19
Segne dieses Haus
September 1767
Unter Mond und Sternen in den Armen eines nackten
Geliebten zu schlafen, zu zweit in Pelze und weiche Blätter
gehüllt, eingelullt vom sanften Murmeln der Kastanien und dem
entfernten Rauschen eines Wasserfalls, ist furchtbar romantisch.
Durchweicht unter einem grob gezimmerten Verschlag zu schlafen,
eingekeilt zwischen einem kräftigen, feuchten Ehemann und einem
ebenso kräftigen, ebenso feuchten Neffen, während man dem Regen
lauscht, der oben auf das Laubdach trommelt, und gleichzeitig die
Annäherungsversuche eines immensen, gründlich durchnäßten Hundes
abwehrt, irgendwie schon weniger.
»Luft«, sagte ich und kämpfte mich lahm in eine
sitzende Position hoch, wobei ich mir zum hundertsten Male Rollos
Schwanz aus dem Gesicht strich. »Ich bekomme keine Luft.« Der
Geruch nach zusammengepferchten männlichen Tieren war
überwältigend; ein schweißiger, ranziger Geruch, garniert mit dem
Duft von feuchter Wolle und Fisch.
Ich rollte mich auf Hände und Knie und kroch nach
draußen, wobei ich versuchte, niemanden zu treten. Jamie grunzte im
Schlaf und machte den Verlust meiner Körperwärme wett, indem er
sich sofort zu einer plaidumwickelten Kugel zusammenrollte. Ian und
Rollo waren zu einer unentwirrbaren Masse aus Fell und Stoff
zusammengewickelt, und wenn sie ausatmeten, wurden sie in der Kühle
vor der Dämmerung von einem leichten Nebel umgeben.
Es war kühl draußen, doch die Luft war
frisch; so frisch, daß ich beinahe hustete, als ich mir die Lungen
vollsog. Es hatte aufgehört zu regnen, doch es tropfte noch von den
Bäumen, und die Luft bestand zu gleichen Teilen aus Wasserdampf und
reinem Sauerstoff, gewürzt mit den durchdringenden Gerüchen der
Pflanzen auf dem Berghang.
Ich hatte in Jamies Ersatzhemd geschlafen und meine
Lederhose in der Satteltasche verstaut, damit sie nicht naß wurde.
Bis ich sie angezogen hatte, war ich mit Gänsehaut überzogen und
zitterte am
ganzen Körper, doch das steife Leder wärmte sich genug auf, um
sich innerhalb weniger Minuten an meinen Körper
anzuschmiegen.
Barfuß und mit kalten Zehen ging ich vorsichtig zum
Bach hinunter, um mich zu waschen, den Kessel unter dem Arm. Die
Dämmerung war noch nicht angebrochen, und der Wald war von Nebel
und graublauem Licht erfüllt, von Zwielicht, dem geheimnisvollen
Halbdunkel, das an beiden Enden des Tages kommt, wenn die kleinen,
verborgenen Lebewesen auf Nahrungssuche gehen.
Über uns erscholl gelegentlich ein zaghaftes
Zwitschern aus dem Blätterdach, doch es war nicht mit dem üblichen
schrillen Chor zu vergleichen. Wegen des Regens begannen die Vögel
heute den Tag später; der Himmel hing immer noch tief und war
voller Wolken, die von Schwarz im Westen bis hin zu einem blassen
Schieferblau im dämmrigen Osten reichten. Stolz durchfuhr mich bei
dem Gedanken, daß ich schon die Zeit wußte, zu der die Vögel
normalerweise sangen, und daß mir der Unterschied aufgefallen
war.
Jamie hatte recht gehabt, dachte ich, als er
vorschlug, auf dem Berg zu bleiben, anstatt nach Cross Creek
zurückzukehren. Es war Anfang September, und Myers’ Einschätzung
nach würden wir noch zwei Monate lang gutes Wetter haben - relativ
gutes Wetter, verbesserte ich mit einem Blick auf die Wolken -,
bevor die Kälte einen Unterschlupf unabdingbar machte. Zeit genug -
vielleicht -, um eine kleine Hütte zu bauen, zu jagen und uns mit
Vorräten für den bevorstehenden Winter zu versorgen.
»Es wird ganz schön anstrengend werden«, hatte
Jamie gesagt. Ich stand zwischen seinen Knien, während er auf einem
hohen Felsen saß und über das Tal blickte. »Und nicht ganz
ungefährlich; wir könnten scheitern, wenn es früh schneit oder ich
nicht genug Wild jagen kann. Ich tue es nicht, wenn du nein sagst,
Sassenach. Würdest du Angst haben?«
Angst war noch untertrieben. Der Gedanke ließ mir
das Herz in die Hose sinken. Als ich zugestimmt hatte, daß wir uns
auf dem Bergrücken ansiedelten, war ich davon ausgegangen, daß wir
den Winter über nach Cross Creek zurückkehren würden.
Wir hätten ganz in Ruhe Vorräte und Siedler um uns
sammeln und im Frühjahr als Karawane zurückkehren können, um
gemeinsam das Land zu roden und Häuser zu errichten. Statt dessen
würden wir völlig allein sein, mehrere Tagesreisen von der nächsten
winzigen europäischen Ansiedlung entfernt. Allein in der Wildnis -
allein den ganzen Winter lang.
Wir hatten so gut wie keine Werkzeuge oder Vorräte
bei uns außer
einer großen Axt, ein paar Messern, einem Reisekessel und einem
Backblech und meiner kleineren Arzneikiste. Was wäre, wenn etwas
passierte, wenn Ian oder Jamie krank wurden oder sich bei einem
Unfall verletzten? Wenn uns Hunger oder Kälte zusetzten? Und Jamie
war sich zwar sicher, daß unsere indianischen Bekannten keine
Einwände gegen unser Vorhaben hatten, doch ich war nicht so
gelassen, wenn ich daran dachte, wer sonst noch vorbeikommen
könnte.
Ja, ich würde verdammt noch mal Angst haben.
