Winchester, Juli 1080
»Willkommen daheim, Sire.«
Der König grinste flüchtig. »Das hat noch keiner gesagt. Der Erzbischof von Canterbury, der Chancelor, der Steward, der Constable und der Chamberlain, sie alle sagen ›Willkommen in England, Sire‹. Nur Ihr sagt ›daheim‹. Die Cædmonische Art und Weise, mir meine lange Abwesenheit vorzuwerfen.«
Cædmon rieb sich verlegen das Kinn an der Schulter und sah sich bei der Gelegenheit unauffällig um. Natürlich hörte der ganze Hof zu. Alle hatten sich im Innenhof vor der Halle versammelt, um die Ankömmlinge zu begrüßen.
»Wie käme ich dazu, mein König?«
William antwortete nicht gleich. Er ließ den Blick kurz über die Versammelten schweifen, über die Nebengebäude, die Palisaden und das prächtige Hauptgebäude, dann hinauf zum unverändert blauen Sommerhimmel und murmelte: »Wißt Ihr, es ist wirklich gut, wieder in England zu sein. Ihr habt Neuigkeiten aus Dänemark, sagt Rufus?«
»Vermutlich nichts, was Ihr nicht längst wißt.«
»Kommt trotzdem vor dem Essen zu mir.«
»Wie Ihr wünscht, Sire.«
William nickte ihm zu, und Cædmon trat beiseite, um den Nachfolgenden Platz zu machen, und begrüßte die Königin.
»Ich hoffe, Ihr hattet eine gute Reise, Madame?«
Sie lächelte. »Schauderhaft. Schiffe und ich sind einfach nicht füreinander geschaffen. Ich höre, Ihr habt einen Sohn, Cædmon. Ich gratuliere Euch. Wie glücklich Ihr sein müßt.«
Er strahlte. »Danke. Ja, das sind wir.«
Sie legte federleicht die Hand auf seinen Arm, neigte den Kopf etwas näher zu ihm und murmelte: »Warum ist Eure Frau nicht hier?«
»Sie wartet in Euren Gemächern auf Euch, Madame.« Er fand es schwierig, ihrem forschenden Blick standzuhalten, hob ein wenig verschämt die freie Hand und gestand: »Sie fürchtete, irgendwer könnte anläßlich dieser Begrüßung irgend etwas besonders Häßliches zu ihr oder zu mir sagen. Das wollte sie uns allen ersparen. Aber sie kann es kaum erwarten, Euch wiederzusehen.«
»Ist es … schlimm?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich hatte geglaubt, es würde schlimmer.«
Roland Baynard, ein paar andere alte Freunde und auch einige der jungen Damen am Hof schnitten sowohl ihn als auch Aliesa und hatten sich geweigert, an der Tafel mit ihnen zusammenzusitzen. Aber die Prinzen und ihre Ritter, Lanfranc und Odo und die meisten der übrigen Bischöfe und Adligen und ihr Gefolge, die bereits in Winchester eingetroffen waren, verhielten sich, als hätten die Ereignisse des letzten Sommers niemals stattgefunden. Montgomery und einige andere schienen sich gar besondere Mühe zu geben, Cædmon und Aliesa ihre Freundschaft und Unvoreingenommenheit zu beweisen, und so dankbar Cædmon ihnen auch war, fand er ihre Aufmerksamkeit manchmal doch ein bißchen peinlich.
Die Königin ließ die Hand sinken. »Es wird in Vergessenheit geraten, Cædmon. In ein paar Jahren wird niemand mehr daran denken.«
Niemand außer Aliesa und mir, dachte er. »Ja, bestimmt, Madame.« Er verabschiedete sich mit einer galanten Verbeugung und trat zu Prinz Robert, der mit Edgar Ætheling ein paar Schritte abseits stand.
