60
Die Feuerprobe
Man überließ sie den ganzen Tag sich selbst. Das
Feuer war erloschen, und es gab nichts zu essen. Es spielte keine
Rolle; keiner der beiden Männer hätte etwas essen können, und kein
Feuer hätte jemals die Kälte in Rogers Seele erreicht.
Am späten Nachmittag kehrten die Indianer zurück.
Mehrere Krieger eskortierten einen Greis, der in ein wallendes
Spitzenhemd und einen gewebten Mantel gekleidet war, das Gesicht
mit Rot und Ocker bemalt - der Sachem, der einen kleinen,
mit einer schwarzen Flüssigkeit gefüllten Keramiktopf in der Hand
trug.
Alexandre hatte seine Kleider angezogen; als der
Sachem auf ihn zutrat, stand er auf, doch keiner von ihnen
sprach oder bewegte sich. Der Sachem begann, mit seiner
gebrochenen, alten Stimme zu singen, tauchte dabei eine
Kaninchenpfote in das Töpfchen und malte das Gesicht des Priesters
von der Stirn bis zum Kinn schwarz an.
Die Indianer verließen die Hütte wieder, und der
Priester setzte sich mit geschlossenen Augen auf den Boden. Roger
versuchte, ihn anzusprechen, ihm Wasser anzubieten oder zumindest
das Bewußtsein, daß er nicht allein war, doch Alexandre reagierte
nicht und saß da, als sei er aus Stein gemeißelt.
Als das Zwielicht dahinschwand, begann er
schließlich zu sprechen.
»Mir bleibt nicht mehr viel Zeit«, sagte er leise.
»Ich habe Euch schon einmal darum gebeten, für mich zu beten.
Damals wußte ich nicht, worum Ihr beten solltet - darum, daß mein
Leben verschont wird, oder meine Seele. Jetzt weiß ich, daß keins
von beiden möglich ist.«
Roger setzte zum Reden an, doch der Priester zuckte
mit der Hand und hielt ihn auf.
»Es gibt nur eines, worum ich bitten kann. Betet
für mich, Bruder - daß ich gut sterbe. Betet, daß ich stumm
sterbe.« Jetzt sah er Roger zum ersten Mal an, und seine Augen
glitzerten feucht. »Ich will ihr keine Schande machen, indem ich
schreie.«
Die Dunkelheit war schon seit einiger Zeit
hereingebrochen, als das Trommeln begann. Roger hatte während
seines ganzen Aufenthaltes im Dorf noch keine Trommeln gehört.
Unmöglich zu sagen, wie viele es waren; das Geräusch schien von
überall zu kommen. Er spürte es in seinen Knochen und den Sohlen
seiner Füße.
Die Mohawk kehrten zurück. Als sie hereinkamen,
stand der Priester augenblicklich auf. Er zog sich aus und ging
hinaus, nackt, ohne einen Blick zurückzuwerfen.
Roger saß da und starrte den mit Leder verhängten
Eingang an. Er betete - und lauschte. Er wußte, was eine Trommel
bewirken konnte; hatte es selbst schon bewirkt - Ehrfurcht und Wut
geweckt, indem er auf ein gespanntes Lederstück schlug und damit an
die dunklen und verborgenen Instinkte des Zuhörers appellierte.
Doch sich darüber im klaren zu sein, was vor sich ging, machte es
nicht weniger furchterregend.
Er hätte nicht sagen können, wie lange er dasaß
und den Trommeln lauschte. Er hörte auch andere Geräusche -
Stimmen, Schritte, den Lärm einer großen Menschenansammlung -, und
versuchte bewußt, nicht auf Alexandres Stimme zu horchen.
Plötzlich verstummten die Trommeln. Sie begannen
erneut, nicht mehr als ein paar zögerliche Schläge, dann endeten
sie vollständig. Es erklangen Rufe und dann eine Kakophonie von
Schreien. Roger schreckte hoch und humpelte zur Tür. Doch der
Wächter war immer noch da; er steckte seinen Kopf durch den Vorhang
und gestikulierte drohend, eine Hand an seiner Keule.
Roger blieb stehen, konnte aber nicht zum Feuer
zurückkehren. Er stand im Halbdunkel da. Schweiß lief ihm über die
Rippen, und er lauschte auf die Geräusche im Freien.
Es hörte sich an, als wären alle Teufel der Hölle
losgelassen worden. Was in Gottes Namen ging da draußen vor sich?
Ein heftiger Kampf offensichtlich. Aber wer und warum?
Nach der ersten Salve von Schreien hatte das
Stimmengewirr nachgelassen, doch es erklangen immer noch einzelne,
schrille Heuler und Wehlaute von allen Seiten der zentralen
Lichtung. Und er hörte Schläge; Stöhnen und andere Geräusche, die
auf einen brutalen Kampf hindeuteten. Etwas knallte gegen die Wand
des Langhauses; die Wand erzitterte, und ein Rindenpaneel brach in
der Mitte durch.
