66
Ein Kind von meinem Fleisch und Blut
Es hatte sich schon wieder ein unternehmungslustiges Kaninchen unter den Zaunpfählen meines Gartens durchgegraben. Ein einziges hungriges Kaninchen konnte einen Kohlkopf bis auf die Wurzeln vertilgen, und so, wie es aussah, hatte dieses hier seine Freunde mitgebracht. Ich seufzte und hockte mich hin, um den Schaden zu beheben, indem ich Steine und Erde in das Loch zurückstopfte. Ians Verlust schmerzte mich ständig; doch in Augenblicken wie diesem vermißte ich auch seinen gräßlichen Hund.
Ich hatte eine große Ansammlung von Stecklingen und Samen aus River Run mitgebracht, und das meiste davon hatte die Reise überlebt. Es war Mitte Juni, immer noch - gerade eben - Zeit, um eine neue Möhrenernte anzusetzen. Das kleine Kartoffelbeet war in Ordnung und die Erdnußbüsche ebenfalls; die Kaninchen rührten sie nicht an, und sie hatten auch keine Lust auf die aromatischen Kräuter, bis auf den Fenchel, den sie wie Lakritz vernaschten.
Doch ich wollte aus den Kohlköpfen Sauerkraut machen; wir würden auch mitten im Winter noch etwas essen wollen, das einigermaßen schmeckte und Vitamin C enthielt. Ich hatte noch genug Samen übrig, um einen anständigen Ertrag erzielen zu können, wenn es mir gelang, die verdammten Kaninchen fernzuhalten. Ich trommelte mit den Fingern auf meinem Korb herum und dachte nach. Die Indianer verstreuten Haarbüschel an den Rändern ihrer Felder, doch das war eher zum Schutz gegen das Rotwild als gegen Kaninchen.
Jamie war das beste Abwehrmittel, beschloß ich. Nayawenne hatte mir erzählt, daß der Geruch des Urins von Fleischfressern Kaninchen fernhielt - und ein Mann, der Fleisch aß, war fast so gut wie ein Berglöwe, ganz zu schweigen davon, daß er zahmer war. Ja, das würde funktionieren; er hatte erst vor zwei Tagen einen Hirsch geschossen; der war noch nicht ganz abgehangen. Am besten braute ich noch einen frischen Eimer Sprossenbier zu unserem Wildbret…
Als ich zum Kräuterschuppen ging, um nachzusehen, ob ich noch Passionsfrüchte zur Aromatisierung hatte, fing mein Blick eine Bewegung am anderen Ende der Lichtung auf. In der Annahme, daß es Jamie war, drehte ich mich um, um ihn von seiner neuen Aufgabe in Kenntnis zu setzen, und erstarrte, als ich sah, wer es war.
Er sah schlimmer aus als beim letzten Mal, als ich ihn gesehen hatte, und das wollte einiges heißen. Er trug keinen Hut; Haare und Bart waren ein glänzender Wirrwarr, und seine Kleider hingen ihm in Fetzen am Leib. Er war barfuß, hatte den einen Fuß in ein Bündel schmutziger Lumpen gewickelt und hinkte stark.
Er sah mich sofort und blieb stehen, während ich zu ihm ging.
»Ich bin froh, daß du es bist«, sagte er. »Ich hatte mich schon gefragt, wem ich wohl zuerst begegnen würde.« Seine Stimme klang leise und eingerostet, und ich fragte mich, ob er mit einer einzigen Menschenseele gesprochen hatte, seit wir uns im Gebirge von ihm getrennt hatten.
»Dein Fuß, Roger -«
»Spielt keine Rolle.« Er packte mich am Arm. »Geht es ihnen gut? Dem Baby? Und Brianna?«
»Alles in Ordnung. Sie sind alle im Haus.« Sein Kopf wandte sich zum Blockhaus, und ich fügte hinzu: »Du hast einen Sohn.«
Er fuhr scharf zu mir herum, die grünen Augen vor Überraschung aufgerissen.
»Es ist von mir? Ich habe einen Sohn?«
»Ich nehme es an«, sagte ich. »Du bist doch hier, oder?« Sein Ausdruck der Überraschung - und Hoffnung, erkannte ich - verblaßte langsam. Er sah mir in die Augen und schien zu spüren, was ich empfand, denn er lächelte - nicht ohne Schwierigkeiten, nur das krampfhafte Anheben seines Mundwinkels -, doch er lächelte.
