Dover, März 1081
»Cædmon!« Bischof Odo erhob sich von seinem kostbaren Tisch und kam auf ihn zu. »Seid willkommen. Zur Abwechslung einmal eine angenehme Überraschung.«
»Danke, Monseigneur. Aber ich bin keineswegs sicher, ob Ihr das auch noch sagt, wenn Ihr meine Nachricht gehört habt.« Er nahm den durchnäßten Mantel ab, drückte ihn einem Diener in die Hand, trat ans Feuer und ließ sich den Rücken und das linke Bein wärmen, das ihm seit dem Winter bei schlechtem Wetter mehr zu schaffen machte als in all den Jahren seit seiner Verwundung. Ich habe dich nicht angelogen, Etienne, dachte er, jenseits der Dreißig lauern die Gebrechen des Alters …
Nachdem der Diener sie alleingelassen hatte, fragte Odo: »Der König schickt Euch? Wo brennt es denn diesmal? An der schottischen Grenze oder auf dem Kontinent?«
Cædmon schüttelte den Kopf. »Nirgendwo. Es schwelt nur hier und da, wie üblich. Aber der König erwägt, die Fackel nach Wales zu tragen, um bei Eurem Bild zu bleiben.«
»Wales?« fragte Odo ungläubig. »Mangelt es meinem Bruder an Unruheherden? Hat er Langeweile?«
Cædmon hob leicht die Schultern. »Er meint, daß wir die inneren Machtkämpfe, die Wales seit Jahrzehnten zerrütten, ausnutzen sollten, um unsere Herrschaft dort zu festigen, ehe die Waliser sich auf einen neuen Anführer einigen.«
Der Bischof dachte einen Moment nach. »Nun ja. Der Gedanke ist nicht dumm. Und was will er von mir?«
»Er wünscht, daß Ihr eine Truppe von zweihundert Rittern und wenigstens tausend Fußsoldaten aufstellt und anführt.«
Odo brummte. »Und bezahlen soll ich sie vermutlich auch.«
Der Diener kam zurück und brachte heißen Wein und ofenfrische Pasteten, so daß Cædmon nicht zu antworten brauchte. Als sie wieder allein waren, setzte Odo sich an den Tisch und lud ihn mit einem Wink ein, ihm Gesellschaft zu leisten. Cædmon nahm Platz und ergriff mit spitzen Fingern eine der glühend heißen Pasteten. Sie war mit Schweinefleisch und Apfelstücken gefüllt. »Hm! Köstlich«, urteilte er.
Der Bischof nickte. »Ein neuer Koch. Blutjunger Bursche, aber ein Genie.«
»Normanne?« fragte Cædmon.
Odo schüttelte den Kopf. »Römer.«
Cædmon sah ihn verdutzt an, aber dann fiel es ihm ein. »Natürlich. Ihr seid vergangenen Sommer nach Rom gepilgert und habt den Papst aufgesucht.«
»Tja, man bekommt nicht jeden Tag die Gelegenheit, die Förderung seines Seelenheils mit den politischen Wünschen des Königs zu verknüpfen«, bemerkte Odo lächelnd und streckte die beringte Rechte nach einem weiteren Pastetchen aus. »Wie Ihr ja selber wißt, muß man in den meisten Fällen zwischen diesen beiden Absichten wählen.« »Wohl wahr«, murmelte Cædmon.
»Ich nehme an, Ihr bleibt über Nacht? Oder wollt Ihr noch weiter nach Canterbury?«
»Nein, ich komme von dort.«
»Dann seid mein Gast.«
Cædmon nahm dankend an.
»Was wollte der König von Lanfranc?« erkundigte der Bischof sich scheinbar beiläufig. Aber Cædmon wußte genau, daß Odo jedesmal von Eifersucht geplagt war, wenn William den Rat des Erzbischofs als erstes suchte.
