frau auch nicht?« fuhr Jamie
dazwischen, ehe ich noch mehr unüberlegte Bemerkungen machen
konnte.
Campbell schüttelte den Kopf.
»Sie ist keine Bedienstete von Mr. Buchanan oder
den MacNeills, da bin ich mir sicher. Auch nicht von Richter
Alderdyce. Dies sind die einzigen Plantagen, die so nah liegen, daß
sie von dort hergelaufen sein könnte. Obwohl ich mich frage, warum
sie ausgerechnet hierher gekommen sein sollte, um eine solche
Verzweiflungstat zu begehen…«
Das hatten Jamie und ich uns auch gefragt. Um Mr.
Campbell daran zu hindern, weiter in diese Richtung zu forschen,
unterbrach Jamie ihn erneut.
»Sie hat nicht viel gesagt, aber sie hat einen
›Sergeant‹ erwähnt. ›Sagt es dem Sergeant‹, waren ihre Worte. Habt
Ihr vielleicht eine Ahnung, wen sie damit gemeint haben
könnte?«
»Ich glaube, ein Sergeant der Armee befehligt die
Wache des königlichen Lagerhauses. Ja, da bin ich mir sicher.« Mr.
Campbells Gesicht hellte sich ein wenig auf. »Ah! Ohne Zweifel
hatte die Frau in irgendeiner Weise mit dem Militär zu tun. Verlaßt
Euch darauf, das ist die Erklärung. Obwohl ich mich immer noch
frage, warum sie -«
»Mr. Campbell, bitte verzeiht mir, aber ich
fürchte, mir ist ein bißchen schwindelig«, unterbrach ich ihn und
legte ihm eine Hand auf den Ärmel. Es war nicht gelogen, denn ich
hatte weder geschlafen noch gegessen. Ich fühlte mich benommen von
der Hitze und dem Gestank, und ich wußte, daß ich blaß aussehen
mußte.
»Könnt Ihr meine Frau nach draußen begleiten?«
fragte Jamie. Er wies auf das Bett und seine erbarmungswürdige
Bürde. »Ich bringe dann die arme Kleine nach.«
»Bitte macht Euch nicht die Mühe, Mr. Fraser«,
protestierte Campbell, während er sich bereits umwandte, um mich
hinauszubegleiten. »Mein Diener kann die Leiche holen.«
»Es ist die Sägemühle meiner Tante, Sir, und daher
meine Angelegenheit.« Jamie sprach höflich, aber bestimmt. »Ich
kümmere mich darum.«
Phaedre wartete draußen beim Wagen.
»Hab’ Euch doch gesagt, da drin spukt’s«, sagte sie
und betrachtete mich mit grimmiger Genugtuung. »Ihr seid bleich
wie’n Leintuch, Ma’am.« Sie reichte mir eine Feldflasche mit
gewürztem Wein und rümpfte vornehm die Nase.
»Ihr riecht schlimmer als letzte Nacht, und da habt
Ihr so ausgeseh’n als kämt Ihr vom Schweineschlachten. Setzt euch
mal da in den Schatten und trinkt das; das hilft.« Sie blickte mir
über die Schulter. Ich wandte mich ebenfalls um und sah, daß
Campbell im Schatten der Platanen am Flußufer angelangt war und nun
in ein Gespräch mit seinem Bediensteten vertieft war.
»Hab’ sie gefunden«, sagte Phaedre sogleich mit
leiser Stimme. Ihre Augen huschten seitwärts zu der kleinen
Ansammlung von Sklavenhütten, die von dieser Seite der Sägemühle
aus kaum zu sehen war.
»Sicher? Du hast schließlich nicht viel Zeit
gehabt.« Ich nahm einen Schluck Wein und behielt ihn im Mund, froh
um das scharfe Bouquet, das mir in der Kehle aufstieg und meinen
Gaumen vom Geschmack des Todes reinigte.
Phaedre nickte, und ihr Blick wanderte zu den
Männern unter den Bäumen.
»Hat nicht viel dazugehört. Bin zu den Hütten da
drüben gegangen,
hab’ eine Tür offenstehen sehen, und überall haben Sachen
rumgelegen, als hätte es jemand sehr eilig gehabt. Ich hab”nen
kleinen Jungen gefragt, wer da wohnt. Er hat gesagt, Pollyanne
wohnt da, aber sie ist weg, und er weiß nicht, wohin. Ich frage,
seit wann, und er sagt, beim Abendessen war sie noch da, und heute
morgen war sie weg. Keiner hat sie geseh’n.« Ihr Blick traf den
meinen, dunkel und fragend. »Jetzt wißt Ihr es; was wollt Ihr
tun?«
Eine verdammt gute Frage, noch dazu eine, auf die
ich keine Antwort wußte. Ich schluckte den Wein hinunter und mit
ihm die aufsteigende Panik.
»Jeder Sklave hier muß doch wissen, daß sie fort
ist; wie lange wird es dauern, bis jemand anders es herausfindet?
Wer ist für so etwas zuständig, jetzt, wo Byrnes tot ist?«
Phaedre zuckte graziös eine Schulter.
»Jeder, der fragt, erfährt es sofort. Aber wer
dafür zuständig ist -« Sie deutete kopfnickend auf die Mühle. Wir
hatten die kleine Tür zu den Wohnräumen offen gelassen; Jamie kam
gerade heraus und trug eine in Decken gewickelte Last auf dem
Arm.
»Er, schätze ich«, sagte sie.
Ich bin schon daran beteiligt. Er hatte es
schon vor der unterbrochenen Abendgesellschaft gewußt. Ohne
offizielle Bekanntmachung, ohne daß man ihn aufforderte oder daß er
einwilligte, übernahm er seine Position, seine Rolle, wie ein
Puzzleteil, das an seinen Platz gelegt wird. Er war bereits Herr
von River Run - wenn er es sein wollte.
Campbells Diener war zu ihm gegangen, um ihm mit
der Leiche zu helfen. Jamie kniete sich am Rand des Mühlbachs hin
und ließ seine Bürde sanft zu Boden gleiten. Ich gab Phaedre die
Feldflasche zurück und nickte zum Dank.
»Würdest du die Sachen aus dem Wagen holen?«
Wortlos ging Phaedre die Dinge holen, die ich
mitgebracht hatte - eine Decke, einen Eimer, saubere Tücher und ein
Gefäß mit Kräutern -, während ich zu Jamie ging.
Er kniete am Wasser und wusch sich die Hände, etwas
oberhalb der Stelle, wo die Leiche lag. Es hatte zwar keinen Sinn,
mir zur Vorbereitung die Hände zu waschen, doch ich war ein
Gewohnheitstier; ich kniete mich neben ihn, tauchte meine Hände
ebenfalls ein und spülte die Berührung der klammen Haut im Rauschen
des kalten, frischen Wassers davon.
»Ich hatte recht«, sagte ich leise zu ihm. »Es war
eine Frau namens Pollyanne; sie ist über Nacht verschwunden.«
Er zog eine Grimasse, rieb seine Handfläche kräftig
aneinander und blickte über die Schulter. Campbell stand jetzt bei
der Leiche und trug immer noch ein leicht angewidertes Stirnrunzeln
im Gesicht.
Jamie blickte finster konzentriert drein und wandte
den Blick wieder seinen Händen zu. »Na, das paßt ja wie die Faust
aufs Auge, aye?« Er bückte sich und bespritzte sich das Gesicht,
dann schüttelte er heftig den Kopf und versprühte dabei Tropfen wie
ein nasser Hund. Dann nickte er mir zur, stand auf und trocknete
sich mit dem Saum seines fleckigen Plaids das Gesicht ab.
