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Erpressung
Der Nachtstuhl war großartig, ein wunderbares, aus
glattem Walnußholz geschnitztes Stück, das das Schöne mit dem
Praktischen verband. Besonders praktisch in einer regnerischen,
kalten Nacht wie dieser hier. Schläfrig fingerte sie im Dunkeln an
seinem Deckel herum, von den Blitzen beleuchtet, deren Licht durchs
Fenster fiel, dann setzte sie sich hin und seufzte vor
Erleichterung, als der Druck in ihrer Blase nachließ.
Offenbar erfreut über den zusätzlichen Platz, der
dadurch entstand, vollführte Osbert eine Reihe von trägen
Purzelbäumen und ließ ihren Bauch unter dem weißen Flanellnachthemd
geisterhafte Wellen schlagen. Sie stand langsam auf - sie tat jetzt
fast alles langsam - und fühlte sich angenehm vom Schlaf
betäubt.
Sie blieb neben ihrem zerwühlten Bett stehen und
blickte hinaus auf die kahle Schönheit der Hügel und der
regengepeitschten Bäume. Das Fensterglas fühlte sich eisig an, und
die Wolken wälzten sich schwarzbäuchig und donnergrollend von den
Bergen herab. Es schneite nicht, doch die Nacht war auch so
scheußlich genug.
Und wie war es jetzt im Hochgebirge? Hatten sie ein
Dorf erreicht, das ihnen Schutz bot? Hatten sie Roger gefunden? Sie
erschauerte unwillkürlich, obwohl die Glut immer noch rot im Kamin
glühte und es warm im Zimmer war. Sie spürte die unwiderstehliche
Anziehungskraft ihres Bettes, das ihr Wärme versprach, und stärker
noch den Lockruf der Träume, in denen sie vielleicht dem
chronischen Nagen von Furcht und Schuld entkommen konnte.
Doch sie wandte sich zur Tür und zog ihren Umhang
vom Haken an ihrer Rückseite. Der Drang der Schwangerschaft mochte
es ja nötig machen, daß sie den Nachtstuhl in ihrem Zimmer
benutzte, doch sie war fest entschlossen, daß kein Sklave jemals
einen Nachttopf für sie tragen würde - nicht, solange sie noch
laufen konnte. Sie hüllte sich fest in den Umhang, nahm die
zugedeckte Zinnschale aus ihrem Fach und schritt leise durch den
Korridor.
Es war sehr spät; alle Kerzen waren gelöscht, und
der abgestandene Geruch heruntergebrannter Feuer hing im
Treppenhaus, doch im Geflacker der Blitze konnte sie deutlich genug
sehen, als sie die Treppe hinunterging. Die Küchentür war
entriegelt, eine Unvorsichtigkeit, für die sie dem Koch inständig
dankte; so brauchte sie keinen Lärm zu machen, indem sie einhändig
mit dem schweren Riegel kämpfte.
Eiskalter Regen schlug ihr ins Gesicht und spritzte
unter dem Saum ihres Nachthemdes hoch, so daß sie nach Luft
schnappte. Doch als sie den ersten Kälteschock überwunden hatte,
genoß sie es; die Gewalt des Wetters war aufregend, der Wind so
stark, daß er ihren Umhang in Wogen aufblähte und sie sich zum
ersten Mal seit Monaten leichtfüßig fühlte.
Sie wirbelte in einen Schwung bis zum Abort, spülte
den Topf in dem Regenguß aus, der von dessen Traufen herabströmte,
und blieb dann auf dem gepflasterten Hof stehen und ließ sich den
frischen Wind in ihr Gesicht wehen, ließ ihre Wangen vom Regen
peitschen. Sie war sich nicht sicher, ob es Buße oder Lobpreis war
- ein Bedürfnis, die Unannehmlichkeiten zu teilen, mit denen es
ihre Eltern wahrscheinlich zu tun hatten, oder mehr ein heidnischer
Ritus -, das Bedürfnis, sich selbst zu verlieren, indem sie mit der
wilden Macht der Elemente verschmolz. So oder so, es spielte keine
Rolle; sie stellte sich mit Absicht unter den Wasserstrahl der
Dachrinne und ließ das Wasser gegen ihre Kopfhaut hämmern, ihr Haar
und ihre Schultern durchnässen.
Sie schnappte nach Luft, schüttelte sich das Wasser
aus dem Haar wie ein Hund und trat zurück - und hielt inne, weil
ein plötzlich aufblitzendes Licht ihre Aufmerksamkeit erregte. Kein
Blitz; ein beständiger Strahl, der einen Moment lang leuchtete und
dann verschwand.
Die Tür eines der Sklavenquartiere öffnete sich für
einen Moment und schloß sich dann wieder. Kam da jemand? Ja; sie
konnte Schritte auf dem Kies hören und trat noch einen Schritt
zurück in den Schatten - das letzte, was sie wollte, war zu
erklären, was sie hier draußen trieb.
Ein Blitz zeigte ihn ihr deutlich im Vorübergehen,
und sie erkannte ihn schlagartig. Lord John Grey, der in
Hemdsärmeln und ohne Kopfbedeckung vorbeieilte; sein blondes Haar,
das nicht zusammengebunden war, wehte im Wind, und offensichtlich
bemerkte er weder die Kälte noch den Regen. Er ging vorbei, ohne
sie zu entdecken, und verschwand unter dem Überhang der
Küchenveranda.
Sie erkannte, daß sie in Gefahr war, ausgesperrt zu
werden, und rannte hinter ihm her. Er war gerade dabei, die Tür zu
schließen, als
sie mit der Schulter dagegenprallte. Sie platzte in die Küche und
stand triefend da, während Lord John sie ungläubig anglotzte.
»Schöne Nacht für einen Spaziergang«, sagte sie,
halb außer Atem. »Nicht wahr?« Sie strich sich das feuchte Haar
zurück, glitt mit einem höflichen Nicken an ihm vorbei, hinaus und
die Treppe hinauf. Ihre nackten Füße hinterließen feuchte,
halbmondförmige Abdrücke auf dem dunklen, polierten Holz. Sie
lauschte, doch sie hörte keine Schritte hinter sich, als sie an
ihrem Zimmer angelangte.
Sie ließ Umhang und Nachthemd vor dem Feuer zum
Trocknen liegen und stieg nackt ins Bett, nachdem sie sich Haare
und Gesicht abgetrocknet hatte. Sie zitterte, doch das Gefühl der
Baumwollaken auf ihrer nackten Haut war wundervoll. Sie räkelte
sich und wackelte mit den Zehen, dann drehte sie sich auf die
Seite, rollte sich fest um ihren Schwerpunkt zusammen und ließ die
beständige Wärme aus ihrem Inneren nach außen weichen, wo sie nach
und nach ihre Haut erreichte und einen kleinen Kokon der Wärme um
sie bildete.