Andererseits war ich alt genug, um zu wissen, daß Angst allein
normalerweise nicht tödlich war - zumindest nicht automatisch. Wenn
man natürlich den einen oder anderen Bären oder Wilden hinzufügte,
na ja, dann sah die Sache anders aus.
Zum ersten Mal dachte ich mit inniger Sehnsucht an
River Run zurück, an heißes Wasser, warme Betten und regelmäßige
Mahlzeiten, an Ordnung und Sauberkeit… und Sicherheit.
Ich konnte allerdings sehr gut verstehen, warum
Jamie nicht zurückwollte: Noch ein paar Monate länger auf Jocastas
Kosten zu leben, würde ihn ihr gegenüber noch tiefer verpflichten,
würde es noch schwieriger machen, ihren Schmeicheleien zu
widerstehen.
Er wußte auch - sogar noch besser als ich -, daß
Jocasta Cameron eine geborene MacKenzie war. Ich hatte ihre Brüder,
Dougal und Colum, gut genug gekannt, um diese Abstammung mit
einigem Argwohn zu betrachten: Die MacKenzies von Leoch gaben nicht
so leicht auf und waren sich mit Sicherheit nicht zu schade dazu,
ihre Ziele mit Intrigen und Manipulation zu erreichen. Und
vielleicht webte eine blinde Spinne ihre Netze ja um so fester,
weil sie sich allein auf den Tastsinn verlassen mußte.
Außerdem hatten wir jeden Grund, Sergeant
Murchisons Nähe wie die Pest zu meiden, denn er schien definitiv
von der nachtragenden Sorte zu sein. Und dann waren da noch
Farquard Campbell und das ganze Netz aus Pflanzern und Regulatoren,
Sklaven und Politik, das uns dort erwartete… Nein, ich konnte
absolut verstehen, warum Jamie nicht zu diesen Verwicklungen und
Komplikationen zurückwollte, ganz zu schweigen von der bedrohlichen
Tatsache des bevorstehenden Krieges. Zur gleichen Zeit aber war ich
mir relativ sicher, daß keiner dieser Gründe den Ausschlag für
seine Entscheidung gab.
»Es ist nicht nur, weil du nicht zurück nach River
Run willst, oder?« Ich lehnte mich an ihn und spürte seine Wärme im
Kontrast zur Kühle des Abendwindes. Die Jahreszeit hatte noch nicht
gewechselt; es war immer noch Spätsommer, und die von der Sonne
geweckten
Düfte der Blätter und Beeren erfüllten die Luft, doch so hoch in
den Bergen wurde es nachts kalt.
Ich spürte das sanfte Rumpeln des Gelächters in
seiner Brust, und sein warmer Atem streifte mein Ohr.
»Ist es denn so offensichtlich?«
»Ziemlich.« Ich drehte mich in seinen Armen um und
lehnte meine Stirn an die seine, so daß nur wenige Zentimeter
unsere Augen trennten. Die seinen waren von einem tiefen
Dunkelblau, dieselbe Farbe wie der Abendhimmel über dem
Bergpaß.
»Eule«, sagte ich.
Er lachte verblüfft, und als er den Kopf zurückzog,
senkten sich seine langen, kastanienbraunen Wimpern zu einem kurzen
Blinzeln.
»Was?«
»Du hast verloren«, erklärte ich. »Es ist ein Spiel
und heißt ›Eule‹. Wer zuerst blinzelt, hat verloren.«
»Oh.« Er faßte meine Ohren bei den Ohrläppchen und
zog mich sanft an sich, Stirn an Stirn. »Na gut, Eule. Du hast
wirklich Augen wie eine Eule, ist dir das schon aufgefallen?«
»Nein«, sagte ich. »Kann ich nicht
behaupten.«
»Ganz klar und golden - und sehr weise.«
Ich blinzelte nicht.
»Dann sag es mir - warum bleiben wir hier?«
Er blinzelte ebenfalls nicht, doch ich spürte, wie
sich seine Brust unter meiner Hand hob, als er tief Luft
holte.
»Wie soll ich dir erklären, wie es ist, wenn man
einen Platz zum Leben braucht?« sagte er leise. »Schnee unter den
Schuhen. Die Berge, die mir ihren Atem in die Nase hauchen, so wie
Gott es bei Adam getan hat. Einen rauhen Felsen unter meiner Hand,
wenn ich klettere, und den Anblick der Flechten darauf, die
ausharren in Sonne und Wind.«
Er hatte die Luft in seinen Lungen verbraucht. Er
holte tief Luft und raubte mir dabei den Atem. Er hatte die Hände
hinter meinem Kopf verschränkt und hielt mich fest, Gesicht an
Gesicht.
»Wenn ich wie ein Mensch leben soll, brauche ich
einen Berg«, sagte er schlicht. Seine Augen waren weit geöffnet und
suchten in den meinen nach Verständnis.
»Vertraust du mir, Sassenach?« sagte er. Seine Nase
war gegen die meine gepreßt, doch er blinzelte nicht. Und ich auch
nicht.
»Absolut.«
Ich spürte das Lächeln auf seinen Lippen, zwei
Zentimeter von den meinen entfernt.
»Von ganzem Herzen?«
»Immer«, flüsterte ich, schloß die Augen und küßte
ihn.
Und so wurde es abgemacht. Myers würde nach Cross
Creek zurückkehren, Duncan Jamies Instruktionen überbringen,
Jocasta versichern, daß es uns gutging, und so viel Proviant
besorgen, wie mit unserem restlichen Geld finanzierbar war. Wenn
vor dem ersten Schneefall noch Zeit blieb, sollte er mit dem
Nachschub gleich zurückkehren, wenn nicht, erst im Frühjahr. Ian
würde bei uns bleiben; wir würden seine Hilfe beim Bau der Hütte
und auf der Jagd brauchen.
Unser tägliches Brot gib uns heute, dachte
ich, während ich mich durch das feuchte Gebüsch schob, das den Bach
säumte, und führe uns nicht in Versuchung.
