York, September 1069
»Es heißt, sie lagern auf der Isle of Axholme«, berichtete Erik, noch ehe er die Tür seines Hauses ganz geschlossen hatte. Er sprach eigentümlich leise. Eine unheimliche Stille lag über der sonst so lärmenden, lebhaften Handelsstadt, die jeden veranlaßte, die Stimme zu senken.
Hyld, Cædmon und Eriks jüngere Geschwister sahen ihm mit bangen Blicken entgegen.
»Wo ist die Isle of Axholme?« fragte sein Bruder Leif.
»Weiß der Teufel …«, brummte Erik.
»Es ist eine Grasinsel in einem riesigen Moor westlich des Trent«, wußte Cædmon zu berichten. Er hatte sein Heimatland bei Williams Eroberungszügen ziemlich gut kennengelernt. »Schwer zugänglich.«
»Vielleicht ist Eadwig dort«, mutmaßte Hyld nervös.
Erik ließ sich seufzend auf der Bank am Tisch nieder. »Wie ich diese Sümpfe hasse. Wirklich, euer England ist in Wahrheit ein einziges Schlammloch.« Er sah zu Cædmon. »Und wenn wir jetzt hinreiten, werden wir ihnen in die Hände fallen. Das Lager ist streng bewacht, heißt es, und sie sind dabei, es zu befestigen. Ihre Hauptstreitmacht ist ausgerückt.«
»In welche Richtung?« fragte Cædmon.
Erik antwortete nicht, und Hyld legte ihrer jungen Schwägerin Irmingard instinktiv den Arm um die Schultern. »Kommen sie her?«
Erik nickte. »Und im Norden stehen der König von Schottland und Edgar Ætheling mit einem gewaltigen Heer, um sich mit den Dänen zu vereinen.«
»O mein Gott.« Hyld schloß für einen Moment die Augen. »Letztes Jahr die Normannen, jetzt die Dänen und die Schotten. Armes York. Was hast du nur verbrochen?«
Cædmon stand abrupt auf. »Ich muß auf die Burg. Ich muß dem König einen Boten schicken.«
»Aber dann erfährt er, daß du gegen seinen ausdrücklichen Befehl hierher gekommen bist«, gab Erik zu bedenken.
Cædmon winkte ab. »Er wird ganz andere Sorgen haben als meinen Ungehorsam.« Er legte sein Schwert um und warf sich den Mantel über die Schultern. An der Tür zögerte er. »Was glaubst du wirklich, Erik? Ist Eadwig in Axholme?«
Erik nickte. »Vermutlich, ja. Aber wir werden nicht hineinkommen. Es ist aussichtslos. Laß uns lieber warten, bis sie abziehen, dann folge ich ihnen nach Haithabu. Ich schwöre, ich werde tun, was ich kann, um deinen Bruder zu finden, Cædmon, aber nach Axholme zu gehen wäre Selbstmord.«
Hyld richtete sich auf. »Wir müssen es trotzdem versuchen.«
»Hyld …«, begann Erik.
»Was soll so schwierig daran sein?« unterbrach sie. »Wir sind nach Britford hineingekommen. Wir sind hier in York in die Festung gekommen. Warum sollte es in Axholme nicht gehen?«
Erik schüttelte langsam den Kopf. »Sie befinden sich in Feindesland und werden extrem wachsam sein.«
»Aber du bist ihr Landsmann! Warum kneifst du?« fragte sie angriffslustig.
Cædmon hob die Hand. »Er hat recht, Hyld. Es ist unmöglich.«
Sie fegte den Einwand wütend beiseite. »Aber jeder Tag dort muß die Hölle für Eadwig sein!«
»Ein vielbemühtes Wort«, murmelte Erik. »Dein Vertrauen in meine Landsleute wärmt mein Herz.«
»Wie soll ich Vertrauen zu einem Haufen wilder Plünderer haben, die einen unschuldigen kleinen Jungen verschleppen?« fuhr sie wütend auf.
Erik öffnete den Mund, aber Cædmon kam ihm zuvor. »Er ist dreizehn und nicht mehr so klein, Hyld. Und Erik hat recht. Wir müssen abwarten, bis sie aus ihrer Inselfestung abziehen.«
Sie schnaubte. »Du! Du kannst doch nur daran denken, deinem geliebten König schnellstmöglich Nachricht zu senden! Du denkst doch überhaupt nicht an Eadwig!«
Der Vorwurf machte ihn sprachlos. Er starrte seine Schwester betroffen an und rieb sich das Kinn an der Schulter.
»Hyld«, sagte Erik leise. »Er hat seinen Kopf riskiert, indem er hergekommen ist. Für Eadwig. Ich bin sicher, du hättest das gleiche getan, aber du hast kein Recht, dich über ihn zu stellen. Laß ihn seinem König eine Nachricht senden und seinen Kopf retten. Und Eadwig wird einfach noch ein wenig länger ausharren müssen, das ist alles.«
Cædmons Bote war der letzte Reiter, der York unbehelligt verließ. Am Tag darauf schlossen die dänischen und schottischen Truppen den Ring um die Stadt. Northumbria befand sich wieder einmal im Aufstand, dem sich auch Gospatrick, der von William eingesetzte angelsächsische Earl der Grafschaft, mit seinen Truppen anschloß. Sie nahmen die Stadt, ohne auf den geringsten Widerstand der Bevölkerung zu stoßen, und belagerten die normannische Burg. Der Befehlshaber der Garnison ordnete einen Ausfall an, normannische Truppen schwärmten in der Stadt aus und legten überall Brände.
