Helmsby Juli 1079

Er hatte damit gerechnet, daß Aliesa einige Tage fortbleiben würde, aber nach zwei Wochen begann er, sich zu sorgen, und er vermißte sie fürchterlich. Doch er widerstand der Versuchung, ihr zu folgen, und schickte statt dessen Alfred nach Blackmore, um sich ein wenig umzuhören. Die Gerüchte, die der Steward mit heimbrachte, waren beruhigend, wenn auch ein wenig rätselhaft. Die Bauern erzählten sich, der Sheriff habe seine Schwester mit größter Herzlichkeit aufgenommen und auch die Schwester des Thane of Helmsby höflich empfangen, aber seit ihrer Ankunft hatte niemand mehr die schöne Beatrice zu Gesicht bekommen. Nun, Cædmon war sicher, Hyld und Aliesa würden ihm in allen Einzelheiten von ihrem Besuch in Fenwick berichten. Fürs erste war er zufrieden damit zu wissen, daß sie wohlauf waren.

Er vertrieb sich die Tage mit Arbeit. Die Ernte hatte begonnen, und oft war er von früh bis spät mit Alfred zusammen draußen auf den Feldern. Meistens nahm er Ælfric und Wulfnoth mit. Er genoß die Gesellschaft seiner Söhne, und er hielt sein Versprechen, erzählte ihnen von Normannen und Engländern, ihren Vorzügen und Schwächen und Gemeinsamkeiten. Ælfric blieb allem Normannischen gegenüber skeptisch, so sehr Cædmon sich auch bemühte, Treue und Loyalität, diese alten Tugenden angelsächsischer Krieger, für den König in ihm zu wecken. Doch immerhin lauschte Ælfric ihm höflich und aufmerksam, und seine vielen Fragen verrieten, wie gründlich er über alles nachdachte, was sein Vater ihm sagte. Wulfnoth legte nach und nach seine Scheu ab und sog all das neue Wissen über die normannische Welt gierig in sich auf. Oft wies er auf einen Gegenstand, ein Tier oder einen Baum und fragte seinen Vater, wie sie auf normannisch hießen, und er vergaß nie ein einziges Wort. Ælfric betrachtete seinen Bruder mit Unverständnis und manches Mal kopfschüttelnd, aber nicht mehr mit der gleichen Herablassung wie noch vor Mittsommer. Cædmon erfuhr nie, worum es sich bei dem Versprechen gehandelt hatte, das Wulfnoth seinem großen Bruder abgegaunert hatte, doch offenbar stand Ælfric zu seinem Wort und empfand plötzlich eine gewisse Achtung für Wulfnoth. Cædmon war stolz auf sie beide und nicht wenig erleichtert. Dunstan, den er so oft in seinem draufgängerischen Ältesten wiederentdeckte, wäre jedes Mittel recht gewesen, fair oder unfair, um sich vor der Einlösung eines unbequemen Versprechens zu drücken.

 

Der St.-Swithun-Tag Mitte Juli brachte Regen, wie Cædmons linkes Bein ihm schon beim Aufwachen angekündigt hatte. Der Wetterumschwung löste allgemein Stöhnen und Jammern aus, denn jeder wußte: Regnete es an St. Swithun, regnete es vier Wochen lang. Doch mit dem Regen kam an diesem Feiertag auch der Bischof von Elmham mit seinem Diakon und einer Schar von Kaplänen und weihte die neue, steinerne St.-Wulfstan-Kirche von Helmsby. Beim anschließenden Festmahl in der Halle gratulierte er Cædmon überschwenglich und wiederholt zu diesem neuen Gotteshaus und vertraute ihm zum Abschied an, er sei überzeugt, daß Cædmon mit dieser Gabe an Gott alle Sündenschuld getilgt habe, die er mit seiner etwas … nun ja, delikaten Eheschließung auf sich geladen habe.

