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Das Jungfrauenopfer
Wilmington, in der Kolonie North Carolina, 1. September 1769
Dies war der dritte Anfall von Lizzies mysteriöser Krankheit. Nach dem ersten schlimmen Fieberanfall hatte es so ausgesehen, als erholte sie sich, und nachdem sie einen Tag lang Kräfte gesammelt hatte, hatte sie darauf bestanden, reisefähig zu sein. Doch sie waren von Charleston nur einen Tagesritt weit nach Norden gelangt, als das Fieber erneut zuschlug.
Brianna hatte den Pferden die Vorderbeine gefesselt und hastig ein Lager an einem kleinen Bach aufgeschlagen, dann war sie während der ganzen Nacht ein ums andere Mal zum Wasser gegangen und im Dunkeln ein schlammiges Ufer hinauf- und hinuntergeklettert, um in einem kleinen Topf Wasser zu holen, das sie Lizzie in die Kehle und über den dampfenden Körper tropfen ließ. Sie hatte keine Angst vor dem dunklen Wald oder vor wilden Tieren, doch der Gedanke, daß Lizzie in der Wildnis sterben könnte, meilenweit von jeder Hilfe entfernt, entsetzte sie so sehr, daß sie sich vornahm, nach Charleston zurückzukehren, sobald Lizzie wieder auf einem Pferd sitzen konnte.
Doch am Morgen war das Fieber gesunken, und obwohl Lizzie schwach und bleich war, hatte sie reiten können. Brianna hatte gezögert, sich aber schließlich dafür entschieden, weiter nach Wilmington zu drängen, anstatt zurückzukehren. Zu dem Drang, der sie bis hier getrieben hatte, gesellte sich jetzt ein weiterer Ansporn; sie mußte ihre Mutter finden, um Lizzies willen genauso wie um ihrer selbst willen.
Brianna, die meistens in der letzten Reihe ihrer Klassenfotos gestanden hatte, hatte ihre Körpergröße nie besonders geschätzt, doch als sie älter wurde, hatte sie die Vorteile ihrer Größe und Kraft zu spüren begonnen. Und je mehr Zeit sie in dieser elenden Gegend verbrachte, desto größer kamen ihr diese Vorteile vor.
Sie stützte eine Hand auf den Bettrahmen, während sie mit der anderen den Nachttopf unter Lizzies zerbrechlichen, weißen Pobacken hervorzog. Lizzie war dürr, aber überraschend schwer und kaum halb bei Bewußtsein; sie stöhnte und zuckte unablässig, und immer wieder verstärkte sich das Zucken plötzlich zu einem ausgewachsenen Schüttelkrampf.
Jetzt begann das Zittern ein wenig nachzulassen, obwohl Lizzie die Zähne immer noch so fest zusammengebissen hatte, daß ihre scharfen Kieferknochen wie Stützpfeiler unter ihrer Haut vorstanden.
Malaria, dachte Brianna zum dutzendsten Mal. Das mußte es sein, so, wie es immer wiederkam. Auf Lizzies Hals war eine Anzahl kleiner, roter Pusteln zu sehen, die Hinterlassenschaft der Moskitos, die sie pausenlos geplagt hatten, seit Land in Sichtweite der Phillip Alonzo gekommen war. Sie waren zu weit im Süden gelandet und hatten drei Wochen damit vertan, sich durch die flachen Ufergewässer nach Charleston zu schlängeln, wobei sie ständig von blutsaugenden Insekten gebissen worden waren.
»Prima. Geht’s dir etwas besser?«
Lizzie nickte schwach und versuchte zu lächeln, was zur Folge hatte, daß sie aussah wie eine weiße Maus, die einen vergifteten Köder gefressen hatte.
»Wasser, Schätzchen. Versuch mal ein bißchen, nur einen Schluck.« Brianna hielt Lizzie einladend den Becher an die Lippen. Sie hatte ein starkes Déjà-vu-Gefühl und stellte fest, daß ihre Stimme das Echo ihrer Mutter war, in den Worten genauso wie im Tonfall. Diese Erkenntnis war seltsam tröstend, als stünde ihre Mutter irgendwo hinter ihr und spräche durch sie.
Doch wenn hier ihre Mutter gesprochen hätte, dann wäre als nächstes das St.-Josephs-Aspirin mit Orangengeschmack gekommen, eine kleine, wohlschmeckende Lutschtablette, gleichermaßen Belohnung wie Medizin, die Schmerzen und Fieber genauso schnell zu vertreiben schien, wie sich die kleine, saure Tablette auf ihrer Zunge auflöste. Brianna warf einen trostlosen Blick auf ihre Satteltaschen, die an einer Ecke ausgebeult waren. Da war kein Aspirin; Jenny hatte ihr ein kleines Bündel mit Kräutervorräten mitgegeben, doch von dem Kamillen- und Pfefferminztee hatte Lizzie sich nur übergeben.
Chinin, das war es, was man Menschen mit Malaria gab; das war es, was sie brauchte. Doch sie hatte keine Ahnung, ob man es hier überhaupt Chinin nannte oder wie man es verabreichte. Doch Malaria war eine alte Krankheit, und Chinin wurde aus Pflanzen gewonnen - ein Arzt würde doch sicher welches haben, wie es auch immer genannt wurde?
Nur die Hoffnung auf ärztliche Hilfe hatte sie Lizzies zweiten Anfall durchstehen lassen. Aus Angst, noch einmal auf offener Straße pausieren zu müssen, hatte sie Lizzie vor sich mit auf das Pferd genommen, den Körper des Mädchens beim Reiten an sich gedrückt und Lizzies Pferd geführt. Lizzie war abwechselnd vor Hitze aufgeflammt oder hatte sich vor Kälte geschüttelt, und sie waren beide schlaff vor Erschöpfung in Wilmington angekommen.
Doch hier waren sie nun, mitten in Wilmington und doch so weit von wirklicher Hilfe entfernt wie eh und je. Mit angespannten Lippen blickte Brianna zum Nachttisch. Dort lag ein zusammengeballter Lappen mit Blutspritzern.
Die Wirtin hatte einen Blick auf Lizzie geworfen und nach einem Apotheker geschickt. Trotz allem, was ihre Mutter ihr über den primitiven Stand der hiesigen Medizin und ihrer Vertreter gesagt hatte, hatte Brianna beim Anblick des Mannes einen plötzlichen, intensiven Sog der Erleichterung verspürt.
Der Apotheker war ein anständig gekleideter, junger Mann mit freundlicher Ausstrahlung und einigermaßen sauberen Händen gewesen. Wie es auch immer um seine medizinischen Kenntnisse stand, wahrscheinlich wußte er mindestens so viel über Fieberkrankheiten wie sie. Und was wichtiger war, sie konnte sich dem Gefühl hingeben, mit der Verantwortung für Lizzie nicht mehr allein zu sein.
Der Anstand gebot ihr, aus dem Zimmer zu gehen, als der Apotheker das Leinentuch wegzog, um seine Untersuchung durchzuführen, und erst als sie einen leisen Schmerzensschrei hörte, riß sie die Tür auf. Sie fand den jungen Apotheker mit einem Skalpell in der Hand vor, und Lizzie war kreidebleich, während Blut aus einem Schnitt in ihrer Ellenbeuge lief.
»Aber das ist gut für die Temperamente, Miss!« hatte sich der Apotheker verteidigt. »Versteht Ihr denn nicht? Man muß ihr die Temperamente entziehen! Wenn man es nicht tut, wird sich heißer Gallensaft in ihren Organen in Gift verwandeln und ihren ganzen Körper anfüllen, und es wird ihr sicheres Verderben sein!«
»Es wird Euer sicheres Verderben sein, wenn Ihr nicht geht«, hatte Brianna ihn mit zusammengebissenen Zähnen informiert. »Fort mit Euch, sofort!«
Sein medizinischer Eifer war seinem Selbsterhaltungstrieb gewichen, und der junge Mann hatte seinen Koffer ergriffen und sich mit größtmöglicher Würde zurückgezogen. Am Fuß der Treppe hatte er angehalten, um ihr finstere Warnungen zuzurufen.
Diese Warnungen hallten ihr noch in den Ohren wider, wenn sie nicht gerade nach unten unterwegs war, um die Schüssel aus dem Kupferkessel in der Küche zu füllen. Die Worte des Apothekers zeugten zum Großteil schlicht von Ignoranz - Gefasel über Temperamente und schlechtes Blut -, doch einige riefen sich immer wieder mit unangenehmer Intensität in Erinnerung.
»Wenn Ihr meinen gutgemeinten Rat nicht annehmt, Miß, dann könnt Ihr Euer Mädchen gleich zum Tode verurteilen!« hatte er gerufen, das indignierte Gesicht im Dunkel des Treppenhauses nach oben gewandt. »Ihr wißt ja selbst nicht, was Ihr für sie tun sollt!«
Das stimmte. Sie wußte ja nicht einmal genau, was für eine Krankheit Lizzie hatte; der Apotheker hatte es als »Wechselfieber« bezeichnet, und die Wirtin hatte von der »Eingewöhnung« gesprochen. Es war ganz normal, daß neu angekommene Immigranten wiederholt krank wurden, denn sie waren ja einem ganzen Regiment von neuen Erregern ausgesetzt. Den unverhüllten Bemerkungen der Wirtin zufolge war es außerdem ganz normal, daß solche Immigranten diesen Eingewöhnungsprozeß nicht überlebten.
Die Schüssel neigte sich, und heißes Wasser schwappte ihr über die Handgelenke. Gott allein wußte, ob der Brunnen hinter dem Wirtshaus hygienisch einwandfrei war oder nicht; besser, das kochende Wasser aus dem Kupferkessel zu benutzen und es abkühlen zu lassen, auch wenn es länger dauerte. Im Krug war kühles Wasser; sie ließ ein wenig davon zwischen Lizzies trockene, aufgesprungene Lippen tropfen und das Mädchen dann auf das Bett zurücksinken. Sie wusch Lizzie Gesicht und Hals, zog die Bettdecke zurück und befeuchtete erneut das leinene Nachthemd, unter dem die winzigen Brustwarzen als dunkelrote Punkte zu sehen waren.
Mit schweren Augenlidern brachte Lizzie ein kurzes Lächeln zustande, dann sank sie mit einem leisen Seufzer zurück und schlief ein. Ihre schlaffen Gliedmaßen entspannten sich wie die Arme und Beine einer Stoffpuppe.
Auch Brianna fühlte sich, als hätte man bei ihr das Füllmaterial entfernt. Sie zog den einzigen Hocker zum Fenster herüber und ließ sich darauf fallen. In dem vergeblichen Bemühen, etwas frische Luft zu schnappen, stützte sie sich auf die Fensterbank. Auf dem ganzen Weg von Charleston hierher hatte die Luft wie eine bleierne Decke über ihnen gelegen - kein Wunder, daß die arme Lizzie unter ihrem Gewicht zusammengebrochen war.
Sie kratzte sich beklommen an einem Stich auf ihrem Oberschenkel; die Insekten waren nicht annähernd so scharf auf sie wie auf Lizzie, doch ein paarmal war sie auch gestochen worden. Malaria war für sie nicht gefährlich; sie war dagegen geimpft, genauso wie gegen Typhus, Cholera und alles, was sie sich sonst noch vorstellen konnte. Aber es gab keinen Impfstoff gegen Krankheiten wie das Denguefieber oder die Dutzenden von anderen Seuchen, die die dicke Luft wie böswillige Geister heimsuchten. Wie viele davon wurden von blutsaugenden Insekten verbreitet?
Sie schloß die Augen, lehnte den Kopf an den Holzrahmen und tupfte sich mit den Falten ihres Hemdes die Schweißtropfen vom Brustbein. Sie konnte sich riechen; wie lange trug sie diese Kleider schon? Es spielte keine Rolle; sie war zwei Tage und Nächte lang fast pausenlos wach gewesen und war zu müde, um sich umzuziehen, ganz zu schweigen von der Anstrengung, sich zu waschen.
Lizzies Fieber schien vorbei zu sein - doch für wie lange? Wenn es weiterhin immer so wiederkam, würde es das kleine Dienstmädchen mit Sicherheit umbringen; sie hatte bereits das ganze Gewicht wieder verloren, das sie auf der Reise zugenommen hatte und ihre helle Haut begann, im Sonnenlicht gelblich auszusehen.
In Wilmington war keine Hilfe zu finden. Brianna setzte sich gerade hin, reckte sich und spürte, wie ihre Rückenwirbel wieder in Position sprangen. Müde oder nicht, es gab nur eins, was sie tun konnte. Sie mußte ihre Mutter finden, und zwar so schnell wie möglich.
Sie würde die Pferde verkaufen und ein Schiff finden, das sie flußaufwärts brachte. Falls das Fieber zurückkam, konnte sie sich auf einem Schiff genausogut um Lizzie kümmern wie in diesem heißen, übelriechenden, kleinen Zimmer - und sie würden dabei immerhin ihrem Ziel näherkommen.
Sie stand auf, spritzte sich etwas Wasser ins Gesicht und drehte dabei ihr schweißnasses Haar nach oben und aus dem Nacken. Sie schnürte ihre zerknitterte Kniehose auf, zog sie aus und machte dabei verträumte, zusammenhanglose Pläne.
Ein Schiff auf dem Fluß. Sicherlich würde es auf dem Fluß kühler sein. Sie müßten nicht mehr reiten; nach vier Tagen im Sattel schmerzten ihre Oberschenkelmuskeln. Sie würden nach Cross Creek fahren und Jocasta MacKenzie suchen.
»Meine Tante«, murmelte sie und schwankte leicht, als sie nach der Dochtlampe griff. »Großtante Jocasta.« Sie stellte sich eine freundliche, weißhaarige, alte Dame vor, die sie mit derselben Freude begrüßen würde, die sie in Lallybroch angetroffen hatte. Familie. Es würde so guttun, wieder eine Familie zu haben. Wie so oft driftete Roger in ihre Gedanken. Sie schob ihn resolut wieder fort; Zeit genug, an ihn zu denken, wenn ihre Mission erledigt war.
Eine kleine Insektenwolke schwebte über der Flamme, und die Wand neben ihr war übersät mit den pfeilförmigen Schatten der Motten und Florfliegen, die sich von ihrem Tagewerk ausruhten. Sie kniff die Flamme aus, die kaum heißer war als die Luft im Zimmer, und zog sich im Dunkeln das Hemd über den Kopf.
Jocasta würde wissen, wo genau sich Jamie Fraser und ihre Mutter befanden - würde ihr helfen, zu ihnen zu gelangen. Zum ersten Mal, seit sie durch die Steine geschritten war, erfüllte der Gedanke an Jamie Fraser sie weder mit Neugier noch mit Beklommenheit. Das einzige, was zählte, war, daß sie ihre Mutter fand. Ihre Mutter würde wissen, was man für Lizzie tun mußte; ihre Mutter würde wissen, wie man alles richtete.
