18. Lala III

Im Lala bestellten wir Suppe und dazu grünen Tee, weil Ferdi den empfahl, »das ist das Beste hier«, sagte er, und er wollte gleich einen längeren Vortrag über grünen Tee halten, er war schon bei Antioxidantien angelangt, bevor ich ihn stoppen konnte: »Lass gut sein, Ferdi, ich trinke den auch gerne, du musst mir das nicht extra erklären!«

»Schon klar«, sagte Ferdi, »das ist ja das Gute an dir, dass du nicht Raimund bist, dem muss man sowas immer extra erklären, sonst geht bei dem gar nichts.«

»Okay, Ferdi«, sagte ich, »also willst du, wenn ich das richtig verstanden habe, mit Rosa und Basti und Holger und Anja und Dubi und Dave und Schöpft und dir und Raimund und mir auf Tour gehen, richtig?«

»Warte mal, irgendjemanden hast du vergessen«, sagte Ferdi. »Sigi. Kennst du noch Sigi? Die früher manchmal den Tresen gemacht hat?«

»Die blonde Sigi?«

»Ja. Die kommt auch noch mit. Die ist auch bei Kratzbombe, mit Sigi fing das Kratzbombending ja überhaupt erst an, die kam plötzlich mit so komischen Tracks an und dann hatte Raimund die Idee für Kratzbombe, da waren die beiden gerade zusammen, und Sigis erste Maxi wurde gleich Kratzbombe 001, da hatten wir noch gedacht, wir machen erstmal nur Vinyl auf Kratzbombe, nicht so prollig CD-Maxis wie auf BummBumm. Das sollte auch eher so weiblich sein. Naja, ist es auch. Außer Schöpft natürlich und die Hosti Bros. Und Dubi, aber da ist ja wenigstens Anja dabei. Also eben mehr so fifty-fifty.«

»Okay. Und ist da schon alles vorbereitet?«

»Mach dir keine Sorgen, Charlie, relax. Du musst dich da nicht drum kümmern, das macht alles Dave, der Typ ist der totale Bürokrator, der gibt dir gleich, wenn wir wieder im Büro sind, garantiert einen Zettel, da steht alles drauf, und das muss dann nur noch abgearbeitet werden, das hab ich ihm jedenfalls gesagt, dass der so einen Zettel machen soll, aber das hätte ich ihm nicht sagen zu brauchen, das macht der sowieso, und wenn nur aus Gehässigkeit, wir brauchen dich ja für die Tour, weil wir Dave dafür nicht nehmen können, also nicht für die Tourleitung, weil den keiner leiden kann. Niemand mag den. Da kann ich dem während der Tour nichts zu sagen geben, das ist so einer, wenn du dem ein Amt gibst, dann lernst du ihn kennen, das ist wie bei der BVG, ehrlich mal, Charlie, der nervt alle nur und dann ist scheiß Stimmung und das Letzte, was wir bei Magical Mystery brauchen, ist scheiß Stimmung, ist ja klar, das ist ja die Idee dabei, also dabei, dass wir dich angeheuert haben, dass man einen hat, den alle respektieren und dem keiner blöd kommt, deshalb ja du. Du bist für die doch irgendwie der Rave-Veteran, Charlie, ein Überlebender aus alten Zeiten, irgendwie so eine Art Indiana Jones oder was weiß ich, weil du schon im alten BummBumm dabei warst und wie auch immer.«

»Und ihr zahlt mir viertausend Mark? Für ein paar Tage Arbeit?«

»Ja klar. Das ist nicht nur ein paar Tage Arbeit, Charlie. Das wird knüppelhart. Du hast ja keine Ahnung, wie die drauf sind, die Kleinen, die sind wie Hühner bei Gewitter!«

»Kann ich die Hälfte im Voraus haben?«

»Ja klar. Hab mich schon gewundert, warum du das nicht als Erstes gesagt hast.«

Er legte eine Bankkarte auf den Tisch. »Hier! Das ist eine Karte von der Sparkasse. Ich hab extra ein Konto bei der Sparkasse eröffnet und da Geld raufgetan, damit du was in der Hand hast.« Dann sagte er mir die Geheimnummer. »Aber schön merken, Charlie, ich vergess die jetzt. Das ist jetzt dein Konto. Da sind zehntausend Mark drauf, da kannst du dir ja gleich zweitausend von nehmen, wenn du willst. Oder was weiß ich, wie viel. Am Ende rechnest du dann ab. Und hier«, er legte einen Autoschlüssel neben die Karte, »ist der Schlüssel für das Auto. Das steht schon da vorne irgendwo in der Auguststraße, wahrscheinlich ist auch schon ein Strafzettel dran. Den Schlüssel habe ich mir von Dave schon mal geben lassen, damit der nicht noch groß damit rumfährt oder so.«

