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Whisky in the Jar
Ich konnte Ronnie Sinclair nicht leiden. Ich hatte
ihn noch nie leiden können. Mir paßte weder sein
einigermaßen gutaussehendes Gesicht noch sein verschlagenes Lächeln
noch die Art, wie sein Blick den meinen traf: so direkt, so offen
und ehrlich, daß man wußte, daß er etwas verbergen mußte,
selbst wenn es gar nicht stimmte. Vor allem paßte es mir nicht, wie
er meine Tochter ansah.
Ich räusperte mich laut, und er fuhr zusammen. Er
bedachte mich mit einem scharfzahnigen Lächeln und drehte müßig
einen Faßreifen zwischen seinen Fingern hin und her.
»Jamie sagt, er braucht bis Ende des Monats noch
ein Dutzend von den kleinen Whiskyfässern, und ich brauche so
schnell wie möglich ein großes Faß aus Hickoryholz für das
Räucherfleisch.«
Er nickte und malte eine Anzahl von Hieroglyphen
auf ein Kiefernbrett, das an der Wand hing. Seltsamerweise - für
einen Schotten - konnte Sinclair nicht schreiben, beherrschte aber
eine Art persönlicher Kurzschrift, die ihn befähigte, den Überblick
über die Bestellungen und seine Bücher zu behalten.
»In Ordnung, Misses Fraser. Sonst noch was?«
Ich hielt inne und versuchte zu überlegen, was wir
vor dem Schneefall noch vom Küfer brauchen könnten. Wir mußten
Fische und Fleisch in Salz einlegen, aber das ging besser in
Tonkrügen; in Holzfässern nahmen sie einen Terpentingeschmack an.
Ich hatte schon ein schönes, altes Faß für Äpfel und ein anderes
für Kürbisse; die Kartoffeln würden wir auf Regalen lagern, um sie
vor dem Verfaulen zu bewahren.
»Nein«, entschied ich. »Das ist alles.«
»Aye, Misses.« Er zögerte und ließ den Reifen
schneller kreisen. »Kommt Euer Mann noch einmal herunter, bevor die
Fässer fertig sind?«
»Nein; er muß noch die Gerste einbringen und sich
um die Schlachtungen und die Destille kümmern. Durch den Prozeß
sind wir spät
dran.« Ich zog eine Augenbraue hoch und sah ihn an. »Wieso? Habt
Ihr eine Nachricht für ihn?«
Die Küferwerkstatt lag am Fuß des Berges ganz nah
an der Wagenstraße. Sie war das Gebäude, auf das die meisten
Besucher zuerst stießen, und daher die Anlaufstelle für die meisten
Gerüchte, die von außerhalb nach Fraser’s Ridge drangen.
Sinclair legte seinen gelblichbraun behaarten Kopf
schief und überlegte.
»Och, wahrscheinlich ist es nicht wichtig. Ich habe
nur von einem Fremden im Bezirk gehört, der die Leute über Jamie
Fraser ausfragt.«
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Briannas Kopf
herumfuhr; sie wurde augenblicklich aus ihrer Betrachtung der
Sprossenhobel, Holzhämmer, Sägen und Beile an der Wand gerissen.
Sie drehte sich um, und ihre Röcke raschelten dabei über die
Sägespäne, die knöcheltief auf dem Boden des Ladens verstreut
lagen.
»Wißt Ihr, wie der Fremde heißt?« fragte sie
aufgeregt. »Oder wie er aussieht?«
Sinclair warf ihr einen überraschten Blick zu. Sein
Körper war seltsam proportioniert; er hatte schlanke Schultern,
aber muskulöse Arme und Hände, die so riesig waren, daß sie zu
einem Mann gepaßt hätten, der doppelt so groß war wie er. Er sah
sie an, und sein breiter Daumen strich langsam über das Metallband,
wieder und wieder.
»Also, über seine Erscheinung kann ich nichts
sagen, Mistress«, sagte er durchaus höflich, jedoch mit einem
hungrigen Blick in seinen Augen, bei dem ich ihm am liebsten den
Reifen abgenommen und ihn ihm um den Hals gelegt hätte. »Aber er
hat gesagt, daß er Hodgepile heißt.«
Briannas Gesicht verlor seinen hoffnungsvollen
Ausdruck, obwohl sich der Muskel in ihrem Mundwinkel beim Klang des
Namens leicht hochzog.
»Ich schätze nicht, daß das Roger sein
könnte«, murmelte sie mir zu.
»Wahrscheinlich nicht«, stimmte ich zu. »Er hätte
ja auch keinen Grund, einen falschen Namen zu benutzen.« Ich wandte
mich wieder an Sinclair.
»Ihr habt nicht zufällig von einem Mann namens
Wakefield gehört, oder? Roger Wakefield?«
Sinclair schüttelte entschieden den Kopf.
»Nein, Misses. Euer Mann hat angeordnet, daß man
den sofort auf den Berg bringt, wenn er kommt. Falls dieser
Wakefield den Bezirk betritt, dann hört Ihr davon, sobald ich es
erfahre.«
Brianna seufzte, und ich hörte, wie sie ihre
Enttäuschung hinunterschluckte. Es war Mitte Oktober, und obwohl
sie nichts sagte, wurde sie doch täglich nervöser. Und da war sie
nicht die einzige; sie hatte uns gesagt, was Roger vorhatte, und
der Gedanke an die Vielzahl von Katastrophen, die ihn bei dem
Versuch hatten ereilen können, reichte aus, um mich nachts wach zu
halten.
