10. Alles leer
Ich atmete erst auf, als wir hinter Büchen waren, also in der DDR oder dem, was davon noch übrig war, die Grenzkontrolle war ja weg, unfassbar eigentlich, dass die Uniformfreaks mit ihren aufklappbaren Umhängetäschchen nicht mehr ihre Formular- und Stempeloperette abzogen. Aber der Zug war noch so eine alte Reichsbahngurke und die Zuggeschwindigkeit stimmte auch noch, ab Büchen zuckelten wir mit dreißig Sachen über die Betonschwellen. Bis Büchen hatte ich noch Angst gehabt, dass ich es mir anders überlegen könnte, von Büchen aus hätte man noch einen Schienenbus nach Uelzen kriegen und die St.-Magnus-Sache durchziehen können, erst danach, als der DDR-Kram begann, der seit einigen Jahren ja wohl keiner mehr war, entspannte ich mich ein bisschen und ging in den Speisewagen, der immer noch Mitropa hieß und auch noch genauso aussah. Nach zwei Kännchen Kaffee und einer halben Schachtel Zigaretten hatte ich mich so weit beruhigt, dass ich aus dem Fenster gucken und darüber nachdenken konnte, was jetzt eigentlich Sache war. Viel kam dabei nicht heraus: Clean Cut 1 lag hinter mir, und alles, was mir noch blieb, war ein bisschen Geld bei der Haspa und ein Jobversprechen von zwei Ravern, die einen Club und ein Label betrieben und denen es offenbar gut genug ging, einem Klapsmühlenzausel wie mir viertausend Mark für zehn Tage Arbeit anzubieten.
Bis Wittenberge war das durchdacht, danach war alles leer. Die alten Sachen waren Vergangenheit und die Zukunft war offen. Keine Richtung, kein Plan. Das gefiel mir ganz gut.