Roger blickte zur Türklappe; nein, der Wächter
beobachtete ihn nicht. Er schoß zu dem Paneel hinüber und riß mit
den Fingern daran. Es nützte nichts, die Holzfasern zerbröckelten
unter seinen Nägeln,
und er fand keinen Halt. Verzweifelt preßte er sein Auge an das
Loch, das er gemacht hatte, und versuchte zu sehen, was draußen vor
sich ging.
Von der zentralen Lichtung war nur ein schmaler
Streifen zu sehen. Er konnte das Langhaus gegenüber erblicken,
dazwischen einen Streifen aufgewühlter Erde und über allem den
flackernden Schein eines enormen Feuers. Rote und gelbe Schatten
kämpften mit schwarzen und bevölkerten die Luft mit feurigen
Dämonen.
Einige der Dämonen war echt; zwei dunkle Gestalten
torkelten vorbei und wieder aus dem Blickfeld, in brutaler Umarmung
verkeilt. Weitere Gestalten bewegten sich durch sein Blickfeld und
rannten zum Feuer.
Dann erstarrte er und preßte sein Gesicht gegen das
Holz. Er hätte schwören können, unter den unverständlichen
Mohawkschreien jemanden auf Gälisch brüllen gehört zu
haben.
Es stimmte.
»Caisteal Dhuni!« rief jemand ganz in der
Nähe, und es folgte ein haarsträubender Schrei. Schotten - Weiße!
Er mußte zu ihnen! Roger bearbeitete das zersplitterte Holz
verzweifelt mit den Fäusten und versuchte, sich mit roher Gewalt
durch das Paneel zu arbeiten. Die gälische Stimme dröhnte erneut
los.
»Caisteal Dhuni!« Nein, halt - Gott, es war
eine andere Stimme! Und die erste antwortete. »Do mi! Do
mi!« Zu mir! Zu mir! Und dann erhob sich eine erneute Flut von
Mohawkschreien und ertränkte die Stimmen - Frauen, es waren Frauen,
die jetzt kreischten, und ihre Stimmen waren noch lauter als die
der Männer.
Roger warf sich mit der Schulter voran gegen das
Paneel; es riß und zersplitterte weiter, gab aber nicht nach. Er
versuchte es wieder und ein drittes Mal, aber ohne Ergebnis. Es gab
nichts in dem Lagerhaus, das er als Waffe hätte benutzen können,
nichts. Verzweifelt packte er die Verschnürung eines
Bettverschlages und riß mit Händen und Zähnen daran. Er zog so
lange, bis er einen Teil des Gestells gelöst hatte.
Er ergriff das Holz, hievte es hoch; rüttelte daran
und hievte erneut, bis er es mit einem berstenden Krachen in der
Hand hatte. Keuchend stand er da und umfaßte einen zwei Meter
langen Pfahl, dessen eines Ende zersplittert und angespitzt war. Er
schob sich das stumpfe Ende unter den Arm und stürmte auf den
Eingang los, das spitze Ende wie einen Speer auf die Lederklappe
gerichtet.
Er schoß hinaus in Dunkelheit und Flammenmeer,
kalte Luft und Rauch, in den Lärm, der ihm das Blut versengte. Er
sah eine Gestalt vor sich und stürzte sich darauf. Der Mann
tänzelte zur Seite und hob
eine Keule. Roger konnte nicht bremsen, konnte nicht wenden,
sondern warf sich flach hin, und die Keule landete wenige
Zentimeter neben seinem Kopf.
Er wälzte sich auf die Seite und schwenkte wild
seinen Pfosten. Er knallte gegen den Kopf des Indianers, und der
Mann stolperte, ging zu Boden und brach über Roger zusammen.
Whisky. Der Mann roch nach Whisky. Ohne sich
weitere Gedanken darüber zu machen, wand sich Roger unter dem
zuckenden Körper hervor und stolperte auf seine Füße, den Pfosten
immer noch in der Hand.
Ein Schrei erscholl hinter ihm. Er wirbelte herum
und stieß mit aller Kraft zu, während er noch auf seinem Fußballen
herumschwenkte. Der Schock des Aufpralls erschütterte seine Arme
und seine Brust. Der Mann, den er getroffen hatte, klammerte sich
an den Pfosten; er zuckte und vibrierte, und als der Mann umkippte,
entwand er Roger die Waffe.
Er stolperte, fing sich wieder und wirbelte zum
Feuer. Es war ein immenser Scheiterhaufen; Flammen blähten sich zu
einer Wand von purem, heftigem Scharlachrot, ein lebhafter Kontrast
in der Nacht. Durch die wogenden Köpfe der Zuschauer hindurch sah
er die schwarze Gestalt im Herzen der Flamme, die Arme in einer
segnenden Geste ausgebreitet, an den Balken gefesselt, von dem er
herabhing. Langes Haar flatterte auf, Strähnen fingen Feuer in
kleinen Eruptionen und umringten den Kopf mit einem goldenen
Heiligenschein wie Christus beim Meßopfer. Dann krachte etwas auf
Rogers Kopf herab, und er fiel zu Boden wie ein Stein.
Er verlor das Bewußtsein nicht vollständig. Er
konnte nichts sehen, sich nicht bewegen, doch er konnte immer noch
dumpf hören. Es waren Stimmen in seiner Nähe. Das Kreischen
erscholl immer noch, aber schwächer, beinahe ein
Hintergrundgeräusch wie das Rauschen des Ozeans.