Sie breitete eine zusammengefaltete Bettdecke auf dem Boden aus und legte sich nackt darauf. In Sekundenschnelle war sie eingeschlafen und träumte von den Bergen und von reinem, weißem Schnee.
 
Am nächsten Abend sah die Lage besser aus. Das Fieber war vorbei, genau wie beim ersten Mal, und Lizzie war ausgelaugt und schwach, aber bei klarem Verstand und so weit abgekühlt, wie es das Klima zuließ. Erfrischt hatte sich Brianna nach der durchschlafenen Nacht die Haare gewaschen, sich mit Hilfe eines Schwammes und der Schüssel gereinigt und dann der Wirtin Geld gegeben, damit sie ein Auge auf Lizzie hatte, während sie selbst sich in Joppe und Kniehose gekleidet ans Werk machte.
Es hatte fast den ganzen Tag gedauert - und sie hatte Unmengen von aufgerissenen Augen und Mündern ertragen müssen, wenn die Männer ihr Geschlecht erkannten -, die Pferde zu einem Preis zu verkaufen, von dem sie hoffte, daß er redlich war. Sie hatte von einem Mann namens Viorst gehört, der in seinem Kanu gegen Bezahlung Passagiere zwischen Wilmington und Cross Creek hin- und herbeförderte. Bei Anbruch der Dunkelheit hatte sie Viorst allerdings noch nicht gefunden - und sie hatte nicht vor, sich abends bei den Docks herumzutreiben, weder in Hosen noch anderswie. Morgen würde früh genug sein.
Noch ermutigender war, daß Lizzie nach unten gekommen war, als sie kurz vor Sonnenuntergang zum Wirtshaus zurückkehrte, und sich von der Wirtin mit kleinen Portionen Maispudding und Hühnerfrikassee hatte verwöhnen lassen.
»Dir geht’s besser!« rief Brianna aus. Lizzie nickte strahlend und schluckte ihren Bissen hinunter.
»Stimmt«, sagte sie. »Ich fühle mich wieder wie ich selber, und Mrs. Smoots ist so freundlich gewesen und hat mich all unsere Sachen waschen lassen. Oh, es tut so gut, sich wieder sauber zu fühlen!« sagte sie begeistert und legte ihre blasse Hand auf ihr Halstuch, das frisch gebügelt aussah.
»Du solltest aber nicht waschen und bügeln«, rügte Brianna ihre Magd, während sie neben ihr auf die Bank glitt. »Du wirst dich noch überarbeiten und wieder krank werden.«
Lizzie warf ihr einen neunmalklugen Blick zu, und in ihren Mundwinkeln hing ein überlegenes Lächeln.
»Na ja, ich dachte, Ihr wollt Eurem Pa vielleicht nicht in Kleidern gegenübertreten, die ganz dreckig sind. Nicht, daß nicht sogar ein schmutziges Kleid besser wäre als das, was Ihr jetzt anhabt.« Die Augen des kleinen Dienstmädchens glitten tadelnd über Briannas Hose; sie hielt überhaupt nichts von der Vorliebe ihrer Herrin für Männerkleidung.
»Meinem Pa? Was soll das - Lizzie, hast du etwas gehört?« Eine Flamme der Hoffnung schoß in ihr hoch, eine plötzliche, helle Verpuffung wie beim Anzünden eines Gasherdes.
Lizzie machte ein selbstzufriedenes Gesicht.
»Jawohl, das habe ich. Und nur, weil ich gewaschen habe - mein Pa hat immer schon gesagt, daß Tüchtigkeit sich auszahlt.«
»Ja, ganz bestimmt«, sagte Brianna trocken. »Was hast du denn herausbekommen, und wie?«
»Also, ich war gerade dabei, Euren Unterrock aufzuhängen - den hübschen, aye, mit dem Spitzensaum…«
Brianna ergriff einen kleinen Milchkrug und hielt ihn drohend über den Kopf des zierlichen Mädchens. Lizzie kreischte und duckte sich kichernd.
»Schon gut. Ich sag’s!«
Während sie mit der Wäsche beschäftigt war, war einer der Gäste des Wirtshauses in den Hof hinausgekommen, um eine Pfeife zu rauchen, weil das Wetter so schön war. Er hatte Lizzies Hausfrauenkünste bewundert und eine freundliche Unterhaltung mit ihr angefangen, in deren Verlauf sich herausstellte, daß dieser Herr - ein gewisser Andrew MacNeill - nicht nur von James Fraser gehört hatte, sondern gut mit ihm bekannt war.
»Wirklich? Was hat er gesagt? Ist dieser MacNeill noch hier?«
Lizzie streckte beschwichtigend die Hand aus und brachte sie zum Schweigen.
»Ich erzähl’s ja schon, so schnell ich kann. Nein, er ist nicht mehr hier; ich habe versucht, ihn zum Bleiben zu bewegen, aber er mußte mit dem Paketboot nach New Bern und konnte nicht hierbleiben.« Sie war fast so aufgeregt wie Brianna; ihre Wangen waren immer noch fahl, doch ihre Nasenspitze war rot geworden.
»Mr. MacNeill kennt Euren Pa, und Eure Großtante Cameron auch - sie ist eine richtige Dame, sagt er, sehr reich, mit einem prächtigen, riesigen Haus und vielen Sklaven, und -«
»Das ist jetzt nicht so wichtig, was hat er über meinen Vater gesagt? Hat er meine Mutter erwähnt?«
»Claire«, sagte Lizzie triumphierend. »Das war doch der Name Eurer Mama, oder? Ich habe ihn danach gefragt, und er hat gesagt, ja, Mrs. Frasers Vorname sei Claire. Und er hat gesagt, daß sie eine ganz erstaunliche Heilerin ist - habt Ihr nicht gesagt, Eure Mutter ist eine gute Ärztin? Er hat gesagt, er ist einmal dabeigewesen, wie sie eine gefährliche Operation an einem Mann durchgeführt hat. Den hat sie mitten auf den Eßtisch gelegt und ihm die Eier abgeschnitten und sie dann vor den Augen der ganzen Abendgesellschaft wieder angenäht!«
»Das ist meine Mutter, Verwechslung ausgeschlossen.« Die Tränen in ihren Augenwinkeln hätten vom Lachen herrühren können. »Geht es ihnen gut? Hatte er sie in letzter Zeit gesehen?«
»Och, das ist ja das Beste daran!« Lizzie beugte sich vor, und die Bedeutung ihrer Nachricht weitete ihr die Augen. »Er ist in Cross Creek - Euer Pa, Mr. Fraser! Ein Bekannter von ihm steht dort wegen Körperverletzung vor Gericht, und Euer Pa ist heruntergekommen, um für ihn auszusagen.« Sie betupfte sich die Schläfe mit ihrem Taschentuch und wischte sich die winzigen Schweißperlen weg.
»Mr. MacNeill sagt, das Gericht tritt vor Montag in einer Woche nicht mehr zusammen, weil der Richter krank geworden und ein neuer aus Edenton unterwegs ist, und der Prozeß nicht weitergehen kann, bevor er nicht eingetroffen ist.«
Brianna strich sich eine Haarlocke zurück und atmete aus. Sie konnte ihr Glück kaum fassen.
»Montag in einer Woche… und heute ist Samstag. Gott, ich frage mich, wie lange man wohl braucht, um stromaufwärts zu kommen?«
Lizzie bekreuzigte sich hastig, um die gedankenlose Blasphemie ihrer Herrin wiedergutzumachen, doch sie teilte ihre Aufregung.
»Ich weiß es nicht, aber Mrs. Smoots sagt, ihr Sohn hat die Reise schon einmal gemacht - wir könnten ihn fragen.«
Brianna schwang herum und ließ den Blick durch den Raum schweifen. Als es dunkel wurde, waren mehr und mehr Männer und Jungen hereingekommen, um auf dem Weg von der Arbeit zu ihren Schlafquartieren etwas zu trinken oder zu essen, und jetzt waren fünfzehn oder zwanzig Menschen auf engstem Raum zusammengedrängt.
»Welcher ist Smoots junior?« fragte Brianna und reckte den Hals, um durch das Gedränge zu blicken.
»Da - der Junge mit den hübschen, braunen Augen. Ich hole ihn Euch her, ja?« Die Aufregung machte sie mutig, und Lizzie schlüpfte von ihrem Sitz und schob sich in die Menge.
Brianna hatte den Milchkrug immer noch in der Hand, machte aber keine Anstalten, sich etwas in ihren Becher zu gießen. Etwas mehr als eine Woche!
 
Wilmington ist eine Kleinstadt, dachte Roger. An wie vielen Stellen konnte sie sich aufhalten? Wenn sie überhaupt hier war. Er glaubte, daß es sehr wahrscheinlich war; seine Nachfragen in den Hafenkneipen in New Bern hatten ergeben, daß die Phillip Alonzo sicher in Charleston gelandet war - und zwar nur zehn Tage, bevor die Gloriana in Edenton angedockt hatte.
Brianna konnte zwei Tage oder zwei Wochen gebraucht haben, um von Charleston nach Wilmington zu gelangen - vorausgesetzt, sie war wirklich dorthin unterwegs.
»Sie ist hier«, murmelte er. »Verdammt noch mal, ich weiß, daß sie hier ist!« Ob diese Überzeugung nun das Resultat seiner Überlegungen war oder seiner Intuition, seiner Hoffnung oder schlichter Sturheit, er klammerte sich jedenfalls daran wie ein ertrinkender Matrose an ein Brett.
Er selbst war erstaunlich leicht von Edenton nach Wilmington gelangt. Man hatte ihn dazu eingeteilt, die Fracht aus dem Lagerraum der Gloriana abzuladen. Er hatte eine Kiste Tee in ein Lagerhaus getragen, sie abgestellt, war zum Tor zurückgegangen und hatte sich damit beschäftigt, sich das schweißdurchtränkte Halstuch wieder um den Kopf zu binden. Sobald der nächste Mann an ihm vorbei war, trat er auf das Dock hinaus, wandte sich nach rechts anstatt nach links und war innerhalb von Sekunden auf der engen, gepflasterten Gasse unterwegs, die von den Docks in die Stadt führte. Am nächsten Morgen hatte er eine Stelle als Träger auf einem kleinen Frachtschiff gefunden, das Vorräte für die Marine aus Edenton zum zentraleren Hafen von Wilmington beförderte, wo sie zum Transport nach England auf ein größeres Schiff verladen werden sollten.
Ohne einen Moment der Reue hatte er in Wilmington auch dieses Schiff im Stich gelassen. Er hatte keine Zeit zu verlieren; Brianna mußte gefunden werden.
Er wußte, daß sie hier war. Fraser’s Ridge lag in den Bergen; sie würde einen Führer brauchen, und Wilmington war der Hafen, in dem die Wahrscheinlichkeit, einen solchen zu finden, am größten war. Und wenn sie hier war, dann würde jemand sie bemerkt haben; darauf würde er Geld wetten. Er konnte nur hoffen, daß sie nicht bereits den falschen Leuten aufgefallen war.
Ein schneller Erkundungsgang auf der Hauptstraße ergab die Anzahl von dreiundzwanzig Wirtshäusern. Himmel, diese Leute tranken wie die Flußpferde! Es bestand natürlich die Möglichkeit, daß sie sich ein Zimmer in einem Privathaus genommen hatte, doch die Wirtshäuser waren der beste Ausgangspunkt.
Bis zum Abend hatte er zehn der Wirtschaften geprüft, ein wenig durch die Notwendigkeit gebremst, seinen ehemaligen Schiffskameraden aus dem Weg zu gehen. Es hatte ihn mit rasendem Durst erfüllt, sich von so viel Alkohol umgeben zu sehen und keinen Penny übrig zu haben. Außerdem hatte er den ganzen Tag noch nichts gegessen, was die Sache auch nicht angenehmer machte.
Dennoch bemerkte er diese körperliche Unannehmlichkeit kaum. Ein Mann in der fünften Kneipe hatte sie gesehen, eine Frau in der siebten ebenfalls. »Ein großer Mann mit rotem Haar«, hatte der Mann gesagt, doch »ein riesiges Mädchen in Kniehosen« waren die Worte der Frau gewesen, und sie hatte schockiert mit der Zunge geschnalzt. »Ist am hellichten Tag über die Straße gegangen mit dem Rock überm Arm und dem Hintern vor aller Augen!«
Dieser Hintern sollte ihm nur erst unter die Augen kommen, dachte Roger mit einigem Grimm, und er wußte, was er damit tun würde. Er erbettelte sich einen Becher Wasser von einer gutherzigen Frau und brach mit frischer Entschlossenheit wieder auf.
Bis es völlig dunkel geworden war, hatte er fünf weitere Kneipen durchkämmt. Die Schankräume waren jetzt voll, und er stellte fest, daß das große, rothaarige Mädchen seit fast einer Woche öffentliche Kommentare provoziert hatte. Die Natur eines Teils dieser Kommentare ließ ihm vor Entrüstung das Blut in den Wangen kochen, und nur die Angst, festgenommen zu werden, hielt ihn von tätlichen Angriffen ab.
So aber verließ er nach einem häßlichen Wortwechsel mit zwei Betrunkenen wutentbrannt die fünfzehnte Wirtschaft. Himmel, hatte die Frau denn überhaupt keinen Verstand? Hatte sie denn keine Ahnung, wozu Männer fähig sind?
Er blieb auf der Straße stehen und wischte sich mit dem Ärmel über sein verschwitztes Gesicht. Er atmete schwer und fragte sich, was er als nächstes tun sollte. Weitermachen, schätzte er, obwohl er sich mitten auf der Straße flach auf die Nase legen würde, wenn er nicht bald etwas zu essen fand.
Der Blaue Bulle, entschied er. Er war schon vorher dort vorbeigekommen, hatte einen Blick in den Schuppen geworfen und einen großen Berg frisches Stroh darin gesehen. Er würde einen Penny oder zwei für ein Abendessen ausgeben, und vielleicht ließ ihn der Besitzer ja aus christlicher Nächstenliebe im Stall schlafen.
Als er sich umwandte, fiel ihm ein Schild an dem Haus auf der anderen Straßenseite auf.
WILMINGTON GAZETTE, JNO. GILLETTE, INH., stand darauf. Die Wilmingtoner Zeitung, eine der wenigen in der Kolonie North Carolina. Eine zuviel, wenn man Roger fragte. Er unterdrückte das Bedürfnis, einen Stein aufzuheben und ihn Jno. Gillette ins Fenster zu werfen. Statt dessen riß er sich das nasse Tuch von der Stirn, bemühte sich, sich ein einigermaßen anständiges Aussehen zu geben, und wandte sich dem Fluß und dem Blauen Bullen zu.
Sie war dort.
Sie saß neben der Feuerstelle, und ihr Haarzopf sprühte Funken im Feuerschein, während sie sich mit einem jungen Mann unterhielt, dem Roger am liebsten mit Gewalt das Lächeln aus dem Gesicht gewischt hätte. Doch er schlug lediglich mit einem Knall die Tür hinter sich zu und ging auf sie zu. Sie drehte sich erschrocken um und starrte den bärtigen Fremden verständnislos an. Ihre Augen blitzten auf, als sie ihn erkannte, dann leuchtete Freude darin auf, und ein immenses Lächeln breitete sich in ihrem Gesicht aus.
