38. Der kleine Samstag

Als wir in Köln am Club hielten, war es zehn Uhr abends und ich war sehr müde. Im Club war schon ordentlich was los, weil, wie der Typ sagte, der uns alle begrüßte und Sigi und Raimund und Schöpfi sogar umarmte und uns in den Club und im Club durch die Leute hindurch im Gänsemarsch in eine Art Büro führte, »Mittwoch bei uns in Köln der kleine Samstag« sei und darum »auch die Leute, die morgen früh rausmüssen, jetzt schon mal Party« machen wollten, weshalb er uns schon sehnsüchtig erwartet habe, die große BummBummKratzbombenspezialnacht, als die er uns angekündigt hatte, sei ein großer Hit, da sei er selber überrascht, wie er sagte, alle wollten Kratzbombe und BummBumm, das mache ihn selber ganz froh und auch stolz und ob nicht irgendwer gleich mal auflegen könne, bald müssten wahrscheinlich viele nach Hause, weil die richtigen Raver zwar sicher später noch kämen, aber der Mittwoch eben auch der kleine Samstag sei und viele deshalb zwar abends ausgingen, nur eben nur so bis elf oder zwölf, und wenigstens Odo und Rama Noise, also Anja und Dubi, auf die er sich schon die ganze Zeit gefreut habe, wegen dem Hit mit der Flöte, ob die dann nicht wenigstens eben gleich mal spielen könnten, also wenigstens den Hit mit der Flöte, das sei sicher auch für den Merch-Umsatz gut, und die Merch-Leute von uns seien auch schon hier, sagte er, die seien schon vor einer Stunde gekommen und würden sich nur noch eben in der DJ-Wohnung frischmachen, ihr Merchandising hätten sie hiergelassen, hier im Büro, da hinten stehe es, und der Typ zeigte auf einen großen Haufen Kartons, die in einer Ecke des Büros aufgestapelt waren, ein Exemplar von »Ballon, Ballon – der Hit mit der Flöte« habe er sich gleich mal schenken lassen, das sei ja wohl der Hammer, und zehn Exemplare von den Magical-Mystery-Shirts habe er sich auch schon reserviert, obwohl er ein Shirt mit »BummBummKratzbombenspezialnacht Köln« noch besser gefunden hätte, und dann könne ja auch Schöpfi gleich danach mal auflegen, auf den warteten ja auch alle und Anja rief irgendwann: »Moment mal!«, um den Redefluss des Typen vom Club, der Alex hieß, zu stoppen, denn sie war mittlerweile an die Kartons gegangen und hatte sie durchwühlt und stand nun mit einer CD-Maxi in der Hand uns allen, die wir, noch eingeschüchtert von Alex’ Redeschwall, schweigend mit unseren Plattentaschen und -koffern herumstanden, gegenüber und hatte ein zornesrotes Gesicht, »Moment mal! Jetzt reicht’s, Raimund Schulte!«

»Wieso denn immer ich?«

»Wieso habt ihr das mit ›Der Hit mit der Flöte‹ bestickert? Ich meine, wie blöd kann man eigentlich sein??!« Anja hielt ihren Saxofonkoffer hoch. »Sieht so eine Flöte aus?«

»Ja, das ist blöd mit dem Sticker«, gab Raimund zu. »Wir hätten natürlich ›Der Hit mit dem Saxofon‹ draufschreiben können. Aber das Problem war, dass alle schon ›Der Hit mit der Flöte‹ gesagt haben, da haben wir das einfach mal so übernommen.«

»Wer soll das denn gesagt haben?«

»Na alle, wir und so, ich dachte immer Flöte, was weiß ich denn, das hat sich so eingebürgert, ich meine, du hast uns den doch nicht live vorgespielt, den Track, ich dachte immer, das wär ‘ne Flöte.«

»Das war nie ‘ne Flöte, das war im Leben keine Flöte, das war immer Saxofon!«

»Nun mach dich mal locker, Anja«, sagte Ferdi. »Das ist doch egal. Alle sagen jetzt ›Ballon, Ballon – der Hit mit der Flöte‹, dann ist es doch auch besser, wenn das so auf dem Sticker steht!«

»Das klingt auch besser«, warf Raimund ein.