Sie ließ die Szene auf dem Gartenweg noch einmal
vor ihrem inneren Auge ablaufen, und ganz allmählich nahmen die
verschwommenen Gedanken, die ihr im Kopf herumgerattert waren, eine
rationale Gestalt an.
Lord John begegnete ihr stets aufmerksam und
respektvoll - oft belustigt oder bewundernd -, doch irgend etwas
fehlte. Sie war nicht in der Lage gewesen, es zu identifizieren -
lange Zeit war es ihr nicht einmal aufgefallen -, doch jetzt wußte
sie, was es war, ohne jeden Zweifel.
Wie die meisten auffallend schönen Frauen war auch
sie an die offene Bewunderung der Männer gewöhnt, und auch Lord
John brachte ihr diese entgegen. Doch unter der Bewunderung lag für
gewöhnlich eine tiefere Aufmerksamkeit, subtiler als Blick oder
Geste, eine Vibration wie der entfernte Klang einer Glocke, eine
instinktive Bestätigung, daß man sie als Frau wahrnahm. Bei ihrer
ersten Begegnung hatte sie geglaubt, dies bei Lord John zu spüren,
doch bei den darauffolgenden Begegnungen war es fortgewesen, und
sie war zu dem Schluß gekommen, daß sie es anfangs irrtümlich
angenommen hatte.
Sie hätte es schon eher erraten können, dachte sie;
sie hatte diese innere Gleichgültigkeit schon einmal erlebt, beim
Zimmergenossen eines beiläufigen Freundes. Andererseits verbarg
Lord John es sehr gut; sie wäre nie darauf gekommen, wäre sie ihm
nicht zufällig im Hof begegnet. Nein, sie brachte ihn nicht zum
Klingen. Doch als er aus dem Dienstbotenquartier gekommen war, da
hatte er gedröhnt wie eine Alarmglocke.
Sie fragte sich kurz, ob ihr Vater es wußte,
verwarf die Möglichkeit dann aber wieder. Nach seinen Erfahrungen
im Gefängnis von Wentworth konnte er unmöglich solch liebevolle
Hochachtung, wie er sie für Lord John empfand, für einen Mann mit
dessen Vorlieben hegen.
Sie drehte sich auf den Rücken. Die glänzende
Baumwolle des Lakens glitt liebkosend über die nackte Haut ihrer
Brüste und Oberschenkel. Sie bemerkte das Gefühl unbewußt, und als
sich ihre Brustwarze versteifte, hob sie automatisch die Hand, um
ihre Brust zu umfassen, spürte in der Erinnerung Rogers große,
warme Hand - und eine unvermittelte Welle des Verlangens. Dann
fühlte sie in der Erinnerung den plötzlichen Griff groberer Hände,
die sie kniffen und rieben, und das Verlangen verwandelte sich
augenblicklich in ohnmächtige Wut. Sie warf sich auf den Bauch, die
Arme unter den Brüsten gekreuzt und das Gesicht in ihrem Kissen
vergraben, die Beine zusammengeklemmt und die Zähne in sinnloser
Selbstverteidigung zusammengebissen.
Das Baby war ein großer, unbequemer Kloß;
inzwischen war es unmöglich geworden, so zu liegen. Mit einem
leisen, halb ausgesprochenen Fluch drehte sie sich um und wälzte
sich aus dem Bett, fort von den verräterischen, verführerischen
Laken.
Sie ging nackt durch das halbdunkle Zimmer, stellte
sich erneut ans Fenster und blickte hinaus auf den
niederprasselnden Regen. Ihr Haar hing ihr feucht über den Rücken,
und Kälte kam durch das Glas und überzog die weiße Haut auf ihren
Armen, Beinen und ihrem Bauch mit einer Gänsehaut. Sie machte weder
Anstalten, sich zu bedecken, noch zurück ins Bett zu gehen, sondern
stand einfach nur da und blickte hinaus, eine Hand auf ihrem
Kugelbauch, in dem es sanft zappelte.
Bald würde es zu spät sein. Schon als sie
aufbrachen, hatte sie gewußt, daß es zu spät war - und ihre Mutter
auch. Doch keine von ihnen hatte es der anderen eingestehen wollen;
sie hatten beide so getan, als würde Roger rechtzeitig
zurückkehren, als würde er mit ihr nach Hispaniola segeln, als
würden sie den Rückweg durch die Steine finden - zusammen.
Sie legte ihre andere Hand auf das Glas; sogleich
bildete sich ein Nebel aus Kondenswasser entlang der Umrisse ihrer
Finger. Es war Anfang März; vielleicht blieben ihr noch drei
Monate, vielleicht weniger. Die Reise zur Küste würde eine Woche
dauern, vielleicht zwei. Doch kein Schiff würde im März die
verräterischen Outer Banks riskieren. Anfang April, frühestens,
bevor die Reise unternommen werden konnte. Wie lange bis zu den
Westindischen Inseln? Zwei Wochen, drei?
Also Ende April. Und ein paar Tage, um ins
Landesinnere zu gelangen, die Höhle zu finden; es würde langsam
vorangehen, sich im achten Monat durch den Dschungel zu kämpfen.
Und gefährlich sein, obwohl das eine relativ geringe Rolle
spielte.
So könnte es geschehen, wenn Roger jetzt hier wäre.
Doch das war er nicht. Vielleicht würde er auch nicht kommen, doch
sie focht hart dagegen an, sich diese Möglichkeit auszumalen. Wenn
sie nicht darüber nachdachte, auf wie viele Arten er sterben
konnte, dann würde er auch nicht sterben; das war einer der
Grundsätze ihres hartnäckigen Glaubens; die anderen lauteten, daß
er noch nicht tot war und daß ihre Mutter zurückkommen würde, bevor
das Kind geboren war. Was ihren Vater anging - wieder kochte ihre
Wut hoch, wie immer, wenn sie an ihn dachte - ihn oder Bonnet -
also gab sie sich Mühe, so wenig wie möglich an sie zu
denken.
Sie betete natürlich, so fest sie konnte, doch
Beten und Warten war nicht ihre Sache; sie war zum Handeln geboren.
Hätte sie doch nur mit ihnen gehen können, um Roger zu
suchen!
Doch in dieser Hinsicht hatte sie keine Wahl
gehabt. Sie biß die Zähne zusammen und breitete ihre Hand flach
über ihren Bauch. Sie hatte in vielen Dingen keine Wahl gehabt.
Doch sie hatte die eine Wahl getroffen - ihr Kind zu behalten -,
und jetzt würde sie mit den Konsequenzen leben müssen.
Sie fing an zu zittern. Abrupt wandte sie sich vom
Anblick des Sturms ab und ging zum Feuer. Eine kleine Flammenzunge
spielte über die geschwärzte Rückseite eines rotknisternden
Scheites, und das Herz der Holzkohlen glühte rot und weiß.
