21

 

Travis trat aus der Dusche und warf sich seinen Bademantel über. Es klingelte an der Tür.

Halb acht morgens war reichlich früh für Besucher. Es kam sowieso selten jemand her. Sein Anwesen in den Hollywood Hills war nur über eine gewundene Sackgasse zu erreichen. Es war ein Haus im Ranch-Stil, das einen Canyon überragte und eigentlich ideal war, um Gäste zu empfangen, aber er war lieber allein.

Er schlüpfte in seine Mokassins, trottete durch den Flur und blieb in einer Nische vor einem Bildschirm stehen, der den Eingang zeigte. Auf den Stufen stand Abby in Jeans und zerknitterter Bluse. Sein erster Gedanke war, dass sie anders aussah. Er fand ihren Gesichtsausdruck irgendwie seltsam, aber er wusste nicht warum. Dann wurde ihm klar, dass er sie zum ersten Mal ängstlich sah.

Er stellte die Alarmanlage ab und öffnete die Tür. »Hallo«, sagte er.

»Hallo.«

Ohne ein weiteres Wort kam sie herein. Sie schien ihn kaum wahrzunehmen. »Alles in Ordnung?«, fragte Travis, obwohl er die Antwort kannte.

»Nicht so richtig.« Abby ging ins Wohnzimmer und warf ihre Handtasche auf das Sofa, setzte sich aber nicht. »Hickle hat möglicherweise einen Komplizen.«

»Einen Komplizen?«

»Oder einen Informanten. Ich weiß nicht so genau. Im Grunde weiß ich gar nichts.« Sie lief nervös hin und her, wobei ihre Sneaker auf dem Holzboden quietschten. Durch die Glastüren der Veranda fielen Sonnenstrahlen auf ihre schlanke, nervöse Gestalt.

Sie war schon oft hier gewesen, aber selten, ohne vorher anzurufen. Immer wieder fiel Travis auf, wie gut sie hierher passte. Die Einrichtung war funktional und modern mit glatten Linien, der perfekte Rahmen für Abby mit ihren schlanken Beinen, der schmalen Taille und dem langen, geschmeidigen Hals.

»Setz dich doch erst mal«, sagte Travis ruhig. »Du wirkst ein wenig gestresst.«

Sie blieb stehen. »Dazu habe ich auch allen Grund. Ich war die halbe Nacht wach, weil ich nicht früher einschlafen durfte als Hickle. Ich habe ihn die ganze Zeit auf dem Bildschirm beobachtet, bis er irgendwann nach drei eingenickt ist.«

»Okay, langsam. Und bitte ganz von vorn.«

Sie atmete laut aus und musste sich offenbar zwingen, ruhig zu sprechen. »Irgendjemand hat gestern Abend gegen halb neun bei Hickle angerufen. Anschließend ist er weggefahren und hat die Schrotflinte mitgenommen. Ich habe ihn verfolgt, aber verloren. Ich habe keine Ahnung, wohin er gefahren ist oder mit wem er Kontakt aufgenommen haben könnte. Als er zurückkam, machte er einen ganz aufgewühlten Eindruck. Und er hat ständig vor sich hin geredet, dass er niemandem trauen kann. Das habe ich über die Wanzen mitgehört. Möglicherweise hat ihm jemand was gesteckt.«

»Über dich?«

»Ja.«

»Du meinst, er weiß über dich Bescheid?«

»Kann sein.«

Travis ging langsam auf sie zu. »Falls er Bescheid weiß …«

»Ich weiß, dann könnte er vollends durchdrehen. Verstehst du jetzt, warum ich nicht vor ihm einschlafen wollte? Und bevor ich mich hingelegt habe, habe ich die Anlage voll aufgedreht, damit ich ihn höre, falls er mitten in der Nacht aufsteht. Ich hatte einfach Angst, er würde ausrasten.« Sie holte tief Luft. »Da ist noch was.«

»Ja?«

»Vorgestern bin ich spätabends noch in den Whirlpool in der Wohnanlage gestiegen. Da hat sich jemand angeschlichen und mich unter Wasser gedrückt.«

»Jemand hat versucht, dich zu ertränken?«

Sie nickte. »Ich habe ihn mir mit einer abgebrochenen Bierflasche vom Hals geschafft. Aber gesehen habe ich nicht. Ich glaube nicht, dass es Hickle war. Der war anderweitig beschäftigt. Aber vielleicht war es sein Komplize. Falls er einen Komplizen hat. Ich weiß es einfach nicht …«

