13
Eine Gewissensprüfung
Etwas Dunkles landete mit einem leisen Plop! vor uns auf dem Weg, und ich blieb abrupt stehen und klammerte mich an seinen Arm.
»Ein Frosch«, sagte Jamie seelenruhig. »Hörst du sie singen?«
»Singen« war nicht das Wort, das mir zu dem Quak- und Grunzkonzert eingefallen wäre, das aus dem Schilf am Fluß erklang. Aber Jamie hatte kein musikalisches Gehör und machte kein Hehl aus dieser Tatsache.
Er streckte die Fußspitze vor und stieß das am Boden hockende Tier sanft an.
»›Brekekekex, quak, quak‹«, zitierte er. »›Brekekekex, quak!‹« Das Tier hüpfte davon und verschwand unter den feuchten Pflanzen am Wegrand.
»Ich habe ja schon immer gewußt, daß du ein Talent für Sprachen hast«, sagte ich amüsiert, »aber ich hatte keine Ahnung, daß du Fröschisch kannst.«
»Na ja, nicht gerade fließend«, sagte er bescheiden. »Aber meine Aussprache ist gut, wenn ich das sagen darf.«
Ich lachte, und er drückte mir die Hand und ließ sie dann los. Der kurze Funke des Witzes erlosch, ohne eine Unterhaltung zu entzünden, und wir gingen weiter, körperlich zusammen, doch in Gedanken meilenweit voneinander entfernt.
Ich hätte erschöpft sein sollen, doch durch meine Adern strömte immer noch Adrenalin. Ich verspürte die Hochstimmung, die sich nach einer erfolgreichen Operation einstellt, ganz zu schweigen von einem ordinären kleinen Alkoholrausch. Infolge dieser Kombination stand ich etwas wackelig auf den Beinen, nahm jedoch gleichzeitig die Dinge um mich herum intensiv wahr.
Unter den Bäumen bei der Anlegestelle stand eine dekorative Bank, zu der Jamie mich jetzt führte, tiefer ins Dunkel hinein. Mit einem langen Seufzer sank er auf die Marmorbank, was mich daran erinnerte, daß auch er einen ereignisreichen Abend hinter sich hatte.
Ich sah mich mit übertriebener Aufmerksamkeit um und setzte mich dann neben ihn.
»Wir sind allein und unbeobachtet«, sagte ich. »Willst du mir jetzt vielleicht sagen, was zum Teufel hier vorgeht?«
»Oh, aye.« Er richtete sich auf und streckte seinen Rücken. »Ich hätte dir eher etwas sagen sollen, aber ich hatte ja keine Ahnung, daß sie so etwas tun würde.« Er tastete nach mir und fand im Dunklen meine Hand.
»Nichts Schlimmes, wie ich dir schon gesagt habe. Nur - als Ulysses mir das Plaid und den Dolch und die Brosche gebracht hat, hat er mir gesagt, Jocasta hätte vor, heute abend beim Essen zu verkünden - aller Welt mitzuteilen, daß sie mich zum Erben machen wollte von - dem hier.«
Seine Geste umfaßte das Haus und die Felder hinter uns - und alles andere: die Anlegestelle am Fluß, den Obstgarten, die Gärten, die Stallungen, die endlosen, harzduftenden Kiefernwälder, die Sägemühle und die Terpentinanlage - und die vierzig Sklaven, die dort arbeiteten.
Ich sah das Ganze vor mir, wie es zweifellos Jocastas Vision gewesen sein mußte: Jamie, der am Tisch präsidierte, in Hector Camerons Tartan gehüllt, angetan mit dessen Dolch und Brosche - jene Brosche mit der nicht gerade subtilen Beschwörungsformel der Camerons. »Eint Euch!« -, inmitten von Hectors alten Kollegen und Freunden, die alle nur darauf brennen würden, den jüngeren Verwandten ihres Freundes an seiner Statt willkommen zu heißen.
Wenn sie dies vor den versammelten treuen Schotten verkündet hätte, die bereits einiges vom besten Whisky des verstorbenen Hector intus hatten, hätten sie ihn auf der Stelle als Herrn von River Run akzeptiert, ihn mit Wildschweinfett gesalbt und mit Bienenwachskerzen gekrönt.
Es war ein typischer MacKenzie-Plan gewesen, dachte ich; kühn, dramatisch - und ohne Rücksicht auf die Wünsche der beteiligten Personen.
»Und wenn sie es getan hätte«, sagte er und fing meine Gedanken mit schlafwandlerischer Sicherheit auf, »hätte ich es sehr schwierig gefunden, auf diese Ehre zu verzichten.«
»Ja. Sehr.«
Er sprang plötzlich auf, denn er war zu unruhig zum Stillsitzen. Ohne ein Wort streckte er mir die Hand hin, ich erhob mich, und wir kehrten auf dem Pfad durch den Obstgarten zurück und umwanderten die formalen Gärten. Die Laternen, die man für den Empfang angezündet hatte, waren entfernt worden, die Kerzen ausgeblasen und sparsam zur späteren Verwendung verwahrt.
»Warum hat Ulysses es dir gesagt?«
»Frag dich doch selbst, Sassenach«, sagte er. »Wer ist jetzt der Herr von River Run?«
»Oh?«, sagte ich, und dann, »oh!«
»Oh, genau«, sagte er trocken. »Meine Tante ist blind - wer führt die Bücher und verwaltet den Haushalt? Sie entscheidet vielleicht, was getan werden soll - aber wer sagt, daß es getan wird? Wer ist immer an ihrer Seite, um ihr alles zu berichten, wessen Worte hat sie stets im Ohr, wessen Urteil vertraut sie mehr als dem aller anderen?«
»Ach so.« Ich starrte nachdenklich zu Boden. »Aber du glaubst doch nicht, daß er in den Büchern herumgepfuscht oder ähnliche Gemeinheiten angestellt hat?« Ich hoffte, daß er das nicht getan hatte, denn ich mochte Jocastas Butler sehr und hatte den Eindruck gehabt, daß sie einander zugetan waren und sich gegenseitig respektierten - die Vorstellung, daß er sie kaltblütig betrog, gefiel mir gar nicht.
Jamie schüttelte den Kopf.
»Nein. Ich habe die Akten und Bücher durchgesehen, und es ist alles in Ordnung - sogar in sehr guter Ordnung. Ich bin mir sicher, daß er ein ehrlicher Mann und ein treuer Diener ist - aber er wäre kein Mensch, wenn er sich darüber freuen würde, seine Position einem Fremden überlassen zu müssen.«
Er schnaubte kurz.
»Meine Tante ist vielleicht blind, doch der Schwarze sieht sehr gut. Er hat mit keinem Wort versucht, mich davon abzubringen oder mich zu irgend etwas zu überreden: hat mir nur gesagt, was meine Tante vorhat, und es dann mir überlassen, was ich tun wollte. Oder auch nicht.«
»Du meinst, er wußte, daß du nicht -« Ich hielt inne, denn ich war mir nicht so sicher, ob er es nicht doch wollte. Stolz, Vorsicht oder auch beides mochten ihn bewogen haben, Jocastas Plan zu durchkreuzen, doch das hieß nicht unbedingt, daß er vorhatte, ihr Angebot zurückzuweisen.
Er antwortete nicht, und mich durchfuhr ein leiser, kalter Schauer. Ich erzitterte trotz der warmen Sommerluft und nahm beim Weitergehen seinen Arm, um in dieser Berührung Beruhigung zu finden.
Es war Ende Juli, und der Duft der reifenden Früchte hing so süß und schwer in der Luft, daß ich das reine, kühle Aroma der frischen Äpfel fast schmecken konnte. Ich dachte an die Versuchung - und den Wurm, der hinter einer glänzenden Schale verborgen lag.
Versuchung nicht nur für ihn, sondern auch für mich. Für ihn war es die Chance, das zu tun, wozu er geboren und erzogen war, was ihm das Schicksal aber versagt hatte: ein großes Anwesen zu führen, die Verantwortung für die Menschen darauf zu tragen, seinen Ehrenplatz einzunehmen unter bedeutenden, ihm ebenbürtigen Männern. Was noch wichtiger war, er würde wieder Clan und Familie haben. Ich bin schon daran beteiligt, hatte er gesagt.
Er machte sich nichts aus Reichtum um des Reichtums willen; das wußte ich. Und ich glaubte auch nicht, daß er nach Macht strebte; hätte er das gewollt, hätte er sich mein Wissen über die Zukunft zunutze gemacht und wäre nach Norden gegangen, um sich seinen Platz unter den Gründern einer Nation zu suchen.
Doch er war schon einmal ein Gutsherr gewesen. Er hatte mir nur sehr wenig über seine Zeit im Gefängnis erzählt, doch eine Bemerkung war mir noch im Gedächtnis. Über die Männer, die mit ihm zusammen eingesperrt gewesen waren, sagte er - Sie waren mein. Und sie zu haben, hat mich am Leben erhalten. Und ich erinnerte mich an das, was Ian über Simon Fraser gesagt hatte: »Die Verantwortung für seine Männer ist jetzt seine einzige Verbindung mit anderen Menschen.«
Ja, Jamie brauchte Menschen. Menschen, die er führen konnte, für die er verantwortlich war, die er verteidigte und an deren Seite er kämpfte. Nicht jedoch Menschen, die sein Eigentum waren.
Immer noch schweigend, gingen wir am Obstgarten vorbei, dann den langen Weg durch die Blumenrabatten, wo es so durchdringend und betäubend nach Lilien, Lavendel, Anemonen und Rosen duftete, daß sich das bloße Gehen in der heißen, schweren Luft anfühlte, als stürzte man kopfüber in ein Meer aus Blütenblättern.
Oh, River Run war ein Garten irdischer Freuden, kein Zweifel… doch ich hatte einen Schwarzen zum Freund gehabt und meine Tochter in seiner Obhut zurückgelassen.
Der Gedanke an Joe Abernathy und Brianna gab mir das seltsame Gefühl, doppelt zu sehen, als existierte ich an zwei Orten gleichzeitig. Ich konnte ihre Gesichter vor mir sehen, ihre Stimmen in Gedanken hören, und dennoch war der Mann an meiner Seite, dessen Kilt bei jedem Schritt schwang, dessen Kopf in Gedanken gesenkt war, die Wirklichkeit.
Und das war meine Versuchung: Jamie. Nicht die belanglosen weichen Betten und eleganten Räume, die Seidenkleider und die gesellschaftliche Bedeutung. Jamie.
Wenn er Jocastas Angebot nicht annahm, mußte er etwas anderes tun. Und »etwas anderes« war sehr wahrscheinlich William Tryons gefährlicher Lockruf - Land und Siedler. Auf gewisse Weise war das besser als Jocastas großzügiges Angebot; was er aufbaute, würde ihm gehören, das Erbe, das er Brianna hinterlassen wollte. Wenn er lange genug lebte, es aufzubauen.
Ich lebte immer noch auf zwei Ebenen. Hier hörte ich seinen Kilt flüstern, wenn er meinen Rock streifte, spürte die feuchte Wärme seines Körpers, der noch wärmer war als die heiße Luft. Ich roch seinen Moschusduft, der in mir die Begierde weckte, ihn in das Blumenbeet zu zerren, seinen Gürtel zu öffnen und das Plaid auf seinen Schultern abzuwerfen, mein Mieder herunterzuziehen und meine Brüste an ihn zu pressen, ihn halbnackt und ganz erregt in die feuchten, grünen Pflanzen herabzuziehen und ihn mit Gewalt aus seiner Gedankenwelt in die meine zu entführen.
Doch auf der Ebene der Erinnerung roch ich die Eiben und den Wind vom Meer, und meine Finger spürten nicht den lebendigen Mann, sondern den kalten, glatten Granit eines Grabsteins, der seinen Namen trug.
Ich sagte nichts. Er schwieg ebenfalls.
Wir hatten jetzt eine komplette Runde gedreht und waren wieder am Flußufer angekommen, wo graue Steinstufen in die Tiefe führten und in den glitzernden Wellen verschwanden; selbst so weit flußaufwärts war von der Flut noch etwas zu spüren.
Dort lag ein Boot vertäut, ein kleines Ruderboot, in dem man fischen oder einen kleinen Ausflug unternehmen konnte.
»Kommst du mit auf eine kleine Bootsfahrt?«
»Ja, warum nicht?« Er mußte dasselbe Bedürfnis verspüren wie ich, dachte ich - nur fort vom Haus und von Jocasta, um genügend Abstand zu bekommen und ohne die Gefahr einer Unterbrechung klare Gedanken fassen zu können.
Beim Hinabgehen stützte ich mich auf seinen Arm, um das Gleichgewicht zu halten. Doch ehe ich in das Boot steigen konnte, drehte er sich zu mir um. Er zog mich an sich und küßte mich sanft, dann hielt er mich an seinen Körper gedrückt und legte das Kinn auf meinen Kopf.
»Ich weiß es nicht«, sagte er leise als Antwort auf meine unausgesprochenen Fragen. Er kletterte in das Boot und reichte mir die Hand.
 
Er schwieg, während wir auf den Fluß hinausfuhren. Es war eine dunkle, mondlose Nacht, doch das Spiegelbild der Sterne auf der Wasseroberfläche spendete so viel Licht, daß ich genug sehen konnte, nachdem meine Augen sich einmal an das Wechselspiel von glitzerndem Wasser und Baumschatten gewöhnt hatten.
»Willst du nichts dazu sagen?« fragte er schließlich abrupt.
»Es ist nicht meine Entscheidung«, sagte ich und spürte eine Enge in meiner Brust, die von keinem Korsett herrührte.
»Nicht?«
»Nein. Sie ist deine Tante. Es ist dein Leben. Du mußt dich entscheiden.«
»Und du willst einfach nur zusehen?« Ächzend tauchte er die Ruder ein, um flußaufwärts zu fahren. »Ist es nicht auch dein Leben? Oder willst du jetzt doch nicht bei mir bleiben?«
»Was meinst du damit, nicht bleiben?« Erschreckt setzte ich mich auf.
»Vielleicht wird es dir zuviel.« Sein Kopf war über die Ruder gebeugt, so daß ich sein Gesicht nicht sehen konnte.
»Wenn du den Zwischenfall bei der Sägemühle meinst -«
»Nein, das nicht.« Er zog die Ruder zurück. Seine Schultern spannten sich an, und er lächelte schief. »Tod und Katastrophen würden dich doch kaum stören, Sassenach. Aber die kleinen Dinge des Alltags… Ich sehe doch, wie du zusammenzuckst, wenn das schwarze Dienstmädchen dir die Haare kämmt oder wenn der schwarze Page deine Schuhe zum Putzen mitnimmt. Und die Sklaven bei der Terpentinanlage. Das macht dir Kummer, oder?«
»Ja. Das stimmt. Ich bin - ich kann keine Sklaven besitzen. Ich habe dir gesagt -«
»Aye, das hast du.« Er ließ für einen Augenblick die Ruder ruhen und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Er sah mich offen an.
»Und wenn ich beschließe, es zu tun, Sassenach… könntest du bei mir bleiben und zusehen und nichts tun - denn wir könnten nichts tun, bis meine Tante stirbt. Vielleicht nicht einmal dann.«
»Was meinst du damit?«
»Sie wird ihre Sklaven kaum freilassen wollen - wie könnte sie auch? Also könnte ich es auch nicht, solange sie noch am Leben ist.«
»Aber wenn du die Plantage erst einmal geerbt hättest…« Ich zögerte. Abgesehen davon, daß es makaber war, so über Jocastas Tod zu sprechen, mußte man schließlich bedenken, daß dieses Ereignis kaum in absehbarer Zeit eintreten würde: Jocasta war knapp über sechzig und, von ihrer Blindheit einmal abgesehen, bei bester Gesundheit.
Plötzlich verstand ich, was er meinte: Konnte ich mich dazu durchringen, Tag um Tag, Monat um Monat, Jahr um Jahr als Sklavenhalterin zu leben? Ich würde mir nichts vormachen können, würde mich nicht in das Bewußtsein flüchten können, daß ich hier nur ein Gast war, eine Außenseiterin.