»…nach dem Whisky«, sagte Sinclair und riß mich aus
meinen Gedanken.
»Dem Whisky? Hodgepile hat sich nach Jamie und
Whisky erkundigt?«
Sinclair nickte und legte seinen Reifen hin.
»In Cross Creek. Natürlich hat ihm keiner ein Wort
gesagt. Aber der Mann, der es mir erzählt hat, hat gesagt, der
Mann, der mit ihm gesprochen hat, hat den Fremden für einen
Soldaten gehalten.« Er zog kurz eine Grimasse. »Schwierig für einen
Rotrock, sich den Puder ganz aus den Haaren zu waschen.«
»Aber er war doch wohl nicht wie ein Soldat
gekleidet?« Fußsoldaten trugen ihr Haar in einem festen Zopf, der
um einen Kern aus Schafwolle geflochten und mit Reismehl gepudert
wurde - welches sich in diesem Klima schnell in Kleister
verwandelte, wenn sich das Mehl mit Schweiß vermischte. Dennoch
glaubte ich, daß Sinclair eher das Auftreten des Mannes gemeint
hatte als seine Erscheinung.
»Och, nein; er hat behauptet, er wäre Pelzhändler -
aber er hatte einen Gang, als hätte er einen Ladestock im Kreuz,
und man konnte das Leder knacken hören, wenn er den Mund aufmachte.
Hat Geordie MacClintock jedenfalls gesagt.«
»Wahrscheinlich einer von Murchisons Männern. Ich
sag’s Jamie - danke.«
Ich verließ mit Brianna die Küferwerkstatt und
fragte mich, wieviel Ärger dieser Hodgepile wohl machen konnte.
Wahrscheinlich nicht viel; schon die Entfernung der Ansiedlung von
der Zivilisation und ihre Unzugänglichkeit schützte uns vor den
meisten Störungen; das war einer der Gründe gewesen, warum Jamie
die Stelle ausgewählt hatte. Wenn es zum Krieg kam, würden die
Vorteile der Abgelegenheit gegenüber ihren vielfachen Nachteilen
überwiegen. Auf Fraser’s Ridge würde keine Schlacht ausgefochten
werden, dessen war ich mir sicher.
Und egal, wie langlebig Murchisons Mißgunst auch
sein mochte, egal, wie tüchtig seine Spione waren, ich konnte mir
nicht vorstellen, daß seine Vorgesetzten ihm gestatten würden, eine
bewaffnete Expedition über hundert Meilen weit in die Berge zu
schicken, nur um eine
illegale Destille auszuheben, deren gesamter Jahresertrag keine
vierhundert Liter betrug.
Lizzie und Ian erwarteten uns vor dem Haus, wo sie
damit beschäftigt waren, Zunder aus Sinclairs Abfallhaufen zu
sammeln. Das Handwerk eines Küfers brachte immense Mengen von
Hobelspänen, Splittern und nicht mehr benötigten Holz- und
Rindenstückchen mit sich, und es lohnte die Mühe, sie aufzusammeln
und sich so die Arbeit zu sparen, den Zunder zu Hause von Hand zu
spalten.
»Kannst du mit Ian die Fässer aufladen, Schatz?«
fragte ich Brianna. »Ich will mir einmal Lizzie bei Sonnenlicht
ansehen.«
Brianna nickte immer noch geistesabwesend und ging
dann zu Ian, um ihm dabei zu helfen, das halbe Dutzend kleiner
Fässer vor dem Geschäft auf den Wagen zu laden. Sie waren klein,
aber schwer.
Es war seine Kunstfertigkeit bei der Herstellung
dieser Fässer, der Ronnie Sinclair sein Land und seine Werkstatt
verdankte, trotz seiner alles andere als einnehmenden
Persönlichkeit; nicht jeder Küfer konnte die Innenseite eines
Eichenfasses so ankohlen, daß der Whisky, der sanft darin alterte,
eine wunderschöne Bernsteinfarbe und einen tiefen Rauchgeschmack
annahm.
»Komm her, Liebes. Ich will mir deine Augen
ansehen.« Lizzie weitete gehorsam ihre Augen und ließ mich ihr
Unterlid herunterziehen, so daß ich die weiße Sklera ihres
Augapfels sehen konnte.
Das Mädchen war immer noch erschreckend dünn, doch
der böse Farbton der Gelbsucht wich langsam aus ihrer Haut, und
ihre Augen waren fast wieder weiß. Ich legte ihr sanft meine Finger
unter das Kinn; Lymphdrüsen nur leicht geschwollen - auch das war
besser.
»Geht’s dir gut?« fragte ich. Sie lächelte
schüchtern und nickte. Es war das erste Mal, daß sie sich außerhalb
des Blockhauses befand, seit sie vor drei Wochen in Ians Begleitung
angekommen war; sie war immer noch so wackelig auf den Beinen wie
ein neugeborenes Kalb. Doch die regelmäßigen Gaben von
Chinarindentee hatten geholfen, und ich hoffte, ihr Leberproblem
bald in den Griff zu bekommen.
»Mrs. Fraser?« sagte sie, und ich fuhr beim Klang
ihrer Stimme erschrocken zusammen. Sie war so schüchtern, daß sie
sich nur selten dazu durchringen konnte, mich oder Jamie direkt
anzusprechen; sie murmelte Brianna ihre Wünsche zu, die sie mir
dann übermittelte.
