43
Whisky in the Jar
Ich konnte Ronnie Sinclair nicht leiden. Ich hatte ihn noch nie leiden können. Mir paßte weder sein einigermaßen gutaussehendes Gesicht noch sein verschlagenes Lächeln noch die Art, wie sein Blick den meinen traf: so direkt, so offen und ehrlich, daß man wußte, daß er etwas verbergen mußte, selbst wenn es gar nicht stimmte. Vor allem paßte es mir nicht, wie er meine Tochter ansah.
Ich räusperte mich laut, und er fuhr zusammen. Er bedachte mich mit einem scharfzahnigen Lächeln und drehte müßig einen Faßreifen zwischen seinen Fingern hin und her.
»Jamie sagt, er braucht bis Ende des Monats noch ein Dutzend von den kleinen Whiskyfässern, und ich brauche so schnell wie möglich ein großes Faß aus Hickoryholz für das Räucherfleisch.«
Er nickte und malte eine Anzahl von Hieroglyphen auf ein Kiefernbrett, das an der Wand hing. Seltsamerweise - für einen Schotten - konnte Sinclair nicht schreiben, beherrschte aber eine Art persönlicher Kurzschrift, die ihn befähigte, den Überblick über die Bestellungen und seine Bücher zu behalten.
»In Ordnung, Misses Fraser. Sonst noch was?«
Ich hielt inne und versuchte zu überlegen, was wir vor dem Schneefall noch vom Küfer brauchen könnten. Wir mußten Fische und Fleisch in Salz einlegen, aber das ging besser in Tonkrügen; in Holzfässern nahmen sie einen Terpentingeschmack an. Ich hatte schon ein schönes, altes Faß für Äpfel und ein anderes für Kürbisse; die Kartoffeln würden wir auf Regalen lagern, um sie vor dem Verfaulen zu bewahren.
»Nein«, entschied ich. »Das ist alles.«
»Aye, Misses.« Er zögerte und ließ den Reifen schneller kreisen. »Kommt Euer Mann noch einmal herunter, bevor die Fässer fertig sind?«
»Nein; er muß noch die Gerste einbringen und sich um die Schlachtungen und die Destille kümmern. Durch den Prozeß sind wir spät dran.« Ich zog eine Augenbraue hoch und sah ihn an. »Wieso? Habt Ihr eine Nachricht für ihn?«
Die Küferwerkstatt lag am Fuß des Berges ganz nah an der Wagenstraße. Sie war das Gebäude, auf das die meisten Besucher zuerst stießen, und daher die Anlaufstelle für die meisten Gerüchte, die von außerhalb nach Fraser’s Ridge drangen.
Sinclair legte seinen gelblichbraun behaarten Kopf schief und überlegte.
»Och, wahrscheinlich ist es nicht wichtig. Ich habe nur von einem Fremden im Bezirk gehört, der die Leute über Jamie Fraser ausfragt.«
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Briannas Kopf herumfuhr; sie wurde augenblicklich aus ihrer Betrachtung der Sprossenhobel, Holzhämmer, Sägen und Beile an der Wand gerissen. Sie drehte sich um, und ihre Röcke raschelten dabei über die Sägespäne, die knöcheltief auf dem Boden des Ladens verstreut lagen.
»Wißt Ihr, wie der Fremde heißt?« fragte sie aufgeregt. »Oder wie er aussieht?«
Sinclair warf ihr einen überraschten Blick zu. Sein Körper war seltsam proportioniert; er hatte schlanke Schultern, aber muskulöse Arme und Hände, die so riesig waren, daß sie zu einem Mann gepaßt hätten, der doppelt so groß war wie er. Er sah sie an, und sein breiter Daumen strich langsam über das Metallband, wieder und wieder.
»Also, über seine Erscheinung kann ich nichts sagen, Mistress«, sagte er durchaus höflich, jedoch mit einem hungrigen Blick in seinen Augen, bei dem ich ihm am liebsten den Reifen abgenommen und ihn ihm um den Hals gelegt hätte. »Aber er hat gesagt, daß er Hodgepile heißt.«
Briannas Gesicht verlor seinen hoffnungsvollen Ausdruck, obwohl sich der Muskel in ihrem Mundwinkel beim Klang des Namens leicht hochzog.
»Ich schätze nicht, daß das Roger sein könnte«, murmelte sie mir zu.
»Wahrscheinlich nicht«, stimmte ich zu. »Er hätte ja auch keinen Grund, einen falschen Namen zu benutzen.« Ich wandte mich wieder an Sinclair.
»Ihr habt nicht zufällig von einem Mann namens Wakefield gehört, oder? Roger Wakefield?«
Sinclair schüttelte entschieden den Kopf.
»Nein, Misses. Euer Mann hat angeordnet, daß man den sofort auf den Berg bringt, wenn er kommt. Falls dieser Wakefield den Bezirk betritt, dann hört Ihr davon, sobald ich es erfahre.«
Brianna seufzte, und ich hörte, wie sie ihre Enttäuschung hinunterschluckte. Es war Mitte Oktober, und obwohl sie nichts sagte, wurde sie doch täglich nervöser. Und da war sie nicht die einzige; sie hatte uns gesagt, was Roger vorhatte, und der Gedanke an die Vielzahl von Katastrophen, die ihn bei dem Versuch hatten ereilen können, reichte aus, um mich nachts wach zu halten.