»Kümmere dich um die Kleine, aye, Sassenach?« Dann
schritt er zielsicher mit schwingendem Kilt auf Mr. Campbell
zu.
Es hatte keinen Zweck, ihre Kleider zu retten,
also schnitt ich sie ihr vom Leib. Unbekleidet sah sie so aus, als
wäre sie in den Zwanzigern gewesen. Unterernährt, man konnte ihre
Rippen zählen, ihre Arme und Beine waren dünn und blaß wie
geschälte Zweige. Trotzdem war sie überraschend schwer, und da die
Totenstarre immer noch anhielt, war sie schwierig zu bewegen.
Phaedre und ich kamen dabei heftig ins Schwitzen, und aus dem
Knoten in meinem Nacken entwischten Strähnen, die bald an meinen
erhitzten Wangen klebten.
Immerhin reduzierte die schwere Arbeit unser
Gespräch auf ein Minimum, und ich konnte in Ruhe nachdenken. Nicht,
daß meine Gedanken besonders beruhigend gewesen wären.
Eine Frau, die ein Kind abtreiben wollte, würde es
in ihrem eigenen Zimmer, in ihrem eigenen Bett tun, wenn sie es
allein machte. Es konnte für die Fremde nur einen Grund geben, sich
an einen abgelegenen Ort wie diesen zu begeben: sich dort mit der
Person zu treffen, die die Arbeit für sie erledigen würde, einer
Person, die nicht zu ihr kommen konnte.
Wir mußten nach einer Sklavin im Umfeld der
Sägemühle Ausschau halten, hatte ich ihm gesagt, einer Frau, die
vielleicht einen Ruf als Hebamme hatte und über die die anderen
Frauen redeten, die sie flüsternd weiterempfehlen würden.
Die Tatsache, daß ich wohl recht gehabt hatte,
verschaffte mir keine Genugtuung. Die Engelmacherin war geflohen,
aus Angst, daß die Frau uns gesagt haben könnte, wer die Tat
begangen hatte. Wäre sie geblieben und hätte geschwiegen, hätte
Farquard Campbell sich auf meine Aussage verlassen, daß die Frau es
selbst gewesen war - konnte er doch kaum das Gegenteil beweisen.
Doch wenn jemand anders herausfand, daß die Sklavin Pollyanne
entflohen war - und man würde es selbstverständlich herausfinden!
-, und sie gefangen
und verhört wurde, dann würde die ganze Sache sofort herauskommen.
Und was dann?
Ich erschauerte trotz der Hitze. Fand das Gesetz
des Blutvergießens in diesem Fall Anwendung? Das sollte es wohl,
dachte ich, während ich grimmig noch einen Eimer Wasser über die
weißen Glieder schüttete - falls Quantität irgendeine Rolle dabei
spielte.
Der Teufel sollte die Frau holen, dachte ich, indem
ich das nutzlose Mitleid unter meinem Ärger verbarg. Das einzige,
was ich jetzt noch für sie tun konnte, war, hinter ihr aufzuräumen
- im wahrsten Sinne des Wortes. Und vielleicht zu versuchen, ihre
Mitspielerin in dieser Tragödie zu retten, die arglose Frau, die
ohne böse Absicht einen Mord begangen hatte, wo sie doch nur hatte
helfen wollen, und die jetzt vielleicht mit ihrem eigenen Leben für
diesen Fehler bezahlen mußte.
Ich sah, daß Jamie die Weinflasche geholt hatte; er
trank im Wechsel mit Farquard Campbell, und beide unterhielten sich
angeregt, wobei sie gelegentlich auf die Sägemühle, den Fluß oder
in Richtung Stadt deuteten.
»Habt Ihr was, womit ich sie kämmen kann,
Ma’am?«
Phaedres Frage lenkte meine Aufmerksamkeit wieder
auf meine eigentliche Aufgabe. Sie hockte neben der Leiche und
befühlte kritisch deren wirres Haar.
»Würde sie nur ungern so ins Grab legen, das arme
Kind«, sagte sie und schüttelte den Kopf.
Phaedre kam mir kaum älter vor als die Tote - und
es spielte sowieso kaum eine Rolle, ob die Leiche wohlfrisiert
beerdigt wurde. Dennoch suchte ich in meiner Tasche und zog einen
kleinen Elfenbeinkamm heraus, mit dem sich Phaedre leise summend
ans Werk machte.
Mr. Campbell brach auf. Ich hörte das Zaumzeug
seines Gespanns knarren, und die Pferde stampften erwartungsvoll,
als der Kutscher aufsaß. Mr. Campbell erblickte mich und verbeugte
sich tief, den Hut in der Hand. Ich deutete meinerseits einen
Knicks an und sah erleichtert zu, wie er davonfuhr.
Phaedre hatte ebenfalls in ihrer Arbeit
innegehalten und sah der abfahrenden Kutsche nach.
Sie murmelte etwas und spuckte in den Staub. Sie
tat es ohne erkennbare Bösartigkeit - es war eine Geste, die das
Böse fernhalten sollte und die ich schon öfter beobachtet hatte.
Sie blickte zu mir auf.
»Mister Jamie sollte Pollyanne besser vor
Sonnenuntergang finden. Im Kiefernwald sind wilde Tiere, und Mister
Ulysses sagt, die Frau hat zweihundert Pfund gekostet, als Miss
Jocasta sie gekauft hat. Sie
kennt den Wald nicht, die Pollyanne; sie ist erst vor einem Jahr
aus Afrika gekommen.«
Ohne weiteren Kommentar beugte sie sich wieder über
ihre Arbeit, und ihre Finger wanderten dunkel und wieselflink über
das feine Seidenhaar der Toten.
Ich machte mich ebenfalls ans Werk und stellte mit
einigem Schrecken fest, daß das Netz der Umstände, das Jamie umgab,
mich ebenfalls erfaßt hatte. Ich blieb nicht unbeteiligt, wie ich
gedacht hatte - das wäre nicht einmal dann möglich gewesen, wenn
ich es gewollt hätte.
Phaedre hatte mir nicht deshalb geholfen, Pollyanne
zu finden, weil sie mir vertraute oder mich mochte, sondern weil
ich die Frau des Herrn war. Pollyanne mußte gefunden und versteckt
werden. Und Jamie, so dachte sie, würde Pollyanne
selbstverständlich finden und verstecken, sie war schließlich sein
Eigentum - oder Jocastas, aber das lief in Phaedres Augen sicher
auf dasselbe hinaus.
Schließlich lag die Fremde sauber auf dem
zerschlissenen Laken, das ich als Leichentuch mitgebracht hatte.
Phaedre hatte ihr das Haar gekämmt und geflochen, und nun ergriff
ich das große Steingutgefäß mit den Kräutern. Ich hatte sie aus
Gewohnheit wie auch aus gutem Grund mitgebracht, und jetzt war ich
froh darum - nicht so sehr, weil ich sie gegen den Verwesungsprozeß
brauchte, sondern weil sie den einzigen - und notwendigen - Hauch
einer Zeremonie beisteuerten.
Es war schwer, diesen stinkenden Klumpen mit der
kleinen Hand in Verbindung zu bringen, die sich an die meine
geklammert hatte, mit dem furchtsamen Flüstern, das »sagt…« in die
erdrückende Dunkelheit gehaucht hatte. Und dennoch war die
Erinnerung an sie, an ihr letztes Lebensblut, das sich heiß über
meine Hand ergoß, in meinen Gedanken lebendiger als dieser Anblick
ihrer leeren Hülle, die nackt in den Händen von Fremden lag.