Er spürte, wie er sich in die Luft erhob, und das
Knistern der Flammen wurde lauter, fast so laut wie das Rauschen in
seinen Ohren… Sie würden ihn in das Feuer werfen! Ihm wurde
schwindelig vor Anstrengung, und Licht flammte hinter seinen
geschlossenen Augenlidern auf, doch sein sturer Körper weigerte
sich, sich zu bewegen.
Das Rauschen ließ nach, doch paradoxerweise spürte
er, wie warme Luft über sein Gesicht strich. Er schlug auf dem
Boden auf, prallte ab, drehte sich um sich selbst und landete mit
dem Gesicht nach unten, die Arme seitwärts gestreckt. Unter seinen
Fingern war kühle Erde.
Er atmete. Mechanisch, einen Atemzug nach dem
anderen. Ganz langsam begann das Schwindelgefühl zu verebben.
Weit weg erscholl Lärm, doch in seiner Nähe konnte
er nichts hören außer seinem eigenen, lauten Atem. Ganz langsam
öffnete er ein Auge. Feuerschein flackerte auf Pfosten und
Paneelen, ein dumpfes Echo des Gleißens vor der Hütte. Langhaus. Er
war wieder drinnen.
Sein Atem klang laut und abgehackt in seinen Ohren.
Er versuchte, ihn anzuhalten, konnte es aber nicht. Dann wurde ihm
klar, daß er die Luft bereits anhielt; die japsenden
Geräusche kamen von jemand anderem.
Es war hinter ihm. Mit immenser Anstrengung schob
er seine Hände unter sich, kam schwankend auf Hände und Knie hoch,
die Augen zum Schutz gegen die Kopfschmerzen
zusammengekniffen.
»Gott im Himmel«, murmelte er vor sich hin. Er rieb
sich fest mit der Hand über die Augen und blinzelte, doch der Mann
war immer noch da, zwei Meter entfernt.
Jamie Fraser. Er lag auf der Seite in einem Gewirr
aus Gliedmaßen, ein rotes Plaid um seinen Körper gewickelt. Sein
Gesicht war zur Hälfte mit Blut bedeckt, doch eine Verwechslung war
ausgeschlossen.
Im ersten Augenblick sah Roger ihn nur
verständnislos an. Monatelang hatte er den Großteil seiner wachen
Momente damit verbracht, sich eine Begegnung mit diesem Mann
auszumalen. Jetzt war sie da, und es kam ihm schlicht unmöglich
vor. Er hatte keinen Platz für irgendein Gefühl außer einer Art
dumpfen Erstaunens.
Er rieb sich noch einmal das Gesicht und drängte
den Nebel aus Furcht und Adrenalin zurück. Was… was machte
Fraser hier?
Als sich seine Gedanken wieder mit seinen Gefühlen
verbanden, war sein erstes erkennbares Gefühl weder Wut noch
Besorgnis, sondern ein absurder Ausbruch glücklicher
Erleichterung.
»Sie war’s nicht«, murmelte er, und die Worte
klangen ihm seltsam und heiser in den Ohren, nachdem er so lange
kein Englisch mehr gesprochen oder gehört hatte. »Oh, Gott, sie
war’s nicht!«
Jamie Fraser konnte nur aus einem Grund hier sein -
um ihn zu retten. Und wenn es so war, dann deshalb, weil Brianna
ihren Vater geschickt hatte. Ob es ein Mißverständnis oder
Böswilligkeit gewesen war, die ihn durch die Hölle der letzten paar
Monate hatte gehen lassen, es hatte nicht an ihr gelegen.
»War’s nicht«, sagte er noch einmal. »Sie war’s
nicht.« Er erschauerte vor Übelkeit nach dem Schlag und vor
Erleichterung.
Er hatte geglaubt, er würde für immer hohl sein,
doch plötzlich war
etwas da; etwas Kleines, aber sehr Solides. Etwas, das er in
seinem Herzen halten konnte. Brianna. Er hatte sie
wieder.
Draußen erscholl erneut eine Reihe schriller Rufe;
Klagelaute, die sich endlos hinzogen und ihn wie tausend Nadeln in
die Haut stachen. Er fuhr zusammen und erschauerte wieder, als sich
alle übrigen Gefühle seiner erneuten Erkenntnis
unterordneten.
In dem sicheren Bewußtsein zu sterben, daß Brianna
ihn liebte, war besser als ohne das zu sterben - doch er hatte
eigentlich nicht vorgehabt zu sterben. Er erinnerte sich an das,
was er draußen gesehen hatte, fühlte, wie ihm die Galle hochkam,
und würgte sie herunter.
Mit zitternder Hand begann er das unvertraute
Kreuzzeichen. »Im Namen des Vaters«, flüsterte er, und dann
verließen ihn die Worte. »Bitte«, flüsterte er statt dessen. »Bitte
gib, daß er nicht recht gehabt hat.«
Er kroch zittrig zu Frasers Körper hinüber und
hoffte, daß der Mann noch lebte. Er lebte noch; Blut floß aus einer
Wunde an Frasers Schläfe, und als er seine Finger unter das Kinn
des Mannes schob, konnte er einen regelmäßigen Pulsschlag
spüren.
