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Familienidylle
August 1770
Es war ein friedlicher Morgen. Das Baby hatte die
ganze Nacht durchgeschlafen, eine Wohltat, für die es allgemein
gelobt wurde. Zwei Hennen waren so freundlich gewesen, ihre Eier im
Stall zu legen, anstatt sie in der Landschaft zu verteilen, so daß
ich nicht in den Brombeerbüschen herumkriechen mußte, um das
Frühstück vor dem Kochen erst einmal zu finden.
Das Brot war in seiner Schüssel zu einem perfekten
Schneehügel aufgegangen, von Lizzie zu Laiben geformt worden und -
da unser neuer Kachelofen die allgemeine kooperative Stimmung
teilte - zu einer duftendbraunen Köstlichkeit fertiggebacken, die
das Haus mit Zufriedenheit erfüllte. Gewürzschinken und
Truthahnhaschee brutzelten verlockend in der Pfanne und fügten ihre
Aromen den sanfteren Morgendüften von feuchtem Gras und
Sommerblumen hinzu, die durch das offene Fenster strömten.
All das trug natürlich dazu bei, doch die
allgemeine Atmosphäre verschlafener Behaglichkeit rührte eher von
der vergangenen Nacht als den Ereignissen des Morgens her.
Es war eine perfekte, monddurchtränkte Nacht
gewesen. Jamie hatte die Kerze gelöscht und die Tür verriegeln
wollen, doch statt dessen blieb er stehen, die Arme in den
Türrahmen gestützt, und blickte ins Tal hinab.
»Was ist los?« fragte ich.
»Nichts«, sagte er leise. »Komm und sieh’s dir
an.«
Alles schien dahinzutreiben, durch das
gespenstische Licht seiner Tiefe beraubt. In der Ferne schien der
Wasserfall zum Stehen gekommen zu sein und in der Luft zu schweben.
Doch der Wind wehte in unsere Richtung, und ich konnte das sanfte
Rumpeln der Tonnen fallenden Wassers hören.
Die Nachtluft war mit dem Duft von Gras und Wasser
versetzt, und Kiefer und Fichte sandten ihren kühlen Atem von den
Gipfeln
herab. Ich erschauerte in meinem Hemd und drückte mich an ihn, um
mich zu wärmen. Seine Hemdschöße waren an der Seite geschlitzt und
fast bis zur Taille offen. Ich ließ meine Hand in die Öffnung
gleiten, die mir am nächsten war, und umfaßte seine runde, warme
Pobacke. Seine Muskeln spannten sich unter meiner Berührung an,
dann bewegten sie sich, als er sich umwandte.
Er war nicht zurückgewichen; nur zurückgetreten, um
sich das Hemd über den Kopf zu ziehen. Er stand nackt auf der
Veranda und hielt mir die Hand hin.
Er hatte einen Silberpelz, und das Mondlicht
meißelte seinen Körper aus der Nacht. Von den langen Zehen bis hin
zu seinen wallenden Haaren konnte ich jedes kleine Detail an ihm
genauso deutlich sehen wie die klaren, schwarzen Triebe der
Brombeerbüsche am anderen Ende des Gartens. Er war dimensionslos
wie sie; er hätte in Reichweite meiner Hand oder eine Meile von mir
entfernt stehen können.
Ich zog die Schultern hoch und ließ mir das Hemd
vom Körper fallen, ließ es in einem Knäuel an der Tür liegen und
ergriff seine Hand. Wir waren ohne ein Wort durch das Gras
geschwebt, mit nassen Beinen und kühler Haut in den Wald gegangen,
hatten uns wortlos der Wärme des anderen zugewandt und waren
zusammen über den Rand des Bergkamms hinweg ins schier Bodenlose
getreten.
Nach dem Monduntergang waren wir im Dunkeln
erwacht, mit Zweigen übersät, von Mücken zerstochen und steif vor
Kälte. Wir hatten kein Wort miteinander gewechselt, sondern hatten
uns gegenseitig durch den mondlosen Wald geholfen, hatten dabei
gelacht und waren trunken geschwankt, über Wurzeln und Steine
gestolpert und waren kurz vor der Dämmerung für eine Stunde Schlaf
ins Bett zurückgekehrt.
