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Große Pläne mit kleinen Haken
Ich wußte zwar, wie bereitwillig die Menschen im
achtzehnten Jahrhundert alles aßen, was sich überwältigen und an
einen Tisch zerren ließ, doch ihre Manie, Wild so zu servieren, als
sei es vor seinem Erscheinen beim Abendessen nicht erst getötet und
gekocht worden, war nicht mein Fall.
Demzufolge betrachtete ich den riesigen Stör, dem
ich Augapfel in Augapfel gegenübersaß, mit deutlicher
Appetitlosigkeit. Man hatte dem neunzig Zentimeter langen Fisch
nicht nur die Augen, sondern auch die Flossen, die Schuppen und den
Schwanz gelassen, und er thronte majestätisch auf Wellen aus Rogen
in Aspik, verziert mit Unmengen kleiner gewürzter Krebse, die man
ganz gekocht und kunstvoll auf der Servierplatte verstreut
hatte.
Ich trank noch einen großen Schluck Wein und wandte
mich an meinen Tischgenossen, wobei ich versuchte, nicht in die
glasigen Glupschaugen des Störs zu blicken.
»…ein überaus impertinenter Mensch!« sagte Mr.
Stanhope gerade über einen Herrn, dem er auf dem Weg von Wilmington
zu seinen Besitztümern in New Bern in einer Poststation begegnet
war.
»Also wirklich, wir nahmen gerade Erfrischungen zu
uns, da fing er von seinen Hämorrhoiden an und welche Qual ihm die
ständigen Stöße der Kutsche verursachten. Und der Teufel soll mich
holen, wenn er dann nicht ein über und über mit Blut beflecktes
Taschentuch aus der Tasche zog, um es den Anwesenden zu beweisen!
Hat mir vollständig den Appetit verdorben, das versichere ich Euch,
Madam«, sagte er zu mir und stopfte sich mit Hühnerfrikasse voll.
Er kaute langsam und betrachtete mich mit blaßblauen,
hervorquellenden Augen, die mich unangenehm an die des Störs
erinnerten.
Auf der anderen Seite des Tisches zuckte Phillip
Wylies Mund belustigt.
»Paßt auf, daß Euer Gesprächsthema nicht dieselbe
Wirkung hervorruft, Stanhope«, sagte er und deutete auf meinen
unberührten
Teller. »Obwohl ich ja zugeben muß, daß die oft ungehobelte
Gesellschaft zu den Unannehmlichkeiten öffentlicher Verkehrsmittel
gehört.«
Stanhope zog die Nase hoch und strich sich die
Krümel aus den Falten seines Halstuches.
»Braucht Euch gar nichts einzubilden, Wylie. Nicht
jeder kann sich eine Kutsche leisten, schon gar nicht bei all
diesen neuen Steuern. Kaum wendet man sich ab, schon hat man eine
neue am Hals - ich muß schon sagen!« Er fuchtelte erbost mit der
Gabel. »Tabak, Wein, Brandy, schön und gut, aber eine
Zeitungssteuer, hat man so was schon gehört? Der älteste
Sohn meiner Schwester hat letztes Jahr seinen Abschluß an der
Universität Yale gemacht« - er blies sich unbewußt auf und sprach
ein kleines bißchen lauter als gewöhnlich -, »und dann mußte sie
doch tatsächlich einen halben Schilling bezahlen, nur damit er
einen offiziellen Stempel auf sein Diplom bekam!«
»Das gibt es jetzt aber nicht mehr«, sagte Vetter
Edwin geduldig. »Seit der Abschaffung der Stempelverordnung…«
Stanhope pickte einen der winzige Krebse von der
Platte und schwenkte ihn anklagend in Edwins Richtung.
»Kaum sind wir eine Steuer los, schon taucht die
nächste an ihrer Stelle auf. Sie schießen wie Pilze aus dem
Boden!«
Er steckte sich den Krebs in den Mund, und man
hörte ihn undeutlich murmeln, daß es ihn nicht wundern würde, wenn
demnächst noch die Luft besteuert würde.
»Ihr seid erst kürzlich von den Westindischen
Inseln gekommen, Madame Fraser?« Auf meiner anderen Seite ergriff
Baron Penzler die Gelegenheit, sich ins Gespräch zu mischen. »Ihr
werdet wohl kaum mit solchen Provinzgeschichten vertraut sein -
oder Euch dafür interessieren«, fügte er hinzu und deutete Stanhope
mit einem wohlwollenden Nicken an, daß seine Redezeit vorbei
war.
»Oh, jeder interessiert sich für Steuern«, sagte
ich und drehte mich leicht zur Seite, um mein Dekolleté möglichst
gut zur Geltung zu bringen. »Oder meint Ihr nicht auch, daß Steuern
der Preis für eine zivilisierte Gesellschaft sind? Obwohl« - ich
nickte zur anderen Seite - »Mr. Stanhope mir nach seiner Geschichte
vielleicht bepflichtet, daß der Grad der Zivilisation nicht
unbedingt dem Grad der Besteuerung entspricht?«
»Ha, ha!« Stanhope verschluckte sich an einem Stück
Brot und spuckte Krümel in alle Richtungen. »Oh, das ist gut! Nicht
dem Grad - ha, ha, nein, wirklich nicht!«
Phillip Wylie pflichtet mir mit einem sardonischen
Nicken bei.
»Ihr müßt versuchen, nicht ganz so amüsant zu sein,
Mrs. Fraser«, sagte er. »Es könnte den Tod des armen Stanhope
bedeuten.«
»Äh… was meint Ihr denn, wie hoch zur Zeit die
Besteuerungsrate ist?« fragte ich und lenkte taktvoll von Stanhopes
Gehuste ab.
Wylie spitzte die Lippen und überlegte. Dandy, der
er war, trug er eine hochmodische Perücke, und ein sternförmiges
Schönheitspflästerchen klebte neben seinem Mund. Aber hinter dem
gutaussehenden, gepuderten Gesicht verbarg sich offenbar auch ein
sehr gewitztes Gehirn.
»Oh, wenn man alle Nebenverdienste mit
einberechnet, würde ich sagen, können es bis zu zwei von Hundert
des Jahreseinkommens sein, wenn man die Sklavensteuern mitzählt.
Wenn man die Steuern auf Land und Ernten hinzufügt, wird es
vielleicht etwas mehr.«
»Zwei Prozent!« prustete Stanhope und hämmerte sich
auf die Brust. »Das schreit zum Himmel! Das schreit einfach zum
Himmel!«
Während ich mich lebhaft an meine letzte
Steuererklärung erinnerte, pflichtete ich ihm mitfühlend bei, daß
eine zweiprozentige Steuerrate wirklich empörend war, und fragte
mich gleichzeitig, was zum Kuckuck im Laufe der dazwischenliegenden
zweihundert Jahre aus dem Kampfgeist der amerikanischen
Steuerzahler geworden war.
»Aber vielleicht sollten wir das Thema wechseln«,
sagte ich, denn ich sah, daß man in unsere Richtung zu blicken
begann. »Im Haus des Gouverneurs über Steuern zu reden ist doch in
etwa so, als unterhielte man sich im Haus eines Gehängten über
Seile, oder nicht?«
An dieser Stelle bekam Mr. Stanhope einen ganzen
Krebs in den Hals und verschluckte sich ernsthaft.
Sein anderer Tischgenosse hämmerte ihm hilfreich
auf den Rücken, und der kleine schwarze Junge, der mit einer
Fliegenklatsche am Fenster beschäftigt gewesen war, wurde hastig
losgeschickt, um Wasser zu holen. Für den Fall des Falles wählte
ich ein scharfes, schmales Messer, das neben der Fischplatte lag,
hoffte aber doch, daß ich nicht gezwungen wäre, an Ort und Stelle
einen Luftröhrenschnitt durchzuführen, denn diese Art von
Aufmerksamkeit wollte ich nicht erregen.