Doch wir waren einigermaßen sicher vor Versuchungen
- ob es uns gefiel oder nicht, wir würden River Run mindestens ein
Jahr nicht mehr zu sehen bekommen. Was unser tägliches Brot anging,
so hatte es sich bis jetzt so verläßlich wie Manna eingestellt; um
diese Jahreszeit gab es reife Nüsse, Früchte und Beeren im
Überfluß, und ich sammelte sie so emsig wie ein Eichhörnchen. Ich
hoffte jedoch, daß Gott uns auch in zwei Monaten noch hören würde,
wenn die Bäume kahl wurden, die Bäche zufroren und der Wind
heulte.
Der Regen hatte den Bach merklich anschwellen
lassen; das Wasser stand vielleicht dreißig Zentimeter höher als
gestern. Ich kniete mich hin und stöhnte leise, als die Steifheit
in meinem Rücken nachließ; das Schlafen auf dem Boden verstärkte
meine üblichen, leichten Bewegungsprobleme am Morgen. Ich spritzte
mir kaltes Wasser ins Gesicht, spülte mir den Mund aus, trank aus
meinen Händen und bespritzte mich noch einmal, wobei mir das Blut
in Wangen und Fingern prickelte.
Als ich mit triefendem Gesicht aufblickte, sah ich
zwei Hirsche, die ein Stück flußaufwärts an einer ruhigen Stelle
tranken. Ich verhielt mich ganz ruhig, um sie nicht zu stören, doch
sie zeigten sich von meiner Gegenwart nicht beunruhigt. Im Schatten
der Birken waren sie von demselben weichen Blau wie die Felsen und
Bäume, selbst kaum mehr als Schatten, doch jede Linie ihres Körpers
war so fein umrissen wie auf einer japanischen
Tuschezeichnung.
Dann waren sie plötzlich fort. Ich kniff die Augen
zu, und noch einmal. Ich hatte nicht gesehen, wie sie sich
umdrehten oder wegliefen - aber trotz ihrer ätherischen Schönheit
war ich sicher, daß ich nicht geträumt hatte, denn ich konnte die
dunklen Abdrücke ihrer Hufe im Schlamm am anderen Ufer sehen. Doch
sie waren fort.
Ich sah oder hörte nicht das geringste, doch auf
einmal sträubten sich mir die Haare am ganzen Körper, und ein
instinktives Prickeln lief mir über Arme und Nacken. Ich erstarrte,
nur meine Augen bewegten sich noch. Wo war es, was war es?
Die Sonne war aufgegangen; die Baumwipfel sahen
jetzt grün aus, und die Felsen begannen zu leuchten, als sich ihre
Farben erwärmten. Doch die Vögel schwiegen, nichts regte sich außer
dem Wasser.
Er stand keine zwei Meter von mir entfernt, halb
von einem Busch verdeckt. Die Geräusche, die er beim Trinken
machte, gingen im Lärmen des Baches unter. Dann hob sich sein
breiter Schädel, und sein Ohr drehte sich in meine Richtung, obwohl
ich kein Geräusch gemacht hatte. Konnte er mich atmen hören?
Die Sonne hatte ihn erreicht und zu gelbbraunem
Leben erweckt; sie glühte in den goldenen Augen, die mit
übernatürlicher Ruhe in die meinen starrten. Der Wind hatte sich
gedreht, und ich konnte ihn jetzt riechen: ein schwacher, beißender
Hauch von Katze und ein stärkerer Blutgeruch. Er ignorierte mich,
hob eine dunkelgefleckte Tatze und leckte sie gewissenhaft, die
geschlitzten Augen ganz auf die Säuberung konzentriert.
Er rieb sich mehrfach mit der Tatze über das Ohr
und reckte sich dann genüßlich im frühen Sonnenlicht - mein Gott,
er mußte fast zwei Meter lang sein! - und schlenderte dann davon.
Sein voller Bauch wackelte dabei hin und her.
Ich hatte mich nicht bewußt gefürchtet, reiner
Instinkt hatte mich auf der Stelle erstarren lassen, und schieres
Erstaunen - über die Schönheit der Katze wie auch über ihre Nähe -
hatte mich in der Erstarrung gehalten. Doch als er ging, taute mein
zentrales Nervensystem auf und brach prompt zusammen. Ich zitterte
heftig, und es dauerte einige Minuten, bis ich es schaffte, mich zu
erheben.
Meine Hände bebten so sehr, daß ich den Kessel
dreimal fallenließ, als ich ihn füllte. Vertrauen, hatte er gesagt,
vertraute ich ihm? Ja, das tat ich - und es würde mir unheimlich
viel nützen, es sei denn, daß er beim nächsten Mal direkt vor mir
stand.
Doch für diesmal - war ich am Leben. Ich stand
still da, die Augen geschlossen, und atmete die reine Morgenluft.
Ich konnte jedes einzelne Atom meines Körpers spüren, spürte, wie
das Blut durch meinen Körper raste, um den ersehnten, frischen
Sauerstoff in jede Zelle und Muskelfaser zu tragen. Die Sonne
berührte mein Gesicht und wärmte mir die kalte Haut zu einem
herrlichen Glühen.
Ich öffnete die Augen, und alles schillerte grün,
gelb und blau; der Tag war angebrochen. Alle Vögel sangen
jetzt.
Ich ging über den Pfad zur Lichtung hinauf und
widerstand dem Impuls, mich umzusehen.
Jamie und Ian hatten tags zuvor ein paar hohe,
schlanke Kiefern gefällt, sie in dreieinhalb Meter lange Stücke
gesägt und diese mit einiger Kraftanstrengung den Berg
hinunterkullern lassen. Jetzt lagen sie am Rand der kleinen
Lichtung aufgestapelt, und ihre rauhe Rinde glänzte schwarz vor
Feuchtigkeit.
Als ich mit dem gefüllten Wasserkessel zurückkam,
war Jamie dabei, eine Linie abzuschreiten, indem er das feuchte
Gras niedertrampelte. Ian hatte auf einer großen Steinplatte ein
Feuer angezündet - er hatte von Jamie den praktischen Trick
gelernt, neben Feuerstein und Stahl immer eine Handvoll trockenen
Anzündholzes in seinem Sporran zu haben.