»…nach dem Whisky«, sagte Sinclair und riß mich aus meinen Gedanken.
»Dem Whisky? Hodgepile hat sich nach Jamie und Whisky erkundigt?«
Sinclair nickte und legte seinen Reifen hin.
»In Cross Creek. Natürlich hat ihm keiner ein Wort gesagt. Aber der Mann, der es mir erzählt hat, hat gesagt, der Mann, der mit ihm gesprochen hat, hat den Fremden für einen Soldaten gehalten.« Er zog kurz eine Grimasse. »Schwierig für einen Rotrock, sich den Puder ganz aus den Haaren zu waschen.«
»Aber er war doch wohl nicht wie ein Soldat gekleidet?« Fußsoldaten trugen ihr Haar in einem festen Zopf, der um einen Kern aus Schafwolle geflochten und mit Reismehl gepudert wurde - welches sich in diesem Klima schnell in Kleister verwandelte, wenn sich das Mehl mit Schweiß vermischte. Dennoch glaubte ich, daß Sinclair eher das Auftreten des Mannes gemeint hatte als seine Erscheinung.
»Och, nein; er hat behauptet, er wäre Pelzhändler - aber er hatte einen Gang, als hätte er einen Ladestock im Kreuz, und man konnte das Leder knacken hören, wenn er den Mund aufmachte. Hat Geordie MacClintock jedenfalls gesagt.«
»Wahrscheinlich einer von Murchisons Männern. Ich sag’s Jamie - danke.«
Ich verließ mit Brianna die Küferwerkstatt und fragte mich, wieviel Ärger dieser Hodgepile wohl machen konnte. Wahrscheinlich nicht viel; schon die Entfernung der Ansiedlung von der Zivilisation und ihre Unzugänglichkeit schützte uns vor den meisten Störungen; das war einer der Gründe gewesen, warum Jamie die Stelle ausgewählt hatte. Wenn es zum Krieg kam, würden die Vorteile der Abgelegenheit gegenüber ihren vielfachen Nachteilen überwiegen. Auf Fraser’s Ridge würde keine Schlacht ausgefochten werden, dessen war ich mir sicher.
Und egal, wie langlebig Murchisons Mißgunst auch sein mochte, egal, wie tüchtig seine Spione waren, ich konnte mir nicht vorstellen, daß seine Vorgesetzten ihm gestatten würden, eine bewaffnete Expedition über hundert Meilen weit in die Berge zu schicken, nur um eine illegale Destille auszuheben, deren gesamter Jahresertrag keine vierhundert Liter betrug.
Lizzie und Ian erwarteten uns vor dem Haus, wo sie damit beschäftigt waren, Zunder aus Sinclairs Abfallhaufen zu sammeln. Das Handwerk eines Küfers brachte immense Mengen von Hobelspänen, Splittern und nicht mehr benötigten Holz- und Rindenstückchen mit sich, und es lohnte die Mühe, sie aufzusammeln und sich so die Arbeit zu sparen, den Zunder zu Hause von Hand zu spalten.
»Kannst du mit Ian die Fässer aufladen, Schatz?« fragte ich Brianna. »Ich will mir einmal Lizzie bei Sonnenlicht ansehen.«
Brianna nickte immer noch geistesabwesend und ging dann zu Ian, um ihm dabei zu helfen, das halbe Dutzend kleiner Fässer vor dem Geschäft auf den Wagen zu laden. Sie waren klein, aber schwer.
Es war seine Kunstfertigkeit bei der Herstellung dieser Fässer, der Ronnie Sinclair sein Land und seine Werkstatt verdankte, trotz seiner alles andere als einnehmenden Persönlichkeit; nicht jeder Küfer konnte die Innenseite eines Eichenfasses so ankohlen, daß der Whisky, der sanft darin alterte, eine wunderschöne Bernsteinfarbe und einen tiefen Rauchgeschmack annahm.
»Komm her, Liebes. Ich will mir deine Augen ansehen.« Lizzie weitete gehorsam ihre Augen und ließ mich ihr Unterlid herunterziehen, so daß ich die weiße Sklera ihres Augapfels sehen konnte.
Das Mädchen war immer noch erschreckend dünn, doch der böse Farbton der Gelbsucht wich langsam aus ihrer Haut, und ihre Augen waren fast wieder weiß. Ich legte ihr sanft meine Finger unter das Kinn; Lymphdrüsen nur leicht geschwollen - auch das war besser.
»Geht’s dir gut?« fragte ich. Sie lächelte schüchtern und nickte. Es war das erste Mal, daß sie sich außerhalb des Blockhauses befand, seit sie vor drei Wochen in Ians Begleitung angekommen war; sie war immer noch so wackelig auf den Beinen wie ein neugeborenes Kalb. Doch die regelmäßigen Gaben von Chinarindentee hatten geholfen, und ich hoffte, ihr Leberproblem bald in den Griff zu bekommen.
»Mrs. Fraser?« sagte sie, und ich fuhr beim Klang ihrer Stimme erschrocken zusammen. Sie war so schüchtern, daß sie sich nur selten dazu durchringen konnte, mich oder Jamie direkt anzusprechen; sie murmelte Brianna ihre Wünsche zu, die sie mir dann übermittelte.
