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Eines Vaters Wiegenlied
Es war weit nach Anbruch der Dunkelheit, als Jamie
heimkam, und meine Nerven waren von der Warterei durch und durch
gereizt; über Briannas konnte ich nur spekulieren. Wir hatten zu
Abend gegessen - oder sollte ich sagen, das Abendessen war
aufgetragen worden. Keine von uns hatte Appetit gehabt; selbst
Lizzies üblicher Heißhunger war merklich gebremst. Ich hoffte, daß
das Mädchen nicht krank war; bleich und still hatte sie sich mit
Kopfschmerzen entschuldigt und war im Kräuterschuppen zu Bett
gegangen. Dennoch, unter den Umständen war es von Vorteil; so
brauchte ich mir keine Entschuldigung einfallen zu lassen, um sie
loszuwerden, wenn Jamie kam.
Die Kerzen brannten schon seit über einer Stunde,
als ich endlich hörte, wie die Ziegen beim Klang seiner Schritte
auf dem Weg zur Begrüßung meckerten. Brianna blickte bei dem
Geräusch augenblicklich auf, das Gesicht blaß im gelben
Licht.
»Es wird schon werden«, sagte ich. Sie hörte die
Zuversicht in meiner Stimme und nickte ein wenig beruhigter. Meine
Zuversicht war echt, aber nicht ungetrübt. Ich glaubte, daß am Ende
alles gut werden würde - doch es würde weiß Gott kein
gemütlicher Familienabend werden. Ich kannte Jamie zwar gut, doch
es gab immer noch genügend Situationen, bei denen ich keine Ahnung
hatte, wie er reagieren würde - und zu erfahren, daß seine Tochter
von einem Vergewaltiger schwanger war, war definitiv eine
davon.
In den Stunden, seit Brianna meinen Verdacht zur
Gewißheit gemacht hatte, hatte ich mir buchstäblich all seine
möglichen Reaktionen ausgemalt, und einige davon
beinhalteten Geschrei und Fausthiebe gegen feste Gegenstände,
Verhaltensweisen, die mich immer wieder aus der Fassung brachten.
Möglicherweise hatten sie ja auf Brianna dieselbe Wirkung, und ich
wußte sehr viel besser, wie sie sich verhalten konnte, wenn
sie aus der Fassung geriet.
Im Augenblick hatte sie sich fest unter Kontrolle,
doch ich wußte,
auf welch tönernen Füßen ihr ruhiges Auftreten stand. Wenn er auch
nur ein verletzendes Wort zu ihr sagte, würde sie aufflammen wie
ein angerissenes Streichholz. Neben dem roten Haar und der
atemberaubenden Körpergröße hatte sie von Jamie auch ihre
leidenschaftliche Art und die absolute Bereitschaft, ihre Meinung
zu sagen.
Da sie noch so wenig miteinander vertraut waren und
so begierig, einander Freude zu machen, waren sie beide bis jetzt
vorsichtig vorgegangen - doch es schien keine Möglichkeit zu geben,
das hier mit Vorsicht abzuhandeln. Da ich mir nicht sicher war, ob
ich mich besser darauf vorbereitete, als Anwältin, Dolmetscherin
oder Schiedsrichterin zu fungieren, verspürte ich ein ziemlich
hohles Gefühl, als ich den Riegel anhob, um ihn
hereinzulassen.
Er hatte sich am Bach gewaschen; sein Haar war an
den Schläfen feucht, und den feuchten Stellen an seinem Hemdschoß
zufolge hatte er sich das Gesicht damit abgetrocknet.
»Du bist ziemlich spät; wo bist du gewesen?« fragte
ich, während ich mich auf die Zehenspitzen stellte, um ihm einen
Kuß zu geben. »Und wo ist Ian?«
»Fergus ist gekommen und hat gefragt, ob wir ihm
mit den Steinen für den Kamin helfen könnten - das konnte er ja
wohl kaum alleine. Ian ist drüben geblieben und hilft ihm, die
Arbeit zu beenden.« Er küßte mich abwesend auf den Scheitel und
strich mir über den Hintern. Er hatte schwer gearbeitet, dachte
ich; er fühlte sich warm an und roch durchdringend nach Schweiß,
obwohl die Haut in seinem Gesicht kühl und frisch vom Waschen
war.
»Hast du bei Marsali etwas zu essen bekommen?« Ich
betrachtete ihn im gedämpften Licht. Irgend etwas an ihm schien
anders zu sein, obwohl ich nicht darauf kam, was es war.
»Nein. Ich habe einen Stein fallengelassen, und
vielleicht habe ich mir wieder den verflixten Finger gebrochen; ich
dachte mir, ich gehe besser nach Hause, damit du dich darum kümmern
kannst.« Das war es, dachte ich; er hatte mich mit der linken Hand
liebkost, anstatt mit der rechten.
»Komm ans Licht, damit ich es mir ansehen kann.«
Ich zog ihn zum Feuer und ließ ihn auf eine der Holzbänke setzen.
Brianna saß auf der anderen, ihr Nähzeug ringsum verteilt. Sie
stand auf und kam herüber, um mir über die Schulter zu
blicken.
»Deine armen Hände, Pa!« sagte sie beim Anblick der
geschwollenen Knöchel und der aufgeschürften Haut.
»Och, es ist nichts weiter«, sagte er mit einem
abwinkenden Blick auf seine Hände. »Bis auf den verdammten Finger.
Au!«
Ich tastete mich sanft am Ringfinger seiner linken
Hand entlang, vom Ansatz bis zum Nagel, und ignorierte seinen
leisen Schmerzensseufzer. Der Finger war gerötet und leicht
geschwollen, doch nicht sichtbar verrenkt.
Es machte mich jedesmal leicht nervös, diese Hand
zu untersuchen. Ich hatte vor langer Zeit eine Anzahl gebrochener
Knochen darin gerichtet, bevor ich irgend etwas über richtige
Chirurgie wußte und unter Bedingungen, die alles andere als ideal
waren. Ich hatte es geschafft; ich hatte die Hand vor der
Amputation gerettet, und er konnte sie gut benutzen, doch es gab
leichte Probleme; kleine Knoten und Verdickungen, die mir jedesmal
zu Bewußtsein kamen, wenn ich die Hand genau befühlte. Dennoch, im
Augenblick war ich dankbar für den Aufschub.
Ich schloß die Augen und spürte das warme Flackern
des Feuers auf meinen Lidern, während ich mich konzentrierte. Der
Ringfinger war permanent erstarrt; das mittlere Gelenk war
zertrümmert worden und steif verheilt. Vor meinem inneren Auge
konnte ich den Knochen sehen; nicht die polierte, glatte Oberfläche
eines Exemplars aus dem Labor, sondern das schwach leuchtende,
steinerne Glänzen des lebendigen Knochens, die winzigen
Osteoblasten, die emsig an ihrer Kristallmatrix bauten, und den
verborgenen Puls des Blutes, der sie nährte.
Ich zog meinen Finger erneut der Länge nach über
den seinen und nahm ihn dann sanft zwischen Daumen und Zeigefinger,
genau unter dem letzten Gelenk. Ich konnte den Riß in Gedanken
spüren, eine dünne, schwarze Linie aus Schmerz.
»Da?« sagte ich und öffnete die Augen.
Er nickte und hatte ein schwaches Lächeln auf den
Lippen, als er mich ansah.