Glücklicherweise erwiesen sich derart drastische
Maßnahmen als unnötig; ein Glückstreffer auf den Rücken löste den
Krebs, so daß das Opfer purpurrot und japsend, ansonsten aber
unbeschädigt davonkam.
»Wo wir gerade von Zeitungen sprechen«, sagte ich,
als Mr. Stanhope von seinen Exzessen gerettet war. »Wir sind erst
so kurz hier, daß ich noch keine gesehen habe. Wird in Wilmington
regelmäßig eine Zeitung gedruckt?«
Ich hatte meine Hintergedanken bei dieser Frage,
die nicht nur Mr. Stanhope Zeit geben sollte, sich zu erholen.
Unter den wenigen weltlichen Gütern, die Jamie besaß, befand sich
eine Druckerpresse, die zur Zeit in Edinburgh gelagert war.
Es stellte sich heraus, daß zwei Drucker in
Wilmington ansässig waren, doch nur einer dieser Herren - ein Mr.
Jonathan Gilette - stellte regelmäßig eine Zeitung her.
»Und vielleicht ist es bald vorbei mit der
Regelmäßigkeit«, sagte Stanhope finster. »Mr. Gilette soll vom
Komitee für Sicherheit verwarnt worden - ah!« Er machte einen
kurzen Ausruf, und sein rundes Gesicht verzog sich vor
schmerzlicher Überraschung.
»Gibt es einen besonderen Grund für diese Frage,
Mrs. Fraser?« erkundigte sich Wylie höflich und warf seinem Freund
einen schnellen Blick zu. »Ich habe gehört, daß Euer Gatte
Verbindungen zum Druckergewerbe in Edinburgh unterhält.«
»Äh, ja«, sagte ich, überrascht, daß er so viel
über uns wußte. »Jamie hat dort eine Druckerei besessen, aber keine
Zeitung herausgegeben - nur Bücher, Pamphlete, Theaterstücke und
ähnliches.«
Eine von Wylies feingeschwungenen Augenbrauen hob
sich.
»Euer Gatte hat also keine politischen Vorlieben?
Wie oft werden doch die Fähigkeiten der Drucker von jenen
mißbraucht, die ihre Leidenschaften gedruckt sehen wollen - aber
natürlich teilt der Drucker diese Leidenschaften nicht
notwendigerweise.«
Das ließ diverse Alarmglocken schrillen: Wußte
Wylie wirklich etwas von Jamies politischen Verbindungen in
Edinburgh - die meisten waren extrem regierungsfeindlich -, oder
war dies nur ein normales Tischgespräch? Stanhopes Bemerkungen nach
zu urteilen, waren Zeitungen und Politik in den Köpfen der Leute
untrennbar verbunden - was ja in Anbetracht der Zeiten auch kein
Wunder war.
Jamie, der am anderen Ende des Tisches saß, hatte
seinen Namen aufgeschnappt und wandte jetzt leicht den Kopf, um mir
zuzulächeln, bevor er sich dann wieder einem ernsten Gespräch mit
dem Gouverneur widmete, zu dessen rechter Seite er saß. Ich war
nicht sicher, ob diese Sitzordnung Mr. Lillingtons Werk war, der
zur Linken des Gouverneurs saß und der Unterhaltung mit dem
intelligenten, etwas leidenden Ausdruck eines Bassets folgte, oder
Vetter Edwins, der mir gegenüber saß, zwischen Phillip Wylie und
dessen Schwester Judith.
»Ach, ein Handwerker«, bemerkte diese Dame jetzt
mit wichtiger Stimme. Sie lächelte mich an, sorgfältig darauf
bedacht, ihre Zähne nicht zu zeigen. Wahrscheinlich faul, dachte
ich. »Und das ist« - sie deutete vage auf ihren Kopf und verglich
mein Haarband mit dem
turmartigen Aufbau ihrer Perücke - »jetzt Mode in Edinburgh? Wie…
hinreißend.«
Ihr Bruder warf ihr einen Blick aus
zusammengekniffenen Augen zu.
»Ich habe, glaube ich, auch gehört, daß Mr. Fraser
der Neffe von Mrs. Cameron auf River Run ist«, sagte er
liebenswürdig. »Hat man mich da richtig informiert, Mrs.
Fraser?«
Vetter Edwin, der zweifellos die Informationsquelle
war, bestrich emsig ein Brötchen mit Butter. Vetter Edwin sah gar
nicht wie ein Sekretär aus. Er war ein großer, einnehmender junger
Mann mit einem Paar lebhafter brauner Augen - von denen mir jetzt
eines andeutungsweise zuzwinkerte.
Der Baron, den Zeitungen genauso langweilten wie
Steuern, wurde lebendig, als er den Namen Cameron hörte.
»River Run?« sagte er. »Ihr habt Beziehungen zu
Mrs. Jocasta Cameron?«
»Sie ist die Tante meines Mannes«, antwortete ich.
»Kennt Ihr sie?«
»O ja! Eine bezaubernde Frau, höchst bezaubernd.«
Ein breites Lächeln hob die Hängebacken des Barons. »Ich bin schon
seit vielen Jahren ein guter Freund von Mrs. Cameron und war auch
ein Freund ihres leider verstorbenen Gatten.«
Der Baron begann eine begeisterte Aufzählung der
Freuden von River Run, und ich benutzte diesen Monolog, um mir ein
kleines Stück Fischpastete reichen zu lassen, die nicht nur mit
Fisch, sondern auch mit Austern und Shrimps in einer Sahnesauce
gefüllt war. Mr. Lillington hatte offensichtlich weder Kosten noch
Mühen gescheut, um den Gouverneur zu beeindrucken.
Als ich mich zurücklehnte, damit der Lakai noch
etwas Sauce auf meinen Teller schöpfen konnte, sah ich, daß Judith
Wylie mich voll unverhüllter Abneigung beäugte. Ich lächelte ihr
liebenswürdig zu, wobei ich meine exzellenten Zähne entblößte, dann
wandte ich mich mit neuem Selbstbewußtsein wieder dem Baron
zu.
In Edwins Quartier hatte es keinen Spiegel gegeben.
Zwar hatte Jamie mir versichert, daß ich gut aussah, doch seine
Maßstäbe waren andere als die der Mode. Bei Tisch hatten die Herren
nicht mit Komplimenten gegeizt, das stimmte, doch das konnte auch
ganz normale Höflichkeit sein - die Herren der Oberschicht neigten
zu übertriebener Galanterie.
Doch Miss Wylie war fünfundzwanzig Jahre jünger als
ich, sie trug modische Kleider und Schmuck, und wenn sie auch keine
große
Schönheit war, so war sie doch auch nicht unansehnlich. Ihre
Eifersucht reflektierte meine Erscheinung besser als jeder Spiegel,
dachte ich.
»Was für ein schöner Stein, Mrs. Fraser - erlaubt
Ihr mir, ihn genauer anzusehen?« Der Baron beugte sich zu mir
herüber, und seine Wurstfinger schwebten gefährlich dicht über
meinem Ausschnitt.
»Oh, aber sicher«, sagte ich hastig, öffnete
schnell den Verschluß der Kette und ließ den Rubin in seine breite,
feuchte Hand fallen. Der Baron machte ein etwas enttäuschtes
Gesicht darüber, daß es ihm nicht vergönnt war, den Stein in
situ zu begutachten, doch er hob die Hand und blinzelte den
funkelnden Tropfen mit der Miene eines Kenners an - der er
offensichtlich war, denn er griff in seine Westentasche und zog
eine kleine Vorrichtung heraus, die sich als Kombination optischer
Linsen erwies und sowohl ein Vergrößerungsglas als auch eine
Juwelierlupe enthielt.
