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Hickle wollte gerade wieder abdrücken, als er Abbys Stimme hörte. Aus dem anderen Flur rief Travis: »Hör nicht auf sie.«

Ein Schuss fiel. Es war Travis. Eigentlich wäre Hickle dran gewesen. Aber er zögerte und dachte über ihre Worte nach: Dich bringt er als Nächsten um.

Anscheinend konnte Travis sich denken, was in ihm vorging. »Sie versucht, dich zu manipulieren«, sagte er mit lauter, ruhiger Stimme. »Sie ist nämlich Psychologin, weißt du?«

»Sie ist Psychologin?«

»Sie hat dich genau studiert – wie eine Laborratte. Und sie glaubt, sie weiß, wie du tickst.«

Das klang glaubwürdig. So war sie. »Zum Teufel mit der Schlampe«, sagte Hickle, beugte sich durch die Türöffnung und feuerte einen Schuss ab.

Einen Moment lang war es still. Vielleicht hatte er sie getroffen. Oder Travis hatte sie erwischt. Doch dann schrie Abby wieder: »Er wollte gar nicht, dass Kris stirbt. Er wollte nur Howard Barwood eine Falle stellen …«

»Hör gar nicht hin. Sie verscheißert dich nur«, rief Travis wütend.

»… und dich versucht er auch reinzulegen, Raymond. Er ist nicht dein Freund, er benutzt dich nur!«

Wieder zwei Schüsse aus der Beretta. Hickle merkte, dass Travis die Nerven verloren hatte. Travis hatte ihm eingebläut, keine Munition zu vergeuden und immer nur einmal zu feuern. Und jetzt hielt er sich selbst nicht dran.

»Was ist los, Travis?«, brüllte Hickle.

»Lass dich von ihr nicht irremachen. Du kannst ihr nicht trauen. Das weißt du doch, verdammt.«

Natürlich wusste Hickle es. Aber vielleicht konnte er Travis auch nicht trauen. »Du hast mir nie erzählt, warum du das alles gemacht hast«, rief er. »Warum du das Leben deiner Klientin aufs Spiel gesetzt hast. Worum geht es hier denn eigentlich?«

»Jetzt schieß doch schon, du Blödmann. Wir haben sie genau da, wo wir sie haben wollen …«

»Warum machst du das alles, Travis? Sag schon!«

Travis zögerte so lange, dass Hickle klar war, er versuchte, sich irgendeine Lügengeschichte auszudenken.

Aber Abby kam ihm zuvor: »Er muss dafür sorgen, dass Kris am Leben bleibt, um seine Firma zu retten. Und er versucht, ihren Mann loszuwerden, damit er sie heiraten kann, Raymond. Er will Kris heiraten!«

Und plötzlich erkannte Hickle mit schrecklicher Gewissheit, dass sie die Wahrheit sagte.

Travis hatte niemals gewollt, dass Kris stirbt. Der Anschlag sollte misslingen. Deshalb plötzlich der gepanzerte Wagen und deshalb war er auch mitgefahren. Travis hatte ihm was vorgemacht, von Anfang an. Denn was er wollte … was er wirklich wollte …

Das war Kris. Als seine Frau. Mrs Paul Travis. Er würde ihr Geld bekommen und mehr als das – ihren Lebensstil, ihre prominenten Freunde, ihre Welt. Travis würde alles bekommen, wovon Hickle geträumt und wofür er gekämpft hatte, alles, was eigentlich ihm gehören sollte, so wie Kris ihm hätte gehören sollen, denn so war es von jeher bestimmt gewesen.

»Du Scheißkerl«, flüsterte Hickle.

Mit einem Wutschrei stürmte er los, wirbelte um die Ecke in den anderen Flur und feuerte zweimal in Richtung der Türöffnung. Da erstrahlte plötzlich die Taschenlampe, unerwartet nah, und ihr grelles Licht blendete ihn für einen entscheidenden Sekundenbruchteil und aus ihrem Strahl heraus schoss ein konturloses violettes Leuchten wie ein Nachbild der Sonne und dann noch einmal und noch einmal und überall krachte es.

Hickles Knie gaben nach. Er taumelte zurück in den vorderen Flur und sackte gegen die Wand. Als er versuchte, sich an dem glatten, ungestrichenen Gipskarton festzuhalten, glitt ihm die Büchse aus den Händen. Langsam rutschte er die Wand hinunter und hinterließ eine Blutspur. Dann saß er am Boden, in einer immer größer werdenden Blutlache, am ganzen Körper zitternd.

Travis hockte sich neben ihn und untersuchte mit der Taschenlampe die Wunden, die seine Feuersalve verursacht hatte. »Du bist der geborene Verlierer, Raymond.« Er sagte es nicht bösartig. Er lächelte sogar dabei. »Dir gelingt einfach gar nichts. Du warst nicht in der Lage, Abby umzubringen. Dein erster Fehler. Bei Kris hat es auch nicht geklappt. Dein zweiter Fehler.«

Hickle wollte etwas sagen, protestieren, sich rechtfertigen, aber ihm fielen keine Rechtfertigungen mehr ein, und außerdem war sein Mund voller Blut.

»Und mich hast du auch nicht erwischt.« Travis beugte sich näher zu ihm hinunter. Seine Waffe fühlte sich glatt und geschmeidig an, als sie unter Hickles Kinn glitt. »Dritter Fehler. Und aus.«

Blammo, dachte Hickle empfindungslos.

Das Letzte, was er sah, war Travis‘ kaltes Lächeln.