»Ja, Liebes?«
»Ich - ich habe zufällig gehört, was der Küfer
gesagt hat - daß Mr. Fraser um Nachricht von Briannas Freund
gebeten hat. Ich frage mich…« Ihre Worte verstummten in einem
Anfall von Schüchternheit, und ein schwaches Rosarot erschien auf
ihren durchsichtigen Wangen.
»Ja?«
»Meint Ihr, daß er nach meinem Vater fragen
könnte?« Die Worte kamen in einem Rutsch heraus, und sie errötete
noch tiefer.
»Oh, Lizzie! Es tut mir leid.« Brianna war mit den
Fässern fertig. Sie kam herbei und nahm ihre kleine Dienstmagd in
den Arm. »Ich habe es nicht vergessen, aber ich habe auch nicht
daran gedacht. Einen Augenblick, ich gehe und sag’s Mr. Sinclair.«
Mit wehenden Röcken verschwand sie im kühlen Halbdunkel der
Küferwerkstatt.
»Deinem Vater?« fragte ich. »Hast du ihn
verloren?«
Das Mädchen nickte und preßte die Lippen zusammen,
damit sie nicht zitterten.
»Er muß wohl als Zwangsarbeiter hierhergekommen
sein, aber ich weiß nicht, wohin; nur, daß es die Kolonien im Süden
sein müssen.«
Na ja, das begrenzt die Suche ja nur auf ein paar
hunderttausend Quadratmeilen, dachte ich. Dennoch, es konnte nicht
schaden, wenn man Ronnie Sinclair bat, die Nachricht zu verbreiten.
Es gab im Süden kaum Zeitungen oder andere Drucksachen; die meisten
echten Neuigkeiten verbreiteten sich immer noch von Mund zu Mund,
wurden in den Läden oder Wirtshäusern weitererzählt oder von den
Sklaven oder Dienstboten von einer abgelegenen Plantage zur
nächsten getragen.
Der Gedanke an Zeitungen weckte schlagartig eine
unangenehme Erinnerung. Dennoch, sieben Jahre schienen noch in
beruhigend weiter Ferne zu liegen - und Brianna hatte sicher recht;
ob das Haus dazu verdammt war, am 21. Januar abzubrennen oder
nicht, es würde sich doch sicher einrichten lassen, daß wir an
diesem Datum nicht dort waren.
Brianna erschien mit hochrotem Gesicht, schwang
sich auf den Wagen, nahm die Zügel auf und wartete ungeduldig auf
den Rest.
Als Ian ihr rotes Gesicht sah, runzelte er die
Stirn und blickte zur Küferwerkstatt.
»Was ist los, Kusinchen? Hat der Kerl da drin was
Falsches zu dir gesagt?« Er ballte seine Fäuste, die fast so groß
wie Sinclairs waren.
»Nein«, sagte sie schroff. »Kein einziges Wort.
Können wir jetzt gehen?«
Ian hob Lizzie hoch und schwang sie auf die
Ladefläche, dann streckte er die Hand aus und half mir neben
Brianna auf den Sitz. Er warf einen Blick auf die Zügel in Briannas
Händen; er hatte ihr beigebracht, die Maultiere zu lenken, und ihre
Geschicklichkeit erfüllte ihn mit berufsmäßigem Stolz.
»Paß auf den Gaul auf der linken Seite auf«, wies
er sie an. »Er zieht seinen Teil der Ladung nur, wenn du ihm ab und
zu eins aufs Hinterteil gibst.«
Er verschwand mit Lizzie auf der Ladefläche, als
wir uns auf den Weg machten. Ich konnte hören, wie er ihr groteske
Geschichten erzählte und sie darauf mit schwachem Kichern
antwortete. Da er selbst das Nesthäkchen seiner Familie war, war
Ian von Lizzie verzaubert und behandelte sie wie eine jüngere
Schwester, abwechselnd Nervensäge und Lieblingshaustier.
Ich warf einen Blick zurück auf die Küferwerkstatt,
die hinter uns kleiner wurde, dann auf Brianna.
»Was hat er getan?« fragte ich still.
»Nichts. Ich bin ihm dazwischengekommen.« Ihre
breiten Wangenknochen erröteten tiefer.
»Was in aller Welt hat er denn getan?«
»Bilder auf ein Holzstück gezeichnet«, sagte sie
und biß sich von innen auf die Wange. »Von nackten Frauen.«
Ich lachte, gleichermaßen schockiert und
belustigt.
»Na ja, er hat keine Frau, und wahrscheinlich
bekommt er so schnell auch keine; Frauen sind sowieso Mangelware in
der Kolonie, und hier oben erst recht. Ich schätze, man kann es ihm
nicht übelnehmen.«
Ich verspürte einen unerwarteten Stich des
Mitgefühls für Ronnie Sinclair. Er war schließlich schon sehr lange
allein. Seine Frau war in den schrecklichen Tagen nach der Schlacht
von Culloden umgekommen, und er selbst hatte über zehn Jahre im
Gefängnis gesessen, bevor er in die Kolonien deportiert wurde. Wenn
er hier Freundschaften geknüpft hatte, dann waren sie nicht von
Dauer gewesen; er war ein Einzelgänger, und plötzlich sah ich seine
eifrige Suche nach Gerüchten, seine heimlichen Beobachtungen - ja,
sogar die Tatsache, daß er Brianna als Quelle künstlerischer
Inspiration benutzte - in einem anderen Licht. Ich wußte, was es
bedeutete, einsam zu sein.