»Das wird ein kleiner Schuppen«, sagte Jamie und
blickte mit einem konzentrierten Stirnrunzeln zu Boden. »Den bauen
wir zuerst, dann können wir darin schlafen, falls es wieder regnen
sollte, aber er braucht nicht so stabil gebaut zu sein wie die
Hütte - das wird unser Übungsstück, was, Ian?«
»Wofür ist er sonst - außer zum Üben?« fragte ich.
Er blickte auf und lächelte mich an.
»Guten Morgen, Sassenach. Hast du gut
geschlafen?«
»Natürlich nicht«, sagte ich. »Wofür ist der
Schuppen?«
»Fleisch«, sagte er. »Wir graben an der Rückseite
eine flache Grube und füllen sie mit Holzkohle, dann können wir so
viel Fleisch wie möglich auf Vorrat räuchern. Und wir brauchen
einen Ständer zum Trocknen - Ian hat gesehen, wie die Indianer es
machen, um das zu bekommen, was sie ›trockenes Fleisch‹ nennen. Wir
brauchen einen sicheren Aufbewahrungsort, wo keine wilden Tiere an
unsere Vorräte gelangen können.«
Das schien eine vernünftige Idee zu sein; besonders
wenn man in Betracht zog, was für Tiere in der Gegend lebten. Meine
einzigen Zweifel betrafen das Räuchern. Ich hatte gesehen, wie man
es in Schottland machte, und wußte, daß das Räuchern von Fleisch
sehr aufwendig war. Jemand mußte ständig dabeibleiben, um zu
verhindern, daß das Feuer zu groß wurde oder ganz ausging, mußte
das Fleisch regelmäßig wenden und es mit Fett bestreichen, damit es
nicht verkohlte und austrocknete.
Es machte mir keine Schwierigkeiten zu sehen, wem
diese Aufgabe zufallen würde. Das Problem war nur, wenn ich es
nicht richtig hinbekam, würden wir alle an Lebensmittelvergiftung
sterben.
»Gut«, sagte ich wenig begeistert. Jamie erkannte
meinen Tonfall und grinste mich an.
»Das ist der erste Schuppen, Sassenach«, sagte er.
»Der zweite ist für dich.«
»Für mich?« Jetzt taute ich etwas auf.
»Für deine Kräuter und Pflanzen. Sie nehmen einigen
Platz in Anspruch, wenn ich mich richtig erinnere.« Er wies über
die Lichtung, und die Begeisterung des Bauherrn leuchtete ihm aus
den Augen. »Und da drüben, da kommt die Hütte hin, in der wir
überwintern.«
Zu meiner Überraschung hatten sie am Ende des
zweiten Tages die Wände des ersten Schuppens errichtet. Sie hatten
sie provisorisch mit Zweigen überdacht, bis sie dazu kommen würden,
Schindeln für ein richtiges Dach zurechtzuschneiden. Die Wände
bestanden aus schlanken, eingekerbten und nicht entrindeten
Stämmen, zwischen denen sich merkliche Zwischenräume befanden. Doch
der Schuppen war so groß, daß wir drei und Rollo bequem darin
schlafen konnten, und wenn wir in der steingefaßten Grube in der
Ecke ein Feuer anzündeten, war es wirklich gemütlich.
Sie hatten so viele Zweige vom Dach entfernt, wie
für einen Rauchabzug nötig war, und ich konnte die Abendsterne
sehen, als ich mich an Jamie kuschelte und mir anhörte, wie er
seine Handwerkskunst kritisierte.
»Sieh dir das an«, sagte er verärgert und wies mit
dem Kinn in die entlegenste Ecke. »Da habe ich doch glatt einen
krummen Stamm genommen, und jetzt ist ab da alles schief
geworden.«
»Ich glaube nicht, daß das dem Wildbret etwas
ausmacht«, murmelte ich. »Komm, zeig mir deine Hand.«
»Und der Dachbalken liegt an der einen Seite gute
zwanzig Zentimeter niedriger als an der anderen«, redete er weiter,
ohne mich zu beachten, überließ mir aber seine linke Hand. Seine
Hände waren beide mit glatter Hornhaut überzogen, doch ich spürte
die frischen Kratzer und Risse und so viele Holzsplitter, daß sich
seine Handfläche ganz stachelig anfühlte.
»Du fühlst dich an wie ein Stachelschwein«, sagte
ich und strich mit der Hand über seine Finger. »Komm, rück näher
ans Feuer, damit ich genug sehen kann, um dich zu entholzen.«
Er setzte sich gehorsam in Bewegung und kroch um
Ian herum, der - ebenfalls frisch entsplittert - mit dem Kopf auf
Rollos pelziger Flanke eingeschlafen war. Unglücklicherweise
enthüllte der Stellungswechsel Jamies kritischem Auge noch weitere
Schwächen in der Konstruktion.
»Du hast doch noch nie einen Schuppen aus
Baumstämmen gebaut, oder?« unterbrach ich sein vernichtendes Urteil
über den Eingang und zog ihm dabei mit der Pinzette einen großen
Splitter sauber aus dem Daumen.
»Au! Nein, aber -«
»Und ihr habt das verdammte Ding in zwei Tagen
gebaut und hattet dazu nur eine Axt und ein Messer, zum Kuckuck!
Ihr habt keinen einzigen Nagel benutzt! Warum erwartest du dann,
daß es aussieht wie der Buckingham Palast?«
»Ich habe den Buckingham Palast noch nie gesehen«,
sagte er nachsichtig. Er hielt inne. »Ich verstehe aber, was du
meinst, Sassenach.«
»Gut.« Ich beugte mich tiefer über seine Handfläche
und kniff die Augen zusammen, um die kleinen dunklen Streifen der
Splitter zu sehen, die unter seiner Haut saßen.
»Ich schätze, er wird zumindest nicht einstürzen«,
sagte er nach einer längeren Pause.
»Ich denke nicht.« Ich drückte ein Tuch auf den
Hals der Brandyflasche, rieb ihm damit die Hand ab und wandte meine
Aufmerksamkeit seiner rechten Hand zu.
Eine Zeitlang sagte er nichts. Das Feuer knisterte
leise vor sich hin und flammte dann und wann auf, wenn ein Luftzug
zwischen die Balken faßte, um es zu kitzeln.
