55. Prollhouse
Ich hatte eigentlich gedacht, dass die anderen nach dem Hosti-Bros-Auftritt alle ins Fluxi Maxx Munich 2 fahren würden, sie hatten ja schon im Hofbräuhaus einen ziemlich abgefuckten Eindruck auf mich gemacht, sogar Rosa hatte geklagt, dass ihr das alles zu viel wurde und ihre Batterien alle seien und was man sonst noch so sagt, wenn man keinen Bock mehr hat, aber davon konnte nach dem Hosti-Bros-Auftritt plötzlich keine Rede mehr sein, alle wollten noch bleiben, jedenfalls behauptete Raimund das und Ferdi nickte dazu und Flapsi, der örtliche Clubfreak, regte sich richtig auf, als ich fragte, wie es mit der Rückfahrt aussehe, ob ich wahnsinnig sei, es sei doch gerade so schön und alles hätte doch gerade erst angefangen und Rosa war nirgends zu sehen und Dave und Hans, die nun auch im Club waren und sich nicht einmal mehr die Mühe machten, T-Shirts zu verkaufen, waren auch voll empört, ob ich irre sei, die beiden kleinen Arschkanonen, also ich der einzige, der nach dem Hosti-Bros-Ding ins Bett wollte, zwar angenehm leer im Oberstübchen, aber auch todmüde, glücklicherweise, wie ich fand, denn natürlich war auch ich euphorisch und wenn ich nicht zugleich so müde gewesen wäre, wäre ich vielleicht doch noch ans Saufen gekommen, so aber legte ich mich in die Backstage und schlief gleich ein und wachte morgens gegen zehn Uhr auf einem der Sofas auf, im Mantel und schwitzend und überall das Bummbumm und über mir Rosas Gesicht und sie ziemlich blass.
»Du musst uns jetzt mal ins Hotel fahren!«
Ich brauchte einige Sekunden, um zu begreifen, was mit »du« und »uns« und »Hotel« gemeint war, ich hatte etwas mit meiner Mutter und Klaus-Dieter geträumt, die beiden hatten über mich gelacht, aber es war nicht böse gemeint gewesen und ich hatte mitgelacht, immerhin! Als ich einigermaßen klar war, sagte ich: »Ist irgendwas passiert? Geht’s dir nicht gut?«
»Nein, ich bin okay, nur ein bisschen müde, aber Raimund und Ferdi haben sich gestritten und sind jetzt sauer und ich glaube, jetzt reicht’s mal!«
Ich stand auf, nahm eine Cola aus dem Kühlschrank und ging dann mit Rosa hinaus in die Partywelt. Es war nicht mehr viel los, Dave stand hinter dem Mischpult und fummelte mit Platten herum, irgendjemand hatte viel Nebel verteilt, aber es waren kaum noch Leute da, die Luft war raus, irgendwo sah ich Anja und Dubi sitzen und schlafen und am Tresen stand Raimund am einen Ende und trank einen Whisky und Ferdi stand am anderen Ende mit Flapsi und trank Bier. Ich ging zu Raimund.
»Raimund, was geht ab? Was ist los? Seid ihr noch frisch?«
»Lass uns abhauen, Charlie, ich hab die Schnauze voll, die spinnen doch alle.«
»Das klingt verbittert, wie du das sagst, Raimund, was ist passiert?«
»Frag die beiden Penner da drüben, was los ist!«
Ich ging zu Ferdi und Flapsi hinüber.
»Hallo Leute, was ist los?«
»Was soll schon los sein«, sagte Ferdi. »Raimund hat mal wieder seine fünf Minuten, das ist los.«
»Wollt ihr auch ins Fluxi? Oder wollt ihr noch hierbleiben?«
»Fluxi? Was soll ich denn im Fluxi?«, sagte Flapsi. »Ich meine, was ist das denn für eine Frage, wir sind doch in München oder etwa nicht, wie kannst du mich denn dann …« Er brach ab und trank Bier und rülpste.
»Ich geh nicht ins Auto mit dem, wenn der so drauf ist!« Ferdi zeigte auf Raimund. »Will der ins Fluxi oder was?«
»Ja, Raimund will ins Fluxi und Rosa auch. Ich frag mal die anderen, die ich noch finde, und der Rest kann ja nachkommen, ist das okay?«
»Sag Raimund, er soll sich mal wieder einkriegen, sonst steig ich nicht in ein Auto mit dem, der ist ja voll aggro, da hab ich Angst vor, wenn der so drauf ist!«
Ich ging zu Raimund hinüber. »Ferdi sagt, du sollst dich mal wieder einkriegen.«
»Der spinnt doch. Dieser beknackte Flapsi sagt, Hosti Bros wären prollig, und Ferdi, der Arsch, sagt auch noch ja dazu!«
»Ja, schlimm«, sagte ich.
»So geht das nicht! Holger ist mein Kumpel und Basti auch und ich hab die bei BummBumm reingebracht und einen Hit haben sie auch und das kann ja wohl nicht sein, dass einer sagt, die wären prollig und dann nickt Ferdi dazu, ich meine, wenn die sowas mitkriegen, die gehen doch gleich woanders hin, was weiß ich, Magnetic oder was, das könnte ich sogar verstehen, da würde ich auch zu Magnetic gehen!«
»Wollen wir dann mal fahren?«
»Du kannst denen mal sagen, dass sie sich entschuldigen sollen.«
»Bei dir oder bei Hosti Bros?«
»Bei beiden.«
Ich ging zu Ferdi und Flapsi.
