64. Bolek returns!
Als ich später am Morgen, kurz bevor sie im Fluxi Budget Harbor Nobistor Hamburg das Buffet abräumten, in den Frühstücksraum kam, saßen da Raimund und Ferdi schon an einem Tisch und schauten ziemlich blöd aus der Wäsche, nichts mit hoch die Tassen, Stimmung und komm doch her, Charlie, setz dich dazu, erzähl was vom Leben, im Gegenteil, sie sahen mich gar nicht, saßen nur mit versteinerten Mienen da, hielten ihre Kaffeetassen vor die Münder und schauten in verschiedene Richtungen, es sah grotesk aus, wie zwei Leute, die in einem Partyspiel die Wörter »schlechtgelaunt« und »Streit« darstellen sollten, und da ich selber nicht besonders gut drauf war, wollte ich mir mit meinem Fluxi-Frühstücksschweinkram schon einen Tisch für mich allein suchen, aber dann trat ich mich selbst in den Arsch und setzte mich zu ihnen, es war eine Frage von Ehre und Pflicht, die ganze Magical-Mystery-Sause war ja offensichtlich an einem toten Punkt angekommen, das war mir schon auf der Rückfahrt von Schrankenhusen-Borstel klargeworden, wo alle entweder geschlafen oder geschwiegen und sich, als wir am Fluxi angekommen waren, wortlos in ihre Zimmer getrollt hatten, was für eine scheiß Spielart von Magical Mystery sollte das wohl sein? Und jetzt saßen die beiden großen alten Männer des deutschen BummBumm an einem Tisch und redeten nicht mehr miteinander, das konnte ich nicht zulassen, vielleicht war es Hochmut, aber ich dachte in dem Moment, in dem ich mit einem Teller voller Schmelzkäse, Schlimmer-Augen-Wurst und Schweine-des-Meeres-Räucherlachs auf sie zusteuerte, dass es nur einen gab, der die Sache wieder einrenken konnte, und der war ich, und schon setzte ich mich mit einem schwunghaften »Hallo Jungs« dazu.
Sie antworteten nicht, sondern schlürften nur synchron an ihrem Fluxi-Kaffee, von dem auch ich mir erst einmal aus einer weißen Thermoskanne etwas eingoss.
»Was ist los?«, sagte ich. »Was ist los mit euch? Seid ihr irgendwie auf dem Horrortrip, so hippiemäßig?«
»Pah«, sagte Raimund. »Kann’s nicht mehr hören.«
»Ich sag gar nichts mehr«, sagte Ferdi. »Wird ja doch nur alles gegen einen verwendet!«
»Als ob!«, sagte Raimund.
»Hört mal, Jungs«, sagte ich. »Wir sind hier zusammen auf Tour. Ich bin deshalb extra nicht nach St. Magnus gefahren, ich weiß, ihr kennt St. Magnus nicht, aber da kann man den ganzen Tag Sport machen und abhängen und reden und was weiß ich, das wäre eigentlich mein Urlaub gewesen, aber was habe ich gemacht? Ich habe auf euch gehört und bin mit euch mitgefahren. Und das ohne Genehmigung, also ohne das mit meinem Betreuer abzusprechen. Dadurch verliere ich vielleicht meinen Platz in der Drogen-WG und meinen Job und was weiß ich nicht alles, und ihr habt mir versprochen, dass wir hier Magical Mystery machen und den deutschen Dance nach vorne bringen und dass die Liebe regieren wird. Und jetzt wird das hier geklärt, sonst komme ich nämlich auch scheiße drauf und ich glaube nicht, dass ihr das miterleben wollt, wenn ich scheiße draufkomme, ehrlich mal!«
»Wird niemand gezwungen, scheiße drauf zu sein«, sagte Ferdi. »Ich weiß überhaupt nicht, wo das Problem ist!«
»Da haben wir doch schon das Problem, Ferdi!«, sagte Raimund. »Du schleppst die Leute nach Schrankenhusen-Schnickschnack und zwingst sie, da aufzulegen, und dann weißt du noch nicht mal, wo das Problem ist!«
»Ich habe überhaupt niemanden gezwungen aufzulegen! Ihr hättet ja wieder gehen können, wenn’s euch nicht gefallen hat.«
»Da war alles voll mit den Rollstuhlfahrern, da kann doch keiner wieder gehen, wie soll das denn gehen?!«
»Raimund, wir sind BummBumm Records, wir sind Kratzbombe, wir machen Magical Mystery und dann willst du nicht auflegen, weil da Rollstuhlfahrer sind? Wie bist du denn drauf?«