»Das Haus kommt oben auf den Hang«, sagte er
plötzlich. »Dahin, wo die Erdbeeren wachsen. Ja?« murmelte
er.
»Du meinst die Blockhütte? Ich dachte, die käme an
den Rand der Lichtung.« Ich hatte so viele Splitter aus seinen
Handflächen herausgezogen, wie ich konnte, die übrigen waren so
tief eingedrungen, daß ich abwarten mußte, bis sie sich näher an
die Oberfläche gearbeitet hatten.
»Nein, nicht das Blockhaus. Ein richtiges Haus«,
sagte er leise. Er lehnte sich mit dem Rücken an die rohen
Baumstämme und blickte über das Feuer und durch die Ritzen in die
Dunkelheit. »Mit einem Treppenhaus und Glasfenstern.«
»Das ist schön.« Ich legte die Pinzette in ihr Fach
zurück und schloß die Kiste.
»Mit hohen Decken und einem Eingang, der so hoch
ist, daß ich mir beim Eintreten nie den Kopf stoße.«
»Das ist wunderbar.« Ich lehnte mich neben ihm an
die Wand und legte meinen Kopf an seine Schulter. Irgendwo in der
Ferne heulte ein Wolf. Rollo hob mit einem leisen Wuff! den
Kopf, lauschte einen Augenblick lang und legte sich dann mit einem
Seufzer wieder hin.
»Mit einer Kräuterkammer für dich und einem
Arbeitszimmer für mich mit Regalen für meine Bücher.«
»Mmmm.« Im Moment besaß er genau ein Buch - Die
Naturgeschichte North Carolinas, erschienen 1733, das er als
Reiseführer und Nachschlagewerk mitgebracht hatte.
Das Feuer war wieder heruntergebrannt, doch keiner
von uns machte Anstalten, noch Holz nachzulegen. Die Glut würde uns
in der Nacht wärmen, und am Morgen würden wir sie wieder
anfachen.
Jamie legte mir den Arm um die Schultern, neigte
sich seitwärts und zog mich mit herab, so daß wir zusammengerollt
auf der dicken Laubschicht lagen, die unser Bett war.
»Und ein Bett«, sagte ich. »Du kannst doch ein Bett
bauen, oder?«
»Mindestens so schön wie die im Buckingham Palast«,
sagte er.
Myers - Dank sei seinem großen Herzen und seiner
treuen Seele - kehrte innerhalb eines Monats zurück und brachte
nicht nur drei mit Werkzeugen, kleinen Einrichtungsgegenständen und
so Lebensnotwendigem wie Salz beladene Maultiere mit, sondern auch
Duncan Innes.
»Hier?« Innes betrachtete interessiert die winzige
Niederlassung, die auf dem erdbeerbewachsenen Bergrücken Formen
anzunehmen begann. Wir hatten jetzt zwei stabile Schuppen und einen
Pferch aus halbierten Baumstämmen für die Pferde und das Vieh, das
wir noch erwerben würden.
Im Augenblick bestand unser gesamtes Vieh aus einem
kleinen, weißen Ferkel, das Jamie dreißig Meilen weiter in einer
Siedlung der Herrnhuter Brüdergemeinde gegen einen Sack
Yamswurzeln, die ich gesammelt hatte, und ein Bündel Besen, die ich
aus Weidenruten gemacht hatte, eingetauscht hatte. Da es noch viel
zu klein für den Pferch war, hatte es bis jetzt mit uns den
Schuppen bewohnt, wo es sich mit Rollo angefreundet hatte. Mir
persönlich war es nicht ganz so sympathisch.
»Aye. Es ist gutes Land mit viel Wasser, im Wald
sind Quellen, und der Bach läuft mittendurch.«
Jamie führte Duncan an eine Stelle, von der aus man
die westlichen Abhänge unterhalb des Bergrückens sehen konnte. Dort
waren entstandene waldfreie Streifen, die im Augenblick mit wildem
Gras überwuchert waren, sich aber hervorragend zum Ackerbau
eigneten.
»Siehst du?« Er wies über den Hang, der sanft vom
Bergrücken zu einem flachen Felsstreifen abfiel, auf dem eine
Platanenreihe das
Flußufer anzeigte. »Für den Anfang ist da Platz für mindestens
dreißig Parzellen. Wir müßten ein Stück Wald roden, aber es ist
jetzt schon Platz genug, um zu beginnen. Jeder Bauer, der etwas
taugt, könnte seine Familie mit einem Gemüsegarten ernähren, so
fruchtbar ist der Boden.«
Duncan war Fischer gewesen, kein Bauer, doch er
nickte gehorsam, den Blick auf die Landschaft gerichtet, während
Jamie sie mit zukünftigen Häusern bevölkerte.
»Ich habe es abgeschritten«, sagte Jamie gerade,
»doch es muß sobald wie möglich ordentlich vermessen werden. Aber
ich habe die Beschreibung im Kopf - habt ihr zufällig Tinte und
Papier mitgebracht?«
»Aye, haben wir. Und noch ein paar andere Sachen.«
Duncan lächelte mich an, und sein langes, melancholisches Gesicht
war wie verwandelt. »Miss Jo hat ein Federbett mitgeschickt und
meinte, es käme Euch vielleicht gelegen.«
»Ein Federbett? Wie wundervoll!« Ich verdrängte auf
der Stelle alle kleinlichen Gedanken, die ich jemals über Jocasta
Cameron gehegt hatte. Jamie hatte uns einen ausgezeichneten,
stabilen Bettrahmen aus Eichenholz gebaut und den Boden raffiniert
aus verknoteten Seilen gearbeitet, doch ich hatte es nur mit
Zedernzweigen auslegen können, und diese dufteten zwar, waren aber
unangenehm knotig.
Meine genüßlichen Träumereien wurden von Ian und
Myers unterbrochen, die aus dem Wald auftauchten, letzterer mit
einem Paar Eichhörnchen am Gürtel. Ian präsentierte mir stolz ein
riesiges schwarzes Ding, das sich bei näherem Hinsehen als Truthahn
entpuppte, der sich an den herbstlichen Körnern fettgeschlemmt
hatte.