»Ich bin hier«, sagte er und wandte sich dem Blockhaus und der offenen Tür zu.
Jamie saß mit aufgerollten Hemdsärmeln am Tisch, Schulter an Schulter mit Brianna, und blickte stirnrunzelnd auf eine Reihe von Zeichnungen des Hauses, auf die sie mit dem Federkiel zeigte. Sie waren beide ausgiebig mit Tinte bedeckt, da sie zu großer Begeisterung neigten, wenn sie über Architektur diskutierten. Das Baby schnarchte friedlich in seiner Wiege vor sich hin; Brianna schaukelte sie geistesabwesend mit dem Fuß. Lizzie spann am Fenster und summte leise vor sich hin, während sich das große Rad drehte.
»Sehr idyllisch«, murmelte Roger und blieb im Eingang stehen. »Kommt mir wie eine Schande vor, sie zu stören.«
»Hast du eine andere Wahl?« sagte ich.
»Aye, das habe ich«, erwiderte er. »Aber ich habe sie bereits getroffen.« Er ging zielsicher auf die offene Tür zu und trat ein.
Jamie reagierte auf der Stelle auf diese unerwartete Verdunkelung seiner Eingangstür; er schob Brianna von der Bank und griff nach den Pistolen an der Wand. Eine davon hatte er schon auf Rogers Brust gerichtet, als er endlich erkannte, wem er sich gegenübersah, und sie mit einem leisen Ausruf des Ekels sinken ließ.
»Oh, Ihr seid’s«, sagte er.
Das Baby, das vom Krachen der umstürzenden Bank brutal geweckt worden war, kreischte wie ein Feuerwehrauto. Brianna hob es aus der Wiege und hielt es vor ihre Brust, während sie die Erscheinung an der Tür mit wilden Blicken ansah.
Ich hatte vergessen, daß es ihr im Gegensatz zu mir nicht vergönnt gewesen war, ihn noch vor kurzem zu sehen; er mußte völlig anders aussehen als der junge Geschichtsprofessor, der sie vor fast einem Jahr in Wilmington zurückgelassen hatte.
Roger trat einen Schritt auf sie zu, sie wich einen Schritt zurück. Er blieb ganz still stehen und sah das Kind an. Sie setzte sich auf den Stuhl, den sie zum Stillen benutzte, nestelte an ihrem Mieder herum und beugte sich schützend über das Baby. Sie zog sich ein Dreieckstuch um die Schulter und gab ihm in seinem Schutz die Brust. Er hörte sofort auf zu quäken.
Ich sah, wie Rogers Blick von dem Baby zu Jamie wechselte. Jamie stand neben Brianna, auf jene völlig stille Art, die mir solche Angst einjagte - aufrecht und lautlos wie eine Dynamitstange, von deren Lunte ein brennendes Streichholz nur um Haaresbreite entfernt war.
Briannas Kopf bewegte sich sacht und blickte von einem der Männer zum anderen, und da sah ich, was sie sah; wie sich Jamies gefährliche Ruhe in Roger widerspiegelte. Es kam unerwartet und erschreckend zugleich; bis jetzt hatte ich keinerlei Ähnlichkeiten zwischen den beiden gesehen - und doch hätten sie im Moment Tageslicht und Dunkelheit sein können, Bilder von Feuer und Nacht, der eine ein Spiegelbild des anderen.
MacKenzie, dachte ich plötzlich. Wikingerbestien, blutrünstig und stark. Und ich sah das dritte Echo jenes glühenden Erbes in Briannas Gesicht aufflammen, das einzig Lebendige in ihrem Gesicht.
Ich hätte etwas sagen, etwas tun sollen, um das entsetzliche Schweigen zu brechen. Doch mein Mund war trocken, und es gab sowieso nichts, was ich hätte sagen können.
Roger hielt Jamie die Hand hin, die Handfläche nach oben gedreht, und es lag nichts Flehendes in seiner Geste.
