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Fifty-Fifty
Das Eichenlaub war trocken und knisterte unter unseren Füßen. Es fielen ständig Blätter von den Kastanienbäumen, die über uns aufragten, ein langsamer, gelber Regen, der sich über die Trockenheit des Bodens lustig machte.
»Stimmt es, daß sich die Indianer geräuschlos durch den Wald bewegen können, oder bringen sie einem das nur bei den Pfadfindern bei?« Brianna trat gegen eine kleine Laubverwehung und verteilte die Blätter in alle Richtungen. Mit unseren zweiten Röcken und Unterröcken, in denen sich Blätter und Zweige verfingen, hörten wir uns wie eine Elefantenherde an.
»Na ja, nicht bei so trockenem Wetter, es sei denn, sie schwingen sich durch die Bäume wie Schimpansen. Wenn es im Frühjahr feucht ist, ist es etwas anderes - sogar ich könnte dann lautlos hier herumlaufen; der Boden ist wie ein Schwamm.«
Ich hob meine Röcke an, um sie von einem großen Holunderbusch fernzuhalten, und bückte mich, um mir die Beeren anzusehen. Sie waren dunkelrot, zeigten aber noch nicht die schwarze Färbung wirklicher Reife.
»Noch zwei Tage«, sagte ich. »Wenn wir sie für Arznei benutzen würden, würden wir sie jetzt pflücken. Ich will aber Wein daraus machen und sie trocknen wie Rosinen - und dazu müssen sie viel Zucker haben, also wartet man, bis sie von den Stengeln fallen.«
»Gut. Welches Landschaftsmerkmal benutzen wir?« Brianna blickte sich um und lächelte. »Nein, sag’s mir nicht - es ist dieser große Felsen, der aussieht wie ein Kopf von den Osterinseln.«
»Sehr gut«, sagte ich anerkennend. »Richtig, weil er sich im Lauf der Jahreszeiten nicht verändert.«
Wir erreichten den Rand eines kleinen Baches und trennten uns, um uns langsam am Ufer entlangzuarbeiten. Ich hatte Brianna Kresse sammeln geschickt, während ich auf der Suche nach Holunderpilzen und anderen eßbaren Pilzen an den Bäumen herumstocherte.
Ich beobachtete sie unauffällig, während ich Pilze suchte, ein Auge auf den Boden geheftet, das andere auf sie. Sie stand knietief im Bach, die Röcke hochgerafft, und entblößte ihren erstaunlich langen, muskulösen Oberschenkel, während sie langsam vorwärtswatete, den Blick auf das rauschende Wasser gerichtet.
Irgend etwas stimmte nicht, schon seit Tagen. Anfangs hatte ich angenommen, die offensichtlichen Anstrengungen der neuen Situation, in der sie sich befand, wären schuld an ihrer angespannten Ausstrahlung. Doch im Lauf der letzten drei Wochen hatten sie und Jamie zu einer Beziehung gefunden, die zwar auf beiden Seiten immer noch von Schüchternheit gezeichnet war, aber ständig an Wärme zunahm. Sie erfreuten sich aneinander - und es war mir eine Freude, sie zusammen zu sehen.
Dennoch irgend etwas machte ihr Sorgen. Es war drei Jahre her, daß ich sie verlassen hatte - vier, seit sie mich verlassen hatte und in ihre eigene Wohnung gezogen war, und sie hatte sich verändert; war jetzt ganz zur Frau herangewachsen. Ich konnte sie nicht mehr so leicht durchschauen wie früher. Sie beherrschte Jamies Kunstgriff, starke Gefühle hinter einer Maske der Ruhe zu verbergen - ich erkannte ihn bei beiden.
Ich hatte unsere Sammelexpedition auch deswegen arrangiert, um allein mit ihr reden zu können; da Jamie, Ian und Lizzie im Haus waren und auch der Strom der Pächter und Besucher, die Jamie sprechen wollten, nicht abriß, war es unmöglich, sich dort ungestört zu unterhalten. Und wenn es stimmte, was ich vermutete, dann war dies eine Unterhaltung, bei der ich niemanden in Hörweite haben wollte.
Als ich meinen Korb halb mit dicken, fleischigen Holunderpilzen gefüllt hatte, war Brianna triefend aus dem Bach gestiegen, und ihr eigener Korb quoll über mit grünen Kressebüscheln und Schachtelhalmen zur Kerzenherstellung.
Sie wischte sich ihre Füße am Rocksaum ab und gesellte sich dann zu mir unter eine der großen Kastanien. Ich gab ihr die Flasche mit Apfelwein und wartete, bis sie etwas getrunken hatte.
»Ist es Roger?« sagte ich ohne Einleitung.
Sie sah mich an, und in ihren Augen blitzte es erschrocken auf, doch dann sah ich, wie sich die Anspannung im Umriß ihrer Schultern löste.
»Ich habe mich schon gefragt, ob du es immer noch kannst«, sagte sie.
»Was?«
»Meine Gedanken lesen. Irgendwie habe ich mir gewünscht, daß du es noch kannst.« Ihr breiter Mund zuckte befangen, und sie versuchte zu lächeln.
»Ich schätze, ich bin ein bißchen aus der Übung«, sagte ich. »Aber laß mir einen Augenblick Zeit.« Ich streckte die Hand aus und strich ihr das Haar aus dem Gesicht. Sie sah mich an, blickte aber an mir vorbei, zu schüchtern, um meinem Blick zu begegnen. Ein Ziegenmelker rief tief in den grünen Schatten.
»Schon gut, Baby«, sagte ich. »Wie weit bist du denn?«
Der Atem entfuhr ihr in einem tiefen Seufzer. Ihr Gesicht erschlaffte erleichtert.