Ich biß mir auf die Lippe, um seine Frage nicht spontan und laut zu verneinen.
»Auch dann noch«, beantwortete er meinen halb angefangenen Einwand. »Hast du nicht gewußt, daß ein Sklavenbesitzer seine Sklaven ohne schriftliche Erlaubnis der Versammlung nicht freilassen darf?«
»Er darf was?« Ich starrte ihn verständnislos an. »Warum in aller Welt darf er das nicht?«
»Die Plantagenbesitzer leben in ständiger Furcht vor einem bewaffneten Aufstand der Neger«, sagte er. »Und kannst du es ihnen zum Vorwurf machen?« fügte er sardonisch hinzu. »Sklaven dürfen keine Waffen tragen mit Ausnahme von Werkzeugen wie den Rindenmessern, und das Gesetz des Blutvergießens soll verhindern, daß sie sie einsetzen.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, das letzte, was die Versammlung erlauben würde, wäre, einen Haufen freigelassener Schwarzer auf die Gegend loszulassen. Und selbst wenn jemand einen seiner Sklaven freilassen will und man es ihm gestattet, muß der entlassene Sklave die Kolonie innerhalb kurzer Zeit verlassen - sonst darf er vom erstbesten gefangen und erneut versklavt werden.«
»Du hast es dir durch den Kopf gehen lassen«, sagte ich langsam.
»Du nicht?«
Ich antwortete nicht. Ich ließ meine Hand ins Wasser hängen, und eine kleine Welle kräuselte sich um mein Handgelenk. Nein, ich hatte nicht über diese Möglichkeit nachgedacht. Nicht bewußt, denn ich hatte mich nicht mit der Entscheidung befassen wollen, die mir jetzt vorgelegt wurde.
»Es wäre sicher eine großartige Chance für dich«, sagte ich, und meine Stimme hörte sich angestrengt und unnatürlich an. »Du hättest alles in der Hand…«
»Meine Tante ist keine Närrin«, sagte er, und eine leichte Schärfe lag in seiner Stimme. »Sie würde mich zu ihrem Erben machen, aber nicht zum Eigentümer an ihrer Statt. Sie würde mich benutzen, um Dinge zu regeln, die sie selbst nicht erledigen kann - aber ich wäre nicht mehr als ihr Handlanger. Sicher, sie würde mich nach meiner Meinung fragen und auf meinen Rat hören, aber sie würde nichts geschehen lassen, was sie nicht will.«
Er schüttelte den Kopf.
»Ihr Mann ist tot. Ob sie ihn nun geliebt hat oder nicht, sie ist jetzt die Herrin hier, und sie ist niemandem Rechenschaft schuldig. Und die Macht schmeckt ihr viel zu gut, als daß sie darauf verzichten würde.«
Er hatte völlig recht mit seiner Einschätzung von Jocasta Cameron, und darin lag der Schlüssel zu ihrem Plan. Sie brauchte einen Mann, jemanden, der die Orte aufsuchte, an die sie nicht gelangen konnte, der mit der Marine verhandeln konnte, der die auf dem großen Anwesen anfallenden Aufgaben erledigte, die jene wegen ihrer Blindheit nicht selbst übernehmen konnte.
Gleichzeitig konnte jeder sehen, daß sie nicht auf der Suche nach einem Ehemann war; jemandem, der ihre Macht für sich beanspruchen und ihr Vorschriften machen würde. Wäre er kein Sklave gewesen, hätte Ulysses in ihrem Auftrag handeln können - doch er konnte ihr zwar seine Augen und Ohren leihen, aber nicht ihre Hände ersetzen.
Nein, Jamie war die perfekte Wahl; ein starker, kompetenter Mann, der sich den Respekt Gleichgestellter und den Gehorsam seiner Untergebenen zu verschaffen wußte. Einer, der wußte, wie man Land und Menschen verwaltete. Ein Mann, der darüber hinaus durch Verwandtschaft und Verpflichtung an sie gebunden war, der täte, was sie befahl - und im Grunde machtlos war. Angewiesen auf ihre Großzügigkeit, bestochen von der Aussicht auf River Run, wäre Jamie wenig mehr als Jocastas Zwangsarbeiter, und der Preis dafür würde erst fällig, wenn Jocasta keine weltlichen Sorgen mehr hatte.
Ich hatte einen Kloß im Hals, als ich nach Worten suchte. Ich konnte es nicht, dachte ich. Ich brachte es nicht fertig. Doch der Alternative konnte ich ebenfalls nicht ins Auge sehen; ich konnte ihn nicht drängen, Jocastas Angebot abzulehnen, denn ich wußte, daß ich ihn damit nach Schottland schickte, wo ihn ein unbekannter Tod ereilen würde.
»Ich kann dir nicht sagen, was du tun sollst«, sagte ich schließlich. Meine Stimme war kaum lauter als das regelmäßige Plätschern der Ruder.
Ein hoher Baum war ins Wasser gefallen; in seinen Ästen verfing sich das Treibgut. Dort hatte sich ein kleines Becken gebildet, das Jamie nun ansteuerte. Zielsicher ließ er das Ruderboot in das ruhige Gewässer gleiten. Er zog die Ruder ein und wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht. Er atmete schwer vor Anstrengung.
Die Nacht um uns herum war still; es gab kaum Geräusche außer dem Plätschern des Wassers und dem gelegentlichen Kratzen versunkener Zweige an der Bootswand. Schließlich streckte er die Hand aus und berührte mein Kinn.
»Dein Gesicht ist mein Herz, Sassenach«, sagte er leise, »und meine Liebe zu dir ist meine Seele. Aber du hast recht, du kannst nicht mein Gewissen sein.«
Trotz allem wurde mir leichter ums Herz, als wäre eine unbeschreibliche Bürde von mir abgefallen.
»Ach, ich bin so froh«, sagte ich und fügte impulsiv hinzu: »Es wäre eine furchtbare Verantwortung.«
»Oh, aye?« Er machte ein etwas erschrockenes Gesicht. »Findest du mich denn so schlimm?«
»Du bist der wunderbarste Mann, dem ich je begegnet bin«, sagte ich. »Ich habe nur gemeint… es ist eine so schwere Verantwortung, wenn man versucht, für zwei Menschen zu leben. Zu versuchen, einen anderen Menschen den eigenen Vorstellungen von Gut und Böse anzupassen… natürlich tut man das für ein Kind, das muß man ja, aber selbst da ist es eine furchtbare Belastung. Ich könnte es nicht für dich tun… es wäre falsch, das auch nur zu versuchen.«
Das verblüffte ihn beträchtlich. Er saß einige Sekunden da, das Gesicht halb abgewandt.
»Glaubst du wirklich, daß ich ein guter Mensch bin?« fragte er schließlich. Seine Stimme hatte einen seltsamen Unterton, den ich nicht einordnen konnte.
»Ja«, sagte ich ohne Zögern. Dann fügte ich halb im Scherz hinzu: »Du nicht?«
Nach einer langen Pause sagte er völlig ernst: »Nein, ich glaube nicht.«
Ich sah ihn sprachlos an, und mir stand zweifellos der Mund offen.
»Ich bin ein brutaler Mensch, das weiß ich«, sagte er ruhig. Er breitete seine Hände auf den Knien aus: große Hände, die Schwert und Dolch mit Leichtigkeit schwingen konnten, die einen Mann erwürgen konnten. »Du weißt es auch - oder du solltest es zumindest wissen.«
»Du hast noch nie etwas getan, wozu du nicht gezwungen warst.«
»Nicht?«
»Ich glaube nicht«, sagte ich, doch noch während ich sprach, kamen mir Zweifel. Selbst wenn sie in größter Not begangen wurden - hinterließen solche Taten nicht ihre Spur in der Seele eines Menschen?
»Du schätzt mich also nicht so ein wie, sagen wir, Stephen Bonnet? Man könnte doch sagen, daß er auch aus Not gehandelt hat.«
»Wenn du glaubst, daß du auch nur das Geringste mit Stephen Bonnet gemeinsam hast, liegst du völlig falsch«, sagte ich bestimmt.
Er zuckte leicht ungeduldig die Achseln und rutschte nervös auf der schmalen Sitzbank herum.
»Der Unterschied zwischen mir und Bonnet ist gar nicht so groß, nur daß ich im Gegensatz zu ihm Ehrgefühl besitze. Was hindert mich sonst daran, zum Dieb zu werden?« fragte er. »Daran, auszuplündern, wen immer ich kann? Die Veranlagung dazu trage ich in mir - mein einer Großvater hat Leoch mit dem Gold derer gebaut, die er auf den Pässen der Highlands ausgeraubt hat; der andere hat sein Glück durch die Frauen gemacht, die er wegen ihres Reichtums und ihrer Titel zur Heirat gezwungen hat.«
Er reckte sich, und seine kraftvollen Schultern ragten dunkel vor dem schimmernden Wasser auf. Dann ergriff er plötzlich die Ruder, die auf seinen Knien lagen, und warf sie ins Boot. Der Knall ließ mich auffahren.
»Ich bin über fünfundvierzig«, sagte er. »In diesem Alter sollte ein Mann seßhaft geworden sein, oder? Er sollte zumindest ein Haus haben, etwas Land, um seine Nahrung anzubauen, und ein wenig Geld, damit er im Alter versorgt ist.«
Er holte tief Luft, ich sah, wie seine weiße Hemdbrust sich hob, als seine Lungen anschwollen.
»Nun, ich habe kein Haus. Und kein Land. Und kein Geld. Keine Hütte, keinen Kartoffelacker, keine Kuh, kein Schwein, keine Ziege! Ich habe keinen Dachbalken, kein Bett und keinen Topf, in den ich pinkeln kann!«
Er ließ seine Faust auf die Ruderbank niedersausen, und der Holzsitz unter mir vibrierte.
»Mir gehören nicht einmal die Kleider, die ich am Leib habe!«
Es folgte eine lange Stille, die nur vom leisen Gezirpe der Grillen unterbrochen wurde.
»Du hast mich«, sagte ich leise. Das schien mir nicht besonders viel.
Aus seiner Kehle drang ein Laut, der sowohl Lachen als auch Schluchzen hätte sein können.
»Aye, ich habe dich«, sagte er. Seine Stimme zitterte ein wenig, doch ich konnte nicht sagen, ob vor Belustigung oder Leidenschaft. »Das ist das Schlimmste daran, aye?«
»Ja?«
Ungeduldig warf er die Hand in die Höhe.
»Wenn es nur um mich ginge, was würde es für eine Rolle spielen? Ich könnte leben wie Myers: in die Wälder ziehen, mich vom Jagen und Fischen ernähren und mich, wenn ich zu alt würde, friedlich unter einen Baum legen und sterben und den Füchsen meine Knochen zum Abnagen überlassen. Wen würde es kümmern?«
Er zuckte heftig mit den Schultern, als wäre ihm sein Hemd zu eng.
»Aber es geht nun einmal nicht nur um mich«, sagte er. »Es geht um dich und um Ian und um Duncan und um Fergus und um Marsali - Gott steh mir bei, ich muß sogar an Laoghaire denken!«
»Na, lieber nicht«, sagte ich.
»Verstehst du denn nicht, Claire?« sagte er, der Verzweiflung nah. »Ich möchte dir die Welt zu Füßen legen, Claire - und ich habe nichts, was ich dir geben könnte.«
Er glaubte wirklich, daß es eine Rolle spielte.
Ich saß da, sah ihn an und suchte nach Worten. Er hatte sich halb abgewandt, und seine Schultern waren vor Hoffnungslosigkeit zusammengesunken.
Innerhalb der letzten Stunde hatte ich erst Qualen erlitten, weil ich Angst hatte, ihn in Schottland zu verlieren, hatte dann unbändiges Verlangen verspürt, ihn in den Blumenbeeten zu verführen, gefolgt von dem dringenden Bedürfnis, ihm ein Ruder über den Schädel zu ziehen. Jetzt war ich wieder bei der Zärtlichkeit angelangt.
Schließlich ergriff ich eine seiner großen, rauhen Hände und glitt nach vorn, so daß ich zwischen seinen Beinen auf den Brettern kniete. Ich legte meinen Kopf an seine Brust und spürte, wie sein Atem über mein Haar strich. Mir fehlten die Worte, doch ich hatte meine Wahl getroffen.
»›Wo du hingehst‹«, sagte ich, »›da will auch ich hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden.‹« Ob es ein schottischer Hügel war oder ein Wald im alten Süden. »Du tust, was du mußt; ich bin bei dir.«
 
In der Flußmitte strömte das Wasser schnell dahin; und es war dort flach; ich sah die schwarzen Felsen direkt unter der Oberfläche. Jamie sah sie auch und ruderte aus Leibeskräften zum anderen Ufer, wo er uns auf eine Kiesbank treiben ließ und wir in einem Becken zur Ruhe kamen, das von den Wurzeln einer Trauerweide gebildet wurde. Ich lehnte mich aus dem Boot, griff nach einem herabhängenden Zweig und wickelte unsere Fangleine darum.
Ich hatte gedacht, wir würden nach River Run zurückkehren, doch offensichtlich diente dieser Ausflug nicht nur Erholungszwecken. Wir waren vielmehr weiter stromaufwärts gefahren, und Jamie hatte kräftig gegen die langsame Strömung angerudert.
Mit meinen Gedanken allein gelassen, lauschte ich seinem leisen Keuchen und fragte mich, was wir tun würden. Wenn er sich zum Bleiben entschied… nun, vielleicht würde es sich nicht so schwierig gestalten, wie er dachte. Ich unterschätzte Jocasta Cameron nicht, doch ich unterschätzte Jamie Fraser ebensowenig. Colum und Dougal MacKenzie hatten versucht, ihn ihrem Willen zu beugen - und beiden war es nicht gelungen.
Mein Gewissen regte sich für einen Moment bei der Erinnerung daran, wie ich Dougal MacKenzie zum letzten Mal gesehen hatte, den Mund voll tonloser Flüche, als er an seinem eigenen Blut erstickte, Jamies Dolch bis zum Anschlag in seinem Hals. Ich bin ein brutaler Mensch, hatte er gesagt, und du weißt es auch.
Doch es stimmte einfach nicht, es gab einen Unterschied zwischen ihm und Stephen Bonnet, dachte ich, während ich beobachtete, wie sich sein Körper beim Rudern anspannte, wie fließend und kraftvoll sich seine Arme bewegten. Er besaß mehr als das Ehrgefühl, auf das er sich berief: Güte, Mut… und ein Gewissen.
Mir wurde klar, wohin wir unterwegs waren, als er mit einem Ruder innehielt und quer zur Strömung die espenverhangene Mündung eines breiten Baches ansteuerte. Ich war noch nie auf dem Wasserweg hierhergekommen, doch Jocasta hatte gesagt, es sei nicht weit.
Es hätte mich nicht überraschen dürfen, denn wenn er heute nacht unterwegs war, um sich seinen Dämonen zu stellen, war es ein überaus passender Ort.
Kurz hinter der Mündung des Baches ragte die Sägemühle dunkel und schweigend in die Höhe. Hinter dem Gebäude sah man gedämpftes Licht, das aus den Sklavenhütten am Waldrand drang. Um uns herum erklangen die üblichen Nachtgeräusche, doch der Platz selber erschien mir merkwürdig still, trotz des Lärms, der vom Wind in den Bäumen, den Fröschen und dem Wasser kam. Obwohl es Nacht war, schien das hohe Gebäude einen Schatten zu werfen - doch das bildete ich mir sicherlich nur ein.
»Orte, an denen tagsüber viel los ist, machen bei Nacht immer einen besonders gruseligen Eindruck«, sagte ich in dem Bemühen, das Schweigen der Sägemühle zu brechen.
»Ja?« Jamie klang geistesabwesend. »Der hier war mir schon bei Tageslicht nicht besonders sympathisch.«
Ich schauderte bei der Erinnerung.
»Mir auch nicht. Ich habe nur gemeint -«
»Byrnes ist tot.« Er sah mich nicht an; sein Gesicht war der Mühle zugewandt, die durch die Weide halb verborgen war.
