43. Zugvögel

Die Bullen kamen nach zehn Minuten und lachten und riefen einen Abschleppdienst und die Straßenbahnbetriebe an. Dann gaben sie mir ein zweites Warndreieck für die andere Straßenbahnrichtung, nur für den Fall, dass von dort eine Straßenbahn kommen sollte, man wisse ja nie und so weiter. Dann kam auch wirklich eine Werkstattstraßenbahn auf Betriebsfahrt um die Ecke, der Fahrer hielt vor dem Warndreieck an, stieg aus und lachte mit. Dann kam ein Riesenbergungsfahrzeug mit einem Riesenkran und der Fahrer stieg aus, lachte, brachte das Ding so nah wie möglich ans Schotterbett und hob den Wagen von den Gleisen und auf seine Ladefläche. Ich wollte mitfahren, aber die Bullen hatten andere Pläne mit mir, ich hatte beim Röhrchenpusten keine auffälligen Ergebnisse gehabt, deshalb fuhren sie mit mir auf die Wache und holten einen Arzt und zapften mir Blut ab und nahmen eine Haarprobe und ließen mich mit geschlossenen Augen geradeauslaufen und auf einem Bein stehen und den ganzen Scheiß. Als das alles nichts brachte, schienen sie dann doch erleichtert, sie mochten mich wohl ganz gerne, jedenfalls taten sie so, als sie mich zur Sache vernahmen, wie ich das bloß hingekriegt habe mit dem Auto und dem Schotterbett und so weiter und so fort, sie machten einen auf Bewunderung, aber ich stellte mich blöd wie zu den schlimmsten Zeiten von Werners Plenums oder Plena oder gar »Plenata«, wie Klaus-Dieter immer gesagt hatte, das waren die Anfangszeiten gewesen, als sie mich dauernd zu meinem Drogenverhalten ausgefragt hatten, vor allem Werner, der nicht hatte glauben wollen, dass ich wirklich ein Multitoxfreak und damit für Clean Cut 1 qualifiziert war, verglichen mit Werner waren die Bullen Waisenknaben, denn während Werner mir das Blödstellen nie abgenommen hatte, gaben die Bullen ziemlich schnell auf und fanden sich damit ab, dass ich um drei Uhr morgens noch alleine mit dem Auto unterwegs gewesen war, weil ich kein Kleingeld für den Zigarettenautomaten gehabt hatte und dann auf der Suche nach einer Tankstelle von der großen Straße abgekommen und in der kleinen Nebenstraße aufs Schotterbett gebrettert war. Mit dem Rest blieb ich hart an der Wahrheit, nämlich dass ich im Fluxi wohnte und der Chauffeur einer Truppe von DJs war, die Deutschland bereisten. Als sie Namen wissen wollten, sagte ich ihnen, sie könnten das alles wahrscheinlich im RaveOn nachlesen, da wäre sicher was über die Tour drin, die im übrigen Magical Mystery hieße, worauf sie sagten, Magical Mystery, das käme ihnen bekannt vor. Dann fuhren sie mich zur Werkstatt, weil ich ihnen sagte, dass ich mir Sorgen um die Meerschweinchen mache, vom Auto ganz zu schweigen, das verstanden sie, sie waren tierlieb, der eine hatte einen Hund und der andere hatte mal einen Hund gehabt. Es waren zwei nette Knallköpfe und beide hatten Schnurrbärte.

Tierlieb war auch der Werkstattmann, der hatte die Meerschweinchen nicht nur schon entdeckt, der hatte ihnen auch schon was zu essen gegeben und ihren Käfig saubergemacht, der sei ja völlig verdreckt gewesen, »Kein Wunder, die scheißen ja immer alles voll«, er habe als Kind selber welche gehabt, und darüber hinaus habe er festgestellt, dass dies und das und jenes in der Radaufhängung hin war und irgendwelche Lenkstangen, Pleuel-, Beuel- oder sonstigen Dinger und Seilzüge und was weiß ich denn, auch, und dass er erst Ersatzteile kriegen müsse, und die kämen zwar schnell, weil’s ein Mercedes sei, »aber die können auch nicht zaubern«, die Teile würden kommen, keine Panik, 24-Stunden-Werkstatt, kein Problem, nur teuer und vor Samstag keine Chance, wenig Leute da gerade, zwei im Urlaub, einer davon sogar Flitterwochen, gut dass wenigstens der Karneval vorbei sei, er sei im Augenblick aber trotzdem ganz alleine, also Samstag im Laufe des Tages möglich, aber teuer, »die können auch nicht zaubern«, so ging das immer weiter und im Kreis herum, es hatte ein bisschen was von Ochsenzoll am Nachmittag! Ich zückte irgendwann die Karte, gab ihm eine Anzahlung und legte noch zwanzig Mark in bar für die Meerschweinchenpflege obendrauf. Als ich ging, hielt er Lolek im Arm und streichelte ihn, da wusste ich die beiden Nagerfreaks in guten Händen.

Als ich ins Hotel kam, war es schon halb sieben, und ich ging gleich zu Ferdi, der machte im Jogginganzug auf, weil er zur Entgiftung ein paar Runden laufen wollte, das mache er immer, sagte er. Bei ihm im Bett lag Sigi unter der Decke und tat, als schliefe sie, während Ferdi die nötigen Entscheidungen fällte. Die sahen so aus, dass die ganze Truppe außer Dave und Hans mit dem Zug nach München fahren, Dave und Hans mit dem Auto das Merch mitnehmen und ich in Köln auf die Reparatur des Sprinters warten und damit nachkommen sollte.

»Irgendwie ist das ja schön hippiesk, aber andererseits auch ganz schön doof«, fasste Ferdi den Stand der Dinge zusammen, »jetzt fliegt uns die ganze schöne Magical-Mystery-Sache um die Ohren. Sowas geht doch nur, wenn man irgendwie zusammenbleibt!«

»Bei den Beatles ging auch alles schief«, sagte ich.

»Ja, aber das ist jetzt kein Trost«, sagte Ferdi. »Im Gegenteil.«

Ich ging zur Rezeption, um mein Zimmer um einen Tag zu verlängern. Dann half ich Ferdi, die Leute zusammenzutrommeln, was einige Zeit dauerte. Frierend, übermüdet und sich mit Taschen und Plattenkoffern abmühend, ließen sie sich von Ferdi und mir wie eine verwirrte Schar Hühner in die Straßenbahn treiben, die hier zugleich auch U-Bahn war. Mit der sollten sie zum Hauptbahnhof, Ferdi hatte sich geweigert, Taxis zu bezahlen, »Seid froh, dass ihr nicht zu Fuß nach München laufen müsst!«, hatte er gesagt. Raimund war die ganze Zeit ungewöhnlich schweigsam. Das Einzige, was er hin und wieder sagte, war: »Wir hätten auf die Frankfurter hören sollen!«

Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt
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