Ehe er irgend etwas sagen konnte, stieß Robert seinem Freund den Ellbogen in die Seite und raunte: »Da kommt Etienne fitz Osberns treuester Freund.«
»Ah!« Edgar sah sich suchend um. »Wo ist die strahlende Witwe?« Cædmon war alles in allem dankbar, daß ihm erspart blieb, die Maske der Höflichkeit aufrechterhalten zu müssen. Er nickte kühl. »Prinz Robert. Mich wundert, Euch in England zu sehen, wo doch all Euer Hoffen und Streben bisher der Normandie galt.«
»Ich gehe dorthin, wo ich den Interessen meines Vaters am besten dienen kann, Thane.«
Cædmon gab sich nicht die geringste Mühe, ein Hohnlächeln zu unterdrücken. »Welch ungewohnte Anwandlung von Pflichtgefühl. Solltet Ihr dabei an Schottland denken, habt Ihr in Prinz Edgar einen wirklich kundigen Berater. Er steht ja bekanntlich auf besonders freundschaftlichem Fuße mit seinem Schwager, König Malcolm.«
Edgar Ætheling machte einen halben Schritt auf ihn zu. »Ihr solltet Euch lieber in acht nehmen, Thane. Rufus’ Stern sinkt. Seine Freundschaft wird Euch nicht mehr lange schützen. Und es war noch nie besonders schwierig, das Vertrauen des Königs in einen seiner Vasallen zu erschüttern.«
»Oder in einen seiner Söhne«, konterte er hitzig, wandte sich ab und ging ohne Gruß davon.
Cædmon war überrascht, den König allein anzutreffen, und blieb unsicher an der Tür stehen. »Bin ich zu früh?«
William wandte sich vom Fenster ab und schüttelte den Kopf. »Nein. Tretet ein, Thane. Bring den Wein und dann verschwinde, Paul«, befahl er dem Diener, der offenbar kurz vor Cædmon hereingekommen war.
Der junge Mann füllte zwei Becher und reichte einen dem König. William rührte ihn nicht an, sondern warf dem Diener einen ungeduldigen, beinah drohenden Blick zu. Hastig führte der den Becher an die Lippen und nahm einen ordentlichen Zug. Dann stellte er den Pokal vor dem König auf den dunkel gebeizten Eichentisch, brachte Cædmon seinen Wein und schlüpfte hinaus.
»Ihr laßt vorkosten, Sire?« fragte Cædmon fassungslos.
William hob beinah verlegen die Hände. »Im Winter war ich krank. Die Ärzte konnten keine Ursache feststellen. Schließlich bestand die Königin darauf, selbst für mich zu kochen, und ich aß nur noch, was sie zubereitet hatte. Von einem Tag zum nächsten ging es mir besser. Vielleicht war es ein Zufall. Vielleicht auch nicht. Es wäre nicht das erste Mal, daß irgendwer versucht, mich zu vergiften.«
»Aber wer könnte so etwas tun?« fragte Cædmon ehrlich entsetzt.
William warf ihm einen Blick zu, als wolle er sagen, stell dich nicht dümmer, als du bist. »An Feinden hat es mir nie gemangelt.«
»Aber wer unter Euren Feinden ist ein so niederträchtiger Feigling? Und es müßte jemand in Eurer unmittelbaren Nähe sein.«
»Ja. Der Verdacht gegen meinen Sohn und Erben Robert drängt sich regelrecht auf, meint Ihr nicht?«
Cædmon schwieg schockiert, und William lächelte spöttisch. »Was für ein Unschuldslamm Ihr manchmal seid. Habt Ihr wirklich geglaubt, ich würde ihm je wieder trauen? Denkt Ihr, ich sei mit so vielen Feinden so alt geworden, weil ich leichtgläubig oder sentimental bin?«
»Ähm … nein. Nein, das seid Ihr nun wirklich nicht, Sire. Was … was tut Robert hier, wenn er Euer Vertrauen nicht zurückgewonnen hat?« »Das werdet Ihr schon noch sehen. Aber es war nicht Robert, über den ich mit Euch sprechen wollte, sondern Hereward.«
Cædmon wurde unbehaglich.
»Ihr seid der Ansicht, ich solle ihn schonen, nicht wahr?« fragte William.