»Gar nichts«, antwortete er. »Ich war nur dort, um nach meinem Bruder Guthric zu sehen. Er war sehr krank letzten Winter, und ich war in Sorge.«
»Richtig, ich erinnere mich, daß er zu Weihnachten nicht in Gloucester war. Geht es ihm besser?«
Cædmon nickte. »Er ist wieder auf den Beinen, aber blaß und dürr. Er fastet und arbeitet zuviel. Wenn seine zahllosen Pflichten ihn einmal nicht in Anspruch nehmen, schreibt er an einer Abhandlung über kanonisches Recht. Ich glaube, er schläft niemals.«
»Ein sehr gelehrter Mann. Wenn er wollte, könnte er es weit bringen.« Cædmon lächelte. »Guthric besitzt nicht einen Funken persönlichen Ehrgeiz.«
Odo rieb sich das Kinn. »Nein, ich weiß. Vermutlich bewundere ich ihn deswegen so. Und nun erzählt mir von Eurer wunderbaren Frau.« Sie plauderten über dieses und jenes, und als es Zeit zum Essen wurde, beschloß der Bischof, daß sie nicht in die Halle hinuntergehen sollten, sondern ließ für Cædmon und sich etwas heraufbringen. Cædmon wunderte sich, denn es war ausgesprochen unüblich, daß der Herr der Halle die Hauptmahlzeit des Tages nicht mit seinem Haushalt einnahm. Aber es war so warm und anheimelnd in Odos Privatgemach und so zugig und rauchig in der Halle, und Cædmon war immer noch nicht ganz getrocknet. Also kam ihm diese Ausnahme durchaus gelegen.
Als er sich nach einem letzten Becher von Odos erstklassigem Burgunder schließlich verabschiedete, war es längst Nacht geworden. Nur mit einer flackernden, tropfenden Kerze in der Hand schritt er den langen Korridor entlang zur Treppe. Die Zugluft drohte das schwache Flämmchen auszublasen, aber notfalls hätte Cædmon sich hier auch im Dunkeln zurechtgefunden. Über ein Jahr hatte er auf dieser Burg gelebt, und wann immer es ihn seither für eine Nacht nach Dover verschlagen hatte, bewohnte er dasselbe Quartier wie damals. Er weilte mit seinen Gedanken in der Vergangenheit, als er den Riegel zurückzog und über die Schwelle in den dunklen Raum trat, dachte an Hyld und Bruder Oswald und den wunderbaren Teppich, den sie hier geschaffen hatten, doch als er einen Luftzug auf der linken Wange spürte, reagierte er sofort.
Die Kerze fiel zu Boden und erlosch. In vollkommener Dunkelheit zückte er sein Jagdmesser, sprang den dunklen Schatten an, der hinter der Tür auf ihn gelauert hatte, und bekam Stoff und einen muskulösen Arm zu fassen. Er schleuderte die Gestalt mit Macht nach links, so daß sie hart gegen die Wand prallte, stürzte sich von hinten darauf und setzte sein Messer an die Kehle. »Wer bist du?« zischte er wütend. »Gib dich zu erkennen, na los!«
»Thane, um der Liebe Christi willen … Ich bin’s, Odric.«
Cædmon ließ die Waffe sinken und wich einen Schritt zurück. Für einen Moment überkam ihn Grauen, weil er glaubte, der Geist seines Housecarls habe ihn hier heimgesucht, aber er verwarf den Gedanken sofort wieder. Ein Geist war nicht aus Fleisch und Blut, hatte keine Arme, keine Kehle, die man ertasten konnte, vor allem keine Todesangst.
»Odric … O mein Gott.« Er sagte nicht ›Ich dachte, du bist tot‹, denn das brachte Unglück. »Entschuldige, alter Freund. Du hast mir einen furchtbaren Schreck eingejagt.«
Er hörte Odric tief durchatmen. »Ja, Ihr mir auch, Thane.«
Cædmon hockte sich auf den Boden und tastete im Stroh nach der Kerze. »Warte einen Moment«, sagte er, öffnete die Tür, entzündete den Docht an einer der Fackeln im Gang und kam mit dem Licht zurück. Im schwachen Schimmer betrachtete er seinen totgeglaubten Housecarl. Eine Narbe, die vor Odos Feldzug nach Northumbria noch nicht dagewesen war, verlief quer über das nach normannischer Mode glattrasierte Kinn, aber Odric war immer noch ein auffallend gutaussehender Mann. Nur die meergrauen Augen, die sonst meistens übermütig funkelten, waren jetzt geweitet und voller Unruhe.