Als es dunkel wurde, stand Cædmon wie alle anderen verbliebenen Normannen auf der Brustwehr und verteidigte die Palisaden.
»Mehr Pech!« brüllte einer der Offiziere. »Macht mehr Pech heiß und bringt neue Pfeile!«
»Das Pech geht zu Ende«, meldete eine furchtsame, sehr junge Stimme. »Dann bringt Wasser zum Kochen! Was stehst du da und hältst Maulaffen feil, du Tölpel, beweg dich!«
Überall hasteten Männer die Brustwehr entlang, kopflos, so schien es Cædmon. Sie schossen Pfeile auf die Angreifer hinab, ließen Steine auf sie niederprasseln und schütteten große Kessel mit kochend heißem Pech auf sie hinunter, aber die Zahl der Gegner schien eher zuzunehmen als zu schrumpfen. Mond und Sterne waren hinter schweren Wolken verschwunden, es hatte angefangen zu regnen. Doch das grausige Licht der brennenden Stadt reichte aus, um die Dänen und Schotten am Fuß der Palisaden auszumachen: Sie liefen umher wie Ameisen. Es sind zu viele, dachte Cædmon in aufsteigender Panik. Es sind einfach zu viele, und der Ausfall hat uns zu sehr geschwächt …
Ein Stück zu seiner Rechten ertönte der dumpfe Laut von Holz auf Holz, und er sah die Enden einer Belagerungsleiter über die Spitzen der Einfriedung ragen. Ein Soldat hastete herbei, um sie umzustoßen.
»Warte«, sagte Cædmon schnell. »Warte, bis sie fast oben sind. Wenn wir sie dann kippen, brechen die Bastarde sich mit etwas Glück die Hälse.«
Der Soldat wandte sich verwundert zu ihm um. »Cædmon!«
»Philip!«
Es war sein Gefährte und Leidensgenosse aus den Tagen in Rouen. Ein Jahr hatten sie gemeinsam als Jehan de Bellêmes Schüler verbracht, ehe Philip auf das Gut seiner Familie heimgekehrt war. »Was verschlägt dich hierher?« fragte Cædmon.
»Das weißt du nicht? Mein Vater ist Befehlshaber dieser Burg.«
Cædmon nickte und wies dann wieder auf die Belagerungsleiter. »Jetzt.«
Jeder packte sie an einer Seite, und sie stemmten. Beinah fürchtete Cædmon schon, sie hätten zu lange gewartet, zuviel Gewicht laste auf dem oberen Stück, um sie noch umstoßen zu können. Doch mit einer letzten Anstrengung kippten sie sie über den kritischen Punkt, rangen um Gleichgewicht, damit sie nicht hinterherpurzelten, und die schemenhaften, kletternden Gestalten stürzten schreiend in die Tiefe.
»Gott, woher haben sie die Leitern? Übers Meer mitgebracht?« fragte Philip. Er keuchte ein wenig.
Cædmon schüttelte den Kopf. »Ich würde vermuten, die Leitern und das andere schwere Gerät hat der König von Schottland gestiftet …« »Gott verdamme seine Seele. Er hat König William Treue geschworen.«
»Ja. Wie Earl Gospatrick. Sie sind allesamt Verräter.«
Er sah auf das brennende York hinaus. Auch die Stadt hatte den König verraten, und das jetzt schon zum zweitenmal. Störrisch und unbelehrbar waren sie, die Northumbrier, aber er bedauerte sie trotzdem, ganz gleich ob Dänen oder Engländer. Und er mußte daran denken, was Aliesa ihm vor all den Jahren gesagt hatte. Vor allem die Frauen, Kinder und Greise würden darunter zu leiden haben, daß Hab und Gut und das Dach über ihren Köpfen in Flammen aufgingen. Er konnte nur beten, daß Erik seine Familie rechtzeitig aus der Stadt gebracht hatte. Seit die ersten Brände aufgeflammt waren, hatte er sich pausenlos vor Augen geführt, wie gerissen Erik war, welch vorzügliche Informationsquellen er besaß, daß er sich und die Seinen ganz gewiß rechtzeitig in Sicherheit gebracht hatte. Aber die quälende Sorge um Hyld begleitete ihn trotzdem auf Schritt und Tritt.
»Ist der Ausfalltrupp zurück?« fragte er.
Philip verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht. Kein einziger ist zurückgekehrt. Die verfluchten Dänen haben sie samt und sonders abgeschlachtet.«
Cædmon nickte. »Morgen werden wir sie schmerzlich vermissen«, prophezeite er.
»Willst du sagen, mein Vater hat einen Fehler gemacht, indem er den Ausfall befahl?« fragte Philip, und Cædmon glaubte, einen drohenden Unterton in seiner Stimme zu hören.
