27

 

»Und wie geht es jetzt weiter?«

Howard Barwood, der gerade seine Hose anziehen wollte, hielt mitten in der Bewegung inne. Er sah Amanda an, die nackt auf dem Bett lag. »Ich habe es doch gesagt«, betonte er. »Ich will mit dir zusammen sein.«

»Wann?«

»Wenn ich Kris endlich los bin.«

»Ich bin ein Mädchen aus der Stadt, Howie, ohne Illusionen. Und ich frage mich, ob es jemals so weit kommen wird.«

»Du wirst schon sehen.« Er zog die Hose hoch und schnallte den Gürtel zu. Er hasste es, wenn sie ihn Howie nannte.

Die Nachttischlampe war die einzige Lichtquelle im Zimmer. Sie hatte eigentlich mehrere Helligkeitsstufen, aber nur die niedrigste funktionierte noch und gab ein spärlich fahles Licht ab.

»Weißt du«, fuhr sie fort, als hätte er gar nichts gesagt, »ich habe den Eindruck, du schiebst gern alles auf die lange Bank. Du hast Monate Zeit gehabt, mit ihr zu reden.«

»Aber es gibt da Verschiedenes zu berücksichtigen.«

»Zum Beispiel?«

»Zuerst müssen ein paar finanzielle Transaktionen über die Bühne.« So viel konnte er ihr ruhig erzählen.

»Hört sich sehr mysteriös an«, schnurrte Amanda. »Beunruhigend vage.«

»Sagen wir mal, wir werden nicht arm sein.«

»War das jemals ein Problem?«

»Armut ist relativ. Was ich als Armut empfinde, ist für andere das reinste Luxusleben. Es wird uns jedenfalls an nichts fehlen.«

»Und Kris?«

Howard wandte sich ab. »Um die brauchst du dir keine Sorgen zu machen.«

Er suchte sein Hemd und zog es an. So fühlte er sich wohler in seiner Haut. Als junger Mann war er stolz auf seinen muskulösen Oberkörper gewesen, aber seine Brustmuskeln waren schlaff geworden und er war sehr in die Breite gegangen. Er war einfach nicht mehr in Form und sah nur noch ungern in den Spiegel. Aber vielleicht gab es auch noch andere Gründe, warum er sich nicht mehr ins Gesicht schauen wollte.

Irgendwo in der Nähe heulte eine Sirene – ein Polizeiauto oder Krankenwagen, vielleicht auch die Feuerwehr. In dieser Gegend hörte man ständig Sirenen. Howard dachte an das Rauschen der Brandung in Malibu, das einzige Geräusch, das von der Terrasse ihres Strandhauses aus zu hören war, und fragte sich einen Moment, was er hier eigentlich wollte.

Nun, für diese Frage war es ein bisschen spät. Er hatte bereits eine Kette von Ereignissen in Gang gesetzt, die ihn von seinen ehelichen Pflichten und dem Leben in Malibu befreien würde. Vielleicht würde er irgendwann bereuen, diesen Weg eingeschlagen zu haben, aber er konnte es nicht ungeschehen machen. Es gab kein Zurück.

»Was ist?«, fragte Amanda.

Ihm wurde bewusst, dass er den letzten Gedanken laut ausgesprochen hatte. »Ach, nichts«, sagte er und knöpfte sein Hemd zu.

»Okay, spiel ruhig den Geheimnisvollen. Es nervt zwar, ist aber auch irgendwie männlich, nur ein bisschen sehr viktorianisch-reserviert.«

Sie drehte sich auf die Seite und wandte ihm den Rücken zu. Oberhalb ihrer linken Hinterbacke hatte sie eine Rose tätowiert. Als Howard sie zum ersten Mal gesehen hatte, war er fasziniert davon gewesen. Er hatte schon mit vielen Frauen geschlafen, aber keine von ihnen war tätowiert gewesen. Es hatte etwas Exotisches, es war aufregend. Nun ließ es ihn kalt, er fand es sogar fast ein bisschen billig. Und er fragte sich, ob er Amanda ebenso sah.