»Was genau soll ich denn jetzt eigentlich alles machen? Außer fahren, das kann ja wohl nicht alles sein!«

»Auf uns aufpassen, Charlie. Du sollst unser Babysitter sein.«

»Ich weiß nicht, Ferdi«, sagte ich, »irgendwie macht mich das stutzig, dass ihr mir viertausend Mark für sowas Banales gebt, ehrlich mal. Ich meine, kriegt man als Tourmanager so viel Geld?«

»Zehn Tage, das sind vierhundert Mark am Tag«, sagte Ferdi. »Das ist ja nicht gerade ein Hauptgewinn im Lotto, ehrlich mal! Und banal … – da wäre ich jetzt mal ein bisschen vorsichtig!«

»Hm«, sagte ich.

»Charlie, fängst du jetzt auch schon so an?! Ich hab bald keine Lust mehr! Was ist denn los mit euch Leuten? Ich meine, wir wollten dir zweitausend geben und du hast viertausend gewollt und wir haben ja gesagt, wo ist denn da das Problem, Charlie? Nun freu dich doch mal und was weiß ich.«

»Okay«, sagte ich, »dann freu ich mich jetzt mal.«

»Das ist mein alter Charlie, den habe ich gewollt! Und jetzt lass uns mal rübergehen, noch ein bisschen was wegschaffen, bevor die Charts kommen.«

Raimund war plötzlich da. Er stand hinter Ferdi und hielt ihm die Augen zu. »Rate mal, wer hier ist?«, sagte er.

»Raimund, du wolltest doch ins Bett gehen!«, sagte Ferdi.

»Das war alles seine Idee«, sagte Raimund und setzte sich an den Tisch. »Das war Ferdis Idee mit dem, dass wir dich engagieren. Wir brauchen einen, der nüchtern ist, hat er gesagt. Als ob wir dauernd besoffen wären! Aber ich find’s auch gut, Charlie!«

»Dann bin ich ja froh!«, sagte ich.

»Raimund, verdammt noch mal, du sollst doch ins Bett gehen«, sagte Ferdi. »Wir wollen doch morgen los, da musst du doch langsam auch mal heiaheia machen!«

»Ach was, ich hab den Freitag doch ausgelassen!« Raimund wandte sich an mich. »Freitagabend kümmert sich immer Ferdi um den Club. Aber nur, solange Ferdi noch durchhält, und Ferdi wird um drei schon immer müde, gut, dass wir noch Sigi und Müller haben! Die sind beim Club jetzt mit drin!«

»Raimund, hör mit dem Gelaber auf und geh ins Bett! Ich mach mir langsam Sorgen um ihn«, sagte Ferdi zu mir, während Raimund aufstand und einen Arm über dem Kopf schwenkte wie ein Schiffbrüchiger. Aus der Tiefe des Lala kam ein Kellner angelaufen. »So ‘ne Suppe, so ‘ne scharfe«, sagte Raimund und setzte sich wieder.

»Wie lange bist du jetzt wach, Raimund?«, fragte Ferdi.

»Hab ich doch gerade gesagt, seit Samstag abend oder was, was weiß ich, dreißig Stunden, sechsunddreißig, vierzig, ist doch kein Ding, Ferdi, jetzt spießer hier mal nicht so rum.«

»Schau dir mal Charlie hier an«, sagte Raimund. »Der musste damals in die Klapsmühle. Wie lange warst du da wach gewesen, Charlie? Man sagte, du wärst drei Tage wach gewesen und dann in die Klapsmühle!«

»Ich weiß es nicht mehr, Ferdi.«

»Sowas weiß man doch noch!«

»Ich nicht, Ferdi. Das ist eine von den Sachen, die zum Irrewerden dazugehören, dass man sowas nicht mehr weiß.«

»Ich denke manchmal: Was ist mit Raimund? Was ist, wenn der jetzt auch irre wird? Da mach ich mir langsam echt Sorgen!«

»Hähä«, lachte Raimund und haute Ferdi auf den Rücken. »Ich hab dich lieb, Ferdi!«

»Ich dich auch, Raimund. Aber schau dir hier Charlie an, der kann dir was erzählen, der kann dir erzählen, wie gefährlich das ist.«

»Ich nehme den Job«, sagte ich. »Aber ich habe noch ein paar Bedingungen!«

»Okay, dann sag mal«, sagte Ferdi.