In einem der Gefäße unter dem zertrümmerten
Bettgestell war Wasser; glücklicherweise hatte er es nicht
verschüttet. Er tauchte ein Ende des Plaids hinein und benutzte es,
um Fraser das Gesicht abzuwischen. Nach ein paar Minuten dieser
Behandlung begannen die Augenlider des Mannes zu flattern.
Fraser hustete, würgte heftig, drehte den Kopf zur
Seite und übergab sich. Dann riß er die Augen weit auf, und bevor
Roger etwas sagen oder sich bewegen konnte, hatte Fraser sich auf
ein Knie hochgerollt, die Hand an dem Sgian Dhu in seinem
Strumpf.
Blaue Augen funkelten ihn an, und Roger hob in
instinktiver Abwehr den Arm. Dann blinzelte Fraser, schüttelte den
Kopf, stöhnte und setzte sich schwer auf den Erdboden.
»Oh, Ihr seid es«, sagte er. Er schloß die Augen
und stöhnte noch einmal. Dann fuhr sein Kopf hoch, die Augen blau
und durchdringend, doch diesmal voll Sorge, nicht voll Wut.
»Claire!« rief er aus. »Meine Frau, wo ist
sie?«
Roger spürte, wie ihm der Kinnladen
herunterfiel.
»Claire? Ihr habt sie hierher mitgebracht?
Ihr habt eine Frau hier mit hineingezogen?«
Fraser warf ihm einen Blick extremer Abneigung zu,
verschwendete aber keine Worte an ihn. Er nahm das Messer aus dem
Strumpf in die Hand und blickte zur Tür. Der Vorhang war
heruntergelassen; es war niemand zu sehen. Der Lärm draußen war
erstorben, obwohl das
Raunen der Stimmen immer noch zu hören war. Dann und wann stach
eine von ihnen heraus, rufend oder mahnend erhoben.
»Da steht ein Wächter«, sagte Roger.
Fraser sah ihn an und erhob sich so geschmeidig wie
ein Panther. Ihm lief immer noch Blut über die eine Gesichtshälfte,
doch das schien ihn nicht zu stören. Geräuschlos preßte er sich
flach an der Wand entlang, glitt zum Rand des Türvorhangs und
drückte ihn mit der Spitze des winzigen Dolches zur Seite.
Was auch immer er sah, es ließ ihn eine Grimasse
schneiden. Er ließ die Tür zurückfallen, kam zurück und setzte sich
hin, während er das Messer wieder in den Strumpf steckte.
»Ein gutes Dutzend von ihnen direkt vor der Tür.
Ist das Wasser?« Er streckte die Hand aus, und Roger schöpfte
schweigend ein Kürbisschälchen voll davon und reichte es ihm. Er
trank in tiefen Zügen, spritzte sich Wasser ins Gesicht und goß
sich dann den Rest über den Kopf.
Fraser wischte sich mit der Hand über sein
zerschlagenes Gesicht, öffnete dann die blutunterlaufenen Augen und
sah Roger an.
»Wakefield, ja?«
»Im Augenblick benutze ich meinen eigenen Namen,
MacKenzie.«
Fraser schnaubte kurz und humorlos.
»Das ist mir zu Ohren gekommen.« Er hatte einen
breiten, ausdrucksvollen Mund - wie Brianna. Seine Lippen preßten
sich kurz zusammen und entspannten sich dann.
»Ich habe Euch Schlimmes zugefügt, MacKenzie, wie
Ihr wißt. Ich bin gekommen, um es wiedergutzumachen, soweit es
geht, doch es kann passieren, daß ich keine Gelegenheit dazu
bekomme.« Er wies mit einer kurzen Geste zur Tür. »Fürs erste habt
Ihr meine Entschuldigung. Falls Ihr später Genugtuung von mir
verlangt - werde ich mich Eurem Willen fügen. Doch ich würde Euch
bitten, damit zu warten, bis wir das hier sicher hinter uns
haben.«
Roger starrte ihn einen Moment an. Genugtuung für
die letzten Monate der Qual und Unsicherheit schien ein nicht
minder abwegiger Gedanke zu sein als Sicherheit. Er nickte.
»Abgemacht«, sagte er.
Sie saßen einige Augenblicke schweigend da. Das
Feuer in der Hütte wurde kleiner, doch das Brennholz war draußen;
die Wächter behielten alles im Auge, was möglicherweise als Waffe
benutzt werden konnte.
»Was ist passiert?« fragte Roger schließlich. Er
wies mit dem Kopf auf die Tür. »Da draußen?«
Fraser holte tief Luft und atmete seufzend aus. Zum
ersten Mal bemerkte Roger, daß er den Ellbogen seines rechten Arms
auf die linke Handfläche stützte und den Arm eng an seinen Körper
gedrückt hielt.
»Ich habe nicht die geringste Ahnung«, sagte
er.