»Aber warum hast du mir gestern Nachmittag im Büro denn nichts davon erzählt?«

»Ich war mir nicht sicher, ob es wichtig ist.«

»Du warst dir nicht sicher, ob es wichtig ist? Jetzt hör aber auf, Abby. Ich habe schon bessere Ausreden von dir gehört.«

»Also gut. Ich hatte Angst, dass du mich von dem Fall abziehst.«

»Verstehe.«

Sie starrte ihn an. »Das tust du doch nicht, Paul, oder? Oder?«

Er antwortete nicht. »Hast du Hickle heute Morgen gesehen?«

»Ja, über die Überwachungskamera.«

»Wie wirkte er? Immer noch aufgewühlt?«

»Ich glaube schon. Sicher bin ich nicht. Ich habe ihn nicht lange genug beobachten können. Er hat um halb sechs die Wohnung verlassen. Auf dem Weg hierher bin ich an dem Donut-Laden vorbeigefahren und sein Auto stand dort auf dem Parkplatz.«

»Also ist er ganz normal zur Arbeit gegangen wie sonst auch. Vielleicht ist er gar nicht so aufgebracht, wie du meinst.«

»Oder er braucht einfach Zeit zum Nachdenken.«

»Du meinst, er wartet nur auf den richtigen Augenblick? Er bereitet sich darauf vor zuzuschlagen?«

»Genau.«

»Gegen Kris … oder gegen dich?«

»Vielleicht uns beide.«

»Nun gut, aber falls er wirklich einen Informanten hat, wer könnte das sein?«

Abby zuckte mit den Schultern. »Jemand mit Insider-Informationen und einem Motiv.«

»Es kann ja nur jemand sein, der weiß, dass du an dem Fall arbeitest. Und der weiß, wie er an Hickle rankommt. Jemand, der Kris tot sehen will.«

Sie umklammerte ihre Arme. »Also, ich muss sagen, die Sache gefällt mir gar nicht. Du kennst mich ja, ich bin ein totaler Kontrollfreak. Und jetzt habe ich plötzlich das Gefühl, dass alles außer Kontrolle geraten ist. Eigentlich sollte ich doch diejenige sein, die Geheimnisse vor Hickle hat. Aber jetzt hat er ein Geheimnis und ich tappe völlig im Dunkeln. Ich … ich bin ziemlich mit den Nerven runter.«

»Hast du überhaupt geschlafen?«

»Ein paar Stunden. Aber nicht gut. Ich hatte immer wieder diesen Traum. Ach, vergiss es, es ist nicht wichtig.«

»Du als Psychologin willst mir erzählen, Träume seien nicht wichtig?«

»Ich bin keine Psychologin.«

»Ich bin auch kein Psychologe, aber erzähl’s mir trotzdem. Es ist nicht gut, so was zu verdrängen.«

»Also … ich habe geträumt, ich wäre wieder in dem Whirlpool und jemand würde mich runterdrücken, nur diesmal konnte ich mich nicht befreien. Ich habe mich gewehrt, bis mir die Luft ausging, und dann …«

Travis nahm sie in den Arm. »Schon gut«, flüsterte er, während er sie sanft hin und her wiegte.

»Nein, es ist nicht gut. Ich hasse es, so zu versagen.«

»Von Versagen kann doch gar keine Rede sein.«

»Aber es sieht aus, als wollte ich kneifen.«

»Ach, Unsinn. Allerdings wird es unter diesen Umständen das Beste sein, unsere Strategie zu ändern.«

»Und mich von dem Fall abzuziehen? Willst du das damit sagen?«

»Vielleicht bleibt uns nichts anders übrig. Als Vorsichtsmaßnahme …«

Sie befreite sich aus seinen Armen. »Auf gar keinen Fall. Ich werde mich nicht drücken. Ich ziehe die Sache durch wie vereinbart.«

»Falls Hickle einen Tipp bekommen hat, kannst du sowieso nicht mehr viel ausrichten.«

»Stimmt nicht. Ich kann ihn weiter beobachten, so wie letzte Nacht. Außerdem ist nicht sicher, dass er über mich Bescheid weiß. Vielleicht weiß er gar nichts. Ich gebe nicht so leicht auf, Paul.«