»Zwei Monate.«
Jetzt sah sie mich direkt an, und wie schon so oft seit ihrer Ankunft spürte ich ein leises Erschrecken darüber, wie anders sie war. Früher wäre ihre Erleichterung die eines Kindes gewesen; sie hätte mir ihre Angst eingestanden, und damit wäre sie schon halb überstanden gewesen, weil sie wußte, daß ich mich schon irgendwie darum kümmern würde. Doch jetzt war es nur noch die Erleichterung darüber, ein unerträgliches Geheimnis mit mir zu teilen; sie erwartete nicht, daß ich die Dinge in Ordnung bringen würde. Das Wissen, daß ich gar nichts tun konnte, verhinderte in keiner Weise, daß ich ein irrationales Verlustgefühl empfand.
Sie drückte mir die Hand, wie um mich zu beruhigen, und setzte sich dann hin, den Rücken an einen Baumstamm gelehnt, die Beine vor ihr ausgestreckt, die langen Füße nackt.
»Hast du es schon gewußt?«
Ich setzte mich neben sie, weniger elegant.
»Ich schätze schon; aber ich wußte nicht, daß ich es wußte, falls das einen Sinn ergibt.« Als ich sie jetzt ansah, war es offensichtlich; ihre leichte Blässe und die winzigen Veränderungen ihrer Hautfarbe, ihr flüchtig nach innen gewandter Blick. Ich hatte es bemerkt, doch die Veränderungen ihrer ungewohnten Lage und der Anstrengung zugeschrieben - dem Ansturm der Gefühle über das Wiedersehen mit mir, der Begegnung mit Jamie, ihrer Sorge über Lizzies Krankheit, ihrer Sorge um Roger.
Ausgerechnet diese Sorge nahm plötzlich eine neue Dimension an.
»Oh, Gott. Roger!«
Sie nickte, bleich im gefilterten, gelben Schatten der Kastanienblätter über uns. Sie sah kränklich aus, und das war ja auch kein Wunder.
»Es sind schon fast zwei Monate. Er hätte längst hiersein müssen - es sei denn, es ist etwas passiert.«
Mein Verstand war mit Berechnungen beschäftigt.
»Zwei Monate, und jetzt ist es fast November.« Die Blätter lagen dick und weich unter uns, gelb und braun, frisch von den Hickorybäumen und Kastanien gefallen. Mir sank plötzlich das Herz. »Brianna - du mußt zurück.«
»Was?« Ihr Kopf fuhr auf. »Zurück wohin?«
»Zu den Steinen.« Ich gestikulierte aufgeregt mit der Hand. »Nach Schottland, und zwar sofort.«
Sie starrte mich an, die dichten Brauen zusammengezogen.
»Jetzt? Wozu?«
Ich holte tief Luft und spürte, wie in mir ein Dutzend Emotionen kollidierten. Sorge um Brianna, Angst um Roger, schreckliche Traurigkeit um Jamies willen, der sie so schnell wieder würde aufgeben müssen. Und um meinetwillen.
»Du kannst schwanger durchkommen. Soviel wissen wir, weil ich es mit dir auch geschafft habe. Aber, Schätzchen - du kannst kein Baby mitnehmen durch dieses… dieses… es geht nicht«, schloß ich hilflos. »Du weißt, wie es ist.« Es war drei Jahre her, seit ich durch die Steine gekommen war, doch ich erinnerte mich lebhaft daran.
Ihre Augen wurden schwarz, als das wenige restliche Blut ihr aus dem Gesicht wich.
»Du kannst kein Kind mitnehmen«, wiederholte ich, während ich versuchte, mich wieder unter Kontrolle zu bekommen, logisch zu denken. »Es wäre so, als würdest du mit dem Baby in den Armen von den Niagarafällen springen. Du mußt zurück, bevor es geboren ist, oder…« Ich brach ab und rechnete nach.
»Es ist fast November. Von Ende November bis März fährt kein Schiff. Und du kannst nicht bis März warten - das würde bedeuten, daß du im sechsten oder siebten Monat eine zweimonatige Atlantiküberfahrt machst. Und wenn du nicht auf dem Schiff entbinden würdest - was dich oder das Baby oder euch beide wahrscheinlich umbringen würde -, müßtest du immer noch die dreißig Meilen bis zu dem Kreis reiten, die Passage schaffen und dir auf der anderen Seite Hilfe suchen… Brianna, das geht nicht! Du mußt jetzt gehen, so schnell wir es arrangieren können.«
»Und wenn ich jetzt gehe - wie kann ich sichergehen, daß ich in der richtigen Zeit herauskomme?«
Sie sprach ruhig, doch ihre Finger kneteten den Stoff ihres Rockes.
»Du - meinst - na ja, ich habe es doch auch getan«, sagte ich, während meine ursprüngliche Panik langsam rationalen Gedanken wich.
»Du hattest Papa am anderen Ende.« Sie sah mich scharf an. »Ob du zu ihm gehen wolltest oder nicht, du hattest starke Empfindungen für ihn - er hätte dich angezogen. Oder mich. Aber er ist nicht mehr da.« Ihr Gesicht verkrampfte sich und entspannte sich dann wieder.
»Roger wußte - weiß -, wie«, verbesserte sie sich. »In Geillis Duncans Buch stand, daß man Edelsteine für die Passage benutzen kann - als Schutz und zur Navigation.«
»Aber das sind doch nur Vermutungen von Roger und von dir!« wandte ich ein. »Und von der verflixten Geillis Duncan! Vielleicht braucht man weder Edelsteine noch eine starke Bindung. In den alten Märchen sind es immer zweihundert Jahre, wenn jemand einen Feenhügel betritt und dann zurückkehrt. Wenn das das normale Muster ist, dann…«
»Würdest du das Risiko eingehen, herauszufinden, daß es das nicht ist? Und es stimmt nicht - Geillis Duncan ist mehr als zweihundert Jahre zurückgegangen.«
Erst jetzt kam mir der Gedanke, daß sie selbst schon über all dies nachgedacht hatte. Nichts von dem, was ich sagte, überraschte sie. Und das bedeutete, daß sie auch schon zu ihrem eigenen Schluß gekommen war - und dieser beinhaltete keine Schiffsreise zurück nach Schottland.