Briannas Verlegenheit war verflogen, und sie pfiff
leise vor sich hin, während sie lässig über die Zügel gebeugt saß -
eine Melodie der Beatles, dachte ich, obwohl ich diese ganzen
Popgruppen noch nie auseinanderhalten konnte.
Der Gedanke schlich sich träge und hinterhältig in
mein Bewußtsein: Falls Roger nicht kam, würde sie nicht lange
allein bleiben, weder hier, noch wenn sie in die Zukunft
zurückkehrte. Doch das war lächerlich. Er würde kommen. Und
wenn nicht…
Ein Gedanke, den ich unter Kontrolle zu halten
versucht hatte, schlich sich an meinen Verdrängungsmechanismen
vorbei und erschien in voller Größe vor meinem inneren Auge.
Was, wenn er absichtlich nicht kommt? Ich wußte, daß sie
sich über irgend etwas gestritten
hatten, obwohl Brianna sich darüber ausgeschwiegen hatte. Hatte
sie ihn so wütend gemacht, daß er ohne sie zurückkehren
würde?
Ich hielt es für sehr wahrscheinlich, daß ihr
dieser Gedanke ebenfalls gekommen war; sie sprach kaum noch von
Roger, doch ich sah das aufgeregte Licht in ihren Augen, wenn
Clarence Besuch ankündigte, und ich sah es jedesmal ersterben, wenn
sich zeigte, daß der Besucher einer von Jamies Pächtern oder Ians
Tuscarorafreunden war.
»Beeil dich, Mensch«, brummte ich vor mich hin.
Brianna hörte es und ließ die Zügel fest auf den Rücken des linken
Maultiers knallen.
»Heh-hopp!« rief sie, und der klappernde Wagen
legte an Tempo zu und schwankte über den engen Pfad nach
Hause.
»Es hat keine besondere Ähnlichkeit mit dem
Braukeller in Leoch«, sagte Jamie, während er reuevoll auf den
improvisierten Destillierkessel am Rand der kleinen Lichtung
zeigte. »Aber es produziert so etwas wie Whisky.«
Trotz seiner Bescheidenheit konnte Brianna sehen,
daß er auf seine aufstrebende Destillerie stolz war. Sie lag fast
zwei Meilen von der Blockhütte entfernt, und zwar in der Nähe von
Fergus’ Haus - so erklärte er -, so daß Marsali mehrmals am Tag
heraufkommen konnte, um einen Blick auf das Unterfangen zu werfen.
Als Belohnung für diese Dienstleistung erhielten sie und Fergus
einen etwas größeren Anteil an dem resultierenden Whisky als die
anderen Bauern der Niederlassung, die die Rohgerste lieferten und
beim Verkauf des Schnapses halfen.
»Nein, Schätzchen, das fiese Ding willst du nicht
essen«, sagte Marsali bestimmt. Sie ergriff ihren Sohn beim
Handgelenk und fing an, seine Finger nacheinander aufzubiegen, um
das große, heftig strampelnde Insekt freizubekommen, das er - in
offenem Widerspruch mit den Ermahnungen seiner Mutter - ganz
offensichtlich doch essen wollte.
»Pfui!« Marsali ließ die Küchenschabe auf den Boden
fallen und trat darauf.
Germain, ein unerschütterliches, stämmiges Kind,
weinte nicht über den Verlust des Leckerbissens, sondern blickte
haßerfüllt unter seinem blonden Fransenhaar hervor. Die
Küchenschabe erhob sich unbeeindruckt von der schlechten Behandlung
aus dem Laub und spazierte davon, wobei sie nur ganz leicht
stolperte.
»Oh, ich glaube nicht, daß es ihm schaden würde«,
sagte Ian belustigt. »Ich habe schon Küchenschaben gegessen, bei
den Indianern. Heuschrecken schmecken aber besser - vor allem
geräuchert.«
Marsali und Brianna machten Würgegeräusche, worauf
sich Ians Grinsen noch verbreiterte. Er nahm sich den nächsten
Gerstensack und schüttete eine dicke Lage Körner in einen flachen
Weidenkorb. Zwei weitere Schaben, die sich plötzlich dem Tageslicht
ausgesetzt sahen, schlitterten wie verrückt über den Korbrand,
fielen zu Boden und schossen davon. Sie verschwanden unter dem Rand
des grob gezimmerten Bodens in der Mälzerei.
»Nein, habe ich gesagt!« Marsali hielt Germain am
Kragen fest und unterband seine entschlossenen Verfolgungsversuche.
»Bleib hier, du kleiner Frechdachs, oder willst du auch geräuchert
werden?« Kleine, durchsichtige Rauchwölkchen stiegen zwischen den
Ritzen des Holzpodestes auf und überzogen die kleine Lichtung mit
dem Frühstücksduft gerösteter Körner. Brianna spürte ihren Magen
rumoren; es war fast Essenszeit.
»Vielleicht solltest du sie drinlassen«, schlug sie
scherzhaft vor. »Geräucherte Küchenschaben könnten dem Whisky eine
nette Geschmacksnote geben.«
»Ich glaube jedenfalls nicht, daß sie ihn verderben
würden«, stimmte ihr Vater zu, während er an ihre Seite trat. Er
wischte sich mit dem Taschentuch über das Gesicht, sah sich das
Tuch an und zog eine Grimasse beim Anblick der Rußflecken, bevor er
es wieder in seinen Ärmel steckte. »Alles klar, Ian?«
»Aye, alles klar. Nur der eine Sack ist durch und
durch verdorben, Onkel Jamie.« Ian stand mit seinem Tablett voller
Gerstenkörner auf und trat gleichgültig gegen einen aufgeplatzten
Sack, auf dem sanftes Schimmelgrün und fauliges Schwarz von den
üblen Nachwirkungen eindringender Feuchtigkeit zeugten. Zwei
weitere Säcke standen am Rand des Mälzereibodens; sie waren
geöffnet worden, die verdorbene, obere Schicht abgeschöpft.
