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Zollanger wählte die letzte gespeicherte Nummer und wartete. Nach dem dritten Klingeln wurde abgenommen.

»Zieten.«

Zollanger schwieg.

»Ozols? Was ist. Wo sind Sie?«

Zollanger beendete das Gespräch und steckte das Handy, das er dem Einbrecher abgenommen hatte, wieder ein.

Dann stieg er aus und verschwand in einem Telefonladen. Als er zurückkam, hatte er vier SIM-Karten und ein Handy gekauft, das er Elin in den Schoß warf. Bevor er losfuhr, öffnete er sein Telefon und entfernte die darin befindliche Karte. Dann lenkte er den Wagen die Turmstraße hinab, bog auf die Emdener ab und parkte an der Kreuzung zur Wiclefstraße.

Elin ging voran. Sie durchschritten rasch die beiden Höfe und betraten Erics Wohnung im zweiten Stock. Zollanger verriegelte sofort die Tür und inspizierte die Wohnung, was nach zwei Minuten erledigt war. Am längsten ruhte sein Blick auf dem Schreibtisch, dem Laptop, den Laufwerken und der Pinnwand mit Elins Notizen.

»Wie lange sind Sie schon hier?«, fragte er.

»Seit etwas mehr als drei Wochen.«

»Die Wohnung Ihres Bruders?«

Sie nickte.

»Und wem gehört der Computer?«

»Eric. Er hat ihn in Hamburg deponiert, als er das letzte Mal da war.«

»Haben Sie ihn benutzt? Online?«

Elin nickte.

Zollanger ging zum Schreibtisch, zog alle Kabel aus den Geräten und beförderte sie samt Laptop so schnell er konnte in einen der Kartons, der neben dem Schreibtisch stand.

»Kommen Sie«, sagte er und ging zur Wohnungstür.

»Wohin?«, fragte Elin.

»Kommen Sie«, wiederholte er nur.

Er öffnete die Tür, ließ sie an sich vorbeigehen und schob sie die Treppe hinauf.

»Was soll das?«, fragte sie.

»Sie sind in Lebensgefahr, Elin. Los. Gehen Sie dort hinauf.«

Er schloss die Tür und folgte ihr. Sie stiegen bis in den vierten Stock. Dort waren die letzten Wohnungen. Eine halbe Treppe höher befand sich ein Fenster, das zur Hofseite wies. Zollanger stieg noch weiter hinauf und öffnete eine Speichertür, die unverschlossen war und leicht quietschte. Er verschwand kurz, kehrte dann zurück und setzte sich so auf das letzte Treppenstück, dass er den Hof im Auge hatte. Elin schaute ihn nur fragend an.

»Wir haben nicht viel Zeit«, flüsterte er. »Geben Sie mir bitte die Tüte.«

Sie gehorchte. Er schälte die SIM-Karten aus der Verpackung und legte eine davon in das Handy, das er gekauft hatte, die andere in sein eigenes.

»Damit können Sie mich erreichen«, sagte er leise. Und dann fügte er hinzu: »Sie werden jetzt Berlin sofort verlassen, haben Sie mich verstanden? Ich kann nichts, aber auch gar nichts für Sie tun, so lange Sie hier sind. Und ich kann Ihnen jetzt auch nichts erklären. Es würde zu lange dauern. Gibt es in Hamburg einen Ort, wo Sie sich verstecken können?«

Elin schüttelte unwillig den Kopf.

»Ich fahre nirgendwo hin. Was wird hier gespielt?«

Zollanger ergriff sie am Arm und schüttelte sie.

»Elin. Wollen Sie wie Ihr Bruder enden?«

Sie starrte ihn hasserfüllt an.

»Ich will wissen, was mit ihm passiert ist.«

»Das wollte ich auch mal. Und sehen Sie, wohin es mich gebracht hat?«

Elin wich zurück und verschränkte die Arme.

»Ich gehe keinen Schritt von hier weg, bevor Sie mir nicht sagen, was Sie wissen. Darauf können Sie Gift nehmen.«

Zollangers Handy piepste. Er schaute auf das Display, tippte den Code ein und gab es Elin.

»Hier. Ich werde Sie in ein paar Tagen anrufen. Benutzen Sie bitte nur dieses Gerät, wenn Sie mich anrufen. Jetzt müssen Sie aus Berlin verschwinden. Sofort. Brauchen Sie Geld?«

Elin starrte erst ihn an, dann das neue Handy in ihrer Hand. Sie holte aus und warf es gegen die nächste Wand. Der Lärm war beträchtlich. Zollanger war aufgesprungen. Kurzzeitig standen sie da wie eingefroren. Im Haus rührte sich nichts. Zollanger fluchte leise und bückte sich, um das Handy aufzuheben.

»Was geht hier vor, verdammt noch mal«, stieß sie hervor. »Wer war der Mann in Ihrer Wohnung? Warum haben Sie ihn nicht festgenommen?«

Zollanger musterte sie. Sah sie ihrem Bruder ähnlich? Er hatte diesen Eric Hilger nie lebend gesehen. Nur Fotos von seiner Leiche.

»Weil ich seit einer halben Stunde kein Polizist mehr bin«, antwortete er.