»Sie haben den Priester verbrannt? Er ist tot?«
Nach allem, was er gesehen hatte, konnte es keinen Zweifel daran
geben, doch Roger fühlte das Bedürfnis, trotzdem zu fragen.
»Er war Priester?« Die dichten, rötlichen Brauen
hoben sich überrascht und senkten sich dann wieder. »Aye, er ist
tot. Und nicht nur er.« Ein unwillkürlicher Schauer durchlief den
hünenhaften Körperbau des Highlanders.
Fraser hatte nicht gewußt, was sie vorhatten, als
die Trommeln zu dröhnen begannen und jedermann hinausging und sie
sich um das große Feuer versammelten. Es wurde viel geredet, doch
seine Kenntnisse der Mohawksprache reichten nicht aus, und sein
Neffe, der sie sprach, war nicht aufzufinden.
Die Weißen war nicht eingeladen worden, doch
niemand machte irgendwelche Anstalten, sie fernzuhalten. Und so war
es gekommen, daß Claire und er als neugierige Beobachter am Rand
der Menge gestanden hatten, als der Sachem und der Rat
herauskamen und der alte Mann zu sprechen begann. Es hatte noch ein
Mann gesprochen, der sehr wütend war.
»Dann haben sie den Mann herausgebracht, so nackt
wie eine Kaulquappe, ihn an einen Pfahl gebunden und sich über ihn
hergemacht.« Er hielt inne, Schatten in den Augen, und sah Roger
an.
»Ich sag’ Euch, Mann, ich habe schon gesehen, wie
französische Henker einen Mann am Leben erhalten, der wünschte, er
wäre tot. Es war nicht schlimmer als das hier - aber auch nicht
viel besser.« Fraser trank noch einmal, durstig, und senkte den
Becher.
»Ich habe versucht, Claire wegzuziehen - nach
allem, was ich wußte, konnten sie uns doch nur als nächste
angreifen.« Doch die Menge drängte sich so dicht um sie herum, daß
jede Bewegung unmöglich war; sie hatten keine andere Wahl, als
weiter zuzusehen.
Rogers Mund fühlte sich trocken an, und er griff
nach dem Becher. Er wollte nicht danach fragen, doch er spürte ein
perverses Bedürfnis, es zu wissen - sei es um Alexandres oder um
seiner selbst willen.
»Hat er - irgendwann geschrien?«
Fraser warf ihm erneut einen überraschten Blick zu,
dann überlief so etwas wie Begreifen sein Gesicht.
»Nein«, sagte er langsam. »Er ist sehr anständig
gestorben - in ihrem Licht betrachtet. Dann habt Ihr den Mann
gekannt?«
Roger nickte wortlos. Es war schwer zu glauben, daß
Alexandre fort war, selbst als er das hörte. Und wo war er
jetzt? Er konnte doch wohl nicht recht gehabt haben. Mir wird
nicht vergeben. Gewiß nicht. Kein gerechter Gott -
Roger schüttelte heftig den Kopf und verdrängte den
Gedanken. Es war offensichtlich, daß Fraser nur mit halber
Aufmerksamkeit bei seiner Geschichte war, so furchtbar sie auch
sein mochte. Er blickte fortwährend zur Tür, einen Ausdruck
ängstlicher Erwartung im Gesicht. Erwartete er Rettung?
»Wie viele Männer habt Ihr mitgebracht?«
Die blauen Augen blitzten überrascht auf.
»Meinen Neffen Ian.«
»Das ist alles?« Roger versuchte, sich seinen
verblüfften Unglauben nicht anhören zu lassen, doch es gelang ihm
eindeutig nicht.
»Hattet Ihr das 78ste Highlandregiment erwartet?«
fragte Fraser sarkastisch. Er stand auf und schwankte leicht, den
Arm an seine Seite gepreßt. »Ich habe Whisky mitgebracht.«
»Whisky? Hatte der etwas mit dem Kampf zu tun?«
Roger erinnerte sich an den Geruch des Mannes, der über ihn
hergefallen war, und wies kopfnickend zur Wand des
Langhauses.
»Schon möglich.«
Fraser ging zu der Wand mit dem zersplitterten
Paneel, preßte ein Auge gegen die Öffnung und starrte eine Zeitlang
auf die Lichtung hinaus, bevor er an das dahinschwindende Feuer
zurückkehrte. Draußen war es still geworden.
Der kräftige Highlander sah mehr als schlecht aus.
Sein Gesicht war weiß und unter den getrockneten Blutstreifen mit
einem Schweißfilm überzogen. Roger goß ihm schweigend noch mehr
Wasser ein; es wurde schweigend entgegengenommen. Er wußte nur zu
gut, was mit Fraser nicht stimmte, und es waren nicht die
Nachwirkungen der Wunde.
»Wann habt Ihr sie zuletzt gesehen?«
»Als der Kampf ausbrach.« Fraser konnte nicht
stillsitzen; er stellte den Becher ab und stand wieder auf. Er
durchstreifte das Innere des Langhauses wie ein ruheloser Bär, dann
blieb er stehen und sah Roger an.
