14. BummBumm Club
Ferdi zahlte und verließ mit mir den Laden. Draußen regnete es noch immer und die Touristen drängelten sich in Hauseingängen und bevölkerten die Außenbereiche der Cafés, beschirmt von Markisen und bestrahlt von Heizpilzen, die es hier im Überfluss gab, und ansonsten Bielefeld mit anderen Mitteln, wie es aussah, Bielefeld war als Vergleich treffender als Altona, dabei hatte ich es nur böse gemeint, als ich Bielefeld zu Ferdi gesagt hatte, aber der hatte sich ja sowieso nicht provozieren lassen, alter Achtundsechziger, der er war, wer Ferdi provozieren wollte, musste früher aufstehen als ich, aber der Vergleich war gut gewesen, etwa so musste Bielefeld kurz nach dem Krieg ausgesehen haben.
Wir überquerten eine große Straße und kamen an ein Gewerbegebäude von unbestimmtem Aussehen und unbestimmter Funktion, es stand zwischen den kleinen Häuserzeilen herum und störte die kaputte Gemütlichkeit und Ferdi sagte: »Das ist es, das ist das neue BummBumm!«
Wir gingen rein und kamen in einen Raum, der war kahl, nur Betonwände und ein paar Sitzmöbel vom Sperrmüll standen darin herum, und er war ziemlich dunkel, und dann gingen wir durch eine Türöffnung in noch einen Raum und der war genauso dunkel und genauso kahl und genauso leer wie der erste, und dann gingen wir durch einen Raum, in dem standen einige Palmen herum und es gab eine Bar, die aus Spanplatten gebaut und mit Bambusstangen verkleidet war, an der es wohl, wenn sie besetzt war, Caipirinha für fünf Mark gab, das schien das Wichtigste zu sein, weil es gleich zweimal an die Bar und einmal an die Wand geschrieben war, und dann gingen wir in den nächsten Raum, in dem war eine Bühne und ein bisschen Bühnentechnik und dann gingen wir in den nächsten Raum und da hörte man dann schon langsam mal ein bisschen Dudeldudel, da wurde offensichtlich irgendwo noch ein bisschen Party gemacht, und dann kamen wir durch noch einen Raum, in dem waren alle Lichter an, also Wackellampen und so weiter, und deren Lichter kreiselten umeinander und mit und gegen die Richtung, in der sich die vielen Lichtflecken einer Kristallkugel durch den Raum arbeiteten, Wand hoch, Decke entlang, Wand runter, Fußboden usw., die Kristallkugel war dabei so groß, dass sie bei der niedrigen Decke fast auf Kopfhöhe endete, ich duckte mich, als wir darunter durchgingen, und dann kamen wir in einen Raum, der war leer und voller Schwarzlicht, und dann kamen wir in den Raum, in dem die Musik spielte, irgendein Ambientgedudel, und hinter dem DJ-Pult stand auch niemand, hier war der Schwung raus und es roch nach Bier und Zigaretten, gewürzt mit jenem säuerlichen Mischmaschgeruch aus Müll, Kotze und Schimmel, der einem in Gastrobetrieben immer anzeigt, dass es draußen schon wieder hell ist.
Raimund lag in der Ecke in einer Art Sitzmöbelgruppe aus Hartplastik. Er hob die Arme, als er uns kommen sah. »Ferdi! Charlie! Ferdi bringt Charlie! Jetzt wird alles gut!«, rief er. Neben ihm saßen noch drei Leute und schauten irritiert. »Charlie!«, rief Raimund wieder. Ich reichte ihm eine Hand, und er zog sich daran hoch. »Charlie!«
»Ist ja gut, Raimund!«
Er fiel mir um den Hals. Waren wir wirklich so gute Freunde gewesen? War ich hier wirklich so beliebt? War ich bloß durch die Zeit in der Klapse und die Medikamente und das Irresein gefühlskalt geworden und konnte oder wollte mich deshalb nicht mehr daran erinnern, dass wir uns früher dauernd umarmt hatten? War es so ein Absence-makes-the-heart-grow-fonder-Ding? Raimund strahlte mich an und ließ sich wieder auf sein Möbel fallen. Dann wandte er sich an die Frau neben sich.
»Rosa! Schau! Rosa! Schau!«
»Mach ich sowieso, Raimund!«, sagte sie.