Ich rieb mir die Stelle zwischen den Augenbrauen und bemühte mich um dieselbe Ruhe, die sie selbst ausstrahlte. Die Erwähnung von Geillis’ Namen hatte mir eine andere Erinnerung ins Gedächtnis gerufen - allerdings eine, die ich versucht hatte zu vergessen.
»Es gibt noch einen Weg«, sagte ich und rang um Ruhe. »Noch eine Passage, meine ich. Sie ist auf Haiti - jetzt nennt man es Hispaniola. Dort ist ein Steinkreis auf einem Hügel im Dschungel, doch der Spalt, die Passage, ist darunter in einer Höhle.«
Die Waldluft war kühl, doch es war nicht der Schatten, der mir eine Gänsehaut verursachte. Ich rieb mir die Unterarme und versuchte, die Kälte zu vertreiben. Ich hätte gern auch alle Erinnerungen an die Höhle von Abandawe vertrieben - ich hatte es versucht -, doch sie war kein Ort, den man einfach so vergaß.
»Du bist dagewesen?« Sie beugte sich gebannt vor.
»Ja. Es ist schrecklich dort. Aber die Westindischen Inseln sind viel näher als Schottland, und es fahren fast das ganze Jahr über Schiffe von Charleston nach Jamaika.« Ich holte tief Luft und fühlte mich schon etwas besser. »Der Weg durch den Dschungel wäre nicht einfach - aber dir bliebe etwas mehr Zeit - genug, damit wir Roger suchen können.« Wenn er noch zu finden war, dachte ich, sprach es aber nicht aus. Mit dieser Befürchtung konnten wir uns später befassen.
Eins der Kastanienblätter fiel Brianna kreiselnd in den Schoß, ein lebhafter Gelbton auf dem sanften Braun des handgesponnenen Stoffes. Sie nahm es in die Hand und strich die wachsartige Oberfläche geistesabwesend mit dem Daumen glatt. Sie sah mich mit gebannten, blauen Augen an.
»Funktioniert die Stelle genauso wie die andere?«
»Ich habe keine Ahnung, wie sie funktionieren! Es hat sich anders angehört, ein Glockenklang anstelle des Summens. Doch es war eindeutig eine Passage.«
»Du bist dagewesen«, sagte sie und sah mich unter gesenkten Lidern an. »Warum? Wolltest du zurückgehen? Nachdem du - ihn gefunden hattest?« Es lag immer noch ein leichtes Zögern in ihrer Stimme, sie konnte sich noch nicht ganz dazu durchringen, Jamie als »mein Vater« zu bezeichnen.
»Nein. Es hing mit Geillis Duncan zusammen. Sie hat die Stelle entdeckt.«
Briannas Augenlider flogen hoch.
»Sie ist hier
»Nein. Sie ist tot.«
Ich holte tief Luft und spürte in Gedanken den Aufprall eines Axthiebs, und ein Kribbeln durchlief meinen Arm. Manchmal dachte ich an sie, an Geillis, wenn ich allein im Wald war. Manchmal glaubte ich, ihre Stimme hinter mir zu hören, und drehte mich rasch um, sah aber nur Hemlockzweige, die im Wind rauschten. Doch dann und wann spürte ich ihren Blick auf mir, grün und leuchtend wie der Wald im Frühling.
»Wirklich tot«, sagte ich nachdrücklich und wechselte das Thema. »Wie ist es überhaupt passiert?«
Sie versuchte gar nicht erst, so zu tun, als wüßte sie nicht, wovon ich sprach. Sie sah mich geradeheraus an, eine Augenbraue hochgezogen.
»Du bist die Ärztin. Wieviele Möglichkeiten gibt es denn?«
Ich zahlte ihr den Blick mit Zinsen heim.
»Hast du denn nicht einmal daran gedacht, irgendwelche Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen?«
Sie sah mich wütend an, die dichten Augenbrauen zusammengezogen.
»Ich hatte nicht vor, hier Sex zu haben.«
Ich griff mir an den Kopf und vergrub entnervt die Finger in meiner Kopfhaut.
»Du meinst, so etwas plant man im voraus? Großer Gott, wie oft war ich bei dir in der Schule und habe euch darüber…«
»Dauernd! Jedes Jahr! Meine Mutter, das Sex-Lexikon! Hast du eigentlich eine Ahnung, wie peinlich es ist, wenn deine eigene Mutter vor aller Welt dasteht und Penisse zeichnet?«
Bei dieser Erinnerung nahm ihr Gesicht dieselbe Farbe an wie die scharlachroten Ahornbäume.
»Offensichtlich habe ich es nicht allzugut gemacht«, sagte ich schroff, »da du anscheinend nicht in der Lage warst, einen Penis zu erkennen, als du ihn vor der Nase hattest.«
Ihr Gesicht fuhr zu mir herum, blutunterlaufenen Auges, entspannte sich aber wieder, als sie sah, daß ich einen Witz machte - oder es versuchte.
»Stimmt«, sagte sie. »Na ja, in 3-D sehen sie anders aus.«
Ich lachte überrumpelt. Nach einem Augenblick des Zögerns fiel sie mit einem verhaltenen Kichern ein.