Als die bischöfliche Delegation Helmsby verließ, begab Cædmon sich zurück in die jetzt verlassene Kirche. Die kühle, feuchte Luft im Inneren war immer noch schwer von Weihrauch. Er sog den betäubenden, aber doch so wohltuenden Duft tief ein und sah sich aufmerksam um. Vier Säulenpaare trennten die Seitenschiffe vom mittleren Hauptschiff der Kirche. Von Säule zu Säule spannte sich ein Rundbogen, hinter jedem Rundbogen lag eine Fensteröffnung in den Wänden der Seitenschiffe, durch die das Licht des regnerischen Nachmittags hereinfiel. Eines Tages, dachte er, würde er vielleicht Glas in diese Fenster einsetzen lassen. Über den hohen Fenstern des Mittelschiffs spannte sich ein hölzernes Tonnengewölbe, und wenn man, so wie er jetzt, mit dem Rücken zum noch fehlenden Portal stand, schien der ganze Bau auf den Altarraum an der Ostseite ausgerichtet, schienen die Säulen geradewegs dorthinzustreben. In der Apsis führte eine schmale Treppe hinab in die Krypta, wo in einem schlichten, steinernen Reliquiar der Knochensplitter des heiligen Wulfstan aufbewahrt wurde, den die Pfarrei ihr eigen nannte, und wenn er irgendwann einmal wieder Geld hatte, wollte Cædmon über der noch unvollständigen Westfassade der Kirche einen Turm errichten. Schon jetzt war der Bau prachtvoll, und die Bauern von Helmsby senkten ehrfürchtig die Köpfe, wenn sie ihn betraten. Cædmon hätte stolz auf sein Werk sein sollen. Zumindest zufrieden. Was er statt dessen empfand, begann als sanfte Melancholie und drohte in der berüchtigten Düsternis auszuufern, die ihm nur zu vertraut war. Er entzündete zwei Kerzen, eine für Richard, eine für Etienne, stellte sie auf den Altar, kniete davor nieder und suchte Trost im Gebet. Aber der Trost wollte sich nicht einstellen, und so betete er eben um Aliesas baldige Heimkehr, denn er wußte, sobald sie wieder da war, würde die Düsternis weichen.

Als er leise Schritte auf den steinernen Bodenplatten vernahm, glaubte er, Gott habe seinen Wunsch ungewöhnlich prompt erfüllt, und er wandte hoffnungsvoll den Kopf.

Doch nicht Aliesa durchquerte das dämmrige Mittelschiff, sondern eine kleine, dunkle Gestalt in Kutte und Kapuze. »Cædmon? Entschuldige, daß ich dich störe. Dein Steward sagte mir, ich könne dich hier finden …«

»Bruder Oswald!« Er erhob sich eilig, trat ihm entgegen und schloß ihn in die Arme. »Was in aller Welt verschlägt dich nach Helmsby?«

Bruder Oswald antwortete nicht sofort, sondern sah sich aufmerksam um. »Welch eine wundervolle Kirche, Cædmon. Meinen Glückwunsch.«

»Danke. Komm, laß uns zur Halle hinübergehen.«

Oswald winkte ab. »Bleiben wir noch einen Moment. Ich möchte sie mir in Ruhe ansehen. Außerdem gießt es draußen wie aus Kübeln.« Cædmon hob lächelnd die Schultern. »Wenn wir warten wollen, bis es aufhört, müssen wir auf ein Wunder hoffen oder verhungern. Heute ist St. Swithun.«

»O nein, ist das wahr?«

»Das solltest du besser wissen als ich, Bruder Oswald.«

»Oh, Cædmon, wenn du wüßtest …«

Cædmon erkannte auf einmal, wie unglücklich und rastlos sein alter Freund wirkte. »Was ist passiert?«

Der kleine Mönch schnitt eine halb komische, halb klägliche Grimasse. »Ich habe mich mit meinem Abt überworfen. Wenn du es genau wissen willst: Ich bin ohne Erlaubnis aus Winchester verschwunden. Ich bin … na ja, auf der Flucht.«