Cædmon legte ihm die Hand auf die Schulter. »Wie gut es tut, dich zu sehen. Wo … wo in aller Welt bist du gewesen? Komm, setz dich.« Er führte ihn zum Bett, zog den schlichten Vorhang zurück, und sie setzten sich nebeneinander auf die Kante.
»Wir sind auf der Isle of Wight«, berichtete Odric.
»Wir?«
Odric wandte ihm das Gesicht zu. Er wirkte verunsichert. »Ja. Edwin, Gorm, mein Bruder Elfhelm und ich. Aber das müßt Ihr doch wissen.« Cædmon war vollkommen verwirrt. Doch ein eigentümlich heftiger Instinkt mahnte ihn zur Vorsicht. »Nun ja … ich war nicht ganz sicher. Erzähl. Wie ist es euch ergangen? Und wie kommst du hierher?«
Odric verknotete die Finger ineinander und sah darauf hinab. »Als wir letzten Sommer von der schottischen Grenze zurückkamen, führte Mylord Bischof Odo … ich meine, der Earl of Kent, er führte uns hierher. Er entließ die Fußsoldaten des Fyrd, damit sie rechtzeitig zur Ernte auf ihre Felder zurückkehren konnten, aber uns sagte er, wir müßten bleiben. Na ja, wir haben uns nichts dabei gedacht. Bevor wir damals mit ihm nach Norden gezogen sind, habt Ihr zu uns gesagt, wir müßten ihm so ergeben sein und so treu dienen wie Euch. Und das tun wir. Aber langsam kommt uns die Sache ein bißchen seltsam vor. Und wir haben Heimweh. Elfhelm und Gorm haben Familie in Helmsby, sie wollen endlich mal wieder nach Hause. Ich bin seit zwei Tagen hier und soll morgen auf die Insel zurück. Aber als eine der Küchenmägde mir erzählte, daß Ihr hier seid, hab ich mir gedacht, ich komme her und frage Euch … Verflucht, das ist schwierig für mich, Thane, Ihr sollt nicht denken, ich mache Euch Schande und mißachte meine Befehle. Wir wissen, daß der Earl of Kent ein guter Mann und Euer Freund ist, aber ich dachte, ich sollte Euch fragen, ob … ob das alles wohl so seine Richtigkeit hat.« Er atmete tief aus, als habe er sich einer gewaltigen Bürde entledigt.
Cædmons Gedanken rasten. Aber er ließ sich weder seine Verwirrung noch das leise Entsetzen anmerken, das ihn bei Odrics Worten beschlichen hatte. Sein Lächeln wirkte vollkommen gelöst und beruhigend, als er dem jungen Ritter wieder die Hand auf die Schulter legte. »Sei unbesorgt, Odric, du hast ganz richtig gehandelt. Also auf die Isle of Wight hat er euch geschickt. Davon hat er mir gar nichts erzählt.« Odric nickte. »Er hat ein paar Güter dort. Ich glaube, die halbe Insel gehört ihm. Wunderbar ist es dort, so mild, man kann den ganzen Sommer schwimmen. Viel anderes gibt es auch nicht zu tun. Das war’s, was uns so komisch vorkommt. Wir hocken da rum und warten – auf was, weiß Gott allein. Wir trainieren ein paar Stunden am Tag, ein normannischer Schleifer bildet die Neulinge aus, aber nichts passiert.«
»Nun, ich bin sicher, daß sich bald irgend etwas tut. Ich hätte euch weiß Gott lieber zu Hause, Odric, aber du weißt ja, wie es aussieht. Ich schulde dem König Soldaten.«
»Ja, natürlich, Thane. Ich hoffe, Ihr denkt nicht, ich wollte mich beklagen. Mein Bruder und ich und Gorm und Edwin, wir werden willig tun, was der König oder sein Bruder uns sagt, und gehen, wohin er uns schickt, solange wir wissen, daß das auch Euer Wunsch ist.«
Treuer Odric, dachte Cædmon voller Wärme. »Dann sei beruhigt. Geh zurück in die Halle, und vielleicht ist es besser, wenn du niemandem erzählst, daß du mit mir gesprochen hast. Du weißt ja, die Normannen sind in manchen Dingen ein bißchen … empfindlich. Sag Gorm und Elfhelm, ihre Frauen und Kinder sind wohlauf, ich werde sie grüßen. Und ich hole euch nach Hause, sobald ich kann.«
Er erhob sich, und Odric folgte seinem Beispiel. »Danke, Thane. Wie geht es der Lady Aliesa und dem kleinen Richard?«
»Es könnte nicht besser sein. Mit Gottes Hilfe bekommt Richard zur Ernte einen Bruder oder eine Schwester.«
»Ich hoffe, wir sind rechtzeitig zurück.«
Cædmon brachte ihn zur Tür. »Wenn es nach mir geht, ganz bestimmt. Leb wohl, Odric, und gute Reise. Mögest du auf deinem Weg Freunde finden, die Führung der Engel und das Geleit der Heiligen.« Er schloß ihn kurz in die Arme.
