68
Familienidylle
August 1770
Es war ein friedlicher Morgen. Das Baby hatte die ganze Nacht durchgeschlafen, eine Wohltat, für die es allgemein gelobt wurde. Zwei Hennen waren so freundlich gewesen, ihre Eier im Stall zu legen, anstatt sie in der Landschaft zu verteilen, so daß ich nicht in den Brombeerbüschen herumkriechen mußte, um das Frühstück vor dem Kochen erst einmal zu finden.
Das Brot war in seiner Schüssel zu einem perfekten Schneehügel aufgegangen, von Lizzie zu Laiben geformt worden und - da unser neuer Kachelofen die allgemeine kooperative Stimmung teilte - zu einer duftendbraunen Köstlichkeit fertiggebacken, die das Haus mit Zufriedenheit erfüllte. Gewürzschinken und Truthahnhaschee brutzelten verlockend in der Pfanne und fügten ihre Aromen den sanfteren Morgendüften von feuchtem Gras und Sommerblumen hinzu, die durch das offene Fenster strömten.
All das trug natürlich dazu bei, doch die allgemeine Atmosphäre verschlafener Behaglichkeit rührte eher von der vergangenen Nacht als den Ereignissen des Morgens her.
Es war eine perfekte, monddurchtränkte Nacht gewesen. Jamie hatte die Kerze gelöscht und die Tür verriegeln wollen, doch statt dessen blieb er stehen, die Arme in den Türrahmen gestützt, und blickte ins Tal hinab.
»Was ist los?« fragte ich.
»Nichts«, sagte er leise. »Komm und sieh’s dir an.«
Alles schien dahinzutreiben, durch das gespenstische Licht seiner Tiefe beraubt. In der Ferne schien der Wasserfall zum Stehen gekommen zu sein und in der Luft zu schweben. Doch der Wind wehte in unsere Richtung, und ich konnte das sanfte Rumpeln der Tonnen fallenden Wassers hören.
Die Nachtluft war mit dem Duft von Gras und Wasser versetzt, und Kiefer und Fichte sandten ihren kühlen Atem von den Gipfeln herab. Ich erschauerte in meinem Hemd und drückte mich an ihn, um mich zu wärmen. Seine Hemdschöße waren an der Seite geschlitzt und fast bis zur Taille offen. Ich ließ meine Hand in die Öffnung gleiten, die mir am nächsten war, und umfaßte seine runde, warme Pobacke. Seine Muskeln spannten sich unter meiner Berührung an, dann bewegten sie sich, als er sich umwandte.
Er war nicht zurückgewichen; nur zurückgetreten, um sich das Hemd über den Kopf zu ziehen. Er stand nackt auf der Veranda und hielt mir die Hand hin.
Er hatte einen Silberpelz, und das Mondlicht meißelte seinen Körper aus der Nacht. Von den langen Zehen bis hin zu seinen wallenden Haaren konnte ich jedes kleine Detail an ihm genauso deutlich sehen wie die klaren, schwarzen Triebe der Brombeerbüsche am anderen Ende des Gartens. Er war dimensionslos wie sie; er hätte in Reichweite meiner Hand oder eine Meile von mir entfernt stehen können.
Ich zog die Schultern hoch und ließ mir das Hemd vom Körper fallen, ließ es in einem Knäuel an der Tür liegen und ergriff seine Hand. Wir waren ohne ein Wort durch das Gras geschwebt, mit nassen Beinen und kühler Haut in den Wald gegangen, hatten uns wortlos der Wärme des anderen zugewandt und waren zusammen über den Rand des Bergkamms hinweg ins schier Bodenlose getreten.
Nach dem Monduntergang waren wir im Dunkeln erwacht, mit Zweigen übersät, von Mücken zerstochen und steif vor Kälte. Wir hatten kein Wort miteinander gewechselt, sondern hatten uns gegenseitig durch den mondlosen Wald geholfen, hatten dabei gelacht und waren trunken geschwankt, über Wurzeln und Steine gestolpert und waren kurz vor der Dämmerung für eine Stunde Schlaf ins Bett zurückgekehrt.
Jetzt beugte ich mich über seine Schulter, stellte eine Schale Hafergrütze vor ihn hin und pflückte ihm im Vorübergehen ein Eichenblatt aus den Haaren. Ich legte es neben seiner Schüssel auf den Tisch.