»Ja, Liebes?«
»Ich - ich habe zufällig gehört, was der Küfer gesagt hat - daß Mr. Fraser um Nachricht von Briannas Freund gebeten hat. Ich frage mich…« Ihre Worte verstummten in einem Anfall von Schüchternheit, und ein schwaches Rosarot erschien auf ihren durchsichtigen Wangen.
»Ja?«
»Meint Ihr, daß er nach meinem Vater fragen könnte?« Die Worte kamen in einem Rutsch heraus, und sie errötete noch tiefer.
»Oh, Lizzie! Es tut mir leid.« Brianna war mit den Fässern fertig. Sie kam herbei und nahm ihre kleine Dienstmagd in den Arm. »Ich habe es nicht vergessen, aber ich habe auch nicht daran gedacht. Einen Augenblick, ich gehe und sag’s Mr. Sinclair.« Mit wehenden Röcken verschwand sie im kühlen Halbdunkel der Küferwerkstatt.
»Deinem Vater?« fragte ich. »Hast du ihn verloren?«
Das Mädchen nickte und preßte die Lippen zusammen, damit sie nicht zitterten.
»Er muß wohl als Zwangsarbeiter hierhergekommen sein, aber ich weiß nicht, wohin; nur, daß es die Kolonien im Süden sein müssen.«
Na ja, das begrenzt die Suche ja nur auf ein paar hunderttausend Quadratmeilen, dachte ich. Dennoch, es konnte nicht schaden, wenn man Ronnie Sinclair bat, die Nachricht zu verbreiten. Es gab im Süden kaum Zeitungen oder andere Drucksachen; die meisten echten Neuigkeiten verbreiteten sich immer noch von Mund zu Mund, wurden in den Läden oder Wirtshäusern weitererzählt oder von den Sklaven oder Dienstboten von einer abgelegenen Plantage zur nächsten getragen.
Der Gedanke an Zeitungen weckte schlagartig eine unangenehme Erinnerung. Dennoch, sieben Jahre schienen noch in beruhigend weiter Ferne zu liegen - und Brianna hatte sicher recht; ob das Haus dazu verdammt war, am 21. Januar abzubrennen oder nicht, es würde sich doch sicher einrichten lassen, daß wir an diesem Datum nicht dort waren.
Brianna erschien mit hochrotem Gesicht, schwang sich auf den Wagen, nahm die Zügel auf und wartete ungeduldig auf den Rest.
Als Ian ihr rotes Gesicht sah, runzelte er die Stirn und blickte zur Küferwerkstatt.
»Was ist los, Kusinchen? Hat der Kerl da drin was Falsches zu dir gesagt?« Er ballte seine Fäuste, die fast so groß wie Sinclairs waren.
»Nein«, sagte sie schroff. »Kein einziges Wort. Können wir jetzt gehen?«
Ian hob Lizzie hoch und schwang sie auf die Ladefläche, dann streckte er die Hand aus und half mir neben Brianna auf den Sitz. Er warf einen Blick auf die Zügel in Briannas Händen; er hatte ihr beigebracht, die Maultiere zu lenken, und ihre Geschicklichkeit erfüllte ihn mit berufsmäßigem Stolz.
»Paß auf den Gaul auf der linken Seite auf«, wies er sie an. »Er zieht seinen Teil der Ladung nur, wenn du ihm ab und zu eins aufs Hinterteil gibst.«
Er verschwand mit Lizzie auf der Ladefläche, als wir uns auf den Weg machten. Ich konnte hören, wie er ihr groteske Geschichten erzählte und sie darauf mit schwachem Kichern antwortete. Da er selbst das Nesthäkchen seiner Familie war, war Ian von Lizzie verzaubert und behandelte sie wie eine jüngere Schwester, abwechselnd Nervensäge und Lieblingshaustier.
Ich warf einen Blick zurück auf die Küferwerkstatt, die hinter uns kleiner wurde, dann auf Brianna.
»Was hat er getan?« fragte ich still.
»Nichts. Ich bin ihm dazwischengekommen.« Ihre breiten Wangenknochen erröteten tiefer.
»Was in aller Welt hat er denn getan?«
»Bilder auf ein Holzstück gezeichnet«, sagte sie und biß sich von innen auf die Wange. »Von nackten Frauen.«
Ich lachte, gleichermaßen schockiert und belustigt.
»Na ja, er hat keine Frau, und wahrscheinlich bekommt er so schnell auch keine; Frauen sind sowieso Mangelware in der Kolonie, und hier oben erst recht. Ich schätze, man kann es ihm nicht übelnehmen.«
Ich verspürte einen unerwarteten Stich des Mitgefühls für Ronnie Sinclair. Er war schließlich schon sehr lange allein. Seine Frau war in den schrecklichen Tagen nach der Schlacht von Culloden umgekommen, und er selbst hatte über zehn Jahre im Gefängnis gesessen, bevor er in die Kolonien deportiert wurde. Wenn er hier Freundschaften geknüpft hatte, dann waren sie nicht von Dauer gewesen; er war ein Einzelgänger, und plötzlich sah ich seine eifrige Suche nach Gerüchten, seine heimlichen Beobachtungen - ja, sogar die Tatsache, daß er Brianna als Quelle künstlerischer Inspiration benutzte - in einem anderen Licht. Ich wußte, was es bedeutete, einsam zu sein.
