17. Wer meckert, bleibt zu Hause

Als ich ins Büro kam, saß Ferdi an seinem Schreibtisch und Holger und Basti und einer, den ich nicht kannte, saßen dabei und sprachen auf ihn ein, und als ich durch die Tür trat, rief Ferdi, die Arme zum Himmel hebend: »Da ist er ja, gottseidank! Leute, das ist Charlie, Charlie, setz dich her, erzähl uns was vom Leben da draußen!«

Ich nahm mir einen Stuhl und setzte mich dazu. »Okay, Ferdi«, sagte ich, »jetzt tu du mir lieber einen Gefallen und erzähl mal, worum es geht und was es mit Magical Mystery auf sich hat, aber ohne Liebe und so, die tragen wir alle im Herzen, das ist was für heute Abend und später.«

»Seht ihr«, sagte er zu seinen Leuten, »so geht das! Immer frisch drauflos, der Charlie!«

»Schon gut, Ferdi«, sagte ich. »Und jetzt die Fakten.«

»Wir gehen auf Tour!« Ferdi drehte sich eine Zigarette. »Alles wie früher, wie die Rockmusiker oder die Beatles oder Kommune 1 oder so.«

»Gingen die auf Tour?«

»Charlie, ehrlich mal, das interessiert doch kein Schwein, was die wirklich gemacht haben! Freie Liebe, Revolution, Sex: Wir wollen das Feeling, ich meine, schau mich an, ich bin über fünfzig, ich war dabei, 1968 war ich vierundzwanzig Jahre alt, und das war ganz schön grau und böse damals, aber heute? Von heute aus gesehen war das alles bunt und psychedelisch und Sommer der Liebe. Dabei war da gar nicht so viel Liebe, wie alle immer denken. Da war eigentlich ganz wenig Liebe, wenn man mal genau hinsah, ich sag’s dir, ich hab da von Liebe nicht viel gemerkt, und ich war mittendrin. Und Revolution war auch nicht ganz so viel, wie alle immer tun. Aber das heißt ja nur, dass es zweimal 68 gibt, das, an das sich der kleine Ferdi, der damals nicht älter war als Dave heute, noch erinnern kann, und das, von dem heute alle reden! Und das wollen wir jetzt wieder machen, also diesmal in echt und wir sind dabei und läuten eine neue Ära ein, verstehst du? Irgendjemand muss doch mal damit anfangen, etwas Neues zu machen, Rave, Charlie, Rave, das ist doch nichts, was immer gleich bleiben kann, da muss man doch auch mal alles runderneuern!«

»Okay«, sagte ich, »es geht also um eine Tournee?«

»Genau. Wir gehen auf Tournee. Nächste Woche ist die Springtime in Essen. Da müssen wir sowieso hin. Wir fahren Dienstag los und gehen auf Tournee mit Sack und Pack und Knack und Back und wir nehmen alle Kratzbomben-Acts mit und wir fahren alle im gleichen Bus und halten in verschiedenen Städten in den Clubs und spielen da und dann fahren wir weiter. Ist doch super. Wie Magical Mystery. Was meinst du, was wir jetzt schon für Presse haben.«

»So viel nun auch wieder nicht«, sagte der, auf den Ferdi gezeigt hatte, als er Dave gesagt hatte. »Das sind doch nur die Rave Nation und die Dance und die Technotechno und die Headline, die Headline vor allem, aber sonst …«

»Wo willst du denn sonst noch stehen, Dave? In der Bäckerblume, oder was? Wir sind Raver. Wir finden in den Rave-Magazinen statt. Und wir wenden uns an die Ravegemeinde. Und wir haben die neue Kratzbombenbotschaft, und die ist Psychedelic und Liebe und dass man mal was Warmes zusammen macht und nicht immer nur was Kaltes! Willst du das einem von der Bäckerblume erklären, oder was? Oder diesen Typen von der Fleischerfachzeitung, wie heißt die nochmal?«

»Lukullus!«

»Danke, Dave.«

»Wieso kalt?«, sagte Holger. »Wieso was Kaltes zusammen machen? Wer macht denn was Kaltes zusammen?«

»Wie viele Leute kommen denn mit?«, warf ich ein.

