42. Schotterbett

Ich träumte etwas mit Rosa und mit Helena, einer griechischen Bekannten, die früher in Berlin gewohnt hatte, das war Mitte der Achtziger gewesen, die hatte ich also seit etwa zehn Jahren nicht mehr gesehen und Genaueres weiß ich nicht mehr über den Traum, nur dass er sehr interessant gewesen war und ich mich gefreut hatte, Helena wiederzusehen und dass Helena und Rosa sehr gute Freundinnen gewesen waren, und dass die Feuerwehrsirene, die von draußen in unser Zimmer drang, genau wie das Gedudel von Raimunds Funktelefon klang, »Möchte mal wissen, wo das so brennt und wieso die nicht weiterfahren!«, hatte Helena mit ihrem reizvollen griechischen Akzent geknarzt und Rosa hatte »Vielleicht brennt das ja bei uns!« gesagt und ich hatte noch versucht abzuwiegeln mit »Das würden wir ja wohl riechen!«, aber dann bin ich aufgewacht und es war das Funktelefon, es lag am anderen Ende des Raumes auf dem Teppich, ich hatte es dort an sein Ladegerät angeschlossen und es dudelte munter vor sich hin, also tappte ich im Dunkeln durch das Zimmer, stieß mir die Knie und musste erst einen Lichtschalter finden, damit ich bei dem Telefon nicht auf den falschen Knopf drückte, denn irgendwas Dringendes würde es schon sein, da machte ich mir keine Illusionen.

»Charlie? Charlie? Charlie?«

»Ja, Raimund, was liegt an?«

»Hör mal, ich hab hier Schöpfis Telefon, mit dem ruf ich an.«

»Okay, Raimund. Deins hab ja auch ich, so gesehen …«

»Genau, deshalb habe ich Schöpfis Telefon, gut, dass der dabei ist.«

»Auf jeden Fall, Raimund. Was liegt denn an?«

»Pass auf, wir sind hier irgendwo in Köln und das Auto ist auf der Straßenbahnschiene irgendwie und wir sind jetzt alle um die Ecke, weil das ein bisschen heikel ist, du weißt schon, was ich meine.«

»Nicht so richtig.«

»Also wir wollten eigentlich noch auf so eine Party, die Schöpfi klargemacht hatte, und dann sind wir alle ins Auto …«

»Wo hattet ihr denn den Schlüssel her?«

»Ich hatte doch noch den zweiten Schlüssel, jedenfalls steht das jetzt da auf den Straßenbahnschienen und man kriegt das da nicht mehr runter, und noch hat das keiner gesehen, aber wenn irgendwann die Straßenbahn kommt oder die Bullen das sehen, dann ist das doch Fahrerflucht oder was …«

»Wieso steht das auf der Straßenbahnschiene?«

»Wir hatten es eilig, also weil wir ins Krankenhaus wollten, der hat so geschrien, der Basti, und …«

»Wieso hat der geschrien?«

»Dem hatte einer die Hand in der Tür eingeklemmt, in der Tür von dem Auto. Jedenfalls können wir jetzt nicht mehr da hin, wenn einer von uns da jetzt hingeht, dann ist der ja der Fahrer und dann Drogenkontrolle und was weiß ich, Alkohol, was die da alles machen, das können wir doch gar nicht riskieren. Außerdem haben wir die Pa piere nicht und ich meinen Führerschein auch nicht dabei. Das ging um die Ecke, das Taxi ist vorausgefahren …«

»Welches Taxi?«

»Wir wussten ja nicht, wo ein Krankenhaus ist, da haben wir ein Taxi angehalten und das ist dann vorausgefahren und wir hinterher.«

»Warum habt ihr denn dann nicht Basti in das Taxi gesetzt, hätte er doch damit ins Krankenhaus …«

»Haben wir ja, aber erst später, also jetzt, weil ja unser Auto auf den Schienen ist. Also Basti ist jetzt weg, jedenfalls ist der blöde Taxifahrer so schnell um die Ecke und wir hinter ihm her, aber der war so schnell, dass wir dann weiter geradeaus, und da war dann nur noch für die Straßenbahn, also keine Straße mehr, nur noch das Schotterbett mit den Schienen und da ist jetzt das Auto drauf. Also ich glaube, im Augenblick kommt noch keine Straßenbahn, aber das ist ziemlich dunkel da, ich mach mir Sorgen, wenn da die Straßenbahn um die Ecke kommt, da sind ja auch die Meerschweinchen hinten drin.«