Ich ließ das Ende des Taus fallen.
»Der Aufseher? Wann?« fragte ich, mehr von der Plötzlichkeit der Übermittlung als von der Nachricht selbst schockiert. »Und wie?«
»Heute nachmittag. Campbells jüngster Sohn hat die Nachricht kurz vor Sonnenuntergang überbracht.«
»Wie?« fragte ich erstaunt. Ich umklammerte meine Knie und zerknautschte dabei zwei Hände voll elfenbeinfarbener Seide zwischen meinen Fingern.
»Es war Wundstarrkrampf.« Seine Stimme klang beiläufig und teilnahmslos. »Eine ziemlich unangenehme Art zu sterben.«
Damit hatte er recht. Ich hatte noch nie selbst gesehen, wie jemand an Tetanus starb, doch ich kannte die Symptome sehr gut: Rastlosigkeit und Schluckbeschwerden, die in zunehmende Steifheit übergehen, dazu Muskelkrämpfe in Armen, Beinen und Hals. Die Krämpfe nehmen an Stärke und Dauer zu, bis der Körper des Patienten so hart ist wie ein Brett und sich in Agonie krümmt. Die Krämpfe kommen, lassen nach, schwellen an, hören auf und werden schließlich immer stärker. Den letzten Starrkrampf kann nur der Tod wieder lösen.
»Er ist grinsend gestorben, hat Ronnie Campbell gesagt. Aber ich glaube trotzdem nicht, daß es ein glücklicher Tod war.« Es war ein makaberer Witz, doch es lag nicht viel Humor in seiner Stimme.
Ich setzte mich kerzengerade auf, und trotz der warmen Nacht kroch mir die Kälte die Wirbelsäule hinunter.
»Es ist auch kein schneller Tod«, sagte ich. Argwohn breitete seine kalten Tentakel in meinen Gedanken aus. »Es dauert Tage, bis man an Tetanus stirbt.«
»Davie Byrnes hat von Anfang bis Ende fünf Tage gebraucht.« Falls überhaupt eine Spur von Humor in seiner Stimme gelegen hatte, war sie jetzt verschwunden.
»Du bist bei ihm gewesen«, sagte ich, und ein kurzes Aufflackern von Wut begann, meine innere Kälte aufzutauen. »Du bist bei ihm gewesen! Und du hast es mir nicht gesagt?«
Ich hatte Byrnes’ Wunde verbunden - sie war gräßlich, aber nicht lebensbedrohend - und mir sagen lassen, daß man ihn an einen »sicheren« Ort bringen würde, bis die Unruhe über den Lynchmord nachgelassen hatte. Aufgewühlt, wie ich war, hatte ich mir nicht die Mühe gemacht, mich weiter nach dem Aufenthaltsort oder Befinden des Aufsehers zu erkundigen; es war meine eigene Schuld an dieser Nachlässigkeit, die mich wütend machte, und ich wußte das - aber dieses Wissen half nichts.
»Hättest du denn etwas tun können? Ich dachte, du hättest mir gesagt, daß Wundstarrkrampf eine der Krankheiten ist, gegen die man nichts tun kann, nicht einmal zu deiner Zeit.« Er sah mich nicht an; sein Profil war der Sägemühle zugewandt. Sein Kopf zeichnete sich schwarz vor den helleren Schatten des bleichen Laubes ab.
Ich zwang mich, meinen Rock loszulassen, denn ich dachte vage daran, daß Phaedre furchtbare Arbeit damit haben würde, ihn zu bügeln.
»Nein«, sagte ich etwas bemüht. »Nein, ich hätte ihn nicht retten können. Aber ich hätte nach ihm sehen sollen, ich hätte es ihm leichter machen können.«
Jetzt blickte er mich an; ich sah, wie er den Kopf wandte, und spürte, wie er sein Gewicht im Boot verlagerte.
»Hättest du«, sagte er gleichmütig.
»Und du wolltest es nicht…« Ich hielt inne und erinnerte mich, daß er im Lauf der letzten Woche öfter fortgewesen war, und an seine ausweichenden Antworten, wenn ich ihn fragte, wo er gewesen war. Ich konnte mir die Szene nur zu gut vorstellen: die winzige Dachkammer in Farquard Campbells Haus, in der ich Byrnes’ Verletzung verbunden hatte. Den schmerzgepeinigten Körper auf dem Bett, der langsam unter den kalten Blicken der Männer starb, die durch das Gesetz zu seinen widerwilligen Verbündeten geworden waren. Und er wußte, daß er verhaßt starb. Die Kälte kehrte zurück und überzog meine Arme mit einer Gänsehaut.
»Nein, ich wollte nicht, daß Campbell nach dir schickt«, sagte er leise. »Es gibt das Gesetz, Sassenach - und es gibt die Gerechtigkeit. Ich kenne den Unterschied nur zu gut.«
»Es gibt auch so etwas wie Barmherzigkeit.« Und wenn mich jemand gefragt hätte, hätte ich Jamie Fraser einen barmherzigen Mann genannt. Er war einmal einer gewesen. Doch die Jahre, die seitdem vergangen waren, waren hart gewesen - und Mitleid war ein Gefühl, das widrigen Umständen oft zum Opfer fiel. Ich hatte dennoch gedacht, daß ihm seine Güte geblieben war, und der Gedanke an ihren Verlust schmerzte mich. Nein, ich glaube nicht. War er einfach nur ehrlich gewesen?
Das Boot hatte sich halb um sich selbst gedreht, so daß der Ast jetzt zwischen uns hing. Aus der Dunkelheit hinter den Blättern erklang ein leises Schnauben.
»Selig sind die Barmherzigen«, sagte er, »denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. Byrnes war nicht barmherzig, also hat er keine Barmherzigkeit erlangt. Und was mich betrifft, so hielt ich es nicht für richtig einzugreifen, nachdem Gott einmal seine Meinung über den Mann kundgetan hatte.«
»Du glaubst, daß Gott ihm Tetanus geschickt hat?«
»Ich kann mir nicht vorstellen, daß jemand anders auf so etwas kommen würde. Außerdem«, fuhr er in aller Logik fort, »wo sollte man denn sonst nach Gerechtigkeit suchen?«
Ich rang nach Worten, und mir fielen keine ein. Ich gab es auf und kehrte zum eigentlichen Streitpunkt zurück. Mir war ein bißchen übel.
»Du hättest es mir sagen sollen. Auch wenn du der Meinung warst, daß ich ihm nicht helfen könnte, war es nicht deine Sache zu entscheiden -«
»Ich wollte nicht, daß du zu ihm gehst.« Seine Stimme war immer noch ruhig, doch es lag jetzt ein Hauch von Stahl darin.
»Ich weiß, daß du das nicht wolltest! Aber es spielt keine Rolle, ob du gemeint hast, daß Byrnes es verdiente zu leiden, oder -«
»Es ging nicht um ihn!« Das Boot schaukelte heftig, als er sich bewegte, und ich hielt mich an den Seitenwänden fest, um das Gleichgewicht zu behalten. Er sprach ungestüm.
»Es hat mich einen feuchten Dreck gekümmert, ob Byrnes einen leichten oder einen schweren Tod hatte, aber ich bin kein grausames Monster! Ich habe dich nicht von ihm ferngehalten, um ihn leiden zu sehen, ich habe dich von ihm ferngehalten, um dich zu schützen.«
Ich war erleichtert, das zu hören, wurde aber zunehmend wütend, als mir dämmerte, was er eigentlich getan hatte.
»Es war nicht deine Sache, das zu entscheiden. Wenn ich nicht dein Gewissen bin, dann hast du auch kein Recht, das meine zu sein!« Ich fegte die Weidenzweige zwischen uns beiseite, denn ich wollte ihn sehen.
Plötzlich schoß eine Hand zwischen den Blättern hervor und ergriff mein Handgelenk.
»Es ist meine Sache, für deine Sicherheit zu sorgen.«
Ich versuchte, meine Hand wegzureißen, doch er hatte mich fest im Griff und ließ nicht los.
»Ich bin kein kleines Mädchen, das man beschützen muß, und eine Idiotin bin ich auch nicht. Wenn es einen Grund gibt, warum ich etwas nicht tun soll, dann sag ihn mir, und ich höre zu. Aber du kannst nicht entscheiden, was ich tun und wohin ich gehen soll, ohne mich auch nur zu fragen… das lasse ich mir nicht bieten und das weißt du verdammt gut.«
Das Boot tat einen Ruck. Unter lautem Blättergeraschel steckte er den Kopf durch den Weidenvorhang und starrte mich wütend an.
»Ich versuche überhaupt nicht, dir vorzuschreiben, wohin du gehen sollst.«
»Du hast entschieden, wohin ich nicht gehen darf, und das ist genauso schlimm!« Die Weidenblätter glitten über seine Schultern, als sich das Boot, von Jamies Heftigkeit herumgestoßen, in Bewegung setzte. Wir drehten uns langsam und kamen unter dem Baum hervor.
Er ragte vor mir auf, so massiv wie die Sägemühle; sein Kopf und seine Schultern verdeckten einen guten Teil der Szenerie hinter ihm. Seine lange, gerade Nase war zwei Zentimeter von meiner entfernt, und er hatte die Augen zusammengekniffen. In diesem Licht erschienen sie fast schwarz, und es war extrem beunruhigend, aus der Nähe in sie hineinzusehen.
Ich blinzelte. Er nicht.
Er hatte mein Handgelenk losgelassen, als er durch den Blättervorhang kam. Jetzt ergriff er meine Oberarme. Ich fühlte die Hitze seiner Hände durch den Stoff. Sie waren sehr groß und sehr hart und brachten mir plötzlich zu Bewußtsein, wie zerbrechlich meine eigenen Knochen im Vergleich dazu waren. Ich bin ein brutaler Mensch.
Er hatte mich schon einige Male durchgerüttelt, und ich hatte es gehaßt. Für den Fall, daß er jetzt etwas Derartiges im Sinn hatte, schob ich meinen Fuß zwischen seine Beine und bereitete mich darauf vor, ihm mein Knie dorthin zu stoßen, wo es am wirkungsvollsten war.
»Ich hatte unrecht«, sagte er.
In gespannter Erwartung von Gewalt hatte ich tatsächlich schon angesetzt, meinen Fuß hochzureißen, als ich hörte, was er gesagt hatte. Bevor ich innehalten konnte, hatte er die Beine fest zusammengeklemmt und hielt mein Knie zwischen seinen Oberschenkeln fest.
»Ich habe doch gesagt, daß ich unrecht hatte, Sassenach«, wiederholte er, eine Spur von Ungeduld in seiner Stimme. »Hast du mich gehört?«
»Äh… nein«, sagte ich ziemlich verlegen. Ich wackelte versuchsweise mit dem Knie, doch er hielt seine Oberschenkel fest geschlossen.
»Du würdest es nicht eventuell in Erwägung ziehen, mich loszulassen, oder?« sagte ich höflich. Mein Herz hämmerte immer noch.
»Nein. Wirst du mir jetzt zuhören?«
»Ich denke schon«, sagte ich, immer noch höflich. »Es sieht nicht so aus, als wäre ich im Moment sehr beschäftigt.«
Ich war ihm so nah, daß ich seinen Mund zucken sah. Seine Oberschenkel drückten einen Augenblick lang fester zu, dann entspannten sie sich.
»Das hier ist ein ziemlich törichter Streit, und das weißt du genausogut wie ich.«
»Nein, das stimmt nicht.« Meine Verärgerung hatte etwas nachgelassen, doch ich hatte nicht vor, ihn einfach so davonkommen zu lassen. »Für dich ist es vielleicht nicht wichtig, aber für mich schon. Es ist nicht töricht. Und das weißt du, sonst würdest du nicht zugeben, daß du im Unrecht bist.«
Diesmal war das Zucken deutlicher. Er holte tief Luft und ließ die Hände von meinen Schultern fallen.
»Also gut. Ich hätte dir vielleicht von Byrnes erzählen sollen, das gebe ich zu. Aber wenn ich es getan hätte, wärst du zu ihm gegangen, selbst wenn ich dir gesagt hätte, daß er Wundstarrkrampf hat - und ich wußte, daß es das war, ich habe es nicht zum ersten Mal gesehen. Du würdest doch selbst dann zu einem Patienten gehen, wenn du nichts tun könntest, oder?«
»Ja. Selbst wenn - ja, ich wäre zu ihm gegangen.«
Es gab wirklich nichts, was ich für Byrnes hätte tun können. Myers’ Anästhetikum hätte bei Tetanus nichts genutzt. Nichts konnte diese Krämpfe erleichtern, es sei denn, man injizierte ein Curarederivat. Ich hätte ihn nur mit meiner Gegenwart trösten können, und es war zweifelhaft, ob er das zu schätzen gewußt hätte - oder es überhaupt bemerkt hätte. Dennoch hätte ich mich verpflichtet gefühlt, es ihm zumindest anzubieten.
»Ich hätte gehen müssen«, sagte ich, schon sanfter. »Ich bin Ärztin. Verstehst du das nicht?«
»Natürlich verstehe ich das«, sagte er schroff. »Glaubst du, ich kenne dich überhaupt nicht, Sassenach?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er fort:
»Es hat Gerede gegeben über das, was bei der Sägemühle passiert ist - das war zu erwarten, aye? Aber so, wie der Mann dir unter den Händen weggestorben ist - nun, niemand hat bisher direkt gesagt, daß du ihn absichtlich umgebracht hast, aber man kann sehen, daß die Leute es sich denken. Vielleicht nicht einmal, daß du ihn umgebracht hast - aber, daß du auf die Idee gekommen sein könntest, ihn absichtlich sterben zu lassen, um ihn vor dem Galgen zu retten.«
Ich starrte auf meine Hände, die gespreizt auf meinen Knien lagen, fast so blaß wie der elfenbeinfarbene Satin darunter.
»Ich bin ja auch auf diese Idee gekommen.«
»Das weiß ich wohl, aye?« sagte er trocken. »Ich habe dein Gesicht gesehen, Sassenach.«
Ich holte tief Luft, wenn auch nur, um mich zu vergewissern, daß es nicht mehr nach Blut roch. Doch mir drang nur der harzige, belebende Terpentingeruch des Kiefernwaldes in die Nase. Plötzlich überkam mich eine lebhafte Erinnerung an das Krankenhaus und den Geruch des nach Kiefern duftenden Desinfektionsmittels, der dort in der Luft hing und den darunterliegenden Krankheitsgeruch überdeckte, ihn aber nicht vertreiben konnte.
Ich tat noch einen befreienden Atemzug und hob den Kopf, um Jamie anzusehen.
»Und hast du dich gefragt, ob ich ihn umgebracht habe?«
»Du wirst getan haben, was du für das Beste hältst.« Er ignorierte die nebensächliche Frage, ob ich einen Mann getötet hatte, um beim eigentlichen Thema zu bleiben.
»Aber ich hätte es unklug gefunden, wenn du beim nächsten Todesfall ebenfalls die Hand im Spiel gehabt hättest, falls du verstehst, was ich meine.«
Das tat ich, und nicht zum ersten Mal wurde ich mir der subtilen Netzwerke bewußt, denen er auf eine Weise angehörte, wie es mir niemals möglich sein würde. Eigentlich war dieser Ort ihm genauso fremd wie mir, und doch wußte er nicht nur, worüber die Leute sprachen - das konnte jeder herausfinden, der gern ins Wirtshaus oder auf den Markt ging -, sondern auch, was sie dachten.
Noch mehr irritierte mich, daß er wußte, was ich dachte.
»Du siehst also«, sagte er, während er mich beobachtete, »ich wußte, daß Byrnes sterben würde und du ihm nicht helfen konntest. Doch ich wußte auch, daß du zu ihm gehen würdest, wenn du von seinem Leiden erfuhrst. Und dann würde er sterben, und die Leute würden sich wundern. Vielleicht würden sie nicht laut sagen, wie seltsam es wäre, daß beide Männer dir sozusagen unter den Händen weggestorben sind - aber -«
»Aber sie würden es denken«, beendete ich seinen Satz.