Briannas Verlegenheit war verflogen, und sie pfiff leise vor sich hin, während sie lässig über die Zügel gebeugt saß - eine Melodie der Beatles, dachte ich, obwohl ich diese ganzen Popgruppen noch nie auseinanderhalten konnte.
Der Gedanke schlich sich träge und hinterhältig in mein Bewußtsein: Falls Roger nicht kam, würde sie nicht lange allein bleiben, weder hier, noch wenn sie in die Zukunft zurückkehrte. Doch das war lächerlich. Er würde kommen. Und wenn nicht…
Ein Gedanke, den ich unter Kontrolle zu halten versucht hatte, schlich sich an meinen Verdrängungsmechanismen vorbei und erschien in voller Größe vor meinem inneren Auge. Was, wenn er absichtlich nicht kommt? Ich wußte, daß sie sich über irgend etwas gestritten hatten, obwohl Brianna sich darüber ausgeschwiegen hatte. Hatte sie ihn so wütend gemacht, daß er ohne sie zurückkehren würde?
Ich hielt es für sehr wahrscheinlich, daß ihr dieser Gedanke ebenfalls gekommen war; sie sprach kaum noch von Roger, doch ich sah das aufgeregte Licht in ihren Augen, wenn Clarence Besuch ankündigte, und ich sah es jedesmal ersterben, wenn sich zeigte, daß der Besucher einer von Jamies Pächtern oder Ians Tuscarorafreunden war.
»Beeil dich, Mensch«, brummte ich vor mich hin. Brianna hörte es und ließ die Zügel fest auf den Rücken des linken Maultiers knallen.
»Heh-hopp!« rief sie, und der klappernde Wagen legte an Tempo zu und schwankte über den engen Pfad nach Hause.
 
»Es hat keine besondere Ähnlichkeit mit dem Braukeller in Leoch«, sagte Jamie, während er reuevoll auf den improvisierten Destillierkessel am Rand der kleinen Lichtung zeigte. »Aber es produziert so etwas wie Whisky.«
Trotz seiner Bescheidenheit konnte Brianna sehen, daß er auf seine aufstrebende Destillerie stolz war. Sie lag fast zwei Meilen von der Blockhütte entfernt, und zwar in der Nähe von Fergus’ Haus - so erklärte er -, so daß Marsali mehrmals am Tag heraufkommen konnte, um einen Blick auf das Unterfangen zu werfen. Als Belohnung für diese Dienstleistung erhielten sie und Fergus einen etwas größeren Anteil an dem resultierenden Whisky als die anderen Bauern der Niederlassung, die die Rohgerste lieferten und beim Verkauf des Schnapses halfen.
»Nein, Schätzchen, das fiese Ding willst du nicht essen«, sagte Marsali bestimmt. Sie ergriff ihren Sohn beim Handgelenk und fing an, seine Finger nacheinander aufzubiegen, um das große, heftig strampelnde Insekt freizubekommen, das er - in offenem Widerspruch mit den Ermahnungen seiner Mutter - ganz offensichtlich doch essen wollte.
»Pfui!« Marsali ließ die Küchenschabe auf den Boden fallen und trat darauf.
Germain, ein unerschütterliches, stämmiges Kind, weinte nicht über den Verlust des Leckerbissens, sondern blickte haßerfüllt unter seinem blonden Fransenhaar hervor. Die Küchenschabe erhob sich unbeeindruckt von der schlechten Behandlung aus dem Laub und spazierte davon, wobei sie nur ganz leicht stolperte.
»Oh, ich glaube nicht, daß es ihm schaden würde«, sagte Ian belustigt. »Ich habe schon Küchenschaben gegessen, bei den Indianern. Heuschrecken schmecken aber besser - vor allem geräuchert.«
Marsali und Brianna machten Würgegeräusche, worauf sich Ians Grinsen noch verbreiterte. Er nahm sich den nächsten Gerstensack und schüttete eine dicke Lage Körner in einen flachen Weidenkorb. Zwei weitere Schaben, die sich plötzlich dem Tageslicht ausgesetzt sahen, schlitterten wie verrückt über den Korbrand, fielen zu Boden und schossen davon. Sie verschwanden unter dem Rand des grob gezimmerten Bodens in der Mälzerei.
»Nein, habe ich gesagt!« Marsali hielt Germain am Kragen fest und unterband seine entschlossenen Verfolgungsversuche. »Bleib hier, du kleiner Frechdachs, oder willst du auch geräuchert werden?« Kleine, durchsichtige Rauchwölkchen stiegen zwischen den Ritzen des Holzpodestes auf und überzogen die kleine Lichtung mit dem Frühstücksduft gerösteter Körner. Brianna spürte ihren Magen rumoren; es war fast Essenszeit.
»Vielleicht solltest du sie drinlassen«, schlug sie scherzhaft vor. »Geräucherte Küchenschaben könnten dem Whisky eine nette Geschmacksnote geben.«
»Ich glaube jedenfalls nicht, daß sie ihn verderben würden«, stimmte ihr Vater zu, während er an ihre Seite trat. Er wischte sich mit dem Taschentuch über das Gesicht, sah sich das Tuch an und zog eine Grimasse beim Anblick der Rußflecken, bevor er es wieder in seinen Ärmel steckte. »Alles klar, Ian?«
»Aye, alles klar. Nur der eine Sack ist durch und durch verdorben, Onkel Jamie.« Ian stand mit seinem Tablett voller Gerstenkörner auf und trat gleichgültig gegen einen aufgeplatzten Sack, auf dem sanftes Schimmelgrün und fauliges Schwarz von den üblen Nachwirkungen eindringender Feuchtigkeit zeugten. Zwei weitere Säcke standen am Rand des Mälzereibodens; sie waren geöffnet worden, die verdorbene, obere Schicht abgeschöpft.