»Du weißt, was ich meine. Ich habe dir doch das Rezept dagelassen, bevor ich gegangen bin.«
Sie sah mich herablassend an.
»Ja, und ich war noch nie in meinem Leben so schockiert! Hast du wirklich geglaubt, ich würde loslaufen und es mit jedem hergelaufenen Kerl treiben, sobald du fort warst?«
»Willst du damit sagen, es war nur meine Anwesenheit, die dich daran gehindert hat?« Der Winkel ihres breiten Mundes zuckte.
»Na ja, nicht nur«, gab sie zu. »Aber es hat schon an dir gelegen, dir und Papa. Ich meine, ich - ich hätte euch nur ungern enttäuscht.« Das Zucken war blitzschnell in Zittern übergegangen, und ich nahm sie fest in den Arm. Ihr glattes, leuchtendes Haar lag an meiner Wange.
»Das kannst du gar nicht, Baby«, murmelte ich und wiegte sie sanft. »Wir wären niemals von dir enttäuscht gewesen, niemals.«
Ich spürte die Spannung und Sorge verebben, während ich sie festhielt. Schließlich holte sie tief Luft und ließ mich los.
»Vielleicht nicht du oder oder Papa«, sagte sie. »Aber was ist mit -?« Sie senkte den Kopf in Richtung des Hauses, das für uns unsichtbar war.
»Er wird nicht -«, begann ich, doch dann hielt ich inne. Die Wahrheit war, daß ich nicht wußte, was Jamie tun würde. Einerseits neigte er sehr dazu, Brianna unübertrefflich zu finden. Andererseits hatte er Ansichten über Sexualität und Ehre, die man - aus naheliegenden Gründen - nur als altmodisch bezeichnen konnte, und er hatte keine Hemmungen, sie auszudrücken.
Er war weltgewandt, gebildet, tolerant und mitfühlend. Dies bedeutete in keinster Art und Weise, daß er moderne Denkweisen teilte oder verstand; ich wußte genau, daß er das nicht tat. Und ich konnte mir nicht vorstellen, daß er Roger gegenüber auch nur die geringste Toleranz an den Tag legen würde.
»Tja«, sagte ich skeptisch, »ich würde mich nicht wundern, wenn er Roger am liebsten eins auf die Nase geben würde oder so etwas. Aber mach dir keine Sorgen«, fügte ich hinzu, als ich ihren alarmierten Blick sah. »Er liebt dich«, sagte ich und strich ihr das zerzauste Haar aus dem Gesicht. »Und nichts kann ihn davon abbringen.«
Ich stand auf und streifte mir die gelben Blätter von meinem Rock.
»Also haben wir noch etwas Zeit, wenn wir auch keine verlieren dürfen. Jamie kann flußabwärts die Nachricht verbreiten, daß man nach Roger Ausschau hält. Wo wir von Roger reden…« Ich zögerte und zupfte mir ein Stückchen vertrockneten Farn vom Ärmel. »Ich nehme nicht an, daß er davon weiß, oder?«
Brianna holte tief Luft, und ihre Faust schloß sich fest um das Blatt in ihrer Hand und zerdrückte es.
»Na ja, weißt du, es gibt da ein Problem«, sagte sie. Sie blickte zu mir auf, und plötzlich war sie wieder mein kleines Mädchen. »Es ist nicht von Roger.«
»Was?« sagte ich wie vor den Kopf geschlagen.
»Es. Ist. Nicht. Rogers. Baby«, sagte sie mit zusammengebissenen Zähnen.
Ich sank wieder neben ihr zu Boden. Ihre Sorge um Roger nahm plötzlich neue Dimensionen an.
»Wer?« sagte ich. »Hier oder dort?« Ich rechnete es augenblicklich nach - es mußte jemand hier in der Vergangenheit sein. Wäre es ein Mann in ihrer eigenen Zeit gewesen, dann wäre sie schon weiter als zwei Monate. Also nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch hier in den Kolonien.
Ich hatte nicht vor, Sex zu haben, hatte sie gesagt. Nein, natürlich nicht. Sie hatte Roger nichts gesagt, aus Angst, daß er ihr folgen würde - er war ihr Anker, ihr Schlüssel zur Zukunft. Aber wenn das so war…
»Hier«, sagte sie und bestätigte meine Überlegungen. Sie wühlte in ihrer Rocktasche und brachte etwas zum Vorschein. Sie streckte mir die Hand hin und ich hielt ihr automatisch die meine hin.
»Himmelherrgottsakrament.« Der abgetragene, goldene Ehering glitzerte in der Sonne, und meine Hand umschloß ihn automatisch. Er war warm, weil sie ihn an ihrem Körper getragen hatte, doch ich spürte, wie mir Eiseskälte in die Finger sickerte.
»Bonnet?« sagte ich. »Stephen Bonnet
Ihre Kehle bewegte sich krampfhaft. Sie schluckte, und ihr Kopf ruckte in einem kurzen Nicken.
»Ich hatte nicht vor, es dir zu erzählen - ich konnte es nicht; nicht, nachdem Ian mir erzählt hat, was auf dem Fluß passiert ist. Zuerst wußte ich nicht, was Pa tun würde; ich hatte Angst, er würde mir Vorwürfe machen. Und dann, als ich ihn etwas besser kannte - da wußte ich, daß er versuchen würde, Bonnet zu finden - das ist es jedenfalls, was Papa getan hätte. Das konnte ich nicht zulassen. Du bist dem Mann doch begegnet, du weißt, wie er ist.« Sie saß in der Sonne, doch ein Schauer überlief sie, und sie rieb sich die Arme, als wäre ihr kalt.
»Das stimmt«, sagte ich. Meine Lippen waren steif. Ihre Worte hallten in meinen Ohren wider.