»Ganz genau. Ich liebe es, wie du aussiehst, wenn
du das machst, Sassenach.«
»Und wie sehe ich aus?« fragte ich, etwas
erschrocken zu hören, daß ich nicht aussah wie sonst.
»Ich kann es nicht genau beschreiben«, sagte er,
den Kopf auf die Seite gelegt, während er mich prüfend ansah. »Es
ist vielleicht wie -«
»Madame Lazonga und ihre Kristallkugel«, sagte
Brianna. Sie klang belustigt.
Ich blickte auf und sah zu meiner Verblüffung, daß
Brianna zu mir herabsah, den Kopf im selben Winkel geneigt,
denselben abschätzenden Blick im Gesicht. Sie verlagerte ihren
Blick auf Jamie. »Eine Hellseherin.«
Er lachte.
»Aye, ich glaube, du hast wohl recht, a
nighean. Obwohl ich an einen Priester gedacht hatte; wie er
aussieht, wenn er die Messe liest und durch das Brot hindurchblickt
und statt dessen den Leib Christi sieht. Nicht, daß ich vorhätte,
meinen mickrigen Finger mit dem Leib unseres Herrn zu vergleichen«,
fügte er hinzu und sah den Finger an, der ihm solchen Ärger
machte.
Brianna lachte, und als er zu ihr aufblickte, zog
ein Lächeln seinen Mundwinkel hoch. Sein Blick war sanft trotz der
Falten, mit denen die Müdigkeit seine Augen umgab. Er hatte einen
langen Tag gehabt, dachte ich. Und er würde wahrscheinlich noch
sehr viel länger werden. Ich hätte alles gegeben, um diesen
flüchtigen Augenblick der Verbindung zwischen ihnen festzuhalten,
doch er war schon vorbei.
»Ich finde euch beide zum Lachen«, sagte
ich. Ich berührte seinen Finger sanft an der Stelle, die ich
festgehalten hatte. »Der Knochen hat einen Sprung, genau hier unter
dem Gelenk. Es ist aber nicht schlimm, nur ein Haarriß. Ich werd’s
dir vorsichtshalber schienen.«
Ich stand auf und ging zu meiner Medizintruhe, um
sie nach einer Leinenbandage und einem der langen, flachen
Holzsplitter zu durchsuchen, die ich zum Niederdrücken der Zunge
benutzte. Ich blickte unauffällig über den aufgeklappten Deckel
hinweg und beobachtete ihn. Irgend etwas an ihm war heute abend
definitiv seltsam, obwohl ich immer noch nicht mit dem Finger
darauf zeigen konnte.
Ich hatte es sofort gespürt, sogar durch meine
eigene Aufregung hindurch, und spürte es noch stärker, als ich
seine Hand hielt, um sie zu untersuchen; er wurde von einer Art
Energie durchströmt, als wäre er aufgeregt oder
durcheinandergebracht, obwohl er sich äußerlich nichts anmerken
ließ. Er war verdammt gut darin, Dinge geheimzuhalten, wenn er es
wollte; was zum Teufel war in Fergus’ Haus wohl vorgefallen?
Brianna sagte etwas zu Jamie, so leise, daß ich es
nicht verstehen konnte, dann wandte sie sich ab, ohne eine Antwort
abzuwarten, und kam zu mir an die geöffnete Truhe.
»Hast du eine Salbe für seine Hände?« fragte sie.
Dann beugte sie sich unter dem Vorwand, in die Truhe zu blicken, zu
mir herüber und sagte leise: »Soll ich’s ihm heute abend sagen? Er
ist müde und hat Schmerzen. Soll ich ihn nicht lieber schlafen
lassen?«
Ich sah Jamie an. Er saß an die Bank gelehnt,
beobachtete mit weit geöffneten Augen die Flammen und hatte die
Hände flach auf den Oberschenkeln liegen. Doch er war nicht
entspannt, der seltsame Strom, der ihn durchlief, spannte ihn an
wie einen Telegraphendraht.
»Vielleicht schläft er besser, wenn er’s nicht
weiß, aber du nicht«, sagte ich genauso leise. »Sag’s ihm schon.
Laß ihn vielleicht nur zuerst essen«, fügte ich eine praktische
Überlegung an. Ich glaubte fest daran, daß man schlechten
Nachrichten am besten mit vollem Magen gegenübertrat.
Ich schiente Jamies Finger, während sich Brianna
neben ihn setzte und ihm Enziansalbe auf die aufgeschürften Knöchel
seiner anderen Hand tupfte. Ihr Gesicht war völlig reglos; niemand
hätte je erraten, was sich dahinter abspielte.
»Du hast dir das Hemd zerrissen«, sagte ich und
befestigte die letzte Bandage mit einem kleinen, ordentlichen
Knoten. »Gib es mir nach dem Essen, dann flicke ich es. So, wie ist
das?«
»Sehr gut, Madame Lazonga«, sagte er und wackelte
vorsichtig mit seinem frisch geschienten Finger. »Ich werde noch
völlig verwöhnt, wenn ihr euch so um mich kümmert.«
»Sobald ich anfange, dir dein Essen vorzukauen,
kannst du dir Sorgen machen«, sagte ich schroff.
Er lachte und hielt Brianna die geschiente Hand zum
Einreiben hin.
Ich ging zum Schrank, um ihm einen Teller zu holen.
Als ich mich wieder zur Feuerstelle umdrehte, sah ich, wie er sie
intensiv beobachtete. Sie hielt den Kopf gesenkt und hatte den
Blick auf die große, schwielige Hand gerichtet, die sie zwischen
ihren eigenen Händen hielt. Ich konnte mir vorstellen, wie sie nach
den Worten suchte, mit denen sie am besten begann, und es tat mir
in der Seele weh. Vielleicht hätte ich es ihm doch selbst unter
vier Augen sagen sollen, dachte ich; ihn nicht in ihre Nähe lassen
sollen, bis der erste Ansturm seiner Gefühle sicher überstanden war
und er sich wieder in der Hand hatte.
»Ciamar a tha thu, mo chridhe?« sagte er
plötzlich. Es war sein üblicher Gruß an sie, der Beginn ihrer
allabendlichen Gälischlektion, doch heute abend war seine Stimme
anders; leise und sehr sanft. Wie geht es dir, mein Herz? Er
drehte seine Hand um, legte sie über ihre und umschloß ihre langen
Finger.
»Tha mi gle mhath, athair«, antwortete sie
und machte ein etwas überraschtes Gesicht. Mir geht es gut,
Vater. Normalerweise begann er die Stunde nach dem
Abendessen.
Langsam streckte er die andere Hand aus und legte
sie sanft auf ihren Bauch.
»An e’n fhirinn a th’agad?« fragte er.
Sagst du mir die Wahrheit? Ich schloß meine Augen und atmete
aus. Ich hatte gar nicht gemerkt, daß ich die Luft angehalten
hatte. Schließlich mußte sie ja nicht mit der ganzen
Wahrheit auf einmal herausrücken. Und jetzt kannte ich
auch den Grund für seine angespannte Fremdheit; er wußte es, und
egal, wieviel Beherrschung ihm dieses Wissen abverlangte, er würde
sich beherrschen und sanft zu ihr sein.
Sie konnte noch nicht genug Gälisch, um zu
verstehen, was er gefragt hatte, doch sie wußte genau, was er
meinte. Sie sah ihn einen Moment lang erstarrt an, dann hob sie
seine gesunde Hand an ihre Wange, beugte sich mit dem Kopf darüber,
und das lose Haar verbarg ihr Gesicht.