Er wandte den Kopf, ein verstohlenes Lächeln im Blick, ergriff meine Hand und küßte sie sacht. Er ließ mich los und wandte sich seinem Porridge zu. Ich berührte seinen Nacken und sah, wie sich das Lächeln bis zu seinem Mund ausbreitete.
Ebenfalls lächelnd blickte ich auf und stellte fest, daß Brianna uns beobachtete. Ihr Mundwinkel verzog sich nach oben, und ihr Blick war warm und voller Verständnis. Dann sah ich, wie ihr Blick zu Roger wechselte, der gedankenverloren seinen Porridge löffelte und sie gebannt ansah.
Dieses idyllische Familienbild wurde dadurch unterbrochen, daß Clarence lauthals Besuch ankündigte. Rollo fehlte mir, dachte ich, als ich zur Tür ging, um nachzusehen, doch wenigstens ging Clarence nicht auf unseren Besuch los und warf ihn über den Haufen oder jagte ihn um den Hof.
Der Besucher war Duncan Innes, der eine Einladung mitbrachte.
»Deine Tante fragt, ob ihr vielleicht dieses Jahr zum Gathering am Mount Helicon kommt. Sie sagt, du hast es ihr vor zwei Jahren versprochen.«
Jamie schob Duncan den Teller mit Rührei hin.
»Daran habe ich gar nicht mehr gedacht«, sagte er mit einem leichten Stirnrunzeln. »Wir haben höllisch viel zu tun, und ich muß ein Dach auf dieses Haus bekommen, bevor es schneit.« Er deutete mit seinem Kinn nach oben und zeigte auf die Latten und Zweige, die uns im Augenblick vor den Launen des Wetters schützten.
»Es kommt ein Priester, oben aus Baltimore«, sagte Duncan und vermied es sorgsam, Roger und Brianna anzusehen. »Miss Jo meinte, daß ihr vielleicht das Kind taufen lassen möchtet.«
»Oh.« Jamie lehnte sich zurück, die Lippen nachdenklich gespitzt. »Aye, das ist eine gute Idee. Vielleicht gehen wir doch, Duncan.«
»Schön; das wird deine Tante freuen.« Irgend etwas schien Duncan im Hals querzusitzen; ich konnte zusehen, wie er langsam rot wurde. Jamie blinzelte ihn an und schob einen Krug mit Apfelwein in seine Richtung.
»Hast du was im Hals, Mann?«
»Äh… nein.« Inzwischen hatten alle aufgehört zu essen und betrachteten fasziniert die Veränderungen von Duncans Gesichtsfarbe. Als er es fertigbrachte, seine nächsten Worte herauszuquetschen, hatte sie sich in eine Art Braunrot verwandelt.
»Ich - ääh - wollte um deine Zustimmung bitten, an fhearr Mac Dubh, zu einer Hochzeit zwischen Mistress Jocasta Cameron und… und -«
»Und wem?« fragte Jamie, dessen Mundwinkel zuckte. »Dem Gouverneur der Kolonie?«
»Und mir!« Duncan hob den Cidrebecher und vergrub mit der Erleichterung eines Ertrinkenden, der ein Rettungsboot vorbeitreiben sieht, sein Gesicht darin.
»Meine Zustimmung? Meinst du nicht, daß meine Tante alt genug ist? Und du auch, was das angeht?«
Duncan atmete jetzt etwas leichter, obwohl ihm die tiefrote Färbung noch nicht aus den Wangen weichen wollte.
»Ich fand es nur angebracht«, sagte er ein wenig steif.
»Schließlich bist du ihr nächster Verwandter.« Er schluckte und richtete sich ein wenig auf. »Und… es erschien mir nicht recht, Mac Dubh, daß ich mir etwas nehme, was dir gehören könnte.«
Jamie lächelte und schüttelte den Kopf.
»Ich erhebe keinen Anspruch auf den Besitz meiner Tante - und würde ihn auch dann nicht annehmen, wenn sie ihn mir anböte. Wollt ihr am Mount Helicon heiraten? Dann sag ihr, wir kommen und tanzen auf der Hochzeit.«
Der Ruf Der Trommel
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