»Ich sage nur, daß uns die Männer morgen hier fehlen werden. Wir sind zu wenige, um die Burg noch lange zu halten.«
Philip nickte unwillig und spähte vorsichtig über die Palisaden. »Werden sie denn gar nicht müde?« murmelte er.
Wie zur Antwort erscholl plötzlich ein wahrhaft ohrenbetäubendes Dröhnen, das Zaun und Brustwehr erzittern ließ.
Die beiden jungen Männer sahen sich mit schreckgeweiteten Augen an. »Ein Rammbock …«, sagte Philip ausdruckslos, als habe irgendwer gefragt, als wisse nicht jeder einzelne Mann auf der Brustwehr, woher das Donnern kam.
»Klingt nach einer hundertjährigen schottischen Eiche«, bemerkte Cædmon. »Falls es so etwas Beständiges wie Eichen in Schottland überhaupt gibt.«
Er sagte es beiläufig und war dankbar, daß er seine Stimme so gut unter Kontrolle hatte, aber in Wahrheit verspürte er Todesangst.
Er legte die Hand an den Gürtel und vergewisserte sich, daß er die Schleuder nicht verloren hatte. »Hoffentlich kommt der König bald …«
Noch ehe sie die Stadt verlassen hatten, war Erik froh, daß Hyld auf den genialen Einfall gekommen war, sich selbst und Irmingard als Knaben zu verkleiden. Sie hatte sich die Brust so mörderisch eng gewickelt, daß Erik nur vom Zusehen schmerzlich zusammenzuckte, hatte sich sein zweites Paar Hosen und Übergewand geborgt, das ihr viel zu weit war, so daß es ihre immer noch verräterisch frauliche Figur verbarg. Die zwölfjährige Irmingard trug Kleider ihres um ein Jahr älteren Bruders. Ihre langen Haare hatten sie geflochten, aufgesteckt und unter Kapuzen verborgen und ihre rosige Mädchenhaut mit einer Handvoll Ruß geschwärzt. Es war nahezu perfekt. Hyld trug einen Dolch und ihre Schleuder am Gürtel und ging mit einem übertrieben schweren Männerschritt, um die Kinder zum Lachen zu bringen.
Selbst Erik lächelte, als er seinen Sohn vor sich in den Sattel hob. »Sag nicht Mutter zu deiner Mutter, Olaf, sonst war die ganze Mühe umsonst.« »Was soll ich denn sagen?« fragte der vierjährige Olaf ernst.
»Nenn mich ›Onkel Olaf‹», schlug Hyld vor, und die Kinder kicherten wieder.
Erik sah die schmale Straße hinunter. »Beeilt euch. Dort hinten brennt es, und ich höre Waffenlärm.«
Hyld, Leif und Irmingard schwangen sich in die Sättel ihrer struppigen, stämmigen Pferde, und Erik führte den kleinen Reiterzug nach Micklegate. In der Stadt boten sich ihnen die widersprüchlichsten Bilder: Vor einer Schenke war ein ausgelassenes Fest im Gange; die Frauen aus dem Viertel brachten den dänischen Soldaten große Krüge mit Bier, Platten mit Fleisch und Brot und hängten ihnen Blumenkränze um – feierten sie wie Befreier. Nur zwei Straßen weiter stießen sie auf ein erbittertes Gefecht zwischen vielleicht einem halben Dutzend Normannen und wenigstens doppelt so vielen Gegnern – dem Aussehen nach Schotten und Angelsachsen. Und überall war Feuer, dicker Qualm wälzte sich durch die schmalen Gassen der Stadt und setzte sich beißend in die Atemwege. Aber niemand behelligte die kleine Reitergruppe; wer ihnen überhaupt einen Blick schenkte, sah einen jungen, schlicht gekleideten Dänen in Begleitung von vier Knaben, vermutlich ein Kaufmann aus der Stadt mit seinem Lehrjungen und seinen Brüdern, der sich und die Seinen auf dem Land in Sicherheit bringen wollte.
Überall kamen Diebe aus verlassenen und brennenden Häusern, schwer beladen mit ihrer Beute aus Tuchballen, Weinfässern oder silbernen Bechern – die reiche Kaufmannsstadt war ein Paradies für Plünderer.
Als sie durch das unbewachte Tor ritten, bemerkte Erik: »Wir werden bettelarm sein, wenn wir heimkommen.«
»Aber lebendig«, entgegnete Hyld.
»Ich weiß nicht. Vielleicht hatte mein Onkel doch recht und es ist unklug, die Stadt zu verlassen.« Der Onkel hatte sich strikt geweigert, sein Haus und das gut gefüllte Warenlager ihrem Schicksal zu überlassen, und war mit seiner Familie in der Stadt geblieben.
Hyld ging nicht darauf ein, sondern wies mit der Hand nach Süden. »Da lang geht’s nach Axholme«, verkündete sie, lenkte ihr Pferd in die Richtung und setzte sich an die Spitze des Reiterzuges.