Sie sank auf den Teppich vor dem Kamin und schloß
die Augen, als die Hitze des Feuers wohlige Wellen über ihre kalte
Haut aussandte, liebkosend wie das Streicheln einer Hand. Diesmal
unterdrückte sie jeden Gedanken an Bonnet, verweigerte ihm den
Einlaß in ihren Kopf und konzentrierte sich statt dessen mit aller
Gewalt auf die wenigen kostbaren Erinnerungen, die sie an Roger
hatte.
… leg deine Hand auf mein Herz. Sag mir, ob es
stehenbleibt… Sie konnte ihn hören, halb atemlos, halb erstickt
zwischen Lachen und Leidenschaft.
Woher zum Teufel weißt du das? Das rauhe
Gefühl lockiger Haare unter ihren Handflächen, die glatten, harten
Rundungen seiner Schultern, sein Pulsschlag an der Seite seines
Halses, als sie ihn zu sich herunterzog und ihren Mund auf ihn
legte, weil sie ihn am liebsten vor Verlangen gebissen hätte, ihn
schmecken wollte, das Salz und den Staub seiner Haut atmen
wollte.
Seine dunklen und geheimen Stellen, die sie nur vom
Gefühl her kannte, an die sie sich als ein sanftes Gewicht
erinnerte, das verletzlich in ihrer Handfläche herumrollte,
komplexe Kurven und Vertiefungen, die sich zögernd ihren tastenden
Fingerspitzen hingaben (Oh, Gott, hör nicht auf, aber
vorsichtig, aye? Oh!), jene seltsame, faltige Seide, die sich
spannte und glättete, aufsteigend ihre Hand füllte, still und
wunderbar wie der Stengel einer nachtblühenden Pflanze, deren Blüte
sich beim Zusehen öffnet.
Seine Sanftheit, als er sie berührte (Himmel,
ich wünschte, ich könnte dein Gesicht sehen, damit ich weiß, wie es
für dich ist, ob ich es richtig mache. Ist das gut, hier? Sag’s
mir, Brianna, sprich mit mir…), als sie ihn erkundete, und dann
der Moment, an dem sie ihn zu weit gedrängt hatte, ihr Mund auf
seiner Brustwarze. Sie spürte noch einmal den erstaunlichen Sog der
Kraft in ihm, als er jegliche Beherrschung aufgab und sie packte,
sie hochhob, als wöge sie nichts, sie gegen das Stroh zurückrollte
und sie nahm. Halb zögerte er, als er sich auf ihr frisch
zerrissenes Häutchen besann, dann erfüllte er die Forderung ihrer
Fingernägel in seinem Rücken, mit aller Kraft zu ihr zu kommen,
drängte sie über die Furcht vor seinem Eindringen hinaus dazu, ihn
aufzunehmen, ihn willkommen zu heißen, und schließlich zu einem
Rausch, der genauso stark war wie der seine, während er die letzte
Membran der Zurückhaltung zwischen ihnen zerriß und sie für immer
in einer Flut aus Schweiß und Moschus und Blut und Samen
verband.
Sie stöhnte laut auf, erschauerte und lag dann
still, zu schwach, um auch nur ihre Hand wegzunehmen. Ihr Herz
schlug ganz langsam. Ihr Bauch war gespannt wie eine Trommel,
während die letzte der Zuckungen ihren geschwollenen Unterleib
langsam wieder freigab. Eine Hälfte ihres Körpers glühte vor Hitze,
die andere war kühl und dunkel.
Nach einer Weile rollte sie sich auf Hände und Knie
und kroch vom Feuer fort. Sie hievte sich auf das Bett wie ein
verwundetes Tier, lag halb betäubt da und ignorierte die kalten und
heißen Luftströmungen, die über sie hinwegspielten.
Schließlich regte sie sich, zog eine Decke über
sich und drehte sich zur Wand, die Hände schützend über ihrem Baby
gekreuzt. Ja, es war zu spät. Sie mußte Empfindung und Sehnsucht
beiseite schieben, zusammen mit Liebe und Wut. Sie mußte dem
blinden Drängen ihres Körpers und ihrer Emotionen widerstehen. Es
galt, Entscheidungen zu treffen.
Sie brauchte drei Tage, um sich von den
Erfolgsaussichten ihres Plans zu überzeugen, ihre Skrupel zu
überwinden und schließlich einen geeigneten Zeitpunkt und Ort
ausfindig zu machen, an dem sie ihn allein antreffen konnte.
Am Dienstag kam schließlich ihre Gelegenheit.
Jocasta hatte sich mit Duncan Innes und den Büchern ins
Studierzimmer zurückgezogen, Ulysses war - nach einem kurzen,
unergründlichen Blick auf die geschlossene Tür des Studierzimmers -
in die Küche gegangen, um die Vorbereitungen für ein weiteres,
üppiges Abendessen zu Ehren Seiner Lordschaft zu beaufsichtigen,
und sie war Phaedre losgeworden, indem sie sie per Pferd nach Barra
Meadows geschickt hatte, um ein Buch abzuholen, daß Jenny Ban
Campbell ihr versprochen hatte.
Angetan mit einem frischen, blauen Kamelottkleid,
das zu ihrer Augenfarbe paßte, und hämmernden Herzens hatte sie
sich aufgemacht, um ihrem Opfer aufzulauern. Sie fand ihn in der
Bibliothek, wo er an einer der Glastüren die
Selbstbetrachtungen des Marc Aurel las, während die
Morgensonne, die über seiner Schulter hereinströmte, sein glattes,
helles Haar glänzen ließ wie Buttertoffee.
Er sah von seinem Buch auf, als sie hereinkam - ein
Nilpferd hätte einen eleganteren Auftritt zustande gebracht, dachte
sie aufgebracht, als sich ihr Rock durch ihre Nervosität an der
Ecke eines Nippestischchens verfing -, dann legte er es graziös
beiseite und sprang auf, um sich über ihre Hand zu beugen.
»Nein, ich möchte mich nicht hinsetzen, danke.« Sie
schüttelte den Kopf, als er ihr einen Platz anbot. »Ich habe mich
gefragt - also, ich habe mir gedacht, ich gehe spazieren. Möchtet
Ihr mich begleiten?«
Die unteren Scheiben der Glastür waren von Frost
überzogen, eine steife Brise heulte um das Haus, und innen gab es
weiche Sessel, Brandy und ein loderndes Feuer. Doch Lord John war
ein Gentleman. »Nichts, was ich lieber täte«, versicherte er ihr
galant und ließ Marc Aurel im Stich, ohne ihm auch nur einen
weiteren Blick zu schenken.