»Das zählen wir gerade durch, also Dave hier, der macht ja die Promo, und Dave hat auch das Auto besorgt, also Dave und Anja und Dubi und ich und Raimund und die Hosti Bros, also Holger und Basti hier und Rosa natürlich, wegen den Chillout-Sachen, und Schöpft natürlich, seit Hallo Hillu ist der doch ganz oben, hättest du auch nicht gedacht, was? Ausgerechnet Schöpft, über den wir immer alle gelacht haben!«

»Ich weiß nicht mal, wer Schöpft ist!«

»Du weißt nicht, wer Schöpft ist? Du kennst Hallo Hillu nicht?«

»Natürlich kenne ich Hallo Hillu und ich kenne den Namen Schöpft, aber den Typen selbst kenne ich nicht.«

»Doch, doch! Weißt du noch DJ Frankie der Waldspecht? Der ist das. Der ist seit vorletztem Jahr als Schöpft unterwegs, und seit letztem Jahr macht der eine Goldene nach der anderen.«

»Ach der«, sagte ich. Ich erinnerte mich gut an DJ Frankie der Waldspecht, den wir auch Grandmaster Ohrenbluten genannt hatten, ich war oft genug dabei gewesen, wenn er eingesetzt wurde, um das alte BummBumm leerzuspielen.

»Du bist natürlich auch dabei«, sagte Ferdi. »Du musst das Auto fahren und dich um alles kümmern.«

»Ich kann das auch machen«, sagte Dave. »Ich hab das alles organisiert und das Auto klargemacht und die Clubs und die Presse und die Hotels, und das Auto hab ich klargemacht, so ‘n Transporter von Mercedes, den kann ich gut fahren. Ich versteh immer noch nicht, warum ich das nicht alles machen kann.«

»Wieso willst du denn das Auto fahren, Dave?«, sagte Ferdi. »Ich bin doch nicht bekloppt und lass dich das Auto fahren!«

»Wieso denn nicht?«

»Weißt du noch, wie wir zur Winterparade gefahren sind, Dave?«

»Ja und?«

»Achthundert Mark Selbstbeteiligung.«

»Das wäre jedem passiert, das war doch total rutschig.«

»Und das Geld ist mir ja noch egal, aber wir mussten zwei Stunden in der Kälte auf die Polizei warten.«

»Das ist ja nun nicht meine Schuld.«

»Du wolltest aber unbedingt auf die Polizei warten. Obwohl wir eindeutig schuld waren. Der andere wäre auch damit einverstanden gewesen, die Adressen auszutauschen, Dave!«

»Da muss man auf die Bullen warten, das weiß doch jeder. Wenn du da nicht auf die Bullen wartest, dann kann der später behaupten, was der will, und du hast keinen Beweis mehr!«

»Wir waren schuld, Dave. Du bist auf den draufgefahren, obwohl wir Schneeketten dranhatten, das muss man sich mal vorstellen, und dann mussten wir zwei Stunden da rumhängen, weil du unbedingt auf die Bullen warten musstest, und alle haben ihre Drogen weggeworfen, aber die achthundert Mark Selbstbeteiligung mussten wir trotzdem zahlen, die waren sowieso weg, und ich hab dir das damals erklärt und ich erkläre dir das heute und du hast das damals nicht kapiert und du kapierst das heute auch nicht.« Er zündete sich einen Joint an. »Und deshalb ist Charlie dabei. Und wegen all dem anderen. Da muss man sich doch auch drum kümmern. Du bist doch sowieso immer irgendwann im Club und breit, oder willst du etwa nicht mit in den Club? Willst du nicht mit in den Club?«

»Natürlich will ich mit in den Club! Ich muss doch auflegen.«

»Na also. Das ist eben der Unterschied: Du willst in den Club und auflegen und Drogen nehmen und Charlie hier, der will das nicht!«

Alle guckten mich an. Ich zuckte mit den Schultern.

