30. Fluxi Hotell AB
Und das tat es auch. Wir fuhren und fuhren und dann kam ein Stau und dann noch einer und immer wieder Baustellen und erst kurz vor Bremen kam wieder Leben in die Bude, Raimund und Schöpfi kletterten von oben herunter und es gab eine Menge Geschimpfe, weil es nun wieder so eng wurde da hinten und dann wollten alle anhalten und aufs Klo und wir hielten an einer Raststätte und alle außer mir gingen aufs Klo und als sie zurückkamen, waren alle wieder munter und Dubi und Anja hatten ein paar Büchsen Bier gekauft und als wir in Bremen einliefen, waren alle Lampen an.
In Bremen lag das Fluxi-Hotel am Rande des Studentenviertels, am Rembertiring, wie ich mit Hilfe des Stadtplans herausgefunden hatte, den ich an der Raststätte gekauft hatte, während die anderen sich noch im Klo frisch gemacht hatten, und während die sich nun fröhlich aufgekratzt darüber stritten, warum es in unserem Auto keinen CD-Spieler, sondern nur einen Kassettenrekorder gab und warum niemand auf die Idee gekommen war, mal ein paar Kassetten aufzunehmen, damit es ein bisschen gescheite Bummbumm-Musik zum Warm-up gab, »Ich meine, der ganze Wagen voller DJs und dann nicht einer, der mal auf so eine Idee kommt«, wie Ferdi sagte, »jedenfalls scheiß Dave, wie kann der ein Auto ohne CD-Spieler mieten«, musste ich diesen Rembertiring dreimal im Kreis fahren, um die Abfahrt zum Fluxi zu finden, und das gab ein lustiges Hallo, als die anderen merkten, dass wir im Kreis fuhren, sie waren schon so weit wieder hergestellt, dass ihnen eine kleine Kreisfahrt gerade recht kam, Basti und Holger riefen von hinten »Nochmal! Nochmal!«, also drehte ich eine vierte, eine Ehrenrunde, und sie jubelten, die kleinen Quatschmauken. Dann hielt ich mit Schwung vor dem Fluxi-Hotel und sie sprangen alle lustig aus dem Auto und rannten fröhlich schnatternd in die Lobby und warfen sich dort in die Sessel, wobei es eher eine Lobby von der kleineren Sorte war, eher ein Wartezimmer mit einem Tresen, und es waren auch nicht wirklich Sessel, in die man sich werfen, es waren eher festmontierte, rote Plastikschalen, auf die man sich platzieren konnte, also eher eine Mischung aus Wartezimmer und Bushaltestelle, und die Leute saßen auf ihren roten Schalensitzen und schauten mich erwartungsvoll an, als ich durch die Tür kam und ebenso die Frau hinter dem Rezeptionstresen. Dubi verteilte Bierdosen und es knackte und zischte und schlürfte, als ich zu ihr hinging, um ihr zu sagen, wer wir waren und was wir wollten.
»Ich hatte Sie schon gar nicht mehr erwartet«, sagte die Frau. »Das ist jetzt ein bisschen Pech!«
»Wieso Pech?«, sagte ich. Ich ahnte nichts Gutes. Hinter mir rauchten sie und tranken Bier, aber ich fühlte auch, dass sie sich auf mich verließen, ich war verantwortlich, es war genauso, wie wenn Werner bei einem Clean-Cut-1-Ausflug die Karten bei Hagenbeck an der Kasse abholte, Pech war dabei nicht vorgesehen und es konnte doch wohl nicht sein, dass man schon beim ersten Eintritt in das erste Fluxi-Hotel Pech hatte, was meinte die Frau damit, war die irre? Ich fühlte Panik aufsteigen wie eine Übelkeit, ich begann zu schwitzen, wieso Pech? Ich blätterte also hektisch in den Papieren, wenigstens hatte ich sie nach Tagen geordnet, also nach Tourtagen, das half jetzt. »Wieso nicht erwartet? Das ist doch Quatsch!« Ich fand das Fax vom Fluxi-Buchungsdienst, das Hotel in Bremen betreffend. »Hier steht’s doch: feste Buchung, Late Check-in. Das ist doch wohl eindeutig.«
»Ja, aber Late Check-in ist bis zwanzig Uhr bei uns, jetzt ist es ja schon fast einundzwanzig Uhr«, sagte die dumme Nuss hinter dem Tresen, sie war höchstens so alt wie ich, wenn nicht sogar jünger, aber irgendwie kam sie mir vor wie meine Mutter!