»Oh«, sagte sie. »Du bist es.« Dann veränderte sich ihr Blick, und die Erkenntnis flammte wie Buschfeuer darin hoch. Sie schrie auf. Es war ein lauter, kraftvoller Schrei, und jeder einzelne Kopf in der Kneipe fuhr bei seinem Klang herum.
»Verdammt noch mal!« Er machte einen Satz um den Tisch herum und packte sie beim Arm. »Was zum Teufel machst du hier eigentlich?«
Ihr Gesicht war totenblaß geworden, ihre Augen weit und dunkel vor Schrecken. Sie riß den Arm zurück und versuchte, sich zu befreien.
»Laß los!«
»Tue ich nicht! Du kommst mit mir, und zwar sofort!«
Er umkreiste den Tisch, erwischte ihren anderen Arm, riß sie hoch, wirbelte sie herum und schob sie vor sich her zur Tür.
»MacKenzie!« Verdammt, es war einer der Seemänner vom Frachtschiff. Roger sah den Mann drohend an und beschwor ihn, sich herauszuhalten. Glücklicherweise war der Mann nicht nur kleiner, sondern auch älter als Roger; er zögerte, ließ sich dann aber davon ermutigen, daß er nicht allein war, und hob kampflustig das Kinn.
»Was macht Ihr mit dem Mädchen, MacKenzie? Laßt sie in Ruhe!« Es kam Bewegung in die Menge, und die Männer blickten von ihren Getränken auf, weil der Aufruhr sie neugierig machte.
»Sag ihnen, daß alles in Ordnung ist, sag ihnen, daß du mich kennst!« flüsterte er Brianna ins Ohr.
»Es ist alles in Ordnung.« Briannas Stimme war heiser vor Schock, doch sie war laut genug, um in dem zunehmenden Stimmengewirr gehört zu werden. »Es ist alles in Ordnung. Ich - ich kenne ihn.« Der Seemann fiel ein wenig zurück, immer noch skeptisch. In der Kaminecke war ein schmales, junges Mädchen aufgestanden, sie sah aus, als hätte sie Todesangst, umklammerte aber tapfer mit der Faust eine Bierflasche aus Steingut, mit der sie offensichtlich auf Roger einzuschlagen plante, falls es nötig wurde. Ihre schrille Stimme übertönte das argwöhnische Stimmengemurmel.
»Miß Brianna! Ihr werdet doch sicher nicht mit diesem schwarzen Schurken gehen, oder?«
Brianna machte ein Geräusch, das von Hysterie ersticktes Gelächter hätte sein können. Sie griff nach oben und grub ihm die Fingernägel fest in den Handrücken. Verblüfft über den Schmerz lockerte er seinen Griff, und sie riß ihren Arm aus seiner Umklammerung.
»Es ist alles in Ordnung«, wiederholte sie noch einmal fester, an den ganzen Raum gewandt. »Ich kenne ihn.« Sie winkte dem Mädchen zu. »Lizzie, geh schon nach oben ins Bett. Ich - ich komme später wieder.« Sie fuhr auf dem Absatz herum und ging mit schnellen Schritten zur Tür. Roger warf einen drohenden Blick in den Schankraum, um diejenigen zu entmutigen, die vielleicht mit dem Gedanken spielten, sich einzumischen, und folgte ihr.
Sie wartete draußen direkt an der Tür; ihre Finger sanken mit einer Heftigkeit in seinen Arm, die er vielleicht befriedigend gefunden hätte, wenn sie nur von der Wiedersehensfreude verursacht worden wäre. Doch das bezweifelte er.
»Was machst du denn hier?« fragte sie.
Er löste ihre Finger und umfaßte sie fest.
»Nicht hier«, schnappte er. Er nahm ihren Arm und zog sie ein kleines Stück die Straße entlang in den Schutz einer großen Roßkastanie. Am Himmel glommen immer noch die Reste des Zwielichts, doch die herabhängenden Äste reichten fast bis auf den Boden, und darunter war es dunkel genug, um sich vor neugierigen Seelen zu verbergen, die auf die Idee kommen mochten, ihnen zu folgen.
In dem Moment, in dem sie den Schatten erreichten, ging sie auf ihn los.
»Was machst du hier, um Himmels willen?«
»Dich suchen, Dummkopf. Und was in drei Teufels Namen machst du hier? Noch dazu in dieser Aufmachung, zum Kuckuck!« Er hatte sie nur kurz in Hemd und Hosen zu Gesicht bekommen, doch es hatte gereicht.
In ihrer eigenen Zeit wären die Kleidungsstücke so weit gewesen, daß sie ihm geschlechtslos vorgekommen wären. Doch jetzt, nachdem er monatelang nur Frauen in langen Röcken und Arisaids gesehen hatte, kamen ihm die offen zur Schau gestellte Teilung ihrer Beine, die schiere, verdammte Länge ihrer Oberschenkel und die Rundungen ihrer Waden so empörend vor, daß er am liebsten ein Laken um sie geschlungen hätte.
»Verflixtes Weibsbild. Du könntest genausogut nackt über die Straße gehen!«
»Sei kein Idiot! Was machst du hier?«
»Das sage ich doch - ich suche dich.«
Dann packte er sie bei den Schultern und küßte sie hart. Angst, Wut, und die pure Erleichterung, sie gefunden zu haben, verschmolzen augenblicklich zu einem soliden Stoß des Verlangens, und er stellte fest, daß er zitterte. Sie auch. Sie klammerte sich an ihn und lag bebend in seinen Armen.
»Ist ja gut«, flüsterte er. Er vergrub seinen Mund in ihrem Haar. »Ist ja gut, ich bin hier. Ich kümmere mich um dich.«
Sie fuhr aus seiner Umarmung auf.
»Gut?« rief sie. »Wie kannst du das sagen? Um Himmels willen, du bist hier
Der Schrecken in ihrer Stimme war nicht zu überhören. Er packte sie beim Arm.
»Und wo zum Teufel sollte ich sonst sein, wenn du dich einfach so in das verdammte Nichts verkrümelst und deinen verdammten Hals riskierst und - warum zum Teufel hast du das getan?«
»Ich suche meine Eltern. Was sollte ich wohl sonst hier machen?«
»Das weiß ich, Himmel noch mal! Ich meine, warum zum Teufel hast du mir nicht gesagt, was du vorhattest?«
Sie riß ihren Arm aus seiner Umklammerung und verpaßte ihm einen kräftigen Stoß vor die Brust, der ihn um ein Haar stolpern ließ.
»Weil du mich nicht gelassen hättest. Du hättest versucht, mich aufzuhalten, und…«
»Das hätte ich, allerdings! Gott, ich hätte dich irgendwo eingesperrt oder dich an Händen und Füßen festgebunden! Das ist ja wohl die bescheuertste Idee…«
Sie schlug ihn, eine schallende Ohrfeige, die ihn hart an der Wange traf.
»Schnauze!«
»Verdammtes Weibsbild! Erwartest du etwa von mir, daß ich dich ins - ins Nichts verschwinden lasse und zu Hause Däumchen drehe, während man dich auf dem Marktplatz zur Schau stellt? Wofür hältst du mich?«
Er spürte ihre Bewegung mehr, als daß er sie sah, und ergriff ihr Handgelenk, bevor sie ihn noch einmal ohrfeigen konnte.
»Dazu bin ich jetzt nicht in der Stimmung, hörst du? Schlag mich noch einmal, und beim Allmächtigen, ich tue dir etwas an!«
Sie ballte die andere Hand zur Faust und boxte ihn in den Bauch, blitzschnell wie eine zupackende Schlange.
Er hätte gern zurückgeschlagen. Statt dessen ergriff er sie, wickelte sich eine Handvoll ihrer Haare um die Faust und küßte sie hart.
Sie wand sich und kämpfte mit erstickten Geräuschen gegen ihn an, doch er ließ nicht von ihr ab. Dann erwiderte sie den Kuß, und sie sanken gemeinsam auf die Knie. Ihre Arme schlangen sich um seinen Hals, als er sie auf den laubbedeckten Boden unter dem Baum bettete. Dann lag sie weinend in seinen Armen, hustete und japste, und die Tränen liefen ihr über das Gesicht, während sie sich an ihn klammerte.
»Warum?« schluchzte sie. »Warum mußtest du mir folgen? War dir das denn nicht klar? Was sollen wir jetzt nur tun?«
»Inwiefern tun?« Er konnte nicht sagen, ob sie vor Wut weinte oder aus Angst - beides, dachte er.
Sie starrte durch ihre verworrenen Haarsträhnen zu ihm hoch.
»Wie kommen wir zurück? Man muß jemanden haben, zu dem man geht - jemanden, an dem einem etwas liegt. Du bist der einzige Mensch auf der anderen Seite, den ich liebe - oder du warst es! Wie soll ich denn zurückkommen, wenn du hier bist? Und wie kommst du zurück, wenn ich hier bin?«
Er erstarrte. Vergessen waren Angst und Wut, und seine Hände krampften sich fest um ihre Handgelenke, damit sie ihn nicht wieder schlagen konnte.
»Deswegen? Deswegen wolltest du es mir nicht sagen? Weil du mich liebst? Lieber Himmel!«
Er ließ ihre Handgelenke los und legte sich auf sie. Er tastete mit beiden Händen nach ihrem Gesicht und versuchte, sie erneut zu küssen. Ihre Hüften kreisten plötzlich herum, und sie schwang zu beiden Seiten die Beine hoch, nahm ihn fest in die Schere und quetschte ihm die Rippen.
Er drehte sich um, brach ihre Umklammerung auf und rollte sich mit ihr herum. Er kam auf dem Rücken zu liegen, und sie saß auf ihm. Er fuhr ihr mit der Hand in die Haare und zog keuchend ihr Gesicht zu sich herunter.
»Aufhören«, sagte er. »Himmel, was ist das hier, ein Ringkampf?«
»Laß meine Haare los.« Sie pendelte mit dem Kopf hin und her und versuchte, ihn abzuschütteln. »Ich hasse es, wenn mich jemand an den Haaren zieht.«
Er ließ ihre Haare los und wanderte mit seiner Hand der Länge nach an ihrem Hals hinauf, die Finger um ihren schlanken Nacken gelegt, einen Daumen auf dem Puls in ihrer Kehle. Er klopfte wie ein Hammer, genau wie sein eigener.
»Na gut, wie ist’s denn mit Würgen?«
»Mag ich auch nicht.«
»Ich auch nicht. Nimm deinen Arm von meinem Hals, aye?«
Ganz langsam sank ihr Gewicht nach hinten. Er war immer noch kurzatmig, aber nicht, weil sie ihm die Luft abgeschnitten hatte. Er hätte ihren Hals am liebsten nicht losgelassen. Nicht, weil er Angst hatte, daß sie wieder auf ihn losgehen würde, sondern weil er es nicht ertragen konnte, den Kontakt mit ihr zu verlieren. Es hatte zu lange gedauert.
Sie hob die Hand und ergriff sein Handgelenk, zog es aber nicht fort. Er spürte, wie sie schluckte.
»Na gut«, flüsterte er. »Sag es. Ich will es hören.«
»Ich… liebe… dich«, sagte sie mit zusammengebissenen Zähnen. »Kapiert?«
»Aye, ich hab’s kapiert.« Er nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände, ganz sanft, und zog sie herunter. Sie gab nach; ihre Arme zitterten, und sie ließ ihn unter sich los.
»Sicher?« sagte er.
»Ja. Was machen wir bloß?« sagte sie und fing an zu weinen.
»Wir.« Sie hatte wir gesagt. Sie hatte gesagt, sie war sich sicher.
Roger lag im Staub der Straße, verkratzt, schmutzig und halbverhungert, neben einer Frau, die sich zitternd an seiner Brust ausweinte und ihm ab und zu einen kleinen Fausthieb versetzte. Er war noch nie in seinem Leben so glücklich gewesen.
 
»Psst«, flüsterte er, während er sie sanft wiegte. »Ist ja gut; es gibt noch einen Weg. Wir kommen schon zurück; ich weiß, wie. Mach dir keine Sorgen, ich paß auf dich auf.«
Schließlich war sie erschöpft und lag still in seiner Armbeuge, schniefend und hicksend. Auf der Vorderseite seines Hemdes war ein großer, feuchter Fleck. Die Grillen im Baum, die bei dem Aufruhr erschrocken verstummt waren, nahmen nach und nach ihren Gesang wieder auf.
Sie befreite sich, setzte sich auf und tastete in der Dunkelheit herum.
»Ich buß bir die Dase putzen«, sagte sie belegt. »Hast du ein Taschentuch?«
Er gab ihr den feuchten Stoffetzen, den er dazu benutzte, sich das Haar zurückzubinden. Sie machte Schniefgeräusche, und er lächelte im Dunkeln.
»Du hörst dich an wie eine Dose Rasierschaum.«
»Und wann hast du zum letzten Mal eine gesehen?« Sie legte sich wieder auf ihn, legte ihren Kopf in die Rundung seiner Schulter und langte herauf, um sein Kinn zu berühren. Er hatte sich vor zwei Tagen rasiert; seitdem hatte er weder Zeit noch Gelegenheit dazu gehabt.
Ihr Haar roch immer noch schwach nach Gras, aber nicht mehr nach künstlichen Blumen. Es mußte ihr natürlicher Geruch sein.
Sie seufzte tief und legte ihren Arm fester um ihn.
»Es tut mir leid«, sagte sie. »Ich wollte nicht, daß du mir hinterherkommst. Aber… Roger, ich bin schrecklich froh, daß du hier bist.«
Er küßte sie auf die Stirn; sie war feucht und salzig vom Schweiß und von den Tränen.
»Ich auch«, sagte er, und für den Augenblick kamen ihm alle Strapazen und Gefahren der letzten beiden Monate unbedeutend vor. Alle, außer einer.
»Wie lange hattest du es geplant?« fragte er. Wahrscheinlich hätte er es ihr auf den Tag genau sagen können. Seit ihre Briefe angefangen hatten, sich zu verändern.
»Oh… ungefähr sechs Monate«, sagte sie und bestätigte seine Schätzung. »Es war, als ich in den letzten Osterferien nach Jamaika gefahren bin.«
»Aye?« Nach Jamaika anstatt nach Schottland. Sie hatte ihn gebeten mitzufahren, und er hatte abgelehnt, dummerweise gekränkt, weil sie nicht automatisch vorgehabt hatte, zu ihm zu kommen.
Sie holte tief Luft, atmete wieder aus und tupfte sich mit dem Hemdkragen über ihre Haut.
»Ich hatte diese Träume«, sagte sie. »Von meinem Vater. Meinen Vätern. Allen beiden.«
Die Träume waren kaum mehr als Fragmente gewesen; plastische Bilder von Frank Randalls Gesicht, dann und wann auch längere Szenen, in denen sie ihre Mutter sah. Und dann und wann einen hochgewachsenen, rothaarigen Fremden, von dem sie wußte, daß er der Vater war, dem sie noch nie begegnet war.