»Oh, Pa«, sagte sie ganz ruhig. »Es tut mir
leid.«
Sie saß völlig still und hielt seine Hand fest, als
wäre sie ein Rettungsring.
»Aber, aber, m’annsachd«, sagte er leise,
»es wird alles gut.«
»Nein, das wird es nicht«, sagte sie, und ihre
Stimme war leise, aber klar. »Es wird nie wieder gut. Das weißt
du.«
Er sah mich aus purer Gewohnheit an, aber nur kurz.
Ich konnte ihm jetzt nicht sagen, was er tun sollte. Er holte tief
Luft, faßte sie an den Schultern und schüttelte sie sacht.
»Ich weiß nur«, sagte er leise, »daß ich hier bei
dir bin, und deine Mutter auch. Wir lassen nicht zu, daß man dich
beleidigt oder verletzt. Niemals. Hörst du mich?«
Sie antwortete nicht und blickte auch nicht auf,
sondern hielt die Augen auf ihren Schoß gerichtet, ihr Gesicht
hinter dem dichten Vorhang ihres Haars verborgen. Das Haar einer
Jungfrau, dicht und offen getragen. Seine Hand folgte der
glänzenden Rundung ihres Kopfes, dann wanderten seine Finger an
ihrem Kiefer entlang und hoben ihr Kinn, so daß sie ihn
ansah.
»Lizzie hat also recht?« fragte er sanft. »Es war
Vergewaltigung?«
Sie entzog ihm ihr Kinn und blickte auf ihre
verknoteten Hände hinab, ihre Geste eine genauso eindeutige
Bejahung wie ihr Nicken.
»Ich hätte nicht gedacht, daß sie es wußte. Ich
habe es ihr nicht erzählt.«
»Sie hat es erraten. Aber es ist nicht deine
Schuld, das darfst du niemals denken«, sagte er eindringlich. »Komm
her zu mir, a leannan.« Er streckte die Hände nach ihr aus
und setzte sie umständlich auf sein Knie.
Das Eichenholz ächzte alarmierend unter ihrem
vereinten Gewicht, doch Jamie hatte die Bank in seiner üblichen
stabilen Weise gebaut; sie hätte sechs von seiner Sorte aushalten
können. Trotz ihrer Größe sah Brianna in seinen Armen beinahe klein
aus, und sie lehnte den Kopf an seine Schulterbeuge. Er strich ihr
sanft über das Haar und murmelte ihr Liebkosungen zu, zur Hälfte
auf Gälisch.
»Ich sorge dafür, daß du sicher verheiratet wirst
und dein Kind einen guten Vater bekommt«, murmelte er ihr zu. »Das
schwöre ich dir, a nighean.«
»Ich kann niemanden heiraten«, sagte sie, und es
klang erstickt. »Das wäre unrecht. Ich kann doch keinen anderen
nehmen, wenn ich eigentlich Roger liebe. Und Roger wird mich jetzt
nicht mehr wollen. Wenn er herausfindet…«
»Dann macht es für ihn keinen Unterschied«, sagte
Jamie und hielt sie fester, beinahe heftig, als könnte er die Dinge
durch bloße Willenskraft richten. »Wenn er ein anständiger Mann
ist, dann spielt es für ihn keine Rolle. Und wenn doch - na, dann
verdient er dich nicht, und ich schlage ihn zu Brei und zerstampfe
die Überreste, und dann suche ich dir einen besseren Mann.«
Ihr kurzes Lachen verwandelte sich in Schluchzen,
und sie vergrub ihren Kopf im Stoff an seiner Schulter. Er
liebkoste sie, wiegte sie und murmelte ihr zu, als wäre sie ein
kleines Mädchen mit einem aufgeschlagenen Knie, und sein Blick traf
über ihren Kopf hinweg den meinen.
Ich hatte nicht geweint, als sie es mir gesagt
hatte; Mütter sind stark. Doch jetzt konnte sie mich nicht sehen,
und Jamie hatte mir für den Augenblick die Bürde der Stärke von den
Schultern genommen.
Auch sie hatte nicht geweint, als sie es mir gesagt
hatte. Doch jetzt klammerte sie sich an ihn und weinte, mindestens
so sehr aus Erleichterung, dachte ich, wie vor Kummer. Er hielt sie
einfach nur und ließ sie weinen, strich ihr wieder und wieder über
das Haar, seinen Blick auf mein Gesicht gerichtet.
Ich trocknete mir die Augen an meinem Ärmel, und er
lächelte mich schwach an. Briannas Weinen war in lange, seufzende
Atemzüge übergegangen, und er klopfte ihr sanft auf den
Rücken.
»Ich habe Hunger, Sassenach«, sagte er. »Und ich
glaube, ein kleiner Tropfen könnte keinem von uns schaden,
aye?«
»Gut«, sagte ich und räusperte mich. »Ich gehe in
den Schuppen und hole etwas Milch.«
»Das war aber nicht die Art Getränk, die ich
gemeint habe!« rief er mir in gespielter Entrüstung nach.
Ohne diese Bemerkung oder Briannas ersticktes
Lachen zu beachten, schob ich die Tür auf.
Die Nacht draußen war kalt und klar, die
herbstlichen Sterne funkelten hell über uns. Ich war nicht für
draußen angezogen - mein Gesicht und meine Hände fingen bereits an
zu kribbeln -, doch ich stand
trotzdem völlig still und ließ den kalten Wind an mir vorbeiwehen
und die Anspannung der letzten Viertelstunde mit sich nehmen.
Alles war still; die Grillen und Zikaden waren
schon lange tot oder mit den raschelnden Mäusen hatten sich
vergraben, mit den Skunks und Opossums, die ihre endlose
Nahrungssuche aufgegeben hatten und verschwunden waren, um ihre
Winterträume zu träumen, eine wärmende Fettschicht um die Knochen
gehüllt. Nur Wölfe jagten in den kalten Sternennächten des
Spätherbstes, lautlos und pelzpfotig auf dem gefrorenen
Boden.
»Was machen wir nur?« sagte ich leise an die
überwältigenden Tiefen des weiten, dunklen Himmels gewandt.
Ich hörte kein Geräusch außer dem Rauschen des
Windes in den Kiefern; keine Antwort, außer der Formulierung meiner
eigenen Frage - das schwache Echo des »wir«, das mir in den Ohren
klang. Soviel stand zumindest fest; was auch immer geschah, keiner
von uns mußte den Dingen allein gegenübertreten. Und ich dachte
mir, daß das eigentlich alles war, was ich im Augenblick als
Antwort brauchte.
Als ich hereinkam, saßen sie noch auf der Bank, die
rothaarigen Köpfe dicht beieinander und vom Feuer angeleuchtet. Der
Geruch der Enziansalbe vermischte sich mit dem durchdringenden Duft
brennender Kiefer und dem Aroma des Wildeintopfes, das mir das
Wasser im Mund zusammenlaufen ließ - ganz plötzlich hatte ich
Hunger.
Ich ließ die Tür leise hinter mir zufallen und
schob den schweren Riegel vor. Ich schürte das Feuer und deckte den
Tisch noch einmal zum Abendessen. Ich holte einen frischen Brotlaib
vom Regal und ging in die Vorratskammer, um frische Butter aus dem
Steinguttopf zu holen. Dort verweilte ich einen Augenblick und ließ
meinen Blick über die vollbeladenen Regalbretter schweifen.