»Das war die monatliche Rollstuhl-Disco, Ferdi! Du hast uns auf die monatliche Rollstuhl-Disco im Bomber in Schrankenhusen-Scheißdreck gebucht, Ferdi! Und sag jetzt nicht wir, du warst der einzige, der nach Quatschenhusen wollte, Ferdi. Alle anderen haben gesagt, dass wir das auslassen sollen! So sieht’s aus!«
»Und ich hab recht gehabt! Das war doch okay! Ich hatte zwar gedacht, das geht da mehr so gummistiefelmäßig ab und wir legen uns mal so richtig mit den Bauern an, aber da muss man eben auch mal flexibel sein, das ist doch gerade das Magical-Mystery-Ding, dass da auch mal Sachen passieren, mit denen man nie gerechnet hat. Ich meine, kennst du irgendeinen, der schon mal bei einem Dorfdisco-Abend für Behinderte und Nichtbehinderte …«
»Welche Nichtbehinderten? Du etwa? ›Crossover Night‹ hieß das bei denen! ›Crossover Night‹. Tu dir das mal rein!«
»Ja und? Dagegen ist doch nichts zu sagen! Ich meine, wir wären doch voll die arroganten Ärsche, wenn wir das nicht, ich meine, wir dachten, da sind so Bauern und Güllewagen und Schlägereien und Billigspeed, und dann haben die da Rollstuhl-Abend, das ist doch ganz klar Magical Mystery, ich meine, die Magnetic-Leute machen die Springtime, das kann jeder, das ist sowieso das neue Gummistiefel, aber wir voll auf dem Lande und dann Behindertendisco, ich meine, das ist doch Magical Mystery total!«
»Wenn ihr euch nicht sofort vertragt und die Hand gebt, hau ich euch!«, sagte ich.
Mein Funktelefon dudelte. Ich fummelte es aus der Jacke, während die beiden sich die Hand gaben.
»Ja?«
»Karl?«
»Ja.«
»Gudrun hier!«
»Gudrun!«
»Ja, Gudrun!« Das klang streng. »Ich muss mal mit dir reden!«
»Ich hab das Bier nicht getrunken, das war ein Versehen, ich hab’s gleich wieder ausgespuckt, gleich ins Hafenbecken, da war nichts, das war nur ein Versehen!«
»Wieso Bier? Was für ein Bier denn jetzt?«
»Wegen Klaus-Dieter.«
»Bier wegen Klaus-Dieter? Hör mal, Karl, das kannst du alles mit Werner abkaspern, wenn er wieder da ist, okay? Das macht ihr alles schön auf dem Plenum ab, er kommt morgen schon wieder, dann melde dich bitte bei ihm, dem ist jetzt der ganze Urlaub versaut, weil du da diese Sperenzchen machst. Da hättest du ruhig mal ein bisschen Rücksicht nehmen können.«
»Das ging nicht anders, Gudrun. Ich konnte das nicht mit St. Magnus. St. Magnus hätte mich fertiggemacht. Ich habe im Grunde genommen nur das gemacht, was Werner immer gesagt hat: Zur Not weglaufen!«
»Wenn das deine Erklärung ist für den Scheiß, den du angestellt hast, dann wünsche ich dir viel Glück! Aber deswegen rufe ich nicht an.«
»Was gibt’s denn? Wie geht’s euch überhaupt so?«
»Deswegen rufe ich auch nicht an, Karl, ich bin nicht deine Mutter.«
»Nein, da sagst du was!«
»Es ist wegen dem Meerschweinchen. Ich wollte vorhin gerade aus dem Haus, da kam hier so ein Typ von deinem Kinderheim, Herr Niemeyer, der hatte ein Meerschweinchen dabei. Das hättest du gestern bei denen vergessen, hat er gesagt.«
»O weh!«
»Ich hab das jetzt hier. In einem Karton. Ich weiß ja nicht, was du da für kranke Dinger am Laufen hast, aber wenn du … – wo bist du überhaupt?«
»Schrankenhusen-Borstel«, log ich auf die Schnelle, es war das Erstbeste, das mir einfiel.
»Kenne ich«, sagte Gudrun. »Das ist in Schleswig-Holstein, da habe ich mal mit Behinderten gearbeitet. Das ist nicht weit, da gebe ich dir eine Stunde, Karl Schmidt, genau eine Stunde ab jetzt, dann bist du hier und nimmst das Tier mit, sonst vergesse ich mich!«
»Kein Problem, ich hol ihn ab«, sagte ich.
»Eine Stunde!«, sagte Gudrun und legte auf.
Raimund und Ferdi sahen mich neugierig an.
»Tja«, sagte ich. »Bolek ist zurück auf der Magical Mystery Tour!«
»Bolek?«
»Ja, jetzt sind wir bald wieder alle zusammen«, sagte ich.
Dann ging ich zum Auto, um den Meerschweinchenkäfig wieder herzurichten. Gut, dass ich den noch nicht weggeworfen hatte.