Cædmon starrte ihn ungläubig an, ehe er sich entsann, was Guthric ihm erzählt hatte. »Dein geldgieriger Abt hat dir keine Ruhe gelassen, was?«

»Nicht nur das. Er ist geistlos und grausam. Er schikaniert die englischen Brüder. In diesem Fall haben der König und Lanfranc schlecht gewählt, Cædmon. Guy de Lisieux ist kein geeigneter Vorstand für ein englisches Kloster.«

»Du solltest Guthric davon berichten. Wenn er es Lanfranc vorträgt, wird der Erzbischof sich der Sache annehmen.«

Oswald nickte. »Ich war bei Guthric, und er hat versprochen, sich darum zu kümmern. Es bleibt aber leider die Tatsache, daß ich eins meiner drei Gelübde gebrochen habe.« Er lächelte ein wenig verloren. »Gehorsam ist mir immer schwerer gefallen als Armut und Enthaltsamkeit. Jedenfalls sagte Guthric, es sei ratsam, wenn ich eine Weile untertauche, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Und er sagte, du suchst einen Lehrer für deine Söhne.« Er breitete die Arme aus. »Du hast Glück. Derzeit bin ich billig zu haben. Ein Dach über dem Kopf und zwei schlichte Mahlzeiten am Tag reichen mir voll und ganz.«

Cædmon strahlte. Es hätte kaum besser kommen können. Er nahm den Bruder beim Arm. »Dann sei willkommen in Helmsby, Oswald. In wessen Obhut wüßte ich Ælfric und Wulfnoth besser aufgehoben? Komm. Sie werden sich freuen, dich wiederzusehen.«

Kaum zehn Schritte von der neuen Kirche entfernt, waren sie schon bis auf die Haut durchnäßt. Aber sie beide kannten die Wolkenbrüche in East Anglia, und es war nicht kalt. Sie beeilten sich nicht sonderlich, während sie die halbe Meile zur Burg zurücklegten.

»Hast du von Hereward gehört?« erkundigte sich Cædmon.

Oswald nickte. »Ich traf Bischof Odo in Canterbury. Er wollte es nicht rundheraus zugeben, aber wie es scheint, findet er großen Gefallen an Hereward. Du hast eine kluge Entscheidung getroffen, Cædmon. Odo wird sich beim König für Hereward verwenden, ich bin sicher.«

Cædmon atmete tief durch. »Es könnte so vieles wiedergutmachen, wenn William sich entschließen könnte, ihn nicht hinzurichten oder zu blenden. Die Leute würden Waltheof of Huntingdon vergessen. Sie wollen ihn vergessen, denn er war ein Verräter und ein Feigling.«

»Auch Hereward war beim Fall von Ely ein Feigling«, bemerkte Oswald. »Das wissen du und ich«, entgegnete Cædmon. »Aber in den Augen vieler Engländer ist er der letzte angelsächsische Held. Wenn William ihn ihnen läßt, beweist er, daß er ein englischer König ist.«

»Was denkst du, Cædmon, wann kommt der König zurück nach England?«

Cædmon hob vielsagend die Schultern. »Das hängt davon ab, wie die Lage auf dem Kontinent sich entwickelt. Ob er seinem Sohn Robert nochmals sein Vertrauen schenkt. Wie das Maine und Flandern und die Bretagne, vor allem aber wie Philip von Frankreich sich verhält. Die Normandie ist von allen Seiten bedrängt und innerlich zerrissen.« »Und die Schotten verwüsten Northumbria.«

»Er wird sich darum kümmern, wenn er kann, Oswald, glaub mir.«

Der Mönch war skeptisch. »Er hat kein Herz für Northumbria.«

»Nein, das ist wahr. Aber er kann es nicht ausstehen, wenn irgendwer seine Grenzen verletzt.«

 

Als Aliesa und Hyld zwei Tage später heimkamen, fand Cædmon seine Frau bleich und abgespannt.