Der nächste Priester wohnte in Halifax, daher würde
sie ohne Zeremonie beerdigt werden - doch was hätten ihr die Riten
genützt? Beerdigungsrituale dienen den Hinterbliebenen zum Trost.
Es war unwahrscheinlich, daß sie jemanden hinterlassen hatte, der
um sie trauern würde, dachte ich, denn hätte ihr jemand
nahegestanden - Familie, Ehemann, selbst ein Liebhaber -, dann wäre
sie jetzt wahrscheinlich nicht tot.
Ich hatte sie nicht gekannt, sie würde mir nicht
fehlen - doch ich trauerte um sie, um sie und ihr Kind. Und so
kniete ich mich mehr um meinet- als um ihretwillen neben sie und
verstreute meine Kräuter: duftend und bitter, Gartenraute und
Ysopblüten, Rosmarin, Thymian
und Lavendel. Ein Strauß der Lebenden für die Tote - ein kleines
Zeichen der Erinnerung.
Phaedre sah kniend zu und schwieg. Dann streckte
sie die Hand aus und legte dem toten Mädchen das Leichentuch sanft
über das Gesicht. Jamie war ebenfalls gekommen, um zuzusehen.
Wortlos bückte er sich, hob sie auf und trug sie zum Wagen.
Er sagte nichts, bis ich eingestiegen war und mich
neben ihn gesetzt hatte. Er ließ die Zügel auf die Pferderücken
klatschen und schnalzte mit der Zunge.
»Dann wollen wir mal den Sergeant suchen«, sagte
er.
Natürlich mußten wir uns zuerst um ein paar andere
Dinge kümmern. Wir kehrten nach River Run zurück, um Phaedre
zurückzubringen. Jamie verschwand, um Duncan zu suchen und seine
schmutzige Kleidung zu wechseln, während ich nach meinem Patienten
sah und Jocasta mit den Ereignissen des Morgens vertraut
machte.
Ich hätte mir bei beiden die Mühe sparen können:
Farquard Campbell saß im Frühstückszimmer und schlürfte Tee mit
Jocasta, John Myers lag der Länge nach auf der grünen Chaiselongue
ausgestreckt, ein Cameronplaid um seine Lenden geschlungen, und
kaute fröhlich ein Brötchen. Der ungewohnten Sauberkeit seiner
nackten Beine und Füße nach zu urteilen, die aus der Tartandecke
ragten, hatte sich jemand in der Nacht zuvor den Zustand seiner
vorübergehenden Bewußtlosigkeit zunutze gemacht und ihm ein Bad
verabreicht.
»Meine Liebe.« Beim Klang meiner Schritte wandte
Jocasta den Kopf und lächelte, obwohl ich Sorgenfalten zwischen
ihren Augenbrauen sah. »Setz dich, Kind, und nimm etwas zu dir; du
hast sicher letzte Nacht nicht geschlafen - und wie es scheint,
hattest du einen furchtbaren Morgen.«
Normalerweise hätte ich es entweder amüsant oder
beleidigend gefunden, wenn mich jemand »Kind« nannte; unter den
gegenwärtigen Umständen war es seltsam beruhigend. Ich sank dankbar
in einen Armsesseln, ließ mir von Ulysses eine Tasse Tee
einschenken und fragte mich derweil, was genau Farquard Jocasta
erzählt hatte - und wieviel er wußte.
»Wie geht es Euch heute morgen?« fragte ich meinen
Patienten. Er schien sich in erstaunlich guter Verfassung zu
befinden, wenn man bedachte, wieviel Alkohol er letzte Nacht
konsumiert hatte. Er hatte eine gesunde Gesichtsfarbe, und wenn man
nach der Menge der Krümel auf dem Teller neben ihm ging, war an
seinem Appetit ebenfalls nichts auszusetzen.
Er nickte mir herzlich zu, während seine Kiefer
geräuschvoll kauten, und schluckte dann etwas mühsam.
»Erstaunlich gut, Ma’am, besten Dank. Bißchen wund
am Allerwertesten« - er klopfte sich sachte auf die betreffende
Stelle -, »aber ich hab’ noch nie eine schönere Naht gesehen. Mr.
Ulysses war so freundlich, mir einen Spiegel zu besorgen«, erklärte
er. Er schüttelte den Kopf mit einiger Ehrfurcht.
»Hab’ noch nie meinen eigenen Hintern gesehen - bei
all den Haaren, die ich da habe, könnte man meinen, daß mein Papa
ein Bär war!«
Er lachte herzhaft, und Farquard Campbell verbarg
ein Lächeln in seiner Teetasse. Ulysses wandte sich mit dem Tablett
ab, doch ich sah seine Mundwinkel zucken.
Jocasta lachte laut auf, und die Belustigung umgab
ihre blinden Augen mit Fältchen.
»Man sagt, das Kind, das seinen Vater kennt, muß
schlau sein, John Quincy. Aber ich habe deine Mutter gut gekannt,
und ich würde sagen, es ist ziemlich unwahrscheinlich.«
»Tja, meiner Mama haben die haarigen Männer
gefallen. Hat gemeint, die wären so gemütlich in kalten
Winternächten.« Er blinzelte in seinen offenen Hemdkragen und
betrachtete das Gestrüpp, das dort zum Vorschein kam, mit einiger
Genugtuung. »Könnte schon sein. Den Indianermädchen scheint es zu
gefallen - obwohl es vielleicht nur der Reiz des Neuen ist, wenn
man es recht bedenkt. Ihre eigenen Männer haben kaum Pelz an den
Eiern, geschweige denn am Hintern.«
Mr. Campbell bekam einen Krümel in den falschen
Hals und hustete heftig in seine Serviette. Ich lächelte vor mich
hin und nahm einen großen Schluck Tee. Es war eine starke, duftende
indische Mischung, und ich genoß ihn trotz der drückenden
Vormittagshitze. Mir brach der Schweiß aus, als ich trank, doch die
Wärme ließ sich beruhigend in meinem aufgewühlten Magen nieder, und
der Duft des Tees vertrieb den Gestank von Blut und Exkret aus
meiner Nase, wie auch die fröhliche Unterhaltung die morbiden
Bilder des Morgens aus meinen Gedanken verbannte.
Ich warf einen sehnsüchtigen Blick auf den Teppich
vor dem Kamin. Ich fühlte mich, als könnte ich mich friedlich dort
hinlegen und eine Woche lang schlafen. Doch es gab keine Rast für
die Mühseligen.
Jamie kam herein, frisch rasiert und gekämmt und
mit einem nüchternen Rock und einem sauberen Hemd bekleidet. Er
nickte Farquard
ohne erkennbare Überraschung zu; er mußte seine Stimme vom Flur
aus gehört haben.
»Tante Jocasta.« Er bückte sich und küßte Jocasta
zum Gruß die Wange, dann lächelte er Myers zu.
»Wie geht’s Euch denn, a charaid? Oder soll
ich sagen, wie geht’s ihnen?«
»Alles bestens«, versicherte ihm Myers. Er legte
abschätzend eine Hand zwischen seine Beine. »Aber ich warte lieber
noch ein oder zwei Tage, bevor ich wieder auf ein Pferd
steige.«
»Das würde ich auch«, versicherte Jamie ihm. Er
wandte sich wieder an Jocasta. »Hast du Duncan heute morgen schon
gesehen, Tante Jocasta?«
»Oh, aye. Er macht für mich eine kleine Besorgung,
er und der Junge.« Sie lächelte und streckte ihre Hand nach ihm
aus; ich sah, wie sie ihre Finger fest um sein Handgelenk
legte.