»Niemand sagt ›Ballon Ballon – der Hit mit der Flöte‹ außer euch, das ist doch totaler Quatsch …«

»Also, ich dachte immer Flöte«, unterbrach Alex, der Mann vom Club. »Wollt ihr nicht einfach schon mal was trinken, eben ein Bier, ein Kölsch vielleicht, wir haben jetzt auch Kölsch hier, die Leute trinken das gern, wenn die so afterworkmäßig hier reinkommen, dann wollen die immer Kölsch, gerade am Mittwoch, das ist ja bei uns in Köln der kleine Samstag, jedenfalls muss jetzt mal einer spielen.«

»Ihr seid doch alle totale Banausen!«

»Jetzt entspann dich mal, Anja«, sagte Ferdi. »Tut uns ja auch leid. Dann müssen wir die eben neu bestickern, bei der nächsten Auslieferung bestickern wir die einfach alle neu, da lassen wir einfach von einem Praktikanten neue Sticker draufmachen, Specki oder was weiß ich, wer dann gerade da ist, jetzt sind die erstmal mit Flöte ausgeliefert, das ist jetzt eben so.«

»Wenn die wenigstens nicht auch noch hier beim Merchandising so bestickert wären«, mischte sich Dubi ein. »Das ist doch total peinlich, wenn wir hier mit Saxofon spielen und dann verkaufen wir das mit ›Der Hit mit der Flöte‹!«

»Quatsch«, sagte Ferdi, »jetzt hört doch mal auf, ihr beiden, wir sind hier doch nicht auf der Musikschule, das merkt doch keiner, und wenn schon, das interessiert doch keine Sau!«

»Irgendjemand von euch muss jetzt mal auflegen, ich geh dann mit hoch und kündige das an«, sagte Alex.

»Nein!«, rief Raimund. »Nein, Alex, nicht ankündigen. Ich geh selber und leg auf, aber nicht ankündigen, nicht so Gummistiefelscheiß, mal ein bisschen Niveau jetzt.«

»Wo ist denn die DJ-Wohnung?«, sagte ich. »Ich muss da hin, ich muss mich mal hinlegen.«

»Hinlegen?«, sagte Alex, der Mann vom Club. »Hinlegen? Jetzt? Am Mittwochabend?!« Darüber musste er erst nachdenken, bevor er weiterredete: »Ich brauch übrigens auch einen von euch, der bei der Tür mitmacht, ich hab heute nicht viele Leute da, also zum Arbeiten, und eigentlich ist vereinbart, dass ihr die Tür macht.«

»Das können doch Holger und Basti machen«, schlug Ferdi vor. »Holger und Basti, geht ihr mal mit Alex zur Kasse, dann soll der euch gleich alles zeigen. Und ich geh mit Charlie hier mal eben nach oben und schau nach Dave und Hans, wenn die da oben sind, und Raimund legt mal auf und der Rest kann ja was essen gehen oder was weiß ich.«

»Ich brauch mal ein bisschen Geld«, sagte Rosa.

»Geld kriegst du von Charlie, der hat das Geld.«

»Dann komm ich erstmal mit in die Wohnung.«

Ferdi kannte den Weg, er ging mit mir und Rosa über einen Hof und hinten herum wieder ins Gebäude hinein und eine Treppe hoch und in die DJ-Wohnung, die direkt über dem Club lag. Durch den Fußboden drang das fröhliche Bummbumm des kleinen Samstags. In der Küche standen Dave und ein Typ, den ich nicht kannte, das musste wohl Hans sein. Er hatte einen Karton auf den Küchentisch gestellt und hielt einen bemalten Leinwandfetzen ins Licht, als wir hereinkamen.

»Hans, alte Socke«, sagte Ferdi fröhlich. »Hast du ordentlich was zusammengeschmiert?«

»Ja klar«, sagte Hans.

»Für die Lounge«, sagte Ferdi triumphierend. »Für die Lounge! Da werden die anderen aber Augen machen!«

Wir stellten uns dazu und besahen den Leinwandlappen, den er hochhielt. Er war vielleicht dreißig mal zwanzig Zentimeter groß, und Hans hatte mit Öl das Wort »Bumm« draufgemalt. »Davon habe ich vier«, sagte er, »die kann man kombinieren. So hintereinanderhängen. Dann gibt das viermal Bumm. Also BummBummBummBumm!«

»Super«, sagte Ferdi.

»Hallo Leute«, sagte Dave.

»Hallo Dave«, sagte Ferdi. »Willst du nicht mal das Merch aufbauen?«

Ich ging aus der Küche und schaute mich um. Rosa kam mit.

»Kannst du mir Geld geben?«, sagte sie zu mir.

»Klar, wieviel denn?«

»Weiß nicht, ein paar hundert Mark vielleicht, wer weiß, wann man wieder was kriegt.«

»Kein Problem.«

Wir gingen durch die Zimmer. Es waren drei, und in jedem war ein breites Bett, ein Schrank, ein Tisch und eine Stehlampe. Ich stellte meine Tasche in einem der Zimmer ab und gab Rosa dreihundert Mark.

»Danke«, sagte sie und tippte mir auf die Schulter. Dann ging sie und schloss die Tür hinter sich. Ich legte mich aufs Bett und schlief ein.

Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt
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