»Besonders den einen Traum…« In dem Traum war es Nacht gewesen, irgendwo in den Tropen, mit Feldern aus hohen, grünen Pflanzen, die wohl Zuckerrohr waren, und Feuern, die in der Ferne brannten.
»Es schlugen Trommeln, und ich wußte, daß sich etwas verbarg, im Zuckerrohr lauerte; etwas Furchtbares«, sagte sie. »Meine Mutter war da und trank Tee mit einem Krokodil.« Roger grunzte, und ihre Stimme verhärtete sich. »Es war ein Traum, klar?
Dann trat er aus dem Zuckerrohr heraus. Ich konnte sein Gesicht nicht besonders gut sehen, aber ich konnte sehen, daß er rote Haare hatte; wenn er den Kopf drehte, glänzte es auf wie Kupfer.«
»War er das schreckliche Wesen zwischen den Zuckerpflanzen?« fragte Roger.
»Nein.« Er konnte ihre Haare hören, als sie den Kopf schüttelte. Es war inzwischen völlig dunkel geworden, und sie war kaum mehr als ein beruhigendes Gewicht auf seiner Brust, eine leise Stimme, die neben ihm aus dem Schatten kam.
»Er stand zwischen meiner Mutter und dem schrecklichen Wesen. Ich konnte es nicht sehen, aber ich wußte, daß es da war und wartete.« Unwillkürlich zitterte sie leicht, und Roger umfaßte sie fester.
»Dann wußte ich, daß meine Mutter aufstehen und direkt darauf zugehen würde. Ich habe versucht, sie aufzuhalten, doch ich konnte sie nicht dazu bringen, mich zu sehen oder zu hören. Also habe ich mich an ihn gewandt und ihm zugerufen, daß er mit ihr gehen sollte - sie davor retten sollte, was es auch immer war. Und er hat mich gesehen!« Die Hand auf seinem Oberschenkel drückte fest zu. »Wirklich, er hat mich gesehen, und er hat mich gehört. Und dann bin ich aufgewacht.«
»Aye?« sagte Roger skeptisch. »Und deswegen bist du nach Jamaika gefahren, und…«
»Es hat mich nachdenklich gemacht«, sagte sie scharf. »Du hattest ja nachgesucht; nach 1766 konntest du sie in Schottland nirgends mehr finden, und auf den Listen der Emigranten in die Kolonien hast du sie auch nicht gefunden. Und dann hast du gesagt, du meintest, wir sollten aufhören; daß wir nicht mehr herausfinden würden.«
Roger war dankbar für die Dunkelheit, die seine Schuld verbarg. Er küßte sie schnell auf den Scheitel.
»Aber ich war mir nicht so sicher; der Ort, an dem ich sie im Traum gesehen hatte, war in den Tropen. Was, wenn sie auf den Westindischen Inseln waren?«
»Ich habe nachgesehen«, sagte Roger. »Ich habe die Passagierlisten aller Schiffe überprüft, die in den späten 1760ern und den 1770ern aus Edinburgh oder London abgefahren sind - egal, wohin. Das habe ich dir schon gesagt«, fügte er hinzu, Verärgerung in der Stimme.
»Das weiß ich«, sagte sie nicht minder verärgert. »Aber was, wenn sie nicht als Passagiere gefahren sind? Warum sind die Leute denn damals - heute, meine ich - in die Karibik gefahren?« Sie fing sich wieder, und ihre Stimme überschlug sich ein wenig, als ihr einfiel, wo sie war.
»Handel, zum Großteil.«
»Genau. Was also, wenn sie mit einem Frachtschiff gefahren waren? Dann würden sie auf keiner Passagierliste auftauchen.«
»Okay«, sagte er langsam. »Stimmt, das würden sie nicht. Aber wie sollte man sie dann suchen?«
»Lagerhausregister, Geschäftsbücher von Plantagen, Hafenunterlagen. Ich habe die ganzen Ferien in Museen und Bibliotheken verbracht. Und - und ich habe sie gefunden«, sagte sie mit leicht verhaltener Stimme.
Himmel, sie hatte die Notiz gefunden.
»Aye?« sagte er, um Ruhe bemüht.
Sie lachte ein wenig zittrig.
»Ein James Fraser, Kapitän eines Schiffes namens Artemis, hat einem Pflanzer in Montego Bay am zweiten April 1767 fünf Tonnen Fledermausguano verkauft.«
Roger konnte ein belustigtes Grunzen nicht unterdrücken, doch genausowenig konnte er sich den Widerspruch verkneifen.
»Aye, aber ein Schiffskapitän? Nach allem, was uns deine Mutter über seine Seekrankheit erzählt hat? Und ich will dich ja nicht entmutigen, aber es muß buchstäblich Hunderte von James Frasers geben; woher willst du da wissen…«
»Vielleicht; aber am ersten April hat eine Frau namens Claire Fraser auf dem Sklavenmarkt in Kingston einen Sklaven gekauft.«
»Sie hat was
»Ich weiß nicht, wozu«, sagte Brianna bestimmt, »aber ich bin mir sicher, daß sie es mit gutem Grund getan hat.«
»Na ja, sicher, aber…«
»In den Papieren war der Name des Sklaven mit ›Temeraire‹ angegeben, und er wurde als einarmig beschrieben. Damit fällt er auf, nicht wahr? Wie auch immer, ich habe angefangen, alte Zeitungen nach diesem Namen zu durchsuchen, nicht nur von den Westindischen Inseln, sondern aus allen südlichen Kolonien - meine Mutter würde niemals einen Sklaven halten; wenn sie ihn gekauft hatte, dann mußte sie ihn irgendwie freigelassen haben, und manchmal wurden die Bekanntmachungen solcher Freilassungen in den örtlichen Zeitungen abgedruckt. Ich dachte, ich könnte vielleicht herausfinden, wann der Sklave freigesetzt wurde.«
»Und, hast du?«
»Nein.« Sie schwieg einen Augenblick. »Ich - ich habe etwas anderes gefunden. Eine… Todesanzeige. Die meiner Eltern.«
Er wußte zwar, daß sie sie gefunden haben mußte, doch es erschreckte ihn dennoch, es aus ihrem Mund zu hören. Er zog sie fest an sich und legte seine Arme um sie.
»Wo?« fragte er leise. »Wie?«
Er hätte es besser wissen sollen. Er hörte ihrer halberstickten Erklärung gar nicht zu; er war zu sehr damit beschäftigt, sich selbst zu verfluchen. Er hätte wissen müssen, daß sie zu stur war, um sich davon abbringen zu lassen. Das einzige, was er mit seiner dickköpfigen Unterschlagung erreicht hatte, war, sie zur Heimlichtuerei zu treiben. Und er hatte dafür bezahlt - mit sorgenvollen Monaten.
»Aber wir sind rechtzeitig gekommen«, sagte sie. »In der Anzeige stand 1776; wir haben noch Zeit, sie zu finden.« Sie seufzte tief. »Ich bin so froh, daß du da bist. Ich hatte solche Angst, daß du es herausfinden würdest, bevor ich zurückkommen konnte, und ich wußte nicht, was du tun würdest.«
»Genau das, was ich getan habe... Weißt du«, sagte er in harmlosem Tonfall, »ich habe einen Freund mit einem zweijährigen Kind. Er sagt, er würde nie im Leben Kindesmißbrauch gutheißen - doch bei Gott, er weiß, was die Leute dazu bringt. Im Augenblick denke ich genau dasselbe über Leute, die ihre Ehefrauen schlagen.«
Das schwere Gewicht auf seiner Brust erzitterte kurz vor Lachen.
»Was meinst du damit?«
Er fuhr ihr mit der Hand den Rücken entlang und umfaßte ihre runde Pobacke. Sie trug keine Unterwäsche unter den weiten Kniehosen.
»Ich meine, daß mir, wäre ich ein Mann dieser Zeit und nicht meiner eigenen, nichts mehr Freude machen würde, als dir meinen Gürtel ungefähr ein dutzendmal über den Hintern zu ziehen.«
Sie schien das nicht für eine ernstzunehmende Drohung zu halten. Er glaubte sogar, daß sie lachte.
»Da du aber kein Mann dieser Zeit bist, würdest du es nicht tun? Oder würdest du es tun, aber es würde dir keine Freude machen?«
»Oh, ich würde es genießen«, versicherte er ihr. »Es gibt nichts, was ich lieber täte, als dich mit einem Stock zu versohlen.«
Sie lachte tatsächlich.
In plötzlicher Wut schob er sie von sich und setzte sich auf.
»Was ist denn mit dir los?«
»Ich dachte, du hättest einen anderen gefunden! Deine Briefe während der letzten paar Monate… und dann der letzte. Ich war mir ganz sicher. Deswegen würde ich dich am liebsten schlagen - nicht, weil du mich angelogen hast oder fortgegangen bist, ohne es mir zu sagen -, sondern weil du mich hast glauben lassen, ich hätte dich verloren.«
Sie schwieg einen Moment lang. Ihre Hand kam aus der Dunkelheit und berührte ganz sanft sein Gesicht.
»Es tut mir leid«, sagte sie leise. »Es war nie meine Absicht, daß du das denkst. Ich wollte nur verhindern, daß du es herausfindest - bis es zu spät war.« Sie wandte ihm den Kopf zu, eine Silhouette im schwachen Licht der Straße außen vor ihrem Versteck. »Wie hast du es herausgefunden?«
»Deine Kisten. Sie sind im College angekommen.«
»Was? Aber ich habe ihnen doch gesagt, sie sollten sie nicht vor Ende Mai abschicken, wenn du in Schottland sein würdest!«
»Da wäre ich auch gewesen, wenn mich nicht in letzter Minute diese Tagung in Oxford festgehalten hätte. Sie sind einen Tag vor meiner Abreise angekommen.«
Licht überflutete sie plötzlich, und es wurde laut, als sich die Tür der Wirtschaft öffnete und ein Knäuel von Gästen auf die Straße spie. Stimmen und Schritte kamen erschreckend nah an ihrem Versteck vorbei. Keiner von ihnen sagte ein Wort, bevor die Geräusche nicht verstummt waren. Als die Stille wieder eingekehrt war, hörte er, wie eine Kastanie durch die Blätter fiel und neben ihm im Laub aufprallte.
Briannas Stimme war seltsam heiser.
»Du hast geglaubt, ich hätte einen anderen… und du bist mir trotzdem gefolgt?«
Er seufzte und wischte sich das feuchte Haar aus dem Gesicht. Seine Wut war genausoschnell verflogen, wie sie gekommen war.
»Ich wäre auch gekommen, wenn du mit dem König von Siam verheiratet wärst. Mensch, Frau!«
Sie war kaum mehr als ein bleicher, verschwommener Fleck in der Dunkelheit; er sah die schnelle Bewegung, mit der sie sich vorbeugte, um die heruntergefallene Kastanie aufzuheben, und sich dann hinsetzte und damit spielte. Schließlich holte sie ganz tief Luft und atmete langsam wieder aus.
»Du hast von Leuten gesprochen, die ihre Ehefrauen schlagen.«
Er hielt inne. Die Grillen waren wieder verstummt.
»Du hast gesagt, du bist dir sicher. Hast du das ernst gemeint?«
»Ja«, sagte sie leise.
»Damals in Inverness habe ich gesagt…«
»Du hast gesagt, du willst mich ganz - oder gar nicht. Und ich habe gesagt, ich verstehe. Ich bin mir sicher.«
Während ihres Ringkampfes war ihr das Hemd aus der Hose gerutscht, und es umwehte sie locker in der schwachen, heißen Brise. Er griff unter den flatternden Saum und traf auf ihre nackte Haut, die bei seiner Berührung mit Gänsehaut überzog. Er zog sie an sich, ließ seine Hände über ihren nackten Rücken und ihre Schultern gleiten, vergrub sein Gesicht in ihrem Haar, an ihrem Hals, erkundete sie, fragte sie mit seinen Händen - meinte sie es ernst?
Sie legte die Hände auf seine Schultern und legte sich zurück, drängte ihn. Ja, sie meinte es ernst. Er erwiderte wortlos, indem er die Vorderseite ihres Hemdes öffnete und sie auseinanderbreitete. Ihre Brüste waren weiß und nachgiebig.
»Bitte«, sagte sie. Ihre Hand lag auf seinem Hinterkopf und zog ihn an sich. »Bitte!«
»Wenn ich dich jetzt nehme, dann ist es für immer«, flüsterte er.
Sie atmete kaum, sondern verhielt sich völlig reglos und ließ seine Hände wandern, wohin sie wollten.
»Ja«, sagte sie.
Die Kneipentür öffnete sich erneut, und sie schraken auseinander. Er ließ sie los, stand auf und gab ihr die Hand, um ihr aufzuhelfen. Dann stand er da, ihre Hand in der seinen, und wartete, bis die Stimmen in der Ferne verklangen.
»Komm mit«, sagte er und bückte sich unter den herabhängenden Zweigen hindurch.
 
Der Schuppen stand dunkel und still in einiger Entfernung von der Wirtschaft. Sie blieben in der Nähe des Baumes stehen und warteten, doch es kam kein Geräusch von der Rückseite des Gasthauses; alle Fenster in der oberen Etage waren dunkel.
»Ich hoffe, Lizzie ist ins Bett gegangen.«
Er fragte sich dumpf, wer Lizzie war, doch es kümmerte ihn nicht. Auf diese Entfernung konnte er sie deutlich sehen, obwohl ihr die Nacht jegliche Farbe aus dem Gesicht wusch. Sie sah aus wie ein Harlekin, dachte er; die weißen Wangenflächen von Blätterschatten zerteilt und vom Dunkel ihrer Haare umrahmt, die Augen schwarze Dreiecke über einem ausdrucksvollen Strichmund.
Er nahm ihre Hand in die seine, Handfläche an Handfläche.
»Weißt du, was Handfasting ist?«
»Nicht genau. So etwas wie eine vorläufige Heirat?«
»In etwa. Auf den Inseln und in den entlegeneren Teilen der Highlands, da heiratete man in dieser Zeit per Handschlag und war dann einander für ein Jahr und einen Tag versprochen. Nach Ablauf dieser Frist suchen sie sich einen Priester und heiraten für immer - oder sie gehen ihrer Wege.«
Ihre Hand spannte sich in der seinen an.
»Ich will nichts Kurzfristiges.«
»Ich auch nicht. Aber ich glaube nicht, daß wir so leicht einen Priester finden. Hier gibt es noch keine Kirchen; der nächste Priester ist wahrscheinlich in New Bern.« Er hob ihre ineinander verschränkten Hände hoch. »Ich habe gesagt, ich will dich ganz, und wenn dir nicht genug an mir liegt, um mich zu heiraten…«
Ihre Hand drückte fest zu.
»Doch.«
»Gut.«
Er holte tief Luft und begann.