»So ein wunderbarer Mann, dieser Mr. Innes. So
hilfsbereit. Und so verständig und intelligent; wirklich ein
Vergnügen, sich mit ihm zu unterhalten. Findest du nicht auch,
Neffe?«
Jamie warf ihr einen seltsamen Blick zu, dann sah
er Farquard Campbell an. Der ältere Mann wich seinem Blick aus und
schlürfte seinen Tee, während er vorgab, das große Gemälde über dem
Kamin zu studieren.
»In der Tat«, sagte Jamie trocken. »Ein brauchbarer
Mann, unser Duncan. Und Ian ist mit ihm gegangen?«
»Um ein kleines Päckchen für mich zu holen«, sagte
seine Tante seelenruhig. »Brauchst du Duncan sofort?«
»Nein«, sagte Jamie langsam und starrte auf sie
herab. »Es kann warten.«
Ihre Finger ließen seinen Ärmel fahren und sie
griff nach ihrer Teetasse. Der zarte Henkel zeigte exakt in ihre
Richtung, bereit für ihre Hand.
»Dann ist es ja gut«, sagte sie. »Willst du
vielleicht etwas frühstücken? Und Farquard - noch etwas
Gebäck?«
»Ah, nein, Cha ghabh mi’n còrr, tapa leibh.
Ich habe in der Stadt zu tun und sehe besser zu, daß ich
aufbreche.« Campbell stellte seine Tasse ab, stand auf und
verbeugte sich nacheinander vor mir und Jocasta. »Ergebenster
Diener, die Damen. Mr. Fraser«, fügte er mit hochgezogenen
Augenbrauen hinzu, verbeugte sich und folgte Ulysses hinaus.
Jamie setzte sich hin, die Augenbrauen seinerseits
hochgezogen, und nahm sich eine Scheibe Toast.
»Diese Besorgung, Tante Jocasta - Duncan ist auf
der Suche nach der Sklavin?«
»Ja.« Jocasta richtete stirnrunzelnd ihren blinden
Blick auf ihn. »Ich hoffe, es macht dir nichts aus, Jamie? Ich
weiß, daß Duncan zu dir gehört, aber die Sache kam mir dringend
vor, und ich konnte nicht wissen, wann du kommen würdest.«
»Was hat Campbell dir gesagt?« Ich konnte mir
denken, was Jamie meinte; es erschien mir nicht wahrscheinlich, daß
der aufrechte und gestrenge Mr. Campbell, Richter des Distriktes,
der keinen Finger gerührt hatte, um einen grausamen Lynchmord zu
verhindern, sich an einer Verschwörung zum Schutz einer Sklavin -
noch dazu einer Engelmacherin - beteiligen würde. Und dennoch -
vielleicht betrachtete er es als Ausgleich für das, was er nicht
hatte verhindern können.
Ihre wohlgeformten Schultern hoben sich in einem
angedeuteten Achselzucken, und neben ihrem Mund regte sich ein
Muskel.
»Ich kenne Farquard Campbell schon zwanzig Jahre.
Ich höre das, was er nicht sagt, besser als das, was er
sagt.«
Myers hatte diesen Wortwechsel mit Interesse
verfolgt.
»Könnte nicht sagen, daß meine Ohren auch so gut
sind«, beobachtete er nachsichtig. »Ich habe ihn nur sagen hören,
daß irgendeine arme Frau sich durch einen Unfall ums Leben gebracht
hat, oben bei der Sägemühle, als sie versuchte, was Kleines
loszuwerden. Er sagt, er hat sie nicht persönlich gekannt.«
Er lächelte mir freundlich zu.
»Und das allein sagt mir schon, daß das Mädchen
eine Fremde war«, beobachtete Jocasta. »Farquard kennt die Leute,
die am Fluß und in der Stadt leben, genausogut, wie ich meine
eigenen kenne. Sie ist niemandes Tochter und niemandes
Dienstmädchen.«
Sie stellte ihre Tasse ab und lehnte sich mit einem
Seufzer im Sessel zurück.
»Es wird schon in Ordnung kommen«, sagte sie. »Iß
nur auf, Junge, du mußt am Verhungern sein.«
Jamie starrte sie einen Moment lang an, die
Toastscheibe unberührt in seiner Hand. Er beugte sich vor und ließ
sie auf den Teller fallen.
»Ich kann nicht sagen, daß ich im Augenblick großen
Appetit habe, Tante Jocasta. Von toten Mädchen bekomme ich
Bauchgrimmen.« Er stand auf und strich über seine Rockschöße.
»Sie mag niemandes Tochter oder Dienstmädchen sein
- aber im Augenblick liegt sie im Hof und lockt die Fliegen an. Ich
wüßte gern ihren Namen, bevor ich sie beerdige.« Er machte auf dem
Absatz kehrt und schritt hinaus.
Ich trank den restlichen Tee aus und stellte die
Porzellantasse mit einem leisen Klirren ab.
»Tut mir leid«, sagte ich entschuldigend. »Ich
glaube, ich habe auch keinen Hunger.«
Jocasta regte sich nicht, und ihr Gesichtsausdruck
blieb unverändert. Als ich das Zimmer verließ, sah ich, wie sich
Myers von seiner Chaiselongue herüberbeugte und zielsicher nach dem
letzten Brötchen angelte.
Es war fast Mittag, als wir das Lagerhaus der
Krone am Ende der Hay Street erreichten. Es stand etwas oberhalb
der Stadt am Nordufer des Flusses und hatte sein eigenes Pier zum
Verlassen. Im Augenblick schien es kaum Bedarf für eine Wache zu
geben, denn nichts regte sich in der Nähe des Gebäudes außer ein
paar blaßgrünen Schmetterlingen, die sich unbeeindruckt von der
drückenden Hitze emsig in den dichten, blühenden Büschen abmühten,
die das Ufer säumten.
»Was wird hier gelagert?« fragte ich Jamie, während
ich neugierig an dem massiven Gebäude hochsah. Die riesige,
zweiflügelige Tür war geschlossen und verriegelt, und ein
einzelner, rotberockter Wachtposten stand reglos wie ein Zinnsoldat
davor. Neben dem Lagerhaus stand ein kleineres Gebäude, auf dem
eine englische Flagge schlaff in der Hitze hing; vermutlich war
dies das Reich des Sergeanten, den wir suchten.
Jamie zuckte mit den Achseln und strich sich eine
vorwitzige Fliege von der Augenbraue. Trotz der Bewegung des Wagens
hatten wir mit zunehmender Tageshitze mehr und mehr Fliegen
angezogen. Ich schnüffelte vorsichtig, doch ich roch nur einen
leisen Hauch von Thymian.
»Alles, was die Krone für wertvoll hält. Pelze aus
dem Hinterland, Vorräte für die Marine - Pech, Teer und Terpentin.
Aber die Wache steht wegen des Alkohols hier.«
Zwar braute jedes Wirtshaus sein eigenes Bier, und
jeder Haushalt hatte seine Rezepte für Apfelcidre und Kirschwein,
doch die hochprozentigeren Spirituosen waren der Krone vorbehalten:
Brandy, Whisky und Rum wurden in kleinen Mengen und unter schwerer
Bewachung in die Kolonie importiert und für teures Geld unter dem
Siegel der Krone verkauft.
»Im Moment ist ihr Vorrat wohl nicht sehr groß«,
sagte ich und deutete auf den einzelnen Wachtposten.