Es war ein heller Tag, wenn auch sehr kalt. In
dicken Umhängen vermummt wandten sie sich zum Gemüsegarten, dessen
hohe Mauern ihnen ein wenig Schutz vor dem Wind gewährten. Sie
tauschten kurze, atemlose Bemerkungen über die Helligkeit des Tages
aus, versicherten sich gegenseitig, daß sie nicht im mindesten
froren, und gelangten so durch einen kleinen Torbogen in den
ummauerten Kräutergarten. Brianna sah sich um; sie waren völlig
allein, und sie würde jeden sehen können, der den Weg entlangkam.
Am besten also keine Zeit verlieren.
»Ich habe Euch einen Vorschlag zu machen«, sagte
sie.
»Ich bin mir sicher, daß jede Idee, die von Euch
kommt, nur erfreulich sein kann, meine Liebe«, sagte er mit dem
Hauch eines Lächelns.
»Na, ich weiß nicht«, sagte sie und holte tief
Luft. »Aber hier ist sie. Ich will, daß Ihr mich heiratet.«
Er lächelte weiter und wartete offensichtlich auf
die Pointe.
»Ich meine es ernst«, sagte sie.
Das Lächeln verschwand nicht ganz, doch es
veränderte sich. Sie war sich nicht sicher, ob er über ihre
Taktlosigkeit bestürzt war oder nur versuchte, nicht zu lachen,
doch sie vermutete letzteres.
»Ich will nichts von Eurem Geld«, versicherte sie
ihm. »Ich werde es Euch schriftlich geben. Und Ihr braucht auch
nicht mit mir zusammenzuleben, obwohl es wahrscheinlich nicht dumm
wäre, wenn ich mit Euch nach Virginia gehen würde, zumindest eine
Zeitlang. Was ich für Euch tun könnte…« Sie zögerte, denn sie wußte
daß ihr Beitrag zu diesem Handel der weniger zugkräftige war. »Ich
bin kräftig, aber das spielt für Euch keine Rolle, da Ihr
Dienstboten habt. Aber ich bin eine gute Verwalterin - ich kann
Bücher führen, und ich glaube, ich weiß, wie man eine Plantage
betreibt. Ich weiß, wie man Dinge baut. Ich könnte Euer
Anwesen in Virginia verwalten, wenn Ihr in England seid. Und… Ihr
habt einen kleinen Sohn, nicht wahr? Ich kümmere mich um ihn; ich
würde ihm eine gute Mutter sein.«
Lord John war während dieses Vortrags abrupt auf
dem Weg stehengeblieben. Jetzt lehnte er sich langsam mit dem
Rücken an die Steinmauer und drehte die Augen mit einem stummen
Gebet um Verständnis zum Himmel.
»Lieber Gott im Himmel«, sagte er. »Daß ich es noch
erleben darf, ein solches Angebot zu hören!« Dann senkte er den
Kopf und sah sie direkt und durchdringend an.
»Habt Ihr den Verstand verloren?«
»Nein«, sagte sie, während sie sich bemühte, die
Fassung zu behalten. »Es ist doch ein absolut vernünftiger
Vorschlag.«
»Ich habe ja schon davon gehört«, sagte er mit
großer Vorsicht, wobei er ihren Bauch ins Auge faßte, »daß Frauen
in anderen Umständen leicht… erregbar sind, als Folge ihres
Zustandes. Ich gestehe jedoch, daß meine Erfahrungen furchtbar
begrenzt sind, was… das heißt - vielleicht sollte ich Dr. Fentiman
rufen lassen?«
Sie richtete sich zu voller Größe auf, legte eine
Hand auf die Mauer und beugte sich zu ihm hinüber. Sie sah ganz
bewußt auf ihn hinunter und setzte ihre Größe ein, um ihm zu
drohen.
»Nein, das solltet Ihr nicht«, sagte sie in
gemäßigtem Tonfall.
»Hört mir zu, Lord John. Ich bin nicht verrückt, ich treibe keine
Spielchen, und ich möchte Euch auch in keiner Weise zur Last fallen
- aber ich meine es völlig ernst.«
Die Kälte hatte seine blasse Haut gerötet, und ein
feuchter Tropfen glitzerte an seiner Nasenspitze. Er wischte ihn
mit einer Falte seines Umhangs ab und betrachtete sie mit einem
Ausdruck zwischen Interesse und Grauen. Immerhin hatte er aufgehört
zu lachen.
Ihr war ein bißchen übel, doch sie würde es tun
müssen. Sie hatte gehofft, daß es vermeidbar sein würde, doch es
schien keine andere Möglichkeit zu geben.
»Wenn Ihr Euch nicht einverstanden erklärt, mich zu
heiraten«, sagte sie, »dann stelle ich Euch bloß.«
»Dann tut Ihr was?« Seine übliche Maske der
Weltläufigkeit war verschwunden, und Verwunderung und aufkeimender
Argwohn waren an ihrer Stelle zurückgeblieben.
Sie trug Wollhandschuhe, doch ihre Finger fühlten
sich gefroren an - genau wie alles andere, außer dem warmen Gewicht
ihres schlafenden Kindes.
»Ich weiß, was Ihr gemacht habt - neulich nachts,
in der Dienstbotenunterkunft. Ich sage es allen; meiner Tante, Mr.
Campbell, dem Sheriff. Ich werde Briefe schreiben«, sagte sie, und
ihre Lippen fühlten sich taub an, während sie ihre lächerliche
Drohung aussprach. »An den Gouverneur, und den Gouverneur von
Virginia. Man stellt Päderasten hier an den Pranger; Mr. Campbell
hat es mir erzählt.«
Ein Stirnrunzeln zog seine Brauen zusammen; sie
waren so hell, daß sie sich kaum von seiner Haut abhoben, wenn er
in kräftigem Licht stand. Sie erinnerten sie an Lizzies.
»Hört bitte auf, so auf mich herabzusehen.«
Er ergriff ihr Handgelenk und setzte sie in
Bewegung, fort vom Haus. Ihr kam der Gedanke, daß er sie vielleicht
zum Fluß hinunterbringen wollte, außer Sichtweite, und versuchen
wollte, sie zu ertränken. Sie hielt es für unwahrscheinlich, wehrte
sich aber dennoch gegen die Richtung, in die er sie drängte, und
wandte sich zu den rechtwinklig angelegten Pfaden des Gemüsegartens
zurück.
Er erhob keinen Widerspruch, sondern ging mit ihr,
auch wenn das bedeutete, geradewegs gegen den Wind zu marschieren.
Er sagte nichts, bis sie eine weitere Wendung gemacht und eine
windgeschützte Ecke neben dem Zwiebelbeet erreicht hatten.
»Ich bin fast versucht, Eurem empörenden Vorschlag
zuzustimmen«, sagte er schließlich, und sein Mundwinkel zuckte - ob
aus Wut oder vor Belustigung, das konnte sie nicht sagen.