»Ich, Roger Jeremiah, nehme dich, Brianna Ellen, zu meiner rechtmäßigen Ehefrau. Was mein ist, soll auch dein sein, mit meinem Körper diene ich dir…«
Ihre Hand zuckte in der seinen, und seine Hoden zogen sich zusammen. Wer auch immer diesen Schwur verfaßt hatte, hatte genau gewußt, wovon er redete.
»…in Krankheit und in Gesundheit, in Reichtum und in Armut, solange wir leben.«
Wenn ich so etwas schwöre, dann halte ich es auch - koste es, was es wolle. Bedachte sie das gerade?
Sie ließ ihrer beider Hände gemeinsam sinken und sprach mit großer Bedachtsamkeit.
»Ich, Brianna Ellen, nehme dich, Roger Jeremiah...« Ihre Stimme war kaum lauter als das Klopfen seines eigenen Herzens, doch er hörte jedes Wort. Ein Lufthauch durchwehte den Baum, schüttelte die Blätter und spielte mit ihrem Haar.
»…solange wir beide leben.«
Diese Formulierung bedeutete jedem von ihnen jetzt eine ganze Menge mehr, als sie es noch vor ein paar Monaten vermocht hätte. Die Passage durch die Steine war bestens geeignet, einem die Zerbrechlichkeit des Lebens vor Augen zu führen.
Es folgte ein Moment der Stille, der nur vom Rascheln der Blätter über ihnen und einem schwachen Stimmengemurmel aus dem Schankraum der Kneipe unterbrochen wurde. Er hob ihre Hand an seinen Mund und küßte sie auf den Knöchel des vierten Fingers, wo eines Tages - so Gott wollte - ihr Ring sein würde.
 
Es war eher ein großer Schuppen als eine Scheune, obwohl sich an der einen Seite ein Tier - ein Pferd oder Maultier - in seiner Box regte. Ein starker, klarer Hopfenduft lag in der Luft, ausreichend stark, um die milderen Gerüche nach Heu und Dung zu übertönen; der Blaue Bulle braute sein eigenes Ale. Roger fühlte sich betrunken, allerdings nicht vom Alkohol.
Der Schuppen war sehr dunkel, und sie zu entkleiden war ihm Frustration und Freude zugleich.
»Und ich dachte immer, Blinde bräuchten Jahre, bis sie einen guten Tastsinn entwickeln«, murmelte er. Der warme Atem ihres Lachens streifte seinen Hals und ließ ihm seine Nackenhärchen prickelnd zu Berge stehen.
»Bist du sicher, daß es nicht wie in dem Gedicht mit den fünf Blinden und dem Elefanten ist?« sagte sie. Sie tastete sich ebenfalls mit der Hand vor, fand die Öffnung seines Hemdes und glitt hinein.
»›Nein, das Tier ist wie’ne Wand‹«, zitierte sie. Ihre Finger krümmten sich und streckten sich wieder, während sie neugierig die empfindliche Haut rund um seine Brustwarze erkundeten. »Eine Wand mit Haaren. Himmel, sogar eine Wand mit Gänsehaut.«
Sie lachte erneut, und er senkte den Kopf und fand auf Anhieb ihren Mund, blind und zielsicher wie eine Fledermaus, die sich im Flug eine Motte fängt.
»Amphora«, murmelte er gegen die breite, süße Rundung ihrer Lippen. Seine Hände fuhren über den köstlichen Schwung ihrer Hüften, umfaßten Glätte, kühl und fest, zeitlos und elegant wie die Auswölbung einer antiken Keramik, die Überfluß verhieß. »Wie eine griechische Vase. Gott, du hast den schönsten Hintern!«
»Bratarsch, was?«
Er spürte, wie sie vibrierte, und ein zitterndes Lachen ging von ihren Lippen auf die seinen und von dort in seinen Blutkreislauf über wie eine Infusion. Ihre Hand glitt an seiner Hüfte herab, und wieder hoch, die langen Finger knoteten den Hosenlatz seiner Kniehose auf, tasteten zuerst zögernd, dann zielstrebiger und zogen allmählich sein Hemd hoch.
»›Nein, das Tier ist wie ein Seil‹… huch…«
»Hör auf zu lachen, verflixt.«
»…wie eine Schlange… nein… na ja, vielleicht eine Kobra… Mann, wie würdest du das hier nennen?«
»Ich hatte mal einen Freund, der nannte es ›Mr. Happy‹«, sagte Roger, dem schwindelig geworden war, »aber das ist mir nicht ernsthaft genug.« Er faßte sie bei den Armen und küßte sie erneut, lange genug, um weitere Vergleiche zu unterbinden.
Sie zitterte immer noch, doch er glaubte nicht, daß es vom Lachen kam. Er legte die Arme um sie und zog sie fest an sich, wie immer einfach nur erstaunt über ihre Größe - noch erstaunter jetzt, wo sie nackt war und diese komplexen Flächen aus Knochen und Muskeln sich in seinen Armen ganz unmittelbar in Gefühle verwandelten.
Er hielt inne, um Luft zu holen. Er war sich nicht sicher, ob das Gefühl dem Ertrinken oder dem Bergsteigen näherkam, doch was es auch immer war, ihnen stand nicht viel Sauerstoff zur Verfügung.
»Du bist das erste Mädchen, das ich küssen kann, ohne mich zu bücken«, sagte er, und verlegte sich auf Konversation, weil er hoffte, so wieder zu Atem zu kommen.
»Oh, gut; wir wollen ja nicht, daß du einen steifen Hals bekommst.« Das Zittern war in ihre Stimme zurückgekehrt, und es war definitiv Gelächter, obwohl er glaubte, daß es genauso durch ihre Nervosität wie durch ihre Belustigung ausgelöst wurde.
»Ha ha«, sagte er und packte sie wieder, zum Teufel mit dem Sauerstoff. Ihre Brüste waren hoch und rund und preßten sich mit jener Mischung aus Weichheit und Festigkeit an seine Brust, die ihn jedesmal so faszinierte, wenn er sie berührte. Eine ihrer Hände glitt zögernd zwischen sie beide, vorsichtig, dann zog sie sich wieder zurück.
Er konnte sich nicht dazu durchringen, ihren Kuß auch nur so lange zu unterbrechen, daß er sich fertig ausziehen konnte, doch er wölbte seinen Rücken, so daß sie ihm die Kniehose über die Hüften schieben konnte. Sie war so weit, daß sie ihm in einem Stoffhaufen um die Füße fiel, und er trat aus ihr heraus, ohne Brianna loszulassen, und machte nur ein leises, kehliges Geräusch, als ihre Hand wieder zwischen seine Beine wanderte.
Sie hatte Zwiebeln zu Abend gegessen. Die Blindheit schärfte nicht nur den Tastsinn, sondern auch Geschmack und Geruch. Er schmeckte gebratenes Fleisch, saures Ale und Brot. Und einen schwachen, süßen Geschmack, den er nicht identifizieren konnte, der ihn aber irgendwie an grüne Wiesen mit wogendem Gras erinnerte. Schmeckte er ihn, oder roch er ihn in ihrem Haar? Er konnte es nicht sagen; er schien nicht mehr zwischen seinen Sinnen unterscheiden zu können, während sich die Grenzen zwischen ihnen auflösten, er ihren Atem atmete, ihr Herz schlagen fühlte, als läge es in seiner eigenen Brust.
Sie hielt ihn etwas fester, als es ihm angenehm war, und schließlich brach er den Kuß schwer atmend ab.
»Könntest du vielleicht einen Augenblick loslassen? Du hast recht, es ist ein guter Haltegriff, aber es gibt bessere Verwendungsmöglichkeiten dafür.«
Sie fiel auf die Knie, anstatt loszulassen.
Erschrocken wich Roger ein wenig zurück.
»Himmel, bist du sicher, daß du das machen willst?« Er war sich nicht sicher, ob er hoffte, daß sie es wollte, oder nicht. Ihr Haar kitzelte ihn an den Oberschenkeln, und sein Schwanz bebte und sehnte sich danach, umfaßt zu werden. Gleichzeitig wollte er sie aber auch nicht erschrecken oder anwidern.
»Möchtest du, daß ich es mache?« Ihre Hände liefen an den Rückseiten seiner Oberschenkel hoch, zögerlich und kitzelnd. Er konnte spüren, wie sich jedes Haar an seinem Körper aufrichtete, von den Knien bis zur Taille. Er kam sich vor wie ein Satyr mit den Beinen und der Ausdünstung eines Ziegenbocks.
»Na… ja. Aber ich habe seit Tagen nicht gebadet«, sagte er und versuchte ziemlich verlegen zurückzuweichen. Er war mit Gänsehaut überzogen, und es lag nicht an der Raumtemperatur, daß er erschauerte.
»Du riechst gut«, flüsterte sie. »Wie ein großes Tiermännchen.«
Er ergriff ihren Kopf heftig und vergrub seine Finger in ihrem dicken, seidigen Haar.
»Stimmt nur zu genau«, flüsterte er. Ihre Hand ruhte auf seinem Handgelenk, leicht und warm - Gott, war sie warm!
Sein Griff lockerte sich, ohne daß er es beabsichtigte; er spürte, wie ihr Haar im Herabfallen seine Oberschenkel streifte, und dann dachte er nichts Zusammenhängendes mehr, während ihm das gesamte Blut aus dem Gehirn wich und mit Hochgeschwindigkeit gen Süden raste.
»Ach i ich?«
»Was?« Als sie sich ein paar Augenblicke später zurückzog, tauchte er aus seinem Rausch auf und strich ihr das Haar aus dem Gesicht.
»Ich habe gesagt, mach’ ich’s richtig?«
»Oh. Äh… ich glaube, schon.«
»Du glaubst es? Du bist dir nicht sicher?« Brianna schien ihre Fassung mit derselben Geschwindigkeit wiedergefunden zu haben, mit der Roger die seine verlor; er konnte das unterdrückte Lachen in ihrer Stimme hören.
»Also… nein«, sagte er. »Ich meine, ich habe noch nie… das heißt, es hat noch niemand... ja, ich glaube schon.« Er hatte ihren Kopf wiedergefunden und drängte sie sanft nach vorn.
Er glaubte, daß sie ein tiefes Summgeräusch machte, irgendwo tief in ihrer Kehle. Doch vielleicht war es auch sein eigenes Blut, das durch seine geweiteten Venen brauste und in den Staubecken heftig sprudelte, so wie das gefangene Wasser eines Ozeans gegen die Felsen anstürmt. Noch eine Minute, und er würde wie ein Springbrunnen losschießen.
Er wich zurück und zog sie hoch, bevor sie protestieren konnte, dann drängte er sie zu Boden und auf den Strohhaufen, auf den er ihre Kleider geworfen hatte.
Seine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt, doch der Sternenschein, der durch das Fenster kam, war immer noch so schwach, daß er nur ihre Formen und Umrisse sehen konnte, weiß wie Marmor. Allerdings nicht kalt, überhaupt nicht kalt.
Mit einer Mischung aus Aufregung und Vorsicht machte er sich seinerseits ans Werk; er hatte dies genau einmal zuvor ausprobiert und hatte dabei die volle Dosis eines Intimhygieneproduktes abbekommen, das wie die Blumen in der Kirche seines Vaters am Sonntag roch - der beste Grund zum Abgewöhnen, den er sich vorstellen konnte.
Brianna war nicht hygienisch. Ihr Geruch allein reichte aus, um ihn so weit zu bringen, daß er am liebsten jedes Vorgeplänkel vergessen und sich mit überschäumender Lust auf sie gestürzt hätte.
Statt dessen holte er tief Luft und küßte sie knapp über dem dunklen Lockenklecks.
»Verdammt«, sagte er.
»Was ist?« Sie klang etwas erschrocken. »Rieche ich schrecklich?«
Er schloß die Augen und holte Luft. Ihm war ein wenig schwindelig und er fühlte sich euphorisch vor Lust und Lachen.
»Nein. Es ist nur so, daß ich mich seit über einem Jahr frage, was für eine Farbe dein Haar hier hat.« Er zupfte sanft an den Locken. »Und jetzt habe ich es genau vor der Nase und kann es immer noch nicht sagen.«
Sie kicherte, und eine Vibration schüttelte ihren Bauch leicht unter seiner Hand.
»Soll ich es dir sagen?«
»Nein, ich hebe mir die Überraschung für morgen auf.« Er senkte den Kopf und machte sich ans Werk, diesmal erstaunt über die Vielfalt der Gewebearten, die sich auf so engem Raum fanden - glatt wie Glas, rauh und kitzelnd, nachgiebig wie Gummi und dann die plötzliche, glitschige Schlüpfrigkeit, Moschus und Tang und Salz zugleich.
Ein paar Sekunden später spürte er, wie sich ihre Hände sanft auf seinen Kopf senkten, als wollte sie ihn segnen. Er hoffte, daß seine Bartstoppeln ihr nicht wehtaten, doch es schien ihr nichts auszumachen. Ein Zittern durchlief die warme Haut auf ihren Oberschenkeln, und sie machte ein leises Geräusch, bei dem ihm ein ähnliches Zittern pfeilschnell durch den Bauch fuhr.
»Mach ich’s richtig?« erkundigte er sich halb scherzhaft und hob den Kopf.
»Oh, ja«, flüsterte sie. »Das tust du.« Ihre Hände klammerten sich fester in sein Haar.
Er hatte den Kopf schon wieder halb gesenkt gehabt, doch jetzt riß er ihn hoch und starrte über die dämmrigweißen Flächen ihres Körpers zu dem bleichen Oval ihres Gesichtes hoch.
»Und woher zum Teufel willst du das wissen?« fragte er. Er bekam nur ein tiefes, gurgelndes Lachen zur Antwort. Dann war er an ihrer Seite, ohne genau zu wissen, wie er dorthin gekommen war, sein Mund auf ihrem Mund, sein Körper der Länge nach an den ihren gepreßt, sich einzig ihrer Hitze bewußt, die wie Fieber brannte.
Sie schmeckte nach ihm und er nach ihr, und Gott steh ihm bei, er würde sich keine Zeit lassen können.
Und dann tat er es doch. Sie war begierig, aber ungeschickt, versuchte, ihm ihre Hüften entgegenzuheben, berührte ihn zu schnell, zu zaghaft. Er ergriff ihre Hände, eine nach der anderen, und legte sie flach auf seine Brust. Ihre Handflächen waren heiß, und seine Brustwarzen zogen sich zusammen.
»Spür’ mein Herz«, sagte er. Seine Stimme klang belegt in seinen Ohren. »Sag mir, wenn es stehenbleibt.«
Er hatte es eigentlich nicht als Scherz gemeint und war etwas erstaunt, als sie nervös lachte. Das Lachen verstummte, als er sie berührte. Ihre Hände verkrampften sich auf seiner Brust; dann spürte er, wie sie sich anspannte und ihre Beine für ihn öffnete.