»Vertraut auf Gott und betet um seinen Beistand.
Und im Zweifelsfall, eßt.« Ein Franziskanermönch hatte mir einst
diesen Rat gegeben, und im großen und ganzen hatte ich ihn nützlich
gefunden. Ich suchte ein Glas schwarze Johannisbeermarmelade, einen
kleinen, runden Ziegenkäse und eine Flasche Holunderwein als
Beilagen zum Abendessen aus.
Jamie erzählte leise, als ich zurückkam. Ich
beendete meine Vorbereitungen und ließ mich genau wie Brianna vom
tiefen Rollen seiner Stimme beruhigen.
»Ich habe immer an dich gedacht, als du klein
warst«, sagte Jamie gerade zu Brianna. »Als ich in der Höhle gelebt
habe; da habe ich mir immer vorgestellt, dich in meinen Armen zu
halten, ein kleines Baby.
Ich habe dich so gehalten, an meinem Herzen, und dann habe ich dir
etwas vorgesungen und oben die Sterne vorbeiziehen gesehen.«
»Was hast du gesungen?« Auch Briannas Stimme war
leise, kaum zu hören im Knistern des Feuers. Ich konnte ihre Hand
sehen, die auf seiner Schulter ruhte. Ihr Zeigefinger berührte eine
lange, leuchtende Strähne seines weichen Haars und streichelte sie
zurückhaltend.
»Alte Lieder. Wiegenlieder, an die ich mich
erinnern konnte, die meine Mutter mir vorgesungen hat, dieselben,
die meine Schwester Jenny ihren Kindern vorgesungen hat.«
Sie seufzte, ein langer, langsamer Ton.
»Bitte sing mir jetzt auch etwas vor, Pa.«
Er zögerte, neigte ihr jedoch dann seinen Kopf zu
und begann zu singen, ein seltsames, melodieloses Lied auf Gälisch.
Jamie konnte keine Töne auseinanderhalten; das Lied schwankte
seltsam aufwärts und abwärts, ohne die geringste Ähnlichkeit mit
Musik zu haben, doch der Rhythmus der Worte tröstete das Ohr.
Ich verstand die meisten Worte; das Lied eines
Fischers, der von den Fischen in Loch und Meer sang und
seiner Tochter erzählte, was er ihr zum Essen heimbringen würde.
Das Lied eines Jägers, der von den Vögeln und Raubtieren sang, der
Schönheit ihrer Federn, der Wärme ihres Fells, dem Fleisch, das für
den Winter reichen würde. Es war das Wiegenlied eines Vaters - eine
leise Litanei des Schutzes und der Fürsorge.
Ich bewegte mich lautlos durch das Zimmer, stellte
die Zinnteller und Holzschüsseln für das Abendessen hin, ging
zurück, um Brot abzuschneiden und es mit Butter zu
bestreichen.
»Weißt du was, Pa?« fragte Brianna leise.
»Was denn?« sagte er und unterbrach sein Lied für
einen Augenblick.
»Du kannst nicht singen.«
Ich hörte kurzes Gelächter und Stoffrascheln, als
er seine Position veränderte, um es ihnen beiden bequemer zu
machen.
»Aye, das stimmt. Soll ich denn aufhören?«
»Nein.« Sie schmiegte sich fester an ihn und lehnte
ihren Kopf an seine Schulter.
Er nahm sein tonloses Summen wieder auf, um sich
ein paar Sekunden später selbst zu unterbrechen.
»Und weißt du was, a leannan?«
Sie hatte die Augen geschlossen, und ihre Wimpern
warfen lange Schatten auf ihre Wangen, doch ich sah, wie sich ihre
Lippen zu einem Lächeln kräuselten.
»Was denn, Pa?«
»Du bist so schwer wie ein ausgewachsener
Hirsch.«
»Soll ich denn aufstehen?« fragte sie, ohne sich zu
bewegen.
»Natürlich nicht.«
Sie streckte die Hand aus und berührte seine
Wange.
»Mi gradhaich a thu, athair«, flüsterte sie.
All meine Liebe für dich, Vater.
Er umarmte sie fest, senkte den Kopf und küßte sie
auf die Stirn. Das Feuer erfaßte einen Harzklumpen. Es flammte
plötzlich hinter der Bank auf und bemalte ihre Gesichter mit Gold
und Schwarz. Seine Gesichtszüge waren schroff geschnitten und kühn;
ihre ein zarteres Echo seiner schweren, scharfkantigen Knochen.
Beide sturköpfig, beide stark. Und beide, Gott sei Dank,
mein.
Durch ihren Gefühlsausbruch ermüdet, schlief
Brianna nach dem Abendessen ein. Ich fühlte mich ebenfalls ziemlich
abgeschlafft, war aber noch nicht in der Stimmung zum Schlafen. Ich
war erschöpft und aufgekratzt zugleich und hatte dasselbe
entsetzliche Gefühl, wie wenn ich auf dem Schlachtfeld mitten im
Geschehen war, über das ich keinerlei Kontrolle hatte, mit dem ich
mich aber dennoch befassen mußte.
Ich wollte mich mit gar nichts abgeben. Was ich
wollte, war jeden Gedanken an die Gegenwart und die Zukunft von mir
zu schieben und zum Frieden der letzten Nacht zurückzukehren.
Ich wollte mit Jamie ins Bett kriechen und mich
warm an ihn kuscheln, zu zweit unter der Bettdecke sicher gegen die
zunehmende Kälte des Zimmers abgeriegelt. Zusehen, wie die Glut
verlosch, während wir uns leise unterhielten und unser Gespräch
langsam von den Neuigkeiten und kleinen Scherzen des Tages in die
Sprache der Nacht überging. Die Zwiesprache von Worten in
Berührung, vom Atmen in die kleinen Körperbewegungen übergehen
lassen, die in sich selbst Frage und Antwort waren; unsere
vollendete Unterredung schließlich in der Eintracht des Schlafes
zum Schweigen bringen.
Doch heute nacht lasteten Sorgen auf dem Haus, und
es gab keinen Frieden zwischen uns.
Er strich durch das Haus wie ein eingesperrter
Wolf, hob Gegenstände auf und legte sie wieder hin. Ich räumte den
Eßtisch ab und beobachtete ihn aus den Augenwinkeln. Ich hätte
nichts lieber getan als mit ihm zu reden - und fürchtete es zur
gleichen Zeit. Ich hatte Brianna versprochen, ihm nichts von Bonnet
zu sagen. Doch ich war eine ziemlich schlechte Lügnerin - und er
kannte mein Gesicht so gut.
Ich füllte einen Eimer mit heißem Wasser aus dem
großen Kessel und nahm die Zinnteller mit vor die Tür, um sie
abzuspülen.
Als ich zurückkam, fand ich Jamie vor dem kleinen
Regal, in dem er sein Tintenfaß, seine Schreibfedern und sein
Papier aufbewahrte. Er hatte sich noch nicht fürs Bett ausgezogen,
doch er machte auch keine Anstalten, die Utensilien
herunterzunehmen und sich an seine allabendliche Arbeit zu begeben.
Aber natürlich - mit seiner verletzten Hand konnte er nicht
schreiben.
»Möchtest du, daß ich etwas für dich schreibe?«
fragte ich, als ich sah, wie er sich eine Feder nahm und sie wieder
hinlegte.
Er wandte sich mit einer unruhigen Geste ab.