»Nein, die Alkohollieferungen kommen einmal im
Monat von Wilmington den Fluß herauf. Campbell sagt, sie nehmen
jedesmal einen
anderen Wochentag, um das Risiko von Raubüberfällen zu
verringern.«
Er sprach geistesabwesend, und zwischen seinen
Augenbrauen stand eine kleine Falte.
»Meinst du, Campbell hat uns geglaubt? Daß sie es
selbst getan hat?« Unwillkürlich warf ich einen flüchtigen Blick
hinter mich in den Wagen.
Aus Jamies Kehle drang ein schottischer Laut der
Verachtung.
»Natürlich nicht, Sassenach, der Mann ist kein
Narr. Aber er ist ein guter Freund meiner Tante; er wird uns keine
Schwierigkeiten machen, wenn es nicht sein muß. Wir wollen hoffen,
daß die Frau niemanden hatte, der Krach schlagen könnte.«
»Ziemlich kaltblütig von dir«, sagte ich leise.
»Bei deiner Tante habe ich noch gedacht, du würdest anders fühlen.
Aber du hast wohl recht - hätte sie jemanden gehabt, wäre sie jetzt
nicht tot.«
Er hörte die Bitterkeit in meiner Stimme und sah zu
mir herab.
»Ich will ja nicht pietätlos sein, Sassenach«,
sagte er sanft. »Aber das arme Kind ist tot. Ich kann nicht mehr
für sie tun als für eine anständige Beerdigung sorgen, ansonsten
muß ich mich um die Lebenden kümmern, aye?«
Ich seufzte und drückte kurz seinen Arm. Meine
Gefühle waren viel zu komplex, um zu versuchen, sie zu erklären;
ich hatte nur ein paar Minuten bei der Frau gesessen und hätte
ihren Tod keinesfalls verhindern können - doch sie war mir unter
den Händen weggestorben, und ich verspürte die ohnmächtige Wut, die
jeder Arzt unter solchen Umständen empfindet, das Gefühl, daß ich
irgendwie versagt hatte, daß der Todesengel mich überlistet hatte.
Und jenseits von Wut und Mitleid erklang das Echo unausgesprochener
Schuld: Das Mädchen war ungefähr in Briannas Alter - Brianna, die
in ähnlichen Umständen auch niemanden haben würde.
»Ich weiß. Es ist nur… ich fühle mich wohl
irgendwie für sie verantwortlich.«
»Ich auch«, sagte er. »Keine Angst, Sassenach, wir
sorgen schon dafür, daß sie zu ihrem Recht kommt.« Er zügelte die
Pferde unter einer Kastanie, schwang sich herab und bot mir die
Hand.
Es gab keine Kaserne. Campbell hatte Jamie erzählt,
daß die Männer der Lagerhauswache in mehreren Häusern in der Stadt
untergebracht waren. Wir erkundigten uns bei dem Schreiber, der in
der Stube arbeitete. Er schickte uns zum Wirtshaus Golden Goose auf
der anderen Straßenseite, wo der Sergeant zur Zeit beim Mittagessen
anzutreffen war.
Ich erblickte den Sergeanten sofort, als ich das
Wirtshaus betrat; er saß an einem Tisch beim Fenster, hatte seine
weiße Lederhalsbinde abgelegt, seinen Uniformrock aufgeknöpft und
machte einen völlig entspannten Eindruck. Vor ihm standen ein Krug
Bier und die Reste einer Fleischpastete. Jamie trat hinter mir ein
und verdunkelte vorübergehend den Eingang. Der Sergeant blickte
auf.
Obwohl es im Schankraum ziemlich dunkel war, konnte
ich sehen, daß das Gesicht des Mannes vor Schreck jeden Ausdruck
verlor. Jamie blieb hinter mir abrupt stehen. Er brummte etwas auf
Gälisch, das ich als deftigen Kraftausdruck erkannte, doch dann
ging er ohne Zögern an mir vorbei.
»Sergeant Murchison«, sagte er im Tonfall leichter
Überraschung, so wie man vielleicht einen beiläufigen Bekannten
begrüßt. »Ich hatte nicht damit gerechnet, Euch noch einmal zu
Gesicht zu bekommen - jedenfalls nicht in dieser Welt.«
Der Gesichtsausdruck des Sergeanten legte die
Vermutung nahe, daß das Gefühl auf Gegenseitigkeit beruhte. Und daß
jedes Zusammentreffen diesseits der Himmelspforte für ihn zu früh
war. Das Blut stieg ihm in die fleischigen, pockennarbigen Wangen,
und er schob seine Bank zurück, die quietschend über den
sandbestreuten Fußboden rutschte.
»Ihr!« sagte er.
Jamie zog den Hut und neigte höflich den
Kopf.
»Euer Diener, Sir«, sagte er. Ich konnte jetzt sein
Gesicht sehen, das nach außen hin freundlich war, doch seine Augen
verrieten Argwohn. Ihm waren seine Gefühle nicht so deutlich
anzusehen wie dem Sergeanten, doch auch er war überrascht.
Murchison erlangte die Selbstbeherrschung zurück.
Ein Hohnlächeln trat an die Stelle seines erschrockenen
Blickes.
»Fraser. Oh, Verzeihung, das heißt jetzt sicher
Mr. Fraser, richtig?«
»So ist es.« Trotz des beleidigenden Tons der
Bemerkung hielt Jamie seine Stimme neutral. Egal, was zwischen
ihnen vorgefallen war - er wollte jetzt keinen Ärger. Nicht
angesichts dessen, was draußen im Wagen lag. Ich wischte mir
unauffällig die verschwitzten Handflächen am Rock ab.
Der Sergeant hatte angefangen, sich die
Uniformjacke zuzuknöpfen, ohne den Blick von Jamie
abzuwenden.
»Ich habe gehört, daß ein Mr. Fraser angekommen
sein soll, um bei Mistress Cameron auf River Run
herumzuschmarotzen«, sagte er und verzog seine dicken Lippen. »Das
seid dann wohl Ihr, oder?«
Der Argwohn in Jamies Augen gefror zu einem Blau so
kalt wie Gletschereis, obwohl seine Lippen weiter freundlich
lächelten.
»Mistress Cameron ist meine Verwandte. Ich bin in
ihrem Namen hier.«
Der Sergeant legte den Kopf zurück und kratzte sich
ausgiebig am Hals. Eine lange, scharfkantige, rote Falte zog sich
dort über die bleiche Haut, als hätte jemand erfolglos versucht,
den Mann zu garrottieren.
»Eure Verwandte. Tja, das sagt sich leicht, ist es
nicht so? Die Dame ist blind wie ein Maulwurf habe ich gehört. Kein
Ehemann, keine Söhne, eine leichte Beute für jeden Gauner, der hier
aufkreuzt und behauptet, zur Familie zu gehören.« Der Sergeant
senkte den Kopf und grinste mich an. Er hatte sich wieder völlig im
Griff.
»Und die Dirne gehört auch zu Euch, ja?« Es war
pure Böswilligkeit, ein Schuß ins Blaue; der Mann hatte mich kaum
angesehen.
»Das ist meine Frau, Mistress Fraser.«
Ich konnte sehen, wie die beiden steifen Finger an
Jamies rechter Hand einmal zuckten, der einzige sichtbare Hinweis
auf seine Gefühle. Er legte den Kopf etwas zurück und betrachtete
den Sergeanten mit einer Art sachlichem Interesse.
»Und welcher seid Ihr, Sir? Ich bitte meine
Erinnerungslücke zu entschuldigen, aber ich gestehe, daß ich Euch
nicht von Eurem Bruder unterscheiden kann.«
Der Sergeant zuckte zusammen, als hätte man ihn
angeschossen, und erstarrte beim Anlegen seiner Halsbinde.