Nein, natürlich nicht. Woher war dieser Gedanke plötzlich gekommen? Es war ihm ernst mit Amanda. Sie war genau das, was er brauchte. Jung, dynamisch, ehrgeizig und selbstbewusst. Sie redete schnell und sprühte nur so vor Ideen. Sie war … Er suchte das richtige Wort. Experimentierfreudig. Jedenfalls in sexueller Hinsicht. Sie tat mit Begeisterung Dinge, die Kris nur widerstrebend oder gar nicht getan hätte.

Er dachte zurück an seine erste Nacht mit Amanda, wie sie seine Hose bis zu den Knien heruntergezerrt, seinen Schwanz in den Mund genommen und mit der Zunge bearbeitet hatte, bis er zu voller Länge angewachsen war. In dem Moment war er wieder zwanzig gewesen und nicht mehr der Mann in mittleren Jahren mit Schmerbauch und Haaren auf den Ohrläppchen, dem beim Treppensteigen nach ein paar Stufen die Puste ausging.

Sicher ging es in ihrer Beziehung nicht nur um Sex. Bei Weitem nicht. Sie redeten auch miteinander. Heute Abend zum Beispiel. Er hatte sich fast den ganzen Abend bei einer Sardellenpizza und einer Flasche Merlot mit ihr unterhalten. Erst danach waren sie ins Schlafzimmer gegangen. Was er mit Amanda hatte, war keine billige Affäre, es war eine Herzenssache. Musste es einfach sein.

Ausgiebig gähnend stieg Amanda aus dem Bett, schob sich an ihm vorbei und ging ins Bad. Sie goss sich ein Glas Wasser ein und nahm einen großen Schluck, bevor sie an ihren Haaren herumzupfte. Im Gegensatz zu ihm hatte sie keine Probleme mit Spiegeln. Er mochte ihre schlanke Gestalt ohne ein überflüssiges Gramm Fett, ihre kleinen Brüste mit den steifen Nippeln, ihre festen Schenkel und die Enge dazwischen, die er in den vergangenen sechs Monaten gründlich erkundet hatte.

Er war ihr damals bei einem Besuch im Studio begegnet. Er hatte mit ihr geflirtet und sie war darauf angesprungen. Manchmal sagte er sich, dass Kris sich über seine Schwäche im Klaren gewesen sein musste. Sie musste gewusst haben, worauf sie sich einließ, als sie ihn heiratete. Natürlich keine wirkliche Rechtfertigung für seine Eskapaden, aber etwas Besseres fiel ihm nicht ein.

Tatsächlich hatte er Kris einst geliebt, aber seine Gefühle waren verebbt. Wahrscheinlich hatte sie recht, wenn sie sagte, dass er Frauen, wenn der Reiz des Neuen verflogen war, behandelte wie unliebsam gewordenes Spielzeug. Aber wenn man genug Geld hatte, konnte man sich immer wieder neues Spielzeug kaufen, solange das alte keine zu große Belastung darstellte.

»Sie hat einen Verdacht, weißt du?«, rief Amanda aus dem Badezimmer.

Howard, der unter der der verknäuelten Tagesdecke auf dem Boden nach seinen Schuhen suchte, sah überrascht auf. »Was hast du gesagt?«

»Sie vermutet, dass du eine Affäre hast. Hat sie mir selbst gesagt.«

Es kam ihm vor, als würde die Welt stehen bleiben. Vielleicht stockte ihm auch nur der Atem. »Wann?«

»Gestern. Es war gerade Beichtstunde, jedenfalls für sie.« Amanda grinste, wurde dann aber ernst. »Ich sollte mich nicht darüber amüsieren. Schließlich ist sie so was wie meine Freundin.«

Sie stand nackt in der Badezimmertür, die Hüfte angewinkelt, die Hände in die Seiten gestemmt. Unter ihrer blassen Haut zeichneten sich die Schlüsselbeine ab. Sie war nicht so hübsch wie Kris, sinnierte er unpassenderweise. Aber sie war jung. »Warum hast du mir das denn nicht früher erzählt?«, fragte er.