»Ja.«
»Ihm seine Güter zurückgeben?«
»Das wäre eine nette Geste.«
»Darauf hoffen, daß er aus purer Dankbarkeit in Zukunft treu zu mir steht?«
»Auf keinen Fall.«
William drehte seinen Becher zwischen den Händen, aber er trank nicht. Er beäugte Cædmon aus dem Augenwinkel. »Also? Was schlagt Ihr vor? Ihr habt ihn eingefangen und versäumt, ihn zu töten. Ihr habt es darüber hinaus auch versäumt, ihn dem zuständigen Sheriff auszuliefern.«
Cædmon versuchte erst gar nicht, eine plausible Ausrede vorzubringen. »Hätte ich das getan, wäre Herewards Schicksal besiegelt gewesen.«
William runzelte die Stirn. »Und ich bräuchte mich jetzt nicht damit zu befassen. Euretwegen habe ich dieses Problem am Hals. Das mindeste, was ich verlangen kann, ist, daß Ihr es löst.«
Cædmon antwortete nicht sofort. Er dachte nach und rief sich alles in Erinnerung, was er über Hereward wußte. Unbewußt strich er sich mit der Linken über die Brust. Schließlich sagte er: »Ich habe ihn geschont, weil er unbewaffnet und hilflos war, als ich ihn fand. Und weil ich glaube, daß es gut für Euch und für England wäre, wenn Ihr ihn als Zeichen der Aussöhnung leben ließet. Er schien gebrochen und harmlos, aber ich bin ehrlich nicht sicher, ob er das ist. Nehmt seine Söhne als Geiseln. Wenn er keine Söhne hat, nehmt ihn selbst als ›Gast‹ an Euren Hof, wie Ihr es all die Jahre mit Wulfnoth Godwinson getan habt. Nur, laßt ihn leben. Er bedeutet den Menschen so viel.«
»Was sollte mich das kümmern?« fragte William brüsk.
Cædmon biß sich auf die Unterlippe und wünschte, er hätte diesen letzten Satz nicht ausgesprochen. Obwohl der König durchaus ein Gewissen hatte, war es immer gefährlich, daran zu appellieren. Ehe ihm eine Erwiderung einfiel, klopfte es an der Tür, und des Königs Brüder, Robert und Odo, kamen herein. Kurz darauf folgten Lanfranc und der Bischof von Winchester, Montgomery, Warenne und die drei Prinzen. Sie sprachen über den neuen König von Dänemark, über das Maine, das nach wie vor der Zankapfel zwischen William und seinen französischen Nachbarn war, und über ein paar andere drängende Angelegenheiten, ehe der König schließlich auf sein ursprüngliches Thema zurückkam und die Versammelten befragte, was ihrer Meinung nach mit Hereward geschehen solle.
»Laßt ihn hinrichten, Sire«, riet Warenne prompt, schniefte und fuhr sich mit dem Ärmel über die ewig triefende Nase. »Ihr habt von Anfang an zuviel Geduld mit diesen englischen Rebellen gehabt. Denkt nur an Morcar und Edwin, wie haben sie Euch Eure Großmut gedankt? Wieder und wieder sind sie abtrünnig geworden.«
»Das läßt sich kaum vergleichen«, wandte Montgomery ein. »Seit dem Fall von Ely sind fast zehn Jahre vergangen, vieles hat sich geändert. Niemand würde Hereward heute mehr folgen, kein vernünftiger Mann in England ist mehr gewillt, gegen normannische Herrschaft zu rebellieren. Abgesehen von Northumbria, natürlich, aber dort hat Hereward keinen Einfluß. Es wäre heilsamer, ihn leben zu lassen.«
Odo nickte zustimmend. »Ein akzeptables Risiko. Hereward ist ein alter Mann.«
»Ich meine, Warenne hat recht, Sire«, meldete Prinz Robert sich zu Wort. »Der einzige englische Abtrünnige, der Euch kein zweites Mal verraten hat, war Waltheof of Huntingdon. All diese englischen Adligen warten doch nur auf eine neue Gelegenheit, sich zu erheben. Ihr solltet jeden, der sie anführen könnte, zumindest einsperren.«
»Dann sollten wir mit deinem Busenfreund Edgar Ætheling anfangen«, brummte Rufus.
Robert fuhr wütend zu ihm herum, aber ehe er etwas sagen konnte, grollte der König leise: »Nimm dich zusammen, Rufus.« Doch das belustigte Aufblitzen in seinen Augen war weder Cædmon noch den Prinzen entgangen.
Rufus senkte reumütig den Kopf, blieb aber bei seiner Meinung. »Ich stimme mit Montgomery und meinem Onkel, dem Bischof.«
»Ich auch«, meldete Henry sich schüchtern zu Wort.