»Was soll das denn heißen? Late Check-in ist Late Check-in, nicht Irgendwann-Nicht-Mehr-Check-in, was wollen Sie also? Wollen Sie uns ein schlechtes Gewissen machen oder was?«
»Nein, es ist nur so, dass in Bremen gerade Messe ist und deshalb nicht mehr alle Zimmer verfügbar sind.«
»Wie geht das denn? Hier steht feste Buchung! Wie können Sie Zimmer vergeben, die fest gebucht sind.«
Die Frau sah mich nicht an, während sie mit mir sprach, das war kein gutes Zeichen, außerdem machte es mich wütend. Hinter mir merkten sie nichts, es wurde gelacht und Bier geschlürft und Schöpfi erzählte irgendeinen Schwank aus seinem Leben und wurde dabei immer lauter, und was er sagte, mischte sich mit dem, was die Frau sagte, das machte mich noch nervöser, als ich ohnehin schon war: »Das ist schon richtig, dass da feste Buchung steht … – … hatten wir Siebenundachtzigtausend Maxis verkauft damals schon und dann … – … aber das heißt ja nicht, dass … – … jedenfalls hatte Mark von Grace The Groove an dem Tag nichts dabei … – … nicht weitervergeben werden kann, wenn Sie nicht auftauchen … – … und außerdem war Spacki an dem Tag als Erster an der Reihe und dann … – … jedenfalls gilt das nur bis zwanzig Uhr und Sie hatten fünf Doppelzimmer und ein Einzel … – … auf jeden Fall kam einer, den Spacki kannte, schnell vorbei, aber der hatte … – … das heißt ja nicht, dass wir das Zimmer nicht trotzdem weitervergeben können, so ist das jedenfalls … – … das falsch verstanden und hatte stattdessen Speed dabei, aber so hartes Zeug …«, und dann wurde es noch schlimmer, weil Schöpfi noch lauter wurde und die Frau noch leiser, sodass alles, was die beiden zu sagen hatten, zu einem einzigen Quatschbrei verschmolz, jedenfalls da, wo ich stand, oder jedenfalls für mich, weil ich mich nicht richtig auf einen von beiden konzentrieren konnte, »… und Mark von Grace The Groove war schon eingepennt, dann lag der da in der Backstage, die war hinterm Pult, da war so eine kleine Backstage, Sie müssen das verstehen, da ist gerade eine Messe und wir hatten gedacht, wenn Sie nicht mehr kommen, dann können wir die ja auch notfalls, weil da ja, jedenfalls lag der so da und der Typ hatte das Speed gebracht und Mark war ja gleich dran, das betrifft aber nicht alle Ihre Buchungen, also das betrifft eigentlich nur, und da waren so Strohhalme, die hatten da ein bisschen Catering und da waren so Strohhalme und Mark lag so da und schnarchte und wir hatten das Speed und die Strohhalme, das ist ja nur das Einzelzimmer und ein Doppelzimmer, die sind allerdings weg, die haben wir anderweitig vergeben, aber vier Doppelzimmer sind noch, und dann hat Spacki mit dem Strohhalm ein bisschen Speed bei Mark in die Nase geblasen …« – Hinter mir war ein allgemeines ungläubiges Aufstöhnen zu hören, durchsetzt mit Ohs und Ahs und einem »Das kann doch nicht wahr sein!« und das war eine so einhellige Empörung da hinten auf den Schalensitzen, dass auch die dumme Frau mit ihrer bekloppten Litanei aufhörte und die Magical-Mystery-Posse anstarrte, während Schöpfi einfach nicht zu stoppen war, der alte Waldspecht, »… also jedenfalls in die Nase geblasen, wie immer man das jetzt findet, ich meine, ich denke mir das ja nicht aus, jedenfalls Mark so hoch und dann …«
»Können wir mal kurz Ruhe haben?!«, rief ich in den Raum und weil das Fluxi-Hotel von schalldämmenden Materialien nichts hielt, war auf dieser rhetorischen Frage ziemlich viel Hall drauf, wie damals, wenn Raimund bei Glitterschnitter mit dem Reverb-Knopf spielte, er hatte ja immer darauf bestanden, die Bassdrum und nur die Bassdrum über einen Gitarrenamp laufen zu lassen. »Das hält ja kein Schwein aus!«
»Danke«, sagte die Frau vom Fluxi.