Ich hatte nicht vor, Sex zu haben. Ich konnte es nicht sagen… Ich hatte Angst, er würde mir Vorwürfe machen.
»Was hat er mit dir gemacht?« fragte ich und war überrascht über den ruhigen Klang meiner Stimme. »Hat er dir weh getan, Baby?«
Sie zog eine Grimasse, winkelte die Knie an und preßte sie mit den Armen an sich.
»Nenn mich nicht so, okay? Nicht jetzt.«
Ich streckte die Hand aus, um sie zu berühren, doch sie kuschelte sich noch fester in sich selbst, und ich ließ meine Hand sinken.
»Willst du es mir erzählen?« Ich wollte es nicht hören; auch ich hätte gern so getan, als wäre es nicht geschehen.
Sie sah mich an, die Lippen zu einer geraden, weißen Linie zusammengepreßt.
»Nein«, sagte sie. »Nein, das will ich nicht. Aber ich denke, ich tue es besser.«
 
Sie war am hellichten Tag an Bord der Gloriana gekommen, vorsichtig, aber ohne sich bedroht zu fühlen, weil so viele Leute da waren; Hafenarbeiter, Matrosen, Kaufleute, Bedienstete - die Docks wimmelten vor Leben. An Deck hatte sie einem Seemann gesagt, was sie wollte; er war in den Tiefen des Schiffes verschwunden, und einen Augenblick später war Stephen Bonnet erschienen.
Er trug dieselben Kleider wie in der vorigen Nacht; bei Tageslicht konnte sie sehen, daß sie von guter Qualität waren, aber fleckig und furchtbar zerknittert. Ihm war fettiges Kerzenwachs auf die Seidenmanschette seines Rockes getropft, und in seinem Spitzenkragen hingen Krümel.
Bonnet selbst sah weniger heruntergekommen aus als seine Kleider; er war frisch rasiert, und seine grünen Augen waren hell und wachsam. Sie überflogen sie rasch und leuchteten interessiert auf.
»Ich fand dich ja bei Kerzenlicht schon ganz hübsch«, sagte er, indem er ihre Hand ergriff und sie an seine Lippen hob. »Aber wenn der Alkohol fließt, kommt es einem oft so vor. Es ist sehr viel seltener, daß man eine Frau in der Sonne hübscher findet als sie im Mondschein war.«
Brianna versuchte, ihre Hand aus seinem Griff zu ziehen, und lächelte ihn höflich an.
»Danke. Habt Ihr den Ring noch?« Das Herz schlug ihr schnell im Hals. Selbst wenn er ihn beim Glücksspiel verloren hatte, konnte er ihr immer noch von dem Ring erzählen - von ihrer Mutter. Aber sie hätte ihn furchtbar gern in ihren Händen gehalten. Sie unterdrückte die Furcht, die sie die ganze Nacht über heimgesucht hatte; daß der Ring alles sein könnte, was von ihrer Mutter geblieben war. Es konnte nicht sein, nicht, wenn der Zeitungsausschnitt stimmte, aber…
»Oh, in der Tat. Danu, die Glücksbringerin, hat mir in jener Nacht zur Seite gestanden - und wie es aussieht, tut sie das immer noch.« Er lächelte sie charmant an und hielt nach wie vor ihre Hand fest.
»Ich - äh, ich frage mich, ob Ihr ihn mir verkaufen würdet.« Sie hatte fast ihr ganzes Geld dabei, doch sie hatte keine Ahnung, was so ein Goldring kosten konnte.
»Warum?« Die direkte Frage überrumpelte sie, und sie suchte angestrengt nach einer Antwort.
»Er - er sieht aus wie ein Ring, den meine Mutter hatte«, antwortete sie, denn sie war nicht in der Lage, eine bessere Antwort als die Wahrheit zu erfinden. »Woher habt Ihr ihn?«
Irgend etwas regte sich in seinen Augen, obwohl er sie immer noch anlächelte. Er wies auf die dunkle Kajütentreppe und steckte ihre Hand in seine Ellenbeuge. Er war größer als sie, ein kräftiger Mann. Sie zog vorsichtig, doch er hielt ihre Hand fest.
»Du willst also den Ring? Komm in meine Kajüte, Schätzchen, und dann sehen wir, ob wir uns einig werden können.«
Unten goß er ihr Brandy ein; sie nahm nur ein winziges Schlückchen, doch er trank in vollen Zügen, leerte das erste Glas und goß sich ein neues ein.
»Woher?« sagte er sorglos als Antwort auf ihr hartnäckiges Fragen. »Ah, nun, ein Herr sollte keine Geschichten über seine Eroberungen erzählen, oder?« Er blinzelte ihr zu. »Ein Liebespfand«, flüsterte er.
Das Lächeln in ihrem eigenen Gesicht fühlte sich steif an, und der Brandy, den sie getrunken hatte, brannte ihr im Magen.
»Die Frau, die - ihn Euch gegeben hat«, sagte sie. »Ist sie bei guter Gesundheit?«
Er gaffte sie mit leicht geöffnetem Mund an.
»Glück«, sagte sie hastig. »Es bringt Unglück, wenn man Schmuck trägt, der jemandem gehört, der - der tot ist.«
»Ist das so?« Das Lächeln kehrte zurück. »Ich kann nicht behaupten, daß mir diese Wirkung schon aufgefallen wäre.« Er stellte das Glas hin und rülpste entspannt.
»Trotzdem kann ich Euch versichern, daß die Dame, von der ich diesen Ring habe, lebendig und gesund war, als ich sie verlassen habe.«
Das Brandgefühl in ihrem Magen ließ etwas nach.