Ich entspannte mich bei diesem Anblick und ließ mir
eine Portion von einem heißen, herzhaft duftenden Gericht geben,
das der Butler in einer Glasschüssel umhertrug. Was dachten sich
die Leute nur dabei, heißes Essen zu servieren, wo die
Raumtemperatur mindestens fünfunddreißig Grad betrug?
»Schön«, murmelte der Baron und drehte den Stein
sanft in seiner Hand. »Sehr schön.«
Es gab nicht viele Dinge, bei denen ich Geillis
Duncan vertraut hätte, aber ich war mir sicher, daß sie einen
untrüglichen Geschmack für Edelsteine gehabt hatte. »Es muß ein
erstklassiger Stein sein«, hatte sie zu mir gesagt, als sie mir
ihre Theorie der Zeitreise mit Hilfe von Edelsteinen erklärte.
»Groß und völlig makellos.«
Der Rubin war groß, das stimmte; er hatte fast die
Größe der eingelegten Wachteleier, die den vollständig gefiederten
Fasan auf der Anrichte umrahmten. Und was seine Makellosigkeit
anging, so hatte ich keinerlei Zweifel. Geillis hatte darauf
vertraut, daß dieser Stein sie in die Zukunft tragen würde, da
würde er uns wohl bis Cross Creek bringen. Ich kostete das Gericht
auf meinem Teller; eine Art Ragout, dachte ich, sehr zart und
aromatisch.
»Wie köstlich das ist«, sagte ich zu Mr. Stanhope
und nahm noch eine Gabel. »Wißt Ihr, was das ist?«
»Oh, das ist eins meiner Lieblingsgerichte, Ma’am«,
sagte er und roch selig an seinem Teller. »Eingelegter
Schweinskopf. Himmlisch, nicht wahr?«
Ich schloß die Tür von Vetter Edwins Zimmer hinter
mir und lehnte mich dagegen, während ich vor Erleichterung darüber,
nicht mehr ständig lächeln zu müssen, meine Kinnlade herunterfallen
ließ. Jetzt konnte ich das Kleid ausziehen, das mir am Körper
klebte, das enge Mieder aufschnüren und aus den verschwitzten
Schuhen schlüpfen.
Friede, Einsamkeit, Nacktheit und Stille. Ich
konnte mir im Augenblick nicht vorstellen, was mir sonst noch zum
vollkommenen Glück fehlen sollte, vielleicht mit Ausnahme von
frischer Luft. Ich zog mich aus und ging, nur mit meinem Hemd
bekleidet, zum Fenster.
Draußen war die Luft so dick, daß ich das Gefühl
hatte, ich hätte aus dem Fenster steigen und heruntersinken können
wie ein Kiesel in einem Glas Melasse. Insekten stürzten sich
lichthungrig und blutrünstig auf meine Kerzenflamme. Ich blies sie
aus, setzte mich im Dunkeln auf die Fensterbank und ließ mich von
der sanften, warmen Luft einhüllen.
Der Rubin hing immer noch um meinen Hals, schwarz
wie ein Blutstropfen auf meiner Haut. Ich berührte ihn und ließ ihn
sanft zwischen meinen Brüsten schwingen; der Stein war auch so warm
wie mein Blut.
Draußen machten sich die Gäste auf den Heimweg. In
der Auffahrt warteten eine Reihe Kutschen. Abschiedsgrüße,
Unterhaltungen und leises Gelächter trieben in Fetzen zu mir
herauf.
»…sehr geistreich, fand ich«, hörte ich Phillip
Wylies gepflegten Singsang.
»Oh, geistreich, natürlich war das
geistreich!« Die schrille Stimme seiner Schwester besagte
deutlich, was sie von Esprit hielt.
»Nun, man kann es tolerieren, wenn eine Frau
geistreich ist, meine Liebe, solange sie auch hübsch anzusehen ist.
Ebenso kann eine schöne Frau vielleicht auf Klugheit verzichten,
solange sie die Geistesgegenwart besitzt, diesen Mangel zu
verbergen, indem sie den Mund hält.«
Man konnte Miss Wylie vielleicht nicht des Esprits
bezichtigen, doch sie hatte sicherlich genug Verstand, um diesen
Seitenhieb zu verstehen. Sie schnaubte wenig damenhaft.
»Sie ist mindestens tausend Jahre alt«, antwortete
sie. »Hübsch anzusehen, lieber Himmel. Aber ich muß zugeben, daß
sie einen hübschen Edelstein um den Hals hatte«, fügte sie neidisch
hinzu.
»Das ist wahr«, sagte eine tiefere Stimme, die ich
als diejenige Lloyd Stanhopes erkannte. »Obwohl es meiner Meinung
nach die Fassung war, die bemerkenswert war, nicht der
Stein.«
»Fassung?« Miss Wylie klang verständnislos. »Es gab
keine Fassung, der Stein lag einfach nur in ihrem
Ausschnitt.«
»Wirklich?« sagte Stanhope höflich. »Das war mir
gar nicht aufgefallen.« Wylie brach in Gelächter aus und hielt
abrupt inne, als sich die Tür öffnete und weitere Gäste
herauskamen.
»Tja, mein Guter, vielleicht ist es Euch nicht
aufgefallen, anderen aber schon«, sagte er verschmitzt. »Kommt,
hier ist der Wagen.«
Ich berührte den Rubin erneut und sah zu, wie die
prachtvollen Grauschimmel der Wylies davontrabten. Ja, andere
hatten es auch bemerkt. Ich konnte immer noch den Blick des Barons
in meinem Ausschnitt spüren, voll unverhohlener Gier. Ich hatte den
Eindruck, daß er nicht nur ein Kenner von Edelsteinen war.
Der Stein lag warm in meiner Hand, er fühlte sich
noch wärmer an als meine Haut, doch das mußte Einbildung sein. Ich
trug normalerweise keinen Schmuck außer meinen Eheringen; ich hatte
mir nie viel daraus gemacht. Es würde eine große Erleichterung
bedeuten, wenigstens einen Teil unseres gefährlichen Schatzes
loszuwerden. Und doch saß ich da und wog den Stein in meiner Hand,
bis ich beinahe das Gefühl hatte, ich könnte ihn wie ein kleines
Herz spüren, im Takt mit meinem Puls.
Es war nur noch eine Kutsche da, deren Fahrer vorn
bei den Pferden stand. Vielleicht zwanzig Minuten später trat ihr
Besitzer nach draußen und fügte seinen Abschiedsgrüßen auf Deutsch
ein gutgelauntes »Gute Nacht« hinzu, als er in den Wagen stieg. Der
Baron. Er hatte bis zum Schluß gewartet und fuhr nun in guter
Stimmung heim; das mußte ein gutes Zeichen sein.
Einer der Lakaien, jetzt ohne den Rock seiner
Livree, löschte die Fackeln an der Einfahrt. Ich sah sein Hemd als
bleichen Fleck, als er im Dunkeln zum Haus zurückging, dann einen
hellen Lichtschein, als sich eine Tür öffnete, um ihn einzulassen.
Danach wurde es dunkel, und die Stille der Nacht senkte sich auf
das Anwesen.
Ich war davon ausgegangen, daß Jamie sofort
hochkommen würde, doch die Minuten verstrichen, ohne daß seine
Schritte erklangen. Ich blickte zum Bett, verspürte aber kein
Bedürfnis, mich hinzulegen.