»Ich kann mir nicht vorstellen, daß es für Euch angenehmer ist als für mich«, sagte er mit seiner rostigen Stimme, »aber Ihr seid mein nächster Verwandter. Schneidet mich. Ich bin gekommen, um einen Eid auf unser gemeinsames Blut zu schwören.«
Ich könnte nicht sagen, ob Jamie zögerte oder nicht; die Zeit schien stehengeblieben, die Luft im Zimmer um uns kristallisiert zu sein. Dann sah ich zu, wie Jamies Dolch die Luft durchschnitt, wie sich seine geschliffene Schneide rasch über das dünne, sonnengebräunte Handgelenk zog und eine plötzliche, rote Blutspur aufquellen ließ.
Zu meiner Überraschung blickte Roger nicht auf Brianna und griff auch nicht nach ihrer Hand. Statt dessen wischte er mit dem Daumen über sein blutendes Handgelenk und trat neben sie, den Blick auf das Baby gerichtet. Sie wich instinktiv zurück, doch Jamies Hand senkte sich auf ihre Schulter.
Sie wurde sofort ruhig unter dem Gewicht der Hand, die ihr gleichzeitig Einhalt gebot und Schutz versprach, doch sie hielt das Kind fest und wiegte es an ihrer Brust. Roger kniete vor ihr nieder, streckte die Hand aus und schob das Schultertuch zur Seite. Er schmierte ein breites, rotes Kreuz auf die runde, flaumige Stirn des Babys.
»Du bist Blut von meinem Blut«, sagte er leise, »und Fleisch von meinem Fleisch. Ich beanspruche dich als meinen Sohn vor aller Welt, von heute an für alle Zeit.« Er blickte herausfordernd zu Jamie auf. Nach einem langen Augenblick nickte Jamie leicht zur Bestätigung, dann trat er zurück und ließ seine Hand von Briannas Schulter fallen.
Rogers Blick wanderte zu Brianna.
»Wie heißt er?«
»Er hat keinen Namen - noch nicht.« Ihr Blick ruhte fragend auf ihm. Es war nur zu deutlich, daß der Mann, der zu ihr zurückgekehrt war, nicht der Mann war, der sie zurückgelassen hatte.
Roger behielt sie ständig im Blick. Von seinem Handgelenk tropfte immer noch Blut. Leicht erschrocken realisierte ich, daß sie ihm genauso verändert vorkommen mußte wie er ihr.
»Er ist mein Sohn», sagte Roger leise und nickte dem Baby zu. »Bist du meine Frau?«
Briannas Lippen waren bleich geworden.
»Ich weiß es nicht.«
»Dieser Mann sagt, ihr seid per Handschlag verheiratet.« Jamie trat einen Schritt auf sie zu und beobachtete Roger dabei. »Ist das wahr?«
»Wir - wir waren es.«
»Wir sind es immer noch«, sagte er, und ich merkte plötzlich, daß er im Begriff war umzufallen, vor Hunger, Erschöpfung oder durch den Schock der Schnittwunde. Ich nahm seinen Arm, ließ ihn niedersitzen, schickte Lizzie in die Milchkammer, um Milch zu holen und ergriff meinen kleinen Verbandskasten, um ihm das Handgelenk zu verbinden.
Dieser kurze Rückfall in normale Geschäftigkeit schien die Spannung ein wenig zu lösen. Um in dieser Richtung weiter nachzuhelfen, öffnete ich eine Flasche Brandy aus River Run, goß Jamie einen Becher ein und fügte Rogers Milch einen guten Schuß hinzu. Jamie warf mir einen sarkastischen Blick zu, lehnte sich aber auf der wieder aufgestellten Bank zurück und trank schlückchenweise.
»Na schön«, sagte er, um die Versammlung zur Ordnung zu rufen. »Wenn ihr euch per Handschlag die Ehe versprochen habt, Brianna, dann seid ihr verheiratet und dieser Mann ist dein Ehemann.«
Brianna errötete, doch sie sah Roger an, nicht Jamie.
»Du hast gesagt, Handfasting gilt ein Jahr und einen Tag.«
»Und du hast gesagt, du willst nichts Kurzfristiges.«
Sie zuckte bei diesen Worten zusammen, preßte dann aber die Lippen fest zusammen.
»Das wollte ich auch nicht. Aber ich habe nicht gewußt, was passieren würde.« Sie sah mich und Jamie an, dann wieder Roger. »Sie haben dir gesagt - daß das Baby nicht von dir ist?«
Roger zog die Augenbrauen hoch.