»Dein Leben könnte in Gefahr sein.«

»Ja, aber es ist mein Leben. Deshalb entscheide ich.«

Er musterte sie. »Das ist doch nicht alles wegen Devin Corbal, oder?«

»Ich weiß nicht, was du meinst.«

»Ich habe den Eindruck, dass du dich mir gegenüber beweisen willst. Oder die Sache wiedergutmachen. Etwas in der Art.«

»Versuch bitte nicht, in meinen Kopf zu schauen.«

»Ich will nur wissen, warum du unbedingt so ein großes Risiko eingehen willst.«

»Vielleicht lebe ich gern gefährlich. Oder vielleicht hast du recht, was Corbal angeht. Macht das einen großen Unterschied? Es ist mein Job und ich bringe ihn zu Ende, basta.«

Sie funkelte ihn herausfordernd an.

Travis gab nach. »Okay.« Er strich ihr eine Haarsträhne aus der Stirn. »Du bist so stur.«

»Das ist eine meiner besonderen Qualitäten. Also, hast du schon mal etwas von einer Firma namens Western Regional Resources gehört?«

»Nein, sollte ich?«

»Wahrscheinlich nicht. Sie machen nicht viel Werbung. Ich habe herausgefunden, dass die Nummer, von der aus Hickle angerufen wurde, zu einem Handy gehört, das auf den Namen dieser Firma angemeldet ist. Aber im Internet kann ich nichts über Western Regional Resources finden, auch nicht in der Datenbank von LexisNexis. Und in den Gelben Seiten natürlich auch nicht.«

Travis sah durch die Verandatüren hinaus auf den Canyon. »Wir finden sie schon.«

»Könnte aber schwierig werden. Ich vermute, es ist eine Scheinfirma.«

»Nehme ich auch an«, sagte Travis leise, während er weiter hinausschaute. Dann spürte er Abbys Blick.

»Du weißt etwas«, flüsterte sie.

»Kann sein. Komm mit.«

Er führte sie in den hinteren Bereich des Hauses, holte sein Notebook aus dem Arbeitszimmer und bedeutete ihr, ins Schlafzimmer zu gehen. In gespielter Empörung schüttelte sie den Kopf. »Du denkst auch immer nur an das Eine.«

»Heute nicht. Alles rein geschäftlich.« Travis öffnete die Doppeltür eines Mediencenters aus Nussbaum. Darin befand sich ein Dreißig-Zoll-Fernseher.

»Um diese Zeit läuft doch nichts Vernünftiges«, sagte Abby.

»Schau zu und lerne.« Er nahm die Fernbedienung und gab sieben Ziffern ein. Mit einem metallischen Snick sprang die Front des Fernsehers wie eine Tür einen Spaltbreit auf. »Ein Safe«, erklärte Travis unnötigerweise. »Das Neueste vom Neuen.«

»Clever, aber was ist, wenn du Letterman gucken willst?«

»Der Fernseher ist vollkommen funktionstüchtig. Es ist ein Flachbildschirm, zehn Zentimeter tief. Die gesamte Technik steckt im Rahmen. Der Rest des Geräts ist hohl.«

»Und was bewahrst du darin auf? Deine Kronjuwelen?«

»Wo ich die aufbewahre, weißt du doch.« Travis machte die Safetür weiter auf. Im Innern befanden sich Ständer mit CDs in Plastikhüllen. »Hier bewahre ich Dateien auf. Streng geheime Dateien.«

»Daten von Kontaktpersonen«, sagte Abby gelassen.

»Wie hast du das erraten?«

»Darüber habe ich mir schon öfter Gedanken gemacht. Es ist einfach eine sinnvolle Vorsichtsmaßnahme. Du musst deine Klienten vor allen möglichen Gefahren schützen. Und schließlich sind nicht alle Stalker Fremde. Routinemäßig Personen im Umfeld deiner Klienten zu überprüfen, könnte in manchen Fällen ganz nützlich sein. Jedenfalls habe ich mir gedacht, dass du dich um diesen Aspekt kümmerst. Du kümmerst dich schließlich auch um alles andere.« Sie lächelte verschmitzt. »Im Grunde bist du ein Korinthenkacker mit Zwangsneurose.«

»Sehr schmeichelhaft.«

»Du spionierst also deine eigenen Klienten ebenso aus wie die Leute in ihrem Umfeld.«