»Nein. Ich muß natürlich an Jenny schreiben - und
es müssen noch andere Arbeiten erledigt werden -, aber ich kann es
im Augenblick nicht ertragen, mich hinzusetzen und
nachzudenken.«
»Ich weiß, wie du dich fühlst«, sagte ich
mitfühlend. Er sah mich leicht erschrocken an.
»Ich kann dir ja selbst nicht genau sagen, wie ich
mich fühle, Sassenach«, sagte er mit einem seltsamen Lachen. »Wenn
du meinst, du weißt es, sag’s mir.«
»Müde«, sagte ich und legte eine Hand auf seinen
Arm. »Wütend. Voller Sorgen.« Ich sah zu Brianna hinüber, die auf
dem Rollbett schlief. »Am Boden zerstört vielleicht«, fügte ich
leise hinzu.
»All das«, sagte er. »Und noch einiges mehr.« Er
trug keine Halsbinde, zupfte aber an seinem Hemdkragen, als
erwürgte ihn dieser.
»Ich kann nicht hier drinnen bleiben«, sagte er. Er
sah mich an; ich war immer noch vollständig angezogen; Rock, Hemd
und Mieder. »Kommst du mit hinaus und gehst ein bißchen mit mir
spazieren?«
Ich ging auf der Stelle meinen Umhang holen. Es war
dunkel draußen; er würde mein Gesicht nicht sehen können.
Wir schritten langsam nebeneinander her, über den
Hof und an den Schuppen vorbei, hinunter zum Pferch und zu den
Feldern, die dahinter lagen. Ich hielt ihn am Arm und spürte ihn
verspannt und starr unter meinen Fingern.
Ich hatte keine Ahnung, wie ich anfangen, was ich
sagen sollte. Vielleicht sollte ich einfach schweigen, dachte ich.
Wir waren beide immer noch aufgeregt, obwohl wir unser Bestes getan
hatten, vor Brianna die Ruhe zu bewahren.
Ich konnte spüren, wie die Wut knapp unter seiner
Haut brodelte. Völlig verständlich, doch Wut ist so flüchtig wie
Kerosin - das man unter Druck in Flaschen gefüllt hat, ohne ein
Ziel, auf das man es loslassen könnte. Ein unvorsichtiges Wort
meinerseits konnte schon ausreichen, um eine Explosion auszulösen.
Und wenn sie mir um die Ohren flog, würde ich entweder in Tränen
ausbrechen oder ihm
an die Kehle gehen - meine eigene Stimmung war alles andere als
stabil.
Wir wanderten ziemlich lange, zwischen den Bäumen
hindurch bis zu dem toten Maisfeld, an dessen Rand entlang und
zurück, und bewegten uns die ganze Zeit auf leisen Sohlen durch ein
Minenfeld des Schweigens.
»Jamie«, sagte ich schließlich, als wir am Rand des
Feldes ankamen, »was hast du mit deinen Händen gemacht?«
»Was?« Er fuhr erschrocken zu mir herum.
»Deine Hände.« Ich fing eine von ihnen auf und nahm
sie zwischen meine eigenen. »So verletzt man sich nicht beim
Schornsteinmauern.«
»Ah.« Er blieb still stehen und ließ mich die
geschwollenen Knöchel seiner Hand berühren.
»Brianna«, sagte er. »Sie - sie hat dir nichts von
dem Mann erzählt? Hat sie dir seinen Namen gesagt?«
Ich zögerte - und war verloren. Er kannte mich sehr
gut.
»Sie hat ihn dir gesagt, oder?« In seiner Stimme
drohte Gefahr.
»Ich mußte ihr versprechen, ihn dir nicht zu
sagen«, platzte ich heraus. »Ich habe ihr gesagt, daß du merken
würdest, daß ich etwas vor dir verberge; aber Jamie, ich hab’s
versprochen - zwing mich bitte nicht, ihn dir zu sagen!«
Er schnaubte wieder, von halb belustigtem Abscheu
erfüllt.
»Aye, ich kenne dich gut, Sassenach; du könntest
nichts vor irgend jemandem geheimhalten, der dich auch nur im
geringsten kennt. Sogar unser kleiner Ian kann dich lesen wie ein
Buch.«
Er winkte ab.
»Belaste dein Gewissen nicht. Sie soll es mir
selbst sagen, wenn sie will.« Seine verletzte Hand krümmte sich
langsam auf seinem Kilt, und ein kleiner Schauer lief mir über den
Rücken.
»Deine Hände«, sagte ich noch einmal.
Er holte tief Luft und hielt sie mit dem Handrücken
nach oben vor sich. Er spannte sie langsam an.
»Erinnerst du dich, Sassenach, als wir uns anfangs
kennengelernt haben? Dougal hat mich so gereizt, daß ich dachte,
ich müßte auf ihn loshämmern, doch zu dem Zeitpunkt konnte ich es
nicht. Du hast mir gesagt ›Schlag auf irgend etwas ein, dann geht’s
dir besser‹.« Er lächelte mich schief und ironisch an. »Und ich
habe gegen einen Baum geschlagen. Es hat wehgetan, aber du hattest
recht, nicht wahr? Es ging mir besser, zumindest fürs erste.«
»Oh.« Ich atmete auf, erleichtert, daß er nicht
vorhatte, weiter
in mich zu dringen. Sollte er doch warten; ich bezweifelte, daß
ihm schon aufgegangen war, daß seine Tochter genauso stur sein
konnte wie er selbst war.
»Hat sie - hat sie dir erzählt, was passiert ist?«
Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, doch das Zögern in seiner
Stimme war unüberhörbar. »Ich meine -« Er holte mit einem kräftigen
Zischen Luft. »Hat der Mann ihr weh getan?«
»Nein, nicht körperlich.«
Ich zögerte meinerseits und bildete mir ein, ich
könnte das Gewicht des Ringes in meiner Tasche spüren, obwohl das
natürlich nicht stimmte. Brianna hatte mich nur gebeten, Bonnets
Namen für mich zu behalten, doch ich würde Jamie auch die Details
nicht weitersagen, die sie mir erzählt hatte, es sei denn, er
fragte danach. Und ich glaubte nicht, daß er fragen würde; es war
das letzte, was er hören wollte.
Er fragte nicht; murmelte nur auf Gälisch vor sich
hin und ging mit gesenktem Kopf weiter.
Nachdem die Stille einmal gebrochen war, stellte
ich fest, daß ich sie nicht mehr ertragen konnte. Besser zu
explodieren als zu ersticken. Ich nahm meine Hand von seinem
Arm.
»Was denkst du gerade?«
»Ich frage mich - ob es genauso schlimm ist -
vergewaltigt zu werden… wenn es - wenn es nicht… wenn man nicht…
verletzt wird.« Er zuckte unruhig mit den Schultern, als wäre ihm
sein Rock zu eng.
Ich wußte genau, woran er dachte. Das Gefängnis von
Wentworth und die verblichenen Narben, die seinen Rücken überzogen,
ein Netz aus furchtbaren Erinnerungen.
»Schlimm genug, schätze ich«, sagte ich. »Obwohl
ich denke, daß du recht hast, es ist vielleicht einfacher zu
ertragen, wenn man keine körperlichen Spuren davonträgt.
Andererseits trägt sie eine«, fühlte ich mich verpflichtet
hinzuzufügen. »Und zwar eine ziemlich unübersehbare, was das
angeht!« Seine rechte Hand rollte sich an seiner Seite ein und
ballte sich unwillkürlich.