»Dein Onkel Olaf ist ein sturer Bastard«, raunte Erik seinem Sohn ins Ohr, und der kleine Olaf lachte verschwörerisch.
Sie hatten keine Pläne gemacht und keine klare Vorstellung, wohin sie sich wenden sollten, denn sie kannten keine Menschenseele außerhalb von York. Erik hatte daher keine Einwände, erst einmal nach Süden zu reiten, das war so gut wie jede andere Richtung. Es war kein angenehmes Reisewetter; immer wieder wurden sie von heftigen Schauern durchnäßt, ehe es sich gegen Abend einregnete, und ein kalter Wind blies aus Norden. Aber sie alle waren das rauhe Klima Northumbrias gewöhnt, und niemand beklagte sich. Vor Einbruch der Dunkelheit kamen sie an ein ärmliches kleines Gut, eine verwitterte, leicht windschiefe Halle, umgeben von einer gewaltigen Buchenhecke, die Hyld und Erik an Helmsby erinnerte. Sie klopften an und erbaten Obdach für die Nacht. Der Thane of Salby, der Hausherr dieser wenig prachtvollen Halle, hatte sich den Dänen angeschlossen und war mit ihnen nach York gezogen, erfuhren sie von der Dame des Hauses, aber als sie Eriks prallgefüllten Geldbeutel sah, hieß sie die Ankömmlinge herzlich willkommen, wies ihnen einen Platz am langen Tisch und ließ ihnen heißen Eintopf vorsetzen.
»Und was wird nun?« fragte Hyld leise, den Kopf tief über ihre Eintopfschale gebeugt.
Erik sah sich nachdenklich um. »Ich denke, hier sind wir fürs erste gut aufgehoben. Wenn die Burg in York fällt, werden die dänischen Truppen sich über den Humber zurückziehen. Das heißt, sie kommen hier vorbei. Dann werden du und ich uns unauffällig unter sie mischen, mit ihnen durch die verdammten Sümpfe ziehen und sehen, ob wir deinen Bruder finden.«
Hyld strahlte ihn an. »Hattest du das etwa die ganze Zeit schon geplant?«
Er lächelte ziemlich selbstgefällig und wies auf Olaf. »Da, sieh dir diesen Dreckspatz an. Das ganze Gesicht mit Eintopf beschmiert. Ihm fehlt die mütterliche Hand, armes Kind.«
»Aber was soll aus uns werden, wenn ihr nach Axholme geht?« fragte Leif.
»Ihr drei bleibt hier und macht euch nützlich. Hier seid ihr wenigstens in Sicherheit.«
»Soll ich hier etwa die Schafe hüten?« fragte sein Bruder entrüstet. Erik grinste ihn an. »Nicht die schlechteste Arbeit, glaub mir, ich weiß, wovon ich rede.«
Hylds Gedanken gingen derweil in eine ganz andere Richtung. »Du meinst wirklich, die normannische Burg in York könnte fallen? Ich dachte, diese Burgen sind uneinnehmbar.«
Erik hob leicht die Schultern. »Wenn sie ausreichend bemannt sind.« »Aber was wird aus Cædmon, wenn sie den Dänen in die Hände fällt?« Erik winkte beruhigend ab. »Sollte sie wirklich fallen, wird er sich vorher in Sicherheit bringen. Ich meine, es ist kaum zu übersehen, daß er diesem normannischen Bastard ergeben ist, Gott allein weiß, wieso, aber seine Königstreue geht wohl kaum so weit, daß er sich für ihn abschlachten läßt. So verrückt ist er nun auch wieder nicht.«
Die ganze Nacht hindurch ließen die Angreifer den Rammbock gegen das mächtige Tor donnern, und am Morgen des zwanzigsten September fiel die Burg von York.
Dänen, Schotten und Engländer ergossen sich in den Innenhof und metzelten alles nieder, was sich rührte.
Cædmon und Philip blieben dicht zusammen und versuchten, Rücken an Rücken zu kämpfen, wie Jehan sie gelehrt hatte, um wenigstens zu verhindern, daß sie von hinten niedergemacht wurden. Doch was im Unterricht so plausibel erschienen war, ließ sich in der rauhen Wirklichkeit nicht so ohne weiteres durchführen. Im Innenhof herrschte ein dichtes Getümmel, ständig wurden sie von zwei Seiten gleichzeitig angegriffen und getrennt, stolperten über die vielen Verwundeten und Toten am Boden und glitten im glitschigen, blutigen Morast aus.
Cædmon deckte mehr seine linke Seite denn seine Brust mit dem Schild und schwang sein gewaltiges Schwert, so daß die beiden Dänen, die auf ihn zupreschten, hastig zurückwichen und sich nach leichterer Beute umsahen. Im nächsten Moment waren sie schon verschwunden. Zwei ineinander verkeilte Kämpfer taumelten in sein Blickfeld, ehe sie zusammen stürzten, und dann sprang der nächste Däne über sie hinweg und führte einen mörderischen Schwertstoß auf Cædmons Brust. Im letzten Moment riß er den Schild nach vorn.