Das Zucken wurde zu einem schiefen Lächeln.
»Du fällst den Leuten auf, Sassenach.«
Ich biß mir auf die Lippen. Es stimmte, im Guten wie im Bösen, und die Tatsache, daß ich auffiel, hatte mich schon mehr als einmal beinahe umgebracht.
Er stand auf, hielt mit Hilfe eines Astes das Gleichgewicht, trat auf den Kies und zog sich das Plaid über die Schulter.
»Ich habe Mrs. Byrnes gesagt, ich würde die Sachen ihres Mannes aus der Sägemühle holen«, sagte er. »Du brauchst nicht mitzukommen, wenn du nicht möchtest.«
Die Sägemühle ragte vor dem sternenübersäten Himmel auf. Sie hätte beim besten Willen nicht unheimlicher aussehen können. Wo du hingehst, da will auch ich hingehen.
Ich glaubte jetzt zu wissen, was er tat. Er hatte alles sehen wollen, bevor er seinen Entschluß faßte; es in dem Bewußtsein betrachten wollen, daß es ihm gehören konnte. Der Spaziergang durch den Park und die Obstgärten, die Bootspartie vorbei an den dichten Kiefernwäldern, der Besuch bei der Sägemühle - er verschaffte sich einen Überblick über den Besitz, den man ihm anbot, abwägend und einschätzend, stellte fest, welchen Komplikationen er sich gegenübersah und ob er die Herausforderung annehmen konnte und wollte.
Schließlich, dachte ich grimmig, hatte der Teufel darauf bestanden, Jesus alles zu zeigen, was er sich entgehen ließ, und ihn auf das Dach des Tempels geführt, damit er die Städte der Welt sah. Die einzige Schwierigkeit dabei war - falls Jamie beschloß, sich hinabzustürzen, stand keine Heerschar von Engeln bereit, um zu verhindern, daß er sich den Fuß - und alles andere - an einer Platte aus schottischem Granit stieß.
Nur ich.
»Warte«, sagte ich und kletterte aus dem Boot. »Ich komme mit.«
 
Die Baumstämme waren immer noch auf dem Hof aufgestapelt, niemand hatte sie bewegt, seit ich das letzte Mal hiergewesen war. Die Dunkelheit nahm mir jegliches Gefühl für Perspektive; die frischen Holzstapel waren helle Rechtecke, die über einem unsichtbaren Boden zu schweben schienen, zuerst weit weg, dann plötzlich so nah, daß sie meinen Rock streiften. Es roch nach Kiefernharz und Sägemehl.
Ich konnte nicht einmal den Boden unter meinen eigenen Füßen sehen, denn er wurde von der Dunkelheit und von meinem wogenden elfenbeinfarbenen Rock verdeckt. Jamie hielt meinen Arm fest, damit ich nicht stolperte. Selbstverständlich stolperte er nie. Vielleicht, dachte ich, hatte er eine Art Radar entwickelt, nachdem er sein ganzes Leben ohne einen Gedanken daran verbracht hatte, daß es auch nach Sonnenuntergang im Freien noch Licht geben könnte - wie eine Fledermaus.
Irgendwo bei den Sklavenhütten brannte ein Feuer. Es war sehr spät, die meisten schliefen wohl. Auf den Westindischen Inseln hätte es nächtelanges Trommeln und Wehklagen gegeben; die Sklaven hätten beim Tod eines Kameraden Totengesänge angestimmt und eine Woche lang Trauerfeierlichkeiten abgehalten. Hier tat sich nichts. Kein Geräusch, außer dem Rauschen der Kiefern, nicht die Spur einer Bewegung, nur das schwache Licht am Waldrand.
»Sie haben Angst«, sagte Jamie leise und hielt inne, um genau wie ich in die Stille zu horchen.
»Kein Wunder«, sagte ich. »Ich auch.«
Er gab ein leises Schnauben von sich, das Belustigung hätte ausdrücken können.
»Ich auch«, murmelte er, »aber nicht vor Geistern.« Er ergriff meinen Arm und schob die kleine Tür an der Seite der Sägemühle auf, bevor ich fragen konnte, wovor er denn Angst hatte.
Im Innenraum konnte man die Stille förmlich greifen. Zuerst kam sie mir vor wie die gespenstische Stille toter Schlachtfelder, doch dann erkannte ich den Unterschied. Diese Stille lebte. Und was auch immer hier in der Stille lebte, es ruhte nicht. Ich hatte das Gefühl, in der Luft immer noch das Blut riechen zu können.
Dann holte ich tief Luft, und es überlief mich kalt. Ich konnte tatsächlich Blut riechen. Frisches Blut.
Ich packte Jamies Arm, doch er hatte es selbst gerochen. Sein Arm war unter meiner Hand hart geworden, die Muskeln wachsam angespannt. Ohne ein Wort entzog er sich meinem Griff und verschwand.
Einen Augenblick lang dachte ich wirklich, er wäre verschwunden, und brach fast in Panik aus, als ich nach ihm tastete und meine Hand sich dort, wo er gestanden hatte, nur um Luft schloß. Dann begriff ich, daß er sich nur das dunkle Plaid über den Kopf geworfen hatte, um die Blässe seines Gesichtes und des Leinenhemdes zu verbergen. Ich hörte seine Schritte, schnell und leicht auf dem Lehmboden, und dann war auch das verstummt.
Die Luft war heiß und still, und der süße, metallische Geruch von Blut hing schwer im Raum. Ganz genau so, wie es vor einer Woche gewesen war. Der Geruch beschwor Halluzinationen herauf. Immer noch von kaltem Grauen gepackt, wandte ich mich um und blickte angestrengt zur anderen Seite des höhlenartigen Raumes. Fast erwartete ich, die Szene, die mir ins Gedächtnis gegraben war, wieder aus der Dunkelheit auftauchen zu sehen. Das fest angespannte Seil des Holzkrans, den riesigen Haken, der mit seiner stöhnenden Last hin und her schwang…
Ein Stöhnen zerriß die Luft, und ich biß mir fast die Lippe durch. In meiner Kehle stieg ein Schrei auf, nur die Angst, auf mich aufmerksam zu machen, ließ mich schweigen.
Wo war Jamie? Es drängte mich, ihn zu rufen, doch ich traute mich nicht. Meine Augen hatten sich soweit an die Dunkelheit gewöhnt, daß ich den Schatten des Sägeblattes erkennen konnte, einen formlosen Fleck in drei Meter Entfernung, doch die andere Seite des Raumes war eine Wand aus Schwärze. Ich bemühte mich, etwas zu sehen und begriff mit Verspätung, daß ich in meinem hellen Kleid zweifellos für jeden zu sehen war, der sich mit mir im Raum befand.
Das Stöhnen erklang erneut, und ich fuhr zusammen. Meine Handflächen schwitzten. Nein! redete ich mir ein. Nein. Das kann nicht sein!
Ich war vor Angst wie gelähmt und brauchte einige Momente, um zu begreifen, was meine Ohren mir gesagt hatten. Das Geräusch war nicht aus dem Dunkel am anderen Ende des Raumes gekommen, wo der Kran mit dem Haken stand. Es war von irgendwo hinter mir gekommen.
Ich fuhr herum. Die Tür, durch die wir eingetreten waren, stand immer noch offen, ein blasses Rechteck in der Finsternis. Es war nichts zu sehen, nichts bewegte sich zwischen mir und der Tür. Ich trat schnell einen Schritt darauf zu und hielt dann inne. Jeder Muskel in meinen Beinen brannte darauf, zu rennen wie der Teufel - doch ich konnte Jamie nicht allein lassen.
Wieder das Geräusch, dasselbe erstickte Keuchen körperlicher Qualen - Schmerz jenseits des Aufschreiens. Da fiel mir ein: Was, wenn das Geräusch von Jamie kam?
Das erschreckte mich so sehr, daß ich jede Vorsicht vergaß, mich in die Richtung drehte, aus der das Geräusch gekommen war, und seinen Namen rief, daß es vom Dachstuhl widerhallte.
»Jamie!« rief ich noch einmal. »Wo bist du?«
»Hier, Sassenach.« Jamies gedämpfte Stimme erklang irgendwo zu meiner Linken, ruhig, aber irgendwie drängend. »Komm zu mir, ja?«
Er war es nicht. Fast zitternd vor Erleichterung beim Klang seiner Stimme, polterte ich durch die Dunkelheit. Jetzt war mir egal, wer das Geräusch gemacht hatte, solange es nicht Jamie war.
Meine Hand stieß auf eine Holzwand, tastete sich blind vor und fand schließlich eine offenstehende Tür. Er war im Quartier des Aufsehers.
Ich trat durch die Tür und spürte die Veränderung sogleich. Hier drinnen war es noch stickiger und viel heißer als in der Sägemühle. Der Boden war aus Holz, doch meine Schritte hallten nicht wider; die Luft war totenstill und drückend. Und der Blutgeruch war noch stärker.
»Wo bist du?« rief ich noch einmal, diesmal leise.
»Hier«, ertönte es überraschend nah bei mir. »Am Bett. Komm und hilf mir; es ist ein Mädchen.«
Er befand sich in dem winzigen Schlafzimmer. Der kleine Raum war fensterlos, und Licht gab es auch nicht. Ich fand sie mit Hilfe meines Tastsinns, Jamie, der auf dem Holzboden neben einem schmalen Bett kniete, und eine Gestalt in dem Bett.
Es war eine Frau, wie er gesagt hatte; das spürte ich mit einer Berührung. Die Berührung sagte mir auch, daß sie im Begriff war zu verbluten. Die Wange, über die ich strich, war kühl und klamm. Alles andere, was ich berührte, war warm und feucht; ihre Kleidung, das Bettzeug, die Matratze unter ihr. Ich spürte, wie an der Stelle, wo ich auf dem Boden kniete, Feuchtigkeit durch meinen Rock drang.
Ich suchte den Puls an ihrem Hals und konnte ihn nicht finden. Ihre Brust bewegte sich sachte unter meiner Hand, das einzige Lebenszeichen außer dem Seufzer, der dabei erklang.
»Ist schon gut«, hörte ich mich sagen, und meine Stimme klang beruhigend, jede Spur von Panik war daraus verschwunden, obwohl ich eigentlich jetzt noch mehr Grund dazu hatte. »Wir sind hier, du bist nicht allein. Was ist mit dir geschehen, kannst du mir das sagen?«
Währenddessen huschten meine Hände über Kopf und Kehle und Brust und Bauch, schoben durchnäßte Kleider zur Seite, suchten blind, verzweifelt nach einer Wunde, die es zu verbinden galt. Nichts, kein hervorschießendes Blut, kein klaffender Schnitt. Und die ganze Zeit erklang ein leises, aber regelmäßiges Pitsche-patsch, Pitsche-patsch wie das Geräusch von rennenden Füßchen.
»Sagt…« Es war weniger ein Wort als ein artikulierter Seufzer. Dann eine Pause, ein schluchzendes Einatmen.
»Wer hat dir das angetan, Kleine?« erklang Jamies körperlose Stimme leise und drängend. »Sag mir, wer?«
»Sagt…«
Ich berührte all die Stellen, wo große Blutgefäße dicht unter der Haut liegen, und fand sie unverletzt, ergriff ihren widerstandslosen Arm und hob sie an, schob eine Hand unter sie, um ihren Rücken abzutasten. Ihre gesamte Körperwärme hatte sich dort gesammelt, ihr Mieder war schweißnaß, aber nicht blutdurchtränkt.
»Es ist alles gut«, sagte ich noch einmal. »Du bist nicht allein. Jamie, halt ihre Hand.« Hoffnungslosigkeit war über mich gekommen, ich wußte, was es sein mußte.
»Ich habe sie schon«, sagte er zu mir und: »Mach dir keine Sorgen, Kleine«, zu ihr. »Es wird alles gut, hörst du?« Pitsche-patsch, Pitsche-patsch. Die kleinen Füße wurden langsamer.
»Sagt…«
Ich konnte ihr nicht helfen, schob aber dennoch meine Hand noch einmal unter ihren Rock und ließ meine Finger zwischen die reglosen, gespreizten Oberschenkel wandern. Hier war sie immer noch warm, sehr warm. Blut lief mir sanft über die Hand und durch die Finger, heiß und feucht wie die Luft um uns, unaufhaltsam wie das Wasser, das durch die Mühlenschleuse floß.
»Ich… sterbe…«
»Ich glaube, jemand hat dich ermordet«, sagte Jamie ganz sanft zu ihr. »Willst du nicht sagen, wer dich umgebracht hat?«
Ihr Atem wurde lauter, wurde ein sanftes Rasseln. Pitsch. Patsch. Pitsch. Patsch. Die Füße gingen jetzt leise auf Zehenspitzen.
»Ser… geant. Sagt… ihm…«
Ich zog meine Hand zwischen ihren Oberschenkeln hervor und ergriff ihre andere Hand, ohne mich um das Blut zu kümmern. Es spielte jetzt wohl kaum noch eine Rolle.
»…sagt…« kam es mit plötzlicher Intensität, und dann Stille. Eine lange Stille, und dann noch ein langer, seufzender Atemzug. Stille, noch länger. Und ein Atemzug.
»Das werde ich«, sagte Jamie. Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern in der Dunkelheit. »Ich werde es tun. Das verspreche ich dir.«
Pitsch.
Patsch.
In den Highlands nannte man es »Todestropfen«, das Geräusch tropfenden Wassers, wenn man es in einem Haus hörte, wo ein Mensch im Sterben lag. Was hier tropfte, war zwar kein Wasser, aber es war dennoch ein sicheres Zeichen.
Es kam kein Geräusch mehr aus der Dunkelheit. Ich konnte Jamie nicht sehen, fühlte aber die leichte Bewegung des Bettes an meinem Oberschenkel, als er sich vorbeugte.
»Gott wird dir vergeben«, flüsterte er in die Stille. »Geh in Frieden.«
 
Ich hörte das Summen sofort, als wir am nächsten Morgen das Quartier des Aufsehers betraten. In der staubigen Stille der Sägemühle war alles durch den weiten Raum und den Staub gedämpft worden. Doch in diesem kleinen, abgetrennten Areal fingen die Wände jedes Geräusch auf und warfen es zurück; das Echo unserer Schritte hallte vom Holzboden bis zur Holzdecke wider. Ich fühlte mich wie eine Fliege, die in einer Kleinen Trommel eingesperrt ist, und erlebte einen Augenblick der Klaustrophobie, als ich in dem engen Durchgang zwischen den beiden Männern festsaß.
Es gab nur zwei Zimmer, die durch einen kurzen Durchgang getrennt waren, der von außen in die eigentliche Sägemühle führte. Zu unserer Rechten lag der größere Raum, in dem die Byrnes’ gewohnt und gekocht hatten, und links das kleinere Schlafzimmer, aus dem jetzt der Lärm kam. Jamie holte tief Luft, hielt sich das Plaid vors Gesicht und zog die Schlafzimmertür auf.
Es sah aus wie eine Tagesdecke auf dem Bett, ein stahlblauer Überwurf, der hier und da grün aufblitzte. Dann betrat Jamie das Zimmer, und die Fliegen erhoben sich summend von ihrem Mahl aus verklumptem Blut und protestierten gefräßig.
Ich schluckte einen Aufschrei des Abscheus herunter und bückte mich, während ich mit den Armen nach ihnen schlug. Aufgedunsene, langsam fliegende Insektenkörper trafen auf mein Gesicht und meine Arme und torkelten langsam durch die Luft davon. Farquard Campbell machte ein schottisches Geräusch des überwältigenden Ekels, das sich wie »Juch!« anhörte, dann senkte er den Kopf und schob sich an mir vorbei. Seine Augen waren zu Schlitzen verengt, seine Lippen fest zusammengepreßt und seine Nase stark so zusammengekniffen, daß sie weiß war.
Das kleine Schlafzimmer war kaum größer als ein Sarg, zu dem es geworden war. Es gab keine Fenster, nur Spalten zwischen den Brettern, die gedämpftes Licht hereinließen. Es war heiß und feucht wie in einem Tropenhaus, und die Luft war vom süßen Verwesungsgeruch des Todes erfüllt. Ich spürte, wie der Schweiß mir an den Seiten herunterkroch und mich kitzelte wie Fliegenfüße, und ich versuchte, nur durch den Mund zu atmen.