»Dann laß uns zusehen, daß wir fertig werden«,
sagte Jamie. »Ich verhungere.« Er und Ian ergriffen jeweils seinen
Jutesack und streuten frische Gerste in einer dicken Schicht auf
die freie Stelle auf dem Podestboden und benutzten einen flachen
Holzspaten, um die Körner flachzudrücken und zu wenden.
»Wie lange dauert das Ganze?« Brianna steckte ihre
Nase über den Rand des Maischebottichs, in dem Marsali das
fermentierende Korn des letzten Räuchervorgangs umrührte. Die
Maische fing gerade erst an zu gären; es lag nur ein schwacher
Hauch von Alkohol in der Luft.
»Oh, das hängt etwas vom Wetter ab.« Marsali
blickte mit geschultem Auge zum Himmel. Es war später Nachmittag,
der Himmel hatte begonnen, sich zu einem klaren, tiefen Blau zu
verdunkeln, und
es trieben nur ein paar Andeutungen weißer Wolken über den
Horizont. »So klar, wie es ist, würde ich sagen - Germain!«
Germains Hintern war das einzige, was von ihm zu sehen war; sein
Oberkörper war unter einem am Boden liegenden Baumstamm
verschwunden.
»Ich hole ihn.« Brianna ging mit drei schnellen
Schritten über die Lichtung und hob ihn hoch. Germain kommentierte
die unerwünschte Unterbrechung mit einem kräftigen Protestgeräusch
und fing an, um sich zu treten und mit seinen kräftigen Fersen
gegen ihr Bein zu hämmern.
»Au!« Brianna stellte ihn auf den Boden und rieb
sich mit einer Hand den Oberschenkel.
Marsali machte ein entnervtes Geräusch und ließ
ihre Kelle fallen. »Was hast du denn jetzt schon wieder, du
hinterlistiges Biest?« Germain, der aus Erfahrung klug geworden
war, steckte seinen jüngsten Fund in den Mund und schluckte heftig.
Er wurde auf der Stelle rot und fing an, nach Luft zu
schnappen.
Mit einem Schreckenslaut fiel Marsali auf die Knie
und versuchte, ihm mit Gewalt den Mund aufzumachen. Germain würgte,
keuchte und stolperte kopfschüttelnd rückwärts. Seine blauen Augen
quollen vor, und ein dünner Speichelfaden kroch ihm über das
Kinn.
»Komm her!« Brianna packte den kleinen Jungen am
Arm, zog seinen Rücken an sich, preßte ihm die geballten Fäuste in
den Magen und riß sie scharf zurück.
Germain machte ein lautes Keuchgeräusch, und ein
kleiner, runder Gegenstand schoß ihm aus dem Mund. Er gurgelte,
schnappte nach Luft, sog sich die Lungen voll und fing an zu
brüllen, wobei seine Gesichtsfarbe in Sekundenschnelle von dunklem
Lila in gesundes Rot überging.
»Geht’s ihm gut?« Jamie warf einen ängstlichen
Blick auf den kleinen Jungen, der sich in den Armen seiner Mutter
ausweinte, und als er sich davon überzeugt hatte, wandte er sich an
Brianna. »Das ging aber schnell, Kleine. Gut gemacht.«
»Danke. Ich - danke. Ich bin froh, daß es
funktioniert hat.«
Brianna fühlte sich etwas zittrig. Sekunden. Es
hatte nur ein paar Sekunden gedauert. Vom Leben zum Tod und wieder
zurück in Nullkommanichts. Jamie berührte sie am Arm und drückte
kurz zu, und sie fühlte sich etwas besser.
»Am besten bringst du den Kleinen hinunter ins
Haus«, sagte er zu Marsali. »Gib ihm sein Abendessen und leg ihn
ins Bett. Wir machen hier den Rest.«
Marsali nickte. Sie sah ebenfalls verstört aus. Sie
strich sich eine
Strähne ihres hellen Haars aus den Augen und versuchte ziemlich
erfolglos, Brianna anzulächeln.
»Danke, Schwester.«
Brianna spürte, wie sie vor Freude stolz strahlte,
als man sie so bezeichnete. Sie erwiderte Marsalis Lächeln.
»Ich bin froh, daß es ihm gut geht.«
Marsali hob ihre Tasche vom Boden auf, nickte Jamie
zu, machte kehrt und schritt vorsichtig den steilen Pfad hinab. Sie
hielt das Kind in den Armen, und Germains Knubbelfäuste waren fest
in ihr Haar gekrallt.
»Das war gute Arbeit, Kusinchen.« Ian hatte die
Gerste fertig ausgebreitet und sprang vom Podest, um ihr zu
gratulieren. »Wo hast du denn so etwas gelernt?«
»Von meiner Mutter.«
Ian nickte und machte ein beeindrucktes Gesicht.
Jamie bückte sich und suchte ringsum den Boden ab.
»Was war es wohl, was der Junge verschluckt hat,
frage ich mich.«
»Das hier.« Brianna sah den Gegenstand, der halb
unter dem Laub vergraben war, und pulte ihn heraus. »Sieht aus wie
ein Knopf.« Der Gegenstand war ein eingebeulter, grob aus Holz
geschnitzter Kreis, aber unzweifelhaft ein Knopf mit einem langen
Schaft und Löchern für das Nähgarn.