»Wir nennen das lieber Informationen sammeln.«

»Meinetwegen. Also, du überprüfst Ehegatten, Geschäftspartner, den Fitnesstrainer … jeden, von dem theoretisch eine Gefahr ausgehen könnte. Und deine Klienten erfahren nichts davon, weil die sicher nicht besonders erfreut darüber wären, dass du ihre Freunde und Verwandten unter die Lupe nimmst.«

»Und deshalb sind diese Dateien auch streng geheim und ich schließe sie weg.«

Abby ging zum Safe und spähte hinein. »An die fünfzig CDs«, sagte sie. »Das dürften etwa dreißig Gigabyte sein.«

»Die CDs sind nicht alle voll.«

»Trotzdem, eine Menge Informationen.«

»Wie du schon sagtest, ich bin gründlich.«

»Nein, ich habe gesagt, dass du ein Korinthenkacker mit Zwangsneurose …«

»Ich finde, gründlich trifft es ganz gut.« Er ging die CDs durch, bis er eine mit der Aufschrift BARWOOD fand, und nahm sie aus der Hülle. »Aber du hast recht. Auf so einer CD kann man jede Menge Informationen speichern. Zum Beispiel alle fünfundsiebzigtausend Einträge der Encyclopedia Britannica

Abby nickte. »Oder jedes kleinste Detail über Kris Barwood, ihre Freunde, Verwandten und … ihren Mann.«

»Genau.«

»Der gute alte Howard«, sagte sie leise und nachdenklich.

Travis runzelte die Stirn. »Das scheint dich auch nicht zu überraschen.«

»Ich war fast die ganze Nacht wach, und da habe ich die verschiedenen Möglichkeiten durchgespielt. Der Ehemann gehört doch immer zu den Verdächtigen. Bitte sag mir, dass Howard Barwood eine Firma namens Western Regional Resources hat.«

»Würde ich ja gern. Das würde die Sache viel einfacher machen.«

»Aber so einfach ist es nie. Was wäre das Leben schon ohne Herausforderungen? Also, wenn es nicht seine Firma ist, wie kommst du dann auf ihn?«

»Ich zeig dir mal was.« Travis stellte sein Notebook aufs Bett und legte eine CD ein. Auf dem Bildschirm erschien eine Reihe von Ordnern. Der erste war einer mit dem Namen BARWOOD, HOWARD. Die anderen trugen die Namen von Leuten, zu denen Kris Kontakt hatte: Freunde, Kollegen, Anwälte, Agenten, sogar ihre Haushälterin.

Travis öffnete Howard Barwoods Ordner. Darin waren weitere Ordner in alphabetischer Reihenfolge: ANRUFLISTEN, BANKKONTEN, IMMOBILIEN, KFZ, KRANKHEITEN, KREDITGESCHICHTE, KUNDEN, STEUERN, VERMÖGEN, VERSICHERUNGEN.

Abby setzte sich neben ihn aufs Bett und sah ihm über die Schulter. Seufzend sagte sie: »Kann man heutzutage eigentlich gar nichts mehr geheim halten?«

»Nicht viel. Aber es war natürlich nicht so leicht, an all diese Informationen zu kommen. Anhand des Namens findet man schnell sämtliche allgemein zugänglichen Informationen: Führerschein, Kfz-Zulassungen, Wahlregistereintrag, Grundbucheinträge … In der Immobiliendatenbank von LexisNexis kann man nach früheren Wohnsitzen und Zweitwohnsitzen suchen. Über den beruflichen Werdegang erkundigen wir uns bei einer auf Führungskräfte spezialisierten Auskunftei. Aber das meiste erfahren wir durch die Kreditgeschichte: Wohin jemand gereist ist, wie er seine Freizeit verbringt, wo er einkauft. Dann sind da noch Versicherungspolicen, Krankheitsgeschichte, Telefonrechnungen, Grundsteuereinträge, Geschäftsberichte …«

»Alles Informationen, zu denen Schnüffler und Hacker eigentlich keinen Zugang haben dürften.«

»Aber wenn man weiß wie …« Er öffnete den Ordner VERMÖGEN. »Als ich Howard zum ersten Mal überprüft habe, hatten die Barwoods ein Reinvermögen von vierundzwanzig Millionen Dollar. Das war 1994. Vor Kurzem haben wir sie noch mal überprüft und das kam dabei heraus.«