»Und wenn ich noch einmal dein Gemecker höre, bleibst du zu Hause, Dave. Wer meckert, fliegt, das wollte ich sowieso mal sagen, und gleich mal an alle: Wer jetzt noch meckert, bleibt zu Hause. Wir machen Magical Mystery, verdammt noch mal, und ja, Basti«, wandte er sich an Basti, »ich weiß, dass das bei den Beatles in die Hose ging, ich bin doppelt so alt wie du, ich war zweiundzwanzig oder dreiundzwanzig, als die Beatles das machten, und ich hab das damals nicht mal mitgekriegt, so sieht’s aus, aber das hier, das geht nicht in die Hose, und das kriegen auch alle mit, weil das die Erneuerung des Raves wird, ihr Kleingeister, weil das das große Magical-Mystery-Ding wird, die ultimative Tournee, genau wie die Beatles das wollten, nur dass wir das diesmal richtig machen.«

»Ist doch scheiße, die Beatles«, sagte Basti.

»Vorsicht, Basti, was habe ich gesagt?!«, sagte Ferdi streng. »Wer meckert, bleibt zu Hause! So einfach ist das! Seid froh, dass Raimund euch nicht hört, der würde ausflippen, der kann diese ganze Spaßbremsenscheiße überhaupt nicht ab! Das könnt ihr auch gleich Anja und Dubi nochmal sagen: Wer meckert oder keinen Bock hat, kann gleich hierbleiben. Wir brauchen da nur Leute, die gut drauf sind. Wer nicht gut drauf ist, kann gleich hierbleiben, so wie die da!« Er zeigte in den Raum hinein. Da saßen noch einzelne Leute an Schreibtischen und telefonierten und starrten in Computer. »Die müssen nämlich hierbleiben. Und die lecken sich alle Finger danach, mitzukommen, die sind gut drauf und zur Not nehme ich von denen einen mit und lass die irgendwas auflegen und bring die bei Kratzbombe raus, ist doch eh egal bei dem Mumpf, den ihr euch den ganzen Tag da immer zusammenschraubt!«

Er grinste zu mir herüber und zwinkerte mir zu. Das konnten alle anderen auch sehen, und sie schauten mich alle an.

»Starrt nicht Charlie so an, der ist schon in den Club gegangen, da wart ihr noch bei euren Vätern im Sack, der war bei Glitterschnitter der mit der Bohrmaschine, so sieht das aus, und jetzt geht ihr mal schön an eure Schreibtische und arbeitet, es ist noch viel zu tun, bis die Charts kommen.«

Holger, Basti und Dave standen auf und gingen davon.

»Ist doch alles nicht zu fassen«, sagte Ferdi und schaute ihnen dabei hinterher. »Da bietet man ihnen ein echtes Abenteuer, und die reden wie ein Haufen Rentner vor der Butterfahrt, Problem hier, Problem da, wie alt sind die eigentlich? Ich meine, wer ist denn hier der Fünfzigjährige?«

»Dann sollten wir das vielleicht mal in Ruhe durchsprechen, Ferdi«, sagte ich. »Ich hätte da schon noch ein paar Fragen.«

»Das ist gut, lass uns dafür aber rausgehen.« Ferdi schaute noch immer in den Raum hinein. »Ich glaube, die beobachten uns. Die trauen uns nicht. Die denken, wir hecken was aus.«

»Ich wollte eigentlich nur mal eben die Details durchgehen.«

»Ich weiß, ich weiß, aber nicht hier, die beobachten uns, scheiß Großraumbüro, das ist ja irgendwie auch wie in den Fifties, wie in so Filmen aus den Fifties, wo die da in so Großraumbüros, was weiß ich, Jack Lemmon oder was! Man müsste so Glaskabinen haben wie bei denen immer die Chefs, und dann zieht man so die Jalousien runter, dann können die einen nicht beobachten und mithören oder Lippenlesen oder was weiß ich.« Ferdi zog noch einmal am Joint und drückte ihn dann aus. »Lass uns woanders hingehen, die beobachten uns, ich glaub, ich krieg die Paranoia!«

Wir gingen raus. Draußen regnete es noch mehr als zuvor.

»Schau dir das an!«, sagte Ferdi. »Ich bleib aber nicht hier im Eingang stehen zum Reden, das hat irgendwie was von Straßenstrich, lass uns mal irgendwo hingehen.«

»Okay«, sagte ich.

»Am besten ins Lala! Ich hab auch Hunger«, sagte Ferdi.

Also gingen wir wieder ins Lala.

Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt
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