»Laß mal sehen.« Jamie hielt ihr die Hand hin, und
sie ließ den Knopf hineinfallen.
»Du vermißt doch keine Knöpfe, oder, Ian?« fragte
er und sah den kleinen Gegenstand in seiner Handfläche
stirnrunzelnd an.
Ian linste über Jamies Schulter und schüttelte den
Kopf. »Vielleicht Fergus?« schlug er vor.
»Vielleicht, aber ich glaube nicht. Unser Fergus
ist viel zu sehr Dandy, als daß er so etwas tragen würde. Die
Knöpfe an seinem Rock sind aus poliertem Horn.« Er schüttelte
langsam und immer noch stirnrunzelnd den Kopf, dann zuckte er mit
den Achseln. Er hob seinen Sporran auf und steckte den Knopf
hinein, bevor er ihn um seine Hüften schnallte.
»Ah, na ja. Ich werde mich umhören. Machst du hier
fertig, Ian? Es ist nicht mehr viel zu tun.« Er lächelte Brianna an
und deutete kopfnickend auf den Weg. »Dann komm, Kleine, wir können
auf dem Heimweg noch bei Lindseys fragen.«
Es stellte sich heraus, daß Kenny Lindsey nicht zu
Hause war.
»Duncan Innes hat ihn vor nicht einmal einer Stunde
abgeholt«, sagte Mrs. Lindsey, die in der Haustür stand und ihre
Augen gegen
die späte Nachmittagssonne überschattete. »Sie sind jetzt bestimmt
bei Euch zu Hause. Wollt Ihr nicht mit Eurer Tochter hereinkommen,
Mac Dubh, und einen Bissen essen?«
Ȁh, nein, danke, Mrs. Kenny. Meine Frau wartet mit
dem Abendessen auf uns. Aber vielleicht könnt Ihr mir sagen, ob das
hier von Kennys Rock stammt?«
Mrs. Lindsey blinzelte den Knopf in seiner Hand an
und schüttelte dann den Kopf.
»Nein, bestimmt nicht. Bin schließlich gerade damit
fertig, ihm einen ganzen neuen Satz Knöpfe anzunähen, die er aus
Hirschbein geschnitzt hat. Die schönsten Knöpfe, die Ihr je gesehen
habt«, erklärte sie voll Stolz auf die handwerklichen Fähigkeiten
ihres Mannes. »Jeder von ihnen ist mit einem kleinen Gesicht
verziert, das grinst wie ein Kobold, und jedes ist anders!«
Sie ließ den Blick abschätzend über Brianna
wandern.
»Kenny hat einen Bruder«, sagte sie. »Hat ein
schönes, kleines Anwesen in der Nähe von Cross Creek - zwanzig
Hektar Tabak und ein schöner Bach. Er kommt zum Gathering am
Mount Helicon; geht Ihr vielleicht dorthin, Mac Dubh?«
Jamie schüttelte den Kopf und lächelte über den
Wink mit dem Zaunpfahl. Es gab nur wenige heiratsfähige Frauen in
der Kolonie, und obwohl Jamie hatte verlauten lassen, daß Brianna
schon anderweitig vergeben sei, hatte dies den
Verkupplungsversuchen keinerlei Abbruch getan.
»Dieses Jahr nicht, fürchte ich, Mrs. Kenny.
Vielleicht nächstes Mal, aber im Augenblick habe ich keine Zeit
dafür.«
Sie verabschiedeten sich höflich und wandten sich
heimwärts. Die sinkende Sonne in ihrem Rücken warf lange Schatten
auf den Weg vor ihnen.
»Meinst du, der Knopf hat eine Bedeutung?« fragte
Brianna neugierig.
Jamie zuckte leicht mit den Achseln. Ein schwacher
Luftzug hob das Haar auf seinem Scheitel an und zerrte an dem
Lederriemen, der es zusammenhielt.
»Ich kann es nicht sagen. Es könnte unbedeutend
sein - aber es könnte genausogut von Belang sein. Deine Mutter hat
mir gesagt, was Ronnie Sinclair von dem Mann in Cross Creek erzählt
hat, der sich nach dem Whisky erkundigt hat.«
»Hodgepile?« Brianna konnte ein Lächeln über den
Namen nicht unterdrücken. Jamie lächelte kurz zurück und wurde dann
wieder ernst.
»Aye. Wenn der Knopf jemandem aus der Siedlung
gehört - sie wissen alle genau, wo die Destillerie ist, und es
könnte ohne weiteres sein, daß jemand kurz dort vorbeischaut. Aber
falls es ein Fremder sein sollte…« Er sah sie an und zuckte erneut
mit den Achseln.
»Es ist nicht so einfach für einen Mann, hier
unbemerkt zu bleiben - es sei denn, er versteckt sich absichtlich.
Wenn ein Mann, der aus einem harmlosen Grund hier ist, in einem
Haus rasten und um etwas zu essen und zu trinken bitten würde,
würde ich es noch am selben Tag erfahren. Aber es ist nichts
dergleichen vorgefallen. Es ist wahrscheinlich auch kein Indianer;
die benutzen so etwas nicht für ihre Kleidung.«
Ein Windstoß fuhr über den Weg und wirbelte braune
und gelbe Blätter auf, und sie wandten sich hügelaufwärts dem
Blockhaus zu. Angesteckt von der zunehmenden Stille des Waldes
wanderten sie fast wortlos weiter; die Vögel sangen noch im
Zwielicht, doch die Schatten unter den Bäumen wurden länger. Der
Nordhang des Berges auf der anderen Talseite war schon dunkel, als
die Sonne sich hinter ihn schob.