»Von Ihnen auch«, sagte ich, »von Ihnen auch mal kurz Ruhe, jetzt sage ich mal was: Wir haben hier einen Deal mit dem Fluxi und wenn Sie uns verarschen wollen, dann werde ich aber verdammt sauer, wir haben Late Check-in und von zwanzig Uhr steht hier nichts, und das ist eine feste Buchung« – ich hatte keine Ahnung, was feste Buchung wirklich bedeutete, das war wahrscheinlich auch nur irgend so ein Dave-Scheiß, aber was soll’s, dachte ich, jetzt ist mal ein bisschen Zeit zum Improvisieren, so wie damals bei Glitterschnitter – »und feste Buchung heißt, dass Sie uns das Geld trotzdem abgeknöpft hätten, hier steht ja auch die Kreditkartennummer, sehe ich gerade, Sie wollten also die Zimmer doppelt abkassieren, so sieht’s aus, und jetzt will ich hier nichts mehr hören, jetzt wollen wir die Zimmer, sonst ruf ich die Buchungszent rale von Fluxi an und frag die mal, wie die das finden, dass Sie hier solche Nebengeschäfte machen.«
»Das sind keine Nebengeschäfte!«
»Das sind wohl Nebengeschäfte!«
»Das sind keine Nebengeschäfte!«
»Das sind wohl Nebengeschäfte!«
»Das sind keine Nebengeschäfte, was denken Sie denn?!«
Die Frau war kurz vorm Weinen und tat mir schon wieder ein bisschen leid, ein Gefühl, das ich in diesem Moment überhaupt nicht gebrauchen konnte, aber so ist das mit den Gefühlen, wenn man welche hat, sind es meist die falschen, jedenfalls standen wir eine Weile so da und sie kämpfte mit den Tränen und hinter mir waren alle ganz still, also musste ich ja wohl irgendwas tun, also sagte ich:
»Schon gut, dann eben keine Nebengeschäfte.«
Da schluckte die Frau ihre Tränen herunter und hatte gleich wieder Oberwasser, was immer das für Tränen gewesen waren, sie hatten nicht ganz die Bedeutung gehabt, die ich ihnen beigemessen hatte, und sie waren auch nicht wirklich geflossen, alle Wangen trocken und jetzt hatte die dumme Nuss gleich wieder Oberwasser und ab ging die Post: »Ich lasse mich nicht beleidigen, das habe ich nicht nötig, das brauch ich mir nicht gefallen zu lassen«, und hinter mir sagte Schöpfi: »Kriegen wir jetzt keine Zimmer?«, und da langte es mir und ich drehte mich zu den Kratzbomben um und sagte: »Okay, Leute, die Sache sieht so aus: Wir kriegen hier offensichtlich kein Zimmer, weil man unsere Zimmer vergeben hat, und zwar anderweitig, wie ich gehört habe …«
»Ich muss mir das nicht gefallen lassen«, fing die Frau hinter meinem Rücken wieder an.
»… und ich brauch mal eben dein Telefon, Raimund, und zwar jetzt gleich.«
Raimund kam zu mir und reichte mir das dicke Mobiltelefon, das die ganze Zeit seine Jacke ausgebeult hatte. »Da musst du die Nummer eintippen und dann hier drücken«, sagte er, »und wenn du fertig bist, dann wieder hier.«
Ich nahm das brikettförmige Teil und drehte mich damit zu der Frau hinterm Tresen um.
»So«, sagte ich, »dann wollen wir mal den Buchungsservice von Fluxi anrufen und fragen, was die dazu sagen!«
»Da können Sie gerne anrufen«, sagte die Frau. »Da können Sie gerne anrufen.«
»Das mache ich auch! Das wird die Leute vom Fluxi-Buchungsservice sicher interessieren, dass ihre Arbeit ganz umsonst ist, weil die Leute zwar bei ihnen buchen können, aber Leute wie Sie die Zimmer dann trotzdem anderweitig vergeben.«
Ich rückte mir das Papier vom Buchungsservice zurecht und begann die Nummer zu tippen, »so, so, so und so und so und so und dann hier drücken«, sagte ich, während die Frau mir interessiert zuguckte. Dann drückte ich die Taste und hielt mir das Teil ans Ohr. Es kam kein Geräusch. Nichts passierte. Dann piepte es dreimal kurz und dann passierte wieder nichts.
»Ja, guten Abend, Schmidt hier«, sagte ich, »ich rufe wegen einer Reservierung an, die …«
»Bitte«, sagte die Frau, »wir können uns doch einigen.«
»Moment eben«, sagte ich in das Telefon, »ja, die Verbindung ist schlecht, aber bleiben Sie eben dran, bitte!« Und zur Frau: »Haben Sie denn nun Zimmer?«
»Vier Doppelzimmer, mehr habe ich nicht mehr«, sagte sie. »Ich konnte doch nicht wissen …«
»Vier Doppelzimmer ist doch super«, sagte Raimund neben mir und zwinkerte der Frau zu. »Vier Doppelzimmer reicht doch, wir sind doch eh die meiste Zeit im Club!«
»Ich rufe gleich nochmal an«, sagte ich in den Hörer. Dann drückte ich auf den Auflegeknopf und sagte zu Raimund: »Geh zurück auf deinen Platz.«
»Und mein Handy?« Er streckte die Hand nach dem Telefon aus, er grabschte richtig danach, da hielt ich es hoch und er hüpfte hinterher wie ein Kind beim Wurstschnappen. Ich schob ihn weg.
