Gloucester, Januar 1081

»Da kehrt er heim, der strahlende Sieger«, murmelte Rufus. »Ich wünschte, die verfluchten Schotten hätten ihm den Schädel gespalten.«

»Rufus«, mahnte Cædmon leise. »Wie alt mußt du werden, um zu lernen, daß man manche Dinge besser nicht ausspricht, wenn es schon sein muß, daß man sie denkt?«

Rufus brummte übellaunig und sah weiterhin starr aus dem Fenster in den verschneiten Hof hinunter, wohin der König und fast alle Angehörigen des Hofes sich begeben hatten, um Prinz Robert willkommen zu heißen.

Rufus war zutiefst erbittert gewesen, als sein Vater im vergangenen Herbst Robert allein als Heerführer auf den Schottlandfeldzug geschickt hatte. Sein einziger Trost war, daß Robert aller Wahrscheinlichkeit nach kläglich versagen würde, denn sein strategisches und taktisches Geschick wurden allgemein in Zweifel gezogen. Doch Robert hatte sie alle überrascht, hatte Lothian auf einen Streich überrannt und verwüstet und stand in Falkirk, ehe König Malcolm wußte, was über ihn gekommen war. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als das Abkommen zu unterzeichnen, das Robert ihm diktierte, und damit die Schotten nicht vergaßen, wer fortan im Norden die Vorherrschaft hatte, ließ Robert auf seinem Rückweg in Grenznähe eine gewaltige Burg errichten, so daß die Grenze bewacht und gesichert war.

So war es nicht verwunderlich, daß er im Triumph in Gloucester einzog, und noch während Cædmon, Eadwig, Rufus und Henry aus dem Fenster schauten, trat der König zu seinem Ältesten, der vor ihm im Schnee kniete, hob ihn auf und schloß ihn in die Arme. Der Hof jubelte.

Rufus wandte sich angewidert ab. »Ælfric, bring mir was zu trinken.« »Ja, mein Prinz.« Der Junge eilte zu einem der Tische an der Längsseite, füllte einen versilberten Pokal und brachte ihn dem Prinzen. Rufus riß ihm den Becher unsanft aus der Hand und scheuchte den Jungen mit einem schroffen Wink fort. Ælfric trat ein paar Schritte zurück und sah fragend zu Eadwig, Cædmon und Prinz Henry. »Für euch auch?«

Sie schüttelten die Köpfe, und Cædmon lächelte ihm aufmunternd zu. »Nein, danke, mein Junge.«

Er fand, Ælfric schlug sich wacker. Seit gut einem Vierteljahr stand er jetzt in Rufus’ Diensten. Der Prinz hatte ihn auf Cædmons Bitte hin bereitwillig genommen, aber er konnte ebenso brüsk und ungeduldig sein wie sein Vater. Ælfric hatte immer noch seine Schwierigkeiten mit der normannischen Sprache, und Rufus geizte nicht mit Ohrfeigen, wenn der Junge nicht auf Anhieb verstand, was er ihm befahl. Doch ebenso oft sprach Rufus englisch mit seinem Gefolge. Wer in seiner Umgebung bestehen wollte, ohne den Unwillen des Prinzen auf sich zu ziehen, mußte beide Sprachen beherrschen. Und Ælfric hatte zu seiner Verwunderung und Freude festgestellt, wie englisch der Prinz auch in vielen anderen Dingen war. Rufus liebte Bier und deftiges englisches Essen, englische Sagen und Lieder, Feste und Heilige, und wenn niemand es sah, jagte er gelegentlich mit der Schleuder. Darüber hinaus, hatte der Junge erkannt, gab es keinen Mann auf der Welt, den Prinz Rufus höher schätzte als seinen Onkel Eadwig. Das erfüllte Ælfric mit Stolz, und wie Cædmon gehofft hatte, wachte Eadwig über das Wohl seines Neffen und half ihm, sich in dieser neuen Welt zurechtzufinden und sie zu verstehen. Und da es jetzt meistens Leif und Eadwig waren, die die Jungen am Hof im Waffenhandwerk unterrichteten, blieb Ælfric diese ganz spezielle, normannische Art von Schikane erspart, wie Cædmon und auch Eadwig sie erlebt hatten. Ælfric war noch jung und formbar. Bald hatte er seine Vorbehalte gegen alles Normannische abgelegt, und als er erfuhr, daß Prinz Rufus sich genau wie sein Vater beim König für Hereward den Wächter eingesetzt hatte, kannte seine Heldenverehrung für den Prinzen keine Grenzen mehr.