»Danke, Thane. Gott schütze Euch.«
Odrics Besorgnis war verflogen, und mit seinem typischen verwegenen Grinsen glitt er lautlos auf den Gang hinaus.
Cædmons Herz war um so schwerer. Er überlegte ein paar Minuten, was er tun sollte. Aber er konnte nichts entscheiden, ehe er nicht ein paar Antworten auf einige brennende Fragen bekam. Und seinem gewaltigen Zorn Luft gemacht hatte.
Also verließ er sein Quartier, stieg die Treppe hinab, ging zu Odos Gemach zurück und klopfte vernehmlich.
Die Stimme, die ihn hereinrief, klang nicht schläfrig.
Cædmon trat ein. Der Bischof saß beim Licht zweier Kerzen mit einem Buch am Tisch, einen gefüllten Becher in Reichweite. »Nanu, Cædmon? Ist etwas passiert?«
»Noch nicht, soweit ich weiß. Aber ich habe es versäumt, mich bei Euch zu bedanken, Monseigneur. Und das wollte ich vor dem Schlafengehen unbedingt noch nachholen.«
»Bedanken?« fragte Odo verständnislos. »Wofür?«
»Daß Ihr mir das Wergeld für die vier Housecarls gezahlt habt, die Ihr mir gestohlen habt.«
Odo starrte ihn an. Seine vollen Lippen waren leicht geöffnet, aber er rührte sich nicht.
»Als mein Steward mir von den geheimnisvollen Boten berichtete, die das Geld gebracht hatten, glaubte ich, ein unbekannter Wohltäter wolle mir die Hälfte des Betrages spenden, den ich dem König für Hereward schuldete. Ich habe mich von der Summe irreführen lassen. Aber fünfundzwanzig Pfund sind auch achthundert Schilling. Das Wergeld eines einfachen Mannes wie beispielsweise eines Housecarls beträgt zweihundert Schilling. Odric, Elfhelm, Gorm und Edwin. Sind achthundert.« »Cædmon … Es ist nicht so, wie Ihr glaubt.«
Cædmon trat langsam auf den Tisch zu. »Vielleicht nicht. Ich hoffe, ich irre mich. Ich kann nicht glauben, daß es das bedeutet, wonach es aussieht. Aber was immer es ist, Monseigneur, was immer Ihr vorhabt mit der Truppe handverlesener Ritter, die Ihr auf der Isle of Wight zusammenzieht und ausbilden laßt, ich will nicht, daß meine Männer etwas damit zu tun haben. Darum werde ich Euch die Summe erstatten, und Ihr gebt mir meine Housecarls zurück. Es sind gute Männer, und sie vertrauen mir.« Er unterbrach sich, schüttelte fassungslos den Kopf und stieß die Luft aus. »Wie konntet Ihr das nur tun? Es sind Menschen, die Ihr da in Euer fragwürdiges Spiel hineinzieht. Ihre Familien dachten, sie seien tot. Sie trauern um sie, so wie mein Bruder und ich um sie getrauert haben! Was habt Ihr Euch nur dabei gedacht? Was fällt Euch eigentlich ein?«
Odo schoß aus seinem Sessel hoch. »Mäßigt Euch, Thane! Ich glaube, Ihr vergeßt, mit wem Ihr redet.«
Cædmons Hände ballten sich zu Fäusten. »Ich weiß genau, mit wem ich rede. Ich glaube, ich erkenne heute zum erstenmal klar, wer Ihr seid. Was Ihr seid.«