»Aye, das stimmt«, brummte er. Er sah mich unsicher
an, und das Licht des Halbmondes vergoldete die Flächen seines
Gesichtes. »Aber trotzdem - er hat ihr nicht weh getan, das ist
immerhin etwas. Wenn er es getan hätte… dann wäre der Tod viel zu
gut für ihn«, schloß er abrupt.
»Du mußt das nicht ganz unwesentliche Detail
bedenken, daß man sich von einer Schwangerschaft nicht wieder
›erholt‹«, sagte ich mit einem hörbar gereizten Unterton in der
Stimme. »Wenn er ihr die Knochen gebrochen oder ihr Blut vergossen
hätte, dann würde das
wieder heilen. So aber - wird sie es niemals mehr vergessen, weißt
du?«
»Ich weiß!«
Ich zuckte leicht zusammen, und er sah es. Er
machte eine angedeutete Geste der Entschuldigung.
»Ich wollte dich nicht anschreien.«
Ich nahm die Entschuldigung mit einem kurzen
Kopfnicken an, und wir gingen weiter, Seite an Seite, doch ohne uns
zu berühren.
»Es -«, begann er und brach dann ab und sah mich
an. Er zog eine Grimasse, unzufrieden mit sich selbst.
»Ich weiß es«, sagte er, diesmal ruhiger. »Du mußt
entschuldigen, Sassenach, ich weiß eine verdammte Menge mehr
darüber als du.«
»Ich wollte mich nicht mit dir streiten. Aber du
hast noch nie ein Kind bekommen; du kannst nicht wissen, wie das
ist. Es ist -«
»Du streitest dich wohl mit mir, Sassenach.
Tu’s nicht.« Er drückte fest meinen Arm, dann ließ er los. Es lag
eine Spur von Humor in seiner Stimme, doch eigentlich war er
todernst.
»Ich versuche, dir zu sagen, was ich weiß.«
Er blieb eine Minute lang still stehen und sammelte seine
Gedanken.
»Ich habe schon sehr lange nicht mehr an Jack
Randall gedacht«, sagte er schließlich. »Ich will es auch jetzt
nicht. Aber so ist es nun einmal.« Er zuckte erneut mit den
Schultern und rieb sich fest mit der Hand über die Wange.
»Es gibt den Körper und es gibt die Seele,
Sassenach«, sagte er. Er redete langsam, legte sich seine Gedanken
zusammen mit seinen Worten zurecht. »Du bist Ärztin; du kennst das
eine gut. Aber das andere ist wichtiger.«
Ich öffnete den Mund, um zu sagen, daß ich das
genausogut wußte wie er - schloß ihn dann aber wieder, ohne etwas
zu sagen. Er bemerkte es nicht; er sah weder das dunkle Maisfeld
noch den Ahornwald, dessen Blätter im Mondlicht zu Silber geworden
waren. Sein Blick war auf einen kleinen Raum mit dicken Steinwänden
gerichtet, der mit einem Tisch und Hockern und einer Lampe
ausgestattet war. Und mit einem Bett.
»Randall«, sagte er, und seine Stimme klang
gedankenverloren. »Das meiste von dem, was er mir angetan hat - ich
hätte es aushalten können.« Er spreizte die Finger seiner rechten
Hand; der Verband an seinem angebrochenen Finger leuchtete
weiß.
»Ich hätte Angst und Schmerzen gehabt; ich hätte
den Wunsch verspürt, ihn dafür umzubringen. Aber ich hätte danach
weiterleben können, ohne ständig seine Berührung auf mir zu spüren,
ohne mich
vor mir selbst zu ekeln - wäre es nicht so gewesen, daß er sich
nicht mit meinem Körper zufriedengegeben hat. Er wollte meine Seele
- und er hat sie bekommen.« Der weiße Verband verschwand, als sich
seine Faust schloß.
»Aye, nun gut - das weißt du alles schon.« Er
wandte sich abrupt ab und ging weiter. Ich mußte mich beeilen, um
ihn einzuholen.
»Was ich sagen will, ist, glaube ich - war dieser
Mann ein Fremder, der sie nur für einen Augenblick der Lust
genommen hat? Wenn es nur ihr Körper war, den er wollte… dann
glaube ich, daß sie bald darüber hinwegkommen wird.«
Er holte tief Luft und atmete wieder aus; ich sah,
wie der schwache, weiße Nebel seinen Kopf einen Augenblick lang
umschwebte, das sichtbar gewordene Dampfen seiner Wut.
»Aber wenn er sie kannte - er ihr nah genug war, um
sie zu wollen und nicht nur irgendeine Frau - dann könnte es
sein, daß er an ihre Seele gerührt und sie wirklich verletzt hat
-«
»Du glaubst nicht, daß er sie wirklich verletzt
hat?« Ich hob unwillkürlich die Stimme. »Ob er sie kannte oder
nicht -«
»Es ist ein Unterschied, ich sage es dir!«
»Nein, das ist es nicht. Ich weiß, was du meinst
-«
»Nein!«
»Doch! Aber warum -«
»Weil es nicht dein Körper ist, der zählt, wenn ich
dich nehme«, sagte er. »Und das weißt du ganz genau,
Sassenach!«
Er drehte sich um und küßte mich heftig. Es kam
völlig überraschend. Er preßte meine Lippen gegen meine Zähne und
nahm dann meinen ganzen Mund mit dem seinen, beinahe ein fordernder
Biß.
Ich wußte, was er von mir wollte; dasselbe, was ich
so verzweifelt von ihm brauchte - Rückhalt. Doch keiner von uns
konnte ihn dem anderen in dieser Nacht geben.
Seine Finger gruben sich in meine Schultern,
glitten höher und ergriffen meinen Hals. Die Haare auf meinen Armen
sträubten sich, als er mich an sich drückte - und dann hielt er
inne.
»Ich kann’s nicht«, sagte er. Er drückte meinen
Nacken fest und ließ dann los. Sein Atem kam stoßweise. »Ich kann’s
nicht.«
Er trat zurück, wandte sich von mir ab und tastete
wie blind nach dem Zaun vor ihm. Er packte das Holz fest mit beiden
Händen und stand mit geschlossenen Augen da.
Ich zitterte, und meine Beine gaben unter mir nach.
Ich schlug die Arme unter dem Umhang um mich und setzte mich zu
seinen Füßen nieder. Und wartete, während mir das Herz schmerzhaft
laut in
den Ohren schlug. Der Nachtwind wehte durch die Bäume auf dem Kamm
und murmelte in den Kiefern. Irgendwo weit weg in den dunklen
Hügeln schrie ein Berglöwe. Es klang wie eine Frau.
»Es ist nicht so, daß ich dich nicht will«, sagte
er schließlich, und ich hörte leise seinen Rock rascheln, als er
sich mir zuwandte. Er stand einen Augenblick still, den Kopf
gesenkt, das zusammengebundene Haar glänzend im Mondschein, das
Gesicht im Dunkeln verborgen, denn der Mond war hinter ihm.
Schließlich bückte er sich, nahm meine Hand in seine verletzte Hand
und zog mich hoch.
»Ich will dich vielleicht mehr als je zuvor«, sagte
er leise. »Und Himmel! Ich brauche dich, Claire. Doch ich kann es
im Augenblick nicht ertragen, mich als Mann zu betrachten. Ich kann
dich nicht berühren, ohne daran zu denken, was er - ich kann’s
nicht.«
Ich berührte seinen Arm.