Prinz Robert schnaubte verächtlich. »Wie kommt es nur, daß ich nicht überrascht bin …«
Der König bedachte ihn mit einem mißfälligen Stirnrunzeln, schien aber tief in Gedanken versunken. Schließlich hellte seine Miene sich auf, und er sagte: »Da auch Cædmon und der Erzbischof dieser Meinung sind, soll Hereward am Leben bleiben und mir als Gast an meinem Hof willkommen sein. Meinetwegen bekommt er auch ein, zwei seiner Güter zurück.« Mit einem ganz und gar untypischen, beinah leutseligen Lächeln sah er in die teils erfreuten, teils mißbilligenden Gesichter und fügte dann hinzu: »Vorausgesetzt, jeder seiner sechs Fürsprecher ist gewillt, mir Herewards Wergeld zu bezahlen. Was ist er wert? Er ist ein englischer Thane, nicht wahr. Also zwölfhundert Schilling? Runden wir auf. Sagen wir, fünfzig Pfund.«
Betroffenes Schweigen folgte. Schließlich räusperte Odo sich. »Sire, Ihr … wollt uns Herewards Leben verkaufen?«
»In gewisser Weise. Ich muß eine Armee nach Schottland führen, und ich brauche Geld, um sie zu bezahlen. Betrachtet es also als Spende für einen guten Zweck.«
»Trotzdem, ich finde das äußerst bedenklich, Sire«, meldete Lanfranc sich zu Wort.
»Warum?« entgegnete der König ungerührt. »Es ist englisches Recht. Hereward hat sein Leben verwirkt, es sei denn, jemand bezahlt ein Wergeld.«
Das war die hanebüchenste Rechtsverdrehung, die Cædmon je erlebt hatte. Nach englischem Recht mußte ein Mann, der einen anderen verstümmelt oder erschlagen hatte, dessen Familie ein Wergeld zahlen, das je nach Stand festgeschrieben war. Doch richtete sich die Höhe der Summe natürlich nach dem Stand des Geschädigten, nicht dem des Beschuldigten. Und die Summe wurde einmal gezahlt, nicht sechsmal. Fünfzig Pfund war eine gewaltige Stange Geld. Vierhundert Ochsen konnte man dafür kaufen oder zweitausend Schafe oder fünfzig gute Sklaven. Er wußte wirklich nicht, woher er diese Summe nehmen sollte. Nach dem Bau der Kirche hatte er keine solchen Reserven.
»Nun, was ist, Monseigneurs? Auf einmal so still? Hereward leben zu lassen ist ein Opfer für mich – ich muß auf meine Rache verzichten. Es ist nur gerecht, wenn Ihr ebenfalls ein Opfer erbringt«, spöttelte William.
Rufus und Henry wechselten einen Blick und nickten sich zu. »Wir zahlen«, erklärte der Ältere.
»Ich ebenfalls«, schloß Montgomery sich an. Nach kurzem Zögern stimmten auch die beiden Bischöfe zu. Cædmon steckte in der Klemme. Er wollte nicht vor all diesen Männern gestehen, daß er das Geld nicht aufbringen konnte. Irgendwie würde er es zusammenkratzen müssen. Vielleicht könnte ich in Metcombe von Tür zu Tür gehen und sammeln, dachte er grimmig.
Er nickte dem König zu. »Ich zahle auch.«
William lächelte wissend. »Pünktlich, wenn ich bitten darf, Monseigneurs. Gleich nach Michaelis.«
So kam also Hereward der Wächter an den Hof des normannischen Königs. Er wurde bestaunt und begafft und schließlich von den meisten vergessen, denn er führte ein zurückgezogenes Dasein, verkehrte kaum in der Halle und verbrachte den Großteil seiner Tage in der Kapelle. Am Ende seiner langen Wanderung hatte Hereward zu Gott gefunden, und es ging ein Gerücht, er habe William gebeten, in ein Kloster eintreten zu dürfen. Das Gerücht besagte auch, William habe bereitwillig zugestimmt, allerdings nur unter der Bedingung, daß Hereward in das Kloster eintrat, welches der König unweit von Hastings auf dem einstigen Schlachtfeld errichten ließ. Der Altar der Klosterkirche stehe genau an dem Fleck, wo Harold Godwinson gefallen sei, so daß es für Hereward ein Ort der Anbetung im doppelten Sinne sein würde. Leider sei die Anlage noch nicht ganz fertig, ein paar Jahre werde Hereward sich wohl noch gedulden müssen …
Der König widmete seine nach wie vor unerschöpflichen Energien der minutiösen Vorbereitung des Schottlandfeldzuges, rief alle Männer zu den Waffen, die seine Vasallen ihm schuldeten, und warb zusätzlich englische und normannische Söldner an. Cædmon wurde die Ausbildung der englischen Bogen- und Armbrustschützen übertragen, und der König schickte ihn ständig mit Botschaften nach Canterbury und Dover. Nur Ende September entließ er ihn für einige Tage, damit er Herewards »Wergeld« aus Helmsby holen konnte. Aliesa begleitete ihn nach Hause, denn sie sehnte sich halb zu Tode nach Richard.