Schließlich stand ich auf und zog mir das Kleid
wieder über, ohne mir jedoch den Umstand mit Schuhen oder Strümpfen
zu machen. Ich verließ das Zimmer und ging leise auf nackten Füßen
über den Flur, die Treppe hinunter, durch die Pergola zum Haupthaus
und durch den Nebeneingang hinein. Bis auf die bleichen Quadrate,
die das Mondlicht auf den Boden malte, war es dunkel; die meisten
Bediensteten hatten sich wohl gleichzeitig mit den Hausherren und
Gästen zurückgezogen. Doch durch das Treppengeländer fiel ein
Lichtschein; die Kerzenleuchter im Speisezimmer brannten
noch.
Als ich auf Zehenspitzen an der gebohnerten Treppe
vorbeihuschte, hörte ich das Gemurmel von Männerstimmen; Jamies
tiefes, weiches Schottisch wechselte mit dem englischen Tonfall des
Gouverneurs im intimen Rhythmus des Zwiegesprächs.
Die Kerzen waren in den Haltern heruntergebrannt.
Der Geruch von Bienenwachs hing süß in der Luft, und schwere,
duftende Zigarrenrauchwolken schwebten vor der Tür des
Speisezimmers.
Ich bewegte mich geräuschlos und blieb neben der
Tür stehen. Von diesem Punkt aus konnte ich den Gouverneur sehen.
Er drehte mir den Rücken zu und reckte den Kopf, um sich eine neue
Zigarre an der Kerze auf dem Tisch anzuzünden.
Falls Jamie mich sah, war es ihm nicht anzumerken.
Sein Gesicht trug den üblichen Ausdruck ruhiger Freundlichkeit. Die
jüngsten Falten der Anspannung um Augen und Mund hatten sich
geglättet, und ich konnte an der Haltung seiner Schultern sehen,
daß er entspannt und zufrieden war. Mir wurde augenblicklich
leichter ums Herz - er hatte also Erfolg gehabt.
»Ein Gut, das River Run heißt«, sagte er zum
Gouverneur. »Oben in den Hügeln hinter Cross Creek.«
»Ich kenne es«, bemerkte Gouverneur Tryon etwas
überrascht. »Meine Frau und ich haben letztes Jahr einige Tage in
Cross Creek verbracht; wir haben anläßlich meiner Amtsübernahme
eine Rundreise durch die Kolonie gemacht. River Run liegt ein gutes
Stück in den Bergen, nicht in der Stadt - eigentlich wohl fast im
Gebirge, glaube ich.«
Jamie lächelte und nippte an seinem Brandy.
»Aye«, sagte er, »meine Familie kommt aus den
Highlands, Sir, da werden wir uns wie daheim fühlen.«
»So, so.« Ein kleines Rauchwölkchen stieg über der
Schulter des Gouverneurs auf. Dann nahm er die Zigarre aus dem Mund
und beugte sich vertraulich zu Jamie hinüber.
»Da wir unter uns sind, Mr. Fraser - ich wollte
Euch noch eine andere Angelegenheit vortragen. Nehmt Ihr noch ein
Glas?« Ohne die Antwort abzuwarten, hob er die Karaffe und schenkte
Brandy nach.
»Ich danke Euch, Sir.«
Der Gouverneur zog einen Moment lang kräftig an
seiner Zigarre und erzeugte blaue Rauchwolken. Als sein Kraut gut
brannte, lehnte er sich zurück, und die Zigarre qualmte vergessen
in seiner Hand.
»Der junge Edwin sagt mir, daß Ihr erst kürzlich in
die Kolonien gekommen seid. Seid Ihr mit den hiesigen Gegebenheiten
vertraut?«
Jamie zuckte leicht mit den Achseln.
»Ich habe mich bemüht, so viel wie möglich in
Erfahrung zu bringen, Sir«, antwortete er. »Welche Gegebenheiten
meint Ihr?«
»North Carolina ist ein sehr fruchtbares Land«,
antwortete der Gouverneur, »und doch hat es noch nicht denselben
Wohlstand erreicht wie seine Nachbarn - was vor allem darauf
zurückzuführen ist, daß es uns an Arbeitskräften mangelt, so daß
wir die Möglichkeiten, die sich hier bieten, nicht nutzen können.
Wie Ihr wißt, haben wir keinen bedeutenden Seehafen; daher müssen
Sklaven unter großem Aufwand auf dem Landweg aus South Carolina
oder Virginia hergebracht werden - und hier gibt es längst nicht so
viele Zwangsarbeiter wie in Boston oder Philadelphia.
Genau wie die Krone betreibe ich schon seit langem
die Politik, intelligente, fleißige und gottesfürchtige Familien zu
ermuntern, sich in der Kolonie North Carolina anzusiedeln, im
Interesse der Sicherheit und des Wohlstandes aller.« Er hob die
Zigarre, nahm einen tiefen Zug, atmete langsam aus und
hustete.
»Zu diesem Zweck, Sir, haben wir bei der
Landvergabe ein System eingeführt, wonach ein vermögender Mann eine
größere Landfläche zur Verfügung erhält und nun seinerseits eine
Anzahl Emigranten dazu anregt, sich mit seiner Unterstützung auf
einer Parzelle dieses Landes anzusiedeln. Diese Politik ist seit
dreißig Jahren überaus erfolgreich; wir konnten viele Highlander
und Familien von den Inseln dafür gewinnen, hierherzukommen und
sich niederzulassen. Bei meiner Ankunft war ich geradezu erstaunt,
wie viele MacNeills, Buchanans, Grahams und Campbells an den Ufern
des Cape Fear leben!«
Der Gouverneur zog noch einmal an seiner Zigarre,
diesmal aber nur kurz, denn nun wollte er auf den Punkt
kommen.
»Dennoch gibt es im Landesinneren und in den Bergen
große Flächen gutes Land, das noch unbesiedelt ist. Es ist etwas
abgelegen, und doch, wie Ihr sagt, für Männer, die mit den Weiten
der schottischen Highlands vertraut sind -«
»Ich habe von diesen Landvergaben gehört, Sir«,
unterbrach Jamie ihn. »Aber sind die Bedingungen nicht so
formuliert, daß die Begünstigten weiß, männlichen Geschlechts,
Protestanten und über dreißig Jahre alt sein müssen? Und daß diese
Formulierung den Status eines Gesetzes hat?«
»Ja, so steht es geschrieben.« Mr. Tryon drehte
sich, so daß ich ihn jetzt von der Seite sah, während er die
Zigarrenasche in eine kleine Porzellanschale klopfte. Sein
hochgezogener Mundwinkel verriet
seine Vorfreude; das Gesicht eines Anglers, der das erste Zucken
an der Schnur spürt.
»Das Angebot ist von beträchtlichem Interesse für
mich«, sagte Jamie förmlich. »Ich muß Euch allerdings darauf
hinweisen, daß ich kein Protestant bin und die meisten meiner
Verwandten auch nicht.«
Der Gouverneur spitzte abwehrend die Lippen und zog
eine Augenbraue hoch.
»Ihr seid weder Jude noch Neger. Ich kann doch hier
von Mann zu Mann sprechen, oder? In aller Offenheit, Mr. Fraser, es
gibt das Gesetz, und dann gibt es die Realität.« Er hob sein Glas
mit einem leisen Lächeln. »Und ich bin überzeugt, daß Ihr das
genausogut wißt wie ich.«
»Möglicherweise sogar besser«, murmelte Jamie mit
einem höflichen Lächeln.
Der Gouverneur warf ihm einen scharfen Blick zu,
stieß dann aber ein kurzes Lachen aus. Er hob zustimmend sein Glas
und nippte daran.