Abby ging mit dem Gesicht näher an den Bildschirm heran. »Zwanzig Millionen«, sagte sie. »Also entweder haben sie ihr Geld ziemlich schlecht investiert oder irgendetwas ist da faul.«

»Letzteres.« Travis ging seitenweise Tabellen durch und markierte Zahlen in einer Spalte mit der Überschrift VERKAUFSDATUM. »Howard hat angefangen, Vermögenswerte zu veräußern.«

»Aber wenn die ihnen gemeinsam gehört haben, hätte er dann nicht Kris’ Zustimmung gebraucht?«

»Für die meisten ihrer Konten war nur eine Unterschrift nötig. So war es für beide einfacher, Schecks zu unterzeichnen.«

»Ja, und es war auch einfacher, Vermögenswerte hin- und herzuschieben, ohne dass der andere etwas davon mitbekam. Wohin sind denn die Gewinne aus den Verkäufen geflossen?«

»Auf ein Konto in Howards Namen bei einer örtlichen Bank.«

»Nur in seinem Namen, ohne Kris?«

»Ja, ohne Kris.«

Das Bett knarrte, als Abby die Beine unter sich zog. »Ich kann mir schon denken, wie’s weitergeht. Er hat das Geld nicht auf dem Konto gelassen, oder?«

»Nein.« Travis öffnete Howards Kontoauszüge im Ordner BANKKONTEN. Er hatte regelmäßig Geld abgehoben. »Bankschecks«, erläuterte Travis. »Jedes Mal fünfzig- oder hunderttausend. Was anschließend mit dem Geld passiert ist, wissen wir nicht.«

»Was? Du hast keine Ahnung, was aus dem ganzen Geld geworden ist?«

»Doch. Und auch wieder nicht.«

»Ich habe mir schon gedacht, dass du so was sagen würdest.«

»Wirklich? Warum?«

»Weil du mir immer noch nicht erklärt hast, wie diese Scheinfirma da reinpasst.«

»Da hast du recht. Wart’s ab.« Er öffnete den Ordner IMMOBILIEN. »Als wir die Register der Grundbuchämter nach Howard Barwood durchsucht haben, sind wir auf ein Haus in Culver City gestoßen.« Auf dem Bildschirm wurde eine Adresse angezeigt. »Auf den ersten Blick nichts Ungewöhnliches. Howard besitzt eine ganze Reihe von Immobilien, kleinere und größere. Aber er hat das Haus vor Kurzem wieder verkauft, und zwar mit Verlust. Der Käufer war eine Firma namens Trendline Investments mit Sitz auf den Niederländischen Antillen, falls dir das was sagt.«

»Ein Offshore-Finanzparadies. Bankgeheimnisse werden strengstens gewahrt.«

»Sehr gut. Nun sieh dir mal Howards Kreditkartenabrechnungen an.« Travis öffnete den Ordner KREDITGESCHICHTE. »Ein Flugticket nach Willemstad. Das ist die Hauptstadt der Niederländischen Antillen.«

»Okay, lass mich raten. Trendline Investments ist eine Scheinfirma und sie gehört Howard. Er hat das Haus in Culver City an sich selbst verkauft.«

»Das nehme ich an, beweisen kann ich es nicht. Aber die Reise zu den Antillen lässt darauf schließen. Er ist zwei Nächte geblieben. Das reicht, um eine Briefkastenfirma zu gründen und ein Konto zu eröffnen.«

»Wann war das?«

Travis scrollte hinunter zur Hotelrechnung. Datiert auf den 22. November 1999. »Ende letzten Jahres. Kurz bevor das Haus in Culver City offiziell den Besitzer gewechselt hat und die anderen Vermögenswerte begannen, auf mysteriöse Weise zu verschwinden.«

»Und Kris hat keine Ahnung davon?«

»Zumindest weist nichts darauf hin. Alles erfährt man aus solchen Unterlagen auch nicht.«

»Aber offensichtlich eine ganze Menge.« Abby dachte einen Moment nach. »War Howard alleiniger Besitzer des Hauses in Culver City?«

»Ja.«

»Also auch, als es noch ganz offiziell ihm gehörte, wusste Kris vielleicht gar nichts von dem Haus.«

»Stimmt.«

»Verstehe.« Müde rieb sie sich die Stirn.