»Dann laß uns zusehen, daß wir fertig werden«, sagte Jamie. »Ich verhungere.« Er und Ian ergriffen jeweils seinen Jutesack und streuten frische Gerste in einer dicken Schicht auf die freie Stelle auf dem Podestboden und benutzten einen flachen Holzspaten, um die Körner flachzudrücken und zu wenden.
»Wie lange dauert das Ganze?« Brianna steckte ihre Nase über den Rand des Maischebottichs, in dem Marsali das fermentierende Korn des letzten Räuchervorgangs umrührte. Die Maische fing gerade erst an zu gären; es lag nur ein schwacher Hauch von Alkohol in der Luft.
»Oh, das hängt etwas vom Wetter ab.« Marsali blickte mit geschultem Auge zum Himmel. Es war später Nachmittag, der Himmel hatte begonnen, sich zu einem klaren, tiefen Blau zu verdunkeln, und es trieben nur ein paar Andeutungen weißer Wolken über den Horizont. »So klar, wie es ist, würde ich sagen - Germain!« Germains Hintern war das einzige, was von ihm zu sehen war; sein Oberkörper war unter einem am Boden liegenden Baumstamm verschwunden.
»Ich hole ihn.« Brianna ging mit drei schnellen Schritten über die Lichtung und hob ihn hoch. Germain kommentierte die unerwünschte Unterbrechung mit einem kräftigen Protestgeräusch und fing an, um sich zu treten und mit seinen kräftigen Fersen gegen ihr Bein zu hämmern.
»Au!« Brianna stellte ihn auf den Boden und rieb sich mit einer Hand den Oberschenkel.
Marsali machte ein entnervtes Geräusch und ließ ihre Kelle fallen. »Was hast du denn jetzt schon wieder, du hinterlistiges Biest?« Germain, der aus Erfahrung klug geworden war, steckte seinen jüngsten Fund in den Mund und schluckte heftig. Er wurde auf der Stelle rot und fing an, nach Luft zu schnappen.
Mit einem Schreckenslaut fiel Marsali auf die Knie und versuchte, ihm mit Gewalt den Mund aufzumachen. Germain würgte, keuchte und stolperte kopfschüttelnd rückwärts. Seine blauen Augen quollen vor, und ein dünner Speichelfaden kroch ihm über das Kinn.
»Komm her!« Brianna packte den kleinen Jungen am Arm, zog seinen Rücken an sich, preßte ihm die geballten Fäuste in den Magen und riß sie scharf zurück.
Germain machte ein lautes Keuchgeräusch, und ein kleiner, runder Gegenstand schoß ihm aus dem Mund. Er gurgelte, schnappte nach Luft, sog sich die Lungen voll und fing an zu brüllen, wobei seine Gesichtsfarbe in Sekundenschnelle von dunklem Lila in gesundes Rot überging.
»Geht’s ihm gut?« Jamie warf einen ängstlichen Blick auf den kleinen Jungen, der sich in den Armen seiner Mutter ausweinte, und als er sich davon überzeugt hatte, wandte er sich an Brianna. »Das ging aber schnell, Kleine. Gut gemacht.«
»Danke. Ich - danke. Ich bin froh, daß es funktioniert hat.«
Brianna fühlte sich etwas zittrig. Sekunden. Es hatte nur ein paar Sekunden gedauert. Vom Leben zum Tod und wieder zurück in Nullkommanichts. Jamie berührte sie am Arm und drückte kurz zu, und sie fühlte sich etwas besser.
»Am besten bringst du den Kleinen hinunter ins Haus«, sagte er zu Marsali. »Gib ihm sein Abendessen und leg ihn ins Bett. Wir machen hier den Rest.«
Marsali nickte. Sie sah ebenfalls verstört aus. Sie strich sich eine Strähne ihres hellen Haars aus den Augen und versuchte ziemlich erfolglos, Brianna anzulächeln.
»Danke, Schwester.«
Brianna spürte, wie sie vor Freude stolz strahlte, als man sie so bezeichnete. Sie erwiderte Marsalis Lächeln.
»Ich bin froh, daß es ihm gut geht.«
Marsali hob ihre Tasche vom Boden auf, nickte Jamie zu, machte kehrt und schritt vorsichtig den steilen Pfad hinab. Sie hielt das Kind in den Armen, und Germains Knubbelfäuste waren fest in ihr Haar gekrallt.
»Das war gute Arbeit, Kusinchen.« Ian hatte die Gerste fertig ausgebreitet und sprang vom Podest, um ihr zu gratulieren. »Wo hast du denn so etwas gelernt?«
»Von meiner Mutter.«
Ian nickte und machte ein beeindrucktes Gesicht. Jamie bückte sich und suchte ringsum den Boden ab.