Es war aussichtslos, das wußte er. Hatte es schon gewußt, als das Tor brach. Oder eigentlich schon, als der Rammbock zum erstenmal dagegendonnerte. Sie konnten gegen diese Übermacht an Feinden nicht bestehen, sie alle würden hier sterben. Sein Bote war nicht rechtzeitig zum König gekommen, York war eben so furchtbar weit weg von Winchester, und wo immer William sich jetzt befand, er würde zu spät kommen, um sie zu retten. Aber auch wenn er genau wußte, daß er das Unvermeidliche nur hinauszögerte, kämpfte Cædmon dennoch weiter, so wie ein Mann, der lebendig begraben ist, nicht aufhört zu atmen, obwohl er weiß, daß er ersticken muß.
Er nutzte eine winzige Unachtsamkeit des Dänen, trat ihm die Füße weg und rammte ihm die Klinge in den Hals, noch während der baumlange Wikinger zu Boden ging. Dann sah Cædmon blitzschnell über die Schulter, entdeckte Philip einen Schritt zur Linken und folgte ihm, bis sie wieder Rücken an Rücken standen.
Auch Philip sah sich kurz um, und ihre Blicke trafen sich für einen Augenblick.
»Cædmon, wir werden sterben«, sagte er fassungslos, und im nächsten Moment fuhr eine schottische Streitaxt auf seine Brust nieder, grub sich knirschend durch das Kettenhemd und tief in den Körper darunter. Ein Blutschwall schoß aus Philips Mund, der Aufprall schleuderte ihn nach hinten, und noch während Cædmon dachte, Gott, Philip, was für eine verfluchte Sauerei, stieß sein sterbender Gefährte mit enormer Wucht gegen ihn, riß ihn regelrecht um und begrub ihn halb unter sich. Cædmon landete mit dem Gesicht in einer blutigen Pfütze. Angewidert riß er den Kopf hoch und wollte auf die Füße springen, doch schon landete ein zweiter regloser Körper auf seinem Rücken und drückte ihn nieder. Erschöpft bettete er den Kopf auf die Arme, blieb reglos liegen und wartete.
Und ich war so sicher, du würdest kommen, William …
Es hatte wirklich nicht daran gelegen, daß William sich zuviel Zeit gelassen hätte. Er war längst aufgebrochen, als Cædmons Bote ihn erreichte, denn die Nachricht vom Vormarsch der dänisch-schottischen Truppen hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Überall im Land flammten neue Rebellionen auf, der totgeglaubte englische Widerstand fand neue Kräfte. Das südliche Northumbria befand sich in Windeseile fest in dänischer Hand, und allerorts feierte die Landbevölkerung die Eindringlinge als lang ersehnte Befreier.
Edwin, der einstige Earl of Mercia und Enkel des großen Leofric, der überall im Norden beliebt war, schloß sich den dänischen Truppen an. Nördlich des Tees herrschte ein heilloses Chaos, und König Malcolm von Schottland nutzte die Gunst der Stunde und errang dort die Oberhand. Plötzlich schien alles möglich, ein skandinavisch beherrschtes Nordengland oder aber ein englisches Nordreich mit dem »kleinen« Edgar Ætheling auf dem Thron, unterstützt von seinem mächtigen Schwager, dem König von Schottland.
Doch sie alle hatten die Rechnung ohne William den Bastard gemacht. Er marschierte sofort nach Norden, außer sich vor Zorn, um die Dänen davonzujagen und die halsstarrigsten all seiner Untertanen endlich zu unterwerfen, in der kriegerischsten all seiner Provinzen endgültig für Ruhe zu sorgen. Jedes Mittel war ihm recht.
Cædmons hartnäckige Weigerung, sich die Haare nach normannischer Sitte zu scheren, rettete ihm das Leben. Als alles vorbei war, jeder einzelne Normanne der Garnison abgeschlachtet, fanden sie ihn zwischen den Toten und Sterbenden. Die Schotten hielten ihn für einen Dänen, die Dänen glaubten, er sei Engländer, und den Engländern war völlig gleich, was er war, Hauptsache keiner der verdammten Normannen. Niemand beachtete ihn, als er sich auf den Weg zum geborstenen Tor machte. Er ging langsam wie ein Schlafwandler, und er hinkte, obwohl er bis auf ein paar Kratzer völlig unverletzt war. Er hinkte, weil er unter Schock stand, weil er so ratlos und entsetzt und erschüttert war wie an dem Tag, als das Drachenschiff den Ouse hinaufgekommen war und Eriks Pfeil seiner unbeschwerten Kindheit ein jähes Ende gesetzt hatte.
Er sah sich so wenig wie möglich um und spürte Erleichterung, als er aus dem Burgtor trat. Draußen trugen die Dänen die magere Beute zusammen, die sie in der Burg hatten finden können, und sammelten sich. Cædmon lauschte ihrem unmelodischen Gekrächz. Die einzigen Worte, die er zweifelsfrei identifizieren konnte, waren »Humber« und »Axholme«. Offenbar wollten sie sich dorthin zurückziehen, und vermutlich würden sie von dort aus einen Boten zu ihrem König Sven schicken, um ihm die frohe Nachricht zu bringen, daß York ihnen in die Hände gefallen war wie eine reife Frucht.