Sie war nicht kräftig gewesen; ihr Körper war nur eine leichte Ausbuchtung unter der Decke, die wir letzte Nacht anstandshalber über sie gelegt hatten. Ihr Kopf kam mir im Verhältnis zu dem ausgemergelten Körper groß vor, wie bei einem Strichmännchen, dessen runder Kopf auf streichholzdünnen Gliedern ruht.
Jamie wischte ein paar Fliegen zur Seite, die zu vollgefressen waren, um sich zu bewegen, und zog die Decke zurück. Wie alles andere war auch die Decke blutbefleckt und verkrustet, und ihr Fußende war feucht. Der menschliche Körper enthält im Durchschnitt fünf Liter Blut, doch es sieht nach sehr viel mehr aus, wenn man es in der Gegend verteilt.
Ich hatte in der Nacht zuvor kurz ihr Gesicht gesehen, und im Licht des Kiefernspans, den Jamie über sie gehalten hatte, hatten ihre toten Züge künstlich geleuchtet. Jetzt war sie bleich und kalt wie ein Pilz, und ihre stumpfen Gesichtszüge ragten aus einem Gewirr feiner, brauner Haare hervor. Es war unmöglich, etwas über ihr Alter zu sagen, außer, daß sie nicht alt gewesen war. Ich konnte auch nicht sagen, ob sie attraktiv gewesen war; sie hatte keinen eleganten Knochenbau, doch vielleicht hatte das Leben ihren runden Wangen und ihren tiefliegenden Augen einen Glanz verliehen, den die Männer hübsch fanden. Zumindest für einen Mann war sie hübsch genug gewesen, dachte ich.
Die Männer waren über den reglosen Körper gebeugt und unterhielten sich flüsternd. Jetzt wandte sich Mr. Campbell an mich und runzelte dabei die Stirn unter seiner förmlichen Perücke.
»Ihr seid Euch über die Todesursache einigermaßen sicher, Mrs. Fraser?«
»Ja.« Ich hob den Rand der Decke hoch und schlug sie zurück, wobei ich versuchte, die übelriechende Luft nicht einzuatmen. Ich entblößte die Beine der Leiche. Ihre Füße waren bläulich angelaufen und begannen anzuschwellen.
»Ich habe ihr den Rock heruntergezogen, sonst aber alles so gelassen, wie es war«, erklärte ich und schob ihn wieder hoch.
Mein Magen verkrampfte sich unwillkürlich, als ich sie berührte. Es war nicht das erste Mal, daß ich eine Leiche sah, und diese war bei weitem nicht die schauderhafteste, doch wegen des heißen Klimas und der drückenden Atmosphäre hatte sich ihr Körper kaum abgekühlt - ihr Oberschenkel war so warm wie mein eigener, aber unangenehm schwammig.
Ich hatte ihn dort liegenlassen, wo wir ihn gefunden hatten, im Bett zwischen ihren Beinen: ein Grillspieß, über dreißig Zentimeter lang. Er war ebenfalls voll getrocknetem Blut, aber klar erkennbar.
»Ich… äh… habe keine äußere Verletzung gefunden«, sagte ich, indem ich mich so vorsichtig wie möglich ausdrückte.
»Aye, ich verstehe.« Mr. Campbells Stirnrunzeln schien etwas nachzulassen. »Ah, gut, dann handelt es sich wohl zumindest nicht um einen Fall von vorsätzlichem Mord.«
Ich öffnete den Mund, um zu antworten, doch ich fing einen warnenden Blick von Jamie auf. Mr. Campbell bemerkte nichts davon und fuhr fort:
»Bleibt die Frage, ob die arme Frau es wohl selbst getan hat oder durch die Hilfe eines Dritten zu Tode gekommen ist. Was meint Ihr, Mistress Fraser?«
Jamie blickte mich mit zusammengekniffenen Augen über Campbells Schulter hinweg an, doch die Warnung war unnötig. Wir hatten letzte Nacht über die Angelegenheit gesprochen und waren zu unseren eigenen Schlüssen gekommen - und zu dem Schluß, daß wir unsere Ansichten den Vertretern von Recht und Ordnung in Cross Creek besser nicht mitteilten - jetzt noch nicht. Ich rümpfte die Nase, vorgeblich des Geruches wegen, in Wirklichkeit aber, um jede verräterische Veränderung meines Gesichtsausdruckes zu verbergen. Ich war eine sehr schlechte Lügnerin.
»Ich bin sicher, daß sie es selbst getan hat«, sagte ich bestimmt. »Es dauert nicht lange, auf diese Weise zu verbluten, und wie Jamie Euch gesagt hat, hat sie noch gelebt, als wir sie gefunden haben. Wir haben einige Zeit draußen vor der Mühle gestanden und uns unterhalten, bevor wir hereingekommen sind; niemand hätte sich unbemerkt entfernen können.«
Andererseits hätte sich leicht jemand in dem anderen Zimmer verstecken und lautlos im Dunkeln davonschleichen können, während wir damit beschäftigt waren, der sterbenden Frau Beistand zu leisten. Falls Mr. Campbell nicht selbst auf diese Möglichkeit kam, sah ich auch keinen Grund, ihn darauf aufmerksam zu machen.
Als Mr. Campbell sich zu ihm zurückwandte, hatten Jamies Gesichtszüge wieder einen Ausdruck angemessenen Ernstes angenommen. Der ältere Mann schüttelte bedauernd den Kopf.
»Ach, die arme Unglückliche! Nun, vielleicht sollten wir erleichtert sein, daß niemand anders an ihrer Sünde beteiligt ist.«
»Was ist mit dem Mann, der das Kind gezeugt hat, das sie loszuwerden versucht hat?« sagte ich mit einer gewissen Schärfe. Mr. Campbell machte ein erschrockenes Gesicht, fing sich aber schnell wieder.
»Äh… ja, natürlich«, sagte er und hustete. »Wobei wir nicht wissen, ob sie verheiratet war -«
»Also kennt Ihr die Frau auch nicht?« fuhr Jamie dazwischen, ehe ich noch mehr unüberlegte Bemerkungen machen konnte.
Campbell schüttelte den Kopf.
»Sie ist keine Bedienstete von Mr. Buchanan oder den MacNeills, da bin ich mir sicher. Auch nicht von Richter Alderdyce. Dies sind die einzigen Plantagen, die so nah liegen, daß sie von dort hergelaufen sein könnte. Obwohl ich mich frage, warum sie ausgerechnet hierher gekommen sein sollte, um eine solche Verzweiflungstat zu begehen…«
Das hatten Jamie und ich uns auch gefragt. Um Mr. Campbell daran zu hindern, weiter in diese Richtung zu forschen, unterbrach Jamie ihn erneut.
»Sie hat nicht viel gesagt, aber sie hat einen ›Sergeant‹ erwähnt. ›Sagt es dem Sergeant‹, waren ihre Worte. Habt Ihr vielleicht eine Ahnung, wen sie damit gemeint haben könnte?«
»Ich glaube, ein Sergeant der Armee befehligt die Wache des königlichen Lagerhauses. Ja, da bin ich mir sicher.« Mr. Campbells Gesicht hellte sich ein wenig auf. »Ah! Ohne Zweifel hatte die Frau in irgendeiner Weise mit dem Militär zu tun. Verlaßt Euch darauf, das ist die Erklärung. Obwohl ich mich immer noch frage, warum sie -«
»Mr. Campbell, bitte verzeiht mir, aber ich fürchte, mir ist ein bißchen schwindelig«, unterbrach ich ihn und legte ihm eine Hand auf den Ärmel. Es war nicht gelogen, denn ich hatte weder geschlafen noch gegessen. Ich fühlte mich benommen von der Hitze und dem Gestank, und ich wußte, daß ich blaß aussehen mußte.
»Könnt Ihr meine Frau nach draußen begleiten?« fragte Jamie. Er wies auf das Bett und seine erbarmungswürdige Bürde. »Ich bringe dann die arme Kleine nach.«
»Bitte macht Euch nicht die Mühe, Mr. Fraser«, protestierte Campbell, während er sich bereits umwandte, um mich hinauszubegleiten. »Mein Diener kann die Leiche holen.«
»Es ist die Sägemühle meiner Tante, Sir, und daher meine Angelegenheit.« Jamie sprach höflich, aber bestimmt. »Ich kümmere mich darum.«
 
Phaedre wartete draußen beim Wagen.
»Hab’ Euch doch gesagt, da drin spukt’s«, sagte sie und betrachtete mich mit grimmiger Genugtuung. »Ihr seid bleich wie’n Leintuch, Ma’am.« Sie reichte mir eine Feldflasche mit gewürztem Wein und rümpfte vornehm die Nase.
»Ihr riecht schlimmer als letzte Nacht, und da habt Ihr so ausgeseh’n als kämt Ihr vom Schweineschlachten. Setzt euch mal da in den Schatten und trinkt das; das hilft.« Sie blickte mir über die Schulter. Ich wandte mich ebenfalls um und sah, daß Campbell im Schatten der Platanen am Flußufer angelangt war und nun in ein Gespräch mit seinem Bediensteten vertieft war.
»Hab’ sie gefunden«, sagte Phaedre sogleich mit leiser Stimme. Ihre Augen huschten seitwärts zu der kleinen Ansammlung von Sklavenhütten, die von dieser Seite der Sägemühle aus kaum zu sehen war.
»Sicher? Du hast schließlich nicht viel Zeit gehabt.« Ich nahm einen Schluck Wein und behielt ihn im Mund, froh um das scharfe Bouquet, das mir in der Kehle aufstieg und meinen Gaumen vom Geschmack des Todes reinigte.
Phaedre nickte, und ihr Blick wanderte zu den Männern unter den Bäumen.
»Hat nicht viel dazugehört. Bin zu den Hütten da drüben gegangen, hab’ eine Tür offenstehen sehen, und überall haben Sachen rumgelegen, als hätte es jemand sehr eilig gehabt. Ich hab”nen kleinen Jungen gefragt, wer da wohnt. Er hat gesagt, Pollyanne wohnt da, aber sie ist weg, und er weiß nicht, wohin. Ich frage, seit wann, und er sagt, beim Abendessen war sie noch da, und heute morgen war sie weg. Keiner hat sie geseh’n.« Ihr Blick traf den meinen, dunkel und fragend. »Jetzt wißt Ihr es; was wollt Ihr tun?«
Eine verdammt gute Frage, noch dazu eine, auf die ich keine Antwort wußte. Ich schluckte den Wein hinunter und mit ihm die aufsteigende Panik.
»Jeder Sklave hier muß doch wissen, daß sie fort ist; wie lange wird es dauern, bis jemand anders es herausfindet? Wer ist für so etwas zuständig, jetzt, wo Byrnes tot ist?«
Phaedre zuckte graziös eine Schulter.
»Jeder, der fragt, erfährt es sofort. Aber wer dafür zuständig ist -« Sie deutete kopfnickend auf die Mühle. Wir hatten die kleine Tür zu den Wohnräumen offen gelassen; Jamie kam gerade heraus und trug eine in Decken gewickelte Last auf dem Arm.
»Er, schätze ich«, sagte sie.
Ich bin schon daran beteiligt. Er hatte es schon vor der unterbrochenen Abendgesellschaft gewußt. Ohne offizielle Bekanntmachung, ohne daß man ihn aufforderte oder daß er einwilligte, übernahm er seine Position, seine Rolle, wie ein Puzzleteil, das an seinen Platz gelegt wird. Er war bereits Herr von River Run - wenn er es sein wollte.
Campbells Diener war zu ihm gegangen, um ihm mit der Leiche zu helfen. Jamie kniete sich am Rand des Mühlbachs hin und ließ seine Bürde sanft zu Boden gleiten. Ich gab Phaedre die Feldflasche zurück und nickte zum Dank.
»Würdest du die Sachen aus dem Wagen holen?«
Wortlos ging Phaedre die Dinge holen, die ich mitgebracht hatte - eine Decke, einen Eimer, saubere Tücher und ein Gefäß mit Kräutern -, während ich zu Jamie ging.
Er kniete am Wasser und wusch sich die Hände, etwas oberhalb der Stelle, wo die Leiche lag. Es hatte zwar keinen Sinn, mir zur Vorbereitung die Hände zu waschen, doch ich war ein Gewohnheitstier; ich kniete mich neben ihn, tauchte meine Hände ebenfalls ein und spülte die Berührung der klammen Haut im Rauschen des kalten, frischen Wassers davon.
»Ich hatte recht«, sagte ich leise zu ihm. »Es war eine Frau namens Pollyanne; sie ist über Nacht verschwunden.«
Er zog eine Grimasse, rieb seine Handfläche kräftig aneinander und blickte über die Schulter. Campbell stand jetzt bei der Leiche und trug immer noch ein leicht angewidertes Stirnrunzeln im Gesicht.
Jamie blickte finster konzentriert drein und wandte den Blick wieder seinen Händen zu. »Na, das paßt ja wie die Faust aufs Auge, aye?« Er bückte sich und bespritzte sich das Gesicht, dann schüttelte er heftig den Kopf und versprühte dabei Tropfen wie ein nasser Hund. Dann nickte er mir zur, stand auf und trocknete sich mit dem Saum seines fleckigen Plaids das Gesicht ab.
»Kümmere dich um die Kleine, aye, Sassenach?« Dann schritt er zielsicher mit schwingendem Kilt auf Mr. Campbell zu.
 
Es hatte keinen Zweck, ihre Kleider zu retten, also schnitt ich sie ihr vom Leib. Unbekleidet sah sie so aus, als wäre sie in den Zwanzigern gewesen. Unterernährt, man konnte ihre Rippen zählen, ihre Arme und Beine waren dünn und blaß wie geschälte Zweige. Trotzdem war sie überraschend schwer, und da die Totenstarre immer noch anhielt, war sie schwierig zu bewegen. Phaedre und ich kamen dabei heftig ins Schwitzen, und aus dem Knoten in meinem Nacken entwischten Strähnen, die bald an meinen erhitzten Wangen klebten.
Immerhin reduzierte die schwere Arbeit unser Gespräch auf ein Minimum, und ich konnte in Ruhe nachdenken. Nicht, daß meine Gedanken besonders beruhigend gewesen wären.
Eine Frau, die ein Kind abtreiben wollte, würde es in ihrem eigenen Zimmer, in ihrem eigenen Bett tun, wenn sie es allein machte. Es konnte für die Fremde nur einen Grund geben, sich an einen abgelegenen Ort wie diesen zu begeben: sich dort mit der Person zu treffen, die die Arbeit für sie erledigen würde, einer Person, die nicht zu ihr kommen konnte.
Wir mußten nach einer Sklavin im Umfeld der Sägemühle Ausschau halten, hatte ich ihm gesagt, einer Frau, die vielleicht einen Ruf als Hebamme hatte und über die die anderen Frauen redeten, die sie flüsternd weiterempfehlen würden.
Die Tatsache, daß ich wohl recht gehabt hatte, verschaffte mir keine Genugtuung. Die Engelmacherin war geflohen, aus Angst, daß die Frau uns gesagt haben könnte, wer die Tat begangen hatte. Wäre sie geblieben und hätte geschwiegen, hätte Farquard Campbell sich auf meine Aussage verlassen, daß die Frau es selbst gewesen war - konnte er doch kaum das Gegenteil beweisen. Doch wenn jemand anders herausfand, daß die Sklavin Pollyanne entflohen war - und man würde es selbstverständlich herausfinden! -, und sie gefangen und verhört wurde, dann würde die ganze Sache sofort herauskommen. Und was dann?
Ich erschauerte trotz der Hitze. Fand das Gesetz des Blutvergießens in diesem Fall Anwendung? Das sollte es wohl, dachte ich, während ich grimmig noch einen Eimer Wasser über die weißen Glieder schüttete - falls Quantität irgendeine Rolle dabei spielte.