»Oh. Ich bin froh, das zu hören. Verkauft Ihr ihn mir also?«
Er schaukelte mit seinem Stuhl rückwärts und betrachtete sie, ein leises Lächeln auf den Lippen.
»Verkaufen. Und was bietest du mir dafür, Schätzchen?«
»Fünfzehn Pfund Sterling.« Ihr Herz begann wieder schneller zu schlagen, als er aufstand. Er würde darauf eingehen! Wo hatte er ihn aufbewahrt?
Er stand auf, nahm ihre Hand und zog sie von ihrem Stuhl hoch.
»Ich habe genug Geld, Schätzchen«, sagte er. »Welche Farbe hat das Haar zwischen deinen Beinen?«
Sie entriß ihm ihre Hand und wich so schnell wie möglich zurück, prallte aber nach ein paar Schritten gegen die Kajütenwand.
»Ihr habt mich mißverstanden«, sagte sie. »Ich hatte nicht vor…«
»Du vielleicht nicht«, sagte er, und sie sah seine Zahnspitzen, als er lächelte. »Aber ich. Und ich glaube, du hast mich vielleicht mißverstanden, Schätzchen.«
Er trat einen Schritt auf sie zu. Sie schnappte sich die Brandyflasche vom Tisch und schwang sie gegen seinen Kopf. Er duckte sich geschickt, nahm ihr die Flasche weg und schlug sie fest ins Gesicht.
Sie stolperte, halb geblendet durch den plötzlichen Schmerz. Er packte sie bei den Schultern und zwang sie auf die Knie. Seine Finger gruben sich in ihr Haar, bis auf die Kopfhaut, und rissen fest an ihrem Kopf. Er hielt ihren Kopf schräg, in einem unangenehmen Winkel, während er mit der anderen Hand an der Vorderseite seiner Kniehose herumfummelte. Er grunzte vor Genugtuung, kam einen halben Schritt näher und streckte seine Hüften vor.
»Darf ich vorstellen: Leroi«, sagte er.
Leroi war sowohl unbeschnitten als auch ungewaschen und roch kräftig nach abgestandenem Urin. Sie spürte einen Brechreiz in ihrer Kehle hochsteigen und versuchte, den Kopf abzuwenden. Die Antwort darauf war ein brutaler Ruck an ihrem Haar, der sie zurückstieß. Sie unterdrückte einen Schmerzensschrei.
»Streck deine kleine rote Zunge heraus und gib uns einen Kuß, Schätzchen.« Bonnet klang fröhlich und ungerührt und hatte ihr Haar nach wie vor fest gepackt. Sie streckte ihm in wortlosem Protest die Hände entgegen; er sah es und zog noch fester, womit er ihr die Tränen in die Augen trieb. Sie streckte die Zunge heraus.
»Nicht schlecht, nicht schlecht«, sagte er gemächlich. »In Ordnung, mach den Mund auf.« Er ließ ganz plötzlich ihr Haar los und ihr Kopf knickte nach hinten. Bevor sie zurückfahren konnte, hatte er sie am Ohr gepackt und verdrehte es leicht.
»Beiß mich, Schätzchen, und ich schlag dir die Nase zu Brei. Häh?« Er strich mit der geballten Faust leicht unter ihrer Nase vorbei und stieß mit seinem dicken Knöchel an ihre Spitze. Dann ergriff er ihr anderes Ohr fest und hielt ihren Kopf unbeweglich zwischen seinen großen Händen.
Sie konzentrierte sich auf den Blutgeschmack auf ihrer aufgeplatzten Lippe; den Geschmack und den Schmerz. Wenn sie die Augen schloß, konnte sie den Geschmack sehen, Salz und Metall, poliertes Kupfer, das rein in der Dunkelheit vor ihren Augen glänzte.
Wenn sie sich übergab, würde sie sich verschlucken. Sie würde sich verschlucken, und er würde es nicht bemerken. Sie würde ersticken und sterben, ohne daß er innehielt. Sie legte ihre Hände auf seine Oberschenkel, um sich abzustützen, und grub ihre Finger in seine festen Muskeln. Sie wich mit aller Kraft zurück, um seinem Ansturm zu widerstehen. Er summte tief in seiner Kehle. From Ushant to Scilly is thirty-five leagues. Drahtige Haare streiften ihre Lippen.
Dann war Leroi fort. Er ließ ihre Ohren los und trat zurück; sie geriet aus dem Gleichgewicht und fiel nach vorn. Blutrote Speichelfäden liefen ihr aus dem Mund. Sie hustete und spuckte, und spuckte erneut, um ihren Mund von der Fäulnis zu befreien. Ihre Lippen waren geschwollen und pochten im Takt mit ihrem Herzschlag.
Er zog sie mühelos hoch, die Hände unter ihren Armen, und küßte sie. Seine Zunge stieß vor, während eine Hand ihren Hinterkopf umfaßt hielt, um sie am Zurückweichen zu hindern. Er schmeckte überwältigend nach Brandy mit einem ekelhaften Beigeschmack nach verrottenden Zähnen. Die andere Hand an ihrer Taille tastete sich langsam abwärts und knetete ihre Pobacken.
»Mmm«, sagte er und seufzte erfreut. »Zeit fürs Bett, was, Schätzchen?«
Sie senkte ihren Kopf und rammte ihn in sein Gesicht. Ihre Stirn prallte auf einen harten Knochen, und er gab einen scharfen Überraschungsruf von sich und lockerte seinen Griff. Sie wand sich los und rannte weg. Ihr wehender Rock verfing sich im Türschloß und riß, doch sie achtete nicht darauf, während sie auf die dunkle Kajütentreppe zustürzte.
