78. Schreck

Der Ringstrom war weg, die Halle blutete einfach nur noch nach allen Seiten aus, so kam es mir vor, die Leute liefen raus aus der Halle und gleich zum nächsten Ausgang und an vielen Stellen saßen und lagen sie auch und schliefen und es stank nach Bier und Kotze und Red Bull und zwischen den Schlafenden suchten Leute nach Pfandbechern. Ich ging ein Stück durch die große Halle, in der waren die Ränge leer bis auf ein paar Leute, die hier und da zusammengesackt auf den Stühlen kauerten, aber ganz unten, im Innenraum, war noch was los, die verbliebenen Leute ballten sich vor der DJ-Kanzel und machten wacker weiter.

In der Magnetic-Lounge waren Sigi, Raimund, Ferdi, Shorty von Magnetic, Werner und Erwin. Erwin stand an einer Bierzapfanlage und die anderen um ihn herum. Ich stellte mich dazu.

»Hallo Jungs!«

»Na Charlie, alles in Ordnung bei dir?«, fragte Werner und hob mir zuprostend einen Bierbecher.

»Aber immer, Werner. Und bei dir?«

»Ich hab Urlaub, Charlie. Und bei der Supervision kam raus, dass ich mal lockerlassen soll.«

»Lockerlassen? Du? Was soll das denn bringen?«

»Ist besser für mich!«

»Mir geht’s nicht so gut«, sagte Ferdi.

»Wundert mich gar nicht«, sagte Werner.

»Mir geht’s echt nicht so gut«, sagte Ferdi. Er war blass und schwitzte und er hatte Panik in den Augen. »Ich glaube, ich kriege einen Herzinfarkt.«

»Ach du Scheiße«, sagte Raimund.

»Wie kommst du denn darauf?«, fragte Werner. Er stellte sich vor Ferdi und schaute ihn sich genau an.

»Mir geht’s schlecht, und ich kann auch den rechten Arm schlecht heben.«

»Wenn’s der rechte Arm ist, dann ist es kein Herzinfarkt«, sagte Raimund. »Wenn du den rechten Arm nicht heben kannst, ist das nicht schlimm!«

»Ich meine ja den linken«, sagte Ferdi. »Den linken Arm. Ich kann den linken Arm nicht richtig heben.« Er hob den linken Arm, aber nur auf halbe Höhe, dann ließ er ihn wieder fallen. »Und mir ist schlecht.«

»Ich hol mal Wasser«, sagte ich. Ich nahm einen Bierbecher und lief damit zum nächsten Spülbecken und füllte ihn mit Wasser. Als ich zu den anderen zurückkam, saß Ferdi auf einem Stuhl und alle standen um ihn herum und Werner sah ihn besorgt an, hob sein Augenlid, fühlte seinen Puls, nahm mir das Wasser ab, gab Ferdi davon was zu trinken und sagte: »Du musst sofort ins Krankenhaus. Da sollte man nichts riskieren.«

»Alles klar«, sagte Ferdi und trank von dem Wasser. Dann kotzte er es wieder aus.

»Der muss hier raus, wo sind denn die nächsten Sanitäter?«, rief Werner. »Hier muss doch irgendwo ein Sanitätsdienst sein.«

»Ich hab unten welche gesehen«, sagte ich, »als ich reingekommen bin. Die standen da und rauchten!«

»Ich weiß«, sagte Raimund. »Die haben da so Zimmer, wo sie die Leute behandeln.«

»Mein Gott, nun bringt ihn doch endlich da hin!«, rief Sigi. »Ihr quatscht immer nur!«

»Bring ihn doch selber runter, blöde Kuh!«, sagte Raimund.

»Bitte nicht streiten«, sagte Ferdi mit leiser Stimme. »Mir geht’s echt nicht gut. Und ich kann den linken Arm nicht heben!«

»Kannst du laufen?«, fragte Werner.

»Nein. Weiß nicht. Nein. Nicht so gern!«

»Dann muss Karl dich tragen! Der ist am stärksten.« Er sah mich von oben bis unten an. »Und am dicksten!«

»Vielen Dank, Werner!«, sagte ich. Ich nahm Ferdi hoch und trug ihn auf den Armen wie einen verwundeten Kameraden. »Nun aber schnell!«

Wir gingen alle zusammen runter, Werner hielt mich an der Schulter fest und dirigierte mich ein bisschen, bis ich schließlich mit Ferdi an der Schwelle des Sanitätszimmers stand. Das war auch höchste Zeit, denn Ferdi war zwar nicht der Größte und auch sicher nicht der Schwerste, aber der, der sich am schwersten von allen machen konnte, war er auf jeden Fall, und als ich ihn gebeten hatte, sich doch bitte auch mal an meinem Hals festzuhalten, hatte er mir vorwurfsvoll entgegengehalten, dass er den linken Arm nicht bewegen könne, das tue so weh, wenn er den bewege. Vor dem Sanitätszimmer stand ein Sanitäter und rauchte.