Der Teufel sollte die Frau holen, dachte ich, indem ich das nutzlose Mitleid unter meinem Ärger verbarg. Das einzige, was ich jetzt noch für sie tun konnte, war, hinter ihr aufzuräumen - im wahrsten Sinne des Wortes. Und vielleicht zu versuchen, ihre Mitspielerin in dieser Tragödie zu retten, die arglose Frau, die ohne böse Absicht einen Mord begangen hatte, wo sie doch nur hatte helfen wollen, und die jetzt vielleicht mit ihrem eigenen Leben für diesen Fehler bezahlen mußte.
Ich sah, daß Jamie die Weinflasche geholt hatte; er trank im Wechsel mit Farquard Campbell, und beide unterhielten sich angeregt, wobei sie gelegentlich auf die Sägemühle, den Fluß oder in Richtung Stadt deuteten.
»Habt Ihr was, womit ich sie kämmen kann, Ma’am?«
Phaedres Frage lenkte meine Aufmerksamkeit wieder auf meine eigentliche Aufgabe. Sie hockte neben der Leiche und befühlte kritisch deren wirres Haar.
»Würde sie nur ungern so ins Grab legen, das arme Kind«, sagte sie und schüttelte den Kopf.
Phaedre kam mir kaum älter vor als die Tote - und es spielte sowieso kaum eine Rolle, ob die Leiche wohlfrisiert beerdigt wurde. Dennoch suchte ich in meiner Tasche und zog einen kleinen Elfenbeinkamm heraus, mit dem sich Phaedre leise summend ans Werk machte.
Mr. Campbell brach auf. Ich hörte das Zaumzeug seines Gespanns knarren, und die Pferde stampften erwartungsvoll, als der Kutscher aufsaß. Mr. Campbell erblickte mich und verbeugte sich tief, den Hut in der Hand. Ich deutete meinerseits einen Knicks an und sah erleichtert zu, wie er davonfuhr.
Phaedre hatte ebenfalls in ihrer Arbeit innegehalten und sah der abfahrenden Kutsche nach.
Sie murmelte etwas und spuckte in den Staub. Sie tat es ohne erkennbare Bösartigkeit - es war eine Geste, die das Böse fernhalten sollte und die ich schon öfter beobachtet hatte. Sie blickte zu mir auf.
»Mister Jamie sollte Pollyanne besser vor Sonnenuntergang finden. Im Kiefernwald sind wilde Tiere, und Mister Ulysses sagt, die Frau hat zweihundert Pfund gekostet, als Miss Jocasta sie gekauft hat. Sie kennt den Wald nicht, die Pollyanne; sie ist erst vor einem Jahr aus Afrika gekommen.«
Ohne weiteren Kommentar beugte sie sich wieder über ihre Arbeit, und ihre Finger wanderten dunkel und wieselflink über das feine Seidenhaar der Toten.
Ich machte mich ebenfalls ans Werk und stellte mit einigem Schrecken fest, daß das Netz der Umstände, das Jamie umgab, mich ebenfalls erfaßt hatte. Ich blieb nicht unbeteiligt, wie ich gedacht hatte - das wäre nicht einmal dann möglich gewesen, wenn ich es gewollt hätte.
Phaedre hatte mir nicht deshalb geholfen, Pollyanne zu finden, weil sie mir vertraute oder mich mochte, sondern weil ich die Frau des Herrn war. Pollyanne mußte gefunden und versteckt werden. Und Jamie, so dachte sie, würde Pollyanne selbstverständlich finden und verstecken, sie war schließlich sein Eigentum - oder Jocastas, aber das lief in Phaedres Augen sicher auf dasselbe hinaus.
Schließlich lag die Fremde sauber auf dem zerschlissenen Laken, das ich als Leichentuch mitgebracht hatte. Phaedre hatte ihr das Haar gekämmt und geflochen, und nun ergriff ich das große Steingutgefäß mit den Kräutern. Ich hatte sie aus Gewohnheit wie auch aus gutem Grund mitgebracht, und jetzt war ich froh darum - nicht so sehr, weil ich sie gegen den Verwesungsprozeß brauchte, sondern weil sie den einzigen - und notwendigen - Hauch einer Zeremonie beisteuerten.
Es war schwer, diesen stinkenden Klumpen mit der kleinen Hand in Verbindung zu bringen, die sich an die meine geklammert hatte, mit dem furchtsamen Flüstern, das »sagt…« in die erdrückende Dunkelheit gehaucht hatte. Und dennoch war die Erinnerung an sie, an ihr letztes Lebensblut, das sich heiß über meine Hand ergoß, in meinen Gedanken lebendiger als dieser Anblick ihrer leeren Hülle, die nackt in den Händen von Fremden lag.
Der nächste Priester wohnte in Halifax, daher würde sie ohne Zeremonie beerdigt werden - doch was hätten ihr die Riten genützt? Beerdigungsrituale dienen den Hinterbliebenen zum Trost. Es war unwahrscheinlich, daß sie jemanden hinterlassen hatte, der um sie trauern würde, dachte ich, denn hätte ihr jemand nahegestanden - Familie, Ehemann, selbst ein Liebhaber -, dann wäre sie jetzt wahrscheinlich nicht tot.
Ich hatte sie nicht gekannt, sie würde mir nicht fehlen - doch ich trauerte um sie, um sie und ihr Kind. Und so kniete ich mich mehr um meinet- als um ihretwillen neben sie und verstreute meine Kräuter: duftend und bitter, Gartenraute und Ysopblüten, Rosmarin, Thymian und Lavendel. Ein Strauß der Lebenden für die Tote - ein kleines Zeichen der Erinnerung.
Phaedre sah kniend zu und schwieg. Dann streckte sie die Hand aus und legte dem toten Mädchen das Leichentuch sanft über das Gesicht. Jamie war ebenfalls gekommen, um zuzusehen. Wortlos bückte er sich, hob sie auf und trug sie zum Wagen.
Er sagte nichts, bis ich eingestiegen war und mich neben ihn gesetzt hatte. Er ließ die Zügel auf die Pferderücken klatschen und schnalzte mit der Zunge.
»Dann wollen wir mal den Sergeant suchen«, sagte er.
 
Natürlich mußten wir uns zuerst um ein paar andere Dinge kümmern. Wir kehrten nach River Run zurück, um Phaedre zurückzubringen. Jamie verschwand, um Duncan zu suchen und seine schmutzige Kleidung zu wechseln, während ich nach meinem Patienten sah und Jocasta mit den Ereignissen des Morgens vertraut machte.
Ich hätte mir bei beiden die Mühe sparen können: Farquard Campbell saß im Frühstückszimmer und schlürfte Tee mit Jocasta, John Myers lag der Länge nach auf der grünen Chaiselongue ausgestreckt, ein Cameronplaid um seine Lenden geschlungen, und kaute fröhlich ein Brötchen. Der ungewohnten Sauberkeit seiner nackten Beine und Füße nach zu urteilen, die aus der Tartandecke ragten, hatte sich jemand in der Nacht zuvor den Zustand seiner vorübergehenden Bewußtlosigkeit zunutze gemacht und ihm ein Bad verabreicht.
»Meine Liebe.« Beim Klang meiner Schritte wandte Jocasta den Kopf und lächelte, obwohl ich Sorgenfalten zwischen ihren Augenbrauen sah. »Setz dich, Kind, und nimm etwas zu dir; du hast sicher letzte Nacht nicht geschlafen - und wie es scheint, hattest du einen furchtbaren Morgen.«
Normalerweise hätte ich es entweder amüsant oder beleidigend gefunden, wenn mich jemand »Kind« nannte; unter den gegenwärtigen Umständen war es seltsam beruhigend. Ich sank dankbar in einen Armsesseln, ließ mir von Ulysses eine Tasse Tee einschenken und fragte mich derweil, was genau Farquard Jocasta erzählt hatte - und wieviel er wußte.
»Wie geht es Euch heute morgen?« fragte ich meinen Patienten. Er schien sich in erstaunlich guter Verfassung zu befinden, wenn man bedachte, wieviel Alkohol er letzte Nacht konsumiert hatte. Er hatte eine gesunde Gesichtsfarbe, und wenn man nach der Menge der Krümel auf dem Teller neben ihm ging, war an seinem Appetit ebenfalls nichts auszusetzen.
Er nickte mir herzlich zu, während seine Kiefer geräuschvoll kauten, und schluckte dann etwas mühsam.
»Erstaunlich gut, Ma’am, besten Dank. Bißchen wund am Allerwertesten« - er klopfte sich sachte auf die betreffende Stelle -, »aber ich hab’ noch nie eine schönere Naht gesehen. Mr. Ulysses war so freundlich, mir einen Spiegel zu besorgen«, erklärte er. Er schüttelte den Kopf mit einiger Ehrfurcht.
»Hab’ noch nie meinen eigenen Hintern gesehen - bei all den Haaren, die ich da habe, könnte man meinen, daß mein Papa ein Bär war!«
Er lachte herzhaft, und Farquard Campbell verbarg ein Lächeln in seiner Teetasse. Ulysses wandte sich mit dem Tablett ab, doch ich sah seine Mundwinkel zucken.
Jocasta lachte laut auf, und die Belustigung umgab ihre blinden Augen mit Fältchen.
»Man sagt, das Kind, das seinen Vater kennt, muß schlau sein, John Quincy. Aber ich habe deine Mutter gut gekannt, und ich würde sagen, es ist ziemlich unwahrscheinlich.«
»Tja, meiner Mama haben die haarigen Männer gefallen. Hat gemeint, die wären so gemütlich in kalten Winternächten.« Er blinzelte in seinen offenen Hemdkragen und betrachtete das Gestrüpp, das dort zum Vorschein kam, mit einiger Genugtuung. »Könnte schon sein. Den Indianermädchen scheint es zu gefallen - obwohl es vielleicht nur der Reiz des Neuen ist, wenn man es recht bedenkt. Ihre eigenen Männer haben kaum Pelz an den Eiern, geschweige denn am Hintern.«
Mr. Campbell bekam einen Krümel in den falschen Hals und hustete heftig in seine Serviette. Ich lächelte vor mich hin und nahm einen großen Schluck Tee. Es war eine starke, duftende indische Mischung, und ich genoß ihn trotz der drückenden Vormittagshitze. Mir brach der Schweiß aus, als ich trank, doch die Wärme ließ sich beruhigend in meinem aufgewühlten Magen nieder, und der Duft des Tees vertrieb den Gestank von Blut und Exkret aus meiner Nase, wie auch die fröhliche Unterhaltung die morbiden Bilder des Morgens aus meinen Gedanken verbannte.
Ich warf einen sehnsüchtigen Blick auf den Teppich vor dem Kamin. Ich fühlte mich, als könnte ich mich friedlich dort hinlegen und eine Woche lang schlafen. Doch es gab keine Rast für die Mühseligen.
Jamie kam herein, frisch rasiert und gekämmt und mit einem nüchternen Rock und einem sauberen Hemd bekleidet. Er nickte Farquard ohne erkennbare Überraschung zu; er mußte seine Stimme vom Flur aus gehört haben.
»Tante Jocasta.« Er bückte sich und küßte Jocasta zum Gruß die Wange, dann lächelte er Myers zu.
»Wie geht’s Euch denn, a charaid? Oder soll ich sagen, wie geht’s ihnen?«
»Alles bestens«, versicherte ihm Myers. Er legte abschätzend eine Hand zwischen seine Beine. »Aber ich warte lieber noch ein oder zwei Tage, bevor ich wieder auf ein Pferd steige.«
»Das würde ich auch«, versicherte Jamie ihm. Er wandte sich wieder an Jocasta. »Hast du Duncan heute morgen schon gesehen, Tante Jocasta?«
»Oh, aye. Er macht für mich eine kleine Besorgung, er und der Junge.« Sie lächelte und streckte ihre Hand nach ihm aus; ich sah, wie sie ihre Finger fest um sein Handgelenk legte.
»So ein wunderbarer Mann, dieser Mr. Innes. So hilfsbereit. Und so verständig und intelligent; wirklich ein Vergnügen, sich mit ihm zu unterhalten. Findest du nicht auch, Neffe?«
Jamie warf ihr einen seltsamen Blick zu, dann sah er Farquard Campbell an. Der ältere Mann wich seinem Blick aus und schlürfte seinen Tee, während er vorgab, das große Gemälde über dem Kamin zu studieren.
»In der Tat«, sagte Jamie trocken. »Ein brauchbarer Mann, unser Duncan. Und Ian ist mit ihm gegangen?«
»Um ein kleines Päckchen für mich zu holen«, sagte seine Tante seelenruhig. »Brauchst du Duncan sofort?«
»Nein«, sagte Jamie langsam und starrte auf sie herab. »Es kann warten.«
Ihre Finger ließen seinen Ärmel fahren und sie griff nach ihrer Teetasse. Der zarte Henkel zeigte exakt in ihre Richtung, bereit für ihre Hand.
»Dann ist es ja gut«, sagte sie. »Willst du vielleicht etwas frühstücken? Und Farquard - noch etwas Gebäck?«
»Ah, nein, Cha ghabh mi’n còrr, tapa leibh. Ich habe in der Stadt zu tun und sehe besser zu, daß ich aufbreche.« Campbell stellte seine Tasse ab, stand auf und verbeugte sich nacheinander vor mir und Jocasta. »Ergebenster Diener, die Damen. Mr. Fraser«, fügte er mit hochgezogenen Augenbrauen hinzu, verbeugte sich und folgte Ulysses hinaus.
Jamie setzte sich hin, die Augenbrauen seinerseits hochgezogen, und nahm sich eine Scheibe Toast.
»Diese Besorgung, Tante Jocasta - Duncan ist auf der Suche nach der Sklavin?«
»Ja.« Jocasta richtete stirnrunzelnd ihren blinden Blick auf ihn. »Ich hoffe, es macht dir nichts aus, Jamie? Ich weiß, daß Duncan zu dir gehört, aber die Sache kam mir dringend vor, und ich konnte nicht wissen, wann du kommen würdest.«
»Was hat Campbell dir gesagt?« Ich konnte mir denken, was Jamie meinte; es erschien mir nicht wahrscheinlich, daß der aufrechte und gestrenge Mr. Campbell, Richter des Distriktes, der keinen Finger gerührt hatte, um einen grausamen Lynchmord zu verhindern, sich an einer Verschwörung zum Schutz einer Sklavin - noch dazu einer Engelmacherin - beteiligen würde. Und dennoch - vielleicht betrachtete er es als Ausgleich für das, was er nicht hatte verhindern können.
Ihre wohlgeformten Schultern hoben sich in einem angedeuteten Achselzucken, und neben ihrem Mund regte sich ein Muskel.
»Ich kenne Farquard Campbell schon zwanzig Jahre. Ich höre das, was er nicht sagt, besser als das, was er sagt.«
Myers hatte diesen Wortwechsel mit Interesse verfolgt.
»Könnte nicht sagen, daß meine Ohren auch so gut sind«, beobachtete er nachsichtig. »Ich habe ihn nur sagen hören, daß irgendeine arme Frau sich durch einen Unfall ums Leben gebracht hat, oben bei der Sägemühle, als sie versuchte, was Kleines loszuwerden. Er sagt, er hat sie nicht persönlich gekannt.«
Er lächelte mir freundlich zu.
»Und das allein sagt mir schon, daß das Mädchen eine Fremde war«, beobachtete Jocasta. »Farquard kennt die Leute, die am Fluß und in der Stadt leben, genausogut, wie ich meine eigenen kenne. Sie ist niemandes Tochter und niemandes Dienstmädchen.«
Sie stellte ihre Tasse ab und lehnte sich mit einem Seufzer im Sessel zurück.
»Es wird schon in Ordnung kommen«, sagte sie. »Iß nur auf, Junge, du mußt am Verhungern sein.«
Jamie starrte sie einen Moment lang an, die Toastscheibe unberührt in seiner Hand. Er beugte sich vor und ließ sie auf den Teller fallen.
»Ich kann nicht sagen, daß ich im Augenblick großen Appetit habe, Tante Jocasta. Von toten Mädchen bekomme ich Bauchgrimmen.« Er stand auf und strich über seine Rockschöße.