»Eure Tante würde es mit Sicherheit freuen. Eure
Mutter würde es empören. Und es würde Euch lehren, mit dem
Feuer zu spielen, das versichere ich Euch.« Sie entdeckte einen
Glanz in seinem Blick, der sie ruckartig an ihren Schlußfolgerungen
über seine Vorlieben zweifeln ließ. Sie wich ein wenig vor ihm
zurück.
»Oh. Ich hatte nicht bedacht - daß Ihr vielleicht…
Männer und Frauen, meine ich.«
»Ich bin verheiratet gewesen«, erinnerte er
sie mit triefendem Sarkasmus.
»Ja, aber ich dachte, das wäre vielleicht etwas
Ähnliches gewesen wie das, was ich Euch vorschlage - nur eine
Formsache, meine ich. Das hat mich überhaupt auf den Gedanken
gebracht, als ich erst einmal erkannt hatte, daß Ihr -« Sie brach
mit einer ungeduldigen Geste ab. »Wollt Ihr mir sagen, daß Ihr
wirklich mit Männern und mit Frauen ins Bett geht?«
Er zog eine Augenbraue hoch.
»Würde das einen großen Unterschied für Eure Pläne
bedeuten?«
»Tja…«, sagte sie unsicher. »Ja. Ja, das würde es.
Wenn ich das gewußt hätte, hätte ich den Vorschlag nicht
gemacht.«
»›Vorschlag‹, sagt sie«, brummte er. »Öffentliche
Denunziation? Der Pranger? Vorschlag?«
Das Blut brannte so heiß in ihren Wangen, daß es
sie überraschte, die Luft um ihr Gesicht herum nicht verdampfen zu
sehen.
»Es tut mir leid«, sagte sie. »Ich hätte es nicht
getan. Ihr müßt mir glauben, ich hätte wirklich zu niemandem ein
Wort gesagt. Es ist nur, als Ihr gelacht habt, da dachte ich -
egal, es spielt keine Rolle. Wenn Ihr mit mir schlafen wolltet,
dann könnte ich Euch nicht heiraten - es wäre nicht richtig.«
Er schloß die Augen ganz fest und hielt sie einen
Augenblick lang zugekniffen. Dann öffnete er eines seiner
hellblauen Augen und sah sie an.
»Warum nicht?« fragte er.
»Wegen Roger«, sagte sie und war erbost zu hören,
wie ihre Stimme sich bei dem Namen überschlug. Und noch wütender
darüber, daß sie spürte, wie ihr eine heiße Träne entwischte und
über die Wange lief.
»Verdammt!« sagte sie. »Gottverdammt! Ich wollte
nicht einmal an ihn denken!«
Sie wischte die Träne wütend fort und biß die Zähne
zusammen.
»Vielleicht habt Ihr recht«, sagte sie. »Vielleicht
liegt es an der Schwangerschaft. Ich weine andauernd ohne
Grund.«
»Ich bezweifle sehr, daß es keinen Grund gibt«,
sagte er trocken.
Sie holte tief Luft, und die kalte Luft höhlte ihr
die Brust aus. Sie hatte also noch eine letzte Karte zu
verspielen.
»Wenn Ihr Frauen begehrt… könnte ich nicht - ich
meine, ich will nicht regelmäßig mit Euch schlafen. Und es würde
mir nichts ausmachen, wenn Ihr mit jemand anderem schlaft - Mann
oder Frau -«
»Oh, vielen Dank«, brummte er, doch sie ignorierte
ihn und konzentrierte sich nur auf den Drang, alles
herauszubringen.
»Aber ich verstehe, daß Ihr Euch vielleicht ein
eigenes Kind wünscht. Es wäre nicht recht, wenn ich Euch davon
abhalten würde, eins zu bekommen. Das kann ich Euch geben, glaube
ich.« Sie sah an sich herunter, die Arme über ihrem Kugelbauch
verschränkt.
»Alle sagen, ich bin zum Gebären gemacht«, fuhr sie
unbeirrt fort, den Blick auf ihre Füße gerichtet. »Ich würde - aber
nur, bis ich wieder schwanger würde. Das müßtet Ihr auch in den
Vertrag setzen - Mr. Campbell könnte ihn aufsetzen.«
Lord John massierte sich die Stirn. Offensichtlich
litt er an einer massiven Kopfschmerzattacke. Dann ließ er seine
Hand sinken und faßte sie am Arm.
»Kommt und setzt Euch, Kind«, sagte er ruhig. »Am
besten erzählt Ihr mir, was zum Teufel Ihr vorhabt.«
Sie holte tief und heftig Luft, um ihre Stimme zu
kräftigen.
»Ich bin kein Kind«, sagte sie. Er blickte zu ihr
hoch und schien seine Meinung über irgend etwas zu ändern.
»Nein, das seid Ihr nicht - Gott steh uns beiden
bei. Aber bevor Ihr
Farquard Campbell mit Eurer Vorstellung von einem
passenden Ehevertrag den Schreck seines Lebens einjagt, bitte ich
Euch, Euch einen Augenblick zu mir zu setzen und die Gedankengänge
Eures überaus bemerkenswerten Gehirns mit mir zu teilen.« Er schob
sie durch den Torbogen in den Ziergarten, wo sie vom Haus aus nicht
zu sehen sein würden.
Der Garten war kahl, aber gepflegt; die toten
Stengel des vergangenen Jahres waren herausgezogen, die trockenen
Stiele kleingehackt und als Mulch auf den Beeten verstreut worden.
Nur das Rundbeet, das den trockenen Springbrunnen umgab, zeigte
Lebenszeichen; grüne Krokusspitzen lugten wie winzige Rammböcke aus
dem Boden hervor, leuchtend und unnachgiebig.
Sie setzten sich hin, doch sie konnte nicht
stillsitzen. Nicht stillsitzen und ihn dabei ansehen. Er stand
gemeinsam mit ihr auf und ging neben ihr her. Er berührte sie
nicht, hielt aber mit ihr Schritt, während der Wind ihm die hellen
Haarsträhnen ins Gesicht wehte, sagte kein Wort, hörte aber zu,
hörte zu, während sie ihm fast alles erzählte.
»Also habe ich nachgedacht und nachgedacht«, endete
sie verzweifelt. »Und es führt nirgendwohin. Versteht Ihr? Mutter
und - und Pa, sie sind irgendwo da draußen -« Sie schwenkte den Arm
in Richtung der fernen Berge. »Ihnen könnte alles mögliche
zugestoßen sein. Und ich sitze hier, werde dicker und dicker, und
es gibt nichts, was ich tun kann!«
Sie blickte zu ihm herunter und fuhr sich mit dem
Rücken ihres Handschuhs unter der tropfenden Nase entlang.
»Ich weine nicht«, versicherte sie ihm, obwohl sie
es doch tat.
»Natürlich nicht«, sagte er. Er ergriff ihre Hand
und legte sie über seinen Arm.
»Ringel, Ringel, Rose«, murmelte er, den Blick auf
das bunte Pflaster des Weges gerichtet, während sie den Brunnen
umkreisten.