Sie zuckte nur mit den Schultern. »Hab ich vergessen.«

»Also, was genau hat sie denn gesagt?«

»Sie glaubt, dass du mit einer anderen rummachst. Ich habe ihr ein Gespräch von Frau zu Frau versprochen. Aber ich konnte nicht. Ich wäre mir vorgekommen wie eine Katze, die mit einer Maus spielt. Vielleicht würde es sogar auf perverse Art Spaß machen, aber solche Spielchen steigern nicht gerade das Selbstwertgefühl.«

»Nein«, sagte er mit tonloser Stimme. »Wohl eher nicht.«

»Ich glaube nicht, dass sie was weiß. Sie hat nur so eine Ahnung – weibliche Intuition oder was weiß ich. Aber es ist doch eigentlich gut so, oder?«

Gut. Wie konnte sie das nur sagen? »Meinst du?«

»Das macht es dir doch einfacher, ihr von uns zu erzählen.« Sie runzelte die Stirn. »Du wirst es ihr doch erzählen, Howard, oder?«

»Zum gegebenen Zeitpunkt.« Er wusste, das war eine nichtssagende Antwort, und sie würde sicher sauer reagieren.

So war es auch. »Ich hoffe nur, du bekommst nicht auf einmal kalte Füße, wie man so schön sagt. Ich habe deinetwegen ziemlich viel aufs Spiel gesetzt. Deine Frau hat bei KPTI wesentlich mehr Einfluss als ich. Sie ist die bionische Nachrichtenschickse, die Sieben-Millionen-Dollar-Frau. Ich will damit sagen, sie kann mich rausschmeißen lassen. Und wenn ich keine Alternative habe, nichts, worauf ich zurückgreifen kann …«

Er hielt eine Hand hoch, um sie zu beschwichtigen. »Du wirst jede Menge haben, worauf du zurückgreifen kannst. Und du fliegst auch nicht raus. So wird’s nicht laufen.«

»Wie denn dann?«

»Es wird schon alles gut.« Howard seufzte und fühlte sich plötzlich müde. »Übrigens bist du nicht die Einzige, die was riskiert.«

»Ach nein? Was hast du denn jemals getan, außer mit einer Beule in der Hose aufzutauchen?«

»Mehr, als du ahnst. Du musst gar nicht alles wissen. Und wo sind überhaupt meine verdammten Schuhe? Ich muss nach …« Nach Hause, hätte er beinah gesagt. »Ich muss weg.«

Es war fast schon zehn und von hier aus brauchte er eine Stunde bis Malibu. Kris würde gegen Mitternacht nach Hause kommen und er wollte möglichst ein gutes Stück vor ihr dort sein. Es war ziemlich peinlich gewesen, als er letztens später als üblich nach Hause gekommen war und sie schon da war.

Sie hatte ihm Fragen gestellt – nach seiner imaginären Fahrt die Küste entlang und warum er so aufgekratzt war. Natürlich hatte sie einen Verdacht. Jetzt schien es plötzlich ganz offensichtlich. An dem Abend hatte er es einfach nicht merken wollen.

Es spielte auch keine Rolle mehr. Es war zu spät für sie, ganz gleich, was für einen Verdacht sie hatte. Die Sache bewegte sich jetzt rasant auf ihr Ende zu und bald würde alles ein für alle Mal erledigt sein.

Er fand seine Schuhe in einer dunklen Ecke, in die das schwache Licht der Lampe nicht reichte. Als er sich bückte, um sie anzuziehen, ächzte er unwillkürlich. Wie ein alter Mann. Er hasste es, wenn ihm solche Geräusche entfuhren.

Amanda war seine Fahrkarte zurück in die Jugend. Und wenn nicht Amanda, dann eine neue Gefährtin, noch jünger und ohne Tätowierungen.

Aber nicht Kris. Kris war die Vergangenheit. Sie war Ballast und zog ihn runter.

Er musste sie loswerden. Er würde sie loswerden.

Schon bald.