»Sie mag niemandes Tochter oder Dienstmädchen sein - aber im Augenblick liegt sie im Hof und lockt die Fliegen an. Ich wüßte gern ihren Namen, bevor ich sie beerdige.« Er machte auf dem Absatz kehrt und schritt hinaus.
Ich trank den restlichen Tee aus und stellte die Porzellantasse mit einem leisen Klirren ab.
»Tut mir leid«, sagte ich entschuldigend. »Ich glaube, ich habe auch keinen Hunger.«
Jocasta regte sich nicht, und ihr Gesichtsausdruck blieb unverändert. Als ich das Zimmer verließ, sah ich, wie sich Myers von seiner Chaiselongue herüberbeugte und zielsicher nach dem letzten Brötchen angelte.
 
Es war fast Mittag, als wir das Lagerhaus der Krone am Ende der Hay Street erreichten. Es stand etwas oberhalb der Stadt am Nordufer des Flusses und hatte sein eigenes Pier zum Verlassen. Im Augenblick schien es kaum Bedarf für eine Wache zu geben, denn nichts regte sich in der Nähe des Gebäudes außer ein paar blaßgrünen Schmetterlingen, die sich unbeeindruckt von der drückenden Hitze emsig in den dichten, blühenden Büschen abmühten, die das Ufer säumten.
»Was wird hier gelagert?« fragte ich Jamie, während ich neugierig an dem massiven Gebäude hochsah. Die riesige, zweiflügelige Tür war geschlossen und verriegelt, und ein einzelner, rotberockter Wachtposten stand reglos wie ein Zinnsoldat davor. Neben dem Lagerhaus stand ein kleineres Gebäude, auf dem eine englische Flagge schlaff in der Hitze hing; vermutlich war dies das Reich des Sergeanten, den wir suchten.
Jamie zuckte mit den Achseln und strich sich eine vorwitzige Fliege von der Augenbraue. Trotz der Bewegung des Wagens hatten wir mit zunehmender Tageshitze mehr und mehr Fliegen angezogen. Ich schnüffelte vorsichtig, doch ich roch nur einen leisen Hauch von Thymian.
»Alles, was die Krone für wertvoll hält. Pelze aus dem Hinterland, Vorräte für die Marine - Pech, Teer und Terpentin. Aber die Wache steht wegen des Alkohols hier.«
Zwar braute jedes Wirtshaus sein eigenes Bier, und jeder Haushalt hatte seine Rezepte für Apfelcidre und Kirschwein, doch die hochprozentigeren Spirituosen waren der Krone vorbehalten: Brandy, Whisky und Rum wurden in kleinen Mengen und unter schwerer Bewachung in die Kolonie importiert und für teures Geld unter dem Siegel der Krone verkauft.
»Im Moment ist ihr Vorrat wohl nicht sehr groß«, sagte ich und deutete auf den einzelnen Wachtposten.
»Nein, die Alkohollieferungen kommen einmal im Monat von Wilmington den Fluß herauf. Campbell sagt, sie nehmen jedesmal einen anderen Wochentag, um das Risiko von Raubüberfällen zu verringern.«
Er sprach geistesabwesend, und zwischen seinen Augenbrauen stand eine kleine Falte.
»Meinst du, Campbell hat uns geglaubt? Daß sie es selbst getan hat?« Unwillkürlich warf ich einen flüchtigen Blick hinter mich in den Wagen.
Aus Jamies Kehle drang ein schottischer Laut der Verachtung.
»Natürlich nicht, Sassenach, der Mann ist kein Narr. Aber er ist ein guter Freund meiner Tante; er wird uns keine Schwierigkeiten machen, wenn es nicht sein muß. Wir wollen hoffen, daß die Frau niemanden hatte, der Krach schlagen könnte.«
»Ziemlich kaltblütig von dir«, sagte ich leise. »Bei deiner Tante habe ich noch gedacht, du würdest anders fühlen. Aber du hast wohl recht - hätte sie jemanden gehabt, wäre sie jetzt nicht tot.«
Er hörte die Bitterkeit in meiner Stimme und sah zu mir herab.
»Ich will ja nicht pietätlos sein, Sassenach«, sagte er sanft. »Aber das arme Kind ist tot. Ich kann nicht mehr für sie tun als für eine anständige Beerdigung sorgen, ansonsten muß ich mich um die Lebenden kümmern, aye?«
Ich seufzte und drückte kurz seinen Arm. Meine Gefühle waren viel zu komplex, um zu versuchen, sie zu erklären; ich hatte nur ein paar Minuten bei der Frau gesessen und hätte ihren Tod keinesfalls verhindern können - doch sie war mir unter den Händen weggestorben, und ich verspürte die ohnmächtige Wut, die jeder Arzt unter solchen Umständen empfindet, das Gefühl, daß ich irgendwie versagt hatte, daß der Todesengel mich überlistet hatte. Und jenseits von Wut und Mitleid erklang das Echo unausgesprochener Schuld: Das Mädchen war ungefähr in Briannas Alter - Brianna, die in ähnlichen Umständen auch niemanden haben würde.
»Ich weiß. Es ist nur… ich fühle mich wohl irgendwie für sie verantwortlich.«
»Ich auch«, sagte er. »Keine Angst, Sassenach, wir sorgen schon dafür, daß sie zu ihrem Recht kommt.« Er zügelte die Pferde unter einer Kastanie, schwang sich herab und bot mir die Hand.
Es gab keine Kaserne. Campbell hatte Jamie erzählt, daß die Männer der Lagerhauswache in mehreren Häusern in der Stadt untergebracht waren. Wir erkundigten uns bei dem Schreiber, der in der Stube arbeitete. Er schickte uns zum Wirtshaus Golden Goose auf der anderen Straßenseite, wo der Sergeant zur Zeit beim Mittagessen anzutreffen war.
Ich erblickte den Sergeanten sofort, als ich das Wirtshaus betrat; er saß an einem Tisch beim Fenster, hatte seine weiße Lederhalsbinde abgelegt, seinen Uniformrock aufgeknöpft und machte einen völlig entspannten Eindruck. Vor ihm standen ein Krug Bier und die Reste einer Fleischpastete. Jamie trat hinter mir ein und verdunkelte vorübergehend den Eingang. Der Sergeant blickte auf.
Obwohl es im Schankraum ziemlich dunkel war, konnte ich sehen, daß das Gesicht des Mannes vor Schreck jeden Ausdruck verlor. Jamie blieb hinter mir abrupt stehen. Er brummte etwas auf Gälisch, das ich als deftigen Kraftausdruck erkannte, doch dann ging er ohne Zögern an mir vorbei.
»Sergeant Murchison«, sagte er im Tonfall leichter Überraschung, so wie man vielleicht einen beiläufigen Bekannten begrüßt. »Ich hatte nicht damit gerechnet, Euch noch einmal zu Gesicht zu bekommen - jedenfalls nicht in dieser Welt.«
Der Gesichtsausdruck des Sergeanten legte die Vermutung nahe, daß das Gefühl auf Gegenseitigkeit beruhte. Und daß jedes Zusammentreffen diesseits der Himmelspforte für ihn zu früh war. Das Blut stieg ihm in die fleischigen, pockennarbigen Wangen, und er schob seine Bank zurück, die quietschend über den sandbestreuten Fußboden rutschte.
»Ihr!« sagte er.
Jamie zog den Hut und neigte höflich den Kopf.
»Euer Diener, Sir«, sagte er. Ich konnte jetzt sein Gesicht sehen, das nach außen hin freundlich war, doch seine Augen verrieten Argwohn. Ihm waren seine Gefühle nicht so deutlich anzusehen wie dem Sergeanten, doch auch er war überrascht.
Murchison erlangte die Selbstbeherrschung zurück. Ein Hohnlächeln trat an die Stelle seines erschrockenen Blickes.
»Fraser. Oh, Verzeihung, das heißt jetzt sicher Mr. Fraser, richtig?«
»So ist es.« Trotz des beleidigenden Tons der Bemerkung hielt Jamie seine Stimme neutral. Egal, was zwischen ihnen vorgefallen war - er wollte jetzt keinen Ärger. Nicht angesichts dessen, was draußen im Wagen lag. Ich wischte mir unauffällig die verschwitzten Handflächen am Rock ab.
Der Sergeant hatte angefangen, sich die Uniformjacke zuzuknöpfen, ohne den Blick von Jamie abzuwenden.
»Ich habe gehört, daß ein Mr. Fraser angekommen sein soll, um bei Mistress Cameron auf River Run herumzuschmarotzen«, sagte er und verzog seine dicken Lippen. »Das seid dann wohl Ihr, oder?«
Der Argwohn in Jamies Augen gefror zu einem Blau so kalt wie Gletschereis, obwohl seine Lippen weiter freundlich lächelten.
»Mistress Cameron ist meine Verwandte. Ich bin in ihrem Namen hier.«
Der Sergeant legte den Kopf zurück und kratzte sich ausgiebig am Hals. Eine lange, scharfkantige, rote Falte zog sich dort über die bleiche Haut, als hätte jemand erfolglos versucht, den Mann zu garrottieren.
»Eure Verwandte. Tja, das sagt sich leicht, ist es nicht so? Die Dame ist blind wie ein Maulwurf habe ich gehört. Kein Ehemann, keine Söhne, eine leichte Beute für jeden Gauner, der hier aufkreuzt und behauptet, zur Familie zu gehören.« Der Sergeant senkte den Kopf und grinste mich an. Er hatte sich wieder völlig im Griff.
»Und die Dirne gehört auch zu Euch, ja?« Es war pure Böswilligkeit, ein Schuß ins Blaue; der Mann hatte mich kaum angesehen.
»Das ist meine Frau, Mistress Fraser.«
Ich konnte sehen, wie die beiden steifen Finger an Jamies rechter Hand einmal zuckten, der einzige sichtbare Hinweis auf seine Gefühle. Er legte den Kopf etwas zurück und betrachtete den Sergeanten mit einer Art sachlichem Interesse.
»Und welcher seid Ihr, Sir? Ich bitte meine Erinnerungslücke zu entschuldigen, aber ich gestehe, daß ich Euch nicht von Eurem Bruder unterscheiden kann.«
Der Sergeant zuckte zusammen, als hätte man ihn angeschossen, und erstarrte beim Anlegen seiner Halsbinde.
»Verdammt!« sagte er und erstickte fast an seinen Worten. Sein Gesicht hatte einen ungesunden Pflaumenton angenommen, und ich dachte bei mir, daß er wirklich auf seinen Blutdruck achten sollte. Das sagte ich aber nicht laut.
An dieser Stelle schien der Sergeant zu bemerken, daß ihn alle Anwesenden im Schankraum mit großem Interesse anstarrten. Er blickte um sich, schnappte sich seinen Hut und stampfte zur Tür, wobei er mich im Vorübergehen zur Seite schob, so daß ich einen Schritt zurückstolperte.
Jamie ergriff meinen Arm, um mich zu stützen, und schlüpfte dann ebenfalls unter dem Türsturz hindurch. Ich folgte ihm und bekam gerade noch mit, wie er dem Sergeant hinterherrief: »Murchison! Ich muß mit Euch reden!«
»Reden, was?« sagte er. »Und was könntet Ihr mir wohl zu sagen haben, Mister Fraser?«
»Etwas Berufliches, Sergeant«, sagte Jamie kühl. Er deutete mit einem Nicken auf den Wagen, den wir unter einem Baum zurückgelassen hatten. »Wir haben Euch eine Leiche mitgebracht.«
Zum zweiten Mal verlor das Gesicht des Sergeants jeden Ausdruck. Er blickte auf den Wagen, wo Fliegen und Mücken sich in kleinen Wolken gesammelt hatten und träge über der offenen Ladefläche kreisten.
»So.« Er war Berufssoldat, sein Benehmen blieb zwar unvermindert feindselig, doch das Blut wich aus seinem Gesicht, und seine geballten Fäuste entspannten sich.
»Eine Leiche? Wessen Leiche?«
»Ich habe keine Ahnung, Sir. Ich hatte die Hoffnung, daß Ihr es uns vielleicht sagen könntet. Wollt Ihr nachsehen?« Er wies kopfnickend auf den Wagen, und nach einem Augenblick des Zögerns nickte der Sergeant ebenfalls und schritt zum Wagen.
Ich eilte Jamie hinterher und kam gerade rechtzeitig, um das Gesicht des Sergeanten zu sehen, als er den Rand des improvisierten Leichentuches zurückzog. Er hatte nicht die geringste Erfahrung darin, wie man seine Gefühle verbarg - vielleicht war das in seinem Beruf nicht nötig. Schrecken flackerte über sein Gesicht wie ein Sommergewitter.
Jamie konnte das Gesicht des Sergeanten genausogut sehen wie ich.
»Ihr kennt sie also?« sagte er.
»Ich - sie - das heißt… ja, ich kenne sie.« Der Mund des Sergeants klappte abrupt zu, als hätte er Angst davor, noch mehr Worte entweichen zu lassen. Er starrte weiter auf das Gesicht des toten Mädchens, während sein eigenes sich verschloß und jedes Gefühl darin gefror.
Ein paar Männer waren uns aus dem Wirtshaus gefolgt. Sie hielten zwar diskret Abstand, doch zwei oder drei von ihnen reckten neugierig die Hälse. Es würde nicht lange dauern, bis der ganze Distrikt wußte, was sich bei der Sägemühle zugetragen hatte. Ich hoffte, daß Duncan und Ian weitergekommen waren.
»Was ist mit ihr geschehen?« fragte der Sergeant und sah auf das erstarrte, weiße Gesicht herab. Sein eigenes Gesicht war fast genauso bleich.
Jamie beobachtete ihn genau, ohne es zu verhehlen.
»Ihr kennt sie also?« sagte er noch einmal.
»Sie ist - sie war - eine Wäscherin. Lissa - Lissa Garver heißt sie.« Der Sergeant sprach mechanisch und blickte immer noch auf den Wagen herab, als könnte er sich nicht von dem Anblick losreißen. Sein Gesicht war ausdruckslos, doch seine Lippen waren weiß, und er hatte die Hände an seinen Seiten zu Fäusten geballt. »Was ist passiert?«
»Hat sie Verwandte in der Stadt? Einen Ehemann vielleicht?«
Es war eine naheliegende Frage, doch Murchisons Kopf schoß hoch, als hätte Jamie ihn gestochen.
»Das geht Euch nichts an, oder?« sagte er. Er starrte Jamie aus weit aufgerissenen Augen an und entblößte die Zähne zu einem Ausdruck, der Höflichkeit hätte sein können, aber keine war. »Sagt mir, was ihr zugestoßen ist.«
Jamie zuckte mit keiner Wimper, als sein Blick den des Sergeants traf.
»Sie wollte ein Kind abtreiben, und es ist schiefgegangen«, sagte er leise. »Wenn sie einen Mann hat, muß man es ihm sagen. Wenn nicht - wenn sie keine Verwandten hat -, werde ich dafür sorgen, daß sie anständig beerdigt wird.«
Murchison wandte den Kopf, um noch einmal in den Wagen zu blicken.
»Sie hat jemanden«, sagte er kurz. »Ihr braucht Euch nicht zu bemühen.« Er wandte sich ab und rieb sich mit der Hand so heftig über das Gesicht, als wollte er jegliches Gefühl wegwischen. »Geht in meine Schreibstube«, sagte er mit halberstickter Stimme. »Ihr müßt eine Aussage machen - beim Schreiber. Geht!«
 
Die Schreibstube war leer; zweifellos saß jetzt der Schreiber beim Mittagessen. Ich setzte mich zum Warten nieder, doch Jamie durchstreifte ruhelos den Raum, und sein Blick huschte von den Regimentsbannern an der Wand zu dem Schubladenschrank in der Ecke hinter dem Schreibtisch.
»Verdammtes Pech«, sagte er halb zu sich selbst. »Ausgerechnet Murchison.«
»Du kennst den Sergeanten also gut?«
Er sah mich mit ironisch verzogenen Lippen an.