»Oh, aber er gehört zu mir. Mm?« Er hob zur Illustration sein Handgelenk. Briannas Gesicht hatte sein durchfrorenes Aussehen verloren; sie errötete zusehends.
»Du weißt genau, was ich meine.«
Er sah ihr direkt in die Augen.
»Ich weiß, was du meinst«, sagte er leise. »Es tut mir leid.«
»Es war nicht deine Schuld.«
Roger blickte Jamie an.
»Aye, das war es«, sagte er ruhig. »Ich hätte bei dir bleiben sollen; dich in Sicherheit bringen sollen.«
Brianna zog die Augenbrauen zusammen.
»Ich habe dir gesagt, du solltest gehen, und ich habe es ernst gemeint.« Sie zuckte ungeduldig mit den Schultern. »Aber das spielt jetzt keine Rolle.« Sie umfaßte das Baby fester und setzte sich gerade hin.
»Ich will nur eins wissen«, sagte sie, und ihre Stimme zitterte ein ganz kleines bißchen. »Ich will wissen, warum du zurückgekommen bist.«
Er stellte bedächtig seinen leeren Becher hin.
»Wolltest du nicht, daß ich zurückkomme?«
»Kümmere dich nicht darum, was ich wollte. Jetzt will ich es wissen. Bist du zurückgekommen, weil du es wolltest - oder weil du geglaubt hast, du solltest es?«
Er blickte sie einen endlosen Augenblick an und sah dann auf seine Hände hinab, die immer noch seinen Becher umklammerten.
»Vielleicht beides. Vielleicht keins von beidem. Ich weiß es nicht«, sagte er sehr leise. »Das ist die Wahrheit, bei Gott; ich weiß es nicht.«
»Bist du bei dem Steinkreis gewesen?« fragte sie. Er nickte, ohne sie anzusehen. Er grub in seiner Tasche herum und legte den großen Opal auf den Tisch.
»Ich bin dagewesen. Deshalb komme ich so spät; ich habe lange gebraucht, um ihn zu finden.«
Sie schwieg einen Moment, dann nickte sie.
»Du bist nicht zurückgegangen. Aber du kannst es. Vielleicht solltest du es tun.« Sie sah ihn direkt an, ihr Ausdruck das Abbild von Jamies Gesicht.
»Ich will nicht mit dir zusammenleben, wenn du aus Pflichtgefühl zurückgekommen bist«, sagte sie. Dann sah sie mich an, und ihr Blick war sanft vor Schmerz. »Ich kenne eine Ehe, die nur aus Pflichtgefühl Bestand hatte - und ich kenne eine, die aus Liebe gemacht ist. Wenn ich nicht -« Sie hielt inne und schluckte, dann sprach sie weiter und sah Roger an. »Wenn ich nicht wüßte, wie beides aussieht, dann hätte ich mit dem Pflichtgefühl leben können. Aber ich kenne beides - und ich will es nicht.«
Ich fühlte mich, als hätte mir jemand vor das Brustbein geboxt. Sie meinte meine Ehen. Ich sah mich nach Jamie um und stellte fest, daß er mich mit demselben Ausdruck ansah, von dem ich wußte, daß auch mein Gesicht ihn trug. Er hustete, um das Schweigen zu brechen, räusperte sich und wandte sich an Roger.
»Wann war das Handfasting
»Am zweiten September«, antwortete Roger prompt.
»Und jetzt haben wir Mitte Juni.« Jamie blickte stirnrunzelnd von Roger zu Brianna.
»Tja, mo nighean, wenn du diesem Mann per Handschlag versprochen bist, dann bist du an ihn gebunden, da gibt es keine Frage.« Er wandte sich um und warf Roger einen dunkelblauen Blick zu. »Also werdet Ihr hier wohnen, als ihr Ehemann. Und am dritten September wird sie entscheiden, ob sie Euch vor einem Priester getreu der Bibel heiraten will - oder ob Ihr geht und sie in Frieden laßt. So lange habt Ihr Zeit zu entscheiden, warum Ihr hier seid - und sie davon zu überzeugen.«
Roger und Brianna hatten beide zum Sprechen angesetzt, um zu protestieren, doch er bremste sie, indem er den Dolch ergriff, den er auf dem Tisch liegengelassen hatte. Er senkte die Klinge sacht, bis sie den Stoff über Rogers Brust berührte.