»Was war es wohl, was der Junge verschluckt hat, frage ich mich.«
»Das hier.« Brianna sah den Gegenstand, der halb unter dem Laub vergraben war, und pulte ihn heraus. »Sieht aus wie ein Knopf.« Der Gegenstand war ein eingebeulter, grob aus Holz geschnitzter Kreis, aber unzweifelhaft ein Knopf mit einem langen Schaft und Löchern für das Nähgarn.
»Laß mal sehen.« Jamie hielt ihr die Hand hin, und sie ließ den Knopf hineinfallen.
»Du vermißt doch keine Knöpfe, oder, Ian?« fragte er und sah den kleinen Gegenstand in seiner Handfläche stirnrunzelnd an.
Ian linste über Jamies Schulter und schüttelte den Kopf. »Vielleicht Fergus?« schlug er vor.
»Vielleicht, aber ich glaube nicht. Unser Fergus ist viel zu sehr Dandy, als daß er so etwas tragen würde. Die Knöpfe an seinem Rock sind aus poliertem Horn.« Er schüttelte langsam und immer noch stirnrunzelnd den Kopf, dann zuckte er mit den Achseln. Er hob seinen Sporran auf und steckte den Knopf hinein, bevor er ihn um seine Hüften schnallte.
»Ah, na ja. Ich werde mich umhören. Machst du hier fertig, Ian? Es ist nicht mehr viel zu tun.« Er lächelte Brianna an und deutete kopfnickend auf den Weg. »Dann komm, Kleine, wir können auf dem Heimweg noch bei Lindseys fragen.«
Es stellte sich heraus, daß Kenny Lindsey nicht zu Hause war.
»Duncan Innes hat ihn vor nicht einmal einer Stunde abgeholt«, sagte Mrs. Lindsey, die in der Haustür stand und ihre Augen gegen die späte Nachmittagssonne überschattete. »Sie sind jetzt bestimmt bei Euch zu Hause. Wollt Ihr nicht mit Eurer Tochter hereinkommen, Mac Dubh, und einen Bissen essen?«
»Äh, nein, danke, Mrs. Kenny. Meine Frau wartet mit dem Abendessen auf uns. Aber vielleicht könnt Ihr mir sagen, ob das hier von Kennys Rock stammt?«
Mrs. Lindsey blinzelte den Knopf in seiner Hand an und schüttelte dann den Kopf.
»Nein, bestimmt nicht. Bin schließlich gerade damit fertig, ihm einen ganzen neuen Satz Knöpfe anzunähen, die er aus Hirschbein geschnitzt hat. Die schönsten Knöpfe, die Ihr je gesehen habt«, erklärte sie voll Stolz auf die handwerklichen Fähigkeiten ihres Mannes. »Jeder von ihnen ist mit einem kleinen Gesicht verziert, das grinst wie ein Kobold, und jedes ist anders!«
Sie ließ den Blick abschätzend über Brianna wandern.
»Kenny hat einen Bruder«, sagte sie. »Hat ein schönes, kleines Anwesen in der Nähe von Cross Creek - zwanzig Hektar Tabak und ein schöner Bach. Er kommt zum Gathering am Mount Helicon; geht Ihr vielleicht dorthin, Mac Dubh?«
Jamie schüttelte den Kopf und lächelte über den Wink mit dem Zaunpfahl. Es gab nur wenige heiratsfähige Frauen in der Kolonie, und obwohl Jamie hatte verlauten lassen, daß Brianna schon anderweitig vergeben sei, hatte dies den Verkupplungsversuchen keinerlei Abbruch getan.
»Dieses Jahr nicht, fürchte ich, Mrs. Kenny. Vielleicht nächstes Mal, aber im Augenblick habe ich keine Zeit dafür.«
Sie verabschiedeten sich höflich und wandten sich heimwärts. Die sinkende Sonne in ihrem Rücken warf lange Schatten auf den Weg vor ihnen.
»Meinst du, der Knopf hat eine Bedeutung?« fragte Brianna neugierig.
Jamie zuckte leicht mit den Achseln. Ein schwacher Luftzug hob das Haar auf seinem Scheitel an und zerrte an dem Lederriemen, der es zusammenhielt.
»Ich kann es nicht sagen. Es könnte unbedeutend sein - aber es könnte genausogut von Belang sein. Deine Mutter hat mir gesagt, was Ronnie Sinclair von dem Mann in Cross Creek erzählt hat, der sich nach dem Whisky erkundigt hat.«
»Hodgepile?« Brianna konnte ein Lächeln über den Namen nicht unterdrücken. Jamie lächelte kurz zurück und wurde dann wieder ernst.
»Aye. Wenn der Knopf jemandem aus der Siedlung gehört - sie wissen alle genau, wo die Destillerie ist, und es könnte ohne weiteres sein, daß jemand kurz dort vorbeischaut. Aber falls es ein Fremder sein sollte…« Er sah sie an und zuckte erneut mit den Achseln.