»Im Auto wird nicht gekifft. Jedenfalls nicht während der Fahrt.«

»Okay. Dann müssen wir aber manchmal auf dem Parkplatz halten. Was noch?«

»Ich muss nicht in die Clubs.«

»Moment mal, du musst uns da aber vielleicht reinbringen oder rausholen.«

»Reinbringen und rausholen ist okay, aber keiner kann von mir verlangen, in den Club zu gehen und mitzumachen oder so.«

»Hey, Charlie, wir sind hier doch nicht bei Nepper, Schlepper, Bauernfänger, was denkst du denn?!«

»Okay. Und ich will Hotel und Einzelzimmer, und zwar eins, wo man sein eigenes Klo hat. Kein Pension-Erika-Ding oder so. Und nicht privat oder so. Nicht so wie damals bei Glitterschnitter!«

»Wir haben alle Hotel, Charlie! Wir sind BummBumm Records, mein Gott, Charlie, wir sind reich, verdammt, meinst du, da gehen wir in irgend so ‘ne Pension Erika?«

»Und kein Koks, wenn ich dabei bin. Ich will niemanden koksen sehen!«

»Mann, Charlie, wo kommst du denn her?« rief Raimund. »Koksen! Wer kokst denn schon noch?!«

»Ich wüsste schon einige«, sagte Ferdi.

»Auch keine E und was weiß ich. Versteh mich nicht falsch, Ferdi, mir ist egal, was ihr euch einpfeift, aber ich habe keine Lust, dabei zu sein, wenn ihr was nehmt, ich bin auf Reha, eigentlich lebenslang, ich darf den ganzen Scheiß nicht mehr nehmen«, ich begann zu schwitzen, während ich das sagte, es klang spießig und hausmeistermäßig, »also in meinem Beisein keine E und kein Koks und kein Speed und kein Acid, saufen ist okay, wobei, das muss ja im Auto nicht sein, aber egal, jedenfalls keine Drogen nehmen, ich kann nicht dabeisitzen, wenn ihr das nehmt, weil ich das nicht garantieren kann, ich meine, so wie, ich kann jedenfalls nicht dabei sein, ihr müsst das alles ohne mich nehmen und drinbehalten und was weiß ich, das ist ja nur, weil ich nicht weiß …« – wie sollte ich es ihnen erklären?

Sie schauten mich schweigend an, leicht eingeschüchtert, wie es schien. Ich versuchte es mit einem Bild von Werner: »Wisst ihr, warum Leute Höhenangst haben?«

»Nö«, sagte Raimund und nahm seine Suppe entgegen.

Ferdi bestellte sich gleich auch noch eine. »Du auch eine?«, fragte er mich.

Ich nickte.

»Nö«, sagte Raimund, »hab ich auch irgendwie nicht, Höhenangst, ich glaube nicht, dass ich das hab!«

»Weil sie sich selbst nicht trauen. Die sehen den Abgrund, sagen wir mal, die stehen auf einem Dach, und wenn sie an den Rand gehen, trauen sie sich selber nicht, dass sie da nicht runterspringen, versteht ihr?«

»Logo, ist ja nicht schwer«, sagte Ferdi.

»Und so ist das mit dem Koksen, versteht ihr?«, beharrte ich.

»Ja logo, das ist doch ganz einfach, Charlie«, sagte Raimund. »Das ist doch überhaupt kein Problem, ich meine, was denkst du denn von uns, Charlie? Das finde ich jetzt irgendwie ein bisschen, also ich weiß nicht …« Er schlürfte Ferdis Tee.