»Der Junge hat ein gutes Auge, Mrs. Claire«, sagte
Myers und nickte beifällig. »Sind clevere Vögel, diese Truthähne.
Sogar die Indianer fangen sie nicht so schnell.«
Es war noch zu früh für Thanksgiving, doch ich war
entzückt über den Vogel, der den ersten größeren Artikel in unserer
Speisekammer darstellen würde. Jamie ging es ebenso, wobei er sich
eher auf die Schwanzfedern des Vogels freute, die ihn mit einem
ordentlichen Vorrat an Schreibkielen versorgen würden.
»Ich muß dem Gouverneur schreiben«, erklärte er
beim Abendessen, »und ihm sagen, daß ich sein Angebot annehme, und
ihm Informationen über das Landstück zukommen lassen.«
»Paß wegen der Nußschalen auf«, sagte ich etwas
nervös. »Nicht, daß du dir einen Zahn ausbeißt.«
Das Abendessen bestand aus über dem Feuer
gegrillten Forellen, in
der Glut gebackenen Yamswurzeln, wilden Pflaumen und einem simplen
Kuchen aus dem Mehl von Hickorynüssen, die ich in meinem Mörser
zerstoßen hatte. Wir hatten zum Großteil von Fisch sowie eßbaren
Pflanzen gelebt, wenn ich welche finden konnte, da Ian und Jamie zu
sehr mit den Bauarbeiten beschäftigt waren, um sich Zeit zur Jagd
zu nehmen. Ich hoffte sehr, daß es Myers möglich war, ein wenig zu
bleiben - lange genug, um einen Hirsch oder eine andere schöne,
große Proteinquelle einzusacken. Die Aussicht auf einen Winter, in
dem es nichts als Trockenfische gab, war etwas entmutigend.
»Keine Sorge, Sassenach«, murmelte Jamie, den Mund
voll Kuchen, und lächelte mich an. »Er ist gut.« Er wandte seine
Aufmerksamkeit Duncan zu.
»Wenn wir fertig gegessen haben, Duncan, willst du
dann mit mir zum Fluß gehen und dir dein Grundstück
aussuchen?«
Innes’ Gesicht verlor jeden Ausdruck, dann errötete
es in einer Mischung aus Freude und Bestürzung.
»Mein Grundstück? Du meinst Land, Mac Dubh?«
Unwillkürlich zog er die Schulter hoch, an der ihm der Arm
fehlte.
»Aye, Land.« Jamie spießte mit einem angespitzten
Stöckchen eine heiße Yamswurzel auf und begann, sie sorgfältig mit
den Fingern zu pellen, ohne Innes anzusehen. »Ich brauche dich als
meinen Bevollmächtigten, Duncan - wenn es dir recht ist. Es ist nur
recht und billig, daß du dafür bezahlt wirst. Also, was ich mir
gedacht habe - natürlich nur, wenn es dir recht ist -, ist, daß ich
ein Grundstück auf deinen Namen eintragen lasse, aber da du nicht
hiersein wirst, um es zu bestellen, werden Ian und ich dafür
sorgen, daß auf deinem Land etwas Getreide ausgesät und ein kleines
Haus gebaut wird. Da hast du dann später einen Ort, wo du dich
niederlassen kannst, wenn du willst, und ein bißchen Getreide.
Wärst du damit einverstanden?«
Während Jamie redete, hatte Duncan eine Vielfalt
von Gefühlen gezeigt, die von Bestürzung über Erstaunen bis hin zu
einer Art zurückhaltender Aufregung reichte. Eigenes Land zu
besitzen war das letzte, womit er jemals gerechnet hatte. Besitzlos
und unfähig, sich seinen Lebensunterhalt mit eigener Hände Arbeit
zu verdienen, hätte er in Schottland als Bettler gelebt - wenn er
überhaupt noch gelebt hätte.
»Aber«, begann er, hielt dann inne und schluckte,
wobei sein knorriger Adamsapfel auf und ab hüpfte. »Aye, Mac Dubh.
Damit wäre ich einverstanden.« Ein leises, ungläubiges Lächeln war
in seinem Gesicht
aufgekeimt, während Jamie sprach, und es hielt sich dort, als
bemerkte Duncan es gar nicht.
»Bevollmächtigter.« Er schluckte erneut und griff
nach einer der Aleflaschen, die er mitgebracht hatte. »Was soll ich
für dich tun, Mac Dubh?«
»Zwei Dinge, Duncan, wenn’s recht ist. Das erste
ist, Siedler für mich zu suchen.« Jamie wies mit der Hand auf die
Anfänge unserer Blockhütte, die bis jetzt nur aus einem Fundament
aus Feldsteinen bestand, dem Balkenwerk für den Fußboden und einer
großen Schieferplatte, die wir für die Feuerstelle ausgesucht
hatten und die im Augenblick am Fundament lehnte.
»Ich kann hier im Augenblick nicht weg. Ich möchte,
daß du möglichst viele von den Männern findest, die aus Ardsmuir
deportiert worden sind. Sie sind bestimmt überall verstreut, aber
sie sind über Wilmington gekommen; viele von ihnen sind bestimmt in
North oder South Carolina. Finde, so viele du kannst, und sag
ihnen, was ich hier vorhabe - und bring alle, die dazu bereit sind,
im Frühjahr hierher.«
Duncan nickte langsam, die Lippen unter dem
herabhängenden Schnurrbart gespitzt. Nur wenige Männer trugen
solchen Gesichtsschmuck, doch er stand ihm gut und gab ihm das
Aussehen eines dünnen, freundlichen Walrosses.
»In Ordnung«, sagte er. »Und das zweite?«
Jamie sah erst mich an, dann Duncan.
»Meine Tante«, sagte er. »Würdest du es auf dich
nehmen, ihr zu helfen, Duncan? Sie braucht dringend einen ehrlichen
Mann, der mit den Schuften von der Marine umgehen kann und sie in
Geschäftsdingen vertreten kann.«
Duncan hatte keinen Moment gezögert, als es darum
ging, die Kolonien über Hunderte von Kilometern auf der Suche nach
Siedlern für unser Unterfangen zu durchkämmen, aber die
Vorstellung, mit Schuften von der Marine umzugehen, erfüllte ihn
mit tiefer Beklommenheit.