»Wißt Ihr irgend etwas über das, was da geschehen
ist?«
»Ich könnte es erraten.« Er machte Fraser mit der
Geschichte des Priesters vertraut und fand einen kleinen Trost
darin, sie zu erzählen.
»Sie würden ihr nichts antun«, sagte er und
versuchte damit genauso sich selbst zu beruhigen wie Fraser. »Sie
hatte doch nichts damit zu tun.«
Fraser schnaubte verächtlich.
»Aye, das hatte sie wohl.« Ohne Vorwarnung schlug
er mit einem dumpfen Pochen der Wut seine Faust auf den Boden.
»Verdammtes Weibsbild.«
»Ihr geschieht schon nichts«, wiederholte Roger
hartnäckig. Er konnte es nicht ertragen, etwas anderes zu glauben,
doch er wußte, was Fraser genausogut wußte - wenn Claire Fraser
lebte, unverletzt und frei war, dann hätte nichts sie von ihrem
Mann fernhalten können. Und was den unbekannten Neffen
anging…
»Ich habe Euren Neffen gehört - im Kampf. Ich habe
gehört, wie er Euch gerufen hat. Er hörte sich an, als fehlte ihm
nichts.« Schon als er diese Information lieferte, wußte er, was für
eine schwache Beruhigung sie war. Doch Fraser nickte, den Kopf auf
die Knie gebeugt.
»Er ist ein guter Junge, Ian«, murmelte er. »Und er
hat Freunde unter den Mohawk. Gebe Gott, daß sie ihn
beschützen.«
Rogers Neugier kehrte zurück, als der Schock des
Abends nachzulassen begann.
»Eure Frau«, sagte er. »Was hat sie getan? Wie
konnte sie denn in all das verwickelt werden?«
Fraser seufzte. Er rubbelte sich mit der
unverletzten Hand über sein Gesicht, dann durch sein Haar und rieb,
bis die losen, roten Locken in Knoten und Schlingen
abstanden.
»Ich hätte es nicht so ausdrücken sollen«, sagte
er. »Es war nicht ihre Schuld. Es ist nur - sie werden sie nicht
umbringen, aber Gott, wenn sie ihr etwas getan haben…«
»Das tun sie nicht«, sagte Roger fest. »Was ist
passiert?«
Fraser zuckte mit den Achseln und schloß die Augen.
Er lehnte den Kopf zurück und beschrieb die Szene, als könnte er
sie immer noch sehen, eingraviert in die Innenseite seiner
Augenlider. Vielleicht war es auch so.
»Ich habe nicht auf das Mädchen geachtet, nicht in
einer solchen Menschenmenge. Ich könnte nicht einmal sagen, wie sie
ausgesehen hat. Ich habe sie erst im letzten Moment gesehen.«
Claire hatte an seiner Seite gestanden, blaß und
angespannt im Gedränge der schreienden, schwankenden Körper. Als
die Indianer mit dem Priester fast fertig waren, hatten sie ihn von
dem Pfahl losgebunden und ihn statt dessen an einen langen Balken
gebunden, der über seinen Kopf gehalten wurde und von dem sie ihn
in die Flammen herablassen wollten.
Fraser sah ihn an und wischte sich mit dem
Handrücken über die Lippen.
»Es war nicht das erste Mal, daß ich gesehen habe,
wie einem Mann das Herz bei lebendigem Leib aus der Brust gerissen
wird«, sagte er. »Aber ich habe noch nie gesehen, wie es vor seinen
Augen gegessen wird.« Er klang fast verlegen, als entschuldigte er
sich für seine Zimperlichkeit. Erschrocken hatte er Claire
angeblickt. Erst da hatte er das Indianermädchen erblickt, das mit
einer Babytrage im Arm an Claires anderer Seite stand.
Mit großer Ruhe hatte das Mädchen Claire das Baby
überreicht, sich dann abgewandt und war durch die Menge
geschlüpft.
»Sie hat nicht nach links oder rechts gesehen,
sondern ist geradewegs in das Feuer gegangen.«
»Was?« Der Schreck schnürte Roger die Kehle zu, und
sein Ausruf kam als ersticktes Krächzen heraus.
Die Flammen hatten das Mädchen in Sekunden umarmt.
Da er einen Kopf größer war als die Leute um ihn herum, hatte Jamie
alles deutlich gesehen.
»Ihre Kleider haben Feuer gefangen und dann ihre
Haare. Als sie bei ihm ankam, hat sie gebrannt wie eine Fackel.«
Dennoch hatte er die dunkle Silhouette ihrer Arme gesehen, die sie
erhoben hatte, um den entseelten Körper des Priesters zu umarmen.
Innerhalb von Sekunden war es nicht mehr möglich, Mann oder Frau zu
unterscheiden; es gab nur noch eine Gestalt, schwarz inmitten der
hochschießenden Flammen.