»Das ist Charlie! Jetzt wird alles gut. Mit Charlie gibt’s Magical Mystery.«
Rosa lächelte mich an. »Du bist das also!« Neben ihr saßen ein Mädchen und ein Junge, die waren höchstens zwanzig und sagten nichts und machten nichts, sie guckten einfach nur geradeaus und nickten mit dem Kopf. Es war wie an einer Bushaltestelle in St. Pauli.
»Raimund, altes Haus«, sagte ich. »Was ist das für ein schrottiges Gedudel?«
»Das ist Rosas neuer Track«, sagte Raimund. »Spielt sie mir gerade vor. Ich wollte, dass sie mir das im Club vorspielt.«
»Das ist super«, sagte ich, »klingt gut. Ist das Ambient jetzt? Ich kenn mich nicht mehr so aus!«
»Ja, aber mit mehr Beat«, sagte Raimund. »Und sperriger. Punkiger. Sowas nehmen wir bei der Magical-Mystery-Tour für die After-Hour- und Chillout-Sachen und so. Das bringen wir alles bei Kratzbombe raus, das ist das neue Label, das haben wir extra gegründet, damit da mal etwas mehr Niveau reinkommt!«
»Ich mach das mal lauter«, sagte Rosa und stand auf. »Ich brauch das nicht, dass ihr da reinquatscht!« Sie stand auf, ging zum DJ-Pult und drehte den Sound auf.
»Kratzbombe ist geil!«, schrie Raimund gegen den Sound an.
Ferdi kam von irgendwoher mit zwei Flaschen Cola, reichte mir eine und setzte sich neben Raimund. Ich setzte mich auf die andere Seite.
»Kratzbombe wird das neue Ding!«, rief Raimund. »Vor allem Rosa! Oder Hosti Bros! Und die beiden hier!« Er zeigte auf die Leute neben Rosa. »Das sind alles neue Acts bei Kratzbombe! Man muss auch an die Zukunft denken! Das wird mir zu kalt, wenn wir bei BummBumm nur noch Gummistiefeltechno raushauen, man darf nicht immer nur ans Geld denken, Charlie!«
»Da sagst du was, Raimund«, sagte ich. »Ferdi wollte mir auch schon das Ding mit der Liebe erklären.«
»Das ist wichtig«, sagte Raimund. »Das hat sich alles Ferdi ausgedacht, nur das mit Magical Mystery, das war meine Idee.«
»War das nicht eigentlich ein Ding von den Beatles?«
»Ich glaube, Rosa ist sauer, wir sollten jetzt erstmal den Track hören!«
Also hörten wir den Track, der war lang und hatte einen komischen Beat, natürlich Bumm auf alle vier, aber in einem seltsamen Sound, weich und trocken irgendwie, und als wir so zuhörten und ein bisschen mit dem Fuß wippten und Raimund ab und zu ein »Ja!« und »Super!« absonderte, setzte sich Rosa neben Ferdi und trank in Ruhe ihr Bier aus und dann war der Track auch durch und Ferdi sagte: »Ganz schön lang!« Aber Raimund sagte: »Das ist doch ein super Track, ich weiß gar nicht, was du hast, warum sollte der nicht lang sein, ich meine, wenn was gut ist, dann ist das halt lang, wie bist du denn drauf.«
»Was läuft hier?«, fragte Rosa. »Ist das so ein Guter-Cop-böser-Cop-Ding, oder was?«
»Nein, wir diskutieren ja nur.«
»Da gibt’s nichts zu diskutieren. Ihr wolltet Chillout-Kram, jetzt habt ihr Chillout-Kram!«
»Das ist nun mal das Konzept, Rosa, dass wir das im Package anbieten und alles abdecken, da muss auch mal irgendeiner den Chillout-Kram machen, ist doch logisch. Wobei ich das irgendwie noch ganz schön … – wie soll ich sagen? – unchillig finde, ehrlich mal.«
»Unchillig? Jetzt hör aber mal auf, Ferdi!«, sagte Raimund. »Das ist 1a-Kratzbombenkram, genau so habe ich mir das Kratzbombending immer vorgestellt, das wird Kratzbombe 008 wird das, da lass ich morgen schnell noch ein Dubplate machen und dann nehmen wir das mit auf die Magical Mystery Tour.«
»War die nicht von den Beatles?«, sagte ich. »Und ist das damals nicht irgendwie in die Hose gegangen?«
»Lasst uns mal was essen gehen«, sagte Raimund. »Ich hab Hunger, ich brauch was zu essen, ich hab seit zwölf Stunden oder so nichts mehr gegessen. Lass uns mal ins Lala gehen und eine schöne Suppe essen!«