Die Matrosen waren beim Essen; zwanzig Männer saßen an einem langen Tisch am Ende der Kajütstreppe, zwanzig Gesichter wandten sich ihr mit Ausdrücken zu, die von Erschrecken bis hin zu laszivem Interesse reichten. Es war der Koch, der sie zu Fall brachte, indem er ihr ein Bein stellte, als sie an der Kombüse vorbeischoß. Ihre Knie trafen mit betäubender Gewalt auf das Deck.
»Du magst wohl Spiele, was, Schätzchen?« Es war Bonnets Stimme in ihrem Ohr, jovial wie eh und je, während ein Paar Hände sie mit verstörender Leichtigkeit hochzog. Er wirbelte sie zu sich herum und lächelte. Sie hatte seine Nase getroffen; ein dickes Blutrinnsal lief ihm aus dem einen Nasenloch. Es lief ihm über die Oberlippe und folgte den Kerben seines Lächelns. Dünne rote Linien bildeten sich zwischen seinen Zähnen, und dunkle Tropfen liefen ihm langsam vom Kinn.
Er umklammerte ihre Arme fester, doch das fröhliche Glitzern in seinen hellgrünen Augen war nicht erloschen.
»Das ist schon in Ordnung, Schätzchen«, sagte er. »Leroi mag Spiele. Nicht wahr, Leroi?« Er blickte nach unten, und sie folgte seiner Blickrichtung. Er hatte seine Hosen in der Kajüte ausgezogen und stand halbnackt da, während Leroi ihre Röcke streifte und angeregt zitterte.
Er nahm sie beim Ellbogen, verbeugte sich ritterlich und wies auf die Kajüte. Betäubt trat sie auf ihn zu, und er nahm seinen Platz an ihrer Seite ein, Arm in Arm, und entblößte völlig ungerührt seine weißen Pobacken vor den Blicken seiner gaffenden Mannschaft.
 
»Danach… war es nicht mehr so schlimm.« Der Klang ihrer eigenen Stimme war unnatürlich ruhig, als gehörte sie jemand anderem. »Ich habe - habe mich nicht mehr gewehrt.«
 
Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, sie sich ausziehen zu lassen, sondern ihr nur das Halstuch abgenommen. Ihr Kleid war nach dem üblichen Schnitt mit einem tiefen, quadratischen Ausschnitt gemacht, und ihre Brüste waren hoch und rund; es bedurfte nur eines beiläufigen Rucks nach unten, um sie zu entblößen, sie wie ein Paar Äpfel über den Rand des Mieders springen zu lassen.
Er traktierte sie einen Moment lang und klemmte ihre Brustwarzen zwischen seinen großen Daumen und den Zeigefinger, damit sie sich aufrichteten, dann schob er sie zu seinem zerwühlten Bett.
Die Laken waren mit vergossenem Alkohol befleckt und stanken nach Parfüm und Wein sowie überwältigend nach Bonnets eigenem widerlichen, schweren Geruch. Er schob ihren Rock hoch, lagerte ihre Beine so, wie es ihm paßte, und summte dabei ununterbrochen vor sich hin. Farewell to you all, ye fine Spanish ladies
Vor ihrem inneren Auge konnte sie sehen, wie sie ihn wegstieß, sich vom Bett warf, zur Tür rannte, leicht wie eine Möwe die dunkle Kajütstreppe entlanghuschte und durch das Gitter im Deck hinauf in die Freiheit durchbrach. Sie konnte die hölzernen Planken unter ihren nackten Füßen spüren und das Brennen der heißen Sommersonne in ihren vom Dunkel geblendeten Augen. Beinahe. Sie lag in der halbdunklen Kajüte, hölzern wie eine Galionsfigur, den Blutgeschmack im Mund.
Zwischen ihren Oberschenkeln bohrte sich etwas blind und unnachgiebig voran, und sie verkrampfte sich in Panik und schlug die Beine übereinander. Immer noch summend, stieß er sein muskulöses Bein zwischen die ihren und drückte ihr brutal die Oberschenkel auseinander. Von der Taille an abwärts war er nackt, doch er trug sein Hemd und seine Halsbinde. Die langen Hemdschöße baumelten um Lerois blassen Stiel, als er sich über ihr auf die Knie herabließ.
Er hörte lange genug mit dem Summen auf, um sich ausgiebig in die Hand zu spucken. Dann ebnete er sich unter grobem, gründlichem Reiben den Weg und machte sich ans Werk. Eine Hand fest um ihre Brust geklammert, verhalf er sich mit der anderen in eine Nische, aus der es kein Entrinnen gab, machte eine joviale Bemerkung über die Behaglichkeit seiner Unterkunft und entließ Leroi dann zu seinem blinden - und glücklicherweise kurzen - Freudengalopp.
Zwei Minuten, vielleicht drei. Dann war es vorbei, und Bonnet lag schwer zusammengesunken über ihr, seine leinene Halsbinde vom Schweiß zerknittert, während seine Hand ihr immer noch die Brust zerquetschte. Sein glattes Haar fiel ihr weich auf die Wange, und beim Ausatmen pustete er ihr heiß und feucht gegen den Hals. Immerhin hatte er aufgehört zu summen.
Sie lag endlose, lange Minuten stocksteif da und starrte zur Decke hinauf, wo Spiegelungen des Wassers über die glatten Balken tanzten. Schließlich seufzte er und rollte sich langsam von ihr herunter auf die Seite. Er lächelte sie an und kratzte sich verträumt an der entblößten, haarigen Hüfte.
»Nicht schlecht, Schätzchen, obwohl ich’s schon lebhafter getrieben habe. Beweg beim nächsten Mal mehr deinen Arsch, hm?« Er setzte sich hin, gähnte und begann, seine Kleider glattzuziehen. In der Gewißheit, daß er nicht vorhatte, sie aufzuhalten, rutschte sie jetzt zur Bettkante und rollte sich auf ihre Füße. Sie fühlte sich schwindelig und furchtbar kurzatmig, als ob sein massiger Körper immer noch auf sie drückte.