»Verdammt!« sagte er und erstickte fast an seinen
Worten. Sein Gesicht hatte einen ungesunden Pflaumenton angenommen,
und ich dachte bei mir, daß er wirklich auf seinen Blutdruck achten
sollte. Das sagte ich aber nicht laut.
An dieser Stelle schien der Sergeant zu bemerken,
daß ihn alle Anwesenden im Schankraum mit großem Interesse
anstarrten. Er blickte um sich, schnappte sich seinen Hut und
stampfte zur Tür, wobei er mich im Vorübergehen zur Seite schob, so
daß ich einen Schritt zurückstolperte.
Jamie ergriff meinen Arm, um mich zu stützen, und
schlüpfte dann ebenfalls unter dem Türsturz hindurch. Ich folgte
ihm und bekam gerade noch mit, wie er dem Sergeant hinterherrief:
»Murchison! Ich muß mit Euch reden!«
»Reden, was?« sagte er. »Und was könntet Ihr mir
wohl zu sagen haben, Mister Fraser?«
»Etwas Berufliches, Sergeant«, sagte Jamie kühl. Er
deutete mit einem Nicken auf den Wagen, den wir unter einem Baum
zurückgelassen hatten. »Wir haben Euch eine Leiche
mitgebracht.«
Zum zweiten Mal verlor das Gesicht des Sergeants
jeden Ausdruck. Er blickte auf den Wagen, wo Fliegen und Mücken
sich in kleinen Wolken gesammelt hatten und träge über der offenen
Ladefläche kreisten.
»So.« Er war Berufssoldat, sein Benehmen blieb zwar
unvermindert feindselig, doch das Blut wich aus seinem Gesicht, und
seine geballten Fäuste entspannten sich.
»Eine Leiche? Wessen Leiche?«
»Ich habe keine Ahnung, Sir. Ich hatte die
Hoffnung, daß Ihr es uns vielleicht sagen könntet. Wollt Ihr
nachsehen?« Er wies kopfnickend auf den Wagen, und nach einem
Augenblick des Zögerns nickte der Sergeant ebenfalls und schritt
zum Wagen.
Ich eilte Jamie hinterher und kam gerade
rechtzeitig, um das Gesicht des Sergeanten zu sehen, als er den
Rand des improvisierten Leichentuches zurückzog. Er hatte nicht die
geringste Erfahrung darin, wie man seine Gefühle verbarg -
vielleicht war das in seinem Beruf nicht nötig. Schrecken flackerte
über sein Gesicht wie ein Sommergewitter.
Jamie konnte das Gesicht des Sergeanten genausogut
sehen wie ich.
»Ihr kennt sie also?« sagte er.
»Ich - sie - das heißt… ja, ich kenne sie.« Der
Mund des Sergeants klappte abrupt zu, als hätte er Angst davor,
noch mehr Worte entweichen zu lassen. Er starrte weiter auf das
Gesicht des toten Mädchens, während sein eigenes sich verschloß und
jedes Gefühl darin gefror.
Ein paar Männer waren uns aus dem Wirtshaus
gefolgt. Sie hielten zwar diskret Abstand, doch zwei oder drei von
ihnen reckten neugierig die Hälse. Es würde nicht lange dauern, bis
der ganze Distrikt wußte, was sich bei der Sägemühle zugetragen
hatte. Ich hoffte, daß Duncan und Ian weitergekommen waren.
»Was ist mit ihr geschehen?« fragte der Sergeant
und sah auf das erstarrte, weiße Gesicht herab. Sein eigenes
Gesicht war fast genauso bleich.
Jamie beobachtete ihn genau, ohne es zu
verhehlen.
»Ihr kennt sie also?« sagte er noch einmal.
»Sie ist - sie war - eine Wäscherin. Lissa - Lissa
Garver heißt sie.« Der Sergeant sprach mechanisch und blickte immer
noch auf den Wagen herab, als könnte er sich nicht von dem Anblick
losreißen. Sein Gesicht war ausdruckslos, doch seine Lippen waren
weiß, und er hatte die Hände an seinen Seiten zu Fäusten geballt.
»Was ist passiert?«
»Hat sie Verwandte in der Stadt? Einen Ehemann
vielleicht?«
Es war eine naheliegende Frage, doch Murchisons
Kopf schoß hoch, als hätte Jamie ihn gestochen.
»Das geht Euch nichts an, oder?« sagte er. Er
starrte Jamie aus weit aufgerissenen Augen an und entblößte die
Zähne zu einem Ausdruck, der Höflichkeit hätte sein können, aber
keine war. »Sagt mir, was ihr zugestoßen ist.«
Jamie zuckte mit keiner Wimper, als sein Blick den
des Sergeants traf.
»Sie wollte ein Kind abtreiben, und es ist
schiefgegangen«, sagte er leise. »Wenn sie einen Mann hat, muß man
es ihm sagen. Wenn nicht - wenn sie keine Verwandten hat -, werde
ich dafür sorgen, daß sie anständig beerdigt wird.«
Murchison wandte den Kopf, um noch einmal in den
Wagen zu blicken.
»Sie hat jemanden«, sagte er kurz. »Ihr braucht
Euch nicht zu bemühen.« Er wandte sich ab und rieb sich mit der
Hand so heftig über das Gesicht, als wollte er jegliches Gefühl
wegwischen. »Geht in meine Schreibstube«, sagte er mit
halberstickter Stimme. »Ihr müßt eine Aussage machen - beim
Schreiber. Geht!«
Die Schreibstube war leer; zweifellos saß jetzt
der Schreiber beim Mittagessen. Ich setzte mich zum Warten nieder,
doch Jamie durchstreifte ruhelos den Raum, und sein Blick huschte
von den Regimentsbannern an der Wand zu dem Schubladenschrank in
der Ecke hinter dem Schreibtisch.
»Verdammtes Pech«, sagte er halb zu sich selbst.
»Ausgerechnet Murchison.«
»Du kennst den Sergeanten also gut?«
Er sah mich mit ironisch verzogenen Lippen
an.
»Ziemlich gut. Er war bei der Garnison im Gefängnis
von Ardsmuir.«
»Ich verstehe.« Dann waren sie also nicht unbedingt
die besten Freunde. Es war stickig in der kleinen Stube; ich
betupfte ein Schweißrinnsal, das mir zwischen den Brüsten
hinunterlief. »Was glaubst du, was er hier verloren hat?«
»Das weiß ich; er hatte das Kommando über die
Gefangenen, als sie deportiert wurden. Vermutlich hatte die Krone
keinen Grund, ihn nach England zurückzuholen, wo man doch hier
Soldaten brauchte - es war nämlich während des Kriegs mit den
Franzosen, aye?«
»Und was war das mit seinem Bruder?«
Er schnaubte, ein kurzes, humorloses
Geräusch.
»Sie waren zu zweit - Zwillinge. Klein-Billy und
Klein-Bobby haben wir sie genannt. Ähnelten sich wie ein Ei dem
anderen, und zwar nicht nur äußerlich.«
Er hielt inne, um seine Gedanken zu ordnen. Er
sprach nicht oft über seine Zeit in Ardsmuir, und ich sah, wie sich
sein Gesicht verdüsterte.
»Du kennst vielleicht die Sorte Mensch, die allein
ganz anständig ist, sich aber zu mehreren aufführt wie ein Rudel
Wölfe?«
»Du tust den Wölfen unrecht«, sagte ich lächend.