Eadwig stieß Rufus einen Ellbogen in die Seite. »Sie kommen herein. Lächle, Rufus. Laß deinen Bruder nicht sehen, was du empfindest, es würde seinen Triumph gar zu perfekt machen.«

Rufus brummte gallig, nickte aber, und als der König, der Hof, der umjubelte Sieger und sein Gefolge in die Halle strömten, waren seine Glückwünsche und seine geheuchelte Freude über Roberts siegreiche Rückkehr fast so überzeugend wie Henrys. Auch die Königin kam in die Halle, und sie brauchte ihre Glückseligkeit nicht vorzutäuschen. Stolz und erleichtert über die unversehrte Heimkehr ihres Ältesten schloß sie ihn in die Arme, und Robert beugte sich rücksichtsvoll zu ihr herunter, damit seine puppenhaft kleine Mutter die Hände auf seine Schultern legen konnte.

Aliesa war im Gefolge der Königin, kam an ihren Platz an der Tafel und setzte sich neben Cædmon. Unter dem Tischtuch ergriff er verstohlen ihre Hand und drückte sie leicht. Sie vermieden Berührungen in der Öffentlichkeit, denn sie sahen keinen Sinn darin, all jene, die ihnen ihre Heirat verübelten, noch weiter gegen sich aufzubringen.

»Du siehst blaß und müde aus«, murmelte er.

»Sehr charmant, vielen Dank«, erwiderte sie lächelnd. »Ich bin müde, und vermutlich bin ich auch blaß. Aber es ist nicht nötig, daß wir jeden Tag darüber reden. In vier Monaten ist alles vorbei.«

»Ich sorge mich um dich, das ist alles.«

Unter gesenkten Lidern hervor schenkte sie ihm ihr strahlendstes Lächeln, von dem er bis auf den heutigen Tag weiche Knie bekam. »Und das weiß ich zu schätzen«, flüsterte sie. »Ich muß gestehen, ich werde erleichtert sein, wenn die Weihnachtstage vorüber sind. Ich finde diese zwei Wochen schon dann anstrengend, wenn ich kein Kind erwarte.«

Auch Cædmon war der steifen Feierlichkeiten und endlosen Hochämter überdrüssig, wie jedes Jahr. Vor allem weil sie ihm kaum Zeit ließen, mit seiner Frau allein zu sein. Er hatte den Verdacht, daß die Königin Aliesa über Gebühr beanspruchte. Und darüber hinaus hatte er den Verdacht, daß Aliesa unter dieser Schwangerschaft mehr litt als unter der letzten, auch wenn sie das nie zugeben würde.

Ehe sie ihre leise Unterhaltung fortsetzen konnten, erschienen Lucien und Beatrice und nahmen die freien Plätze neben ihnen ein. Cædmon hätte nicht gedacht, daß es ihm je eine Freude sein könnte, Lucien als Tischnachbarn zu haben, doch selbst Lucien war besser als die auffällig leeren Plätze, die jetzt so oft rechts und links von ihnen klafften, als wären sie Aussätzige.

»Was ist mit dem König von Schottland passiert?« raunte Lucien Cædmon zur Begrüßung zu. »Hat er sich die Augen verbinden und die Hände auf den Rücken fesseln lassen, oder wie kommt es, daß Robert ihn geschlagen hat?«

Cædmon grinste. »Vielleicht fragst du Robert mal.«

»Ich hoffe, der König schickt ihn bald zurück nach Rouen«, brummte Lucien. »Ich weiß nicht, was er sich davon verspricht, seine Söhne gegeneinander auszuspielen. Wenn Robert hier bleibt, kann es nur Unfrieden geben.«

Aliesa nickte versonnen und sah zur hohen Tafel hinüber. »Der König denkt einfach nicht darüber nach«, sagte sie leise. »Wie immer. Seine Söhne sind nur Werkzeuge für ihn. Seht ihn euch an. Heute ist Roberts großer Tag. Aber William hat wieder einmal nur Augen für seine Königin.«

»Das glaub lieber nicht«, entgegnete Cædmon ebenso gedämpft. »Er sieht alles.«

Lucien nickte. »Und er hört alles. Also laßt uns übers Wetter reden.« »In East Anglia ist Tauwetter und Regen«, berichtete Beatrice prompt. Lucien verdrehte die Augen. »Und in deinem Kopf herrscht wie üblich dichter Nebel, Teuerste.«

Das zweite Königreich
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