»Ziemlich gut. Er war bei der Garnison im Gefängnis von Ardsmuir.«
»Ich verstehe.« Dann waren sie also nicht unbedingt die besten Freunde. Es war stickig in der kleinen Stube; ich betupfte ein Schweißrinnsal, das mir zwischen den Brüsten hinunterlief. »Was glaubst du, was er hier verloren hat?«
»Das weiß ich; er hatte das Kommando über die Gefangenen, als sie deportiert wurden. Vermutlich hatte die Krone keinen Grund, ihn nach England zurückzuholen, wo man doch hier Soldaten brauchte - es war nämlich während des Kriegs mit den Franzosen, aye?«
»Und was war das mit seinem Bruder?«
Er schnaubte, ein kurzes, humorloses Geräusch.
»Sie waren zu zweit - Zwillinge. Klein-Billy und Klein-Bobby haben wir sie genannt. Ähnelten sich wie ein Ei dem anderen, und zwar nicht nur äußerlich.«
Er hielt inne, um seine Gedanken zu ordnen. Er sprach nicht oft über seine Zeit in Ardsmuir, und ich sah, wie sich sein Gesicht verdüsterte.
»Du kennst vielleicht die Sorte Mensch, die allein ganz anständig ist, sich aber zu mehreren aufführt wie ein Rudel Wölfe?«
»Du tust den Wölfen unrecht«, sagte ich lächend. »Denk an Rollo. Aber ich weiß, was du meinst.«
»Dann eben Schweine. Bestien jedenfalls, wenn sie zusammen auftreten. In der Armee gibt es viele solche Männer, deshalb funktionieren Armeen ja: In der Masse tun Menschen fürchterliche Dinge, die ihnen allein nicht im Traum einfallen würden.«
»Und die Murchisons waren nie allein?« fragte ich langsam.
Er nickte sachte.
»Aye, so ist es. Sie waren immer zu zweit. Und wovor der eine Skrupel hatte, davor hatte der andere keine. Und wenn es einmal Ärger gab - tja, natürlich konnte niemand sagen, wer der Schuldige war, nicht wahr?«
Er strich immer noch ruhelos wie ein eingesperrter Panther umher. Er blieb am Fenster stehen und blickte hinaus.
»Ich - die Gefangenen - wir konnten uns zwar über die Mißhandlungen beschweren, doch die Offiziere konnten nicht beide für etwas bestrafen, woran nur der eine Schuld hatte, und man wußte nur selten, vor welchem Murchison man gerade auf dem Boden lag, einen Stiefel zwischen den Rippen, oder welcher einen gefesselt an einem Haken baumeln ließ, bis man sich zur Belustigung der Garnison in die Hosen machte.«
Sein Blick war auf irgend etwas draußen gerichtet, seine Miene unverstellt. Er hatte von Bestien gesprochen - ich konnte sehen, daß die Erinnerungen eine geweckt hatten. Das Licht fing sich in seinen Augen, saphirblau und reglos.
»Sind sie beide hier?« fragte ich - nicht nur, weil ich es wissen wollte, sondern auch, um den beunruhigend starren Blick zu vertreiben.
Es funktionierte; er wandte sich abrupt vom Fenster ab. »Nein«, sagte er kurz. »Das hier ist Billy. Klein-Bobby ist in Ardsmuir gestorben.« Seine beiden steifen Finger zuckten.
Ich hatte mich kurz gefragt, warum er heute morgen statt einer Reithose den Kilt trug, wo doch der purpurne Tartan buchstäblich zu einem roten Tuch werden konnte, wenn er ihn einem englischen Soldaten so provokativ vorführte. Jetzt wußte ich es.
Man hatte ihm den Kilt schon einmal genommen und ihm damit auch seinen Stolz und seine Männlichkeit nehmen wollen. Der Versuch war fehlgeschlagen, und er beabsichtigte, diese Tatsache zu unterstreichen, ob das nun vernünftig war oder nicht. Vernunft hatte wenig mit jenem sturen Stolz zu tun, der Jahre ständiger Beleidigung überstehen konnte - und obwohl er beides hatte, konnte ich sehen, daß gegenwärtig der Stolz die Oberhand gewann.
»So, wie der Sergeant reagiert hat, ist er wohl keines natürlichen Todes gestorben?« fragte ich.
»Nein«, sagte er. Er seufzte und zuckte leicht mit den Schultern, um den engen Rock etwas zurechtzurücken.
»Jeden Morgen haben sie uns zum Steinbruch geführt und in der Dämmerung wieder zurück, und jeder Wagen wurde von zwei oder drei Männern bewacht. Eines Tages hatte Klein-Bobby Murchison das Kommando. Er ist morgens mit uns ausgezogen - aber er ist am Abend nicht mit uns zurückgekommen.« Er blickte erneut zum Fenster. »Am Fuß des Steinbruchs war eine ziemlich tiefe Wassergrube.«
Sein sachlicher Ton ließ mich fast genauso frösteln wie der Inhalt seines kargen Berichtes. Trotz der drückenden Hitze lief mir ein leichter Schauer über den Rücken.
»Hast du -« begann ich, doch er legte einen Finger auf seine Lippen und wies mit dem Kopf auf die Tür. Einen Augenblick später hörte auch ich die Schritte, die er mit seinen schärferen Ohren aufgefangen hatte.
Es war der Sergeant, nicht sein Schreiber. Er hatte stark geschwitzt; Schweißspuren liefen ihm unter der Perücke über das Gesicht, und seine Haut hatte die ungesunde Farbe frischer Rinderleber.
Er blickte auf den verwaisten Schreibtisch, und ein kurzer, heftiger Laut entfuhr seiner Kehle. Mir tat der abwesende Schreiber leid. Der Sergeant schob das Durcheinander auf dem Schreibtisch mit einer ausladenden Armbewegung zur Seite, und ein Papierregen ergoß sich auf den Boden.
Er schnappte sich ein Tintenfaß aus Zinn und einen Bogen aus dem Haufen und knallte beides auf den Tisch.
»Aufschreiben«, befahl er. »Wo Ihr sie gefunden habt, was geschehen ist.« Er hielt Jamie einen fleckigen Gänsekiel hin. »Unterschreiben, mit Datum.«
Jamie sah ihn aus zusammengekniffenen Augen an, machte aber keine Anstalten, die Feder zu ergreifen. Mir wurde plötzlich schwindelig.
Jamie war Linkshänder, doch man hatte ihn dazu gezwungen, mit der rechten Hand zu schreiben, und dann war diese rechte Hand verkrüppelt worden. Schreiben war für ihn eine langsame, mühsame Prozedur, deren Ergebnis verkleckste, schweißbefleckte und zerknitterte Seiten waren - und er selbst war dann kaum in einem besseren Zustand. Keine Macht der Erde konnte ihn dazu bringen, sich vor dem Sergeanten in dieser Weise zu erniedrigen.
»Schreibt. Es. Auf.« Der Sergeant biß jedes Wort mit den Zähnen ab.
Jamie kniff die Augen noch weiter zu, doch ehe er etwas sagen konnte, streckte ich die Hand aus und riß dem Sergeanten den Gänsekiel aus der Hand.
»Ich war dabei, ich kann es tun.«
Jamies Hand schloß sich um die meine, noch bevor ich die Feder in das Tintenfaß tauchen konnte. Er nahm mir den Kiel aus der Hand und ließ ihn mitten auf den Tisch fallen.
»Euer Schreiber kann mich später im Haus meiner Tante aufsuchen«, sagte er kurz zu Murchison. »Komm mit, Claire.«
Ohne eine Antwort des Sergeanten abzuwarten, ergriff er mich am Ellbogen und zog mich geradezu auf die Füße. Wir waren draußen, bevor ich wußte, wie mir geschah. Der Wagen stand immer noch unter dem Baum, doch jetzt war er leer.
 
»Also, im Augenblick ist sie in Sicherheit, Mac Dubh, aber was zum Teufel sollen wir mit der Frau machen?« Duncan kratzte sich die Bartstoppeln am Kinn; er und Ian hatten drei Tage die Wälder durchsucht, bevor sie die Sklavin Pollyanne gefunden hatten.
»Es wird nicht leicht sein, sie vom Fleck zu bewegen«, warf Ian ein, während er eine Scheibe Schinken vom Frühstückstisch zog. Er teilte sie und gab Rollo die Hälfte ab. »Die arme Frau ist vor Schreck fast gestorben, als Rollo sie aufgespürt hat, und es war ein Heidenaufwand, sie auf die Beine zu bringen. Wir konnten sie nicht auf ein Pferd bekommen; ich mußte meinen Arm um sie legen und neben ihr gehen, damit sie nicht hinfiel.«
»Wir müssen sie irgendwie wegbringen.« Jocasta runzelte die Stirn, die ausdruckslosen Augen zum Nachdenken halb geschlossen. »Dieser Murchison war gestern morgen schon wieder bei der Sägemühle und hat einen Aufruhr verursacht, und gestern abend hat Farquard mir ausrichten lassen, der Mann hätte erklärt, es sei Mord gewesen, und daß er Männer angefordert hat, um den Distrikt nach der Sklavin zu durchsuchen, die es getan hat. Farquard war so aufgebracht, daß ich dachte, ihm platzt der Kragen.«
»Meinst du, sie könnte es getan haben?« Ian blickte kauend von Jamie zu mir. »Unbeabsichtigt, meine ich?«
Trotz der Morgenhitze erschauerte ich und dachte an den Metallspieß, wie er unnachgiebig und fest in meiner Hand lag.
»Es gibt drei Möglichkeiten: Ein Unfall, Mord oder Selbstmord«, sagte ich. »Es gibt viel einfachere Arten, Selbstmord zu begehen, glaube mir. Und ein Mordmotiv ist uns nicht bekannt.«
»Wie auch immer«, sagte Jamie und würgte damit das Gespräch geschickt ab, »wenn Murchison die Sklavin festnimmt, wird er sie innerhalb eines Tages hängen oder zu Tode peitschen lassen. Er braucht keinen Prozeß. Nein, wir müssen sie unbedingt aus dem Distrikt bringen. Das habe ich mit unserem Freund Myers arrangiert.«
»Du hast was mit Myers arrangiert?« durchschnitt Jocastas Stimme scharf das Durcheinander der Ausrufe und Fragen, mit denen seine Ankündigung begrüßt wurde.
Jamie bestrich die Toastscheibe in seiner Hand mit Butter und gab sie Duncan, bevor er etwas sagte.
»Wir werden die Frau in die Berge bringen«, sagte er. »Myers sagt, die Indianer werden sie gern aufnehmen; er weiß einen guten Platz für sie, sagt er. Und dort wird sie vor Klein-Billy Murchison sicher sein.«
»Wir?« fragte ich höflich. »Und wer ist wir
Er antwortete mit einem Grinsen.
»Myers und ich, Sassenach. Ich muß mir das Hinterland ansehen, bevor es kalt wird, und dies ist eine gute Gelegenheit. Myers ist der beste Führer, den ich mir wünschen kann.«
Er verzichtete auf die Anmerkung, daß es für ihn ebenfalls von Vorteil wäre, vorübergehend aus Sergeant Murchisons Einflußbereich zu verschwinden, doch für mich lag diese Schlußfolgerung auf der Hand.
»Du nimmst mich doch mit, oder, Onkel Jamie?« Ian strich sich das feuchte Haar aus der Stirn und machte ein eifriges Gesicht. »Du wirst Hilfe brauchen mit der Frau, glaube mir - sie hat die Ausmaße von einem Melassefaß.«
Jamie lächelte seinem Neffen zu.
»Aye, Ian, wir können wohl noch einen Mann brauchen.«
»Hm-mm«, sagte ich und warf ihm einen bösen Blick zu.
»Und sei es auch nur, um auf deine Tante aufzupassen«, fuhr Jamie fort, indem er meinen Blick erwiderte. »Wir brechen in drei Tagen auf, Sassenach - wenn Myers bis dahin auf einem Pferd sitzen kann.« Drei Tage waren nicht viel Zeit, doch mit Myers’ und Phaedres Hilfe wurde ich wenige Stunden vor dem Aufbruch mit meinen Vorbereitungen fertig. Ich hatte einen kleinen Reisemedizinkasten mit Arzneien und Instrumenten gepackt, und unsere Satteltaschen waren mit Lebensmitteln, Decken und Kochgerät gefüllt. Jetzt blieb nur noch das kleine Problem mit meiner Kleidung.
Ich kreuzte die Enden des langen Seidenbandes über meiner Brust, verknotete sie lässig zwischen meinen Brüsten und begutachtete das Ergebnis im Spiegel.
Nicht übel. Ich streckte die Arme aus und wackelte mit dem Oberkörper hin und her. Ja, das würde gehen. Obwohl, wenn ich es mir vielleicht noch einmal um die Brust wand, bevor ich die Enden überkreuzte…
»Was tust du da, Sassenach? Und was um Himmels willen hast du an?« Jamie lehnte mit gekreuzten Armen in der Tür und beobachtete mich mit hochgezogenen Augenbrauen.
»Ich improvisiere einen Büstenhalter«, sagte ich würdevoll. »Ich habe nicht vor, im Damensitz und mit einem Kleid durch die Berge zu reiten, aber selbst wenn ich kein Korsett trage, will ich doch auch nicht, daß meine Brüste die ganze Zeit herumwackeln. Das ist ziemlich unangenehm.«
»Was du nicht sagst.« Er trat in das Zimmer, umkreiste mich in sicherem Abstand und betrachtete interessiert meine unteren Körperregionen. »Und was ist das
»Gefällt sie dir?« Ich legte die Hände auf die Hüften und zeichnete die Form der geschnürten Lederhose nach, die Phaedre mir - unter hysterischem Gelächter - aus weichem Wildleder geschneidert hatte, das wir von einem von Myers’ Freunden in Cross Creek erstanden hatten.
»Nein«, sagte er gerade heraus. »Du kannst nicht herumlaufen in - in -« Er zeigte sprachlos darauf.
»Einer Hose«, sagte ich. »Und selbstverständlich kann ich das. Ich habe in Boston die ganze Zeit Hosen getragen. Sie sind sehr praktisch.«
Er sah mich einen Augenblick schweigend an. Dann ging er ganz langsam um mich herum. Schließlich erklang seine Stimme hinter mir.
»Du hast sie im Freien getragen?« fragte er in ungläubigem Tonfall. »Wo dich die Leute sehen konnten?«
»Ja«, sagte ich ärgerlich. »Die meisten anderen Frauen auch. Warum nicht?«
»Warum nicht?« sagte er entgeistert. »Ich kann deine Pobacken genau sehen, zum Kuckuck, und die Falte dazwischen.«
»Ich kann deine auch sehen«, erklärte ich und drehte mich um, um ihn anzusehen. »Seit Monaten sehe ich deinen Hintern tagtäglich in Hosen, aber der Anblick verleitet mich nur gelegentlich dazu, mich dir unsittlich zu nähern.«
Sein Mund zuckte, unsicher, ob er lachen sollte oder nicht. Ich nutzte seine Unentschlossenheit aus, trat einen Schritt vor, legte ihm die Arme um die Taille und nahm seinen Hintern fest in die Hände.
»Eigentlich ist es ja dein Kilt, bei dem ich Lust bekomme, dich zu Boden zu schleudern und zu vergewaltigen«, sagte ich. »Aber in deiner Hose siehst du auch nicht übel aus.«
Da lachte er, beugte sich zu mir herab und küßte mich gründlich, wobei seine Hände sorgfältig die Umrisse meines Hinterns erforschten, der fest in Wildleder verpackt war. Er drückte sanft zu, und ich wand mich in seiner Umarmung.
»Zieh sie aus«, sagte er, als er zum Luftholen innehielt.
»Aber ich -«
»Zieh sie aus«, wiederholte er bestimmt. Er trat einen Schritt zurück und knotete die Vorderseite seiner Hose auf. »Du kannst sie nachher wieder anziehen, Sassenach, aber wenn hier jemand schleudert und vergewaltigt, dann bin ich derjenige, welcher, aye?«
Der Ruf Der Trommel
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