»Geschäftsdinge? Aber ich habe doch keine Ahnung
von -«
»Keine Sorge«, sagte Jamie und lächelte seinen
Freund an, und seine Beschwörung funktionierte bei Duncan
genausogut wie bei mir: Ich konnte sehen, wie das geballte
Unwohlsein aus Duncans Augen zu weichen begann. Ich fragte mich
ungefähr zum zehntausendsten Mal, wie er das machte.
»Du wirst keine großen Probleme damit haben«, sagte
Jamie beschwichtigend. »Meine Tante weiß genau, was zu tun ist; sie
kann dir sagen, was du sagen und tun sollst - aber sie braucht
einen Mann, der es sagt und tut. Ich schreibe ihr einen Brief, den
du mit zurücknehmen
kannst und in dem ich ihr erkläre, daß du sie mit Freude vertreten
wirst.«
Während des letzten Teils der Unterredung hatte Ian
in den Paketen herumgewühlt, die von den Maultieren abgeladen
worden waren. Jetzt zog er ein flaches Metallstück hervor und
blinzelte es neugierig an.
»Was ist das?« fragte er in die Runde. Er hielt es
uns entgegen, ein flaches Stück dunkles Metall, das an einem Ende
wie ein Messer zugespitzt war, mit angedeuteten Querstücken. Es sah
aus wie ein kleiner Dolch, der unter eine Dampfwalze gekommen
war.
»Eisen für euren Herd.« Duncan ergriff es und
reichte es Jamie mit dem Griff zuerst. »Es war Miss Jos
Idee.«
»Wirklich? Wie lieb von ihr.« Die langen Tage unter
freiem Himmel hatten Jamies Gesicht einen dunklen Bronzeton
verliehen, doch ich sah, wie sein Hals an der Seite rot anlief. Er
strich mit dem Daumen über die glatte Oberfläche des Eisenstückes,
dann gab er es mir.
»Heb es gut auf, Sassenach«, sagte er. »Wir segnen
unseren Herd ein, bevor Duncan aufbricht.«
Ich konnte sehen, daß ihn das Geschenk tief
berührte, verstand aber nicht genau, warum, bis Ian mir erklärte,
daß man Eisen unter einem neuen Herd vergräbt, um für das neue Haus
Segen und Wohlergehen zu erwirken.
Damit hatte Jocasta unserem Unterfangen ihren Segen
gegeben, ihr Einverständnis mit Jamies Entscheidung gezeigt - und
Vergebung für das, was so aussehen mußte, als hätte er sie im Stich
gelassen. Es war mehr als nur Großzügigkeit, und ich wickelte das
kleine Eisenstück vorsichtig in mein Taschentuch und steckte es zur
sicheren Aufbewahrung in meine Tasche.
Zwei Tage später standen wir in der wandlosen
Blockhütte und segneten unseren Herd ein. Myers hatte ehrerbietig
seinen Hut abgenommen, und Ian hatte sich das Gesicht gewaschen.
Auch Rollo war anwesend, ebenso das weiße Ferkel, das trotz seiner
Protestbekundungen als Personifikation unserer »Herden« dabeisein
mußte; das Schwein sah nicht ein, wieso man es von seiner
Eichelmahlzeit wegzerrte, nur damit es an einem Ritual teilnahm,
bei dem es so auffällig an Nahrungsmitteln mangelte.
Jamie ignorierte das durchdringende, verärgerte
Schweinegeschrei, hielt das kleine Eisenmesser aufrecht an der
Spitze, so daß es ein Kreuz bildete, und sagte ruhig:
»Herr, segne die Welt und was darin
lebt.
»Herr, segne meine Gattin und meine Kinder.
»Herr, segne die Augen in meinem Kopf
und segne, Herr, meiner Hände Werk,
wenn ich frühmorgens erwache,
wenn ich spät zu Bett gehe,
segne mein Frühaufstehn,
segne mein Zubettgehn.«
»Herr, segne meine Gattin und meine Kinder.
»Herr, segne die Augen in meinem Kopf
und segne, Herr, meiner Hände Werk,
wenn ich frühmorgens erwache,
wenn ich spät zu Bett gehe,
segne mein Frühaufstehn,
segne mein Zubettgehn.«
Er streckte die Hand aus und berührte zunächst
mich, dann Ian - und, mit einem Grinsen, Rollo und das Schwein -
mit dem Eisen, bevor er weitersprach:
»Herr, schütze das Haus und den
Haushalt,
Herr, segne die Kinder der Mutter,
Herr, wache über die Herden und ihre Jungen,
halte deine schützende Hand über sie,
wenn die Herden die Hügel und Wälder erklimmen,
wenn ich mich schlafen lege,
wenn die Herden die Hügel und Wälder erklimmen,
wenn ich mich in Frieden schlafen lege.
Herr, segne die Kinder der Mutter,
Herr, wache über die Herden und ihre Jungen,
halte deine schützende Hand über sie,
wenn die Herden die Hügel und Wälder erklimmen,
wenn ich mich schlafen lege,
wenn die Herden die Hügel und Wälder erklimmen,
wenn ich mich in Frieden schlafen lege.
Laß das Feuer deines Segens immer bei uns
brennen, o Herr.«
Dann kniete er sich neben die Feuerstelle und
legte das Eisen in das kleine Loch, das er dafür gegraben hatte,
deckte es zu und stampfte die Erde fest. Dann ergriffen er und ich
die Seiten des großen Herdsteines und legten ihn vorsichtig an
seinen Platz.