»Ich verstehe«, sagte ich, und so war es auch. Ich
war froh, daß er nicht nach den Details gefragt hatte; ich wünschte
mir, ich würde sie auch nicht kennen. Wie würde es sein, mit ihm zu
schlafen und gleichzeitig einen Akt vor Augen zu haben, der in
seinen Bewegungen identisch war, aber von einer absolut anderen
Essenz?
»Ich verstehe, Jamie«, sagte ich noch einmal.
Er öffnete die Augen und sah mich an.
»Aye, das tust du, nicht wahr? Und das ist es, was
ich meine.« Er nahm meinen Arm und zog mich an sich.
»Du könntest mich in Stücke reißen, Claire, ohne
mich zu berühren«, flüsterte er, »denn du kennst mich.« Seine
Finger berührten meine Wange. Sie waren kalt und steif. »Und ich
könnte das gleiche mit dir tun.«
»Das könntest du«, sagte ich, und mir war ein wenig
schwindelig. »Aber mir wäre wirklich lieber, du tätest es
nicht.«
Er lächelte kurz, neigte den Kopf und küßte mich
ganz sanft. Wir standen zusammen da, berührten uns nur mit den
Lippen und atmeten den Atem des anderen.
Ja, sagten wir schweigend zueinander. Ja,
ich bin immer noch da. Es war keine Rettung, aber immerhin ein
dünnes Seil, das sich über den Abgrund spannte, der zwischen uns
lag. Ich wußte in der Tat, was er mit dem Unterschied zwischen
Verletzungen an Körper und Seele meinte; was ich ihm nicht erklären
konnte war die Verbindung, die beide in der Gebärmutter eingingen.
Schließlich trat ich zurück und sah zu ihm auf.
»Brianna ist sehr stark«, sagte ich ruhig. »Genau
wie du.«
»Wie ich?« Er schnaubte leise. »Dann steh’ Gott ihr
bei.«
Er seufzte, dann wandte er sich um und begann
langsam am Zaun entlangzugehen. Ich folgte ihm und mußte mich ein
wenig beeilen, um mitzuhalten.
»Dieser Mann, dieser Roger, von dem sie spricht.
Wird er zu ihr stehen?« fragte er abrupt.
Ich holte tief Luft und atmete langsam wieder aus.
Ich wußte nicht, wie ich antworten sollte. Ich hatte Roger nur ein
paar Monate lang erlebt. Ich mochte ihn; hatte ihn sogar sehr gern.
Nach allem, was ich von ihm wußte, war er ein durch und durch
anständiger, ehrenhafter junger Mann - doch wie konnte ich auch nur
so tun, als wüßte ich, was er denken, tun oder fühlen würde, wenn
er erfuhr, daß Brianna vergewaltigt worden war? Schlimmer noch, daß
sie möglicherweise ein Kind von dem Vergewaltiger bekam?
Der beste aller Männer war unter Umständen nicht in
der Lage, mit so einer Situation fertigzuwerden; in den Jahren, die
ich als Ärztin gearbeitet hatte, hatte ich selbst eingefahrene Ehen
unter viel geringerem Druck zerbrechen sehen. Und solche, die nicht
zerbrachen, sondern durch Mißtrauen verkrüppelt wurden… Ich preßte
unwillkürlich die Hand gegen mein Bein und spürte den Goldring
winzig und hart in meiner Tasche. Von F. für C. in Liebe.
Immer.
»Würdest du es tun?« sagte ich schließlich. »Wenn
ich es wäre?« Er sah mich scharf an und öffnete den Mund, als
wollte er etwas sagen. Dann schloß er ihn und sah suchend in mein
Gesicht, die Augenbrauen sorgenvoll verzerrt.
»Ich hätte beinahe ›Aye, natürlich!‹ gesagt«, sagte
er schließlich langsam. »Aber ich habe dir einmal Ehrlichkeit
versprochen, nicht wahr?«
»Das ist wahr«, sagte ich und spürte mein Herz
unter der Last meiner Schuld sinken. Wie konnte ich ihn zur
Ehrlichkeit zwingen, wenn ich sie nicht erwidern konnte? Und doch
hatte er gefragt.
Er versetzte dem Zaunpfahl einen leichten
Faustschlag.
»Ifrinn! Ja, verdammt - das würde ich. Du
wärst die Meine, auch wenn das Kind es nicht wäre. Und wenn du -
ja. Das würde ich«, wiederholte er fest. »Ich würde dich nehmen,
und das Kind zusammen mit dir, und der Rest der Welt wäre mir
egal!«
»Und später nie mehr darüber nachdenken?« fragte
ich. »Es nie im Kopf haben, wenn du in mein Bett kämst? Niemals den
Vater sehen, wenn du das Kind ansiehst? Es mir nie vorwerfen, es
nie zwischen uns kommen lassen?«
Er öffnete den Mund, um zu antworten, schloß ihn
dann aber wieder, ohne etwas zu sagen. Dann sah ich, wie eine
Veränderung seine Gesichtszüge trat, ein plötzlicher Schock
erschrockenen Begreifens.
»Oh, Himmel«, sagte er. »Frank. Nicht ich. Es ist
Frank, von dem du sprichst.«
Ich nickte, und er packte meine Schultern.
»Was hat er dir angetan?« fragte er fordernd. »Was?
Sag es mir, Claire!«
»Er hat zu mir gestanden«, sagte ich, und es hörte
sich sogar in meinen Ohren erstickt an. »Ich habe versucht, ihn
fortzuschicken, doch er wollte es nicht. Und als das Baby - als
Brianna kam - er hat sie geliebt, Jamie. Er war sich nicht sicher,
er glaubte nicht, daß er es könnte - und ich auch nicht -, doch er
hat sie wirklich geliebt. Es tut mir leid«, fügte ich hinzu.
Er holte tief Luft und ließ meine Schultern
los.
»Das darf dir nicht leid tun«, sagte er schroff.
»Niemals.« Er rieb sich mit der Hand über das Gesicht, und ich
konnte hören, wie er leise über seine Bartstoppeln kratzte.
»Und was ist mit dir, Sassenach?« sagte er. »Was du
gesagt hast - wenn er zu dir ins Bett gekommen ist. Hat er
gedacht…« Er brach abrupt ab und ließ all seine Fragen zwischen uns
in der Luft hängen, unausgesprochen, aber dennoch gestellt.
»Es könnte an mir gelegen haben - meine Schuld,
meine ich«, sagte ich schließlich in die Stille. »Ich konnte nicht
vergessen, verstehst du? Wenn ich es gekonnt hätte… wäre es
vielleicht anders gewesen.« Ich hätte es dabei belassen sollen,
doch ich konnte es nicht; die Worte, die sich den ganzen Abend über
aufgestaut hatten, brachen in einer Flut hervor.
»Es wäre vielleicht einfacher - besser - für ihn
gewesen, wenn es eine Vergewaltigung gewesen wäre. Das ist
es, was sie ihm gesagt haben, weißt du - die Ärzte; daß ich
vergewaltigt und mißbraucht worden war und daß ich
Wahnvorstellungen hatte. Das ist es, was alle geglaubt haben, aber
ich habe ihm immer wieder gesagt, nein, so war es nicht, habe
darauf bestanden, ihm die Wahrheit zu sagen. Und nach einiger Zeit
- hat er mir geglaubt, zumindest ein Stück weit. Und das war das
Problem; nicht, daß ich ein Kind von einem anderen hatte - sondern
daß ich dich liebte. Und nicht aufhörte, dich zu lieben. Ich konnte
es nicht«, fügte ich leiser hinzu. »Er war besser als ich, Frank.