»Und in diesem Moment brach die Hölle los.« Frasers
breite Schultern sackten ein wenig zusammen, und er berührte den
Riß an seiner Schläfe. »Alles, was ich weiß, ist, eine Frau fing an
zu heulen, und dann gab es ein höllisches Gekreische, und ganz
plötzlich waren alle entweder auf der Flucht oder prügelten
aufeinander los.«
Er selbst hatte beides versucht, indem er Claire
und ihre Bürde abschirmte, während er sich aus dem wilden Gedränge
herausboxte. Da es unmöglich war zu entkommen, hatte er Claire
gegen die Wand eines Langhauses gedrückt, einen Holzstock zur
Verteidigung ergriffen und nach Ian gerufen, während er seine
improvisierte Keule gegen jeden schwang, der so gedankenlos war, in
seine Nähe zu kommen.
»Dann ist einer von den kleinen Teufeln aus dem
Rauch hervorgehüpft und hat mit seiner Keule auf mich
eingeschlagen.« Er zuckte mit einer Schulter. »Ich habe mich
umgedreht, um ihn abzuschütteln, und dann hatte ich drei von ihnen
am Hals.« Irgend etwas hatte ihn an der Schläfe erwischt, und er
hatte nichts mehr mitbekommen, bis er neben Roger in dem Langhaus
aufwachte.
»Seitdem habe ich Claire nicht mehr gesehen. Und
Ian auch nicht.«
Das Feuer war bis auf die Holzkohle heruntergebrannt, und es wurde
kalt in dem Langhaus. Jamie öffnete seine Brosche, zog sich das
Plaid um die Schultern, so gut er es mit einer Hand konnte, und
lehnte sich vorsichtig an die Wand zurück.
Es war möglich, daß sein rechter Arm gebrochen war;
er hatte einen Keulenhieb knapp unter der Schulter abbekommen, und
die getroffene Stelle ging ohne Vorwarnung von Taubheit in
beißenden Schmerz über. Das spielte aber keine große Rolle,
verglichen mit seiner Sorge um Claire und Ian.
Es war sehr spät. Wenn Claire bei dem Handgemenge
nicht verletzt worden war, dann war sie wohl einigermaßen in
Sicherheit, redete er sich ein. Die alte Frau würde nicht dulden,
daß sie zu Schaden kam. Doch was Ian anging - einen Augenblick lang
verspürte er trotz seiner Furcht Stolz auf den Jungen. Ian war ein
prächtiger Kämpfer, und er machte seinem Onkel, der es ihm
beigebracht hatte, alle Ehre.
Doch falls Ian überwältigt worden war… es waren so
viele Wilde gewesen, und es war bei dem Kampf so heiß
hergegangen…
Er schob sich unruhig hin und her und versuchte,
nicht darüber nachzudenken, wie er seiner Schwester mit schlechten
Nachrichten über ihren jüngsten Sohn gegenübertreten sollte.
Himmel, es wäre ihm lieber, wenn man ihm selbst das Herz aus der
Brust riß und vor seinen Augen aufaß; es würde sich in etwa genauso
anfühlen.
Auf der Suche nach Ablenkung - welcher Art auch
immer - von seinen Ängsten rutschte er wieder hin und her und
führte eine Inventur des schattigen Innenraums des Langhauses
durch. Mehr oder weniger kahl wie der Küchenschrank eines
Inselbewohners von Skye. Ein Wasserkrug, ein zerbrochenes
Bettgestell und ein paar zerzauste Felle, die zerwühlt auf dem
Erdboden lagen.
MacKenzie saß vornübergebeugt am Feuer, ohne sich
um die zunehmende Kälte zu kümmern. Er hatte die Arme um die Knie
geschlungen und den Kopf in Gedanken gesenkt. Er war so
hochgewachsen wie die MacKenzies aus Leoch - und warum auch nicht?
dachte er plötzlich. Der Mann stammte von Dougal ab, wenn auch ein
paar Generationen dazwischenlagen.
Er fand diesen Gedanken verstörend und seltsam
beruhigend zugleich. Er hatte schon öfter Männer getötet, wenn es
sein mußte, und im allgemeinen ließen ihre Geister ihn nachts ohne
großes Knochengeklapper schlafen. Doch Dougals Tod hatte er mehr
als einmal durchlebt, um dann schweißnaß aufzuwachen, den Klang
jener letzten, stummen Worte von ihm in den Ohren; Worte, die aus
Blut geformt waren.
Er hatte nicht die geringste Wahl gehabt; es galt
zu töten oder getötet zu werden, und es war so oder so knapp genug
gewesen. Und doch… Dougal MacKenzie war sein Ziehvater gewesen, und
wenn er ehrlich war, hatte ein Teil von ihm den Mann geliebt.
Ja, es war ein Trost zu wissen, daß ein kleines
Stück von Dougal geblieben war. Der andere Erbteil dieses MacKenzie
war ein bißchen beunruhigender. Die Augen des Mannes waren das
erste gewesen, was er beim Aufwachen gesehen hatte, leuchtendgrün
und gebannt, und einen Augenblick lang hatte sich sein Inneres
zusammengeballt, weil er an Geillis Duncan dachte.
Wollte er wirklich seine Tochter mit dem Sprößling
einer Hexe verbunden sehen? Er betrachtete den Mann unauffällig.
Vielleicht war es gar nicht so schlimm, wenn Briannas Kind nicht
von diesem Mann abstammte.