Cædmon sammelte seinen Verstand, machte kehrt, ging wieder durch das zersplitterte Tor und betrat den Pferdestall. Es grenzte an ein Wunder, aber Widsith stand immer noch da, wo er ihn gelassen hatte. Vermutlich wagt keiner der tapferen Wikinger, ein normannisches Schlachtroß zu reiten, dachte er, sattelte seinen treuen Gefährten und brach auf, um seinem König als einziger Überlebender die schlechte Kunde zu bringen. Keine sehr dankbare Aufgabe.
Nachdem Hyld und Erik den Humber überquert hatten, wurde aus den versprengten dänischen Trupps, die sie hier und da überholt hatten, ein stetiger Strom. Viele marschierten, ebenso viele ritten erbeutete Pferde, und alle zogen sie zur Isle of Axholme.
Im Schutz der Nacht überfiel Erik unter heftigen Gewissensbissen einen schlafenden Landsmann und stahl ihm Kettenhemd, Helm und Waffen. So gerüstet, wurde er praktisch unsichtbar unter all den Soldaten. Den ganzen nächsten Tag ritten er und Hyld mit einem Zug von wenigstens hundert Männern, und kaum hatten sie den Trent überschritten, begannen die Sümpfe.
»Bei Odins Eiern, was für ein Land. Wälder, durch die man keinen Weg findet, oder Sümpfe«, brummte der hünenhafte Mann neben Erik und spuckte angewidert ins Schilf.
Erik gab ihm aus vollem Herzen recht. »Aber sei froh, daß wir nicht im Juli hier durch müssen, da fressen einen die Mücken auf.«
Es war heraus, ehe ein unauffälliger Fußtritt von Hyld ihn warnen konnte.
»Du warst schon mal hier?« fragte der Däne verwundert.
»Ähm … mein Vater hat’s mir erzählt.« Erik war nie um eine Lüge verlegen.
Der andere nickte. »Ich hab dich noch nie gesehen. Auf welchem Schiff warst du?« fragte er.
»Auf der Emma.« Das konnte er getrost behaupten, denn es gab einfach keine dänische Flotte ohne ein prachtvolles Drachenschiff, das nach der großen Königin benannt war – von der nicht wenige behaupteten, sie sei selbst ein Drachen gewesen. Blieb nur zu hoffen, daß sein neugieriger Gefährte nicht zur Besatzung der Emma zählte. »Und du?«
»Auf der Goda. Wer befehligt die Emma?«
»Gib acht, Freund, das Schlammloch da vorn sieht nicht gut aus, und du hältst genau drauf zu.«
Der Däne korrigierte seinen Kurs und vergaß darüber glücklicherweise seine Frage. »Wir brauchen Flöße, sonst werden wir allesamt ersaufen.« »Tja, nur leider steht hier weit und breit kein Baum …« Die Hufe der Pferde verursachten zunehmend beunruhigende, schmatzende Geräusche auf dem trügerischen Untergrund. Wie auf ein verabredetes Zeichen saßen die Männer ab und führten die Pferde, ertasteten mit dem Fuß argwöhnisch den Boden vor sich, ehe sie ihm ihr Gewicht anvertrauten.
»Wer ist der Bengel, der mit dir reitet?« wollte der Däne wissen.
»Mein Bruder. Ich konnte ihn nirgendwo lassen, darum mußte er mitkommen. Er ist stumm, seit er vor zwei Jahren das Fieber hatte, aber dafür ist er ziemlich helle.«
Erik spürte Hylds wütenden Seitenblick und gönnte sich ein breites Grinsen. Sie hatte lange genug in York gelebt, um dänisch zu verstehen, aber sie konnte fast kein Wort sprechen. Außerdem hätte ihre helle Stimme sie sofort verraten. Es war also das einzige, was er hatte sagen können, aber er mußte gestehen, es bereitete ihm ein diebisches Vergnügen, daß sie ihm keine Widerworte geben konnte, solange sie hier waren.
Das Grinsen verging ihm bald. Die Durchquerung des Moors wurde mörderisch. Nur wenige Schritte vor ihnen versank ein Mann im Treibsand. Zusammen mit ein paar anderen versuchte Erik, ihn zu retten, sie legten sich auf den Bauch, bildeten eine Kette und warfen ihm einen Lederzügel zu, doch es war schon zu spät. Der brackige, braune Sumpf schien den armen Tropf regelrecht hinabzusaugen, und er ging schreiend unter. Der dunkle Schleim schloß sich sogleich über seinem Kopf, nur ein paar Luftblasen verrieten noch, was geschehen war.
Als sie der Verzweiflung nahe waren, kamen die Flöße. Die Dänen, die während des Sturms auf York in Axholme verblieben waren, hatten die Zeit nicht ungenutzt verstreichen lassen. Sie hatten die kleinen Gehölze der inselartigen Ebene gefällt, um eine halbwegs sichere Befestigung zu bauen und eben auch ein paar Flöße, die sie den Ankömmlingen entgegenschickten, sobald sie sie kommen sahen.