»Es ist nicht so einfach für einen Mann, hier unbemerkt zu bleiben - es sei denn, er versteckt sich absichtlich. Wenn ein Mann, der aus einem harmlosen Grund hier ist, in einem Haus rasten und um etwas zu essen und zu trinken bitten würde, würde ich es noch am selben Tag erfahren. Aber es ist nichts dergleichen vorgefallen. Es ist wahrscheinlich auch kein Indianer; die benutzen so etwas nicht für ihre Kleidung.«
Ein Windstoß fuhr über den Weg und wirbelte braune und gelbe Blätter auf, und sie wandten sich hügelaufwärts dem Blockhaus zu. Angesteckt von der zunehmenden Stille des Waldes wanderten sie fast wortlos weiter; die Vögel sangen noch im Zwielicht, doch die Schatten unter den Bäumen wurden länger. Der Nordhang des Berges auf der anderen Talseite war schon dunkel, als die Sonne sich hinter ihn schob.
Doch die Lichtung mit dem Blockhaus war immer noch mit Sonnenlicht erfüllt, das durch ein Flammenmeer gelber Kastanienbäume gefiltert wurde. Claire stand im eingezäunten Teil des Gartens, eine Schüssel auf der Hüfte, und pflückte Bohnen von strebengestützten Ranken. Ihre schlanke Gestalt war im Gegenlicht dunkel umrissen, ihr Haar ein breiter Strahlenkranz aus gelocktem Gold.
»Innisfree«, sagte Brianna unwillkürlich, während sie bei dem Anblick erstarrte.
»Innisfree?« Jamie sah sie verblüfft an.
Sie zögerte, doch es führte kein Weg an einer Erklärung vorbei.
»Es ist ein Gedicht, oder ein Teil davon. Papa hat es immer aufgesagt, wenn er nach Hause kam und Mama in ihrem Garten werkeln sah - er meinte immer, wenn sie könnte, würde sie dort draußen wohnen. Er hat oft gescherzt, daß sie - daß sie uns eines Tages verlassen und sich einen Ort suchen würde, wo sie ganz allein mit ihren Pflanzen leben könnte.«
»Ah.« Jamies Gesicht war ruhig, die breiten Wangen vom ersterbenden Licht gerötet. »Und wie geht das Gedicht?«
»Ich mach’ mich auf und geh’ nach Innisfree,
Dort bau’ ich eine Hütte aus Ruten und Lehm:
Dann pflanze ich dort Bohnen, und Bienen ich dort zieh’.
Und leb’ im Tal der Bienen allein und ganz bequem.«
Seine dichten, roten Brauen zogen sich sacht zusammen und glänzten in der Sonne.
»Ein Gedicht, wie? Und wo ist Innisfree?«
»Irland vielleicht. Er war Ire«, erklärte Brianna. »Der Dichter.« Die Bienenstöcke standen ordentlich in Reih und Glied auf ihren Steinen am Waldrand.
»Oh.«
Winzige Fusseln aus Gold und Schwarz schwebten an ihnen vorbei durch die honigduftende Luft - Bienen auf dem Heimweg von den Feldern. Ihr Vater machte keine Anstalten, weiterzugehen, sondern blieb still an ihrer Seite stehen und sah ihrer Mutter beim Bohnenpflücken zu, schwarz und golden zwischen den Pflanzen.
Also am Ende doch nicht allein, dachte sie. Doch es blieb ein Engegefühl in ihrer Brust, das fast ein Schmerz war.
 
Kenny Lindsey trank einen Schluck Whisky, schloß die Augen und ließ sich den Schnaps durch den Mund laufen wie ein professioneller Weintester. Er hielt inne, runzelte konzentriert die Stirn und schluckte dann krampfhaft.
»Huuh!« Er holte Luft und erschauerte von oben bis unten.
»Himmel«, sagte er heiser. »Der zieht einem ja die Schuhe aus.«
Jamie grinste über das Kompliment und goß noch ein kleines Glas ein, das er Duncan hinüberschob.
»Aye, er ist besser als der letzte«, pflichtete er bei und schnüffelte vorsichtig, bevor er von seinem eigenen Becher probierte. »Diesmal gerbt er einem die Zunge nicht so.«
Lindsey wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und nickte zustimmend.
»Tja, wir bringen ihn gut unter. Woolam möchte ein Faß - damit kommt er ein ganzes Jahr aus, so sparsam wie diese Quäker damit umgehen.«
»Habt Ihr einen Preis vereinbart?«
Lindsey nickte und roch anerkennend an dem Teller mit Haferkeksen und Häppchen, den Lizzie vor ihn hingestellt hatte.
»Einen Zentner Gerste pro Faß; noch einen, wenn er die Hälfte des daraus resultierenden Whiskys bekommt.«
»Das ist fair.« Jamie nahm sich einen Haferkeks und kaute einen Augenblick lang geistesabwesend darauf herum. Dann zog er eine Augenbraue hoch und sah Duncan an, der ihm gegenübersaß.
»Kannst du MacLeod am Naylors Creek fragen, ob er damit einverstanden ist? Du kommst doch auf dem Heimweg dort vorbei, aye?«
Duncan nickte kauend, und Jamie prostete mir mit erhobenem Becher einen stummen Glückwunsch zu - mit Woolams Angebot hatten wir insgesamt achthundert Pfund Gerste durch Tauschhandel und Versprechungen zusammengekratzt. Das war mehr als der Reingewinn der gesamten Felder unserer Niederlassung; der Rohstoff für den Whisky des kommenden Jahres.