»Wirklich?«

»Eindeutiger geht’s eigentlich nicht. Wenn ein Mann ein Haus hat, von dem seine Frau nichts weiß, und sich auch noch so viel Mühe gibt, es geheim zu halten, dann kann es eigentlich nur einen Grund geben: Er betrügt sie. Er trifft sich dort heimlich mit einer anderen. Und er will sich scheiden lassen. Kris wird abserviert.«

Travis nickte. »Aber in Kalifornien gilt Gütergemeinschaft.«

Abby stand auf. »Also wird das Vermögen der Barwoods gleichmäßig zwischen ihnen aufgeteilt. Und das ist ein Problem für Howard. Seine Frau geht zwar nicht gerade am Bettelstab, aber er hat viel mehr Geld als sie. Und die Hälfte abgeben will er nicht. Deshalb überträgt er Eigentum auf eine Briefkastenfirma in einem Land mit extrem strengem Bankgeheimnis. Und wenn’s ans Teilen geht, ist eben einfach nicht mehr so viel da.«

»Und das Ganze ist vollkommen legal«, sagte Travis, »solange er in den USA seine Steuern bezahlt. Es gibt kein Gesetz dagegen, Geld ins Ausland zu schaffen. Selbst wenn‘s nur darum geht, es vor Ansprüchen bei einer Scheidung zu schützen.« Er warf die CD aus.

Abby schüttelte den Kopf. »Du hast Kris nichts erzählt?«

»Kein Wort. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er sie nach Strich und Faden beklaut, aber ich kann nichts sagen, weil wir dann zugeben müssten, dass wir ihn ausspioniert haben.«

»Unter den gegebenen Umständen wird sie dir das wohl kaum übel nehmen.«

»Aber vielleicht irre ich mich ja. Das meiste sind nur Vermutungen. Wir wissen nicht mit Sicherheit, dass Trendline Howard gehört oder dass sie nichts von diesen Geschäften weiß. Vielleicht haben sie die Sache ja zusammen ausgeheckt. Es könnte irgendein komplizierter Steuertrick sein, am Rande der Legalität. Falls es so ist und ich fange an, Fragen zu stellen …«

»Dann kannst du dich von einer weiteren Klientin verabschieden.«

»Genau. Und Kris zu verlieren kann ich mir nun gar nicht leisten.« Travis steckte die CD wieder in die Hülle. »Außerdem sollen wir Kris’ Leben beschützen und nicht ihr Geld.«

»Um ihr Leben mache ich mir ja gerade Sorgen«, sagte Abby zögernd. »Falls Howard eine andere hat und Kris loswerden will und mit allen Mitteln versucht, sein Geld zusammenzuhalten …«

»Dann hätte er ein Motiv, sich seine Frau möglichst schnell vom Hals zu schaffen.«

»Indem er ihrem Stalker Insiderinformationen zuspielt. Meinst du wirklich, das würde er tun? Kris diesem Verrückten ans Messer liefern?«

»Das wäre schon sehr kaltschnäuzig, stimmt. Aber die Einwohner von L. A. sind nicht gerade für ihre Warmherzigkeit und Menschlichkeit berühmt.«

»Und wenn das alles stimmt, dann war es vielleicht Howard, der mich im Whirlpool attackiert hat. Er wusste, dass ich an dem Fall arbeite. Vielleicht hatte er Angst, dass ich zu viel rauskriege. Er könnte das Gebäude beobachtet haben, weil Hickle dort wohnt. Dann hat er mich gesehen, wie ich in den Pool gestiegen bin …«

»Und hat sich gedacht, das wäre die Gelegenheit, dich auszuschalten.«

Abby runzelte die Stirn. »Dieser Typ hat mir von Anfang an nicht gefallen. Gibt es eine Möglichkeit, möglichst diskret sein Alibi für den Abend zu überprüfen?«

»Klar. Die Sicherheitsleute, die wir im Gästehaus postiert haben, halten genau fest, wer wann kommt und geht. Ich kann nachsehen, ob Howard an dem Abend aus war. Aber wahrscheinlich ja.«

»Warum wahrscheinlich ja?«

»Weil er fast jeden Abend ausgeht. Angeblich, um seinen neuen Wagen einzufahren.«

»Oder um jemanden in Culver City zu besuchen. Und auf dem Rückweg macht er einen kleinen Abstecher zu Hickles Wohnblock, um dort mal eben jemanden aus dem Weg zu räumen. Mag ja alles sein, aber wir brauchen Beweise.«