»Ich liebe dich«, murmelte er. »Oh, Brianna, ich liebe dich so.«
Sie antwortete nicht, doch aus dem Dunkel trieb eine Hand an die Oberfläche und legte sich sanft wie eine Alge auf seine Wange. Sie ließ sie dort liegen, als er sie nahm, offen im Vertrauen, während ihre andere Hand sein klopfendes Herz hielt.
Er fühlte sich betrunkener als zuvor. Allerdings nicht erschöpft oder schläfrig; nur wach und aufmerksam. Er konnte seinen Schweiß riechen; er konnte ihren riechen, den leichten Hauch von Furcht riechen, mit dem ihr Verlangen versetzt war.
Er schloß die Augen und holte Luft. Faßte sie fester an den Schultern. Drückte sich langsam an sie. Glitt hinein. Spürte, wie sie aufriß, und biß sich auf die Lippe, so fest, daß er blutete.
Ihre Fingernägel gruben sich in seine Brust.
»Mach weiter!« flüsterte sie.
Ein scharfer, harter Stoß, und sie gehörte ihm.
Er verweilte so, Augen geschlossen, atmend. Balancierte am Rand des Vergnügens, der so scharf war, daß es schmerzte. Er fragte sich dumpf, ob es ihr Schmerz war, den er spürte.
»Roger?«
»Äh?«
»Bist du… sehr groß, was meinst du?« Ihre Stimme war etwas zittrig.
»Äh…« Er rang um seine letzten zusammenhängenden Gedanken. »Ungefähr normal.« Ein Blitz der Besorgnis schoß durch seine Trunkenheit. »Tue ich dir sehr weh?«
»N-nein, eigentlich nicht. Nur… kannst du vielleicht eine Minute stillhalten?«
»Eine Minute, eine Stunde. Mein Leben lang, wenn du willst.« Er war überzeugt, daß ihn das Stillhalten umbringen würde, und er wäre mit Freuden gestorben.
Ihre Hände fuhren ihm langsam den Rücken hinunter und berührten seine Pobacken. Er erschauerte und senkte den Kopf, die Augen geschlossen, und bemalte ihr Gesicht vor seinem inneren Auge mit einem Dutzend sanfter, haltloser Küsse.
»Okay.« Sie flüsterte ihm ins Ohr, und wie ein Automat begann er, sich zu bewegen, so langsam er konnte, und wurde dabei vom Druck ihrer Hand auf seinem Rücken zurückgehalten.
Sie versteifte sich ein ganz kleines bißchen und entspannte sich, versteifte und entspannte sich, er wußte, daß er ihr wehtat, tat es wieder, er sollte besser aufhören, sie hob sich ihm entgegen, nahm ihn, und da war ein tiefes, tierisches Geräusch, das er gemacht haben mußte, jetzt, jetzt mußte es sein, er mußte…
Zitternd und japsend wie ein gestrandeter Fisch riß er sich von ihrem Körper los und lag auf ihr, spürte ihre Brüste an ihn gedrückt, während er zuckte und stöhnte.
Dann lag er still, nicht länger betrunken, sondern in einen schuldigen Frieden gehüllt, und spürte ihre Arme um sich und den warmen Atem des Flüsterns in seinem Ohr.
»Ich liebe dich«, sagte sie, und ihre Stimme klang heiser in der hopfengeschwängerten Luft. »Bleib bei mir.«
»Mein Leben lang«, sagte er und legte seine Arme um sie.
 
Sie lagen friedlich beieinander, vom Schweiß ihrer Anstrengung zusammengeschmiedet, und lauschten dem Atem des anderen. Schließlich regte Roger sich und erhob sein Gesicht aus ihrem Haar. Seine Gliedmaßen waren gleichzeitig gewichtslos und bleischwer.
»Alles in Ordnung, Schatz?« flüsterte er. »Habe ich dir weh getan?«
»Ja, aber es hat mir nichts ausgemacht.« Ihre Hand fuhr ihm sacht der Länge nach über den Rücken und ließ ihn trotz der Hitze erschauern. »War es schön? Habe ich es richtig gemacht?« Sie klang ein bißchen ängstlich.
»O Gott!« Er senkte den Kopf und küßte sie langsam und ausgiebig. Sie verkrampfte sich ein wenig, doch dann gab ihr Mund unter dem seinen nach.
»Dann war es also schön?«
»Oh, Himmel!«
»Du fluchst ja wirklich eine Menge für einen Pastorensohn«, sagte sie mit einem schwachen Unterton der Anklage. »Vielleicht hatten die alten Damen in Inverness ja recht und du bist dem Teufel verfallen.«
»Das war keine Blasphemie«, sagte er. Er legte die Stirn auf ihre Schulter und atmete ihren tiefen, satten Geruch ein, ihrer beider Geruch. »Es war ein Dankgebet.«
Jetzt mußte sie lachen.
»Oh, also war es schön«, sagte sie, und die Erleichterung in ihrem Ton war nicht zu überhören.
Er hob den Kopf.
»Himmel, ja«, sagte er und brachte sie erneut zum Lachen. »Wie kannst du nur glauben, daß es nicht so war?«
»Na ja, du hast nichts gesagt. Du hast nur dagelegen, als hätte dir jemand eins über den Schädel gebraten; ich dachte, du wärst vielleicht enttäuscht.«
Jetzt war es an ihm zu lachen, das Gesicht halb an ihrem feuchten, glatten Hals vergraben.
»Nein«, sagte er schließlich, als er zum Luftholen auftauchte. »Wenn ein Mann sich so verhält, als wäre ihm die Wirbelsäule entfernt worden, ist das ein gutes Zeichen für seine Befriedigung. Vielleicht nicht das feinste Benehmen, aber ehrlich.«
»Oh, okay.« Das schien sie zufriedenzustellen. »In dem Buch hat nichts davon gestanden, aber das ist auch kein Wunder; es hat sich nicht damit befaßt, was hinterher passiert.«
»Was denn für ein Buch?« Er bewegte sich vorsichtig, und ihre Haut trennte sich mit einem Geräusch, als ob man zwei Fliegenfänger auseinanderzieht. »Entschuldige die Sauerei.« Er tastete nach seinem zusammengeballten Hemd und reichte es ihr.
»Der sinnliche Mann.« Sie ergriff das Hemd und betupfte sich kritisch. »Da stand eine Menge Zeug über Eiswürfel und Schlagsahne drin, das ich ziemlich extrem fand, aber es war gut zu wissen, wie man zum Beispiel Fellatio macht, und…«
»Das hast du aus einem Buch gelernt?« Roger fühlte sich so empört wie die Damen aus der Pfarre seines Vaters.
»Du glaubst doch wohl nicht, daß ich das mit den Leuten mache, mit denen ich ausgehe!« Jetzt war es an ihr, zutiefst schockiert zu klingen.
»Die Leute schreiben Bücher, in denen sie jungen Frauen sagen, wie man - das ist ja furchtbar!«
»Was ist denn daran furchtbar?»sagte sie ziemlich eingeschnappt. »Woher hätte ich sonst wissen sollen, was ich tun soll?«
Roger rieb sich mit der Hand über das Gesicht und wußte nicht, was er sagen sollte. Wenn man ihn vor einer Stunde gefragt hätte, hätte er felsenfest behauptet, für die sexuelle Gleichberechtigung zu sein. Doch unter dem Furnier der Moderne war offensichtlich genug vom Sohn des Presbyterianerpfarrers übrig geblieben, daß er glaubte, eine nette, junge Frau sollte in ihrer Hochzeitsnacht wirklich ahnungslos sein.
Roger unterdrückte diese viktorianischen Gedanken tapfer, während er seine Hand über die glatten, weißen Rundungen ihrer Hüfte und Seite gleiten ließ und dann ihre weiche, volle Brust umfaßte.
»Nicht das geringste«, sagte er. »Allerdings«, fuhr er fort und senkte den Kopf, um seine Lippen auf die ihren zu legen, »ist noch ein bißchen mehr an der Sache«, und er knabberte an ihrer Unterlippe, »als man in Büchern nachlesen kann, aye?«
Sie bewegte sich plötzlich, drehte sich um, und damit lag sie, weiß und glühend, der Länge nach an seiner nackten Haut. Er erschauerte vom Schock der Berührung.
»Zeig’s mir«, flüsterte sie und biß ihn ins Ohrläppchen.
 
Irgendwo in der Nähe krähte ein Hahn. Brianna erwachte aus ihrem leichtem Halbschlaf und haderte mit sich selbst, weil sie eingeschlafen war. Sie fühlte sich orientierungslos, so müde vor Emotion und Anstrengung, daß ihr zumute war, als schwebte sie einen halben Meter über dem Boden.
Roger regte sich an ihrer Seite, als er ihre Bewegung spürte. Er tastete nach ihr, legte einen Arm um sie, drehte sie um und krümmte sich, um hinter sie zu passen; Knie an Knie, Bauch an Po. Mit kleinen Pfft!-Geräuschen, die sie sehr zum Lachen fand, strich er sich ihre Locken aus dem Gesicht.
Er hatte dreimal mit ihr geschlafen. Sie war sehr wund und sehr glücklich. Sie hatte es sich tausendmal vorgestellt und sich jedesmal geirrt. Es war schier unmöglich, sich vorzustellen, wie schreckenerregend unmittelbar es war, so genommen zu werden - plötzlich über die Grenzen des eigenen Körpers hinweg ausgedehnt zu werden, durchdrungen, zerrissen, eingenommen. Und es war genauso unmöglich, sich das Gefühl der Stärke vorzustellen, das man dabei empfand.
Sie hatte damit gerechnet, hilflos zu sein, ein Objekt der Begierde. Statt dessen hatte sie ihn festgehalten, gespürt, wie er vor Sehnsucht erzitterte, während er seine ganze Kraft zurücknahm aus Angst, ihr wehzutun - und es ihr überließ, sie zu entfesseln, wie es ihr gefiel. Es ihr überließ, ihn zu berühren, zu erregen, ihn zu sich zu rufen, zu befehligen.
Auch hätte sie niemals geglaubt, daß eine solche Zärtlichkeit möglich war, mit der er in ihren Armen aufschrie und erzitterte, seine Stirn fest an die ihre preßte, ihr jenen Moment anvertraute, in dem sich seine Stärke so plötzlich in Hilflosigkeit verwandelte.
»Es tut mir leid«, sagte er leise in ihr Ohr. »Was?« Sie langte hinter sich, streichelte seinen Oberschenkel. Das konnte sie jetzt. Sie konnte ihn überall berühren, sich daran erfreuen, wie sich sein Körper anfühlte, wie er schmeckte. Sie konnte es kaum erwarten, daß es Tag wurde und sie ihn nackt sehen konnte.
»Das hier.« Er machte eine kleine Geste mit der Hand, die die Dunkelheit erfaßte, die sie umgab, und das harte Stroh, auf dem sie lagen. »Ich hätte warten sollen. Ich hätte gern gehabt, daß es für dich… gut ist.«
»Es war sehr gut für mich«, sagte sie leise. Eine flache Furche lief an der Seite seines Oberschenkels entlang, dort, wo sein Muskel eingekerbt war.
Er lachte ein wenig reuevoll.
»Ich wollte, daß du eine richtige Hochzeitsnacht hast. Weiches Bett, saubere Laken… es hätte besser sein sollen, dein erstes Mal.«
»Weiche Betten und saubere Laken habe ich schon gehabt«, sagte sie. »Aber nicht das hier.« Sie drehte sich in seinen Armen um, griff nach unten und umfaßte ihn, die faszinierend veränderliche Masse zwischen seinen Beinen. Er versteifte sich eine Sekunde lang überrascht, dann entspannte er sich und ließ sie machen, was sie wollte. »Es hätte nicht besser sein können«, sagte sie leise und küßte ihn.
Er erwiderte den Kuß, langsam und lässig erkundete er die Tiefen und Höhlungen ihres Mundes, während er ihr den seinen überließ. Er stöhne leise, tief in seiner Kehle, und griff nach unten, um ihre Hand wegzunehmen.
»O Gott, du bringst mich um, Brianna.«
»Tut mir leid«, sagte sie ängstlich. »Habe ich zu fest zugedrückt? Ich wollte dir nicht wehtun.«
Darüber lachte er.
»Das doch nicht. Aber laß das arme Ding doch einen Augenblick in Ruhe, hm?« Mit fester Hand drehte er sie wieder auf die andere Seite und schmiegte seinen Kopf an ihre Schulter.
»Roger?«
»Mm?«
»Ich glaube, ich bin noch nie so glücklich gewesen.«
»Aye? Na, das ist doch schön.« Er hörte sich schläfrig an.
»Selbst wenn - wenn wir nicht zurückkommen, solange wir zusammen sind, macht es mir nichts aus.«
»Wir kommen schon zurück.« Seine Hand legte sich um ihre Brust, sanft wie eine Alge, die um einen Felsen geschmiegt zur Ruhe kommt. »Ich habe dir doch gesagt, es gibt einen anderen Weg.«
»Ja?«
»Ich glaube, schon.« Er erzählte ihr von dem Grimoire, jener Mixtur aus sorgfältigen Notizen und verrücktem Geschwafel - und von seiner eigenen Passage durch die Steine von Craigh na Dun.
»Beim zweiten Mal habe ich an dich gedacht«, sagte er leise, und spürte im Dunkeln mit dem Finger ihren Gesichtszügen nach. »Ich hab’s überlebt. Und ich bin in der richtigen Zeit rausgekommen. Aber der Diamant, den Fiona mir gegeben hat, war nur noch eine Spur von Lampenruß in meiner Tasche.«
»Also könnte es möglich sein, irgendwie zu - zu navigieren?« Brianna konnte den Hoffnungsschimmer in ihrer Stimme nicht unterdrücken.
»Es könnte sein.« Er zögerte. »Da war ein - ich nehme an, es muß ein Gedicht gewesen sein, oder vielleicht sollte es ein Zauberspruch sein - in dem Buch.« Seine Hand fiel herab, als er es aufsagte.
»Ich erhebe meine Klinge gen Norden,
Wo meine Macht daheim ist,
Gen Westen,
wo die Feuerstelle meiner Seele ist,
Gen Süden,
Wo Freundschaft und Zuflucht leben,
Gen Osten,
Von wo sich die Sonne erhebt.
 
Dann lege ich meine Klinge auf meinen Altar.
Zwischen drei Flammen setze ich mich nieder.
 
Drei Punkte definieren eine Ebene, und ich bin gebannt,
Vier Punkte umschließen die Erde, und mein ist ihre Fülle.
Fünf ist die schützende Zahl; auf daß kein Dämon mich aufhält.
Meine linke Hand ist mit Gold bekränzt
Und hält die Kraft der Sonne.
Meine rechte Hand ist in Silber gehüllt
Und der Mond regiert friedvoll.
 
Ich beginne.
Granatsteine ruhen in Liebe um meinen Hals.
Ich werde die Treue bewahren.«
Brianna setzte sich hin und legte die Arme um ihre Knie. Sie schwieg einen Augenblick.
»Das ist bekloppt«, sagte sie schließlich.