»Brianna«, sagte MacKenzie und hob plötzlich den
Kopf von seinen Knien. »Wo ist sie?«
Jamie fuhr zusammen, und eine glühende Messerklinge
versengte ihm den Arm und ließ ihm den Schweiß ausbrechen.
»Wo?« sagte er. »Auf River Run, bei ihrer Tante.
Sie ist in Sicherheit.« Sein Herzschlag donnerte ihm in den Ohren.
Himmel, konnte der Mann Gedanken lesen? Oder hatte er das zweite
Gesicht?
Die grünen Augen waren ruhig, dunkel im gedämpften
Licht.
»Warum habt Ihr Claire mitgebracht und nicht
Brianna? Warum ist sie nicht mit Euch gekommen?«
Jamie erwiderte den kühlen Blick des Mannes. Sie
würden ja sehen, ob hier jemand Gedanken las oder nicht. Wenn
nicht, dann war die Wahrheit das allerletzte, was er MacKenzie
jetzt zu erzählen gedachte; Zeit genug war dafür, wenn - falls -
sie gefahrlos unterwegs waren.
»Ich hätte Claire auch dagelassen, wenn ich
geglaubt hätte, daß das ging. Sie ist ein hartnäckiges, kleines
Biest. Ich hätte sie nur am Mitkommen hindern können, wenn ich sie
an Händen und Füßen gefesselt hätte.«
Etwas Dunkles flackerte in MacKenzies Augen auf -
Zweifel, oder Schmerz?
»Ich hätte nicht gedacht, daß Brianna die Sorte
Mädchen ist, die allzuviel auf die Worte ihres Vaters gibt«, sagte
er. Seine Stimme hatte einen Unterton - ja, Schmerz, und eine Art
Eifersucht.
Jamie entspannte sich etwas. Keine
Gedankenleserei.
»Ach ja? Tja, vielleicht kennt Ihr sie ja doch
nicht so gut«, sagte er. Freundlich genug, doch mit einem
höhnischen Unterton, der eine gewisse Sorte Mann dazu bringen
würde, ihm an die Kehle zu gehen.
MacKenzie war nicht von dieser Sorte. Er setzte
sich gerade hin und holte tief Luft.
»Ich kenne sie gut«, sagte er. »Sie ist meine
Frau.«
Jamie setzte sich ebenfalls gerade hin und biß die
Zähne mit einem schmerzerfüllten Zischen zusammen.
»Das ist nicht wahr.«
Jetzt zogen sich MacKenzies schwarze Brauen
zusammen.
»Wir sind durch Handfasting getraut, sie und
ich. Hat sie Euch das nicht erzählt?«
Das hatte sie nicht - doch er hatte ihr auch kaum
eine Gelegenheit gegeben, es ihm zu erzählen. Zu wütend über die
Vorstellung, daß sie bereit war, mit einem Mann ins Bett zu gehen,
zu tief getroffen, weil er glaubte, sie hätte ihn zum Narren
gemacht, stolz wie Luzifer und mit Höllenqualen dafür gestraft, daß
er sie sich perfekt wünschte und feststellte, daß sie nur genauso
menschlich war wie er selbst.
»Wann?« fragte Jamie.
»Anfang September, in Wilmington. Als ich - kurz
bevor ich mich von ihr getrennt habe.« Das Eingeständnis kam
unfreiwillig, und durch den schwarzen Schleier seiner eigenen
Schuld hindurch sah er, wie sich auch in MacKenzies Gesicht die
Schuld widerspiegelte. Genauso verdient wie seine eigene, dachte er
wütend. Wenn der Feigling sie nicht alleingelassen hätte…
»Das hat sie mir nicht erzählt.«
Jetzt sah er den Zweifel und den Schmerz in
MacKenzies Augen ganz deutlich. Der Mann hatte Angst, daß Brianna
ihn nicht wollte - oder daß sie mitgekommen wäre, wenn sie ihn
wollte. Er wußte sehr gut, daß keine Macht auf der Erde oder unter
ihr Claire von ihm fernhalten konnte, wenn sie glaubte, daß
er in Gefahr war - und er spürte, wie ihn bei diesem Gedanken
erneut die Furcht durchfuhr; wo war sie nur?
»Ich nehme an, sie hat wohl nicht geglaubt, daß Ihr
Handfasting als eine legale Form der Eheschließung anseht«,
sagte MacKenzie ruhig.
»Oder vielleicht hat sie es selbst nicht so
gesehen«, spekulierte Jamie grausam. Er hätte dem Mann
Erleichterung verschaffen können, indem er ihm einen Teil der
Wahrheit erzählte - daß Brianna nicht mitgekommen war, weil sie ein
Kind bekam - doch er war nicht in Gönnerlaune.
Es wurde jetzt ziemlich dunkel, doch er konnte
trotzdem sehen, wie MacKenzies Gesicht bei diesen Worten rot wurde
und wie seine Hände sich um das zerlumpte Hirschfell ballten.
»Ich habe es so gesehen«, war alles, was er
sagte.
Jamie schloß die Augen und sagte nichts mehr. Die
letzten Kohlen erloschen langsam im Feuer und ließen sie in der
Dunkelheit zurück.