Doch die Lichtung mit dem Blockhaus war immer noch
mit Sonnenlicht erfüllt, das durch ein Flammenmeer gelber
Kastanienbäume gefiltert wurde. Claire stand im eingezäunten Teil
des Gartens, eine Schüssel auf der Hüfte, und pflückte Bohnen von
strebengestützten Ranken. Ihre schlanke Gestalt war im Gegenlicht
dunkel umrissen, ihr Haar ein breiter Strahlenkranz aus gelocktem
Gold.
»Innisfree«, sagte Brianna unwillkürlich, während
sie bei dem Anblick erstarrte.
»Innisfree?« Jamie sah sie verblüfft an.
Sie zögerte, doch es führte kein Weg an einer
Erklärung vorbei.
»Es ist ein Gedicht, oder ein Teil davon. Papa hat
es immer aufgesagt, wenn er nach Hause kam und Mama in ihrem Garten
werkeln sah - er meinte immer, wenn sie könnte, würde sie dort
draußen wohnen. Er hat oft gescherzt, daß sie - daß sie uns eines
Tages verlassen und sich einen Ort suchen würde, wo sie ganz allein
mit ihren Pflanzen leben könnte.«
»Ah.« Jamies Gesicht war ruhig, die breiten Wangen
vom ersterbenden Licht gerötet. »Und wie geht das Gedicht?«
»Ich mach’ mich auf und geh’ nach
Innisfree,
Dort bau’ ich eine Hütte aus Ruten und Lehm:
Dann pflanze ich dort Bohnen, und Bienen ich dort zieh’.
Und leb’ im Tal der Bienen allein und ganz bequem.«
Dort bau’ ich eine Hütte aus Ruten und Lehm:
Dann pflanze ich dort Bohnen, und Bienen ich dort zieh’.
Und leb’ im Tal der Bienen allein und ganz bequem.«
Seine dichten, roten Brauen zogen sich sacht
zusammen und glänzten in der Sonne.
»Ein Gedicht, wie? Und wo ist Innisfree?«
»Irland vielleicht. Er war Ire«, erklärte Brianna.
»Der Dichter.« Die Bienenstöcke standen ordentlich in Reih und
Glied auf ihren Steinen am Waldrand.
»Oh.«
Winzige Fusseln aus Gold und Schwarz schwebten an
ihnen vorbei durch die honigduftende Luft - Bienen auf dem Heimweg
von den Feldern. Ihr Vater machte keine Anstalten, weiterzugehen,
sondern blieb still an ihrer Seite stehen und sah ihrer Mutter beim
Bohnenpflücken zu, schwarz und golden zwischen den Pflanzen.
Also am Ende doch nicht allein, dachte sie. Doch es
blieb ein Engegefühl in ihrer Brust, das fast ein Schmerz
war.
Kenny Lindsey trank einen Schluck Whisky, schloß
die Augen und ließ sich den Schnaps durch den Mund laufen wie ein
professioneller Weintester. Er hielt inne, runzelte konzentriert
die Stirn und schluckte dann krampfhaft.
»Huuh!« Er holte Luft und erschauerte von oben bis
unten.
»Himmel«, sagte er heiser. »Der zieht einem ja die
Schuhe aus.«
Jamie grinste über das Kompliment und goß noch ein
kleines Glas ein, das er Duncan hinüberschob.
»Aye, er ist besser als der letzte«, pflichtete er
bei und schnüffelte vorsichtig, bevor er von seinem eigenen Becher
probierte. »Diesmal gerbt er einem die Zunge nicht so.«
Lindsey wischte sich mit dem Handrücken über den
Mund und nickte zustimmend.
»Tja, wir bringen ihn gut unter. Woolam möchte ein
Faß - damit kommt er ein ganzes Jahr aus, so sparsam wie diese
Quäker damit umgehen.«
»Habt Ihr einen Preis vereinbart?«
Lindsey nickte und roch anerkennend an dem Teller
mit Haferkeksen und Häppchen, den Lizzie vor ihn hingestellt
hatte.
»Einen Zentner Gerste pro Faß; noch einen, wenn er
die Hälfte des daraus resultierenden Whiskys bekommt.«
»Das ist fair.« Jamie nahm sich einen Haferkeks und
kaute einen Augenblick lang geistesabwesend darauf herum. Dann zog
er eine Augenbraue hoch und sah Duncan an, der ihm
gegenübersaß.
»Kannst du MacLeod am Naylors Creek fragen, ob er
damit einverstanden ist? Du kommst doch auf dem Heimweg dort
vorbei, aye?«
Duncan nickte kauend, und Jamie prostete mir mit
erhobenem Becher einen stummen Glückwunsch zu - mit Woolams Angebot
hatten wir insgesamt achthundert Pfund Gerste durch Tauschhandel
und Versprechungen zusammengekratzt. Das war mehr als der
Reingewinn der gesamten Felder unserer Niederlassung; der Rohstoff
für den Whisky des kommenden Jahres.