Das dänische Heer umfaßte gut dreitausend Mann, von denen sich etwa zwei Drittel im Laufe der nächsten Tage auf der Isle of Axholme einfanden. Ein paar hundert sicherten die Flotte im Humber, die übrigen waren in York gefallen oder in den Sümpfen umgekommen.
Das von einem Palisadenring umgebene Lager bestand aus einem Sammelsurium von Zelten unterschiedlichster Größe. Das prächtigste beherbergte die beiden dänischen Prinzen und ihren Onkel, die den Feldzug anführten. Gekocht und gegessen wurde unter freiem Himmel. Hyld taumelte im Zustand fortdauernden Entsetzens durch diese Männerwelt. Niemand wusch sich je. Das Essen war halbroh und vollkommen ungenießbar. Die ewigen Zoten widerten sie an, und die unbeschreiblichen Latrinen unter freiem Himmel stellten sie vor das nicht unerhebliche Problem, wie sie ihren natürlichen Bedürfnissen folgen sollte, ohne vor Scham einzugehen und vor allem ohne daß irgendwer ihr auf die Schliche kam. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als bis zum Einbruch der Nacht zu warten …
Systematisch suchten sie das Lager nach Eadwig ab. Sie fingen am westlichen Ende an und arbeiteten sich langsam vor. Erik platzte ungehemmt in jedes Zelt, sah sich kurz um, murmelte eine Entschuldigung, kam wieder heraus und schüttelte den Kopf. Nach zwei Tagen hatten sie den Ostrand des Lagers erreicht, ohne auch nur die geringste Spur von Hylds Bruder zu finden.
»Gott, er ist nicht hier«, sagte Hyld mutlos, als sie sich zur Lagebesprechung am Ufer des kleinen Flusses außerhalb der Palisaden trafen. Sie stützte die Stirn auf die Faust. »Es war alles umsonst.«
Erik warf einen raschen Blick über die Schulter, ehe er ihre Hand nahm. Er zog sie kurz an die Lippen, aber er sagte nichts.
Sie hob den Kopf. »Denkst du, er ist tot, Erik?«
»Wir müssen zumindest damit rechnen. Aber noch solltest du nicht alle Hoffnung aufgeben, weißt du.«
»Aber wo soll er sein?« wandte sie verzweifelt ein. »Wir waren in jedem Zelt!«
»Es ist immerhin möglich, daß sie ihn bei den Schiffen gelassen haben …«
»Glaubst du das?«
Er mußte sich zwingen, ihre bange Hoffnung zunichte zu machen. »Nein. Ehrlich gesagt nicht.«
Sie senkte den Kopf auf die angezogenen Knie.
»Es gibt allerdings noch ein Zelt, wo wir nicht waren«, sagte Erik bedächtig.
Ihr Kopf ruckte hoch. »Welches?«
Es schüttete wie aus Kübeln, und die Nacht war so schwarz, daß man buchstäblich die Hand vor Augen nicht sah. Behutsam tasteten Hyld und Erik sich zum Zentrum des Lagers vor, und sie entdeckten das große, graue Zelt erst, als sie fast mit der Nase dagegenstießen. Nahe des Eingangs war eine schwache, flackernde Lichtquelle. Lautlos glitten sie darauf zu.
Durch die Zeltwand erahnten sie die Umrisse einer menschlichen Gestalt, die von einem diffusen Lichtkranz umgeben schien. Ein Wachsoldat mit einer Fackel.
Hyld und Erik wechselten einen Blick, nickten sich zu, und Erik stimmte wie aus heiterem Himmel ein derbes Seefahrerlied an und drückte beide Hände gegen die Zeltbahn, so daß es von innen so aussehen mußte, als sei er dagegengetaumelt.
»Wer ist da?« fragte eine barsche, junge Stimme.
»Ich bin’s nur«, lallte Erik. »Ich dachte, ihr habt hier vielleicht noch was zu trinken …«
Der Zelteingang wurde zurückgeschlagen, und der Wachsoldat trat mit eingezogenem Kopf in den Regen hinaus. »Hau bloß ab, Mann …« Hyld glitt lautlos von hinten an ihn heran, rammte ihr Knie in seine Kniekehle und gleichzeitig beide Fäuste in seine Nieren. Mit einem gedämpften Protestlaut ging die Wache zu Boden. Eigentlich war verabredet gewesen, daß Erik den Rest erledigte, aber da hatten sie noch nicht gewußt, daß mehr als ein Mann den Zelteingang bewachte. Der zweite Soldat trat hastig heraus und rannte sich die Nase praktisch an Eriks Faust ein, während Hyld ihrem Opfer die verschränkten Hände in den Nacken schlug und dann sein Gesicht in den Schlamm drückte, bis er die Besinnung verlor.
Mit mehr Entschlossenheit als Eleganz überwältigten sie die überrumpelten Wachen und schlüpften dann geräuschlos ins Innere des Zeltes. Keine Fackel, sondern ein Kohlebecken in der Mitte des abgeteilten kleinen Vorraums war die Lichtquelle. Die züngelnden Flammen blendeten sie nach der regenschwarzen Nacht draußen, und noch ehe sie sich orientieren konnten, wurden sie beide gepackt, je zwei Soldaten stürzten sich auf sie, drehten ihnen die Arme auf den Rücken und zerrten sie näher zum Licht.