Er war in den Hof hinausgestürmt, nachdem er Alfred hatte rufen hören, und traf sie vor dem Pferdestall. Hyld war mit den Pferden in dem niedrigen Holzschuppen verschwunden und redete mit Ine. Aliesa stand wartend im strömenden Regen, und als sie ihren Mann auf sich zukommen sah, lächelte sie.

Ihre zierliche, tropfnasse Gestalt verschwand fast vollständig in Cædmons Umarmung. Er kniff die Augen zu und preßte die Lippen auf ihre triefenden, schwarzen Locken. »Gott … laß mich nie wieder so lang allein, hörst du.«

»Um Himmels willen, laß mich los, du Troll, was sollen die Leute denken?« murmelte sie mit einem Lächeln in der Stimme.

»Sie können denken, was sie wollen.« Aber er löste sich von ihr, trat einen Schritt zurück und nahm ihre Hand. »Komm ins Trockene. Es ist ungemütlich. Nicht, daß du dich erkältest. Das Wetter scheint zu halten, was St. Swithun versprochen hat …« Er spürte plötzlich einen eigentümlichen Drang zu faseln und biß die Zähne zusammen, um es zu verhindern. Mit einem verschämten Lächeln nahm er ihren Arm und führte sie ins Haus. »Geht es dir gut?« fragte er besorgt, während er sie von der Seite betrachtete. »Du bist sehr blaß.«

»Alles in Ordnung.« Aber ihr Lächeln erinnerte ihn an die Wintersonne – es wirkte zu strahlend und unecht.

Cædmon fragte vorerst nicht weiter, wartete geduldig, bis sie Alfred und Irmingard und Onkel Athelstan begrüßt hatte, und brachte sie dann zur Treppe. »Sicher willst du die nassen Sachen ausziehen.«

Sie nickte. »Wo sind die Kinder?«

»In ihrer Kammer. Stell dir vor, Bruder Oswald ist zu uns gekommen. Er wird ein Weilchen bleiben und unterrichtet sie. Ich hab mir überlegt, daß wir im Hof eine kleine Kapelle bauen könnten. Bruder Oswald könnte unser Hauskaplan werden.«

»Eine wunderbare Idee«, stimmte sie zu, während sie vor ihm die Schlafkammer betrat.

Cædmon schloß die Tür, nahm ihr den nassen Mantel ab und warf ihn achtlos auf die Truhe am Fenster. Aliesa sank auf die Bettkante. Die herabhängenden Schultern verrieten ihre Erschöpfung. Er setzte sich zu ihr und nahm ihre Hand. »Eisig«, stellte er fest. »Leg dich ins Bett, hm? Damit du warm wirst.«

Er rechnete damit, daß sie protestieren würde, doch sie ließ sich widerstandslos aus den nassen Sachen helfen. »Nur ein paar Minuten«, erklärte sie, während sie unter die Decken glitt. »Dann gehen wir zum Essen hinunter.«

»Einverstanden.«

Sie preßte seine Hand an ihre Wange. »Ashby und Blackmore gehören dir«, murmelte sie schläfrig. »Lucien hat mir eine Urkunde gegeben.« Er schüttelte lächelnd den Kopf. »Du bist unglaublich, Aliesa.«

»Ja. Ich weiß.«

Sie schlief bis kurz nach Mitternacht. Cædmon wich nicht von ihrer Seite. Er saß auf der Bettkante und studierte ihr Gesicht, lauschte ihrem Atem und fragte sich, was sie träumte. Als sie schließlich mitten in der Nacht aufwachte, sah sie ihm einen Moment wortlos in die Augen, zog ihn dann zu sich herab, und er liebte sie so behutsam und vorsichtig wie er konnte. Gleich darauf schlief sie wieder ein, und sie wachte nicht auf, als es hell wurde.