»Wir verstehen uns, Mr. Fraser«, sagte er und
nickte zufrieden. Jamie neigte den Kopf um ein paar
Millimeter.
»Dann gäbe es also keine Schwierigkeiten, was die
persönlichen Qualifikationen der Siedler betrifft, die
möglicherweise auf Euer Angebot eingehen möchten?«
»Überhaupt keine«, sagte der Gouverneur und stellte
mit einem dumpfen Geräusch das Glas ab. »Solange gewährleistet ist,
daß es sich um kräftige Leute handelt, die das Land bestellen
können, habe ich keine weiteren Wünsche. Und was ich nicht weiß,
das macht mich auch nicht heiß, was?«
Fragend hob er die schmalen Augenbrauen.
Jamie drehte das Glas in seinen Händen, als
bewunderte er die dunkle Farbe der Flüssigkeit.
»Nicht alle, die den Aufstand der Stuarts überlebt
haben, hatten so viel Glück wie ich, Eure Exzellenz«, sagte er.
»Mein angenommener Sohn hat eine Hand verloren; ein anderer meiner
Begleiter hat nur einen Arm. Doch sie sind beide arbeitsame Männer
von gutem Charakter. Ich kann nicht guten Gewissens einen Vorschlag
akzeptieren, der sie ausschließt.«
Der Gouverneur tat dies mit einer ausladenden
Handbewegung ab.
»Wenn sie selbst für ihr tägliches Brot sorgen
können und sich nicht als Belastung für die Gemeinschaft erweisen,
sind sie herzlich willkommen.« Dann richtete er sich auf, als
fürchtete er, er sei in seiner Großzügigkeit zu weit gegangen. Er
legte die Zigarre am Rand des Schälchens ab und ließ sie
weiterqualmen.
»Da Ihr die Jakobiten erwähnt - diese Männer werden
einen Eid auf die Krone schwören müssen, wenn sie das noch nicht
getan haben. Wenn ich das fragen darf, Sir, da Ihr andeutet, daß
Ihr Papist seid… Ihr selbst…«
Es war möglich, daß Jamies Augen sich nur wegen des
Qualms verengten, aber ich glaubte es nicht. Gouverneur Tryon
glaubte es auch nicht, denn auch wenn er erst in den Dreißigern
war, war er kein schlechter Menschenkenner. Er wandte sich wieder
zum Tisch, so daß ich nur seinen Rücken sah, aber ich konnte
erkennen, daß er Jamie intensiv ansah, als folgte sein Blick den
geschmeidigen Bewegungen der Forelle unter Wasser.
»Ich will Euch nicht an vergangene Erniedrigungen
erinnern«, sagte er still. »Oder Euch jetzt in Eurer Ehre
verletzen. Dennoch werdet Ihr verstehen, daß es meine Pflicht ist
zu fragen.«
Jamies lächelte ohne eine Spur von Humor.
»Und meine zu antworten, nehme ich an«, sagte er.
»Ja, ich bin ein begnadigter Jakobit. Und aye, ich habe den Eid
geschworen - wie alle anderen, die diesen Preis für ihr Leben
gezahlt haben.«
Ziemlich abrupt stellte er sein immer noch volles
Glas ab und schob den schweren Stuhl zurück. Er stand auf und
verneigte sich vor dem Gouverneur.
»Es ist spät, Eure Exzellenz. Erlaubt, daß ich mich
zurückziehe.«
Der Gouverneur lehnte sich in seinem Stuhl zurück
und führte die Zigarre an seine Lippen. Mit einem festen Zug ließ
er die Spitze hell aufglühen, während er zu Jamie aufblickte. Dann
nickte er und ließ ein kleines Rauchwölkchen von seinen gespitzten
Lippen aufsteigen.
»Gute Nacht, Mr. Fraser. Denkt über mein Angebot
nach - werdet Ihr das tun?«
Ich wartete die Antwort nicht ab - es war auch
nicht nötig. Mit wehenden Röcken huschte ich durch den Flur und
weckte dabei einen Lakaien, der in einer dunklen Ecke vor sich hin
döste.
Ich erreichte unser Gästezimmer in den Stallungen,
ohne unterwegs noch jemandem zu begegnen, und ließ mich dort auf
einen Stuhl fallen. Das Herz schlug mir bis zum Hals; nicht nur vom
überstürzten Treppensteigen, sondern auch wegen der Dinge, die ich
gehört hatte.
Jamie würde das Angebot des Gouverneurs mit
Sicherheit überdenken. Und was für ein Angebot! Auf einen Schlag
alles wiederzugewinnen, was er in Schottland verloren hatte - und
mehr.
Jamie war nicht als Gutsherr geboren, doch nach dem
Tod seines älteren Bruders war Lallybroch zu seinem Erbe geworden,
und man hatte ihn seit seinem achten Lebensjahr darauf vorbereitet,
die Verantwortung
für das Gut zu übernehmen, für das Wohlergehen von Land und
Pächtern zu sorgen und dieses Wohlergehen über sein eigenes zu
stellen. Doch dann war Charles Stuart gekommen und sein
Wahnsinnsmarsch zum Ruhm; ein feuriges Kreuz, das seine Anhänger in
die Vernichtung führte.
Jamie hatte nie mit Bitterkeit von den Stuarts
gesprochen, hatte überhaupt nie von Charles Stuart gesprochen. Er
hatte auch kaum je ein Wort darüber verloren, was dieses
Unterfangen ihn persönlich gekostet hatte.
Doch jetzt… das alles zurückzubekommen. Neues Land,
fruchtbar und voller Wild, besiedelt mit Familien unter seiner
Führung und seinem Schutz. Es war wie im Buch Hiob, dachte ich -
all diese Söhne und Töchter und Kamele und Häuser, so beiläufig
vernichtet und dann mit solch verschwenderischer Großzügigkeit
wieder ersetzt.
Ich hatte diese Bibelstelle schon immer dubios
gefunden. Ein Kamel mochte vielleicht wie das andere sein, aber bei
Kindern schien mir die Sache doch anders zu liegen. Vielleicht kam
es Hiob ja wie ausgleichende Gerechtigkeit vor, daß man ihm die
Kinder ersetzte, doch ich hatte den Verdacht, daß die Mutter der
toten Kinder vielleicht anderer Meinung gewesen war.
Da ich nicht stillsitzen konnte, ging ich wieder
zum Fenster und sah blicklos in den Garten hinaus.
Es war nicht einfach nur Aufregung, die mein Herz
zum Rasen und meine Hände zum Schwitzen brachte; es war Angst. So,
wie die Dinge in Schottland standen - wie sie seit dem Aufstand
gestanden hatten - würde es nicht schwierig sein,
Emigrationswillige zu finden.
Ich hatte auf den Westindischen Inseln und in
Georgia Schiffe anlegen und ihre Emigrantenfracht ausspeien sehen,
so ausgemergelt und überanstrengt von der Überfahrt, daß sie mich
an die Opfer von Konzentrationslagern erinnerten - klapprig wie
lebende Leichen nach zwei Monaten unter Deck.
Obwohl die Reise teuer und beschwerlich war, obwohl
es schmerzte, sich für immer von Freunden, Familie und Heimat zu
trennen, riß der Einwandererstrom nicht ab. Zu Hunderten und
Tausenden trugen sie ihre Kinder - wenn sie die Reise überlebten -
und ihre Besitztümer in kleinen, zerlumpten Bündeln an Land. Sie
flohen vor Armut und Hoffnungslosigkeit und strebten nicht nach
Reichtum, sondern hofften nur, irgendwo im Leben Fuß fassen zu
können. Hofften auf eine Chance.