»Cædmon, hört mir zu. Es stimmt, ich habe Euch diese Männer gestohlen. Eure vier besten. Mit anderen hab ich das gleiche getan. Und ich hatte ein schlechtes Gewissen, deshalb habe ich Euch das Geld geschickt. Ich kann nicht sagen, daß es mein Gewissen sonderlich beruhigt hat. Aber ich brauche diese Männer. Und der Zweck, für den ich sie brauche, ist kein Verrat. Nichts, was meinem Bruder, dem König, in irgendeiner Weise schaden könnte. Ihr müßt doch wissen, daß ich das niemals täte.«
Die leisen Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Cædmon beruhigte sich ein wenig, lief nicht länger Gefahr, mit den Fäusten auf die sakrosankte Person eines Bischofs der Heiligen Kirche loszugehen. Aber er war ganz und gar nicht getröstet. »Ihr könnt mir nicht weismachen, daß das, was Ihr vorhabt, die Zustimmung des Königs findet, wenn Ihr in solcher Heimlichkeit eine Truppe aufstellt.«
»Das habe ich ja auch gar nicht behauptet«, erwiderte Odo mit einem schwachen Lächeln.
Cædmon konnte wirklich nichts Erheiterndes an der Situation erkennen. »Dann gebt mir meine Männer zurück. Sie dienen Euch, weil sie glauben, daß es mein Wunsch ist. Ihr mißbraucht ihre Treue und Loyalität auf schändlichste Weise. Das kann ich nicht verantworten. Sie vertrauen mir, und ich bin es ihnen schuldig, sie davor zu schützen, in die Irre geleitet zu werden. Also, gebt sie mir zurück.«
Odo verschränkte die Arme. »Nein.«
Cædmon rieb sich das Kinn an der Schulter. »Ich bestehe darauf.« »Das wird nichts nützen.«
»Ja, begreift Ihr denn nicht, daß Euer Spiel aus ist? Ich will Euch gern drei Tage Zeit lassen, um mit dem König zu sprechen. Aber wenn Ihr ihm bis dahin nicht gesagt habt, was diese geheimnisvolle Truppe zu bedeuten hat, dann muß ich ihm mitteilen, was ich erfahren habe.« Odo lehnte sich an seinen Tisch und verschränkte die Arme. »Ich fürchte, Ihr seid derjenige, der die Situation verkennt, Cædmon. Ich habe verhindert, daß Ihr heute abend in meine Halle hinuntergeht, um ein Treffen zwischen Euch und Odric zu vereiteln. Weil ich Euch die Folgen ersparen wollte. Aber es sollte nicht sein.«
Der Bischof sah plötzlich auf einen Punkt hinter Cædmons Schulter. Cædmon wirbelte in dem Moment herum, als die Wachen ihn packten. Er hatte keine Ahnung, durch welches verborgene, geheimnisvolle Signal Odo sie herbeigerufen hatte, und er dachte wütend, daß er doch inzwischen wirklich hätte wissen müssen, daß dieser Mann immer alle Eventualitäten mit einkalkulierte.
»Es tut mir leid, Cædmon«, sagte Odo leise, es klang beinah wie ein Seufzen. »Aber ich fürchte, Ihr werdet meine Gastfreundschaft wieder einmal ein wenig länger erdulden müssen, als Ihr beabsichtigtet.«
»Nein …«
»Bringt ihn weg. Sperrt ihn ein, wo ihn keiner findet. Und gebt acht, daß niemand ihn sieht.«
»Nein!« Cædmon versuchte sich loszureißen, kämpfte in lichterloher Panik gegen die Pranken, die ihn hielten, trat gegen Schienbeine und gebrauchte seine Ellbogen wie Rammböcke. Dann traf ihn ein harter Gegenstand am Hinterkopf, und sein letzter Gedanke war, daß Odo ihm auf die Botschaft des Königs überhaupt keine Antwort gegeben hatte.