»Raimund sagt, ihr sollt euch entschuldigen.«
»Wieso das denn?«
»Weil ihr zu Hosti Bros prollig gesagt habt.«
»Ich habe gar nicht prollig gesagt«, sagte Flapsi, »ich habe nur gesagt, dass das halt so Prollhouse ist, was die machen, also für mich ist das ganz klar eine Kategorie, ganz wertfrei.«
»So hatte ich das auch verstanden«, sagte Ferdi. »Das war nicht negativ gemeint.«
»Raimund meint aber wohl!«
»Dann tut mir das leid.«
»Das musst du ihm selber sagen. Geh doch eben rüber und sag’s ihm«, schlug ich vor.
»Der soll selber kommen, dann entschuldige ich mich.«
Ich ging wieder zu Raimund.
»Ferdi will sich entschuldigen.«
»Dann soll er herkommen.«
»Er meint, du sollst rüberkommen.«
»Ich geh doch nicht da rüber, wenn er sich entschuldigen will, das ergibt doch keinen Sinn. Wenn er sich bei mir entschuldigen will, dann muss er auch herkommen!«
Ich ging wieder zu Ferdi.
»Er meint, du solltst zu ihm kommen und nicht er zu dir. Du sollst dich entschuldigen, deshalb sollst du auch hingehen.«
»Und was ist mit mir? Soll ich mich nicht entschuldigen?«, fragte Flapsi.
»Das sollte man vielleicht erstmal klären«, sagte Ferdi.
Ich also wieder zurück zu Raimund. Der hatte sich gerade einen neuen Whisky geben lassen.
»Raimund, soll Flapsi sich auch entschuldigen?«
»Der soll bleiben, wo er ist, der Penner.«
Ich ging wieder zurück.
»Du sollst bleiben, wo du bist«, sagte ich zu Flapsi. »Du sollst dich nicht entschuldigen.«
»Ich will aber«, sagte Flapsi. »Das kann ja nicht sein, dass Ferdi sich entschuldigen darf und ich darf mich nicht entschuldigen, das ist ja unerhört!«
»Ich entschuldige mich nur, wenn Flapsi sich auch entschuldigt«, sagte Ferdi.
Ich ging wieder zu Raimund.
»Ferdi entschuldigt sich nur, wenn Flapsi sich auch entschuldigt!«
»Ist das jetzt aus Solidarität mit Flapsi oder irgendwie gegen Flapsi gemeint?«
»Keine Ahnung, schwer zu sagen », sagte ich.
Raimund kippte den Whisky runter und zog die Nase hoch. Dann kratzte er sich am Kopf. Dann räusperte er sich. Dann schaute er mich an.
»Was nun? Gegen Flapsi oder für Flapsi?«
»Was weiß ich denn, Raimund. Keine Ahnung. Ist das wichtig?«
»Das ist der Unterschied zwischen sein und nicht sein, Charlie.«
»Jetzt hör mal auf, Raimund! Hör auf mit dem Scheiß! Lass uns ins Fluxi fahren, echt mal! So kann man nicht Magical Mystery machen, ich meine: Liebe, Psychedelic, Hippie, so Sachen, da kannst du doch hier nicht so ein Brett fahren!«
»Wer fährt hier ein Brett? Und wer hat sich die Magical-Mystery-Sache denn überhaupt ausgedacht?!«
»Weiß nicht, da hört man mal dieses, mal jenes, Raimund. Im Zweifel die Beatles!«
»Die sollen sich entschuldigen.«
Ich ging wieder rüber. »Okay, Ferdi, jetzt geht da beide rüber und entschuldigt euch, dass ihr das gesagt habt, das mit dem … – was hattet ihr noch mal gesagt?«
»Prollhouse!«
»Fängt der schon wieder an!« Raimund war mir gefolgt. »Fängt der schon wieder an!«
Mir reichte es jetzt, es war wie in Clean Cut 1!
»Passt auf, Leute, wenn ihr euch jetzt nicht zusammenreißt«, sagte ich im Werner-Sound, »dann müssen da alle drunter leiden. Dann fällt das auf die ganze Gruppe zurück. Dann gibt’s keine Rückfahrt ins Hotel oder wenn, dann eine ohne alle, also nur mit einem Teil der Leute und dann zerfällt die Gruppe und die Magical-Mystery-Sache scheitert und dann habt ihr euch das selbst zuzuschreiben.«
Darauf schwiegen alle eine Weile. Dann sagte Flapsi: »Ist denn dieses Magical-Mystery-Ding bei den Beatles nicht auch gescheitert?«
»Entschuldige dich lieber«, sagte ich.
»Okay«, sagte Flapsi, »tut mir leid, ich hab’s doch positiv gemeint.«
»Okay«, sagte Raimund.
»Du auch, Ferdi«, sagte ich.
Aber Ferdi war eingeschlafen.