Ich hätte mir vollkommen lächerlich dabei vorkommen
müssen, in Gesellschaft eines Wolfs und eines Schweins mitten in
der Wildnis in einem Haus ohne Wände zu stehen und unter dem Spott
der Drosseln an einem Ritual teilzunehmen, das mehr als nur zur
Hälfte heidnisch war. Doch dem war nicht so. Beim Anblick der
Schieferplatte vor uns erinnerte ich mich plötzlich an das
verlassene Gehöft, auf das wir auf unserer Reise nach Norden
gestoßen waren, an die eingestürzten Dachbalken und den
zersprungenen Herdstein, aus dem eine Stechpalme hervorgewachsen
war. Hatten die unbekannten Gründer dieser Ansiedlung daran
gedacht, ihren Herd einzusegnen - und waren dennoch gescheitert?
Jamies Hand legte sich fest um die meine und beruhigte mich
unbewußt.
Duncan zündete auf einem flachen Stein außerhalb
der Blockhütte
ein Feuer an, und Myers hielt ihm den Stahl unter den Feuerstein.
Einmal entfacht, wurde das Feuer vorsichtig zum Aufflammen gebracht
und ein brennender Ast herausgenommen. Duncan nahm ihn in die Hand
und ging in Sonnenlaufrichtung um das Fundament der Blockhütte
herum, wobei er laut auf Gälisch sang. Jamie übersetzte den Gesang
für mich:
»Der Schutz des Fionn mac Cumhaill sei
dein,
der Schutz von Cormac, dem Wohlgeformten, sei dein,
der Schutz von Conn und Cumhall sei dein,
vor Wolf und Vogelschwarm,
vor Wolf und Vogelschwarm.«
der Schutz von Cormac, dem Wohlgeformten, sei dein,
der Schutz von Conn und Cumhall sei dein,
vor Wolf und Vogelschwarm,
vor Wolf und Vogelschwarm.«
Jedesmal, wenn er eine Kompaßmarke erreichte,
hielt er mit Singen inne, verneigte sich in die »vier Lüfte« und
schwang seine Fackel in einem flammenden Bogen vor sich her. Rollo,
der offensichtlich nichts von diesen pyromanischen Vorgängen hielt,
knurrte tief in der Kehle, doch Ian brachte ihn energisch zum
Schweigen.
»Der Schutzschild des Königs der Fianna sei
dein,
der Schutzschild des Sonnenkönigs sei dein,
der Schutzschild des Sternenkönigs sei dein,
in Gefahr und Not,
in Gefahr und Not.«
der Schutzschild des Sonnenkönigs sei dein,
der Schutzschild des Sternenkönigs sei dein,
in Gefahr und Not,
in Gefahr und Not.«
Es folgten noch diverse Strophen; Duncan umkreiste
das Haus dreimal. Erst als er neben unserem neuen Herd zum Schluß
kam, fiel mir auf, daß Jamie dem Herd beim Hüttenbau einen Platz im
Norden zugedacht hatte, die Morgensonne fiel mir warm über die
Schulter und warf unsere vereinten Schatten nach Westen.
»Der König der Könige behüte dich,
Jesus Christus behüte dich,
der heilende Geist behüte dich,
vor Übeltat und Streit,
vor Höllenhund und rotem Hund.«
Jesus Christus behüte dich,
der heilende Geist behüte dich,
vor Übeltat und Streit,
vor Höllenhund und rotem Hund.«
Mit einem verstohlenen Blick auf Rollo blieb
Duncan neben dem Herd stehen und reichte Jamie die Fackel. Dieser
bückte sich und entzündete das bereitliegende Häuflein Reisig. Ian
brach in gälisches Freudengeschrei aus, und es gab allgemeinen
Applaus.
Später verabschiedeten wir Duncan und Myers. Ihr
Ziel war nicht Cross Creek, sondern der Mount Helicon, wo die
Schotten aus der Umgebung jedes Jahr im Herbst ein Gathering
abhielten, sich versammelten, um Erntedank zu feiern, Neuigkeiten
auszutauschen und Geschäfte abzuwickeln, Hochzeiten und Taufen zu
feiern und den Kontakt zwischen den weitverstreuten Teilen der
Familien und des Clans aufrechtzuerhalten.
Jocasta und ihr Haushalt würden dort sein, ebenso
Farquard Campbell und Andrew MacNeill. Hier konnte Duncan am besten
mit seiner Suche nach den verstreuten Männern von Ardsmuir
beginnen, da am Mount Helicon die größte aller Versammlungen
stattfand, zu der sogar Schotten aus South Carolina und Virginia
anreisten.
»Im Frühjahr bin ich wieder hier, Mac Dubh«,
versprach Duncan Jamie, als er aufstieg. »Mit allen Männern, die
ich dir bringen kann. Und ich leite deine Briefe zuverlässig
weiter.« Er klopfte auf den Beutel an seinem Sattel und zog seinen
Hut ins Gesicht, um seine Augen vor der hellen Septembersonne zu
schützen. »Soll ich deiner Tante etwas ausrichten?«
Jamie zögerte einen Moment und dachte nach. Er
hatte Jocasta schon geschrieben; gab es noch etwas
hinzuzufügen?
»Sag meiner Tante, daß ich sie dieses Jahr nicht
beim Gathering treffe, und vielleicht auch nicht nächstes.
Aber beim übernächsten bin ich bestimmt dabei - und meine Leute
auch. Gute Reise, Duncan.«
Er schlug Duncans Pferd auf die Kruppe und stand
winkend neben mir, als die beiden Pferde hinter dem Rand der Anhöhe
verschwanden. Der Abschied erweckte in mir ein seltsames Gefühl der
Verlassenheit; Duncan war unsere letzte und einzige Verbindung mit
der Zivilisation. Jetzt waren wir wirklich allein.
Na ja, nicht völlig allein, verbesserte ich mich.
Wir hatten Ian. Ganz zu schweigen von Rollo, dem Schwein, drei
Pferden und zwei Maultieren, die Duncan uns für das Pflügen im
Frühjahr dagelassen hatte. Eigentlich schon fast ein Kleinbetrieb.
Mir wurde zuversichtlicher zumute; bis zum Monatsende würde das
Blockhaus fertig sein, dann würden wir ein festes Dach über dem
Kopf haben. Und dann -
»Schlechte Nachrichten, Tante Claire«, sagte Ians
Stimme in mein Ohr. »Das Schwein hat den Rest von deinen gemahlenen
Nüssen gefressen.«