Er konnte die Vergangenheit von sich schieben, zumindest um
Briannas willen. Aber für mich…« Die Worte blieben mir im Hals
stecken, und ich hielt inne.
Da wandte er sich um und sah mich lange an, sein
Gesicht völlig ausdruckslos, die Augen unter den Schatten seiner
Brauen verborgen.
»Und so hast du zwanzig Jahre mit einem Mann
zusammengelebt, der dir etwas nicht verzeihen konnte, woran du gar
nicht schuld warst? Ich habe dir das angetan, nicht wahr?« sagte
er. »Mir tut es auch leid, Sassenach.«
Mir entfuhr ein kurzer Atemzug, der ein halber
Seufzer war.
»Du hast gesagt, du könntest mich in Stücke reißen,
ohne mich zu berühren«, sagte ich. »Du hattest ja so verdammt
recht.«
»Es tut mir leid«, flüsterte er noch einmal, doch
diesmal streckte er die Hände nach mir aus und hielt mich
fest.
»Daß ich dich geliebt habe? Das darf dir nicht leid
tun«, sagte ich mit halberstickter Stimme in sein Hemd.
»Niemals.«
Er antwortete nicht, sondern senkte den Kopf und
drückte seine Wange gegen mein Haar. Es war still; ich konnte sein
Herz schlagen hören, lauter und leiser als der Wind in den Bäumen.
Meine Haut war kalt; die Tränen auf meinen Wangen kühlten sich
sofort ab.
Schließlich löste ich meine Arme von ihm, ließ sie
sinken und trat zurück.
»Wir sollten besser zum Haus zurückgehen«, sagte
ich um einen normalen Tonfall bemüht. »Es wird furchtbar
spät.«
»Aye, das denke ich auch.« Er bot mir seinen Arm
an, und ich ergriff ihn. In erleichtertem Schweigen folgten wir dem
Pfad bis zum Rand der Felsenschlucht am Oberlauf des Baches. Es war
zwar so kalt, daß winzige Eiskristalle auf den Felsen
aufglitzerten, wenn das Sternenlicht sie traf, doch der Bach war
noch lange nicht gefroren. Sein Gurgeln und Rauschen erfüllte die
Luft und ließ nicht zu, daß wir allzu leise waren.
»Aye, gut«, sagte er, als wir dem Pfad weiter
folgten, am Schweinestall vorbei. »Ich hoffe, daß Roger Wakefield
ein besserer Mann ist als wir beide - Frank und ich.« Er sah mich
an. »Versteh mich nicht falsch; wenn er es nicht ist, dann schlage
ich ihn zu Brei.«
Ich lachte unwillkürlich.
»Das wird die Situation natürlich bestens
klären, da bin ich mir sicher.«
Er schnaubte kurz und ging weiter. Am Fuß des
Hügels drehten wir schweigend ab und schlugen wieder die Richtung
zum Haus ein. Kurz vor dem Pfad, der zur Haustür führte, hielt ich
ihn an.
»Jamie«, sagte ich zögernd. »Glaubst du mir, daß
ich dich liebe?«
Er wandte den Kopf und sah einen langen Augenblick
zu mir herab, bevor er antwortete. Der Mond schien ihm ins Gesicht
und betonte seine Gesichtszüge, als wären sie in Marmor
gemeißelt.
»Also, wenn du es nicht tust, Sassenach«, sagte er
schließlich,
»dann hast du dir einen sehr ungünstigen Zeitpunkt ausgesucht, um
es mir zu sagen.«
Ich atmete mit der Andeutung eines Lachens
aus.
»Nein, das ist es nicht«, versicherte ich ihm.
»Aber -« Es schnürte mir die Kehle zu, und ich schluckte hastig,
denn ich mußte die Worte herausbringen.
»Ich - ich sage es nicht oft. Vielleicht liegt es
nur daran, daß man mir nicht beigebracht hat, solche Dinge zu
sagen; ich habe ja bei meinem Onkel gelebt, und er war sehr
gefühlvoll, aber nicht - na ja, ich wußte nicht, wie Verheiratete
-«
Er legte seine Hand leicht über meinen Mund, und
der Hauch eines Lächelns umspielte seine Lippen. Einen Moment
später entfernte er sie.
Ich holte tief Luft und kräftigte meine
Stimme.
»Hör mal, was ich sagen will, ist - wenn ich es
nicht sage, woher weißt du dann, daß ich dich liebe?«
Er stand regungslos da und sah mich an, dann nickte
er zustimmend.
»Ich weiß es, weil du hier bist, Sassenach«, sagte
er. »Und das ist es, was du meinst, aye? Daß er ihr gefolgt ist -
dieser Roger. Und daß seine Liebe also vielleicht groß genug
ist?«
»Es ist keine Sache, die man nur
freundschaftshalber macht.«
Er nickte erneut, doch ich zögerte, denn ich wollte
ihm mehr sagen, wollte ihm die Bedeutung dieses Schrittes
eindringlich klarmachen.
»Ich habe dir nie viel davon erzählt, weil - es
keine Worte dafür gibt. Aber eines könnte ich dir darüber sagen,
Jamie -« Ich erschauerte unwillkürlich, und es lag nicht an der
Kälte. »Nicht jeder, der durch die Steine geht, kommt auch wieder
heraus.«
Sein Blick wurde schärfer.
»Woher weißt du das, Sassenach?«
»Ich kann - konnte - sie hören. Ihre
Schreie.«
Jetzt zitterte ich hemmungslos, von einer Mischung
aus Kälte und Erinnerungen geschüttelt, und er fing meine Hände
zwischen den seinen ein und zog mich an sich. Der Herbstwind
klapperte in den Ästen der Weiden am Bach, ein Geräusch wie von
trockenen, nackten Knochen. Er hielt mich fest, bis das Zittern
aufhörte, dann ließ er mich los.
»Es ist kalt, Sassenach. Komm nach drinnen.« Er
wandte sich dem Haus zu, doch ich legte meine Hand auf seine
Schulter, um ihn noch einmal anzuhalten.
»Jamie?«
»Aye?«
»Soll ich - hättest du - muß ich es sagen?«
Er drehte sich um und sah zu mir herab. Das
Mondlicht, das ihn von hinten erleuchtete, verlieh ihm einen
Heiligenschein, doch seine Gesichtszüge waren jetzt wieder
dunkel.
»Nein, das mußt du nicht.« Seine Stimme war sanft.
»Aber es würde mir nichts ausmachen, wenn du es gern sagen würdest.
Ab und zu. Nicht zu oft, versteh mich nicht falsch; es wäre schade,
wenn es aufhören würde, etwas Besonderes zu sein.« Ich konnte das
Lächeln in seiner Stimme hören und mußte einfach ebenfalls lächeln,
egal, ob er es sehen konnte oder nicht.
»Aber ab und zu wäre es nicht schlimm?«
»Nein.«
Ich trat dicht an ihn heran und legte meine Hände
auf seine Schultern.
»Ich liebe dich.«
Er sah einen langen Moment zu mir herunter.
»Das freut mich, Claire«, sagte er und berührte
mein Gesicht. »Sehr. Komm jetzt ins Bett; ich wärme dich.«