Ich hatte im vergangenen Winter nicht viel Zeit auf
Lallybroch verbracht, doch ich wußte, daß einige der Pächter nur
durch die Großzügigkeit
Ians und des jungen Jamie überlebten, da ihre eigenen Parzellen
nicht genug zum Leben hergaben. Diese Großzügigkeit wurde ihnen
zwar ohne Zögern gewährt, doch sie war nicht unerschöpflich; ich
wußte, daß die mageren Ressourcen des Gutes oft bis an die Grenzen
des Machbaren gestreckt wurden.
Neben Lallybroch gab es noch die Schmuggler, die
Jamie aus Edinburgh kannte, und die illegalen Whiskybrenner in den
Highlands - eine ganze Anzahl von Männern, die in die
Gesetzlosigkeit gedrängt worden waren, um ihre Familien zu
ernähren. Nein, Emigrationswillige zu finden würde für Jamie kein
Problem sein.
Das Problem war, daß er nach Schottland reisen
mußte, um die passenden Männer zu rekrutieren. Und vor meinem
inneren Auge sah ich einen Grabstein aus Granit in einem
schottischen Friedhof, auf einem Hügel hoch über den Mooren und der
See.
JAMES ALEXANDER MALCOLM MACKENZIE FRASER stand
darauf, und darunter war mein eigener Name eingemeißelt -
Verbunden mit Claire über den Tod hinaus.
Ich würde ihn in Schottland begraben. Doch auf dem
Stein hatte kein Datum gestanden, als ich dort gewesen war, heute
in zweihundert Jahren; kein Hinweis darauf, wann der Schlag fallen
würde.
»Noch nicht«, flüsterte ich und krallte die Hände
in meinen seidenen Unterrock. »Ich habe ihn doch nur so kurz gehabt
- o Gott, bitte noch nicht!«
Wie zur Antwort ging die Tür auf, und James
Alexander Malcolm MacKenzie Fraser trat ein, eine Kerze in der
Hand.
»Du bist sehr leichtfüßig, Sassenach. Ich sehe
schon, daß ich dir eines Tages doch beibringen muß, wie man jagt.
Wo du dich so gut anschleichen kannst.«
Ich entschuldigte mich nicht dafür, daß ich
gelauscht hatte, sondern trat zu ihm, um ihm bei seinen
Westenknöpfen zu helfen. Trotz der späten Stunde und des Weinbrands
war sein Blick klar und wach und sein Körper reagierte sofort, als
ich ihn berührte.
»Mach besser die Kerze aus«, sagte ich. »Die Mücken
werden dich bei lebendigem Leib verspeisen.« Zur Demonstration
zerdrückte ich einen Moskito auf seinem Hals und zerrieb den zarten
Körper zwischen meinen Fingern zu einer Blutspur.
Ich nahm nicht nur den Geruch von Brandy und
Zigarrenrauch an ihm wahr, sondern auch den Duft der Nacht und
einen würzigen Hauch von Nicotiana; also war er zwischen den Blumen
im Garten spazierengegangen. Das tat er gern, wenn er beunruhigt
oder aufgeregt war - und beunruhigt schien er nicht zu sein.
Er seufzte und spannte die Schultermuskeln an, als
ich ihm den Rock abnahm. Sein Hemd darunter war schweißnaß, und er
lüpfte es mit einem Laut unterdrückten Abscheus.
»Ich verstehe nicht, wie die Leute sich in dieser
Hitze so anziehen können. Dagegen kommen einem die Wilden mit ihrem
Lendenschurz geradezu vernünftig vor.«
»Es wäre auch sehr viel billiger«, stimmte ich ihm
zu, »wenn auch ästhetisch nicht so ansprechend. Stell dir bloß mal
Baron Penzler mit einem Lendenschutz vor.« Der Baron wog etwa
hundertzwanzig Kilo und hatte eine teigige Haut.
Er lachte. Es klang gedämpft, weil er sich gerade
das Hemd über den Kopf zog.
»Du dagegen…« Ich setzte mich auf die Fensterbank
und bewunderte den Anblick, den er bot, als er seine Kniehosen
auszog und sich auf ein Bein stellte, um seinen Strumpf
herunterzurollen.
Ohne das Kerzenlicht war es dunkel im Zimmer, doch
meine Augen hatten sich daran gewöhnt, und ich konnte ihn immer
noch erkennen. Seine langen Gliedmaßen leuchteten blaß in der
samtigen Nacht.
»Wo wir gerade vom Baron sprechen…«, bohrte
ich.
»Dreihundert Pfund Sterling«, antwortete er und
klang extrem zufrieden. Er richtete sich auf und warf die
aufgerollten Strümpfe auf einen Hocker. Dann bückte er sich und
küßte mich. »Was ich größtenteils dir verdanke, Sassenach.«
»Weil ich so eine dekorative Fassung abgegeben
habe?« fragte ich trocken und dachte an die Unterhaltung der
Wylies.
»Nein«, sagte er kurz angebunden. »Weil du Wylie
und seine Freunde beim Essen beschäftigt hast, während ich mich mit
dem Gouverneur unterhalten habe. Dekorative Fassung… Pah! Stanhope
hat fast seine Augäpfel in deinen Ausschnitt kullern lassen, der
widerliche Lüstling; ich hätte ihn dafür fordern mögen, aber
-«
»Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste«, sagte
ich, stand auf und erwiderte den Kuß. »Nicht, daß mir je ein
Schotte begegnet wäre, der dieser Ansicht war.«
»Aye, nun ja, da war mein Großvater, der alte
Simon. Man könnte wohl sagen, daß ihn die Vorsicht am Ende erledigt
hat.« Ich hörte das Lächeln und die Schärfe in seiner Stimme. Er
sprach zwar nur selten von den Jakobiten und dem Aufstand, doch das
bedeutete nicht, daß er sie vergessen hatte und seine Unterredung
mit dem Gourverneur heute nacht hatte sie ihm offensichtlich ins
Bewußtsein gerufen.
»Ich würde nicht sagen, daß Vorsicht und Verrat
dasselbe sind.
Und dein Großvater hatte es seit mindestens fünfzig Jahren
verdient«, antwortete ich schnippisch. Simon Fraser, Lord Lovat,
war auf dem Towe Hill enthauptet worden - im Alter von
achtundsiebzig Jahren, nach einem Leben voll unglaublicher
Machenschaften im Privatleben wie auch in der Politik. Trotzdem
bedauerte ich es, daß der alte Haudegen tot war.
»Mmpf.« Jamie widersprach mir nicht, sondern trat
zu mir ans Fenster. Er atmete tief ein, als kostete er das schwere
Parfüm der Nacht.
Im gedämpften Licht der Sterne sah ich sein Gesicht
ganz deutlich. Es war ruhig und ausdruckslos, doch sein Blick war
nach innen gerichtet, als sähen seine Augen nicht das, was vor
ihnen lag, sondern etwas völlig anderes. Die Vergangenheit? fragte
ich mich. Oder die Zukunft?
»Wie lautete er?« fragte ich plötzlich. »Der Eid,
den du geschworen hast.«
Ich spürte die Bewegung seiner Schultern mehr, als
daß ich sie sah. Es war nicht direkt ein Achselzucken.
»›Ich, James Alexander Malcolm MacKenzie Fraser,
schwöre, so wahr ich mich am Tag des Jüngsten Gerichtes vor Gott
rechtfertigen muß, daß sich in meinem Besitz weder Gewehr noch
Schwert noch Pistole noch eine andere Waffe befindet und ich auch
keine erwerben oder beschaffen werde, daß ich niemals Tartanmuster,
Plaid oder irgendeinen Teil der Highlandtracht anlegen werde;
andernfalls mögen all meine Unternehmungen, meine Familie und meine
Besitztümer verflucht sein‹.« Er holte tief Atem und sprach
deutlich weiter.