Benommen ging sie zur Tür. Sie war verriegelt. Während sie mit zitternden Händen mit dem Riegel kämpfte, hörte sie ihn hinter sich etwas sagen und fuhr erstaunt herum.
»Was habt Ihr gesagt?«
»Ich habe gesagt, der Ring liegt auf dem Tisch«, sagte er und richtete sich auf, nachdem er seine Strümpfe wiedergefunden hatte. Er setzte sich auf das Bett, fing an, sie anzuziehen, und wies mit einer beiläufigen Handbewegung auf den Tisch, der an der Wand stand. »Da liegt auch Geld. Nimm dir, was du willst.«
Die Oberfläche seines Schreibtisches glich einem Elsternnest, übersät mit Tintenfäßchen, Kleinkram, Schmuckstücken, Verladequittungen, zerzausten Gänsekielen, Silberknöpfen, Papierfetzen, zerknitterten Kleidungsstücken und einem Häufchen Münzen aus Silber und Bronze, Kupfer und Gold, Währungen aus mehreren Kolonien, mehreren Ländern.
»Ihr bietet mir Geld an?«
Er blickte verwundert auf, die hellen Brauen gewölbt.
»Ich bezahle für mein Vergnügen«, sagte er. »Hast du gedacht, das würde ich nicht?«
Alles in der Kajüte kam ihr unnatürlich lebhaft vor, detailliert und ausgeprägt wie Gegenstände in einem Traum, die beim Aufwachen verschwinden würden.
»Ich habe gar nichts gedacht«, sagte sie, und ihre Stimme klang sehr klar, aber auch sehr weit weg, als spräche jemand aus weiter Ferne. Ihr Halstuch lag noch dort auf dem Boden, wo er es hingelegt hatte, neben dem Tisch. Sie ging dorthin, vorsichtig, und versuchte, nicht an die warme Schlüpfrigkeit zu denken, die ihr in Schlieren an den Oberschenkeln herunterlief.
»Ich bin ein ehrlicher Mann - für einen Piraten«, sagte er hinter ihr und lachte. Er stampfte einmal auf dem Deck auf, um seinen Fuß richtig in den Schuh zu bekommen, dann strich er an ihr vorbei und hob den Riegel ganz leicht mit einer Hand.
»Bediene dich, Schätzchen«, sagte er im Hinausgehen mit einer weiteren beiläufigen Handbewegung in Richtung des Tisches. »Es war’s wert.«
Sie hörte, wie sich seine Schritte auf der Kajütstreppe entfernten, hörte eine Lachsalve und eine gedämpfte Bemerkung, als ihm jemand entgegenkam, dann eine Veränderung in seiner Stimme, plötzlich klar und harsch, während sie oben Befehle erteilte, und das Trampeln und Trappeln der Füße über ihr, die sich beeilten, ihnen Folge zu leisten. Wieder ans Werk.
Er lag in einer Schale aus Rinderhorn zusammen mit einer Sammlung von Beinknöpfen, Fäden und anderem Kleinkram. Das paßte zu ihm, dachte sie mit kalter Klarheit. Die reine Raffgier, eine rücksichtslose und brutale Freude am Nehmen, ohne daß er die geringste Ahnung vom Wert des Gestohlenen hatte.
Ihre Hand zitterte; sie sah es mit einem vagen Gefühl der Überraschung. Sie versuchte, sich den Ring zu nehmen, schaffte es nicht und gab auf. Sie hob die Schale hoch und entleerte ihren Inhalt in ihre Tasche. Sie ging die dunkle Kajüttreppe entlang, die Faust fest um die Tasche geballt, die sie wie einen Talisman festhielt. Überall um sie herum waren Seeleute, die zu sehr mit ihrer Arbeit beschäftigt waren, um mehr als einen Blick voll anzüglicher Spekulation für sie übrig zu haben. Ihre Schuhe standen am Ende des Tisches in der Messe, die Schleifen standen ab, durch einen Lichtstrahl von der Decke erleuchtet.
Sie zog sie an und ging ebenmäßigen Schrittes die Leiter hinauf, über Deck und Fallreep und auf das Dock. Den Blutgeschmack im Mund.
 
»Anfangs habe ich gedacht, ich könnte einfach so tun, als wäre es nie geschehen.« Sie holte tief Luft und sah mich an. Sie hatte die Hände über ihrem Bauch gefaltet, als wollte sie ihn verstecken. »Aber ich schätze, das wird nicht funktionieren, oder?«
Ich schwieg einen Augenblick und dachte nach. Dies war nicht der Zeitpunkt für falsche Zurückhaltung.
»Wann?« sagte ich. »Wie lange nach… äh, nach Roger?«
»Zwei Tage.«
Meine Augenbrauen hoben sich.
»Warum bist du dir dann so sicher, daß es nicht von Roger ist? Du hast offensichtlich nicht die Pille genommen, und ich verwette mein Leben, daß Roger nicht das benutzt hat, was heutzutage als Kondom durchgeht.«
Sie lächelte schwach darüber, und ihre Wangen erröteten leicht.
»Nein. Er… hm… er… äh…«
»Oh. Koitus interruptus?«
Sie nickte.
Ich holte tief Luft und atmete durch gespitzte Lippen wieder aus.
»Es gibt ein Wort«, sagte ich, »für Leute, die sich auf diese Methode der Verhütung verlassen.«
»Und zwar?« fragte sie mit argwöhnischem Gesicht.
»Eltern«, sagte ich.
Der Ruf Der Trommel
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