»Denk an Rollo. Aber ich weiß, was du meinst.«
»Dann eben Schweine. Bestien jedenfalls, wenn sie
zusammen auftreten. In der Armee gibt es viele solche Männer,
deshalb funktionieren Armeen ja: In der Masse tun Menschen
fürchterliche Dinge, die ihnen allein nicht im Traum einfallen
würden.«
»Und die Murchisons waren nie allein?« fragte ich
langsam.
Er nickte sachte.
»Aye, so ist es. Sie waren immer zu zweit. Und
wovor der eine Skrupel hatte, davor hatte der andere keine. Und
wenn es einmal Ärger gab - tja, natürlich konnte niemand sagen, wer
der Schuldige war, nicht wahr?«
Er strich immer noch ruhelos wie ein eingesperrter
Panther umher. Er blieb am Fenster stehen und blickte hinaus.
»Ich - die Gefangenen - wir konnten uns zwar über
die Mißhandlungen beschweren, doch die Offiziere konnten nicht
beide für etwas bestrafen, woran nur der eine Schuld hatte, und man
wußte nur selten, vor welchem Murchison man gerade auf dem Boden
lag, einen Stiefel zwischen den Rippen, oder welcher einen
gefesselt an einem Haken baumeln ließ, bis man sich zur Belustigung
der Garnison in die Hosen machte.«
Sein Blick war auf irgend etwas draußen gerichtet,
seine Miene unverstellt. Er hatte von Bestien gesprochen - ich
konnte sehen, daß die Erinnerungen eine geweckt hatten. Das Licht
fing sich in seinen Augen, saphirblau und reglos.
»Sind sie beide hier?« fragte ich - nicht nur, weil
ich es wissen wollte, sondern auch, um den beunruhigend starren
Blick zu vertreiben.
Es funktionierte; er wandte sich abrupt vom Fenster
ab. »Nein«, sagte er kurz. »Das hier ist Billy. Klein-Bobby ist in
Ardsmuir gestorben.« Seine beiden steifen Finger zuckten.
Ich hatte mich kurz gefragt, warum er heute morgen
statt einer
Reithose den Kilt trug, wo doch der purpurne Tartan buchstäblich
zu einem roten Tuch werden konnte, wenn er ihn einem englischen
Soldaten so provokativ vorführte. Jetzt wußte ich es.
Man hatte ihm den Kilt schon einmal genommen und
ihm damit auch seinen Stolz und seine Männlichkeit nehmen wollen.
Der Versuch war fehlgeschlagen, und er beabsichtigte, diese
Tatsache zu unterstreichen, ob das nun vernünftig war oder nicht.
Vernunft hatte wenig mit jenem sturen Stolz zu tun, der Jahre
ständiger Beleidigung überstehen konnte - und obwohl er beides
hatte, konnte ich sehen, daß gegenwärtig der Stolz die Oberhand
gewann.
»So, wie der Sergeant reagiert hat, ist er wohl
keines natürlichen Todes gestorben?« fragte ich.
»Nein«, sagte er. Er seufzte und zuckte leicht mit
den Schultern, um den engen Rock etwas zurechtzurücken.
»Jeden Morgen haben sie uns zum Steinbruch geführt
und in der Dämmerung wieder zurück, und jeder Wagen wurde von zwei
oder drei Männern bewacht. Eines Tages hatte Klein-Bobby Murchison
das Kommando. Er ist morgens mit uns ausgezogen - aber er ist am
Abend nicht mit uns zurückgekommen.« Er blickte erneut zum Fenster.
»Am Fuß des Steinbruchs war eine ziemlich tiefe Wassergrube.«
Sein sachlicher Ton ließ mich fast genauso frösteln
wie der Inhalt seines kargen Berichtes. Trotz der drückenden Hitze
lief mir ein leichter Schauer über den Rücken.
»Hast du -« begann ich, doch er legte einen Finger
auf seine Lippen und wies mit dem Kopf auf die Tür. Einen
Augenblick später hörte auch ich die Schritte, die er mit seinen
schärferen Ohren aufgefangen hatte.
Es war der Sergeant, nicht sein Schreiber. Er hatte
stark geschwitzt; Schweißspuren liefen ihm unter der Perücke über
das Gesicht, und seine Haut hatte die ungesunde Farbe frischer
Rinderleber.
Er blickte auf den verwaisten Schreibtisch, und ein
kurzer, heftiger Laut entfuhr seiner Kehle. Mir tat der abwesende
Schreiber leid. Der Sergeant schob das Durcheinander auf dem
Schreibtisch mit einer ausladenden Armbewegung zur Seite, und ein
Papierregen ergoß sich auf den Boden.
Er schnappte sich ein Tintenfaß aus Zinn und einen
Bogen aus dem Haufen und knallte beides auf den Tisch.
»Aufschreiben«, befahl er. »Wo Ihr sie gefunden
habt, was geschehen ist.« Er hielt Jamie einen fleckigen Gänsekiel
hin. »Unterschreiben, mit Datum.«
Jamie sah ihn aus zusammengekniffenen Augen an,
machte aber
keine Anstalten, die Feder zu ergreifen. Mir wurde plötzlich
schwindelig.
Jamie war Linkshänder, doch man hatte ihn dazu
gezwungen, mit der rechten Hand zu schreiben, und dann war diese
rechte Hand verkrüppelt worden. Schreiben war für ihn eine
langsame, mühsame Prozedur, deren Ergebnis verkleckste,
schweißbefleckte und zerknitterte Seiten waren - und er selbst war
dann kaum in einem besseren Zustand. Keine Macht der Erde konnte
ihn dazu bringen, sich vor dem Sergeanten in dieser Weise zu
erniedrigen.
»Schreibt. Es. Auf.« Der Sergeant biß jedes Wort
mit den Zähnen ab.
Jamie kniff die Augen noch weiter zu, doch ehe er
etwas sagen konnte, streckte ich die Hand aus und riß dem
Sergeanten den Gänsekiel aus der Hand.
»Ich war dabei, ich kann es tun.«
Jamies Hand schloß sich um die meine, noch bevor
ich die Feder in das Tintenfaß tauchen konnte. Er nahm mir den Kiel
aus der Hand und ließ ihn mitten auf den Tisch fallen.
»Euer Schreiber kann mich später im Haus meiner
Tante aufsuchen«, sagte er kurz zu Murchison. »Komm mit,
Claire.«
Ohne eine Antwort des Sergeanten abzuwarten,
ergriff er mich am Ellbogen und zog mich geradezu auf die Füße. Wir
waren draußen, bevor ich wußte, wie mir geschah. Der Wagen stand
immer noch unter dem Baum, doch jetzt war er leer.
»Also, im Augenblick ist sie in Sicherheit, Mac
Dubh, aber was zum Teufel sollen wir mit der Frau machen?« Duncan
kratzte sich die Bartstoppeln am Kinn; er und Ian hatten drei Tage
die Wälder durchsucht, bevor sie die Sklavin Pollyanne gefunden
hatten.
»Es wird nicht leicht sein, sie vom Fleck zu
bewegen«, warf Ian ein, während er eine Scheibe Schinken vom
Frühstückstisch zog. Er teilte sie und gab Rollo die Hälfte ab.