Jetzt beugte ich mich über seine Schulter, stellte
eine Schale Hafergrütze vor ihn hin und pflückte ihm im
Vorübergehen ein Eichenblatt aus den Haaren. Ich legte es neben
seiner Schüssel auf den Tisch.
Er wandte den Kopf, ein verstohlenes Lächeln im
Blick, ergriff meine Hand und küßte sie sacht. Er ließ mich los und
wandte sich seinem Porridge zu. Ich berührte seinen Nacken und sah,
wie sich das Lächeln bis zu seinem Mund ausbreitete.
Ebenfalls lächelnd blickte ich auf und stellte
fest, daß Brianna uns beobachtete. Ihr Mundwinkel verzog sich nach
oben, und ihr Blick war warm und voller Verständnis. Dann sah ich,
wie ihr Blick zu Roger wechselte, der gedankenverloren seinen
Porridge löffelte und sie gebannt ansah.
Dieses idyllische Familienbild wurde dadurch
unterbrochen, daß Clarence lauthals Besuch ankündigte. Rollo fehlte
mir, dachte ich, als ich zur Tür ging, um nachzusehen, doch
wenigstens ging Clarence nicht auf unseren Besuch los und warf ihn
über den Haufen oder jagte ihn um den Hof.
Der Besucher war Duncan Innes, der eine Einladung
mitbrachte.
»Deine Tante fragt, ob ihr vielleicht dieses Jahr
zum Gathering am Mount Helicon kommt. Sie sagt, du hast es
ihr vor zwei Jahren versprochen.«
Jamie schob Duncan den Teller mit Rührei hin.
»Daran habe ich gar nicht mehr gedacht«, sagte er
mit einem leichten Stirnrunzeln. »Wir haben höllisch viel zu tun,
und ich muß ein Dach auf dieses Haus bekommen, bevor es schneit.«
Er deutete mit seinem Kinn nach oben und zeigte auf die Latten und
Zweige, die uns im Augenblick vor den Launen des Wetters
schützten.
»Es kommt ein Priester, oben aus Baltimore«, sagte
Duncan und vermied es sorgsam, Roger und Brianna anzusehen. »Miss
Jo meinte, daß ihr vielleicht das Kind taufen lassen
möchtet.«
»Oh.« Jamie lehnte sich zurück, die Lippen
nachdenklich gespitzt. »Aye, das ist eine gute Idee. Vielleicht
gehen wir doch, Duncan.«
»Schön; das wird deine Tante freuen.« Irgend etwas
schien Duncan im Hals querzusitzen; ich konnte zusehen, wie er
langsam rot wurde. Jamie blinzelte ihn an und schob einen Krug mit
Apfelwein in seine Richtung.
»Hast du was im Hals, Mann?«
»Äh… nein.« Inzwischen hatten alle aufgehört zu
essen und betrachteten fasziniert die Veränderungen von Duncans
Gesichtsfarbe. Als er es fertigbrachte, seine nächsten Worte
herauszuquetschen, hatte sie sich in eine Art Braunrot
verwandelt.
»Ich - ääh - wollte um deine Zustimmung bitten,
an fhearr Mac Dubh, zu einer Hochzeit zwischen Mistress
Jocasta Cameron und… und -«
»Und wem?« fragte Jamie, dessen Mundwinkel zuckte.
»Dem Gouverneur der Kolonie?«
»Und mir!« Duncan hob den Cidrebecher und vergrub
mit der Erleichterung eines Ertrinkenden, der ein Rettungsboot
vorbeitreiben sieht, sein Gesicht darin.
»Meine Zustimmung? Meinst du nicht, daß meine Tante
alt genug ist? Und du auch, was das angeht?«
Duncan atmete jetzt etwas leichter, obwohl ihm die
tiefrote Färbung noch nicht aus den Wangen weichen wollte.
»Ich fand es nur angebracht«, sagte er ein wenig
steif.
»Schließlich bist du ihr nächster Verwandter.« Er
schluckte und richtete sich ein wenig auf. »Und… es erschien mir
nicht recht, Mac Dubh, daß ich mir etwas nehme, was dir gehören
könnte.«
Jamie lächelte und schüttelte den Kopf.
»Ich erhebe keinen Anspruch auf den Besitz meiner
Tante - und würde ihn auch dann nicht annehmen, wenn sie ihn mir
anböte. Wollt ihr am Mount Helicon heiraten? Dann sag ihr, wir
kommen und tanzen auf der Hochzeit.«