»Ja, Ringel, Ringel, Rose, Butter in die Dose«,
pflichtete sie ihm bei. »Und in drei Monaten macht die Dose Peng!
Ich muß irgend etwas tun«, schloß sie elend.
»Glaubt es oder nicht, in Eurem Fall tut Ihr
etwas, wenn Ihr wartet, auch wenn ich zugebe, daß es nicht danach
aussehen mag«, antwortete er trocken. »Warum wollt Ihr nicht
abwarten, ob die Suche Eures Vaters erfolgreich ist? Liegt es
daran, daß Euer Ehrgefühl es Euch nicht gestattet? Oder -«
»Nicht meine Ehre«, sagte sie. »Seine. Rogers. Er
ist - er ist mir gefolgt. Er hat - alles aufgegeben - und er ist
mir hinterhergereist, als ich hierherkam, um meinen Vater zu
suchen. Ich wußte, daß er es tun würde, und so war es auch.«
»Wenn er das hier herausfindet«, sie zog eine
Grimasse und legte eine Hand um ihren Kugelbauch, »dann wird er
mich heiraten; er wird glauben, daß er das muß. Und das kann ich
nicht zulassen.«
»Warum nicht?«
»Weil ich ihn liebe. Ich will nicht, daß er mich
aus Pflichtgefühl heiratet. Und ich -« Sie preßte ihre Lippen über
dem Rest zusammen. »Es geht nicht«, schloß sie bestimmt. »Ich habe
mich entschieden, und es geht nicht.«
Lord John zog seinen Umhang fester, als ein
frischer Windstoß wie eine Rakete vom Fluß herangestoben kam. Es
roch nach Eis und totem Laub, doch es lag ein Hauch von Frische
darin; der Frühling war im Anmarsch.
»Ich verstehe«, sagte er. »Tja, ich stimme völlig
mit Eurer Tante überein, daß Ihr einen Ehemann braucht. Aber warum
ich?« Er zog seine bleiche Augenbraue hoch. »Liegt es an meinem
Titel oder meinem Reichtum?«
»Keins von beidem. Es war, weil ich mir sicher war,
daß Ihr keine Frauen mögt«, sagte sie und warf ihm einen dieser
unverhüllten, blauen Blicke zu.
»Ich mag Frauen«, sagte er entnervt. »Ich
bewundere und ehre sie, und ich hege beträchtliche Zuneigung für
diverse Mitglieder des weiblichen Geschlechts - darunter auch Eure
Mutter, auch wenn ich bezweifle, daß dieses Gefühl auf
Gegenseitigkeit beruht. Doch ich suche kein Vergnügen in ihren
Betten. Drücke ich mich deutlich genug aus?«
»Ja«, sagte sie, und die kleinen Linien zwischen
ihren Augen verschwanden wie durch Zauberei. »Das dachte ich auch.
Versteht Ihr, es wäre nicht recht von mir, Mr. MacNeill oder Barton
McLachlan oder einen anderen dieser Männer zu heiraten, weil ich
damit etwas versprechen würde, was ich ihnen nicht geben könnte.
Aber ich will sie sowieso nicht, also gibt es keinen Grund, warum
ich Euch nicht heiraten könnte.«
Er unterdrückte ein starkes Bedürfnis, seinen Kopf
gegen die Mauer zu donnern.
»Aber sicher gibt es den.«
»Was denn?«
»Um nur den offensichtlichsten zu nennen, würde mir
Euer Vater zweifellos den Hals brechen!«
»Warum denn das?« wollte sie stirnrunzelnd wissen.
»Er hat Euch gern; er sagt, Ihr seid einer seiner besten
Freunde.«
»Ich habe die Ehre, in seiner Hochachtung zu
stehen«, sagte er kurz. »Allerdings würde diese Hochachtung sehr
schnell aufhören zu existieren, wenn Jamie Fraser entdecken würde,
daß seine Tochter einem abartigen Sodomiten als Gespielin und
Zuchtstute dient.«
»Und wie sollte er das herausbekommen?« wollte sie
wissen. »Ich würde es ihm nicht sagen.« Dann errötete sie,
und als sie jetzt seinem empörten Blick begegnete, brach sie in
Gelächter aus, in das er hilflos einfiel.
»Also, es tut mir leid, aber das habt Ihr
gesagt«, japste sie schließlich, während sie sich hinsetzte und
sich die tränenden Augen mit dem Saum ihres Umhangs
trocknete.
»Oh, Himmel. Ja, das habe ich.« Abwesend strich er
sich eine Haarsträhne aus dem Mund und wischte sich erneut die
laufende Nase an seinem Ärmel ab. »Verdammt, warum habe ich kein
Taschentuch? Ich habe es gesagt, weil es stimmt. Und was Euren
Vater angeht, so ist er sich der Tatsache sehr wohl bewußt.«
»Ja?« Sie schien unverhältnismäßig überrascht zu
sein. »Aber ich dachte, er würde niemals -«
Das Aufleuchten einer gelben Schürze unterbrach
sie; eine der Küchenmägde befand sich in einem angrenzenden Garten.
Kommentarlos stand Lord John auf und reichte ihr die Hand; sie
erhob sich schwerfällig, und sie liefen auf die trockene, braune
Kruste der Rasenfläche hinaus, von ihren aufgeblähten Umhängen wie
von Segeln umweht.
Die Steinbank unter der Weide war um diese
Jahreszeit ihres üblichen Charmes beraubt, doch immerhin war sie
vor den eisigen Windstößen geschützt, die vom Fluß herauftobten.
Lord John wartete, bis sie saß, setzte sich dann ebenfalls und
nieste heftig. Sie öffnete ihren Umhang, nestelte im Ausschnitt
ihres Kleides herum und brachte schließlich ein zerknittertes
Taschentuch zum Vorschein, das sie ihm unter Entschuldigungen
reichte.
Es war warm und roch nach ihr - ein verwirrender
Geruch nach Mädchenhaut, mit Nelken und Lavendel gewürzt.
»Was Ihr gesagt habt, daß Ihr mich lehren wolltet,
mit dem Feuer zu spielen«, sagte sie. »Was genau habt Ihr damit
gemeint?«
»Nichts«, sagte er, doch jetzt war es an ihm zu
erröten.
»Nichts, hm?« sagte sie und schenkte ihm den Hauch
eines ironischen Lächelns. »Das war eine Drohung, wenn ich je eine
gehört habe.«
Er seufzte und wischte sich noch einmal mit dem
Taschentuch über das Gesicht.