»Was hast du dir gedacht, he?« fragte ein hünenhafter Kerl Erik, und mühelos erkannte er seinen wissensdurstigen Reisegefährten wieder. »Daß du hier einfach so hereinspazieren kannst, um unsere Prinzen zu meucheln, du gottverdammter normannischer Spion?« Der Hüne schlug Erik wütend die Faust in den Magen, und das machte ihn sprachlos.
Hyld kämpfte mit Klauen und Zähnen, um ihre Arme zu befreien. Im Schatten hinter dem Kohlebecken hatte sie eine zusammengekauerte Gestalt entdeckt. »Eadwig! Eadwig!«
Vor Überraschung ließen die Wachen sie los. »Verdammt, das ist ein Mädchen …«
Sie stürzte zu ihrem Bruder und schloß den schlaftrunkenen Jungen in die Arme.
»Hyld?« fragte er ungläubig. »Was … Wo ist Cædmon?«
»Ich weiß es nicht.« Sie fuhr ihm über den Schopf, feine, seidige Kinderhaare, die immer noch so hellblond waren wie in den Tagen, da sie ihn gewickelt und umhergetragen hatte.
»Alles in Ordnung? Geht es dir gut?«
Er starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an und nickte.
Eine unsanfte Hand packte Hyld an der Schulter. »Komm auf die Füße …«
»Was geht hier vor?« verlangte eine befehlsgewohnte, aber junge Stimme zu wissen.
Alle wandten sich um. Am Eingang zum Hauptraum des Zeltes stand ein breitschultriger, gutaussehender Däne mit nacktem Oberkörper, das blanke Schwert in der Rechten.
Die Wachen verneigten sich respektvoll. »Dieser Mann und diese Frau wollten hier eindringen, mein Prinz«, erklärte der Hüne grimmig. »Ich bin sicher, sie sind normannische Spione. Er hat behauptet, er sei auf der Emma gesegelt, aber …«
Erik befreite sich mit einem plötzlichen Ruck von den Händen, die ihn hielten, trat ohne Hast einen Schritt vor und sank vor dem dänischen Prinzen auf die Knie. »Ich bin kein Spion. Ich bitte um Vergebung, daß wir uns hier eingeschlichen haben, aber ich bin …«
»Erik Guthrumson«, unterbrach Prinz Knut verblüfft. »Ich erinnere mich an dich. Du standest im Dienst des Königs von Norwegen. Wir sind uns in Aarhus begegnet, wo mein Vater und Harald Hårderåde zu Verhandlungen zusammenkamen.«
Unendlich erleichtert erhob sich Erik. »So ist es.« Er wies zu Hyld, die schützend die Arme um die Schultern ihres Bruders gelegt hatte. »Das ist meine Frau, Hyld. Ich schwöre bei Gott, wir hatten nicht die Absicht, Euch an die Normannen zu verkaufen. Aber der Junge ist ihr Bruder. Deswegen waren wir hier.«
Knut zog seine schmalen, wohlgeformten Brauen in die Höhe. »Ist das wahr?« Er sah auf die junge englische Frau in ihrer seltsamen Verkleidung hinab. »Und ihr wolltet ihn zurückholen, ja?«
Erik nickte. »Ich bin gerne bereit, Euch den üblichen Preis zu zahlen«, sagte er gedämpft, er wollte nicht, daß Hyld es hörte.
Der dänische Prinz zeigte den Anflug eines Lächelns. »Nun, ich verliere Eadwig nur höchst ungern, er ist ein ausgesprochen brauchbarer Knabe. Und obwohl ich dem Kapitän der Freia ein kleines Vermögen zahlen mußte, um ihn zu bekommen, werde ich dein Geld nicht annehmen.« »Warum nicht?« fragte Erik mißtrauisch. Er kannte keinen Dänen, der sich freiwillig ein Geschäft entgehen ließ, egal ob Prinz oder Bettler. Knut wies auf Bruder und Schwester, die engumschlungen am Boden hockten. »Vielleicht rührt es mein Herz.« Dann sah er Erik wieder in die Augen. »Oder vielleicht, um dir Tribut zu zollen. Ich habe dich bedauert und deine Verwegenheit bewundert, als sie mir damals erzählten, zu welchem Zweck Harald Hårderåde dich in seinen Dienst genommen hatte. Ich war sicher, du würdest dabei sterben.«
Erik nickte mit einem unfrohen Lächeln. »Viel hat nicht gefehlt. Wieso … wißt Ihr davon?«
»Du hattest mich im Pferderennen geschlagen. Das hat mich geärgert, und deswegen habe ich mich über dich erkundigt. Ich wollte einfach wissen, wer du bist.« Prinz Knut grinste flüchtig und wies nochmals auf Hyld und Eadwig. »Deine Frau und ihr Bruder sind frei zu gehen, wohin es ihnen gefällt. Doch ich glaube nicht, daß ich dich so einfach ziehen lassen will …«