Travis nickte. »Die finden wir schon. Wenn Howard die eine Scheinfirma gegründet hat, hat er vielleicht noch andere. Western Regional Resources zum Beispiel. Und in dem Fall hätte Western Regional seinen Sitz wahrscheinlich auch auf den Niederländischen Antillen. Vielleicht besteht sogar eine Verbindung zwischen dieser Firma und Trendline. Eine Scheinfirma als Teil einer anderen Scheinfirma, etwas in der Art. Ich werde sofort ein paar Leute darauf ansetzen.«

»Falls sich herausstellt, dass Howard etwas mit Western Regional zu tun hat, dann müssen wir Kris informieren.«

»Ich weiß.«

»Und die Polizei.«

»Ja.« Travis zuckte mit den Achseln. »Siehst du? Es gibt doch ein paar Spuren. Die Sache ist nicht so hoffnungslos verfahren, wie du gedacht hast.«

Sie winkte ab. »Ich habe eine anstrengende Nacht hinter mir. Das waren noch die Nachwirkungen.«

»Geht’s dir jetzt besser?«

»Viel besser. Nicht, dass ich hergekommen bin, um … also, ich wollte sagen … ich wollte dich nur über aktuelle Entwicklungen informieren. Ich bin nicht hergekommen … damit du mich tröstest.«

Er stand auf und zog sie an sich. »Aber gegen ein bisschen Trost hast du doch nichts, oder?«

»Eigentlich nicht.« Sie sah an ihm herunter auf seinen Bademantel und lächelte. Zum ersten Mal seit ihrer Ankunft. »Das letzte Mal, als wir zusammen waren – außer im Büro, meine ich –, da war ich diejenige im Bademantel.«

»Ich erinnere mich. Lebhaft.«

»Ich auch.«

Er küsste sie. Zuerst nur ganz zart. Als sie sich an ihn drückte, wurde ihm wieder bewusst, wie klein sie war, trotz ihrer Kraft fast zerbrechlich. Er fuhr mit den Fingern durch ihr Haar und küsste sie leidenschaftlicher.

»Du ziehst dich besser an«, sagte Abby, »sonst kommst du noch zu spät zur Arbeit.«

»Die Arbeit kann warten.«

»Ehrlich?«

»Aber sicher.«

Langsam schälte er sie aus ihren Kleidern. Er ließ sich Zeit mit jedem Knopf, jedem Träger. Ihr Körper hatte ihn schon immer fasziniert, denn schon bevor sie ihr Fitnesstraining aufgenommen hatte, hatte sie die Geschmeidigkeit und Sehnigkeit einer Sportlerin besessen, aber ohne die den Athleten eigene, unnatürliche Härte.

Er legte seinen Bademantel nicht ab, öffnete nicht einmal den Gürtel, zog ihn nur auseinander und drang in sie ein. Die Hände um ihre Taille hob er sie an, während sie den Rücken durchdrückte, und drang noch tiefer in sie ein und als der Höhepunkt kam, sah er ihr in die Augen und ein Schauer durchfuhr ihn.

Hinterher küsste er ihren zarten Hals und ein Ohrläppchen, das kokett zwischen ihren zerwühlten Haaren hervorlugte, und flüsterte dabei: »Diesmal wussten wir wohl beide, dass es passen würde.«

»Daran habe ich nie gezweifelt«, flüsterte sie.

Schweigend und erschöpft lagen sie nebeneinander im Licht der Morgensonne.

Nach einer langen Zeit und doch zu früh sagte er: »Ich muss jetzt wirklich ins Büro.«

»Ich sollte mich auch aufmachen«, flüsterte Abby schläfrig.

»Nein, ruh dich aus. Du musst noch Schlaf nachholen.«

»Okay, aber nur zehn Minuten. Ein kleines Nickerchen.«

»Klar.«

»Weck mich, wenn du gehst.«

»Mach ich.«

Aber er tat es nicht. Als er sich angezogen hatte, war sie fest eingeschlafen, und er sah keinen Grund, sie zu stören. Er legte einen Schlüssel auf die Kommode, damit sie abschließen konnte, wenn sie ging. Dann beugte er sich zu ihr herab und küsste sie auf die Stirn. »Schlaf gut, Abby.«

Ein Lächeln erschien auf ihren Lippen und er war sicher, dass sie von ihm träumte.