»Ihr seid offen zu mir gewesen«, sagte er. »Bis zur
Schmerzgrenze und weit darüber hinaus. Gut, ja, ich schätze, ich -
nein, es war eine Drohung.« Er ergab sich mit einer kleinen
Geste. »Ihr seht aus wie Euer Vater, versteht Ihr das nicht?«
Sie sah ihn stirnrunzelnd an; offensichtlich sagten
seine Worte ihr nichts. Dann flackerte die Erkenntnis auf und
erwachte zu vollem Leben. Sie saß kerzengerade da und starrte zu
ihm hinunter.
»Nicht Ihr - nicht Pa! Das würde er nicht
tun!«
»Nein«, sagte Lord John sehr trocken. »Das würde er
nicht tun. Obwohl Euer Erschrecken kaum ein Kompliment für mich
ist. Und was diese Aussage auch immer wert ist, ich würde Eure
Ähnlichkeit mit ihm unter keinen Umständen ausnutzen - das war eine
ebenso leere Drohung wie die Eure, mich bloßzustellen.«
»Wo habt Ihr… meinen Vater kennengelernt?« fragte
sie vorsichtig, und ihre eigenen Sorgen traten für einen Moment
hinter ihre Neugier zurück.
»Im Gefängnis. Ihr wißt, daß er nach dem Aufstand
eine Zeit im Gefängnis verbracht hat?«
Sie nickte mit einem leichten Stirnrunzeln.
»Ja. Gut. Lassen wir es einfach dabei, daß ich
Gefühle besonderer Zuneigung für Jamie Fraser hege, und zwar schon
seit Jahren.« Er schüttelte den Kopf und seufzte.
»Und jetzt kommt Ihr und bietet mir Euren
unschuldigen Körper an, mit all seinen Anklängen an seinen
Körper - und versprecht mir noch dazu ein Kind, das mein Blut mit
dem seinen vermischen würde - und das alles, weil Eure Ehre nicht
zuläßt, daß Ihr den Mann heiratet, den Ihr liebt, oder den Mann
liebt, den Ihr heiratet.« Er brach ab und ließ den Kopf in seine
Hände sinken.
»Kind, Ihr würdet einen Engel zum Weinen bringen,
und ich bin weiß Gott kein Engel!«
»Meine Mutter findet aber, daß Ihr einer
seid.«
Er blickte aufgeschreckt zu ihr hoch.
»Sie findet was?«
»Vielleicht würde sie nicht ganz soweit
gehen«, verbesserte sie sich immer noch stirnrunzelnd. »Aber sie
sagt, Ihr seid ein guter Mensch. Ich glaube, sie mag Euch, wenn
auch etwas widerstrebend. Natürlich verstehe ich das jetzt; sie muß
ja wissen - was Ihr… äh… empfindet…« Sie hustete und verbarg ihr
Erröten in einer Falte ihres Umhangs.
»Teufel noch mal«, brummte er. »Oh, Tod und Teufel.
Ich hätte niemals mit Euch ins Freie kommen sollen. Ja, das weiß
sie. Obwohl ich mir ehrlich gesagt nicht sicher bin, warum sie mich
mit Argwohn betrachtet. Es kann ja wohl nicht aus Eifersucht
sein.«
Brianna schüttelte den Kopf und kaute nachdenklich
auf ihrer Unterlippe herum.
»Ich glaube, sie befürchtet, daß Ihr ihn irgendwie
verletzen werdet. Sie hat Angst um ihn, versteht Ihr?«
Er blickte aufgeschreckt zu ihr hoch.
»Ihn verletzen? Wie? Glaubt sie, daß ich über ihn
herfallen und entwürdigende Verwerflichkeiten an seiner Person
begehen werde?«
Er sagte es scherzhaft, doch ein Flackern in ihren
Augen ließ die Worte in seiner Kehle ersticken. Er umklammerte
ihren Arm fester. Sie biß sich auf die Lippe, dann entfernte sie
sanft seine Hand und legte sie auf sein Knie.
»Habt Ihr meinen Vater jemals ohne Hemd
gesehen?«
»Meint Ihr die Narben auf seinem Rücken?«
Sie nickte.
Er trommelte unruhig mit den Fingern auf seine
Knie, geräuschlos auf dem guten Wollstoff.
»Ja, das habe ich gesehen. Das war ich.«
Ihr Kopf fuhr zurück, die Augen weit aufgerissen.
Ihre Nasenspitze war kirschrot, doch ansonsten war ihre Haut so
bleich, daß ihr Haar und ihre Augenbrauen ihr das ganze Leben
ausgesaugt zu haben schienen.
»Nicht alles«, sagte er und starrte auf ein Beet
mit abgestorbenen Stockrosen. »Es war nicht das erste Mal, daß er
ausgepeitscht wurde, was es um so schlimmer machte - daß er wußte,
was er tat, als er es getan hat.«
»Was… tat?« fragte sie. Langsam änderte sie ihre
Position auf der Bank, doch es sah nicht so aus, als ob sie sich
ihm zuwandte, sondern vielmehr so, als ob sie in ihren Kleidern
dahintrieb wie eine Wolke, die im Wind die Form ändert.
»Ich war der Befehlshaber im Gefängnis vom
Ardsmuir; hat er Euch das erzählt? Nein, das habe ich mir gedacht.«
Er machte eine ungeduldige Handbewegung, um sich das helle Haar
zurückzustreichen, das ihm ins Gesicht peitschte.
»Er war ein Offizier, ein Gentleman. Der einzige
Offizier dort. Er war der Sprecher der gefangenen Jakobiten. Wir
haben in meinem Quartier zusammen zu Abend gegessen. Wir haben
Schach gespielt, uns über Bücher unterhalten. Wir… sind Freunde
geworden. Und… auch wieder nicht.«
Er verstummte.
Sie wich vor ihm zurück, und Abscheu lag in ihrem
Blick.
»Ihr meint - Ihr habt ihn auspeitschen lassen, weil
er nicht -«
»Nein, verdammt, das habe ich nicht!« Er schnappte
nach dem Taschentuch und schrubbte wütend über seine Nase. Er
schleuderte es zwischen ihnen auf die Sitzbank und funkelte sie an.
»Wie könnt Ihr es wagen, eine solche Vermutung zu äußern!«
»Aber Ihr habt doch selbst gesagt, daß Ihr es getan
habt!«
»Er hat es getan.«
»Man kann sich nicht selber auspeitschen.«
Er setzte zu einer Antwort an und prustete dann.
Immer noch wütend zog er eine Augenbraue hoch, bekam seine Gefühle
jedoch wieder unter Kontrolle.
»Was man nicht alles kann. Nach allem, was Ihr mir
erzählt habt, tut Ihr genau das seit Monaten.«
»Wir sprechen aber nicht über mich.«
»Natürlich tun wir das!«
»Nein, tun wir nicht!« Sie beugte sich zu ihm
herüber, die dichten Brauen zusammengezogen. »Was zum Teufel meint
Ihr damit, er hat es getan?«
Der Wind blies ihm ins Gesicht. Seine Augen
brannten und tränten davon, und er wandte den Blick ab.