»›Möge ich Frau und Kinder, Vater, Mutter und
Verwandte niemals wiedersehen. Möge ich in der Schlacht als
Feigling sterben und ohne christliches Begräbnis in einem fremden
Land ruhen, fern von den Gräbern meiner Vorfahren und meiner Sippe;
möge all dies mich ereilen, wenn ich meinen Eid breche‹.«
»Und war es schlimm für dich?« fragte ich einen
Augenblick später.
»Nein«, sagte er leise und blickte weiter in die
Nacht hinaus. »Damals nicht. Es gibt Dinge, für die es sich zu
sterben oder zu hungern lohnt - aber Worte gehören nicht
dazu.«
»Vielleicht nicht diese Worte.«
Er wandte sich mir zu; seine Gesichtszüge
verschwammen im Sternenschein, doch in seinem Mundwinkel erschien
die Spur eines Lächelns.
»Kennst du denn Worte, die es wert wären?«
Der Grabstein trug seinen Namen, aber kein Datum.
Ich konnte
ihn bestimmt davon abhalten, nach Schottland zurückzukehren. Wenn
ich es wollte.
Ich sah ihn an und lehnte mich an den
Fensterrahmen.
»Was ist mit - ›Ich liebe dich‹?«
Er streckte die Hand aus und berührte mein Gesicht.
Ein Lufthauch strich an uns vorbei, und ich sah, wie sich die
Härchen an seinem Arm aufrichteten.
»Aye«, flüsterte er. »Die schon.«
Irgendwo in der Nähe sang ein Vogel. Ein paar
klare Töne, denen eine Antwort folgte, ein kurzes Zwitschern und
dann Stille. Der Himmel draußen war immer noch tiefschwarz, doch
die Sterne leuchteten nicht mehr so hell wie zuvor.
Ich drehte mich unruhig um. Ich war nackt, nur mit
einem Leinenlaken zugedeckt, doch selbst in den frühen
Morgenstunden war die Luft noch warm und erdrückend, und die flache
Mulde, in der ich lag, war feucht.
Ich hatte versucht zu schlafen und konnte es nicht.
Normalerweise versetzte es mich in wohlige Benommenheit, wenn ich
mit Jamie schlief, doch diesmal hatte es meine Unruhe nur
vergrößert, und ich fühlte mich klebrig. Aufgeregt und besorgt
zugleich über unsere Zukunftsaussichten - und unfähig, mit ihm
darüber zu reden -, hatte ich mich von Jamie getrennt gefühlt;
entfremdet und distanziert, obwohl unsere Körper nah beieinander
lagen.
Ich drehte mich wieder um, diesmal zu Jamie. Er lag
da wie immer, auf dem Rücken, das Laken um die Hüften geknüllt, die
Hände sanft auf seinem flachen Bauch gefaltet. Sein Kopf lag
seitlich auf dem Kissen, und sein Gesicht war im Schlaf entspannt.
Jetzt, wo der Schlummer seinen breiten Mund sanfter aussehen ließ
und seine dunklen Wimpern auf seinen Wangen lagen, sah er in dem
gedämpften Licht aus, als wäre er vielleicht vierzehn.
Ich hätte ihn gern berührt, wußte aber nicht, ob
ich ihn liebkosen oder treten wollte. Er hatte mir zwar körperliche
Erleichterung verschafft, doch er hatte mir meinen Seelenfrieden
genommen, und irrationalerweise beneidete ich ihn um seinen
ungestörten Schlaf.
Ich überlegte es mir anders und legte mich einfach
nur auf den Rücken. Ich lag mit geschlossenen Augen da und zählte
grimmig Schafe - doch sie erwiesen sich als schottische Schafe, die
fröhlich über einen Kirchhof trabten und unbekümmert über
Grabsteine hüpften.
»Machst du dir über irgend etwas Sorgen,
Sassenach?« sagte eine schläfrige Stimme neben mir.
Ich schlug die Augen auf.
»Nein«, sagte ich und versuchte, genauso müde zu
klingen. »Mir geht’s gut.«
Ich hörte ein unterdrücktes Prusten, und die
spreugefüllte Matratze knisterte, als er sich umdrehte.
»Du bist eine furchtbar schlechte Lügnerin,
Sassenach. Du denkst so laut nach, daß ich dich von hier aus hören
kann.«
»Man kann niemanden denken hören.«
»Aye, ich kann es. Dich zumindest.« Er lachte leise
und streckte eine Hand aus, die sich träge auf meinen Oberschenkel
legte. »Was ist los - hast du Blähungen von den Krebsen?«
»Nein!« Ich versuchte, mein Bein wegzuziehen, doch
seine Hand hing wie eine Klette an mir.
»Das freut mich. Was ist es dann - ist dir endlich
die passende Antwort auf Wylies Bemerkungen über Austern
eingefallen?«
»Nein«, sagte ich irritiert. »Wenn du es wirklich
wissen willst: Ich habe an das Angebot gedacht, das Gouverneur
Tryon dir gemacht hat. Kannst du vielleicht mein Bein
loslassen?«
»Ah«, sagte er, ohne mich loszulassen, aber in
weniger schläfrigem Ton. »Also, darüber habe ich mir auch schon
Gedanken gemacht.«
»Und was denkst du darüber?« Ich gab den Versuch
auf, seine Hand abzuschütteln, und stützte mich auf den Ellbogen,
so daß ich ihn ansehen konnte. Draußen war es immer noch schwarz,
doch die Sterne waren sichtbar verblaßt, ausgelöscht vom
bevorstehenden Tagesanbruch.
»Zum einen habe ich mich gefragt, warum er es mir
gemacht hat.«
»Wirklich? Aber ich dachte, das hat er dir
gesagt.«
Er grunzte kurz.
»Na ja, er bietet mir das Land bestimmt nicht an,
weil ich so schöne blaue Augen habe, soviel kann ich dir sagen.« Er
öffnete die besagten Augen und zog die Augenbraue hoch. »Bevor ich
ein Geschäft mache, Sassenach, will ich über die Vor- und Nachteile
Bescheid wissen.«
»Du meinst, er sagt über die Landvergabe durch die
Krone nicht die Wahrheit? Aber er sagt, das wird schon seit dreißig
Jahren so gehandhabt«, protestierte ich. »Er kann doch bei so etwas
nicht lügen.«
»Nein, das ist wahr«, stimmte er zu. »Auf den
ersten Blick. Aber Bienen mit Honig im Rüssel haben hinten
Stacheln, aye?« Er kratzte sich am Kopf und strich sich seufzend
eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
»Frag dich noch mal folgendes, Sassenach«, sagte
er. »Warum ich?«
»Hm - weil er einen Mann von großer Autorität und
Zuverlässigkeit braucht«, sagte ich langsam. »Er braucht einen
geborenen Anführer, und Vetter Edwin hat ihm offensichtlich gesagt,
daß du einer bist, und einen einigermaßen reichen Mann -«
»Was ich nicht bin.«
»Das weiß er aber nicht«, wandte ich ein.
»Nein?« fragte er zynisch. »Vetter Edwin hat ihm
sicher alles erzählt, was er weiß - und der Gouverneur weiß genau,
daß ich Jakobit war. Sicher, einige haben nach dem Aufstand auf den
Westindischen Inseln ein Vermögen gemacht, und ich könnte natürlich
einer davon sein - aber er hat keinen Grund, das anzunehmen.«
»Er weiß, daß du nicht völlig mittellos
bist.«
»Wegen Penzler? Aye«, sagte er nachdenklich. »Was
weiß er sonst noch über mich?«
»Soviel ich weiß, nur das, was du ihm beim Essen
erzählt hast. Und er kann kaum viel von anderen über dich erfahren
haben; schließlich bist du gerade erst in der Stadt ange - was, du
meinst, das ist es?«
Meine Stimme schwoll ungläubig an, und er lächelte
etwas grimmig. Die Dämmerung war immer noch weit weg, doch sie
rückte näher, und seine Gesichtszüge waren jetzt klar
umrissen.