»Ihr werdet hier als ihr Ehemann leben. Aber wenn Ihr sie gegen ihren Willen anrührt, dann schneide ich Euch das Herz heraus und verfüttere es an die Schweine. Versteht Ihr mich?«
Roger starrte einen Augenblick auf die glänzende Klinge hinab, ohne daß ein Ausdruck unter seinem dichten Bart sichtbar gewesen wäre, dann hob er den Kopf, um Jamies Blick zu erwidern.
»Ihr glaubt, ich würde eine Frau behelligen, die mich nicht will?«
Eine ziemlich dumme Frage, hatte Jamie ihn doch exakt in dieser irrigen Annahme zu Brei geschlagen. Roger bedeckte Jamies Hand mit der seinen und stieß den Dolch mit der Spitze in den Tisch. Er schob abrupt seinen Stuhl nach hinten, machte auf dem Absatz kehrt und ging hinaus.
Jamie stand ebenso schnell auf, ging ihm hinterher und steckte im Gehen den Dolch in die Scheide.
Brianna sah mich hilflos an.
»Was meinst du, was er -»
Sie wurde durch ein lautes Krachen und ein ebenso lautes Grunzen unterbrochen, als ein schwerer Körper die Außenwand traf.
»Wenn Ihr sie schlecht behandelt, reiße ich Euch die Eier ab und stopfe sie Euch in den Hals«, sagte Jamies Stimme leise auf Gälisch.
Ich sah Brianna an, und sah, daß sie genügend Gälisch beherrschte, um den Sinn dieser Worte zu verstehen. Ihr Mund öffnete sich, doch sie bekam kein Wort heraus.
Draußen erklangen die Geräusche eines raschen Handgemenges, das mit einem noch lauteren Krachen endete, als schlüge ein Kopf gegen die Balken.
Roger besaß nicht Jamies Ausstrahlung stiller Bedrohlichkeit, doch in seiner Stimme hallte Aufrichtigkeit wider. »Faß mich noch einmal an, du verdammtes Schwein, und ich stopfe dir den Kopf in den Hintern zurück, da, wo er hergekommen ist!«
Einen Moment lang herrschte Schweigen, dann erklang das Geräusch sich entfernender Schritte. Einen Augenblick später machte Jamie tief in seiner Kehle ein schottisches Geräusch und entfernte sich ebenfalls.
Briannas Augen waren weit geöffnet, als sie mich ansah.
»Testosteronvergiftung«, sagte ich achselzuckend.
»Gibt es ein Gegenmittel?»fragte sie. Ihr Mundwinkel zuckte, obwohl ich nicht sagen konnte, ob vor Lachen oder drohender Hysterie.
Ich schob eine Hand durch mein Haar und überlegte.
»Tja«, sagte ich schließlich, »es gibt nur zwei Dinge, die sie in so einer Lage tun, und das eine ist, daß sie versuchen werden, sich gegenseitig umzubringen.«
Brianna rieb sich die Nase.
»A-ha«, sagte sie. »Und das andere…« Unsere Blicke trafen sich in perfektem Einvernehmen.
»Ich kümmere mich um deinen Vater«, sagte ich. »Aber Roger ist deine Sache.«
 
Das Leben auf dem Berg verlief ein wenig angespannt, da sich Brianna und Roger wie eine in die Falle gegangene Häsin und ein in die Enge getriebener Dachs verhielten. Jamie hielt Roger beim Essen mit brütenden Blicken voll gälischer Mißachtung fixiert, während Lizzie sich selbst darin übertraf, sich bei allen Anwesenden zu entschuldigen, und das Baby sich entschloß, daß die Zeit reif war für nächtliche Koliken mit Brüllattacken.
Es waren wahrscheinlich diese Koliken, die Jamie zu hektischen Aktivitäten an dem neuen Haus antrieben. Fergus und einige der Pächter waren so zuvorkommend gewesen, eine kleine Ernte für uns anzubauen, so daß wir zumindest zu essen haben würden, wenn wir auch in diesem Jahr keinen Mais verkaufen konnten. Befreit von der Notwendigkeit, sich um eine große Anbaufläche zu kümmern, verbrachte Jamie statt dessen jeden freien Augenblick hämmernd und sägend auf dem Bergkamm.