Unterwegs rechnete Cædmon ihr vor, wie es um sie stand: »Die Ernte ist gut, also gehe ich davon aus, daß all meine Bauern ihre Pacht in voller Höhe bezahlen können. Aber du weißt, daß nur ein kleiner Teil der Pacht in barer Münze entrichtet wird, der Großteil in Korn, Vieh und Eiern und so weiter. Ich schätze, die fünfzig Pfund machen zwei Drittel unserer diesjährigen Pachteinnahmen aus. Wir müssen aber auch noch Steuern zahlen und brauchen Geld für unseren Haushalt. Kurz und gut, ich denke, daß ich die Hälfte der Summe von Levi dem Juden borgen muß.«
»Was ist mit den Überschüssen unserer eigenen Ernte? Können wir nichts verkaufen? Was ist mit der Wolle?«
»Die Einnahmen aus den Wollverkäufen sind für neue Pferde draufgegangen.« Er schüttelte niedergeschlagen den Kopf. »Ich bin verpflichtet, dafür zu sorgen, daß meine Männer und ich vernünftig bewaffnet und ausgerüstet sind. Es ist unglaublich, was für ein Geld das verschlingt. Es tut mir leid, Aliesa. Das Geld für diesen verfluchten Halunken Hereward wirft uns ein gutes Stück zurück. Ich hätte mich erst mit dir beraten sollen, aber ich mußte mich sofort entscheiden, verstehst du.«
Sie lachte verblüfft. »Cædmon, was redest du denn da? Es ist dein Geld.«
Er war anderer Ansicht. »Es geht um das Wohlergehen unserer Familie und unseres Haushaltes. Und um das Erbe unseres Sohnes.«
Sie dachte flüchtig, daß dies vielleicht nicht der günstigste Moment war, ihm zu eröffnen, daß sie wieder ein Kind bekam. Statt dessen legte sie die Hand auf seinen Arm. »Gräm dich nicht, Liebster. Es war der Preis für Herewards Leben, und du warst gewillt, diesen Preis für den Frieden zwischen Normannen und Engländern zu bezahlen. Ich bin sicher, jeder Mann und jede Frau in unserer Halle ist bereit, dafür den Gürtel ein wenig enger zu schnallen. Wir werden schon wieder auf die Füße kommen. Und wenn du Geld borgen mußt, dann geh zu deinem Schwager Erik. Er ist reich, und er wird es dir zinslos leihen.«
»Aber das will ich nicht. Es ist mir peinlich.«
»Das sollte es nicht sein. Er schätzt dich so sehr. Er würde noch ganz andere Dinge für dich tun, glaub mir.«
Er nickte unwillig. »Ja, ich weiß.« Und er erzählte ihr von dem Angebot, das Erik ihm gemacht hatte, als Cædmon ein Gefangener in Dover und sie im Kloster in Caen eingesperrt gewesen war.