»Was hat er denn?«, fragte er.

»Verdacht auf Herzinfarkt«, sagte Werner und schwenkte dazu seinen Rot-Kreuz-Ausweis.

»Wie alt?«

»Fünfzig«, sagte Ferdi.

»Na dann …!«, sagte der Sanitäter und trat seine Zigarette aus. »Dann wollen wir mal.«

Ich trug Ferdi auf sein Geheiß in das Zimmer und legte ihn dort auf eine Liege. Ein Mann, auf dessen T-Shirt »Notarzt« stand, stand von einem Stuhl, auf dem er geschlafen hatte, auf und blinzelte ihn an.

»Was hat er denn?«

»Verdacht auf Herzinfarkt«, sagte der Sanitäter.

»Wo fehlt’s denn?«, sagte der Arzt zu Ferdi.

»Mir ist schlecht und ich habe Beklemmungen und ich kann den linken Arm nicht heben.«

»Na, dann wollen wir mal«, sagte der Notarzt. »Können mal bitte alle rausgehen, die nicht direkt mit ihm verwandt sind? Oder ihn liebhaben? Also einer oder eine kann hierbleiben, der Rest muss raus!«

»Raimund bleibt da«, sagte ich. »Oder willst du, Sigi?«

»Ich? Nee, lieber nicht!«, sagte Sigi.

»Ich lieber auch nicht!«, sagte Raimund.

»Die sollen alle abhauen«, sagte Ferdi.

Wir gingen alle raus und warteten und rauchten erstmal eine. Nach ein paar Minuten ging die Tür auf und Ferdi kam raus.

»Wie sieht’s aus, Ferdi?«

»Geht mir schon wieder besser.«

»War kein Herzinfarkt?«

»Der meint nein. Mir geht’s auch schon wieder besser.«

»Und das mit dem linken Arm?«

»Ja, der wollte mich abhören und da hab ich das Hemd ausgezogen und da ist voll der blaue Fleck an der Schulter hier!« Ferdi zeigte auf seine linke Schulter. »Wegen wie ich da von der steilen Treppe gefallen bin, als ich vom Set kam. Hatte ich ganz vergessen. Voll die Prellung. Das tut total weh!«

»Gott sei Dank«, sagte Raimund.

»Das kannst du wohl sagen«, sagte Ferdi. »Ganz schöner Schreck!«

»Das kann man wohl sagen«, sagte Sigi.

»Okay«, sagte ich. »Wird Zeit, dass wir nach Hause fahren.«

»Ja«, sagte Shorty von Magnetic. »Macht’s gut, Leute. War schön, dass ihr da wart!«

»Wir fanden’s auch gut, Shorty«, sagte Raimund.

»Immer wieder gern«, sagte Shorty. »Auf euch ist Verlass, Leute!«

»Klar, Shorty«, sagte Ferdi, »das war ‘ne super Springtime!«

»Ohne euch wäre das alles doch bloß Gummistiefelscheiß«, sagte Shorty.

»Da sagst du was«, sagte Raimund.

»Okay«, wiederholte ich. »Wird Zeit, dass wir nach Hause fahren, Leute.«

»Mach’s gut, Karl.«

»Mach’s gut, Werner. Ich komm nochmal vorbei.«

»Mach’s gut Ferdi! Mach’s gut, Raimund. Und du auch«, sagte Shorty.

»Sigi. Ich heiße Sigi!«

»Mach’s gut, Shorty, schön war’s!« sagte Raimund.

»Wollen wir dann mal gehen?«, sagte ich.

»Echt ‘ne super Springtime! Ihr Magnetic-Leute habt’s echt drauf!«, sagte Raimund.

»Halle 4 war scheiße!«, sagte Sigi.

»Nicht jetzt, Sigi! Jetzt machen wir hier gerade Friede, Freude, Eierkuchen!«

»Na gut, Halle 4 war super!«

»Ich trink noch ein Bier«, sagte Shorty.

»Ich bin dabei«, sagte Werner.

Die beiden gingen zusammen weg.

»Das ist das Problem mit den Magnetic-Leuten«, sagte Raimund. »Die sind so ehrgeizig! Die wollen immer die Letzten sein!«

Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt
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