»Eine staatlich geprüfte Irre zu sein, heißt unglücklicherweise nicht, daß man automatisch unrecht hat«, sagte Roger trocken. Er räkelte sich stöhnend und setzte sich im Schneidersitz ins Stroh.
»Ein Teil davon ist ein traditionelles Ritual, denke ich - da es eine Tradition der alten Kelten ist. Die Stellen mit den Himmelsrichtungen; das sind die ›vier Winde‹, die sich schon lange durch die keltischen Legenden ziehen. Was die Klinge, den Altar und die Flammen angeht, das ist schlicht und ergreifend Hexenkult.«
»Sie hat ihren Mann ins Herz gestochen und ihn angezündet.« Brianna erinnerte sich immer noch genausogut wie er an den Gestank nach Benzin und verbranntem Fleisch im Steinkreis von Craigh na Dun, und sie erschauerte, obwohl es in dem Schuppen warm war.
»Ich hoffe, wir werden nicht gezwungen sein, uns auch ein Menschenopfer zu suchen«, sagte Roger, doch sein Versuch zu scherzen schlug fehl. »Aber das Metall und die Edelsteine… hattest du irgendwelchen Schmuck an, als du durchgekommen bist, Brianna?«
Sie nickte als Antwort.
»Dein Armband«, sagte sie leise. »Und ich hatte die Perlenkette von meiner Großmutter in der Tasche. Aber den Perlen ist nichts passiert; sie sind heil mit durchgekommen.«
»Perlen sind keine Edelsteine«, sagte er. »Sie sind organisch - wie Menschen.« Er rieb sich mit der Hand über das Gesicht; es war ein langer Tag gewesen, und sein Kopf begann zu brummen. »Silber und Gold dagegen; du hattest das Silberarmband, und an der Perlenkette sind nicht nur die Perlen, sondern da ist auch Gold. Ah - und deine Mutter; sie hat auch Silber und Gold getragen, oder? Ihre Eheringe.«
»Ah-hah. Aber ›drei Punkte definieren eine Ebene, vier Punkte umschließen die Erde, fünf ist die schützende Zahl…‹« murmelte Brianna vor sich hin. »Hat sie vielleicht gemeint, daß man Edelsteine braucht, um - um das zu tun, was sie vorhatte? Sind das die ›Punkte‹?«
»Könnte sein. Sie hatte Zeichnungen von Dreiecken und Pentagrammen und Listen von verschiedenen Edelsteinen und deren vermutlichen Zauberkräften. Sie hat sich nicht sehr detailliert über ihre Theorien ausgebreitet - das brauchte sie ja auch nicht, weil sie ein Selbstgespräch führte -, aber die Grundidee schien zu sein, daß es Energielinien gibt - sie nannte sie Flurlinien -, die in der Erdkruste verlaufen. Hier und dort verlaufen diese Linien nah aneinander und verknoten sich sozusagen, und überall, wo ein solcher Knoten ist, da ist eine Stelle, wo die Zeit im wesentlichen nicht existiert.«
»Und wenn man in einen hineintritt, dann könnte man… jederzeit wieder heraustreten.«
»Gleiche Stelle, andere Zeit. Und wenn man daran glaubt, daß Edelsteine ihre eigenen Kraftfelder besitzen, die vielleicht die Zeitlinien ein wenig verbiegen können…«
»Funktioniert das mit jedem Edelstein?«
»Weiß der Himmel«, sagte Roger. »Aber es ist unsere einzige Chance, aye?«
»Ja«, pflichtete ihm Brianna nach einer Pause bei. »Aber wo finden wir sie?« Sie schwenkte den Arm über die Stadt und ihren Hafen. »Ich habe nirgendwo derartige Steine gesehen - weder in Inverness noch hier. Ich glaube, man müßte in eine große Stadt gehen - London oder vielleicht Boston oder Philadelphia. Und dann - wieviel Geld hast du, Roger? Ich habe zwanzig Pfund zusammengekratzt, und das meiste davon habe ich noch, aber es würde auch nicht annähernd reichen für…«
»Genau«, unterbrach er. »Ich habe darüber nachgedacht, als du geschlafen hast. Ich weiß - ich glaube, ich weiß -, wo ich zumindest einen Stein herbekomme. Es ist nur…« Er zögerte. »Ich muß sofort aufbrechen, wenn ich ihn finden will. Der Mann, der ihn hat, ist im Moment in New Bern, aber da wird er nicht lange bleiben. Wenn ich etwas von deinem Geld nehme, kann ich morgen früh ein Boot nehmen und einen Tag später in New Bern sein. Aber ich halte es für das Beste, wenn du hierbleibst. Dann…«
»Ich kann nicht hierbleiben!«
»Warum nicht?« Er tastete im Dunkeln nach ihr. »Ich will nicht, daß du mitgehst. Oder vielmehr, natürlich will ich das«, verbesserte er sich, »aber ich glaube, hier ist es viel sicherer für dich.«
»Ich meine ja gar nicht, daß ich mit dir kommen will; ich meine, ich kann nicht hierbleiben«, wiederholte sie, während sie seine tastende Hand ergriff. Sie hatte es fast vergessen, doch jetzt kehrte die Aufregung über ihre Entdeckung wieder zurück. »Roger, ich habe ihn gefunden - ich habe Jamie Fraser gefunden.«
»Fraser? Wo? Hier?« Er drehte sich erschrocken zur Tür.
»Nein, er ist in Cross Creek, und ich weiß, wo er am Montag sein wird. Ich muß da hin, Roger. Verstehst du das denn nicht? Er ist so nah - und ich bin so weit gekommen.« Bei dem Gedanken an ein Wiedersehen mit ihrer Mutter war ihr ganz plötzlich unbegründet zum Weinen zumute.
»Aye, ich verstehe.« Roger klang nur schwach begeistert. »Aber könntest du nicht ein paar Tage warten? Auf dem Flußweg dauert es nur ungefähr einen Tag bis New Bern, und zurück genauso - und ich glaube, ich schaffe das, was ich tun muß, innerhalb von ein oder zwei Tagen.«
»Nein«, sagte sie. »Ich kann nicht. Lizzie ist schließlich auch noch da.«
»Wer ist Lizzie?«
»Mein Dienstmädchen - du hast sie gesehen. Sie hat Anstalten gemacht, mit einer Flasche auf dich loszugehen.« Brianna grinste bei der Erinnerung. »Lizzie ist sehr tapfer.«
»Aye, das kann man wohl sagen«, sagte Roger trocken. »Wie auch immer…«
»Aber sie ist krank«, unterbrach ihn Brianna. »Hast du denn nicht gesehen, wie blaß sie ist? Ich glaube, es ist Malaria; sie hat schreckliche Fieberanfälle mit Schüttelfrost, und es dauert ungefähr einen Tag, dann hört es auf - und ein paar Tage danach kommt es dann wieder. Ich muß so schnell wie möglich meine Mutter finden. Ich muß.«
Sie konnte spüren, wie er mit sich rang und seine Argumente hinunterschluckte. Sie streckte in der Dunkelheit die Hand aus und streichelte sein Gesicht.
»Ich muß«, sagte sie leise und spürte, wie er sich ergab.
»In Ordnung«, sagte er. »In Ordnung! Dann stoße ich so schnell wie möglich zu euch. Aber tu mir den einen Gefallen, aye? Zieh ein verdammtes Kleid an!«
»Gefallen dir etwa meine Hosen nicht?« Ihr Gelächter sprudelte hoch wie die Bläschen im Mineralwasser - und verstummte dann abrupt, als ihr ein Gedanke kam.
»Roger«, sagte sie. »Was du vorhast - wirst du den Stein stehlen?«
»Ja«, sagte er schlicht.
Sie schwieg eine Minute lang, während sie mit ihrem langen Daumen langsam über seine Handfläche rieb.
»Tu’s nicht«, sagte sie schließlich ganz leise. »Tu’s nicht, Roger.«
»Mach dir keine Gedanken über den Mann, der ihn hat.« Roger griff nach ihr, versuchte, sie zu beruhigen. »Es ist ziemlich wahrscheinlich, daß er ihn selbst gestohlen hat.«
»Ich mache mir doch keine Gedanken über ihn - sondern über dich!«
»Oh, ich schaff’ das schon«, versicherte er ihr beiläufig mit gespielter Tapferkeit.
»Roger, in dieser Zeit werden Diebe gehängt
»Mich kriegt keiner.« Seine Hand suchte im Dunkeln nach der ihren, fand sie und drückte zu. »Ich bin wieder bei dir, bevor du weißt, wie dir geschieht.«
»Aber es ist nicht…«
»Es klappt schon«, sagte er bestimmt. »Ich habe doch gesagt, ich kümmere mich um dich, aye? Das tue ich auch.«
»Aber…«
Er erhob sich auf seinen Ellbogen und brachte sie mit seinem Mund zum Schweigen. Ganz langsam führte er ihre Hand zu sich heran und preßte sie zwischen seine Beine.
Sie schluckte, und die Haare auf ihren Armen sträubten sich plötzlich vor Vorfreude.
»Mm?« murmelte er gegen ihren Mund, und ohne eine Antwort abzuwarten, zog er sie ins Stroh hinab, wälzte sich auf sie und drängte mit dem Knie ihre Beine auseinander.
Sie schnappte nach Luft und biß ihn in die Schulter, als er sie nahm, doch er machte kein Geräusch.
»Weißt du«, sagte Roger einige Zeit später schläfrig, »ich glaube, ich habe gerade meine Ur-ur-ur-ur-ur-Urgroßtante geheiratet. Ist mir nur gerade eingefallen.«
»Du hast was
»Keine Sorge, es ist auch nicht ansatzhaft nah genug, um Inzest zu sein«, versicherte er ihr.
»Oh, gut«, sagte sie mit einem gewissen Maß an Sarkasmus. »Ich hatte mir wirklich schon Sorgen gemacht. Wie kann ich denn um Himmels willen deine Großtante sein?«
»Na ja, wie ich gesagt habe; es war mir vorher nicht aufgefallen. Aber der Onkel deines Vaters war Dougal MacKenzie - und er ist es doch gewesen, der diesen ganzen Ärger verursacht hat, weil er Geillis Duncan geschwängert hat, aye?«
Eigentlich hatte ihn die unbefriedigende Verhütungsmethode, die er gezwungenermaßen benutzen mußte, auf diesen Gedanken gebracht, aber er hielt es für taktvoller, das nicht zu erwähnen. Inzwischen konnte man ihre Hemden beide nicht mehr anziehen. Bei Licht gesehen war es ihm ganz recht, daß Dougal MacKenzie nicht so gewissenhaft gewesen war, denn damit hätte er Rogers Existenz erfolgreich verhindert.
»Na ja, ich glaube nicht, daß es ganz allein seine Schuld gewesen ist.« Auch Brianna hörte sich angenehm schläfrig an. Bis zur Dämmerung konnte es nicht mehr lange dauern; draußen regten sich bereits die ersten Vögel, und die Luft hatte sich verändert, war frischer geworden, weil der Wind vom Hafen hereinkam.
»Wenn also Dougal mein Großonkel ist und dein sechsfacher Urgroßvater … nein, du hast dich geirrt. Ich bin irgendwie deine Ur-Cousine, nicht deine Tante.«
»Nein, das würde stimmen, wenn wir Nachkommen in derselben Generation wären, aber das sind wir nicht; bei dir sind es ungefähr fünf weniger - zumindest väterlicherseits.«
Brianna schwieg und versuchte, es für sich selbst auszutüfteln. Dann gab sie es auf, rollte sich leise stöhnend auf die andere Seite und schmiegte ihren Hintern gemütlich in die Höhlung seiner Oberschenkel.
»Zum Teufel damit«, sagte sie. »Solange du sicher bist, daß es kein Inzest ist.«
Er drückte sie an seine Brust, doch sein schläfriges Gehirn hatte verstanden, worum es ging, und der Gedanke ließ ihn nicht los.
»Ich hatte wirklich nicht darüber nachgedacht«, staunte er, »aber verstehst du, was es bedeutet? Ich bin auch mit deinem Vater verwandt - ich glaube sogar, er ist mein einziger lebender Verwandter außer dir!« Diese Entdeckung verblüffte Roger durch und durch, und sie bewegte ihn. Er hatte sich schon lange damit abgefunden, überhaupt keine nahen Verwandten zu haben - nicht daß ein Großonkel der siebten Generation ein besonders naher Verwandter war, aber…
»Nein, das ist er nicht«, murmelte Brianna.
»Was?«
»Nicht der einzige. Jenny auch. Und ihre Kinder. Und Enkelkinder. Meine Tante Jenny ist deine - hm, vielleicht hast du doch recht. Weil, wenn sie meine Tante ist, dann ist sie deine Großtante um soundso viele Ecken, also bin ich vielleicht deine… gahh.« Sie ließ ihren Kopf an Rogers Schulter zurückfallen, und ihr Haar ergoß sich weich über seine Brust. »Was hast du ihnen gesagt, wer du bist?«
»Wem?«
»Jenny und Ian.« Sie bewegte sich räkelnd. »Als du in Lallybroch warst.«
»War nie da.« Er bewegte sich ebenfalls und paßte seinen Körper dem ihren an. Seine Hand ließ sich in der Senke ihrer Hüfte nieder, er schwebte in die Schläfrigkeit zurück, und er gab die abstrakten Komplexitäten ahnenkundlicher Berechnungen zugunsten direkterer Empfindungen auf.
»Nein? Aber…« Ihre Stimme erstarb. Benebelt vom Schlaf und der Ermüdung der Lust achtete Roger nicht darauf, sondern kuschelte sich nur mit einem genießerischen Stöhnen fester an sie. Einen Augenblick später schnitt ihre Stimme durch seinen persönlichen Nebel wie ein Messer durch Butter.
»Woher hast du gewußt, wo ich bin?« sagte sie.
»Hm?«
Sie wand sich plötzlich, und er lag mit leeren Armen da, während ein Paar dunkler Augen nur ein paar Zentimeter von den seinen entfernt auftauchte, vor Argwohn zu Schlitzen zusammengekniffen.
»Woher hast du gewußt, wo ich bin?« wiederholte sie langsam, jedes Wort ein Eissplitter. »Woher hast du gewußt, daß ich in die Kolonien gefahren war?«
»Äh… ich… warum…« Viel zu spät wurde ihm klar, in welcher Gefahr er sich befand.
»Du konntest nicht wissen, daß ich Schottland verlassen hatte«, sagte sie, »es sei denn, du bist nach Lallybroch gegangen, und sie haben dir gesagt, wohin ich unterwegs war. Aber du bist nie in Lallybroch gewesen.«
»Ich…« Er rang verzweifelt um eine Erklärung - irgendeine Erklärung -, doch es gab keine außer der Wahrheit. Und so, wie sich ihr Körper versteifte, hatte sie das ebenfalls gefolgert.