»Es liegt an der Schwangerschaft«, erklärte Hyld ihm, als sie beim Frühstück die Köpfe zusammensteckten. »Bei manchen Frauen ist es einfach so, es zehrt alle Kräfte auf, die sie haben. Wäre sie eine einfache Bauersfrau, die hart arbeiten muß, egal ob schwanger oder nicht, würde sie niemals ein Kind austragen. Auch so bin ich keineswegs sicher, ob sie es schafft. Sobald sie sich anstrengt, fängt sie an zu bluten. Wenn du Wert auf einen ehelich geborenen Erben legst, dann sorg dafür, daß sie sich schont.«

Er winkte ungehalten ab. »Darum geht es nicht. Ich ängstige mich um sie.«

Hyld nickte seufzend. »Das hast du mit ihrem Bruder gemeinsam. Seine eigene Frau ist ebenfalls guter Hoffnung, und ihr ist von früh bis spät speiübel. Aber um sie war er nicht halb so besorgt wie um Aliesa. Ich glaube, er wird dir nie verzeihen, daß du sie geschwängert hast.«

Cædmon brummte und starrte einen Moment in sein Bier. »Es gibt so viele Dinge, die er mir nie verzeihen wird, daß es darauf auch nicht mehr ankommt. Und? Wie war er?«

Hyld antwortete nicht sofort.

Sie hatte Aliesa unter größten Bedenken nach Fenwick begleitet, hatte sich nur dazu überreden lassen, weil sie ihre normannische Schwägerin wirklich ins Herz geschlossen hatte. Und als sie Lucien de Ponthieu wiedersah, war genau das eingetreten, was sie befürchtet hatte: Der grauenhafte Tag, da die Todesreiter nach Salby gekommen waren, die unbeschreiblichen Wochen danach, selbst der Schmerz über den Tod des kleinen Olaf – alles war plötzlich wieder gegenwärtig. Doch Luciens Freude über das Wiedersehen mit seiner Schwester war so groß, daß sie ihn völlig verwandelte, aus dem todbringenden Finsterling einen strahlenden, verblüffend gutaussehenden jungen Edelmann machte. Plötzlich wirkte er keineswegs mehr bedrohlich, sondern regelrecht übermütig, und das hatte es Hyld leichter gemacht, ihren Schrecken zu überwinden. »Er war außer Rand und Band vor Seligkeit. Zuerst. Aber er hatte noch nicht gehört, was alles passiert ist, und als Aliesa ihm sagte, daß ihr geheiratet habt, da hat er sie angesehen, als habe sie ihm plötzlich aus heiterem Himmel einen Dolch ins Herz gerammt. Er stand auf und ging ohne ein Wort hinaus.« Hyld aß versonnen zwei Löffel Hafergrütze, ehe sie achselzuckend fortfuhr: »Schließlich hat er sich beruhigt. Aliesa versteht ihren Bruder wirklich zu nehmen. Sie hat ja auch ein Leben lang Übung darin. Er hat versprochen, dich und die Deinen und dein Land in Zukunft zufrieden zu lassen. Ich denke, du brauchst dir um ihn keine Sorgen mehr zu machen.« Nur wenn Aliesa im Kindbett sterben sollte, würde Lucien de Ponthieu weder rasten noch ruhen, bis er Cædmon getötet hatte, dachte sie besorgt.

»Und … Beatrice?« fragte ihr Bruder weiter.