»Bist du gefahren, Raimund?«

»Ich sag nicht, wer gefahren ist, Charlie.«

»Natürlich bist du gefahren, wieso willst du das nicht sagen, ich bin doch nicht die Bullen?«

»Mann, Charlie, das ist ein Funktelefon, wer weiß, ob die Dinger abgehört werden, das ist doch alles total einfach abzuhören, da braucht doch bloß einer, da muss man schon aufpassen, und jetzt hör mal auf, mich hier zu löchern, wir brauchen dich, du musst jetzt mal kommen, wir brauchen einen, der die Bullen ruft und den Abschleppdienst und der der Fahrer war und so. Und wenn die das Ding vorher sehen, dann denken die, das war Fahrerflucht, dann wird das ganz übel für dich, deshalb schnell!«

»Gib mal die Adresse.«

Er nannte mir zwei Straßennamen, da stünde er an der Ecke und hätte alles im Blick.

Ich zog mich an und ging zur Fluxi-Rezeption, weckte den Nachtportier und ließ mir ein Taxi rufen. Ich hatte einen Stadtplan von Köln, auf dem suchte ich mir eine Straße in der Nähe der Stelle, die Raimund mir gesagt hatte und ließ mich vom Taxi dort hinbringen. Den Rest ging ich zu Fuß. Raimund verbarg sich im Eingang eines Waschsalons und fror. Sonst war niemand zu sehen. Fünfzig Meter weiter stand das Auto im Schotterbett der Straßenbahn. Es war halb vier Uhr morgens.

»Wo sind die anderen, Raimund?«

»Holger ist mit Basti mitgefahren und Schöpfi und Rosa und Hans und Dave sind schon mal vorgegangen auf die Party.«

»Zu Fuß oder mit dem Taxi?«

»Zu Fuß, das ist hier wohl irgendwie in der Nähe. Das Auto ist hin. Das kriegt man da von alleine nicht mehr runter, wir haben schon alles versucht!«

»Hat es schon jemand entdeckt? Was ist mit dem Taxifahrer, der euch vorausgefahren ist?«

»Der sagt nichts. Der ist doch auch schuld, so wie ich das sehe!«

»Dann hau jetzt ab, Raimund. Weißt du, wo die Party ist?«

»Nee, das wollte ich noch fragen, hast du einen Stadtplan oder sowas?«

Ich gab ihm meinen Stadtplan.

»Ich weiß aber die Adresse nicht.«

»Ich auch nicht, Raimund.«

»Wie soll ich denn jetzt da hinkommen?«

»Wir könnten Schöpfi anrufen.«

»Geht nicht, sein Telefon habe ja ich.« Raimund hielt Schöpfis Klapptelefon hoch.

»Dann ab ins Fluxi, Raimund. Ist sowieso besser. Morgen früh um acht Uhr geht’s weiter.«

»Das klappt doch eh nicht.«

»Und ob, Raimund. Hau jetzt ab.«

»Wie soll ich denn jetzt ins Fluxi kommen?«

»Geh da vorne lang und rechts rum und auf die große Straße, da muss irgendwo ein Taxistand sein. Oder es kommt ein Taxi vorbei.«

»Und wenn kein Taxi kommt?«

»Dann geh da auf der großen Straße links runter und immer geradeaus, dann bist du in einer halben Stunde am Fluxi, das kommt irgendwann auf der linken Seite.«

»Du bist echt ein Held, Charlie!«

»Du auch, Raimund!«

Dann ging er. Ich sah ihm nach, wie er um die Ecke trottete. Dann ging ich zum Auto. Ein Vorderrad war seltsam geknickt, wahrscheinlich war die Aufhängung gebrochen. Lolek und Bolek zwitscherten aufgeregt, als ich den Kofferraum öffnete. Ich nahm das Warndreieck, das dort vom letzten Mal noch lag, und baute es weiter vorne auf den Schienen auf. Dann stellte ich das Warnlicht an und wählte die Notrufnummer der Polizei.

Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt
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