»Aye, das ist es. Ich habe Verbindungen zu den
Camerons, die nicht nur reich, sondern in der Kolonie auch
hochangesehen sind. Doch gleichzeitig bin ich auch neu hier und
habe kaum Verbindungen und bin noch niemandem verpflichtet.«
»Mit Ausnahme des Gouverneurs vielleicht, der dir
ein beträchtliches Stück Land anbietet«, sagte ich langsam.
Er antwortete nicht sofort, sondern rollte sich auf
den Rücken, hielt aber immer noch mein Bein fest. Sein Blick war
auf die weiße Stuckdecke mit ihren verschwommenen Girlanden und
geisterhaften Putten gerichtet.
»Ich bin schon früher dem einen oder anderen
Deutschen begegnet, Sassenach«, sagte er sinnierend. Sein Daumen
begann, über die empfindliche Innenseite meines Oberschenkels zu
streicheln. »Und ich kann nicht sagen, daß sie unvorsichtig mit
ihrem Geld umgegangen wären. Und du hast heute abend zwar
ausgesehen wie eine weiße Rose, aber ich glaube nicht, daß es
allein deine Reize waren, die den Herrn dazu bewegt haben, mir
hundert Pfund mehr als der Goldschmied zu bieten.«
Er sah mich an. »Tryon ist Soldat. Er weiß mit
Sicherheit, daß ich auch einer bin. Und dann gab es da vor zwei
Jahren diesen kleinen Zwischenfall mit den Regulatoren.«
Mein Verstand war so sehr von den Möglichkeiten
abgelenkt, die sich aus seinen Worten ergaben, daß ich mir der
zunehmenden Vertraulichkeiten der Hand zwischen meinen
Oberschenkeln kaum bewußt war.
»Mit wem?«
»Oh, das habe ich ganz vergessen; diesen Teil des
Gesprächs hast du wohl nicht mitbekommen, weil du ganz mit deinen
zahlreichen Bewunderern beschäftigt warst.«
Ich ließ ihm diese Bemerkung durchgehen, weil ich
wissen wollte, was es mit den Regulatoren auf sich hatte. Diese
schienen ein lockerer Zusammenschluß von Männern zu sein, die zum
Großteil aus dem rauhen Hinterland der Kolonie kamen und nicht mehr
länger hinnehmen wollten, was sie als kapriziöses und ungerechtes -
und dann und wann schlichtweg illegales - Verhalten der Vertreter
der Krone empfanden, also der Sheriffs, Richter, Steuereintreiber
und so weiter.
Da sie den Eindruck hatten, daß Gouverneur und
gewählte Versammlung ihre Beschwerden nicht ernst genug nahmen,
hatten sie die Angelegenheit selbst in die Hand genommen.
Hilfssheriffs waren überfallen worden, und aufgebrachte
Menschenmengen hatten Friedensrichter aus ihren Häusern gezerrt und
zum Rücktritt gezwungen.
Ein Komitee von Regulatoren hatte an den Gouverneur
geschrieben und ihn bedrängt, sich der Ungerechtigkeiten
anzunehmen, unter denen sie litten, und Tryon - ein Mann der Tat
und der Diplomatie - hatte ihnen eine besänftigende Antwort
geschickt. Er war sogar so weit gegangen, zwei der korruptesten
Sheriffs zu ersetzen und einen offiziellen Brief an die
Gerichtsoberen zustellen zu lassen, der sich mit der
Beschlagnahmung beweglichen Eigentums befaßte.
»Stanhope hat von einem Sicherheitskomitee
gesprochen«, sagte ich interessiert. »Das hörte sich aber nach
einer ziemlich neuen Einrichtung an.«
»Die Unruhen sind zwar im Moment eingedämmt, aber
nicht beigelegt«, sagte Jamie schulterzuckend. »Und feuchtes
Schießpulver mag zwar lange nur glimmen, Sassenach, doch wenn es
einmal Feuer fängt, geht es mit einem unheimlichen Knall
hoch.«
Würde Tryon es für eine gute Investition halten,
sich die Treue und Verpflichtung eines erfahrenen Soldaten zu
kaufen, der sich wiederum der Treue und der Dienste seiner Männer
versicherte und sich in einer abgelegenen und unruhigen Gegend der
Kolonie niederließ?
Mir kam es wie ein Bombengeschäft vor - den
Gouverneur kostete es ein paar hundert Pfund und ein paar mickrige
Morgen vom Land des Königs. Schließlich besaß Seine Majestät jede
Menge davon.
»Also erwägst du es ernsthaft?« Jetzt sahen wir
einander an, und meine Hand lag auf der seinen, nicht in
Zurückhaltung, sondern in Zustimmung.
Er lächelte lässig.
»Ich bin nicht so alt geworden, weil ich alles
geglaubt habe, was man mir erzählt, Sassenach. Vielleicht nehme ich
also das freundliche Angebot des Gouverneurs an, vielleicht auch
nicht - aber ich will eine ganze Menge mehr darüber erfahren, bevor
ich ja oder nein sage.«
»Na ja, es ist schon seltsam, daß er dir ein
solches Angebot macht, wo er dich doch gerade erst kennengelernt
hat.«
»Es würde mich wundern, wenn ich der einzige wäre,
an den er damit herangetreten ist«, sagte Jamie. »Und es ist
schließlich kein großes Risiko für ihn, oder? Du hast doch gehört,
wie ich ihm gesagt habe, daß ich Katholik bin. Er war nicht weiter
überrascht.«
»Stimmt. Er schien es aber nicht für ein Problem zu
halten.«
»O nein, das hat er nicht - es sei denn, der
Gouverneur beschließt, eins daraus zu machen.«
»Meine Güte.« Meine Einschätzung des Gouverneurs
änderte sich rapide, doch ich war mir nicht sicher, ob zum Besseren
oder nicht. »Wenn die Dinge also nicht so laufen, wie er sich das
vorstellt, braucht er nur verlauten zu lassen, daß du ein Katholik
bist, und das Gericht würde uns das Land mit dieser Begründung
wieder abnehmen. Andererseits, wenn er stillhält -«
»Und wenn ich tue, was er will, aye.«
»Er ist viel gewiefter als ich dachte«, sagte ich
nicht ohne Bewunderung. »Geradezu schottisch.«
Er lachte und strich sich das Haar aus dem
Gesicht.
Die langen Vorhänge am Fenster, die bis jetzt
schlaff heruntergehangen waren, blähten sich plötzlich auf und
ließen einen Luftzug herein, der nach sandigem Schlamm, Flußwasser
und einem schwachen Hauch von frischer Kiefer roch. Die Dämmerung
kam mit dem Wind.
Als wäre das ein Signal gewesen, krümmten sich
Jamies Finger, und ein leichter Schauder übertrug sich von ihm auf
mich, als die kühle Luft auf seinen nackten Rücken traf.
»Ich habe mir vorhin keine Ehre gemacht«, sagte er
leise. »Aber wenn du dir sicher bist, daß du im Augenblick nichts
auf dem Herzen hast…«
»Nichts«, sagte ich und sah zu, wie das Leuchten
von draußen den Umriß seines Kopfes und Halses in Gold tauchte.
Sein Mund war immer noch breit und sanft, aber er sah nicht länger
wie vierzehn aus.
»Vorerst nicht das geringste.«