»Was mache ich hier eigentlich?« murmelte er vor
sich hin. »Ich muß wahnsinnig sein, mit Euch eine solche
Unterredung zu führen!«
»Es ist mir egal, ob Ihr wahnsinnig seid oder
nicht«, sagte sie und packte ihn beim Ärmel. »Ihr sagt mir jetzt,
was geschehen ist!«
Er preßte die Lippen fest zusammen, und für einen
Augenblick dachte sie, er würde es nicht tun. Doch er hatte schon
zu viel gesagt, um jetzt noch aufzuhören, und er wußte es. Seine
Schultern hoben und senkten sich unter seinem Umhang und fielen
zusammen, als er sich in sein Schicksal ergab.
»Wir waren Freunde. Dann… hat er meine Gefühle für
ihn entdeckt. Er beschloß, unsere Freundschaft zu beenden. Doch das
reichte ihm nicht; er wünschte eine endgültige Trennung. Also
führte er absichtlich eine Gelegenheit herbei, die so drastisch
war, daß sie unsere Beziehung unwiderruflich verändern und jede
Chance einer Freundschaft zwischen uns unterbinden mußte. Also hat
er gelogen. Während einer Durchsuchung der Gefangenenquartiere
behauptete er in aller Öffentlichkeit, ein Stück Tartanstoff, das
man gefunden hatte, gehöre ihm. Der Besitz derartiger Dinge war
damals gegen das Gesetz - in Schottland ist es immer noch
so.«
Er holte tief Luft und atmete wieder aus. Er
vermied es, sie anzusehen, sondern konzentrierte seinen Blick auf
den Fransenrand der kahlen Bäume am anderen Flußufer, die sich
nackt vor dem blassen Frühlingshimmel abzeichneten.
»Ich war der Gouverneur, und es war meine Aufgabe,
dieses Gesetz durchzusetzen. Ich war gezwungen, ihn auspeitschen zu
lassen. Und er wußte verdammt genau, daß ich das sein würde.«
Er legte den Kopf zurück und lehnte ihn an die
gemeißelte Steinlehne der Bank. Seine Augen waren zum Schutz vor
dem Wind geschlossen.
»Ich konnte ihm verzeihen, daß er mich nicht
begehrte«, sagte er voll stiller Bitterkeit. »Aber ich konnte ihm
nicht verzeihen, daß er mich zwang, ihn so zu mißbrauchen. Mich
nicht nur zwang, ihm Schmerzen zuzufügen, sondern auch, ihn zu
degradieren. Er konnte sich einfach nicht einfach nur weigern, mein
Gefühl anzuerkennen; er mußte es vernichten. Es war zu viel.«
Auf der Oberfläche der Flut kochte Treibgut an
ihnen vorbei; vom Sturm geknickte Zweige und Äste, eine zerbrochene
Planke von der Außenhülle eines Bootes, das irgendwo flußaufwärts
Schiffbruch erlitten hatte. Sie bedeckte seine Hand, die auf seinem
Knie ruhte, mit
der ihren. Sie war etwas größer als seine und warm, weil sie in
ihrem schützenden Umhang gesteckt hatte.
»Er hat einen Grund gehabt. Es hat nicht an Euch
gelegen. Doch das muß er Euch selbst erzählen, wenn er es will.
Doch Ihr habt ihm verziehen«, sagte sie leise. »Warum?«
Jetzt richtete er sich auf und zuckte mit den
Achseln, schob ihre Hand aber nicht fort.
»Ich mußte es.« Er sah sie an, sein Blick direkt
und ruhig. »Ich habe ihn gehaßt, solange ich konnte. Aber dann
wurde mir klar, daß, ihn zu lieben… daß das ein Teil von mir war,
und zwar einer der besten Teile. Es spielte keine Rolle, daß er
mich nicht lieben konnte, das hatte nichts damit zu tun. Aber wenn
ich ihm nicht verzeihen konnte, dann konnte ich ihn auch nicht
lieben und hatte diesen Teil von mir verloren. Und irgendwann habe
ich festgestellt, daß ich ihn wiederhaben wollte.« Er lächelte
schwach. »Ihr seht also, eigentlich war es pure Selbstsucht.«
Dann drückte er ihre Hand, stand auf und zog sie
hoch.
»Kommt, meine Liebe. Wir werden beide hier
festfrieren, wenn wir noch länger sitzenbleiben.«
Sie gingen zum Haus zurück, sprachen nicht, gingen
aber dicht nebeneinander her, Arm in Arm. Als sie wieder die Gärten
durchquerten, ergriff er abrupt das Wort.
»Ich glaube, daß Ihr recht habt. Mit jemandem
zusammenzuleben, den man liebt, obwohl man weiß, daß er die
Beziehung nur aus Pflichtgefühl duldet - nein, das würde ich auch
nicht tun. Wenn es auf beiden Seiten nur mit praktischen Gründen
und Respekt zu tun hat, dann ja; eine solche Ehe ist ehrenvoll.
Solange beide Partner völlig aufrichtig sind«, sein Mund zuckte
kurz, während er zum Dienstbotenquartier hinüberblickte, »braucht
sich keiner zu schämen.«
Sie sah auf ihn herab und strich sich mit der
freien Hand eine zerzauste, kupferne Haarsträhne aus den
Augen.
»Dann nehmt Ihr meinen Antrag an?« Das hohle Gefühl
in ihrer Brust fühlte sich gar nicht wie die Erleichterung an, mit
der sie gerechnet hatte.
»Nein«, sagte er geradeheraus. »Ich mag Jamie
Fraser verziehen haben, was er in der Vergangenheit getan hat -
doch er würde mir niemals verzeihen, wenn ich Euch heiraten
würde.« Er lächelte sie an und tätschelte die Hand, die in seiner
Armbeuge steckte.
»Aber ich kann Euch zu einer Atempause von Euren
Freiern und Eurer Tante verhelfen.« Er blickte auf das Haus, dessen
Vorhänge reglos hinter den Scheiben hingen.
»Würdet Ihr annehmen, daß uns jemand
beobachtet?«
»Ich würde sagen, Ihr könnt darauf wetten«, sagte
sie ein wenig grimmig.
»Gut.« Er zog sich den Saphirring vom Finger,
wandte sich ihr zu und ergriff ihre Hand. Er zog ihr den Handschuh
aus und ließ ihr den Ring feierlich auf den kleinen Finger gleiten
- den einzigen, auf den er paßte. Dann stellte er sich elegant auf
die Zehenspitzen und küßte sie auf die Lippen. Ohne ihr Zeit zu
lassen, sich von ihrer Überraschung zu erholen, umfaßte er ihre
Hand und wandte sich erneut zum Haus. Sein Gesicht war
ausdruckslos.
»Kommt, meine Liebe«, sagte er. »Wir wollen unsere
Verlobung bekanntgeben.«