Hyld verzog das Gesicht. »Beatrice ist ein Ungeheuer.«

»Tja. Ein eiskalter Engel.«

»Nun, in Luciens Bett ist sie alles andere, heißt es. Geradezu heißblütig. Aber nur, wenn er sie vorher schlägt. Daran haben sie beide Spaß, scheint es, also sind sie in gewisser Hinsicht ein perfektes Paar.«

»Mögen sie zusammen glücklich werden.« Cædmon nahm einen tiefen Zug aus seinem Becher, um zu vertuschen, wie angewidert er war. »Ich merke, du hast mit ihrem Gesinde geplaudert.«

Hyld nickte. »Und hanebüchene Geschichten gehört. Die Leute leben in Angst und Schrecken vor Beatrice. Und sie hassen sie. Wenn sie sich nicht vorsieht, wird sie eines Tages auf Nimmerwiedersehen im Moor verschwinden. Fenwick ist ein Ort des Jammers, Cædmon. Alle leben in Furcht. Die Mägde und Knechte fürchten sich vor Beatrice, Beatrice fürchtet sich vor Lucien, Lucien fürchtet englische Rebellionen, und mehr als alles andere fürchtet er sich vor eurem König.«

 

Der König blieb jedoch vorläufig auf dem Kontinent, wo die politische Lage so angespannt war, daß er kaum Zeit fand, sein kritisches Augenmerk auf England zu richten. Den ganzen Herbst über hörten sie selten Nachrichten in Helmsby. Guthric kam zu Michaelis und berichtete, daß William und Prinz Robert sich ausgesöhnt hatten, aber auf Wulfnoths drängende Frage, wann der König endlich zurückkommen und Prinz Henry heimbringen werde, wußte auch Guthric keine Antwort. Cædmon war es recht. Endlich hatte er einmal Zeit, sich um seine Ländereien und die vielen Güter zu kümmern, die ihm inzwischen gehörten. Er besuchte sie alle, um sich vor Ort über die Verhältnisse ein Bild zu machen, nahm ein paar zusätzliche junge Männer in seinen Dienst, hielt einmal im Monat den Gerichtstag in Helmsby ab, und kurz nach Allerheiligen ritt er zum übergeordneten Gerichtstag der Grafschaft nach Norwich. Das lang gescheute Wiedersehen mit Lucien, der als Sheriff den Vorsitz führte, verlief geradezu lächerlich unspektakulär. Sie tauschten ein kühles Nicken und erkundigten sich höflich nach dem Wohlergehen ihrer Frauen. Niemand, der sie sah, hätte ahnen können, daß der eine die Schwester des anderen, der andere die Verlobte des einen geheiratet hatte, oder daß bei ihrer letzten Begegnung eine Ochsenpeitsche mit im Spiel gewesen war. Und wenn sich jedes Härchen an Cædmons Körper bei der Erinnerung im Protest aufrichtete, so machte er doch ein gutgehütetes Geheimnis daraus. Erleichtert und ein bißchen stolz auf seine Nonchalance ritt er heim. Wie Hyld prophezeit hatte, verlief Aliesas Schwangerschaft mühsam, doch nachdem die schwierigen ersten drei Monate vorüber waren, hörten die Blutungen auf. Aliesa führte Cædmons Haus mit der scheinbar eleganten Mühelosigkeit eines Jongleurs, verfeinerte den Speiseplan, ohne die mürrische Köchin zu beleidigen, und führte unauffällig ein paar Reformen durch. An den langen Winterabenden las sie manchmal aus ihren Büchern vor, die sie aus Herefordshire hatte kommen lassen, oder sie sang eines der englischen Lieder, die Cædmon ihr beibrachte. Anfangs waren die Bewohner der Halle den normannischen Neuerungen gegenüber skeptisch, doch als sie feststellten, daß sich Cædmons Frau allem Englischen gegenüber aufgeschlossen zeigte, bewiesen sie ihrerseits Entgegenkommen. So verbrachten sie einen friedlichen Winter, und als Cædmon zu Weihnachten einen Spielmann in seine Halle führte, der sich ehrerbietig vor der Lady verbeugte und ankündigte, er wolle das Lied von Siegfried und dem Drachen und dem Gold im Rhein vortragen, war es, als hätten alle Wünsche sich erfüllt.

Das zweite Königreich
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