Roger assistierte nach Kräften bei den anderen Arbeiten auf dem Hof, obwohl sein Fuß ihn behinderte. Er hatte schon mehrfach meine Versuche abgewiesen, ihn zu behandeln, doch jetzt weigerte ich mich, mich noch länger vertrösten zu lassen. Ein paar Tage nach seiner Ankunft war ich mit meinen Vorbereitungen fertig und informierte ihn bestimmt, daß ich die Absicht hatte, mich am nächsten Morgen als erstes mit ihm zu befassen.
Als es soweit war, bat ich ihn, sich hinzulegen, und wickelte den Fuß aus den Lumpen aus. Der süßlich-gammelige Geruch einer fortgeschrittenen Infektion kitzelte mich in der Nase, doch ich dankte Gott dafür, daß ich weder die roten Streifen einer Blutvergiftung noch die schwarze Verfärbung drohenden Wundbrandes sah. Es war auch so schlimm genug.
»Du hast ein paar chronische Abszesse tief im Gewebe«, sagte ich und drückte prüfend mit dem Daumen zu. Ich konnte spüren, wie die matschigen Eitereinschlüsse nachgaben, und als ich fester zudrückte, brachen die halb verheilten Wunden auf, und ein widerlicher, gelbgrauer Schleim sickerte aus einem entzündeten Riß am Rande der Fußsohle.
Roger erbleichte unter seiner Sonnenbräune, und seine Hände umklammerten den hölzernen Bettrahmen, doch er gab keinen Ton von sich.
»Du hast Glück«, sagte ich, während ich seinen Fuß weiter hin-und herbewegte, und die kleinen Gelenke des vorderen Mittelfußes beugte. »Du hast die Abszesse beim Herumlaufen immer wieder aufgebrochen und sie teilweise drainiert. Sie bilden sich natürlich immer wieder neu, aber die Bewegung hat verhindert, daß die Infektion in die Tiefe wandert, und sie hat deinen Fuß flexibel gehalten.«
»Oh, gut«, sagte er schwach.
»Brianna, du mußt mir helfen«, sagte ich und drehte mich beiläufig zum anderen Ende des Zimmers um, wo die beiden Mädchen saßen und sich mit Baby und Spinnrad abwechselten.
»Ich könnte es tun; laßt es mich machen.« Begierig zu helfen sprang Lizzie auf. Sie hatte Gewissensbisse wegen der Rolle, die sie bei Rogers Leidensweg gespielt hatte, und sie hatte auf jede erdenkliche Weise versucht, Abbitte zu leisten, indem sie ihm ständig etwas zu essen brachte, ihm anbot, seine Kleider zu flicken und ihn ganz allgemein mit ihren Äußerungen der Reue zum Wahnsinn trieb.
Ich lächelte sie an.
»Ja, du kannst uns helfen. Nimm das Baby, so daß Brianna hierherkommen kann. Warum gehst du nicht mit ihm nach draußen, damit er etwas frische Luft bekommt?«
Mit einem skeptischen Blick tat Lizzie, was ich gesagt hatte, nahm Klein Gizmo in die Arme und murmelte ihm beim Hinausgehen Liebkosungen zu. Brianna stellte sich neben mich, wobei sie Rogers Blick sorgfältig auswich…
»Ich werde das hier offenlegen und es drainieren, so gut ich kann«, sagte ich und zeigte auf den langen, schwarzverkrusteten Spalt. »Dann müssen wir ein Débridement durchführen, es desinfizieren und das Beste hoffen.«
»Und was genau bedeutet Débridement?« fragte Roger. Ich ließ seinen Fuß los, und sein Körper entspannte sich ein wenig.
»Die Reinigung einer Wunde durch die chirurgische oder nichtchirurgische Entfernung toten Gewebes oder Knochenmaterials«, sagte ich. Ich berührte seinen Fuß. »Glücklicherweise glaube ich nicht, daß der Knochen befallen ist, obwohl das Bindegewebe im Mittelfuß vielleicht beschädigt ist. Mach dir keine Sorgen«, sagte ich und klopfte ihm auf das Bein. »Das Débridement wird nicht wehtun.«
»Nicht?«
»Nein. Es sind die Drainage und die Desinfektion, die wehtun werden.« Ich blickte zu Brianna hoch. »Halt seine Hände fest, bitte.«
Sie zögerte nur eine Sekunde, dann ging sie zum Kopfende der Couch und hielt ihm ihre Hände hin. Er ergriff sie und sah sie an. Es war das erste Mal, daß sie sich seit fast einem Jahr berührt hatten.