»Ich finde, er hat völlig recht«, sagte Ferdi zu Raimund. »Sigi hat schon gemeint, das würde überhaupt nicht gehen, dass wir Charlie mitnehmen, weil das für ihn viel zu riskant wäre, die war schon wieder so krankenschwestermäßig drauf neulich, aber trotzdem, wenn wir Charlie anheuern, dann ist er einer von uns, und da muss man sowas berücksichtigen, mal ein bisschen Rücksicht nehmen, wenn er dabei ist, das kann ja nicht so schwer sein!«

»Ja easy«, sagte Raimund. »Dann solltest du aber, wenn du dann doch mal im Club bist, vielleicht nicht unbedingt aufs Klo gehen, Charlie.«

»Keine Witze, Raimund«, sagte Ferdi. Und zu mir: »Außerdem wollen wir ja auch, dass du nichts nimmst. Das ist ja die Idee dabei, dass einer nüchtern bleibt. Trinkst du eigentlich auch keinen Alkohol?«

»Überhaupt nicht«, sagte Raimund. »So bin ich ja drauf gekommen, dass Charlie unser Mann ist. Ich so Bier und er hatte nur einen Eisbecher, und er wollte kein Bier dazu.«

»Ich dachte, das war meine Idee!«, sagte Ferdi.

»Ist doch egal, Ferdi, ehrlich mal. Was hast du denn immer mit meins und deins, das ist doch egal, wir sind doch alle irgendwie auch Hippies und so!«

Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt
titlepage.xhtml
jacket.xhtml
SR_MM_split_000.htm
SR_MM_split_001.htm
SR_MM_split_002.htm
SR_MM_split_003.htm
SR_MM_split_004.htm
SR_MM_split_005.htm
SR_MM_split_006.htm
SR_MM_split_007.htm
SR_MM_split_008.htm
SR_MM_split_009.htm
SR_MM_split_010.htm
SR_MM_split_011.htm
SR_MM_split_012.htm
SR_MM_split_013.htm
SR_MM_split_014.htm
SR_MM_split_015.htm
SR_MM_split_016.htm
SR_MM_split_017.htm
SR_MM_split_018.htm
SR_MM_split_019.htm
SR_MM_split_020.htm
SR_MM_split_021.htm
SR_MM_split_022.htm
SR_MM_split_023.htm
SR_MM_split_024.htm
SR_MM_split_025.htm
SR_MM_split_026.htm
SR_MM_split_027.htm
SR_MM_split_028.htm
SR_MM_split_029.htm
SR_MM_split_030.htm
SR_MM_split_031.htm
SR_MM_split_032.htm
SR_MM_split_033.htm
SR_MM_split_034.htm
SR_MM_split_035.htm
SR_MM_split_036.htm
SR_MM_split_037.htm
SR_MM_split_038.htm
SR_MM_split_039.htm
SR_MM_split_040.htm
SR_MM_split_041.htm
SR_MM_split_042.htm
SR_MM_split_043.htm
SR_MM_split_044.htm
SR_MM_split_045.htm
SR_MM_split_046.htm
SR_MM_split_047.htm
SR_MM_split_048.htm
SR_MM_split_049.htm
SR_MM_split_050.htm
SR_MM_split_051.htm
SR_MM_split_052.htm
SR_MM_split_053.htm
SR_MM_split_054.htm
SR_MM_split_055.htm
SR_MM_split_056.htm
SR_MM_split_057.htm
SR_MM_split_058.htm
SR_MM_split_059.htm
SR_MM_split_060.htm
SR_MM_split_061.htm
SR_MM_split_062.htm
SR_MM_split_063.htm
SR_MM_split_064.htm
SR_MM_split_065.htm
SR_MM_split_066.htm
SR_MM_split_067.htm
SR_MM_split_068.htm
SR_MM_split_069.htm
SR_MM_split_070.htm
SR_MM_split_071.htm
SR_MM_split_072.htm
SR_MM_split_073.htm
SR_MM_split_074.htm
SR_MM_split_075.htm
SR_MM_split_076.htm
SR_MM_split_077.htm
SR_MM_split_078.htm
SR_MM_split_079.htm
SR_MM_split_080.htm
SR_MM_split_081.htm
SR_MM_split_082.htm
SR_MM_split_083.htm
SR_MM_split_084.htm
SR_MM_split_085.htm
SR_MM_split_086.htm
SR_MM_split_087.htm