11

 

Es war schon nach Mitternacht, als Howard Barwood die Treppe zum Schlafzimmer hochging. Er war länger als beabsichtigt aus gewesen. Kris war schon zu Hause. Sie lag in Nachthemd und Pantoffeln auf dem Bett. Ihr Haar war über die Kissen ausgebreitet und umrahmte ihr Gesicht in goldenen Strähnen.

»Sieh an«, flüsterte sie mit flacher Stimme, »du bist also endlich zurück. Hast du wieder eine Spritztour gemacht?«

Er nickte, sah sie aber nicht an. »Der neue Lexus ist immer noch nicht richtig eingefahren. Ich bin bis nach Santa Barbara hochgefahren.«

»Ganz schön weit.«

»M-hm.« Er wollte nicht darüber reden. Er ging zum Fenster hinüber und starrte hinaus auf die tosenden Wellen, die im Mondlicht gegen den Strand brandeten. »Sieh dir nur diese Brecher an.«

»Dazu bin ich zu müde«, seufzte Kris. »Aber du bist ja anscheinend überhaupt nicht müde.«

»Wovon auch?«

»Diese ganze Fahrerei, so was muss doch anstrengend sein.«

»Auf mich wirkt es belebend.« Er hätte gern das Thema gewechselt.

»Hmm, du wirkst tatsächlich ein bisschen … aufgekratzt.«

»Aufgekratzt?« Es sollte möglichst gelassen klingen, aber seine Stimme war rau und nervös.

»Ja, finde ich schon. Unruhig, nervös, fahrig. Du hattest doch keinen Unfall, oder?«

»Nein, natürlich nicht. Wie kommst du denn auf so was?«

»Du kommst mir irgendwie aufgewühlt vor.«

»Mit mir ist alles in Ordnung. Es macht mir Spaß, den neuen Wagen zu fahren. Es törnt mich richtig an. Vielleicht dauert es einfach eine Weile, bis der Adrenalinrausch nachlässt.« Er fragte sich, ob sie die Lüge heraushören konnte.

Kris schwieg einen Moment. Dann flüsterte sie: »Es ist wohl alles besser, als Zeit zu Hause zu verbringen – oder mit mir.«

Er wandte sich vom Fenster ab. »Was redest du denn da?«

»Du gehst in letzter Zeit ziemlich auf Abstand.«

»Das ist doch albern. Ich bin gestern mit dir zur Arbeit gefahren, falls du dich noch erinnern kannst. Ich war im Studio. Den ganzen Abend.«

»Ja, schon. Aber du hast fast die ganze Zeit mit Amanda zusammengehockt.« Amanda Gilbert war Executive Producer der Achtzehn-Uhr-Sendung von Real News. »Ihr zwei wart unzertrennlich, jedenfalls bis sie um halb acht gegangen ist.«

Im darauf folgenden Schweigen war das Tosen der Brandung deutlich zu hören, trotz der Doppelglasfenster.

Howard ging alles Mögliche durch den Kopf, was er sagen wollte, doch ihm fiel nichts Passendes ein. Deshalb entschied er sich für Ironie: »Paranoia steht dir nicht besonders gut, Kris.«

»Es ist keine Paranoia. Ich habe gesehen, wie du dich ihr gegenüber aufgeführt hast. Und gestern Nachmittag …«

»Ja?«

Sie wandte ihren Blick ab. »Ach, egal.«

Er machte einen Schritt auf das Bett zu und blieb dann stehen. Irgendwo im Hinterkopf wusste er, es war absurd, dass er zögerte, sich seiner eigenen Frau in ihrem gemeinsamen Schlafzimmer zu nähern. »Komm schon«, sagte er ruhig. »Sag es ruhig. Was für eine Todsünde habe ich gestern Nachmittag denn begangen?«

»Diese Frau, die Travis engagiert hat … die ist etwa in Amandas Alter.« Das Lächeln, das über Kris’ Gesicht huschte, ließ sie in der Öffentlichkeit nicht sehen. Es war ein trauriges, bitteres Lächeln. »Immer wenn du so ein junges Ding siehst, glotzt du sie an. Warum denn nur? Was ist denn an denen so toll? Gehört eine Frau mit vierzig schon zum alten Eisen – so wie ein Auto, das zu viele Kilometer auf dem Buckel hat? Oder brauchst du einfach immer das neueste Modell, auch wenn das, was du hast, noch einwandfrei fährt?«