»Du hast es gewußt«, sagte sie. Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, doch der Effekt war derselbe, als hätte sie ihm ins Ohr gebrüllt. »Du hast es gewußt, nicht wahr?«
Sie saß jetzt und ragte wie eine der Erinnyen über ihm auf.
»Du hast die Notiz über ihren Tod gesehen! Du hast es schon gewußt, du hast es die ganze Zeit gewußt, nicht wahr?«
»Nein«, sagte er und versuchte, seine zerstreuten Gedanken zu sammeln. »Ich meine, ja, aber…«
»Seit wann hast du es gewußt? Warum hast du es mir nicht gesagt?« rief sie. Sie stand auf und griff nach dem Kleiderhaufen unter ihnen.
»Warte«, bat er. »Brianna - laß es mich erklären…«
»Ja, erklär’s mir! Das möchte ich hören, wie du das erklärst!« Ihre Stimme war wutverzerrt, doch sie hielt einen Moment in ihrer Suche inne und wartete ab, was er sagte.
»Hör mal.« Inzwischen hatte er sich gefangen. »Ich habe die Notiz gefunden. Letztes Frühjahr. Aber ich…« Er holte tief Luft, während er verzweifelt nach Worten suchte, die sie vielleicht verstehen würde.
»Ich wußte, daß es dir wehtun würde. Ich wollte sie dir nicht zeigen, weil ich wußte, daß es nichts gab, was du tun konntest - es hätte keinen Sinn gehabt, dir das Herz zu brechen, nur damit…«
»Was soll das heißen, nichts, was ich tun konnte?« Sie zog sich ruckartig ein Hemd über den Kopf und sah ihn zornig an, die Fäuste geballt.
»Du kannst die Dinge nicht ändern, Brianna! Weißt du das denn nicht? Deine Eltern haben es versucht - sie wußten von Culloden, und sie haben alles Menschenmögliche getan, um Charles Stuart aufzuhalten - aber sie konnten es nicht, ist es nicht so? Sie haben es nicht geschafft! Geillis Duncan hat versucht, Stuart zum König zu machen. Sie hat es nicht geschafft! Sie haben es alle nicht geschafft!« Er riskierte es, eine Hand auf ihren Arm zu legen; sie war so steif wie eine Statue.
»Du kannst ihnen nicht helfen, Brianna«, sagte er ruhiger. »Es ist ein Teil der Geschichte, es ist ein Teil der Vergangenheit - du gehörst nicht zu dieser Zeit; du kannst das, was sich ereignen wird, nicht ändern.«
»Das kannst du nicht wissen.« Sie war immer noch unbeweglich, doch er glaubte, einen Anflug von Zweifel in ihrer Stimme zu hören.
»O doch!« Er wischte sich eine Schweißperle vom Kinn. »Hör’ doch - wenn ich geglaubt hätte, daß es auch nur die geringste Chance gab - aber das habe ich nicht. Ich - Gott, Brianna, ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dir wehzutun!«
Sie stand still da und atmete schwer durch die Nase. Wenn es nach ihr gegangen wäre, dann wäre es sicher Feuer und Schwefel statt Luft gewesen.
»Es war nicht deine Sache, für mich zu entscheiden«, preßte sie zwischen den Zähnen heraus. »Egal, was du gedacht hast. Noch dazu über etwas so Wichtiges - Roger, wie konntest du so etwas tun
Der enttäuschte Tonfall in ihrer Stimme war zuviel für ihn.
»Verdammt, ich hatte Angst, du würdest genau das tun, was du getan hast, wenn ich es dir sagen würde!« platzte er heraus. »Daß du mich verlassen würdest! Daß du versuchen würdest, allein durch die Steine zu gehen. Und jetzt sieh mal, was du angerichtet hast - jetzt sind wir beide an diesem gottverdammten…«
»Du versuchst, mir die Schuld dafür zu geben, daß du hier bist? Wo ich doch alles getan habe, zu verhindern, daß du so ein Idiot bist und mir folgst?«
Monate der Qual und des Schreckens, Tage der Sorge und der fruchtlosen Suche fielen mit einem brennenden Schlag über Roger her.
»Ein Idiot? Das ist der Dank dafür, daß ich mich abschufte, um dich zu finden? Daß ich mein verdammtes Leben aufs Spiel setze, um zu versuchen, dich zu beschützen?« Er erhob sich aus dem Stroh, um nach ihr zu greifen, obwohl er nicht wußte, ob er sie lieber durchrütteln oder erneut mit ihr schlafen sollte. Er bekam keine Gelegenheit, auch nur irgend etwas zu tun; ein harter Stoß traf ihn unerwartet mitten vor die Brust, und er fiel der Länge nach ins Heu.
Sie hüpfte auf einem Fuß herum und fluchte unzusammenhängend, während sie sich in ihre Kniehose kämpfte.
»Du - verdammt - arroganter - verdammt, Roger -, verdammt!« Sie zerrte die Kniehose hoch, bückte sich und schnappte sich ihre Schuhe und Strümpfe.
»Geh!« sagte sie. »Verdammt noch mal, geh! Geh und laß dich aufhängen, wenn es dir Spaß macht! Ich finde meine Eltern! Und ich rette sie auch!«
Sie rannte davon, erreichte das Tor und riß es auf, bevor er sie einholen konnte. Einen Moment lang blieb sie stehen, ein Umriß im bleicheren Rechteck des Tors, und ihre dunklen Haarsträhnen wehten im Wind, so lebendig wie die Strähnen der Mähne Medusas.
»Ich gehe. Komm mit, oder komm nicht mit, es ist mir egal. Geh zurück nach Schottland - geh von mir aus allein durch die Steine zurück! Aber bei Gott, du kannst mich nicht aufhalten.«
Und dann war sie fort.
 
Lizzies Augenlider flogen weit auf, als die Tür aufflog und gegen die Wand donnerte. Sie hatte nicht geschlafen - wie hätte sie schlafen sollen? - und mit geschlossenen Augen dagelegen. Sie kämpfte sich aus der Bettwäsche hoch und suchte nach der Zunderschachtel.
»Alles in Ordnung, Miss Brianna?«
Es hörte sich nicht so an; Brianna stampfte hin und her, zischte durch die Zähne wie eine Schlange, blieb stehen, um dem Kleiderschrank einen mächtigen Tritt zu versetzen. Es knallte noch zweimal in schneller Folge; im flackernden Licht der frisch entzündeten Kerze konnte Lizzie sehen, daß Briannas Schuhe an der Wand gelandet und zu Boden gefallen waren.
»Ist alles in Ordnung?« wiederholte sie unsicher.
»Bestens!« sagte Brianna.
Aus der schwarzen Luft jenseits des Fensters dröhnte eine Stimme: »Brianna! Ich komme und hole dich! Hörst du mich? Ich werde kommen
Ihre Herrin gab keine Antwort, sondern rannte zum Fenster, ergriff die Fensterläden und warf sie mit einem Krach zu, der im Zimmer widerhallte. Dann drehte sie sich um wie ein angreifender Panther und schleuderte den Kerzenständer zu Boden, womit sie den Raum in erstickendes Dunkel tauchte.
Lizzie sank auf das Bett zurück und blieb erstarrt liegen. Sie hatte Angst, sich zu bewegen oder etwas zu sagen. Sie konnte hören, wie sich Brianna in stummer Hektik die Kleider vom Leib riß und ihr zischendes Einatmen das Rascheln der Kleider und das Stampfen ihrer nackten Füße auf dem Boden unterbrach. Durch die Fensterläden hörte sie draußen unterdrückte Fluchgeräusche, dann nichts mehr.
Einen Augenblick lang hatte sie Briannas Gesicht im Licht gesehen; papierweiß und hart, die Augen schwarze Löcher. Ihre sanfte, freundliche Herrin hatte sich in Luft aufgelöst, war von einer deamhan, einer Teufelin, besessen. Lizzie war ein Stadtmädchen, lange nach Culloden geboren. Sie hatte die wilden Clansmänner der Täler nie gesehen, nie einen Highlander, der von blinder Wut ergriffen war - doch sie hatte die alten Geschichten gehört, und jetzt wußte sie, daß sie wahr waren. Ein Mensch, der so aussah, war zu allem fähig.
Sie versuchte, so zu atmen, als schliefe sie, doch die Luft entwich ihrem Mund in erstickten Stößen. Brianna schien es nicht zu bemerken; sie ging mit schnellen, festen Schritten im Zimmer umher, goß Wasser in die Schüssel und spritzte es sich ins Gesicht, glitt dann unter die Bettdecke und lag flach da, steif wie ein Brett.
Sie nahm all ihren Mut zusammen und wandte ihrer Herrin den Kopf zu.
»Ist mit Euch… alles in Ordnung, a bann-sielbheadair?« fragte sie so leise, daß ihre Herrin vorgeben konnte, es nicht gehört zu haben, wenn sie wollte.
Einen Moment lang glaubte sie, daß Brianna vorhatte, sie zu ignorieren. Dann kam die Antwort, »Ja«, mit so flacher und ausdrucksloser Stimme, daß es sich überhaupt nicht wie Brianna anhörte. »Schlaf jetzt.«
Natürlich tat sie das nicht. Niemand konnte schlafen, wenn er neben jemandem lag, der sich jeden Augenblick in einen ursiq verwandeln konnte. Ihre Augen hatten sich wieder an die Dunkelheit gewöhnt, doch sie fürchtete sich hinzusehen, falls das rote Haar, das neben ihr auf dem Kissen lag, plötzlich zu einer Mähne wurde und sich die schlanke, gerade Nase in eine runde, schwarze Schnauze verwandelte, voller Zähne, die sie reißen und verschlingen würden.
Es dauerte einige Augenblicke, bis Lizzie begriff, daß ihre Herrin zitterte. Sie weinte nicht; sie machte kein Geräusch - doch sie schüttelte sich so heftig, daß die Bettwäsche raschelte.
Dummkopf, schalt sie sich selbst. Es ist nur deine Freundin und Herrin, und ihr ist etwas Schreckliches zugestoßen - und du liegst hier und machst dir etwas vor!
Impulsiv drehte sie sich zu Brianna um und ergriff die Hand des anderen Mädchens.
»Brianna«, sagte sie leise. »Kann ich irgendwie helfen?«
Briannas Hand schloß sich um die ihre und drückte zu, schnell und fest, dann ließ sie los.
»Nein«, sagte Brianna leise. »Schlaf jetzt, Lizzie; es wird alles gut.«
Lizzie erlaubte sich, das zu bezweifeln, sagte aber nichts mehr, sondern legte sich wieder auf den Rücken und atmete ruhig durch. Es dauerte sehr lange, doch schließlich lief ein sanfter Schauer durch Briannas langen Körper, und sie entspannte sich und schlief ein. Lizzie konnte nicht schlafen - jetzt, wo das Fieber vorbei war, war sie hellwach und unruhig. Die Bettdecke lag schwer und feucht auf ihr, und da die Fensterläden geschlossen waren, fühlte sich die Luft in dem Zimmer an, als atmete man heiße Melasse ein.
Schließlich konnte sie es nicht mehr aushalten und schlüpfte vorsichtig aus dem Bett. Während sie auf Geräusche hinter ihr lauschte, schlich sie zum Fenster und öffnete die Läden.
Die Luft vor dem Fenster war immer noch heiß und drückend, doch sie hatte angefangen, sich ein wenig zu bewegen; der Morgenwind kam, als sich der Luftzug von der See zum Land drehte. Es war immer noch dunkel, doch der Himmel fing ebenfalls an, heller zu werden; sie konnte die Straße unter sich als Linie ausmachen. Gott sei Dank war sie leer.
Da sie nicht wußte, was sie sonst tun sollte, machte sie das, was sie immer tat, wenn sie sich sorgte oder verwirrt war; sie begann, Ordnung zu machen. Sie bewegte sich still durch das Zimmer, hob die Kleider auf, die Brianna so stürmisch abgelegt hatte, und schlug sie aus.
Sie waren schmutzig; mit Laubflecken und Schmutzstreifen übersät und voller Strohhälmchen; das konnte sie sogar im gedämpften Licht des beginnenden Morgens sehen. Was hatte Brianna getan, daß sie sich so auf dem Boden gewälzt hatte? Im selben Moment, als ihr der Gedanke kam, sah sie es vor sich, so deutlich, daß sie vor Schrecken erstarrte - Brianna, zu Boden gedrückt, im Kampf mit dem schwarzen Teufel, der sie mitgenommen hatte.
Ihre Herrin war eine kräftige, hochgewachsene Frau, aber dieser MacKenzie war ein Kerl wie ein Baum; er konnte - sie bremste sich abrupt, denn sie wollte es sich nicht ausmalen. Doch sie konnte es nicht verhindern; ihre Gedanken waren bereits zu weit gegangen.
Sehr widerstrebend hob sie das Hemd an ihre Nase und roch daran. Ja, da war er, der Geruch des Mannes, kräftig und säuerlich wie die Ausdünstung eines brünstigen Ziegenbockes. Die Vorstellung, daß dieses hinterlistige Ungetüm seinen Körper an Briannas preßte, sich an ihr rieb, seinen Geruch auf ihr hinterließ wie ein Hund, der sein Revier markiert - sie erschauerte vor Abscheu.
Zitternd ergriff sie die Kniehose und die Strümpfe und trug sämtliche Kleidungsstücke zur Waschschüssel. Sie würde sie waschen, MacKenzies Spuren zusammen mit dem Schmutz und den Grasflecken wegspülen. Und wenn die Kleider später so feucht waren, daß ihre Herrin sie nicht anziehen konnte… nun, um so besser.
Sie hatte immer noch das Töpfchen mit der weichen, gelben Seife, das die Wirtin ihr für die Wäsche gegeben hatte; damit würde es gehen. Sie tauchte die Kniehose ins Wasser, fügte eine Fingerspitze voll Seife hinzu und fing an, sie kräftig einzuschäumen, indem sie die Seife fest in den Stoff knetete.
Das Fensterquadrat erhellte sich. Sie warf einen verstohlenen Blick über die Schulter auf ihre Herrin, doch Brianna atmete langsam und gleichmäßig; gut, sie würde noch eine Zeitlang schlafen.
Sie blickte wieder auf ihre Arbeit und erstarrte. Sie spürte einen Schauer, der kälter war als diejenigen, die mit dem Fieber kamen. Die kleinen Schaumbläschen, die ihre Hände bedeckten, waren dunkel, und kleine, schwarze Strudel breiteten sich im Wasser aus wie die Tintenspritzer eines Kuttelfischs.
Sie hätte lieber nicht hingesehen, doch es war zu spät, um so zu tun, als hätte sie nichts gesehen. Sie drehte den feuchten Stoff vorsichtig um, und da war es; ein großer, dunkler Fleck, der den Stoff genau an der Stelle verfärbte, an der sich die Nähte im Schritt der Hose trafen.
Die aufgehende Sonne ließ ein dumpfes Rot durch den bedeckten Himmel sickern und tauchte das Wasser in der Schüssel, die Luft im Zimmer, die ganze kreisende Welt, in die Farbe frischen Blutes.
Der Ruf Der Trommel
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