»Das brauche ich vielleicht noch.«
Er drehte sich zu den anderen um, hob seine Bierdose und rief: »Auf Charlie, die alte Socke!«
Ich sagte zu der Frau: »Also vier Doppelzimmer! Und wie sollen wir da alle reinpassen?«
»Wir könnten Ihnen da vielleicht noch ein paar Betten reinstellen, ohne Aufpreis.«
»Ohne Aufpreis? Sie wollen mich wohl verarschen, ich ruf gleich wieder beim Fluxi-Buchungsservice an«, und so ging das weiter, der ganze Herrenmenschenscheiß rauf und runter, dazu wedelte ich warnend mit dem Mobiltelefon, ich hasste das, ich machte das nicht gerne, das hatte ich schon bei Rüdiger, dem Hausmeisterschluckspecht, gehasst, wenn er seine Herrenmenschenanfälle hatte und den Erziehern oder den Kindern irgendeinen Scheiß von wegen wie es angehen konnte, dass sie dauernd die Klos verstopften oder dass es das letzte Mal war, dass er diese Heizung jetzt wieder in der Wand verankerte oder was weiß ich was erzählt hatte, das ganze Ich-hab-Oberwasser-du-hast-verschissen-Spiel, nur eben hier mit »Ich ruf den Fluxi-Buchungsservice an« und »Wer leitet dieses Hotel eigentlich?« und was weiß ich, was mir da noch alles aus der guten alten Futterklappe purzelte, es war widerlich, und die Frau machte mich wütender und wütender dabei, denn das war ja das Schlimmste, dass sie mich durch ihr dauerndes Gequengel und Late-Check-in-Neudefinieren überhaupt erst dazu zwang, diesen Scheiß zu reden, nur damit sie nicht wieder Oberwasser bekam und mich mit ihren Zustellbettengebühren verarschte, und am Ende ging das so aus, dass wir die vier Doppelzimmer für den Preis von drei bekamen und ohne Aufpreis in drei Doppelzimmer Zustellbetten gestellt kriegten, obwohl wir nur zwei gebraucht hätten, weil Dave ja nicht mitgekommen war, aber dass wir nur zu zehnt waren, das durfte sie nicht wissen, schon der kleinste Anlass, wieder in die Offensive zu gehen, wäre von dieser Frau wieder gegen mich verwendet worden, und während ich auf diese Weise daran arbeitete, der Firma BummBumm Records hundert Mark oder irgend so einen Pipibetrag zu sparen und zugleich der Firma Fluxi Hotell AB klarzumachen, dass es wenigstens mit dem Late Check-out am nächsten Tag keine Probleme geben sollte, denn das hatte ich gerade noch rechtzeitig im Tourplan gesehen, dass da noch dieser Late Check-out war, und die Frau rollte mit den Augen, als ich damit anfing, was ich denn denken würde, das sei doch überhaupt kein Problem, und ich musste schon wieder mit dem Handy drohen, nur damit sie mal in ihren Unterlagen nachschaute, ob darin auch wirklich etwas mit Late Check-out und fünfzehn Uhr stand, damit es keine weiteren Überraschungen gab und immer so weiter und weiter und weiter, während hinter uns Dubi eine neue Runde Bier spendierte, hoch die Tassen, jetzt geht’s los, wir wollen eigentlich gar nicht mehr auf die Zimmer, lasst uns doch gleich in den Club gehen, vielen Dank, ihr kleinen Spaßkapeiken! Gut nur, dass sie mit ihrem Geschnatter nicht nur mich, sondern viel mehr noch die Frau zermürbten, die gab mir die Meldezettel zum Späterausfüllen mit, sie hatte keine Lust mehr, aber so schnell wurde sie uns nicht los, wir mussten noch die Zimmerbelegung klären, und die Frage, wer mit wem auf welches Zimmer gehen sollte, war höchst kompliziert, besonders, was Anja und Dubi betraf, da gab es irgndein Problem, das ich bis heute nicht verstanden habe. Aber irgendwann war auch das erledigt und ich war mit Schöpfi und Dubi in ein Dreierzimmer eingeteilt. Ich meldete mich gleich freiwillig für das Zustellbett.
Die Fluxi Hotell AB war eine schwedische Hotelkette. Wohl deshalb stand bei den Aufzügen ein lebensgroßer Elch aus Stoff. Dubi nahm ihn mit in den Aufzug, deshalb passten Schöpfi und ich nicht mehr rein. Dubi und Anja winkten uns über den mannshohen Rücken des Elchs hinweg zu, während sich die Türen des Aufzugs langsam schlossen. Wir nahmen dann den nächsten.