47. Michael und Monika
Als ich am nächsten Morgen in die Werkstatt kam, war der Wagen noch auf der Hebebühne und das vordere linke Rad ab. Darunter stand der Mann und schraubte an irgendwas herum. In der Nähe standen zwei Kinder, keine Ahnung, wie alt die waren, klein irgendwie, aber nicht zu klein, ein Junge und ein Mädchen, die hielten jeder eins der Meerschweinchen im Arm und streichelten an ihnen herum.
»Gut, dass Sie da sind«, sagte der Mann.
»Ich dachte, Sie sind fertig«, sagte ich. »Am Telefon haben Sie gesagt, dass Sie fertig sind.«
»Nein, dass Sie schon mal kommen können, das habe ich gesagt«, sagte der Mann und hob unterstreichend seinen Schraubenzieher. »Ich bin hier ganz alleine und die Kinder haben heute keine Schule und ich dachte, Sie wollen vielleicht zur Beschleunigung der Sache ein bisschen helfen und die Kinder beobachten, die machen mich immer nervös, wenn sie in der Werkstatt sind, da komm ich zu nix. Ich wollte eigentlich, dass sie im Büro bleiben und ihre Hausaufgaben machen, aber die haben überhaupt nichts aufgekriegt! Und jetzt ist auch noch der letzte von meinen Leuten krank, wie soll man so eine 24-StundenWerkstatt am Laufen halten?«
»Gibt’s hier auch Kaffee?«, sagte ich und ging zu den Kindern hinüber.
»Kaffee wäre toll«, meinte der Werkstattmann und verschwand unter dem Auto. »Was Sie brauchen, finden Sie im Büro, da ist eine Maschine und Kaffee und Filter und Tassen auch.«
»Wie heißt ihr denn so?«, sagte ich zu den Kindern, um das Eis zu brechen, aber die beachteten mich nicht, sie streichelten die Meerschweinchen und schauten nicht einmal hoch dabei.
»Ist ja auch egal«, sagte ich. »Die beiden heißen jedenfalls Lolek und Bolek. Wo ist denn jetzt ihr Käfig, ist der noch im Auto?«
»Der ist im Büro«, rief der Mann. »Der muss noch saubergemacht werden. Die Kinder heißen Michael und Monika.«
»Michael und Monika«, sagte ich, »das ist ja fast so gut wie Lolek und Bolek.«
»Lolek und Bolek sind doch Namen aus dem Fernsehen!«, sagte das Mädchen, ohne von Lolek aufzuschauen. Lolek hing schlaff auf ihrem Arm und stellte sich tot, der arme kleine Nagertrottel.
»Michael und Monika auch«, sagte ich. »Und jetzt kommt mal mit ins Büro, wir müssen den Käfig saubermachen.«
»Ich auch?«, fragte Michael.
»Du auch!«
»Warum machst du das nicht alleine?«
»Ich muss Kaffee machen.«
»Geht ruhig mit ihm mit«, rief der Vater, »der tut euch nichts, der macht nur Kaffee.«
Die beiden folgten mir ins Büro und ich brachte die Kaffeemaschine in Gang, während sie die Meerschweinchen auf dem Schreibtisch herumlaufen ließen. Dann machte ich den Käfig sauber und ließ die Kinder den Beutel mit der alten Streu zum Müllcontainer tragen. Dann setzten wir Lolek und Bolek in ihren Käfig und schauten ihnen ein bisschen beim Fressen zu, während die Kaffeemaschine sich zu alldem so dermaßen einen abgurgelte, dass man heimwehkrank werden konnte.
»Wohin willst du denn fahren?«, fragte der Junge, während er Lolek ein Stück Stangensellerie zum Knabbern hinhielt. »Mein Vater hat gesagt, dass du es eilig hast. Und dass er deswegen heute arbeiten muss.«
»Nach München. Und dann nach Hamburg«, sagte ich. »Und dann nach Schrankenhusen-Borstel. Und dann nach Essen.«
»Warum das denn?«
»Ich fahr Leute rum. Das ist gerade mein Job.«
»Und wieso hast du dann die Meerschweinchen dabei?«, fragte das Mädchen.
»Die gehören dazu«, sagte ich. »Ich bringe jetzt mal eurem Vater einen Kaffee!«
Ich brachte eine Tasse Kaffee zum Auto. Der Mann schraubte gerade mit einem Pressluftschrauber das Rad wieder fest.