»Ein Faß für jedes Haus in der Siedlung, zwei für
Fergus…« Jamie zog geistesabwesend an seinem Ohrläppchen, während
er nachrechnete. »Vielleicht zwei für Nacognaweto, eins, das wir
zum Reifen liegen lassen - aye, wir haben vielleicht ein Dutzend
Fässer für das Gathering übrig, Duncan.«
Duncans Ankunft kam uns sehr gelegen. Jamie hatte
es zwar geschafft, den Rohwhisky des ersten Jahres bei der
Herrnhuter Brüdergemeinde gegen die Werkzeuge, das Tuch und andere
Dinge einzutauschen, die wir so dringend brauchten, doch es bestand
kein Zweifel, daß die reichen schottischen Pflanzer vom Cape Fear
einen besseren Markt abgeben würden.
Wir konnten es uns auf keinen Fall erlauben, uns
für die einwöchige Reise zum Mount Helicon von der Siedlung zu
entfernen, doch wenn Duncan den Whisky mitnehmen und verkaufen
konnte… Ich stellte im Kopf bereits Listen zusammen. Zu den
volksfestähnlichen Gatherings brachte jeder Dinge mit, die
er verkaufen wollte. Wolle, Tuch, Werkzeuge, Lebensmittel, Tiere…
Ich brauchte dringend einen kleinen Kupferkessel und sechs Ellen
neuen Musselin für Hemden und…
»Meinst du wirklich, du solltest den Indianern
Alkohol geben?« Briannas Frage riß mich aus meinen raffgierigen
Überlegungen.
»Warum nicht?« fragte Lindsey, der es mißbilligte,
daß sie sich einmischte. »Schließlich werden wir ihn ihnen ja nicht
schenken, Kleine. Sie haben nicht viel Bargeld, aber sie
zahlen in Fellen - und sie zahlen gut.«
Brianna sah erst mich, dann Jamie hilfesuchend
an.
»Aber die Indianer sind nicht - ich meine, ich habe
gehört, daß sie nicht mit Alkohol umgehen können.«
Die drei Männer sahen sie verständnislos an, und
Duncan starrte auf seinen Becher, den er in der Hand hin- und
herdrehte.
»Ich meine, sie werden schnell betrunken.«
Lindsey blinzelte in seinen Becher, dann sah er sie
an und rieb sich mit der Hand über seinen Scheitel, der langsam
kahl wurde.
»Worauf willst du denn hinaus, Mädchen?«
Briannas Mund preßte sich zusammen und entspannte
sich dann.
»Ich meine«, sagte sie, »daß ich es falsch
finde, Menschen zum Trinken zu ermutigen, die nicht mehr damit
aufhören können, wenn sie einmal angefangen haben.« Sie sah mich
ein wenig hilflos an. Ich schüttelte den Kopf.
»Das Wort ›Alkoholiker‹ existiert noch nicht«,
sagte ich. »Hier ist es keine Krankheit - nur eine
Charakterschwäche.«
Jamie sah sie fragend an.
»Na ja, eins kann ich dir sagen, Kleine«, sagte er,
»ich habe schon viele Betrunkene gesehen, aber noch keine Flasche,
die von selbst vom Tisch springt und sich einem in die Kehle
stürzt.«
Es erklang allgemeines Beifallsgrunzen, und bei
einer weiteren Runde wechselten sie das Thema.
»Hodgepile? Nein, den habe ich noch nie gesehen,
obwohl ich meine, daß ich den Namen schon einmal gehört habe.«
Duncan kippte den Rest seines Whiskys hinunter und stellte leise
keuchend seinen Becher hin. »Soll ich beim Gathering
fragen?«
Jamie nickte und nahm sich noch einen Haferkeks.
»Aye, wenn’s geht, Duncan.«
Lizzie stand über das Feuer gebeugt und rührte den
Eintopf für das Abendessen um. Ich sah, wie sich ihre Schultern
anspannten, doch sie war zu schüchtern, um in Gegenwart so vieler
Männer den Mund aufzutun. Brianna war solche Zurückhaltung
fremd.
»Ich habe auch jemanden, nach dem Ihr fragen
könntet, Mr. Innes.« Sie beugte sich über den Tisch zu ihm hin und
sah ihn ernst und flehend an. »Würdet Ihr Euch nach einem Mann
namens Roger Wakefield erkundigen? Bitte?«
»Och, natürlich. Natürlich tue ich das.« Duncan
errötete über die unmittelbare Nähe von Briannas Ausschnitt und
trank in seiner Verwirrung Kennys Whisky aus. »Kann ich sonst noch
irgend etwas tun?«
»Ja«, sagte ich und stellte dem verärgerten Lindsey
einen frischen Becher hin. »Wenn du dich nach Hodgepile und Brees
jungem Freund erkundigst, könntest du da auch nach einem Mann
namens Joseph Wemyss fragen? Er dürfte ein Zwangsarbeiter sein.«
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Lizzies schmale Schultern
erleichtert zusammensackten.
Duncan nickte und gewann die Fassung wieder, als
Brianna in der Vorratskammer verschwand, um Butter zu holen. Kenny
Lindsey sah ihr interessiert nach.
»Bree? So nennt Ihr Eure Tochter?« fragte er.
»Ja, manchmal«, sagte ich. »Warum?«
Ein kurzes Lächeln erschien in Lindseys Gesicht.
Dann sah er Jamie an, hustete und vergrub sein Lächeln in seinem
Becher.
»Es ist ein schottisches Wort, Sassenach«, sagte
Jamie, und auch in seinem Gesicht zeigte sich jetzt ein ziemlich
ironisches Lächeln. »Ein bree ist ein großes
Ärgernis.«