»Die arme Frau ist vor Schreck fast gestorben, als Rollo sie
aufgespürt hat, und es war ein Heidenaufwand, sie auf die Beine zu
bringen. Wir konnten sie nicht auf ein Pferd bekommen; ich mußte
meinen Arm um sie legen und neben ihr gehen, damit sie nicht
hinfiel.«
»Wir müssen sie irgendwie wegbringen.« Jocasta
runzelte die Stirn, die ausdruckslosen Augen zum Nachdenken halb
geschlossen. »Dieser Murchison war gestern morgen schon wieder bei
der Sägemühle und hat einen Aufruhr verursacht, und gestern abend
hat Farquard mir ausrichten lassen, der Mann hätte erklärt, es sei
Mord gewesen, und daß er Männer angefordert hat, um den Distrikt
nach der Sklavin
zu durchsuchen, die es getan hat. Farquard war so aufgebracht, daß
ich dachte, ihm platzt der Kragen.«
»Meinst du, sie könnte es getan haben?« Ian blickte
kauend von Jamie zu mir. »Unbeabsichtigt, meine ich?«
Trotz der Morgenhitze erschauerte ich und dachte an
den Metallspieß, wie er unnachgiebig und fest in meiner Hand
lag.
»Es gibt drei Möglichkeiten: Ein Unfall, Mord oder
Selbstmord«, sagte ich. »Es gibt viel einfachere Arten,
Selbstmord zu begehen, glaube mir. Und ein Mordmotiv ist uns nicht
bekannt.«
»Wie auch immer«, sagte Jamie und würgte damit das
Gespräch geschickt ab, »wenn Murchison die Sklavin festnimmt, wird
er sie innerhalb eines Tages hängen oder zu Tode peitschen lassen.
Er braucht keinen Prozeß. Nein, wir müssen sie unbedingt aus dem
Distrikt bringen. Das habe ich mit unserem Freund Myers
arrangiert.«
»Du hast was mit Myers arrangiert?«
durchschnitt Jocastas Stimme scharf das Durcheinander der Ausrufe
und Fragen, mit denen seine Ankündigung begrüßt wurde.
Jamie bestrich die Toastscheibe in seiner Hand mit
Butter und gab sie Duncan, bevor er etwas sagte.
»Wir werden die Frau in die Berge bringen«, sagte
er. »Myers sagt, die Indianer werden sie gern aufnehmen; er weiß
einen guten Platz für sie, sagt er. Und dort wird sie vor
Klein-Billy Murchison sicher sein.«
»Wir?« fragte ich höflich. »Und wer ist
wir?«
Er antwortete mit einem Grinsen.
»Myers und ich, Sassenach. Ich muß mir das
Hinterland ansehen, bevor es kalt wird, und dies ist eine gute
Gelegenheit. Myers ist der beste Führer, den ich mir wünschen
kann.«
Er verzichtete auf die Anmerkung, daß es für ihn
ebenfalls von Vorteil wäre, vorübergehend aus Sergeant Murchisons
Einflußbereich zu verschwinden, doch für mich lag diese
Schlußfolgerung auf der Hand.
»Du nimmst mich doch mit, oder, Onkel Jamie?« Ian
strich sich das feuchte Haar aus der Stirn und machte ein eifriges
Gesicht. »Du wirst Hilfe brauchen mit der Frau, glaube mir - sie
hat die Ausmaße von einem Melassefaß.«
Jamie lächelte seinem Neffen zu.
»Aye, Ian, wir können wohl noch einen Mann
brauchen.«
»Hm-mm«, sagte ich und warf ihm einen bösen Blick
zu.
»Und sei es auch nur, um auf deine Tante
aufzupassen«, fuhr Jamie fort, indem er meinen Blick erwiderte.
»Wir brechen in drei Tagen auf, Sassenach - wenn Myers bis dahin
auf einem Pferd sitzen kann.«
Drei Tage waren nicht viel Zeit, doch mit Myers’ und Phaedres
Hilfe wurde ich wenige Stunden vor dem Aufbruch mit meinen
Vorbereitungen fertig. Ich hatte einen kleinen Reisemedizinkasten
mit Arzneien und Instrumenten gepackt, und unsere Satteltaschen
waren mit Lebensmitteln, Decken und Kochgerät gefüllt. Jetzt blieb
nur noch das kleine Problem mit meiner Kleidung.
Ich kreuzte die Enden des langen Seidenbandes über
meiner Brust, verknotete sie lässig zwischen meinen Brüsten und
begutachtete das Ergebnis im Spiegel.
Nicht übel. Ich streckte die Arme aus und wackelte
mit dem Oberkörper hin und her. Ja, das würde gehen. Obwohl, wenn
ich es mir vielleicht noch einmal um die Brust wand, bevor ich die
Enden überkreuzte…
»Was tust du da, Sassenach? Und was um Himmels
willen hast du an?« Jamie lehnte mit gekreuzten Armen in der Tür
und beobachtete mich mit hochgezogenen Augenbrauen.
»Ich improvisiere einen Büstenhalter«, sagte ich
würdevoll. »Ich habe nicht vor, im Damensitz und mit einem Kleid
durch die Berge zu reiten, aber selbst wenn ich kein Korsett trage,
will ich doch auch nicht, daß meine Brüste die ganze Zeit
herumwackeln. Das ist ziemlich unangenehm.«
»Was du nicht sagst.« Er trat in das Zimmer,
umkreiste mich in sicherem Abstand und betrachtete interessiert
meine unteren Körperregionen. »Und was ist das?«
»Gefällt sie dir?« Ich legte die Hände auf die
Hüften und zeichnete die Form der geschnürten Lederhose nach, die
Phaedre mir - unter hysterischem Gelächter - aus weichem Wildleder
geschneidert hatte, das wir von einem von Myers’ Freunden in Cross
Creek erstanden hatten.
»Nein«, sagte er gerade heraus. »Du kannst nicht
herumlaufen in - in -« Er zeigte sprachlos darauf.
»Einer Hose«, sagte ich. »Und selbstverständlich
kann ich das. Ich habe in Boston die ganze Zeit Hosen getragen. Sie
sind sehr praktisch.«
Er sah mich einen Augenblick schweigend an. Dann
ging er ganz langsam um mich herum. Schließlich erklang seine
Stimme hinter mir.
»Du hast sie im Freien getragen?« fragte er in
ungläubigem Tonfall. »Wo dich die Leute sehen konnten?«
»Ja«, sagte ich ärgerlich. »Die meisten anderen
Frauen auch. Warum nicht?«
»Warum nicht?« sagte er entgeistert. »Ich
kann deine Pobacken genau sehen, zum Kuckuck, und die Falte
dazwischen.«
»Ich kann deine auch sehen«, erklärte ich und
drehte mich um, um ihn anzusehen. »Seit Monaten sehe ich deinen
Hintern tagtäglich in Hosen, aber der Anblick verleitet mich nur
gelegentlich dazu, mich dir unsittlich zu nähern.«
Sein Mund zuckte, unsicher, ob er lachen sollte
oder nicht. Ich nutzte seine Unentschlossenheit aus, trat einen
Schritt vor, legte ihm die Arme um die Taille und nahm seinen
Hintern fest in die Hände.
»Eigentlich ist es ja dein Kilt, bei dem ich Lust
bekomme, dich zu Boden zu schleudern und zu vergewaltigen«, sagte
ich. »Aber in deiner Hose siehst du auch nicht übel aus.«
Da lachte er, beugte sich zu mir herab und küßte
mich gründlich, wobei seine Hände sorgfältig die Umrisse meines
Hinterns erforschten, der fest in Wildleder verpackt war. Er
drückte sanft zu, und ich wand mich in seiner Umarmung.
»Zieh sie aus«, sagte er, als er zum Luftholen
innehielt.
»Aber ich -«
»Zieh sie aus«, wiederholte er bestimmt. Er trat
einen Schritt zurück und knotete die Vorderseite seiner Hose auf.
»Du kannst sie nachher wieder anziehen, Sassenach, aber wenn hier
jemand schleudert und vergewaltigt, dann bin ich derjenige,
welcher, aye?«