»Festhalten«, sagte ich. »Jetzt kommt der gemeine Teil.«
Ich sah nicht auf, sondern arbeitete rasch, öffnete die halb verheilten Wunden ordentlich mit einem Skalpell und quetschte so viel Eiter und tote Masse heraus, wie ich konnte. Ich spürte, wie seine Beinmuskeln vor Anspannung zitterten und sein Körper sich leicht aufbäumte, vom Schmerz angehoben und gekrümmt, doch er sagte kein Wort.
»Willst du etwas zum Draufbeißen, Roger?« fragte ich, während ich meine Flasche mit der Wasser-Alkohol-Lösung zur Irrigation hervorholte. »Das wird jetzt etwas stechen.«
Er antwortete nicht. Brianna tat es.
»Er kommt schon klar«, sagte sie ruhig. »Mach weiter.«
Er machte ein ersticktes Geräusch, als ich begann, die Wunden auszuwaschen, und wälzte sich mit krampfendem Bein halb auf die Seite. Ich hielt seinen Fuß weiter fest und beendete so schnell wie möglich meine Arbeit. Als ich losließ und die Flasche wieder verkorkte, warf ich einen Blick auf das Kopfende der Liege. Sie saß auf dem Bett, die Arme fest um seine Schultern geschlossen. Sein Gesicht war in ihrem Schoß vergraben, seine Arme um ihre Taille gelegt. Ihr Gesicht war weiß, doch sie lächelte mich etwas mitgenommen an.
»Ist es vorbei?«
»Der schlimme Teil, ja. Nur noch ein bißchen«, versicherte ich ihnen. Ich hatte meine Vorbereitungen zwei Tage zuvor getroffen, zu dieser Jahreszeit war das nicht schwierig. Ich ging hinaus zum Räucherschuppen. Der Hirschkadaver hing im Halbdunkel und badete in schützenden Wolken aus duftendem Hickoryrauch. Doch ich hatte es auf weniger gründlich konserviertes Fleisch abgesehen.
»Igitt!« Brianna zog die Nase kraus, als ich hereinkam. »Was ist das denn? Es riecht wie verfaultes Fleisch.«
»Das ist es auch.« Teile der Überreste eines in einer Schlinge erlegten Kaninchens, um genau zu sein, am Gartenrand aufgesammelt und ausgelegt, um Besucher anzulocken.
Sie hielt immer noch seine Hände fest. Ich lächelte vor mich hin und nahm wieder meinen Platz ein, hob den verwundeten Fuß auf und griff nach meiner Zange mit den langen Enden.
»Mama! Was machst du da?«
»Es tut nicht weh«, sagte ich. Ich drückte sacht auf den Fuß und zog einen meiner chirurgischen Schnitte auseinander. Ich pickte eine der kleinen, weißen Maden aus den stinkenden Kaninchenresten und schob sie zielsicher in den klaffenden Spalt.
Rogers Augen waren geschlossen gewesen, seine Stirn mit einem Schweißfilm überzogen.
»Was?« sagte er, während er den Kopf hob, über seine Schulter linste und versuchte zu sehen, was ich tat. »Was machst du?«
»Ich stecke Maden in die Wunden«, sagte ich, auf meine Arbeit konzentriert. »Das habe ich von einer alten Indianerin gelernt, die ich einmal gekannt habe.«
Am Kopfende erklangen Doppellaute des Schocks und der Übelkeit, doch ich behielt seinen Fuß fest im Griff und fuhr fort.