»Danke, danke«, sagte er. »Den trinke ich, wenn er abgekühlt ist. Wo wollen Sie heute noch hin?«
»Nach München.«
»Dann sollten Sie über Bonn fahren und immer schön auf dieser Seite vom Rhein bleiben und dann über Karlsruhe und Stuttgart nach München.« Er ließ das Auto herunter, es quietschte beim Aufsetzen. »Und nach fünfzig Kilometern sollten Sie die Radmuttern nachziehen. Ist zwar unnötig, aber ich muss Ihnen das sagen, sonst bin ich noch schuld, wenn was passiert!« Er wischte sich die Hände mit einem Lappen ab. »So, noch eben die Rechnung und dann ist Wochenende.«
Er ging mit mir ins Büro, wo die Kinder wieder die Meerschweinchen streichelten.
»Wir haben die nochmal rausgenommen, die wollten das so«, sagte der Junge.
»Die kommen gleich wieder ins Auto«, sagte sein Vater, »ihr könnt denen schon mal Auf Wiedersehen sagen.«
Ich unterschrieb hier und da und dort und bekam eine Rechnung und ließ die Sparkassenkarte sprechen. Dann schüttelten wir uns die Hand.
»Viel Glück«, sagte der Werkstattmann. »Und Vorsicht bei Straßenbahnschienen.«
»Ja, vielen Dank«, sagte ich.
Die Kinder brachten den Meerschweinchenkäfig zum Auto: Sie holten einen kleinen Rollwagen, stellten den Käfig drauf und rollten das Ding so langsam und vorsichtig zum Auto wie einen Atomsprengkopf. Dort hoben ihr Vater und ich den Käfig mit den Kleintierspacken in den Kofferraum und machten die Tür hinter ihnen zu.
»Ich will auch so welche«, sagte der Junge.
»Wenn du zehn bist«, sagte der Vater. »Vorher nicht!« Und zu mir sagte er: »Nehmen Sie doch noch einen Kaffee für die Fahrt mit!«
Ich sagte: »Nicht nötig!«, aber da war er schon im Büro verschwunden und kam gleich darauf mit einem Porzellanbecher voller Kaffee wieder, den stellte er mir aufs Armaturenbrett. »Geschenk des Hauses«, sagte er. »Und schön vorsichtig fahren. Immer so, dass nichts aus dem Becher schwappt. Auch ohne Becher!«
Er überreichte mir den Schlüssel. »Am besten fahren Sie mal kurz um den Block, ich bin noch zehn Minuten hier, zum Aufräumen, wenn Sie in zehn Minuten nicht zurück sind, gehe ich davon aus, dass alles in Ordnung ist. Achten Sie vor allem darauf, ob er nach links oder nach rechts zieht. Mal Lenkrad kurz loslassen. Und Radmuttern nachziehen nicht vergessen. Etwa auf der Höhe von Bonn!«
Ich fuhr ein bisschen durch das Gewerbegebiet, in dem die Werkstatt lag, und zwischendurch ließ ich immer mal kurz das Lenkrad los und mal schien mir der Wagen ein bisschen nach links und mal ein bisschen nach rechts zu ziehen, also war wohl irgendwie alles in Ordnung. Als ich wieder zur Werkstatt kam, war sie verschlossen. Am Tor hing ein Schild: »Wochenende«, gleich neben dem mit »24-Stunden-Werkstatt«.
Ich studierte die Karte und schlug den Weg Richtung Bonn ein. Es fing zu regnen an. Hinter mir zwitscherten Lolek und Bolek. Ich schlürfte den Kaffee aus dem geschenkten Becher, auf dem »Ibiza« stand. Der Scheibenwischer quietschte. Auf dem Armaturenbrett lag eine Kassette, keine Ahnung, wo die hergekommen war, ich legte sie ein und es war BummBumm-Musik drauf und sie klang wie die, die Rosa in dem leeren Club gespielt hatte, als ich sie zum ersten Mal gesehen hatte. Und auf der Kassette stand, mit Buntstift draufgekritzelt, »RM«. Rosa Meier? Rosa Müller? Rosas Mixtape? Hauptsache Rosa, dachte ich und fuhr auf die Autobahn.