»Diese Abby Sinclair interessiert mich nicht.«

»Ach ja? Aber du hast dir doch solche Sorgen um ihre Sicherheit gemacht.« Ihre Stimme wurde eine Oktave tiefer. »Sind Sie auch sicher, dass Ihnen nichts passieren wird? Das ist doch so gefährlich. Sie armes, tapferes Ding.«

»Ich finde die Sorge um ihre Sicherheit durchaus berechtigt. Aber natürlich ist mir klar, dass im Grunde nur deine Sicherheit zählt. Wenn es um dich geht, wird schon bei der geringsten Bedrohung der nationale Notstand ausgerufen …«

»Bei der geringsten Bedrohung?« Sie setzte sich auf und ihr Haar fiel auf ihre Schultern. »Mehr ist Raymond Hickle in deinen Augen nicht? Eine geringe Bedrohung?«

Er gab nicht nach. »In der gegebenen Situation …«

»Meinst du damit die Situation, Tag und Nacht verfolgt, belästigt und terrorisiert zu werden?«

»Ich meine, dass du Tag und Nacht von bewaffneten Leibwächtern umgeben bist.«

»Devin Corbal war auch von bewaffneten Leibwächtern umgeben, als die Stalkerin ihn erschossen hat.«

Howard breitete die Hände aus. »Nun, wenn du Travis nicht zutraust, dass er dich beschützen kann …«

»Es geht hier nicht um Travis.«

»Worum zum Teufel geht’s denn?«

Sie ließ ihren Kopf zurück aufs Kissen fallen. »Was glaubst du?«

Schließlich ging er die letzten drei Schritte bis zum Bett. Er stand da und sah auf sie hinunter. »Was soll ich denn machen, Kris?«, fragte er sanft. »Was willst du von mir?«

»Ich will …« Sie rollte ihren Kopf in seine Richtung und schob sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Ich will, dass du mich so anschaust wie die anderen Frauen. Jüngere Frauen.«

»Das tu ich doch, die ganze Zeit.« Die Worte klangen falsch, schon während er sie aussprach.

»Ach, wirklich? Wann hast du denn zum letzten Mal …?« Sie wurde von Müdigkeit übermannt. »Ach, lass gut sein.«

Er wusste, wenn er jetzt nichts tat, würde sie ihn am nächsten Morgen hassen. Sie hatte ihn so direkt gefragt, wie es ging. So offen, wie es ihr Stolz zuließ.

»Es ist einfach zu lange her«, murmelte er. Fast eine Entschuldigung. Zu mehr war er nicht in der Lage.

Sie sah ihn an. Skepsis und Hoffnung vermischten sich in ihrem Blick. »Ja«, sagte sie mit tonloser Stimme, die er nicht deuten konnte.

Jetzt war der Moment gekommen, sie zu küssen. Eine Gelegenheit, den Bruch zwischen ihnen zu kitten.

Er konnte es nicht.

»Es liegt an dieser verrückten Sache mit Hickle«, sagte er dumpf. »Wenn das erst vorbei ist und alles wieder im Lot, dann wird es zwischen uns auch wieder so wie früher. Wir müssen einfach abwarten, das ist alles.«

»Wir müssen abwarten?«, fragte sie leise.

»Nur bis sich die Sache gelegt hat und wir wieder durchatmen können.«

Sie antwortete nicht.

»Ich glaube, ich mache was zu essen«, sagte Howard, obwohl er keinen Hunger hatte. »Für dich auch?«

Sie schüttelte sachte den Kopf. »Nein, ich will lieber schlafen.«

»Das ist auch das Beste. Ruh dich aus und versuch, nicht mehr daran zu denken.« Er streckte seine Hand aus und strich ihr ungeschickt übers Haar. Eine bessere Imitation einer zärtlichen Geste brachte er nicht zustanden. »Bald haben wir das alles hinter uns.«

Sie schwieg.

Howard ließ Kris im Schlafzimmer zurück und ging nach unten. Er wünschte sich, er könnte seine Frau noch immer lieben.