»Es funktioniert«, sagte ich und runzelte leicht die Stirn, während ich den nächsten Einschnitt öffnete und drei der zappelnden, weißen Larven darin deponierte. »Viel besser als die üblichen Methoden des Débridements; dazu müßte ich deinen Fuß viel extensiver öffnen und von Hand so viel totes Gewebe herauskratzen, wie ich erreichen könnte - was nicht nur teuflisch wehtun, sondern dich sehr wahrscheinlich auch dauerhaft verkrüppeln würde. Aber unsere kleinen Freunde hier fressen abgestorbenes Gewebe; sie kommen an die kleinsten Lücken, die ich niemals erreichen könnte, und machen ihre Arbeit schön gründlich.«
»Unsere Freunde, die Maden«, brummte Brianna. »Also, Mama!«
»Und was genau wird sie davon abhalten, mein ganzes Bein zu fressen?« fragte Roger, dessen Bemühen um Gelassenheit durch und durch mißlang. »Sie… äh… sie breiten sich doch aus, oder?«
»Oh, nein«, versicherte ich ihm gutgelaunt. »Maden sind Larven; sie vermehren sich nicht. Sie fressen auch kein lebendes Gewebe - nur das eklige, abgestorbene Zeug. Wenn es genug davon gibt, um sie bis zum Verpuppungsstadium zu ernähren, dann entwickeln sie sich zu winzigen Fliegen und fliegen weg - wenn nicht, wenn ihre Nahrung erschöpft ist, dann kriechen sie einfach heraus und suchen sich etwas Neues.«
Ihre beiden Gesichter waren jetzt hellgrün. Da ich mit der Arbeit fertig war, umwickelte ich den Fuß mit losen Gazebandagen und klopfte Roger auf das Bein.
»Na bitte«, sagte ich. »Keine Sorge, ich sehe das nicht zum ersten Mal. Ein Krieger hat mir erzählt, daß es ein bißchen kitzelt, wenn sie an dir knabbern, daß es aber überhaupt nicht wehtut.«
Ich hob die Untertasse auf und trug sie hinaus, um sie zu spülen. Als ich aus dem Eingang bog, traf ich Jamie, der von unserem neuen Haus herunterkam und Ruaidh auf dem Arm hatte.
»Da ist Oma«, informierte er das Baby, nahm seinen Daumen aus Ruaidhs Mund und wischte sich den Speichel an der Seite seines Kilts ab. »Ist sie nicht großartig?«
»Gleh«, sagte Ruaidh, während er leicht schielend auf den Hemdknopf seines Großvaters blickte und nachdenklich darauf herumzukauen begann.
»Paß auf, daß er den nicht verschluckt«, sagte ich, stellte mich auf die Zehenspitzen und küßte zuerst Jamie, dann das Baby. »Wo ist Lizzie?«
»Sie hat auf einem Baumstumpf gesessen und geschluchzt, als ich sie gefunden habe«, sagte er. »Also habe ich ihr den Jungen abgenommen und sie fortgeschickt, damit sie ein bißchen allein sein kann.«
»Sie hat geweint? Was war denn los?«
Ein kleiner Schatten wanderte über Jamies Gesicht.
»Ich nehme an, sie trauert um Ian, oder?« Er vergaß ihre und seine Trauer, ergriff meinen Arm und wandte sich wieder dem Pfad zu, der bergauf führte.
»Komm mit mir nach oben, Sassenach, und sieh dir an, was ich heute geschafft habe. Ich habe den Fußboden für dein Sprechzimmer gelegt; jetzt braucht es nur noch ein provisorisches Dach, und man kann darin schlafen.« Er sah sich nach dem Blockhaus um. »Ich habe mir gedacht, daß wir MacKenzie da unterbringen könnten - fürs erste.«
»Gute Idee.« Selbst mit dem zusätzlichen, kleinen Zimmer, das er für Brianna und Lizzie an das Blockhaus angebaut hatte, wohnten wir dort mehr als beengt. Und wenn Roger mehrere Tage ans Bett gefesselt war, dann war es mir ganz recht, wenn er nicht mitten im Haus lag.
»Wie geht es ihnen?« fragte er mit gestellter Beiläufigkeit.
»Wem? Meinst du Brianna und Roger?«
»Wen denn sonst?« fragte er, diesmal ohne Beiläufigkeit. »Vertragen sie sich?«
»Oh, ich glaube schon. Sie gewöhnen sich gerade wieder aneinander.«
»Ach ja?«
»Ja«, sagte ich und blickte hinter mich auf das Blockhaus. »Er hat sich soeben in ihren Schoß übergeben.«
Der Ruf Der Trommel
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