»Ein Faß für jedes Haus in der Siedlung, zwei für Fergus…« Jamie zog geistesabwesend an seinem Ohrläppchen, während er nachrechnete. »Vielleicht zwei für Nacognaweto, eins, das wir zum Reifen liegen lassen - aye, wir haben vielleicht ein Dutzend Fässer für das Gathering übrig, Duncan.«
Duncans Ankunft kam uns sehr gelegen. Jamie hatte es zwar geschafft, den Rohwhisky des ersten Jahres bei der Herrnhuter Brüdergemeinde gegen die Werkzeuge, das Tuch und andere Dinge einzutauschen, die wir so dringend brauchten, doch es bestand kein Zweifel, daß die reichen schottischen Pflanzer vom Cape Fear einen besseren Markt abgeben würden.
Wir konnten es uns auf keinen Fall erlauben, uns für die einwöchige Reise zum Mount Helicon von der Siedlung zu entfernen, doch wenn Duncan den Whisky mitnehmen und verkaufen konnte… Ich stellte im Kopf bereits Listen zusammen. Zu den volksfestähnlichen Gatherings brachte jeder Dinge mit, die er verkaufen wollte. Wolle, Tuch, Werkzeuge, Lebensmittel, Tiere… Ich brauchte dringend einen kleinen Kupferkessel und sechs Ellen neuen Musselin für Hemden und…
»Meinst du wirklich, du solltest den Indianern Alkohol geben?« Briannas Frage riß mich aus meinen raffgierigen Überlegungen.
»Warum nicht?« fragte Lindsey, der es mißbilligte, daß sie sich einmischte. »Schließlich werden wir ihn ihnen ja nicht schenken, Kleine. Sie haben nicht viel Bargeld, aber sie zahlen in Fellen - und sie zahlen gut.«
Brianna sah erst mich, dann Jamie hilfesuchend an.
»Aber die Indianer sind nicht - ich meine, ich habe gehört, daß sie nicht mit Alkohol umgehen können.«
Die drei Männer sahen sie verständnislos an, und Duncan starrte auf seinen Becher, den er in der Hand hin- und herdrehte.
»Ich meine, sie werden schnell betrunken.«
Lindsey blinzelte in seinen Becher, dann sah er sie an und rieb sich mit der Hand über seinen Scheitel, der langsam kahl wurde.
»Worauf willst du denn hinaus, Mädchen?«
Briannas Mund preßte sich zusammen und entspannte sich dann.
»Ich meine«, sagte sie, »daß ich es falsch finde, Menschen zum Trinken zu ermutigen, die nicht mehr damit aufhören können, wenn sie einmal angefangen haben.« Sie sah mich ein wenig hilflos an. Ich schüttelte den Kopf.
»Das Wort ›Alkoholiker‹ existiert noch nicht«, sagte ich. »Hier ist es keine Krankheit - nur eine Charakterschwäche.«
Jamie sah sie fragend an.
»Na ja, eins kann ich dir sagen, Kleine«, sagte er, »ich habe schon viele Betrunkene gesehen, aber noch keine Flasche, die von selbst vom Tisch springt und sich einem in die Kehle stürzt.«
Es erklang allgemeines Beifallsgrunzen, und bei einer weiteren Runde wechselten sie das Thema.
»Hodgepile? Nein, den habe ich noch nie gesehen, obwohl ich meine, daß ich den Namen schon einmal gehört habe.« Duncan kippte den Rest seines Whiskys hinunter und stellte leise keuchend seinen Becher hin. »Soll ich beim Gathering fragen?«
Jamie nickte und nahm sich noch einen Haferkeks. »Aye, wenn’s geht, Duncan.«
Lizzie stand über das Feuer gebeugt und rührte den Eintopf für das Abendessen um. Ich sah, wie sich ihre Schultern anspannten, doch sie war zu schüchtern, um in Gegenwart so vieler Männer den Mund aufzutun. Brianna war solche Zurückhaltung fremd.
»Ich habe auch jemanden, nach dem Ihr fragen könntet, Mr. Innes.« Sie beugte sich über den Tisch zu ihm hin und sah ihn ernst und flehend an. »Würdet Ihr Euch nach einem Mann namens Roger Wakefield erkundigen? Bitte?«
»Och, natürlich. Natürlich tue ich das.« Duncan errötete über die unmittelbare Nähe von Briannas Ausschnitt und trank in seiner Verwirrung Kennys Whisky aus. »Kann ich sonst noch irgend etwas tun?«
»Ja«, sagte ich und stellte dem verärgerten Lindsey einen frischen Becher hin. »Wenn du dich nach Hodgepile und Brees jungem Freund erkundigst, könntest du da auch nach einem Mann namens Joseph Wemyss fragen? Er dürfte ein Zwangsarbeiter sein.« Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Lizzies schmale Schultern erleichtert zusammensackten.
Duncan nickte und gewann die Fassung wieder, als Brianna in der Vorratskammer verschwand, um Butter zu holen. Kenny Lindsey sah ihr interessiert nach.
»Bree? So nennt Ihr Eure Tochter?« fragte er.
»Ja, manchmal«, sagte ich. »Warum?«
Ein kurzes Lächeln erschien in Lindseys Gesicht. Dann sah er Jamie an, hustete und vergrub sein Lächeln in seinem Becher.
»Es ist ein schottisches Wort, Sassenach«, sagte Jamie, und auch in seinem Gesicht zeigte sich jetzt ein ziemlich ironisches Lächeln. »Ein bree ist ein großes Ärgernis.«
Der Ruf Der Trommel
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