Aliesa war nicht überrascht. »Da siehst du’s.«
Als sie heimkamen, stellte sich jedoch heraus, daß das Problem sich auf wundersame Weise von selbst gelöst hatte. Nachdem Cædmon seine Familie und seine Housecarls begrüßt hatte, nahm Alfred ihn beiseite und raunte: »Sei so gut, komm mit nach oben.«
Er folgte ihm die Treppe hinauf. »Was gibt es denn?«
Sein Vetter besaß einen Zweitschlüssel für die Tür zu Cædmons Kammer. Ohne eine Antwort steckte er ihn ins Schloß, sperrte auf und führte ihn zu der Truhe unter dem Fenster. Mit einem weiteren, großen Eisenschlüssel entriegelte er auch deren Schloß, klappte den Deckel auf und förderte zwei schwere Münzsäcke ans Licht. »Hier.«
Cædmon sah verständnislos darauf hinab. »Was ist das?«
»Das wüßte ich auch gern. Vor etwa einem Monat kamen zwei Reiter bei Nacht und Nebel und verlangten den Steward. Die Wache holte mich aus dem Bett. Einer der Boten stellte die beiden Beutel vor mir auf den Tisch und sagte, dieses Geld sei für dich. ›Von wem und wofür?‹, frag ich ihn. Wofür wüßtest du selbst und von wem sei er nicht befugt zu sagen. Ich wußte nicht, was ich tun sollte. Was hat das zu bedeuten, Cædmon?«
Der Thane schüttelte verwundert den Kopf. »Ich habe nicht die geringste Ahnung. Wieviel ist es? Hast du’s gezählt?«
Alfreds Miene wurde noch besorgter. »Es sind achthundert Schilling.« »Achthundert Schilling«, wiederholte Cædmon. »Fünfundzwanzig Pfund?«
Alfred räusperte sich. »Ja.«
»Und der Bote hat auch seinen Namen nicht genannt?«
»Nein.«
»Trug er ein Wappen?«
Der Steward schüttelte den Kopf. »Nichts. Aber beide Männer waren kostbar gekleidet und hatten gute Pferde.«
»Normannen oder Engländer?«
»Der, der geredet hat, war Engländer. Der andere sah zumindest aus wie ein Normanne.«
Cædmon sank auf die Bettkante und dachte nach. Dann hob er den Kopf und sah seinen Vetter an. »Ich bin genauso verwundert wie du, Alfred. Aber du brauchst dich nicht zu sorgen. Niemand versucht, mich für irgendein Komplott zu kaufen oder ähnliches.«
»Cædmon, wie kannst du denken, ich würde glauben …«
Cædmon winkte ab. »Nun, es wirkt schließlich verdächtig genug. In einem Punkt hatte der Bote recht, ich weiß, wozu dieses Geld bestimmt ist.« Er berichtete seinem Vetter von dem Handel, zu dem der König ihn und die anderen auf so schamlose Weise gezwungen hatte. »Aber ich will verdammt sein, wenn ich weiß, von wem es sein könnte.«
»Vom Earl of Kent vielleicht?«
»Bischof Odo? Wie kommst du darauf?«
»Er ist dein Freund. Und er ist reich.«
»Aber seiner Ansicht nach nicht reich genug. Nein, er hält sein Geld zusammen, denn er braucht alles, was er hat, für seinen kostspieligen Lebenswandel.«
»Dann einer der Prinzen.«
Cædmon nickte versonnen. Er tippte auf Henry. Hätte Rufus ihm die Hälfte der geschuldeten Summe geben wollen, hätte er es in Winchester und in aller Offenheit getan, ohne daran zu denken, wie unangenehm die Situation für Cædmon gewesen wäre. Rufus war impulsiv und nicht besonders einfühlsam. Henry hingegen war besonnen, und obwohl er noch nicht einmal dreizehn war, tat er selten etwas, ohne die Konsequenzen für sich und andere abzuwägen. Kurz, Henry war wie sein toter Bruder Richard. Und genau wie er neigte Henry zu komplizierten Gedanken und Plänen. Diese geheimnisvollen, namen- und wappenlosen Boten sahen ihm ähnlich.
»Ja, vermutlich hast du recht, Alfred. Bestimmt war es einer der Prinzen.«
»Und wirst du’s annehmen?«
»O ja. Erstens, weil ich es brauche, und zweitens, weil ich nicht wüßte, an wen ich es zurückschicken sollte.«
Alfred räumte das Geld wieder in die Truhe und gab Cædmon den Schlüssel. »Hier. Solange du zu Hause bist, solltest du ihn verwahren.« »Danke.«
Plötzlich grinste Alfred breit. »Junge, ich bin erleichtert. Seit Wochen hab ich mich um den Schlaf gebracht, weil ich dachte, irgendein Normanne wolle dir was am Zeug flicken. Ich muß gestehen, ich hatte deinen Schwager, den Sheriff, in Verdacht.«
Cædmon stand auf und klopfte seinem Vetter die Schulter. »Nein, diesmal nicht. Lucien würde nie etwas tun, das seiner Schwester Kummer bereiten könnte, weißt du. Darum sind wir vor ihm sicher, denke ich.«
»Aber nur so lange, bis er eine Teufelei ausgeheckt hat, die dir das Kreuz bricht, ohne den Verdacht auf ihn zu lenken.«
Cædmon dachte darüber nach. »Ja, vielleicht. Aber ich sehe nicht, wie er das mit dieser geheimnisvollen Spende anstellen will. Nein, ich bin sicher, das hier ist die Gabe eines Freundes.«